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Erziehung heute – Vater sein. Hrsg. im Friedr

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Dr. Frank Herrath<br />

<strong>Vater</strong> 2000 - Schillernde Wirklichkeiten, verzerrte Bilder<br />

aus: <strong>Erziehung</strong> <strong>heute</strong> <strong>–</strong> <strong>Vater</strong> <strong>sein</strong>. <strong>Hrsg</strong>. <strong>im</strong> <strong>Friedr</strong>ich-Verlag 2000<br />

Paul arbeitet in einem großen Elektronikkonzern, mindestens 10 Stunden täglich, oft am Wochenende<br />

und muss dazu auch noch oft dienstreisen. Seine Frau hatte eine Uni-Projekt-stelle, die vor<br />

kurzem ausgelaufen ist. Sie managt Haus und Kinder. Beide können sich ideale-re Verhältnisse<br />

von Arbeit und Familienleben vorstellen. Immerhin haben sie keinerlei Geld-sorgen. Seine beiden<br />

Töchter, 8 und 10 Jahre alt, lieben Paul sehr. Wenn er da ist, ist ihre Mutter abgemeldet. Alle vier<br />

haben sie sich gewöhnt an ihr Leben miteinander, so wie es ist. Die periodischen Au<strong>sein</strong>andersetzungen<br />

mit <strong>sein</strong>er Frau um Rollenverteilungen, um berufli-che Veränderungen und der dann in<br />

schöner Regelmäßigkeit wieder kehrende Vorwurf, dass sie „das ganze Kinderzeug an den Hacken“<br />

hat - auch daran hat sich Paul gewöhnt.<br />

Walter ist momentan „glücklicher Arbeitsloser“: Arbeitslosengeld und freiberufliche akademische<br />

Tätigkeit ab und zu, ansonsten kümmert er sich zu 70 % um die Kinder - 2 und 10 Jahre<br />

alt. Seine Frau hat eine feste halbe Stelle. Sie verdienen, was nötig ist - einschließlich der Kosten<br />

fürs Babysitten, wenn mal beide parallel arbeiten müssen. Die materielle Versor-gungsperspektive<br />

der Familie ist unsicher, aber bisher hat es <strong>im</strong>mer geklappt. Walter ist „ganz zufrieden“ - sagt er.<br />

Er macht die Kinderbetreuung von Her-zen gerne, aber bald müsse er sich mal um eine „feste“<br />

Stelle kümmern; die Aussichten wer-den ja nicht besser, je länger er arbeitslos ist. Das nagt ein<br />

bisschen an ihm. Wenn er mal ganz ehrlich ist, fühlt er <strong>sein</strong>e Attraktivität schwinden. Dass er mal<br />

<strong>sein</strong>e Familie nicht ernähren könnte, das will er gar nicht den-ken. Öffentlich gibt er den Gelösten<br />

und protzt sehr geschickt mit <strong>sein</strong>em <strong>Vater</strong>engage-ment.<br />

Konrad ist Landschaftsgärtner. Seine 8-jährigen Zwillingssöhne wollen auch Landschafts-gärtner<br />

werden. Für sie ist Konrad der Größte. Seit 4 Jahren - mit der Geburt von Melanie - ist es bei ihnen<br />

finanziell richtig eng. Konrads Frau muss putzen gehen. Das ist für sie selbstver-ständlich,<br />

Konrad kränkt das ein wenig.<br />

Dass sie die Kinder versorgt und den Haushalt schmeißt, das ist ganz klar - für alle. Urlaub gibt’s<br />

nicht; die Anschaffungen haben Schulden gebracht und „passieren“ darf deshalb nichts. Aber über<br />

den Beitrag für den Eishockeyverein der Jungs gibt’s nichts zu diskutieren. Sonn-tags ist Konrad<br />

<strong>im</strong>mer mit ihnen unterwegs. Immer. <strong>Vater</strong><strong>sein</strong> ist für ihn kein Diskussions-thema. Das würde er<br />

sich auch verbitten, „dass da jemand klug daherschwätzt“.<br />

Dann sind da noch Jens, den von <strong>sein</strong>en drei Kindern getrennten <strong>Vater</strong>, der kreuzunglücklich ist,<br />

dass sich <strong>sein</strong>e Kinder von ihm entfremden, ohne dass die Mutter das intensiv betreiben würde,<br />

