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Was ist ein Dispositiv? - Institut für Theorie ith

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Roberto Nigro<br />

<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Dispositiv</strong>?<br />

Einige weitere Anmerkungen<br />

Das Wort <strong>Dispositiv</strong> <strong>ist</strong> k<strong>ein</strong> Neologismus. Das Wörterbuch Le Petit Robert widmet dem<br />

Begriff <strong>ein</strong>en Aufsatz, in dem sich der Begriff auf das Jahr 1314 zurückführen lässt. Der<br />

Begriff tritt in drei Bereichen auf: militärischen, jur<strong>ist</strong>ischen, technischen. S<strong>ein</strong>e Entstehung<br />

(Ursprung) <strong>ist</strong> nicht ohne Interesse. Wenn wir uns dem Werk Foucaults zuwenden, in dem<br />

der Begriff <strong>ein</strong>e grundlegende Funktion spielt, bemerken wir, dass s<strong>ein</strong> Gebrauch nicht von<br />

Foucaults Interesse <strong>für</strong> die Armee, die Disziplin des Körpers und das jur<strong>ist</strong>ische System<br />

getrennt werden kann.<br />

In s<strong>ein</strong>em kurzen Aufsatz über den Begriff <strong>Dispositiv</strong> versucht Giorgio Agamben zu<br />

erklären, wie Foucault ihn anwendet. Agamben gibt uns wichtige<br />

philologische/etymologische Hinweise und stellt <strong>ein</strong>en interessanten theoretischen<br />

Zusammenhang zwischen dem Begriff von <strong>Dispositiv</strong> und dem von Positivität her, der in den<br />

frühen Schriften von Foucault entwickelt wurde. Während diese Anmerkung und ihre<br />

Auswirkungen im Folgenden diskutiert werden sollen, bemerken wir, dass Agamben (wie das<br />

französische Wörterbuch) den Begriff auf s<strong>ein</strong>e lat<strong>ein</strong>ische Herkunft zurückführt. <strong>Dispositiv</strong><br />

stammt von ponere, disponere, und Dispositio. Wenn <strong>ein</strong>erseits das Wörterbuch auf<br />

korrelierende Begriffe wie disposition, disposer, disposant, disposé hinwe<strong>ist</strong>, zeigt Agamben<br />

andererseits auch, wie der Begriff <strong>Dispositiv</strong> auf die griechische oikonomia, (regimen<br />

animarum) bezogen werden kann. So gibt er uns <strong>ein</strong>e genealogische-theologische<br />

Interpretation der Ökonomie und der Regierung, die auf der Idee des <strong>Dispositiv</strong>s, des<br />

Arrangements, des Gefüges basiert. Der lat<strong>ein</strong>ische Begriff dispositio stammt - so Agamben -<br />

aus dem theologischen Bereich der oikonomia. Foucaults Begriff von <strong>Dispositiv</strong> enthalte –<br />

s<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach - <strong>ein</strong> theologisches Erbe. Agambens Auslegung <strong>ist</strong> tief in Foucaults<br />

Untersuchung der pastoralen Macht verwurzelt. Die griechische und lat<strong>ein</strong>ische Herkunft des<br />

Begriffs <strong>Dispositiv</strong> enthält <strong>ein</strong>en ontologischen-materialen Sinn: die griechische und<br />

lat<strong>ein</strong>ische Bestimmungen zeigen <strong>ein</strong> Gefüge an, <strong>ein</strong> Arrangement, <strong>ein</strong>e Ordnung. Gemäss<br />

Agamben enthält das <strong>Dispositiv</strong> auch die Kraft, <strong>ein</strong>e Entscheidung zu treffen. Agamben<br />

behauptet, dass es <strong>ein</strong>e Beziehung zwischen <strong>Dispositiv</strong> und Ausnahmezustand gibt.<br />

Agambens Argumentation <strong>ist</strong> umso mehr verführerisch, als sie zeigt, wie sich die Frage<br />

nach der theologischen Herkunft auf die Frage nach der Technik beziehen lässt. Das deutsche<br />

Verb stellen stammt vom lat<strong>ein</strong>ischen dis-ponere, dis-positio. Hier wird die Konvergenz mit<br />

Heidegger klar, wenn wir an s<strong>ein</strong>en Gebrauch des Begriffs von Gestell denken. Um das<br />

