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FAIR WOHNEN REPORTAGE<br />
Der österreichische<br />
Biertrinker schwächelt.<br />
Im Jahr 1991<br />
trank er noch 124,<br />
heute nur noch 108<br />
Liter pro Jahr. Die<br />
großen Brauereien<br />
reagieren und versuchen mit exotischen<br />
Kreationen wie Chili, Lemon und Heidelbeer<br />
sowie Biermischgetränken das<br />
Ruder herumzureißen. Für Biertraditionalisten<br />
wie Thomas und Michael Mauer,<br />
Johannes Kugler und Raphael Schröer<br />
klingt das freilich eher nach dem Un-<br />
Mit ihrer Marke Brew Age wollen vier junge Österreicher<br />
am heimischen Biermarkt durchstarten. Wir haben<br />
einen Brauvorgang in Hof bei Salzburg begleitet.<br />
<strong>START</strong>-<br />
<strong>UP</strong><strong>IM</strong><br />
<strong>BRAU</strong>-<br />
<strong>KESSEL</strong><br />
TEXT: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
FOTOS: WILDBILD/DORIS WILD<br />
Ambitioniertes Quartett. Johannes Kugler, Thomas Mauer, Raphael Schröer und Michael Mauer<br />
verfolgen mit ihrer jungen Biermarke Brew Age die Vision von der eigenen Brauerei.<br />
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Erster<br />
Arbeitsschritt.<br />
Bevor der Brauprozess<br />
beginnt, muss das Malz<br />
geschrotet werden.<br />
Später kann sich dadurch<br />
die Getreidestärke im<br />
Wasser lösen, die Hüllen<br />
der Malzkörner bilden<br />
dann eine natürliche<br />
Filterschicht, den<br />
Filterkuchen.<br />
Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen.<br />
Während Johannes Kugler noch am Geschmack seines zukünftigen Biers<br />
feilt, serviert uns Gusswerk-Besitzer Reinhold Barta im an die Brauerei<br />
angeschlossenen Lokal eine Kostprobe seiner Brauereierzeugnisse.<br />
richtungen anderer Brauereien, mischen<br />
dort Hopfen und Malz nach eigenem<br />
Rezept und füllen ihr Bier selbst<br />
ab. Das wird in rund vier Wochen der<br />
Fall sein, wenn ihr Pale Ale im Kessel<br />
der Brauerei Gusswerk in Hof bei Salzburg<br />
ausgereift ist. Jetzt gilt es dafür die<br />
Basis zu legen, die richtige Mischung<br />
aus Malz und Wasser zu finden, den<br />
passenden Hopfen in der richtigen<br />
Menge zuzugeben und alle weiteren Parameter<br />
zu definieren. Verantwortlich<br />
dafür ist Johannes Kugler, der aktuell an<br />
der TU München noch den Studiengang<br />
Brauwesen und Getränketechnologie<br />
absolviert, bei Brew Age aber bereits<br />
selbst die volle Verantwortung eines<br />
Braumeisters übernimmt und diese<br />
am Hightech-Steuerpult neben Würzpfanne<br />
und Läuterbottich auslebt.<br />
„Ich begann vor acht Jahren nach einer<br />
TV-Reportage über Bierbrauen selbst<br />
erste Versuche und habe diese dann immer<br />
weiter perfektioniert“, sagt Johannes<br />
Kugler im Gespräch mit Fair Wohnen.<br />
Aus wenigen Litern wurden mehr,<br />
aus einem Hobby ein ernsthaftes Projekt.<br />
„Irgendwann ist gemeinsam mit<br />
Thomas Mauer die Idee entstanden, ein<br />
eigenes Bier zu entwickeln und zu verkaufen“,<br />
sagt Kugler, „und vor zwei Jahren<br />
begannen wir das dann durchzurechnen<br />
und durchzuplanen.“ Das Duo<br />
wuchs mit Thomas’ Bruder Michael<br />
und Raffael Schröer zum Quartett, die<br />
Geschäftsidee reifte, und mittlerweile<br />
hat Brew Age auch drei eigene Biersorten<br />
entwickelt. „Im vergangenen Dezember<br />
haben wir den ersten Scale-up<br />
gemacht und das im 50-Liter-Maßstab<br />
erprobte Rezept auf 10 Hektoliter übertragen“,<br />
sagt Thomas Mauer. „Nachdem<br />
das geklappt hat, werden wir nun 16<br />
Hektoliter pro Charge erzeugen.“<br />
tergang des Abendlandes. Sie wollen mit<br />
den traditionellen Bestandteilen von<br />
Bier – Hopfen, Malz, Hefe und Wasser –<br />
neue Geschmackserlebnisse kreieren.<br />
Und das am besten unabhängig von<br />
den heimischen Marktgrößen, unter<br />