Michael, der zu <strong>sein</strong>er zweijährigen Tochter nicht so richtig „in Kontakt“ kommt, weil <strong>sein</strong>e Frau<br />

ihn nicht lässt, Christian, der <strong>sein</strong>en Sohn nicht leiden kann, weil er <strong>sein</strong>er Exfrau <strong>im</strong>mer ähnlicher<br />

wird, Manuel, dessen Ehe langsam und uneingestanden daran zugrunde geht, dass ihr gemeinsames<br />

Wunschkind schwerstbehindert ist. Joach<strong>im</strong> hat mit <strong>sein</strong>er neuen Frau ein Kind plus eins,<br />

dass sie „in die Ehe mitgebracht“ hat plus zwei, die er bei <strong>sein</strong>er ersten Frau zurückgelassen hat<br />

und alles passt vorne und hinten nicht zusammen - von den eigenen Ansprüchen wie den Ansprüchen<br />

der Frauen und Kinder auf ein „gutes <strong>Vater</strong><strong>sein</strong>“.<br />

Paul, Konrad, Joach<strong>im</strong> und die anderen sind Väter dieser Zeit.<br />

Ihre ganz konkreten Geschichten des <strong>Vater</strong><strong>sein</strong>s passen nur zum Preis der Vergröberung, der Vereinseitigung<br />

und der Ignoranz eines vielfältig gelebten Alltags auf das Raster vom „<strong>Vater</strong> 2000“.<br />

Die Zusammenlebensformen pluralisieren wie nie zuvor und somit auch die Möglich-keiten, <strong>Vater</strong>schaft<br />

zu leben. Dennoch oder vielleicht deshalb wird seit einigen Jahren von So-ziologen, Feministinnen,<br />

FamilienpolitikerInnen, Männergruppen, <strong>Erziehung</strong>sratgebern und Abendessenrun-


- 2 -<br />

den von Mittelstandspaaren versucht, diesen Prototyp „<strong>Vater</strong>“ in <strong>sein</strong>en ver-schiedenen Modellausführungen<br />

dingfest zu machen. Die in diesen Zusammenhängen jeweils gezeichneten Bilder<br />

des modernen <strong>Vater</strong>s haben mit dem tatsächlichen alltäglichen <strong>Vater</strong>verhalten von Manuel,<br />

Jens, Michael und den anderen über zehn Millionen Vätern in der BRD nur am Rande etwas zu<br />

tun.<br />

Das Problem dieser <strong>Vater</strong>bilder ist, dass sie gelebte <strong>Vater</strong>schaft aus ideologischen Motiven verzerren.<br />

Und weil des Selbstbest<strong>im</strong>mungsgebot zumindest den Mittelschichtsvätern bewuss-tes<br />

Handeln anweist, fühlen sie sich aufgefordert, sich zu diesen Bildern zu verhalten. Die <strong>Vater</strong>figur<br />

ist in der Diskussion. Ob das zu einer Verbesserung der <strong>Vater</strong>-Kind-Beziehungen beiträgt oder sie<br />

behindert, ist nicht entschieden.<br />

Bilderreigen<br />

<strong>Vater</strong>bilder sind keineswegs neu. Sie wirkten und wirken als Archetypen, Mythen und Refle-xe<br />

auf gesellschaftliche Veränderungen durch die Geschichte des Abendlandes. In den 50er Jahren<br />

gab es - passend zu den ökonomisch-kulturellen Bedingungen <strong>im</strong> Nachkriegsdeutsch-land - vor<br />

allem eins: Der <strong>Vater</strong> als Vorsteher der Familie, Letztentscheider, Befehlserteiler <strong>–</strong> autoritär,<br />

mächtig, distanziert, kühl und disziplinierend den Kindern gegenüber; Versorger, Ernährer der<br />

Seinen und bis auf kleine, menschliche Gesten des Geschirrabspülens und der Schulung der Kinder<br />

in der Kunst des Fahrradfahrens abstinent bei der Haushaltsführung und Kinderbetreuung.<br />