1


Zeitalter der Technik zu bezeichnen, benutzt Heidegger den Begriff von Gestell (der<br />

Ähnlichkeiten mit der Idee des <strong>Dispositiv</strong>s enthält) und bezieht sich auf das S<strong>ein</strong> als Geviert.<br />

Außer den interessanten Bemerkungen über die politische- theologische Herkunft des<br />

Begriffes, gibt Agamben uns k<strong>ein</strong> weiteres Element, um die Besonderheit des Begriffes von<br />

<strong>Dispositiv</strong> zu verstehen. Ausgehend von s<strong>ein</strong>en Erläuterungen sch<strong>ein</strong>t es aber klar, dass sich<br />

alle die Fäden des Diskurses an Foucault richten.<br />

Eingangs haben wir geschrieben, dass das Wort <strong>Dispositiv</strong> k<strong>ein</strong> Neologismus <strong>ist</strong> und<br />

gezeigt, dass s<strong>ein</strong> Gebrauch mindestens auf das Mittelalter zurückgeführt werden kann. Wenn<br />

wir nun hinzufügen, dass der Begriff heutzutage fast überall und in jedem Bereich verwendet<br />

wird und damit blass geworden <strong>ist</strong>, taucht die Frage auf, worin denn s<strong>ein</strong>e Besonderheit und<br />

Spezifizität bestehen.<br />

Um auf diese Frage zu antworten, müssen wir uns der Entstehung des Begriffs <strong>Dispositiv</strong><br />

in der sozialen und intellektuellen Geschichte der 1970er Jahre zuwenden. In verschiedenen<br />

philosophischen Werken der 70er Jahre entsteht der Begriff von <strong>Dispositiv</strong> als zentrale, neue<br />

Konfiguration des Denkens. Im Folgenden möchte ich mich nur auf die Werke von Foucault,<br />

Deleuze, und Guattari beziehen, weil sie den produktivsten Boden <strong>für</strong> unsere Frage<br />

entwickeln. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass auch Jean-François Lyotard 1973 mit<br />

Des dispositifs pulsionnels <strong>ein</strong> wichtiges Buch zum Thema publiziert hat, in dem gezeigt<br />

wird, inwiefern der Begriff <strong>ein</strong>e grundlegende Rolle in der libidinösen Ökonomie spielt.<br />

Zudem steht der Begriff <strong>Dispositiv</strong> schon in den 60er Jahren im Mittelpunkt der Analyse von<br />

Althusser, als dieser s<strong>ein</strong>e struktural<strong>ist</strong>ische Interpretation von Marx entwickelt.<br />

Da Althussers Denken dem Strukturalismus verhaftet bleibt, will ich nicht weiter darauf<br />

<strong>ein</strong>gehen, sondern mich auf Foucault, Deleuze und Guattari konzentrieren, da ihr<br />

Poststrukturalismus die produktivsten Perspektiven <strong>für</strong> unser Thema eröffnet. Damit wird<br />

auch klar, warum wir von <strong>Dispositiv</strong>en und nicht von Apparaten, Ordnungen, Strukturen etc.<br />

sprechen. Die letzten drei Begriffen enthalten zudem noch <strong>ein</strong>e weitere Gefahr: Sie können<br />

die metaphysische Struktur des Denkens (die aus der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt<br />

besteht) nur umkehren, ohne sie zu zerstören. Anstatt die Geschichte oder die sozialen<br />

Prozesse vom herrschenden Subjekt ausgehend zu denken, müsste man sie als „Prozesse ohne<br />

Subjekt“ denken. Wir suchen jedoch nach <strong>ein</strong>er dritten Position.<br />

In welchem Sinn können wir sagen, dass Foucaults, Deleuzes und Guattaris Werke die<br />

innovativsten und kreativsten Beiträge zu unserem Thema sind? Von Anti-Ödipus (1972) über<br />

Tausend Plateaus (1980) bis <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> Philosophie (1991) bauen Deleuze und Guattari <strong>ein</strong>e<br />

2


praktische Philosophie auf. Diese Werke stellen als Werke der <strong>Theorie</strong> die Frage nach <strong>ein</strong>er<br />

<strong>Theorie</strong> der Praxis. Es handelt sich um <strong>ein</strong>e praktische Philosophie, die auf drei Probleme<br />

oder auf drei ep<strong>ist</strong>emologische Konfigurationen des Wissens antwortet: Wie kann man nach<br />

der Krise des klassischen Marxismus <strong>ein</strong>e politische Philosophie wiederaufbauen, in deren<br />