dem eigenen Namen Brew Age, auf eigene<br />
Rechnung und in einem eigenen<br />
Brauhaus mit angeschlossenem Lokal.<br />
Bis es so weit ist, kreieren die vier jungen<br />
Österreicher ihr Bier in fremden<br />
Kesseln. Als sogenannte Lohnbrauer<br />
nutzen sie die Räumlichkeiten und Ein-<br />
Begonnen haben die vier Jungunternehmer<br />
damit bereits vor einigen Stunden,<br />
als sie im Malzlager des Brauhauses<br />
Gusswerk zuerst Malz geschrotet und<br />
dieses dann in der Maischpfanne mit<br />
Wasser vermischt und erwärmt haben.<br />
„Dadurch löst sich die Stärke aus dem<br />
Malz im Wasser und dank dem von Natur<br />
aus im Malz enthaltenen Enzym<br />
Amylase entsteht aus der Getreidestärke<br />
vergärbarer Malzzucker“, sagt Johannes<br />
Kugler. Klingt kompliziert, ist für den<br />
späteren Geschmack des Biers aber entscheidend.<br />
Neben der Malzsorte spielen<br />
dafür auch andere Faktoren wie die<br />
Wahl des Brauwassers, der Grad der Erhitzung<br />
oder mögliche Ruhepausen eine<br />
Rolle. So ist weiches, kalkarmes<br />
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FAIR WOHNEN REPORTAGE<br />
Brauwasser etwa für herbe Biere wie<br />
Pilsener geeignet und Rasten um 72<br />
Grad fördern die Bildung von nicht vergärbaren<br />
Dextrinen (Stärkeabbauprodukte),<br />
die in vollmundigeren Biersorten<br />
erwünscht sind. Um zu überprüfen,<br />
ob die Malzstärke bereits vollständig in<br />
der Maische gelöst ist, führt Johannes<br />
Kugler anschließend eine Jodprobe<br />
durch. Er entnimmt der heißen Maische<br />
etwas Flüssigkeit, fügt Jod zu und<br />
verrührt das Ganze. Nichts passiert.<br />
„Glücklicherweise“, sagt der Braumeister<br />
und schmunzelt. „Würde sich die<br />
Jodprobe dunkelblau verfärben, wäre<br />
das ein Zeichen dafür, dass die Maische<br />
noch Stärke enthält und etwas Zeit benötigt“,<br />
sagt Kugler, der das Ergebnis gewissenhaft<br />
im Sudbericht festhält. „Darin<br />
werden sämtliche Zutaten und Inhaltsstoffe<br />
notiert und die einzelnen<br />
Brauschritte lückenlos dokumentiert.“<br />
Nach eineinhalb Stunden in der<br />
Maischpfanne pumpt Johannes Kugler<br />
die Maische in den Läuterbottich, wo<br />
die Malzreste – vor allem die Hüllen der<br />
Malzkörner, die sogenannten Spelzen –<br />
absinken und mit dem Filterkuchen eine<br />
natürliche Filterschicht bilden, die<br />
Schwebstoffe zurückhält. „Die Flüssigkeit,<br />
die wir nun als Würze bezeichnen,<br />
pumpen wir wieder zurück in die<br />
Maischpfanne“, sagt Johannes Kugler<br />
und kontrolliert mit einem Blick in die<br />
Läuterlaterne – einem Schauglas in der<br />
Leitung zwischen Läuterbottich und<br />
Maischpfanne – wiederholt, ob in der<br />
Flüssigkeit feste Bestandteile enthalten<br />
sind. Anschließend schwämmt er durch<br />
die Zugabe von heißem Wasser die<br />
noch in der Filterschicht enthaltenen<br />
Inhaltsstoffe aus und bestimmt so den<br />
späteren Alkoholgehalt des Biers, die<br />
sogenannte Stammwürze.<br />
beit beobachten und ein Bier aus der<br />
ersten Brew-Age-Tranche verkosten.<br />
Der erste Eindruck: Ungewöhnlich,<br />
aber gut. Es fängt im Mund fruchtig an,<br />
hält das Niveau und leitet dann in einen<br />
sanften Abgang über. Das Geschmacks -<br />
erlebnis ist zugleich fruchtig und bitter,<br />
über allem lagert eine Frische, die man<br />
von Massenware aus dem Supermarkt<br />
nicht kennt. „Und genau das ist es, was<br />
uns so schmeckt“, sagt Thomas Mauer,<br />
„und was wir hoffen, das auch unsere<br />
Kunden begeistern wird.“ Bruder Michael<br />
hat bereits erste Gespräche mit<br />
Abnehmern geführt. „Dabei denken wir<br />
an Spezialitätengeschäfte mit Bier-Sortiment,<br />
aber auch an Bierlokale, die neben<br />
ihren Stammbieren Abwechslung<br />
auf der Speisekarte wollen.“<br />
„Zeit zu spindeln“, ruft Johannes Kugler<br />
aus dem Hintergrund und zieht mit<br />