Unbestritten hatte dieses <strong>Vater</strong>bild Entsprechungen <strong>im</strong> gelebten Alltag. Zweifellos gab es Männer<br />

und Frauen, deren Verhalten von diesen „traditionellen“ Rollen-festlegungen best<strong>im</strong>mt war, weil<br />

sie von ihnen überzeugt waren oder mit ihnen haderten. Genau so gut gab es Väter, die ein inniges,<br />

herzliches und nicht-patriarchales Verhältnis zu ihren Kindern hatten - und jede Menge<br />

Mischformen und Nuancierungen zwischen unduldsa-mem Diktieren und liebevoller Fürsorge.<br />

Die realen Väter in den 5oer Jahren waren so unter-schiedlich wie <strong>heute</strong>.<br />

Heute gibt es mehrere <strong>Vater</strong>bilder, weil sich Ökonomie, Kultur und vor allem das Geschlechterverhältnis<br />

verändert haben. Aber sie sind - jedes für sich - nicht weniger starr und ideologiegesättigt.<br />

Da ist - in der Abteilung „Gutmensch“ - der „partnerschaftliche <strong>Vater</strong>“: Er ist Vorbild,<br />

Förderer und Interaktionspartner <strong>sein</strong>er Kinder. Er beteiligt sich zunehmend auch an der<br />

Kinderpflege in den ersten Lebensjahren und teilt sich mit der Mutter der Kinder die Sorge um<br />

und für sie. Zahllose mehr oder weniger wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Existenz<br />

dieses <strong>Vater</strong>typus. Mindestens genau so viele Untersuchungen behaupten dem gegenüber, dass<br />

Dr. Jekyll eigentlich Mr. Hyde ist: Der <strong>Vater</strong> sei ein „Drei-Minuten-“, bzw. „Sonntags-Vati“, also<br />

eigentlich „abwesend“, hätte „an Bedeutung verloren“, sei „randstän-dig“, „schwach“, womöglich<br />

„strategisch überflüssig“; oder gewalttätig, missbrauchend, be-stenfalls traditionell-patriarchal wie<br />

in den 50er Jahren - also, wenn nicht gering, dann negativ beteiligt an der kindlichen Sozialisation.<br />

Die Fronten in der <strong>Vater</strong>bilderzeichnung zeigen deutliche Spuren des Geschlechterkampfes: Einige<br />

Feministinnen zielen in ihrer <strong>Vater</strong>kritik auf das Patriarchat und pfeifen auf die Unterscheidung<br />

von <strong>Vater</strong>-Kind-Beziehungswirklichkeiten und der Geschichte der Frauenunterdrückung.<br />

Die öffentlichen Verteidiger der so Angegangenen machen aus dem Monstervater <strong>im</strong><br />

Gegenzug einen Heldenvater. Sie nehmen die Diffamierungen des <strong>Vater</strong>s zum Anlass, Gegenangriffe<br />

auf die Mutteridealisierung zu starten; sie reden die Überforderungen der moder-nen<br />

Männer durch gestiegene Ansprüche groß und suchen die strukturelle Benachteiligung der Frauen<br />

<strong>im</strong> Erwerbsleben durch Hinweise darauf zu vernebeln, dass viele Frauen eine tra-ditionelle Rollenteilung<br />

zumindest während der Kleinkindphase selbst wünschen.<br />

Zwischen den Fronten stehen die Väter. Einige erreicht der Schaukampf um den idealen <strong>Vater</strong> gar<br />

nicht, was noch nichts darüber aussagt, ob sie dadurch ihre Sache besser oder schlechter machen.<br />

Einige strampeln sich ab, machen ihr Ding pragmatisch so gut es eben geht. Manch-mal stellen sie<br />

sich reflektierend den Forderungen nach Partnerschaftlichkeit in der Kinderfür-sorge. Häufig ge-


- 3 -<br />

lingt es dem um „gerechte“ Aufgabenverteilung ringenden Paar <strong>im</strong> Eifer der Gefechte nicht, das<br />

für ihr konkretes Familiensystem Mögliche vom unlebbaren Idealentwurf zu unterscheiden. Wieder<br />

andere Männer weisen die Zumutungen gekränkt zurück; nicht sel-ten erstirbt die Kommunikation<br />