Mittelpunkt die Analyse des Kapitalismus steht? Wie kann man nach der Krise aller<br />

theoretischen Humanismen das Thema der Konstitution des Subjektes entwerfen, ohne im<br />

H<strong>ist</strong>orizismus gefangen zu bleiben? Wie kommt man jenseits <strong>ein</strong>er strukturalen,<br />

archäologischen, sagittalen Analyse, jenseits der Idee <strong>ein</strong>es „Prozesses ohne Subjekt“, ohne in<br />

die Falle der dualen Beziehung zwischen Subjektivismus und Objektivismus zu laufen?<br />

Die Antwort auf diese Fragen besteht in <strong>ein</strong>er Arbeit, die die Genealogie als Methode und<br />

die sozialen Praktiken als Bezugspunkt der Analyse annimmt: Auf dieser Ebene verwirklicht<br />

sich das Treffen zwischen Foucault, Deleuze und Guattari, obwohl in ihren jeweiligen<br />

Forschungen verschiedene Bereiche untersucht werden. Und hier stellt sich die Frage nach<br />

dem <strong>Dispositiv</strong> als grundlegende Veränderung der bisherigen Konfiguration des Wissens.<br />

Wenn wir den Begriff <strong>Dispositiv</strong> benutzen, befinden wir uns nicht mehr nur auf <strong>ein</strong>er<br />

ep<strong>ist</strong>emologischen Ebene (d.h. auf der Ebene <strong>ein</strong>er internen Analyse der Diskurse und ihrer<br />

Bewegungsgesetze), sondern wir treten in die politische Dimension <strong>ein</strong>. Die Analyse der<br />

Diskurse wird zur Analyse der diskursiven und nicht-diskursiven Formationen. Eine solche<br />

Analyse kann nicht mehr ohne Hinweise auf Machtbeziehungen, d.h. auf soziale Praktiken<br />

entwickelt werden. (Dieser Durchgang unterscheidet den Begriff vom diskursiven Regime<br />

unzweifelhaft von dem des „Paradigma“, wie er von Thomas Kuhn skizziert wurde, und<br />

markiert <strong>ein</strong>e ep<strong>ist</strong>emologische Grenze.) So greift das Thema des <strong>Dispositiv</strong>s drei<br />

ep<strong>ist</strong>emologische Ebenen an. Es funktioniert als <strong>ein</strong> philosophischer Operator, welcher<br />

Veränderungen ermöglicht. <strong>Was</strong> betreffen diese Veränderungen? Sie beziehen sich auf drei<br />

klassische Bereiche: die Frage (1) nach der Macht, die (2) nach dem Subjekt, die (3) nach der<br />

Wahrheit.<br />

1. Hier geht es um den Verzicht auf die klassische philosophische Frage: „ <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> die<br />

Macht“? Den Verzicht <strong>ein</strong>er Konzeption der Macht als Souveränität, wie sie die<br />

klassische moderne Philosophie ausgehend von Hobbes interpretiert hat. Dank des<br />

<strong>Dispositiv</strong>s kann man das Funktionieren der Macht als Strategie und als<br />

Kraftbeziehung erklären. Nun lautet die Frage, wie die Macht funktioniert oder<br />

ausgeübt wird. Nach Foucault erklärt das <strong>Dispositiv</strong> Wissen/Macht (und später der<br />

Begriff von Regierung) besser, wie die Macht operiert.<br />

3


2. In Bezug auf die Frage nach der Wahrheit ermöglicht das Thema des <strong>Dispositiv</strong>s zu<br />

denken, wie Wahrheiten produziert werden. Die klassische Frage „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> Wahrheit?“<br />

wird durch die Frage der Produktion der Wahrheit (Veridiktion) ersetzt. Es geht nicht<br />

mehr um die Frage nach dem Wahren der Wahrheit (vom Wesen des Wahrheit),<br />

sondern die Frage ihrer Konstitution und der politischen Effekte, die das Wahr-sagen<br />

instituiert (Nietzscheanische Frage). Damit wird <strong>ein</strong>e neue Baustelle geöffnet was die<br />

