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Fall 5 mit Lösung - Universität zu Köln

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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht<br />

SS 2009<br />

<strong>Fall</strong> 5 Vertragskontrolle<br />

Der 56-jährige A ist seit nunmehr 15 Jahren im Unternehmen des B (20 Arbeitnehmer)<br />

beschäftigt. Seine Vergütung beträgt 3.500 Euro brutto monatlich.<br />

Seit einiger Zeit bestehen zwischen A und B einige Differenzen über den gegenüber den<br />

Mitarbeitern an<strong>zu</strong>wendenden Führungsstil. Nach einer weiteren Diskussion hierüber im Juni<br />

2005 möchte B das Anstellungsverhältnis <strong>mit</strong> A möglichst schnell beenden. Daher verfasst er<br />

einen Aufhebungsvertrag, nach dem das Arbeitsverhältnis <strong>zu</strong>m 1.7.2005 beendet werden<br />

und eine Abfindung in Höhe von 7.000 Euro gezahlt werden soll.<br />

Ohne <strong>mit</strong> A vorher über einen Aufhebungsvertrag gesprochen <strong>zu</strong> haben, sucht B den A am<br />

Sonntag, den 5.6.2005, in dessen Privatwohnung auf, unterhält sich <strong>mit</strong> ihm über die<br />

Notwendigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses <strong>zu</strong>m 1.7.2005 und legt ihm den<br />

Vertrag <strong>zu</strong>r Unterschrift vor. Dass dem A möglicherweise eine Sperrzeit beim<br />

Arbeitslosengeld droht, wenn er einen Aufhebungsvertrag unterschreibt, weiß B nicht. A ist<br />

vom Ansinnen des B völlig überrascht und unterschreibt.<br />

Nachdem er sich jedoch <strong>mit</strong> einem Bekannten über den Vertrag unterhalten hat, ist er davon<br />

überzeugt, von B „über den Tisch gezogen“ worden <strong>zu</strong> sein. Außerdem habe B ihn über die<br />

sozialrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrags im Unklaren gelassen. A erklärt daher drei<br />

Tage später, er wolle alles rückgängig machen, so was könne doch nicht <strong>zu</strong>lässig sein.<br />

Ist das Arbeitsverhältnis des A durch den Aufhebungsvertrag beendet worden?<br />

Abwandlung:<br />

Im Formulararbeitsvertrag des ebenfalls bei B beschäftigten C vom 1.1.2001 ist folgende<br />

Klausel enthalten:<br />

§ 2 Sonstige Leistungen<br />

C erhält ein Weihnachtsgeld in Höhe eines halben Bruttomonatslohns, welches<br />

<strong>zu</strong>sammen <strong>mit</strong> der Vergütung für den Monat November ausgezahlt wird. Die Zahlung<br />

des Weihnachtsgeldes erfolgt freiwillig. B behält sich vor, die Gewährung des<br />

Weihnachtsgeldes jederzeit <strong>zu</strong> widerrufen.<br />

Vor Abschluss des Arbeitsvertrages hatte C jedoch erwähnt, dass er lieber ein ganzes<br />

Monatsgehalt als Weihnachtsgeld hätte. Darauf ließ sich B nicht ein.<br />

B geht es im Jahre 2007 wirtschaftlich schlecht. Er beruft sich daher auf sein Widerrufsrecht<br />

und will die Leistung einstellen. Zu Recht?<br />

© Institut für deutsches und europäisches Sozialrecht, Universität <strong>zu</strong> Köln


Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht SS 2009<br />

Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

Inhalt:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Inhaltskontrolle<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Haustürgeschäft<br />

Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers<br />

Gliederung:<br />

A. Ausgangsfall ...............................................................................................2<br />

I. Wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch<br />

Aufhebungsvertrag? .......................................................................................2<br />

1. Wirksamer Vertragsschluss? ...................................................................... 2<br />

a) Angebot und Annahme.......................................................................... 2<br />

b) Schriftform............................................................................................. 2<br />

c) Zwischenergebnis ................................................................................. 2<br />

2. Wirksamer Widerruf des Aufhebungsvertrages gem. §§ 355, 312 Abs. 1<br />

BGB................................................................................................................... 2<br />

a) Arbeitnehmer als Verbraucher?............................................................. 3<br />

b) Aufhebungsvertrag als Haustürgeschäft?.............................................. 4<br />

aa) Schutzzweckfunktion des Haustürgeschäfts...................................... 4<br />

bb)<br />

Anwendbarkeit des § 312 BGB auf arbeitsrechtl. Aufhebungsverträge<br />

5<br />

cc) Zwischenergebnis ............................................................................. 5<br />

c) Ergebnis................................................................................................ 6<br />