<strong>im</strong> Paar oder gegenseitige Vorwürfe - male stille, mal laute <strong>–</strong> bilden die ständige Kulisse<br />

des Zusammenlebens.<br />

Schließlich gibt es den 150-prozentigen Arbeitsmann mit oder ohne innerer Zufriedenheit über<br />

Quantität und Qualität der eigenen Familienzeit, mit oder ohne innerer Verbindung zu den eigenen<br />

Kindern, mit oder ohne Akzeptanz <strong>sein</strong>es voluminösen Berufsschaffens durch Frau und Kinder.<br />

Und dann sind da noch Walter, Christian und die anderen mit ihren ganz speziellen Verarbeitungsvarianten<br />

des Bilderstreits um DEN <strong>Vater</strong> der Gegenwart, den es <strong>im</strong> wirklichen Leben nicht<br />

gibt.<br />

Haltepunkte<br />

Wie ein <strong>Vater</strong> für <strong>sein</strong> Kind ist, das best<strong>im</strong>mt sich durch vielerlei Faktoren, die in Wechselwirkung<br />

zueinander stehen und sich obendrein dynamisch entwickeln. Einige davon sind:<br />

‣ Wollte ich ein Kind? Warum wollte ich ein Kind?<br />

‣ Was habe ich für Kinder und wie viele?<br />

‣ Mit welcher Frau - bzw. mit welchen Frauen - leben ich und meine Kinder wie zusammen?<br />

Was für ein Mann bin ich?<br />

‣ Wie viel Zeit und Geld stehen mir und meiner Familie zur Verfügung?<br />

‣ Welche eigene (Kindheits-)Geschichte wirkt wie bei mir nach?<br />

‣ Welche Mentalitäten treffen in meiner Familienkonstellation aufeinander?<br />

‣ Was an Unvorhergesehenem ereignet(e) sich mit welchen Effekten?<br />

Die Wahlmöglichkeiten, das eigene <strong>Vater</strong><strong>sein</strong> zu gestalten, sind <strong>heute</strong> größer denn je zuvor. Das<br />

macht die Sache nicht leichter, aber <strong>im</strong> ganzen vielfältiger: <strong>Vater</strong> werden können Männer am Ende<br />

dieses Jahrhunderts „selbstverständlicher“ ab 40, als Schwuler, mehrmals mit ver-schiedenen<br />

Frauen - und das alles mehr oder weniger gesellschaftlich akzeptiert. Die <strong>heute</strong> möglichen und<br />

gleichzeitig notwendigen Basteleien am eigenen <strong>Vater</strong><strong>sein</strong> bedeuten mehr Eigenverantwortung -<br />

das eine leitende <strong>Vater</strong>modell ist verschwunden. Dem bunten Strauß der Lebensweisen entsprechen<br />

eben so viele Glaubenserklärungen, wie <strong>Vater</strong><strong>sein</strong> denn angeb-lich am besten gelungen sei.<br />

Auch dazu müssen Väter eine eigene Haltung einnehmen. Je-doch: So sehr sie sich auch um Bewusstheit<br />

bei der Gestaltung ihrer <strong>Vater</strong>rolle bemühen, so ungreifbar bleibt das Unbewusste, das<br />

sich jeder noch so klugen und bedächtigen Planung entzieht. Zu guter letzt bleibt bei aller Wahlfreiheit<br />

die Entwicklung männlichen Seins durch die gesetzten Bedingungen der ökonomischen<br />

Lage best<strong>im</strong>mt, die viele Männer sowohl ar-beitslos macht als auch gegenüber Frauen bevorteilt.<br />

Welche Herausforderungen stellen sich für die Rolle „<strong>Vater</strong> 2000“?<br />

Das Kind muss nicht geplant, sollte aber gewollt <strong>sein</strong>. Ein bisschen Vorahnung von den Mü-hen,<br />

die es neben den Freuden der Kinderbegleitung gibt, wäre zudem hilfreich. Wenn ein Mann sich -<br />

mit welchen bewussten und unbewussten Motiven auch <strong>im</strong>mer - für eine <strong>Vater</strong>-schaft entscheidet,<br />

sollte er sich zutrauen, <strong>sein</strong> Kind auch alleine „groß zu kriegen“, wenn die Umstände das verlangten.<br />