Produktion von Ordnungsbereichen, von Wissen, von Kenntnissen betrifft. Hier taucht<br />

die von Agamben angedeutete Frage bezüglich des Zusammenhangs von <strong>Dispositiv</strong><br />

und Positivität im Werk Foucaults auf. In <strong>ein</strong>em kurzen Abschnitt über das <strong>Dispositiv</strong><br />

hat Agamben das Thema des <strong>Dispositiv</strong>s mit dem Thema der Positivität (wie es schon<br />

bei Hegel entsteht) verbunden. Positivität <strong>ist</strong> die Manifestation, die Entstehung <strong>ein</strong>es<br />

Bereichs, das Auftauchen <strong>ein</strong>er Frage (was Foucault Problematisierung nennt) etc.<br />

3. Durch die Frage nach der Manifestation oder nach dem Auftauchen erreichen wir <strong>ein</strong>e<br />

weitere Dimension: es gibt k<strong>ein</strong>e Manifestation, k<strong>ein</strong>e Ersch<strong>ein</strong>ung der Wahrheit ohne<br />

Subjektivierungsprozesse. Die Wahrheit tritt durch <strong>ein</strong>e subjektive Falte auf; sie tritt<br />

durch <strong>ein</strong> Subjekt auf, das gleichzeitig in Prozessen von Veridiktion gebildet wird.<br />

Das Denken des <strong>Dispositiv</strong>s erlaubt den Übergang von <strong>ein</strong>em Denken des gründenden<br />

Subjektes zu <strong>ein</strong>er <strong>Theorie</strong> der Subjektivierungsprozesse.<br />

Diese Gliederung verwe<strong>ist</strong> auf die Bedeutung des Werkes von Foucault. Er benutzt den<br />

Begriff <strong>Dispositiv</strong>, um <strong>ein</strong> Netz zwischen verschiedenen Elementen, zwischen Kräften,<br />

Praktiken, Diskursen, Macht und Wissen zu bezeichnen. In diesem Sinn spielt der Begriff<br />

<strong>Dispositiv</strong> <strong>ein</strong>e strategische und technische Rolle.<br />

In s<strong>ein</strong>en Werken In Verteidigung der Gesellschaft, Sicherheit, Territorium Bevölkerung<br />

(wo er die Bedeutung <strong>ein</strong>es <strong>Dispositiv</strong>s von Sicherheit erklärt), Die Geburt der Biopolitik, Die<br />

Regierung des Selbst und der Anderen, Die Hermeneutik des Subjektes und die ganze<br />

Geschichte der Sexualität (in s<strong>ein</strong>en Texten also von 1976 bis 1984) bezieht sich Foucault<br />

mehr und mehr auf den Begriff <strong>Dispositiv</strong>. Ohne <strong>ein</strong>gehender zu diskutieren, <strong>ist</strong> darauf<br />

hinzuweisen, dass dem Gebrauch des Begriffes <strong>ein</strong>e radikale Revision und Kritik der Art und<br />

Weise „die Geschichte zu schreiben“ <strong>ein</strong>geschrieben <strong>ist</strong>.<br />

Der Begriff <strong>Dispositiv</strong> gibt dem Werk Foucaults <strong>ein</strong>e neue Richtung. Der Gebrauch dieses<br />

Begriffs produziert theoretische Veränderungen im Bezug auf die <strong>Theorie</strong> der Geschichte, die<br />

Analytik der Macht (und ihren ontologischen Nietzscheanischen Ursprung). Das <strong>Dispositiv</strong><br />

hat viel mit der Idee der Produktivität und Positivität der Macht zu tun.<br />

4


Der Begriff spielt <strong>ein</strong>e wichtige Rolle, um <strong>ein</strong>e neue Konfiguration der <strong>Theorie</strong> der<br />

Geschichte zu entwickeln, indem er die Trennung, den Unterschied zwischen zwei Momenten<br />

zeigt: zwischen dem, was wir nicht mehr sind und dem, was wir gerade werden. Das<br />

<strong>Dispositiv</strong> erlaubt, zu denken: „the multiple relations of force which are formed and operate<br />

in the apparatuses (appareils) of production“; „ the general line of force which traverses local<br />

battles and links them together“ (Volonté de savoir). Das <strong>Dispositiv</strong> erlaubt zu verstehen, wie<br />

