âDie Armut ist jungâ - Jobcenter Herford
âDie Armut ist jungâ - Jobcenter Herford
âDie Armut ist jungâ - Jobcenter Herford
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Lokales<br />
„Die <strong>Armut</strong> <strong>ist</strong> jung“<br />
Ausbildungsplätze: Heimischer Arbeits-Agenturbezirk bundesweit auf dem letzten Platz<br />
VON JÜRGEN NIERSTE<br />
Löhne. Welche Möglichkeiten haben Jugendliche, die nach der Schule keinen Ausbildungsplatz<br />
finden? Ganz um diese Frage drehte sich das jährliche arbeitsmarktpolitische Gespräch im Rathaus.<br />
Am Ende stand ein unbefriedigendes Fazit: „In der Ausbildungsplatzsituation belegt der Kreis<br />
<strong>Herford</strong> bundesweit unter 176 Arbeitsagenturbezirken den letzten Platz. Das <strong>ist</strong> seit Jahren so und<br />
das ärgert und erschüttert mich immer mehr“, so der ehemalige Berufsschulleiter Friedel Böhse<br />
(Löhne).<br />
In der bundesweiten Stat<strong>ist</strong>ik werden die Anzahl der Ausbildungsplatzbewerber und die Zahl der<br />
angebotenen Ausbildungsplätze erfasst. So kommen im Bereich der Arbeitsagentur <strong>Herford</strong> im<br />
Schnitt auf 100 Bewerber nur 62 freie Plätze.<br />
Als Gründe für dieses Missverhältnis nannte Böhse zwei Punkte: „Zum einen liegt das an unserer<br />
Wirtschaftsstruktur. Unsere Region <strong>ist</strong> schwach im Bereich der neuen Technologien, in der<br />
anderswo viele Jugendliche Ausbildungsplätze finden. Zum anderen liegt es an der Demografie. Bei<br />
uns wohnen überdurchschnittlich viele junge Menschen, die auf den Ausbildungsmarkt drängen.“<br />
Peter Kleint (IG Metall) bemängelte den Umgang der heimischen Wirtschaft mit<br />
Ausbildungsplatzsuchenden: „Ich habe den Fall erlebt, dass ein Jugendlicher 34 Bewerbungen<br />
verschickte. Er bekam 15 Absagen und 17 Mal überhaupt keine Reaktion.“ Nur zwei Einladungen zu<br />
Vorstellungsgesprächen habe er erhalten. Kleint: „Gott sei Dank hat er dann endlich einen<br />
Ausbildungsplatz erhalten. Es <strong>ist</strong> überhaupt nicht auszudenken, was in einem jungen Menschen<br />
vorgehen muss, der so viele Frusterlebnisse hat.“<br />
Klaus Me<strong>ist</strong>er (Geschäftsführer der Arbeitsagentur <strong>Herford</strong>) und Sylvia Stich ( <strong>Jobcenter</strong> <strong>Herford</strong>)<br />
sagten provozierend: „Die <strong>Armut</strong> <strong>ist</strong> jung“, eine These, die sie mit vielen Zahlen belegten. In Löhne<br />
leben 2.400 Menschen von Hartz IV, davon sind 1.027 Kinder und Jugendliche. Aktuell besuchen in<br />
Löhne 90 Schüler von Hartz-IV-Eltern Entlassklassen. 60 Prozent von ihnen finden keinen<br />
Ausbildungsplatz und wollen aus diesem Grunde weiter zur Schule – auf Berufskollegs – gehen.<br />
Stich: „Ziel des weiteren Schulbesuchs <strong>ist</strong> natürlich Weiterqualifizierung und ein besserer<br />
Notendurchschnitt. Die Erfahrung zeigt dabei leider, dass am Ende der weiteren schulischen<br />
Ausbildung oft gar kein besserer Notendurchschnitt steht.“<br />
Klaus Me<strong>ist</strong>er betonte: „Nur wer eine Ausbildung vorwe<strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> später nicht von Arbeitslosengeld<br />
abhängig.“ Für die Stadt Löhne ermittelte er: „73 Prozent der Kinder von Hartz-IV-Empfängern<br />
haben keine Berufsausbildung. 12 Prozent haben keinen Schulabschluss.“<br />
Welche Perspektive haben diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen? Stefan Klute, Lehrer am<br />
Griese-Berufskolleg, appellierte an die Wirtschaft: „Wir machen häufig die Erfahrung, dass<br />
Jugendliche, die in der Schule keine guten Noten schaffen, in einer Ausbildung – beispielsweise in<br />
einem Handwerksbetrieb – später sehr gut klar kommen.“ Deshalb sollten die Betriebe die Vergabe<br />
ihrer Ausbildungsplätze nicht ausschließlich vom Notendurchschnitt abhängig machen.<br />
Thomas Kötz, Leiter des privaten Berufskollegs IZF in Bad Oeynhausen, schloss sich dem an: „Die<br />
Maßstäbe bei der Einstellung haben sich verschoben. Heute fordern ja schon manche<br />
Handwerksbetriebe von ihren Auszubildenden das Abitur als Voraussetzung.“
Friedel Böhse, der als Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes an der Gesprächsrunde<br />
teilnahm, hielt ein engagiertes Schlussplädoyer: „Alle Weiterqualifizierungsangebote für<br />
Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz erhalten, ändern doch nichts an der mangelhaften<br />
Angebotssituation.“ Er forderte, wenn die duale Ausbildung nicht greife, müssten dringend<br />
außerbetriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden: „Diese Jugendlichen finden später auch<br />
einen Arbeitsplatz, denn der Facharbeitermangel kommt doch auf uns zu.“<br />
© 2013 Neue Westfälische<br />
13 - Löhne und Gohfeld, Mittwoch 01. Mai 2013