Frauen sind sich meist dieser potentiellen Notwendigkeit sehr be-wusst, Männer noch zu wenig.<br />

Wie ihre konkreten Familien- und Arbeitsbedingungen auch <strong>sein</strong> mögen, müssen sie sich der<br />

Verantwortung ihren Kindern gegenüber stellen. Ständiges Gejammere über die Schwere der Bürde<br />

oder Selbstheiligsprechung ob der tollen Leistungen als <strong>Vater</strong>figur weisen nur darauf hin, dass<br />

die Möglichkeiten und Grenzen bei der individu-ellen Gestaltung von <strong>Vater</strong>schaft nicht eigenverantwortlich<br />

angenommen werden.<br />

Dieses ethische Min<strong>im</strong>alprogramm ist nicht blitzblank neu, hilft aber auch und gerade <strong>heute</strong>, die<br />

Voraussetzungen für ein gelingendes Zusammenleben von <strong>Vater</strong> und Kind günstig zu ge-stalten.


- 4 -<br />

Es hilft einem Kind bei <strong>sein</strong>er gedeihlichen Entwicklung, wenn es liebevolle körper-liche Nähe zu<br />

<strong>sein</strong>em <strong>Vater</strong> erfährt, wenn es ihn in <strong>sein</strong>em Alltag als Begleiter erlebt und sich von ihm als eigensinniges<br />

Wesen akzeptiert fühlt statt als bloße Gestaltungsfolie für <strong>sein</strong>e Zielvorstellungen.<br />

Der Rest ergibt sich in der Beziehung, meist pragmatisch und situativ. Konzepte und Ideallinien<br />

für „gutes <strong>Vater</strong><strong>sein</strong>“ helfen da nicht mehr viel - sie stehen oft nur <strong>im</strong> Weg und machen das Handeln<br />

hölzern und unst<strong>im</strong>mig.<br />

Dass der Hausmann der ideale neue <strong>Vater</strong> sei, ist eine schräge moderne Absurdität. Berufstätigkeit<br />

schmälert die Qualität verantwortlicher Elternschaft und die Möglichkeit intensiver Verbundenheit<br />

zu den Kindern per se überhaupt nicht - das gilt für Männer und für Frauen. Wenn<br />

berufstätige Frauen sich zurecht gegen Zweifel an der Vereinbarkeit von Berufstätig-keit und mütterlichem<br />

Begleitungsopt<strong>im</strong>um wehren, dann müssen Männer sich ihr berufliches Tun ebenfalls<br />

nicht als Vernachlässigung ihrer <strong>Vater</strong>pflichten vorhalten lassen. Gleichwohl bedeutet häusliches<br />

Engagement nicht Verlust an männlicher Identität, obwohl das Haushalts-management in männlicher<br />

Regie <strong>im</strong> öffentlichen Raum noch gerne als kastrationsgleiche Verweiblichung lächerlich<br />

gemacht wird.<br />

Kinder kosten Geld. Gerade dann, wenn die <strong>Vater</strong>-Kind-Beziehung beginnt, muss mancher <strong>Vater</strong><br />

unbedingt oder noch mehr als bisher arbeiten, um die materielle Existenz der Familie zu sichern,<br />

da die Frau, wenn sie denn bisher gearbeitet hat, in aller Regel viel weniger und meist zu wenig<br />

verdient, um der Familie das Auskommen zu gewährleisten. Ob das gefällt oder nicht - es ist Realität<br />

und setzt der idealen Arbeitsteilung Grenzen. Deshalb ist es nicht eine Frage der Frauenfreundlichkeit<br />

oder -feindlichkeit der Männer-Väter und schon gar nicht ein Prüfstein für die<br />

Ernsthaftigkeit ihres Mit-den-Kindern-leben-Wollens, wenn entschieden wird oder längst entschieden<br />

ist, wer denn nun zuhause bei den Kindern bleibt und wer arbei-ten geht. Dass das so ist,<br />

löst nicht das Konfliktpotential auf, das zwischen Mann und Frau gärt, weil der proklamierte Anspruch<br />

auf Partnerschaftlichkeit an den patriarchalen Strukturen der Berufswelt zerschellt. Wenn<br />