Brüche, Veränderungen, Durchgänge in der Geschichte stattfinden.<br />

Bekanntlich zeigt sich der wichtigste Gebrauch, den Foucault vom Begriff <strong>Dispositiv</strong><br />

macht, in dem Hinweis auf <strong>ein</strong> sexuelles <strong>Dispositiv</strong>. Die Sexualität <strong>ist</strong> <strong>für</strong> Foucault k<strong>ein</strong><br />

vorhandenes Phänomen, sondern „it is the name that we can give to a h<strong>ist</strong>orical dispositive:<br />

not a furtive reality difficult to grasp, but a large surface network where the stimulation of<br />

bodies, the intensification of pleasures, the incitement to discourse, the formation of<br />

specialized knowledge, and the strengthening of controls and res<strong>ist</strong>ances are linked together<br />

according to a few grand strategies of knowledge and power (volonté de savoir).<br />

Das <strong>Dispositiv</strong> <strong>ist</strong> hier <strong>ein</strong> Netz von verschiedenen Aspekten und Praktiken von sexuellen<br />

Beziehungen. Es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> besonderes Gefüge zu <strong>ein</strong>er bestimmten Zeit. Es orientiert<br />

Machtbeziehung, Wiederstände etc. Der Durchgang von <strong>ein</strong>em <strong>Dispositiv</strong> zu <strong>ein</strong>em anderen<br />

hat nichts mit der Verschiebung von Paradigmen, wie von Kuhn beschrieben, zu tun. Foucault<br />

beschreibt die gegenseitige Durchdringung verschiedener <strong>Dispositiv</strong>e. Man könnte nie sagen,<br />

dass s<strong>ein</strong> Werk z.B. den Durchgang von <strong>ein</strong>em disziplinaren <strong>Dispositiv</strong> zu <strong>ein</strong>em <strong>Dispositiv</strong><br />

der Kontrollen beschreibt. Im Mittelpunkt s<strong>ein</strong>er Analyse steht vielmehr die Bewegung<br />

verschiedener Machbeziehungen, die neue Konfigurationen (<strong>Dispositiv</strong>e) mit sich bringt<br />

(durch <strong>ein</strong>e Interpenetration von verschiedenen Praktiken...).<br />

Foucault schreibt in Sicherheit, Territorium, Bevölkerung: „you do not at all have a series in<br />

which the elements are going to succeed one another, those which appear making the<br />

preceding ones disappear. There is not the age of the legal, the age of the disciplinary, the age<br />

of security“. (S. 10) Ein <strong>Dispositiv</strong> wird nicht <strong>ein</strong>fach durch <strong>ein</strong> anderes ersetzt. Die<br />

gegenseitige Be<strong>ein</strong>flussung von <strong>Dispositiv</strong>en <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Aspekt h<strong>ist</strong>orischer Veränderung.<br />

<strong>Dispositiv</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Arbeitsgerät, um das Funktionieren der Macht im sozialen Feld zu denken.<br />

Es erlaubt, die Beziehung zwischen verschiedenen Akteuren und Diskursen zu analysieren.<br />

So schreibt Foucault: „What I’m seeking to characterize w<strong>ith</strong> this name is, first of all, an<br />

absolutely heterogeneous assembly which involves discourses, institutions, architectural<br />

structures, regulatory deci- sions, laws, admin<strong>ist</strong>rative measures, scientific enunciations,<br />

5


philosophical, moral, and phil- anthropic propositions; in short: as much the said as the unsaid,<br />

these are the elements of the dispositive. The dispositive is the network which is<br />

arranged between these elements...“ -- „...w<strong>ith</strong> the term dispositive, I understand a type of—<br />

so to speak—formation which in a certain h<strong>ist</strong>orical moment had as its essential function to<br />

respond to an emergency. The dispositive therefore has an eminently strategic function...<br />

I said that the dispositive is by nature essentially strategic, which indicates that it deals w<strong>ith</strong> a<br />

certain manipulation of forces, of a rational and concerted intervention in the relations of<br />

force, to orient them in a certain direction, to block them, or to fix and utilize them. The<br />

dispositive is always inscribed in a game of power and, at the same time, always tied to the<br />

limits of knowledge, which derive from it and, in the same measure, condition it. The<br />

dispositive is precisely this: an ensemble (set) of strategies of relations of force which<br />

condition certain types of knowledge and is conditioned by them.“ (Dits et Ecrits, vol. 3)<br />