3. Anfechtung des Aufhebungsvertrages ........................................................ 6<br />

a) Anfechtungserklärung ........................................................................... 6<br />

b) Anfechtungsgrund ................................................................................. 6<br />

aa) Argliste Täuschung............................................................................ 6<br />

bb) Zwischenergebnis ............................................................................. 7<br />

II. Ergebnis ...................................................................................................7<br />

B. Abwandlung:...............................................................................................8<br />

I. Vorliegen von AGB ..................................................................................8<br />

1. „Vielzahl für Verträge“ vorformuliert ............................................................ 8<br />

2. Ausgehandelt?............................................................................................ 8<br />

II. Einbeziehung von AGB ...........................................................................8<br />

III. Auslegung von AGB ................................................................................8<br />

IV. Angemessenheitskontrolle (§ 308 Nr.4 BGB) ........................................9<br />

1. Zulässigkeit des Widerrufvorbehalts ........................................................... 9<br />

2. Bestimmtheit der Klauselformulierung....................................................... 10<br />

V. Rechtsfolge ............................................................................................10<br />

1. Unwirksamkeit der Klausel........................................................................ 10<br />

2. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion............................................... 10<br />

3. Ergänzende Vertragsauslegung bei Altverträgen ?................................... 11<br />

4. Ergebnis ................................................................................................... 11<br />

Seite 1<br />

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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht SS 2009<br />

Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

A . A U S G A N G S F A L L<br />

I. Wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag?<br />

Das Arbeitverhältnis zwischen A und B könnte durch den am 5.6.2005 geschlossenen<br />

Aufhebungsvertrag wirksam beendet worden sein. Zum Abschluss eines<br />

Aufhebungsvertrags sind die Arbeitsvertragsparteien nach dem Grundsatz der<br />

Vertragsfreiheit jederzeit berechtigt.<br />

1. Wirksamer Vertragsschluss?<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong>r wirksamen Beendigung wäre jedoch, dass A und B einen<br />

wirksamen Aufhebungsvertrag geschlossen haben.<br />

a) Angebot und Annahme<br />

Der Aufhebungsvertrag ist als sog. actus contrarius <strong>zu</strong>m Arbeitsvertrag ebenfalls eine<br />

rechtsgeschäftliche Vereinbarung. Er kommt daher auch durch zwei übereinstimmende<br />

Willenserklärungen (Angebot und Annahme) von Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />

<strong>zu</strong>stande. A und B haben sich vorliegend über den Abschluss des Aufhebungsvertrags<br />

geeinigt.<br />

b) Schriftform<br />

A und B haben den Aufhebungsvertrag entsprechend § 623 BGB auch schriftlich<br />

geschlossen.<br />

Anm.: Zur Schriftform ist es gem. § 126 Abs. 1 und 2 BGB erforderlich, dass jeder auf<br />

der für die Gegenseite bestimmten Urkunde eigenhändig unterzeichnet. Fehlt die<br />

Schriftform, so ist der Aufhebungsvertrag zwingend unwirksam (§ 125 BGB) und das<br />

Arbeitsverhältnis besteht fort.<br />

c) Zwischenergebnis<br />

Mithin haben A und B einen wirksamen Aufhebungsvertrag geschlossen, der das<br />

Arbeitsverhältnis <strong>zu</strong>m vereinbarten Zeitpunkt beenden würde.<br />

2. Wirksamer Widerruf des Aufhebungsvertrages gem. §§ 355, 312 Abs. 1 BGB<br />

Allerdings könnte der Aufhebungsvertrag durch einen Widerruf des A gem. §§ 355<br />

Abs. 1, 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB beseitigt worden sein. Nach § 312 Abs. 1 BGB kann<br />

einem Verbraucher ein Widerrufsrecht gem. § 355 <strong>zu</strong>stehen. Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür<br />

wäre, dass die Regelungen über das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften<br />

Anwendung finden.<br />

Anm: Soweit dem Verbraucher ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums, arglistiger<br />

Täuschung oder widerrechtlicher Drohung <strong>zu</strong>steht, konkurriert es <strong>mit</strong> dem<br />

Widerrufsrecht. Der Verbraucher hat die Wahl, ob er den Vertragsschluss anficht oder<br />

von seinem Widerrufsrecht nach § 355 Gebrauch macht. Ergibt sich aus dem<br />

Vorbringen des Verbrauchers nicht eindeutig, worauf er sich stützt, ist im Zweifel davon<br />

aus<strong>zu</strong>gehen, dass er den für ihn günstigeren Rechtsbehelf, regelmäßig also das<br />

Widerrufsrecht, wählt.<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

a) Arbeitnehmer als Verbraucher?<br />

Als verbraucherschützende Norm gewährt § 312 BGB das Widerrufsrecht gem. § 355<br />