Partnerschaftlichkeit in der Kinderversorgung von Männern strategisch und individuell als Zugewinn<br />

an Lebensqualität empfunden wird, dann gilt für sie, was die Väterforscherin Adrienne Burgess<br />

folgert:<br />

„Wenn die Männer ihren Kindern nahekommen möchten, müssen sie diese Barrieren ernst nehmen<br />

und sie genauso bewußt abzubauen versuchen wie diejenigen, die man gegen die Beteiligung<br />

der Frauen am Weltgeschehen außerhalb der Familie aufgebaut hat.“<br />

Wie bei jedem Anspruch auf nur sehr langfristig zu realisierende politische Veränderungen hilft<br />

so eine richtige und wichtige moralische Mahnung jedoch nicht viel für das utopieferne Hier und<br />

Jetzt. Wenn Papa arbeiten gehen muss und - da das für die ganze Familie notwendig ist - auch<br />

will, dann hilft es der Frauenbefreiung wenig, wenn er das wenigstens mit schlech-tem Gewissen<br />

tun soll und sich allabendlich <strong>sein</strong>e Portion subtiler Vorwürfe dafür abholen muss, dass Männer<br />

und Frauen leider noch nicht gleichberechtigt sind. Dass er bis dahin sei-nen Kindern kein guter<br />

<strong>Vater</strong> <strong>sein</strong> kann, weil er soviel arbeitet, ist nichts als eine Geschlech-terkampflüge.<br />

Schlechte <strong>Vater</strong>-Klischees<br />

1999 sind die „partnerschaftlichen“ Väter nicht die Ausnahme. Auch bei allergrößter Skepsis gegenüber<br />

Untersuchungsergebnissen ist nicht von der Hand zu weisen, dass vor allem junge Väter<br />

und Väter aus der Mittelschicht <strong>heute</strong> dabei sind, die sogenannte „partnerschaftliche Orientierung“<br />

normativ und faktisch zu verwirklichen und mehr denn je auch „mütterliche“ Betreuungsfunktionen<br />

zu übernehmen. Lässt man sich von den reißerischen und deshalb so gerne mit großem<br />

Mediengerassel präsentierten Szenariobeschreibungen des schlagenden und missbrauchenden<br />

<strong>Vater</strong>s nicht von der Durchsicht aller anderen Bestandsaufnahmen des real-existierenden <strong>Vater</strong>verhaltens<br />

abhalten, dann kann man auch ganz andere Befunde wahr-nehmen.<br />

Die Annahme, dass Männer eher strafen als Mütter, ist ohne empirischen Beleg. Ungefähr die<br />

Hälfte aller Väter teilen sich die Aufgaben Wickeln, Baden und Füttern mit den Müttern; diese


- 5 -<br />

Zahl steigt. Die These, dass auch die jungen Väter nach der Geburt eines Kindes weni-ger Zeit für<br />

die Hausarbeit aufbringen, ist falsch. Insgesamt gewinnen die Väter <strong>im</strong> Leben ihrer Kinder tendenziell<br />

an Bedeutung. Die Behauptung, dass in der ersten Lebensphase die Mutter angeblich<br />

natürlicherweise die wichtigere Bezugsperson für das Kind ist, ist nicht nur als Dogma falsch:<br />

Dass bis auf das Stillen Männer und Frauen ihr kleines Kind „gleich gut“ versorgen können, dass<br />

der <strong>Vater</strong> für das Kind weder entbehrlich noch bedeutungslos ist und die <strong>Vater</strong>-Kind-Bindung in<br />

ihrem Wert der Mutter-Kind-Bindung in nichts nachsteht, zeigen zunehmend mehr Männer <strong>im</strong><br />

wirklichen Leben. Die diesbezügliche Idealisierung der Mütter ist dabei keineswegs unbedingt<br />

von falsch verstandener Frauenfreundlichkeit motiviert, son-dern kann auch als wohlüberlegte<br />