Das <strong>Dispositiv</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Netz und spielt <strong>ein</strong>e doppelte Rolle: als Netz von Machtbeziehungen<br />

und als konzeptuelles Arbeitsgerät, das die Analyse von Gefügen von Wissen, Diskursen<br />

erlaubt.<br />

Die vorliegende Analyse <strong>ist</strong> auch genau das, was Deleuze in s<strong>ein</strong>em kurzen Abschnitt über<br />

das <strong>Dispositiv</strong> als grundlegende Gliederung des Werks von Foucault anerkennt. Deleuze<br />

streicht heraus, wie Subjektivierungslinien, Macht (oder Kraftlinien) und Linien von<br />

Sichtbarkeit oder/und Sagbarkeit das Werk Foucaults durchqueren. In <strong>ein</strong>er Sprache, in der<br />

die von Merleau-Ponty gestellten Fragen widerhallen, betont Deleuze die Idee des <strong>Dispositiv</strong>s<br />

als Maschine, die sehen und sprechen lässt; das <strong>Dispositiv</strong> als Sichtbarkeitsmaschine. Gegen<br />

die Phänomenologie macht Deleuze aber deutlich, dass die Sichtbarkeit auf k<strong>ein</strong>en Fall auf<br />

<strong>ein</strong>e Lichtquelle, die prä-ex<strong>ist</strong>ente Subjekte beleuchtet, zurückgeführt werden kann.<br />

Deleuze we<strong>ist</strong> auf die Beziehung zwischen Wörter und Dingen, zwischen Sagbarem und<br />

Sichtbarem hin. Er schreibt: „the two first dimensions of a dispositive, or those which Foucault<br />

addresses first, are the curves of visibility and the curves of enunciation. <strong>Dispositiv</strong>es are<br />

like the machines of Raymond Roussel, as Foucault analyzes them: these are machines to<br />

make see and make speak.“ (Qu’est-ce qu’un dispositif?)<br />

In s<strong>ein</strong>er Beschreibung der sichtbaren Aspekte des <strong>Dispositiv</strong>s schreibt Deleuze, dass jedes<br />

„dispositive has its own regime of light, manner in which it falls, becomes blurred, and<br />

spreads throughout, d<strong>ist</strong>ributing the visible and the invisible, giving rise to or disappearing the<br />

object which would not ex<strong>ist</strong> w<strong>ith</strong>out it.“<br />

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Ein <strong>Dispositiv</strong> agiert und bestimmt was wir in <strong>ein</strong>em h<strong>ist</strong>orischen Machtgefüge sehen und<br />

sagen können. Deleuze streicht den onto-kreativen Aspekt des <strong>Dispositiv</strong>s heraus,<br />

wenn/indem er schreibt: „not subjects and not objects, but the regimes which must be defined<br />

for the visible and the sayable, w<strong>ith</strong> their derivations, w<strong>ith</strong> their transformations, their<br />

mutations“. Das <strong>Dispositiv</strong> <strong>ist</strong> <strong>für</strong> Deleuze <strong>ein</strong> multlineares Ensemble.<br />

Ausgehend von diesen Bemerkungen wird klar, wie der Gebrauch des Begriffes <strong>Dispositiv</strong><br />

<strong>ein</strong>e D<strong>ist</strong>anzierung vom beherrschenden (in der Phänomenologie und im klassischen<br />

Marxismus) Begriff der Ideologie erlaubt. Die Anwendung des Begriffs <strong>Dispositiv</strong> verhindert<br />

die Frage nach der Ideologie als Opposition zwischen Realität und Repräsentation, Wahrheit<br />

und Illusion, Falschem und Wahrem, Wissenschaftlichkeit und nicht-Wissenschaftlichkeit zu<br />

stellen. Die Frage besteht vielmehr darin zu verstehen, durch welche Bedingungen die<br />

erwähnten Oppositionen wirksam werden. Bei der Anwendung des Begriffes <strong>Dispositiv</strong> stellt<br />

sich das Problem der Formation (Entstehung) diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken. Die<br />

Frage nach dem <strong>Dispositiv</strong> kehrt also die allgem<strong>ein</strong>e Konfiguration des Wissens um, d.h. die<br />

Idee der Beziehung zwischen Unter- und Überbau. Damit wird die material<strong>ist</strong>ische<br />