dem Spindelzylinder eine Probe aus der<br />
Maischpfanne. Diese lässt er anschließend<br />
auf 20 Grad Celsius abkühlen und<br />
setzt vorsichtig die Bierspindel ein. An<br />
ihrer Skala lässt sich die Dichte des<br />
Biers und damit dessen Stammwürze<br />
ablesen. „12,6 Grad Plato“,<br />
sagt Johannes Kugler und<br />
nickt, bevor er die Würze<br />
über einen Wärmetauscher<br />
abkühlt und in den Gärtank<br />
pumpt. Dort wird<br />
durch Zugabe der<br />
Hefe der Gärprozess in Gang gebracht.<br />
Wir nehmen derweil einen<br />
weiteren Schluck Brew Age. Unvorstellbar,<br />
dass der Bierkonsum hierzulande<br />
in den kommen Jahren weiter<br />
sinken könnte. Nicht bei dieser Frische.<br />
Und diesem Geschmack. Prost!<br />
Infos zu Brew Age unter<br />
www.brewage.at und www.facebook.com/<br />
brewage<br />
Zeit, den Hopfen zuzugeben. Die<br />
mit dem Hanf verwandte<br />
Schlingpflanze reichert das Bier<br />
mit Aromastoffen an und verleiht<br />
ihm seinen spezifischen<br />
Charakter. „Außerdem bestimmt<br />
die Menge des zugegebenen<br />
Hopfens unter<br />
anderem die Haltbarkeit<br />
des Bieres“, sagt Thomas<br />
Mauer, während wir Johannes<br />
Kugler bei der Ar-<br />
Professionelle Unterstützung. Bei der Hopfenzugabe wird Brew-<br />
Age-Braumeister Johannes Kugler vom Besitzer der Brauerei Gusswerk –<br />
Reinhold Barta – unterstützt.<br />
Foto: Thinkstockphotos<br />
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FAIR WOHNEN REPORTAGE<br />
Spannender<br />
Herstellungsprozess.<br />
Braumeister Johannes Kugler<br />
(oben beim „Spindeln“) regelt<br />
über das Schaltpult (oben Mitte)<br />
die Brautemperatur. Mit der Jodprobe<br />
(rechts oben) wird kontrolliert,<br />
ob die Malzstärke vollständig<br />
in der Maische (ganz rechts) gelöst<br />
ist. Nach der Abfüllung darf<br />
das frische Bier verkostet werden.<br />
HOPF’N ROLL – DER BOOM DER MIKRO<strong>BRAU</strong>EREIEN<br />
Die Bierauswahl in Österreich war noch vor wenigen Jahren sehr eng gesteckt. Neben<br />
den heimischen Marktgrößen aus Puntigam, Wieselburg, Schwechat, Göss, Zipf und Ottakring<br />
gab es nur wenige Importbiere, Nischen dazwischen und daneben blieben lange<br />
Zeit unbesetzt. Mittlerweile herrscht aber gerade in diesem kleinen Bereich reger Betrieb.<br />
Die aus den USA kommende Craft-Beer-Bewegung findet nämlich auch hierzulande<br />
immer mehr Anhänger und neben Idealisten und Autodidakten kombinieren zunehmend<br />
auch alteingesessene Braumeister aus alten Rezepten und kühnen Ideen neue<br />
Sorten. Abseits der industriellen Massenware entstehen so charakterstarke Biere in kleinen<br />
Auflagen, wie das auch Brew Age plant und wie sie etwa auch die Brauerei Gusswerk<br />
in Hof bei Salzburg im Programm führt.<br />
Obwohl der Bierverbrauch in Österreich langsam aber sicher sinkt, kommen Spezialsorten<br />
wie der Weizenguss (ausgezeichnet mit dem European Beer Star 2013 in Gold) oder<br />
Urbankellers Steinbier (1. Platz bei der österreichischen Staatsmeisterschaft der Kleinbrauereien<br />
2011) aus der Gusswerker Brauerei bei den Kunden gut an. Das gilt auch für<br />
die Biere aus anderen Klein- und Mikrobrauereien, die seit einigen Jahren einen regelrechten<br />
Boom erleben. Laut Statistik gibt es österreichweit mittlerweile mehr als 170<br />
Brauereien, was die höchste Brauereidichte (pro Kopf) der Welt bedeutet. „Die Entwicklung<br />
ist sehr positiv“, sagt Reinhold Barta, der mit seiner Brauerei Gusswerk einer der<br />
Vorreiter dieses Trends in Österreich ist. „Das Handwerk des Bierbrauers stirbt in den<br />
großen Brauereien langsam aus, und da wollte ich ganz bewusst einen Gegentrend<br />
setzen. Dass der dann so gut angenommen wird und wir den Leuten mit unserem Bier<br />
Freude bereiten können, freut uns natürlich.“ Uns auch.<br />
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