Taktik interpretiert werden, die Frauen weiterhin vor allem mit der Kindersorge zu beschäftigen.<br />

All diese Tendenzen und Feststellungen sollen nicht dazu herhalten, zu leugnen, dass es schlagende<br />

Väter gibt, sexuelle Gewalt von Erwachsenen gegenüber Kindern, gefühlskalte Eltern, die<br />

autoritär agieren, und Männer, die am Gedeihen ihrer Kinder uninteressiert sind sowie eine viel zu<br />

große Zahl an Weigerungen von Vätern, ihren Unterhaltszahlungsverpflichtungen nachzukommen.<br />

Es wäre ein großer gesellschaftlicher Fortschritt, wenn man das nicht mehr beteuern müsste,<br />

um nicht als Verbrecheranwalt des aus Klischees zusammengez<strong>im</strong>merten nur-schlechten <strong>Vater</strong>s<br />

diskreditiert zu werden.<br />

Herzenssachen<br />

Kinder brauchen dauerhafte Zuwendung, Körperkontakt und liebevolle Pflege, Ermöglichung von<br />

Erfahrungen, Schutz und Geborgenheit, Verständnis, Verlässlichkeit und Kontinuität. Sie brauchen<br />

jemanden, der oder die sich um ihre Gesundheit, ihr Essen, ihre Behe<strong>im</strong>atung kümmert und<br />

ihnen hilft, in der Welt klar zu kommen. Sie brauchen Zumutungen, Vertrauen, Kontakte zu mehr<br />

als einem Menschen und Beistand, wenn es mal schwierig wird. Wenn Va-ter und Mutter sich<br />

diesen ihren Aufgaben stellen, haben sie ordentlich zu tun. Sie sollten be-denken, dass die Energien,<br />

die <strong>im</strong> Geschlechterkampf und <strong>Vater</strong>bilderstreit gebunden werden, der ganz praktischen<br />

Gestaltung des Zusammenlebens mit Kindern nicht zur Verfügung ste-hen. So weit, so schlicht,<br />

so rein <strong>im</strong> Anspruch. Was aber, wenn das wirkliche Leben die sau-ber formulierten Ansprüche<br />

durcheinanderwirbelt?<br />

Meine Tochter wird 15, mein Sohn hatte gerade <strong>sein</strong>en ersten Geburtstag. Zu Beginn diesen Jahres<br />

hatte Carlo Bronchitis, hohes Fieber, hat ständig das Antibiotikum ausgebrochen und wenig<br />

gegessen; wenn, dann nachts. Jelka hatte eine Blindarmoperation, musste deshalb <strong>im</strong> Krankenhaus<br />

und anschließend zuhause versorgt werden. Meine Frau hatte heftigen Stress bei der Arbeit und<br />

musste viel Üben für bevorstehende Konzerte. Ich hatte dringend überfällige Terminarbeiten fertig<br />

zu stellen. Dann gab die Verteilerkappe meines Wagens auf. Alles gleichzeitig. Es war wie in<br />

einer dieser verkitschten Problemkomödien mit Uschi Glas als Suppermutti in lustigen Nöten. Ich<br />

war wenig belustigt: Das eine Kind quengelt, das andere qualmt die Bude voll. Aggressiv steht die<br />

Frage <strong>im</strong> Raum, warum keiner eingekauft hat. Ich habe drei Tage nichts geschrieben. Die Autoreparatur<br />

kostet uneingeplante 500.- DM. Elisa-beth, meine Frau, merkt be<strong>im</strong> Von-der-Arbeit-zum-<br />

Kochen-zur-Hausaufgabenkontrolle-hetzen direkt an, dass seit Monaten noch nicht mal ein bisschen<br />

Saunaentspannung für sie drin gewesen wäre. Ich überlege, ob ich aus diesem Nebenbei-<br />

Kommentar Grundsatzkritik heraus-fühlen und mit einem spitzen Hinweis auf meinen eigenen<br />

Tagesablauf Paroli bieten sollte, entscheide mich aber ärgerlich für Deeskalation und Runterschlucken.<br />