Konzeption der Geschichte auf <strong>ein</strong>e neue Basis gestellt, was <strong>ein</strong>e radikale Diskussion des<br />

Begriffes der Ideologie und der Repräsentation sowie des Begriffes von Apparat<br />

(ideologische Staatsapparate (Althusser) und Foucaults Versuch, sich von Althusser zu<br />

d<strong>ist</strong>anzieren) impliziert. (Rückverweis: zu untersuchen wäre die „Leitlinie“ Positivität –<br />

<strong>Dispositiv</strong> - Problematisierung)<br />

Die explizite Thematisierung des <strong>Dispositiv</strong>s bei Deleuze beschränkt sich auf die Analyse<br />

des Werks von Foucault. Wir können aber s<strong>ein</strong>e Überlegungen ergänzen, wenn wir die<br />

Analyse in Betracht ziehen beiziehen, die er und Guattari dem Thema des Ritornells und des<br />

Gefüges widmen. Tausend Plateaus beruht auf <strong>ein</strong>er Form von Konstruktivismus, der <strong>ein</strong>en<br />

wichtigen Aspekt des Gefüges darstellt. Jedes Gefüge <strong>ist</strong> zunächst territorial, und jeder<br />

Aspekt des Lebendigen kann als Gefüge bezeichnet werden. Die Gefüge produzieren<br />

Territorien. Das Territorium <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Akt, <strong>ein</strong> Prozess, der durch das Ritornell definiert wird.<br />

Das Ritornell <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e originelle Art und Weise, Beziehungen zwischen Kunst, Subjektivität,<br />

Sozialem und Politischem aus dem Ge<strong>ist</strong> der Musik zu denken.<br />

Das Territorium <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Weg, <strong>ein</strong>e Bahn, aber k<strong>ein</strong> stabiler oder fixierter Ort. Das Territorium<br />

<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Filter, das erlaubt, die Kräfte zu fühlen und zu anerkennen. Ohne Territorium würden<br />

die Kräfte unbeachtet bleiben. Das <strong>ist</strong> auch die Definition der Kunst. Ohne Kunst würden<br />

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unsichtbare Kräfte unsichtbar bleiben. Die Kunst macht das Unsichtbare sichtbar oder macht<br />

die Unsichtbarkeit des Sichtbaren sichtbar. Das Ritornell <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Prozess, der immer zwischen<br />

zwei Polen stattfindet: Territorialisierung und Deterritorialisierung sind die zwei Elemente,<br />

zwischen denen Territorien gebildet werden. Das Gefüge fungiert als <strong>Dispositiv</strong>, das die<br />

Entstehung der Schichten erlaubt.<br />

Deleuze und Guattari geben uns <strong>ein</strong>e Dimension des Begriffes <strong>Dispositiv</strong>, die genealogisch<br />

und geologisch <strong>ist</strong>. Genealogisch <strong>ist</strong> die Verkettung von Phänomenen, die in <strong>ein</strong>em <strong>Dispositiv</strong><br />

angeordnet sind. Genealogisch betrachtet hat das <strong>Dispositiv</strong> <strong>ein</strong>e diachronische Funktion, da<br />

es die Entstehung <strong>ein</strong>er neuen Konfiguration, <strong>ein</strong>es neuen Gefüges unterscheidet. Die<br />

Genealogie <strong>ist</strong> mit der Geologie gekoppelt: synchronisch zeigt das <strong>Dispositiv</strong> die Entstehung<br />

<strong>ein</strong>er neuen Formation.<br />

Das ästhetische <strong>Dispositiv</strong> ermöglicht, <strong>ein</strong>ige besondere Bereiche/Fragen zu bestimmen, in<br />

denen der Funktionalismus des <strong>Dispositiv</strong>s angewendet werden kann. <strong>Was</strong> heisst<br />

künstlerische Schöpfung heute? Wenn der ganze Bereich der menschlichen Aktivität<br />

produktiv geworden <strong>ist</strong>, worin besteht dann die Potentialität der künstlichen Aktivität? Wie<br />

bildet sich <strong>ein</strong> ästhetisches Feld? Unter welchen Bedingungen ergibt sich künstlerische<br />

Schöpfung? Durch welche Machenschaft wird <strong>ein</strong>e ästhetische Territorialisierung gebildet<br />

und durch welche Deterritorialisierungen Ästhetik produziert?<br />

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