Währenddessen finde ich, auf dem Sprung zu mindestens zwei Stunden<br />

Kinderarztwarteraum, die Kindermütze nicht. Der bestellte Taxifahrer wartet nun schon 10<br />

Minuten und klingelt deshalb zum zweiten Mal.<br />

Zugegeben - so ist es selten. Und: Es gibt größere Probleme. Aber <strong>im</strong> <strong>Vater</strong>-Alltag helfen perfekte<br />

Konzepte und Reflexionskompetenz oft keinen Meter weit. Da muss man machen und macht<br />

dabei Fehler. Aber auch in dieser Erkenntnis wohnt nicht die innere Gelassenheit, zu der die bunten<br />

Elternratgeber auffordern. Stattdessen werden die Tagesaufgaben von Hinter-grundsorgen<br />

unterlegt: Lässt die lückenlose Verplanung der Tageszeit nicht irgendwann eine Explosion des


- 6 -<br />

Dampfkessels erwarten? Mute ich meinen Kindern zuviel Eigenverantwort-lichkeit und damit<br />

zuviel Risiko zu oder behindere ich sie mit meinem Schutzbedürfnis in ihrer Entwicklung zur<br />

Selbstständigkeit? Kriegen sie den Drogenumgang einigermaßen hin und die Schule? Sind sie zu<br />

viel woanders als zuhause? Merke ich rechtzeitig, wenn es nötig wird, mir mal etwas mehr Zeit zu<br />

nehmen - für mich, für sie, für meine Frau? Ist <strong>im</strong> ganzen Aufgabenwust der Kinderversorgung<br />

und des Haushaltsmanagements noch die Paarbeziehung zu sehen oder ist sie das jetzt so? Was<br />

bin ich eigentlich für ein Vorbild für meine Kinder?<br />

Nach dem, was ich so höre von meinen sehr verschiedenen Väter-Freunden und -Bekannten, ist<br />

niemand unbehelligt von zeitweiser Überlastung, Au<strong>sein</strong>andersetzungen mit Frauen um die allgemeine<br />

und konkrete Gestaltung des Zusammenlebens, von Sorgen um das Gelingen der väterlichen<br />

Begleitung, aggressiven Schüben, von zeitweiligen Fluchtphantasien nach innen oder außen,<br />

von Zweifeln, ob die ganze Mühe eigentlich lohnt. Alle aber stehen - mehr oder weniger gut gelungen<br />

- ihren Mann und zu ihren Kindern, ganz gleich, ob sie mit ihnen zu-sammen oder von<br />

ihnen getrennt leben. So einseitig kann Privatempirie <strong>sein</strong>.<br />

„Is’ doch ganz normal,“ sagt mein Freund Victor, „halbwegs hinkriegen ist schon ganz gut. Die<br />

150%igen sind doch die schl<strong>im</strong>msten. Die fühlen sich nicht mehr. Das wichtige läuft doch gar<br />

nicht über den Kopf, sondern mit Intuition. Man kann nicht ständig diskutieren. Immer den Ball<br />

schön flach halten, Respekt zeigen voreinander, ‘n bisschen bemühen, nicht einschlafen. Dann<br />

läuft’s schon einigermaßen. ‘Ne Garantie gibt’s eh’ für nix.“<br />

Victor hat meinen Artikel gelesen, Elisabeth auch. Elisabeth findet das alles schon ganz rich-tig.<br />

Ob ich mich trauen würde, auch über die Kraft der Liebe zu schreiben - als Garant einer alles in<br />

allem gelungenen Elternschaft, egal, ob es sich um Mutter oder <strong>Vater</strong> handelt. Oder ob mir das zu<br />

profan-gefühlig wäre für so einen oberschlauen Artikel? „Gerade <strong>heute</strong> darf man es Kai Pflaume<br />

und <strong>sein</strong>er Klebesendung nicht gestatten, den schönen Satz „Nur die Liebe zählt“ zu pervertieren.“<br />

- sagt Victor.<br />

Da müht man sich ab mit der Analyse der Spätmoderne, differenzierten Problemlagen des <strong>Vater</strong>s<br />

2000, bedenkt Ökonomie und würdigt die Geschichte <strong>im</strong> Kampf der Geschlechter - und dann so<br />

was.

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