BGB nur einem Verbraucher. Dem<strong>zu</strong>folge müsste A für einen wirksamen Widerruf den<br />

Aufhebungsvertrag als Verbraucher geschlossen haben.<br />

Grundsätzlich hat A den Aufhebungsvertrag in seiner Funktion als Arbeitnehmer<br />

geschlossen. Fraglich ist daher, ob ein Arbeitnehmer auch ein Verbraucher im Sinne<br />

des § 13 BGB ist.<br />

Die Frage der Verbrauchereigenschaft von Arbeitnehmern war seit der<br />

Schuldrechtsreform höchst umstritten, ist aber inzwischen vom BAG entschieden<br />

worden. Der wohl überwiegende Teil der Lehre und nun auch das BAG (25.5.2005 AP<br />

§ 310 BGB Nr. 1) bejahen die Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers.<br />

GEGEN die Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers könnte der Wortsinn des<br />

Verbrauchers sprechen, denn der Arbeitnehmer erbringt Arbeit und „verbraucht“ nichts.<br />

DAGEGEN spricht aber, dass der Begriff „Verbraucher“ kein Tatbestandsmerkmal ist,<br />

sondern bloßer rechtstechnischer Oberbegriff. Das Rechtsgeschäft muss keinen<br />

„konsumtiven Zweck“ haben (Gotthardt, Rn. 166).<br />

Vielmehr spricht der Wortlaut des § 13 BGB, in welchem der Gesetzgeber den Begriff<br />

des Verbrauchers näher definiert hat, für eine Annwendung des Verbraucherbegriffs<br />

auf den Arbeitnehmer. Dieser definiert den Verbraucher als eine natürliche Person, die<br />

ein Rechtsgeschäft <strong>zu</strong> einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch<br />

ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit <strong>zu</strong>gerechnet werden kann. Der<br />

Arbeitnehmer ist eine natürliche Person und alle Rechtsgeschäfte im Zusammenhang<br />

<strong>mit</strong> einem Arbeitsverhältnis werden <strong>zu</strong> einem Zweck abgeschlossen, der weder einer<br />

gewerblichen noch einer selbstständigen Tätigkeit <strong>zu</strong>gerechnet werden kann. Der<br />

Arbeitnehmer ist so<strong>zu</strong>sagen der Prototyp des „Unselbstständigen“.<br />

ANM.: EINE ANDERE ANSICHT will das Konzept des BGB und EU-Rechts durch weitere,<br />

anscheinend nicht erfasste („dritte“) Personen- und Gesellschaftstypen weiter<br />

aufspalten (so Henssler, RdA 2002, 129, 234). DAGEGEN spricht jedoch, dass der<br />

Gesetzgeber eine eigenständige umfassende Begriffsbestimmung wählen wollte. Aus<br />

der Gesetzesgeschichte ergibt sich <strong>zu</strong>dem, dass im Rahmen des<br />

Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes das „Verbraucherschutzrecht“<br />

<strong>zu</strong>sammengefasst werden sollte.<br />

Auch aus systematischen Gründen ist der Arbeitnehmer unter den Verbraucherbegriff<br />

<strong>zu</strong> subsumieren. Mit der Schuldrechtsreform ist das Arbeitsrecht wieder mehr an das<br />

BGB herangeführt worden. Die Legaldefinition des Verbrauchers steht <strong>mit</strong> § 13 BGB<br />

im allgemeinen Teil des BGB, der für alle Vertragsarten, also auch den Arbeitsvertrag<br />

gilt.<br />

Aus teleologischen Gesichtspunkten spricht für die Verbrauchereigenschaft, dass in<br />

dem Begriffspaar „Unternehmer-Verbraucher“ der Verbraucher als nicht <strong>zu</strong><br />

selbstständigen Erwerbszwecken handelnde natürliche Person definiert wird. Diese ist<br />

das Schutzobjekt, welches der Anknüpfungspunkt des Schutzsystems ist, das durch<br />

die Verbraucherschutzrichtlinie in das deutsche Privatrecht integriert wurde. Der<br />

Arbeitnehmer ist der klassisch unselbstständig Handelnde und sogar noch<br />

schutzwürdiger als ein „Nur-Verbraucher“.<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

Zudem folgt auch aus § 491 Abs. 2 Nr. 2 BGB, dass der Gesetzgeber den<br />

Arbeitnehmer prinzipiell als Verbraucher ansieht. Darin geht der Gesetzgeber implizit<br />

davon aus, dass der Arbeitnehmer (auch) Verbraucher ist und auf ihn das<br />

Verbraucherschutzrecht, soweit es einschlägig ist, Anwendung findet. Eine<br />

entsprechende Aussage findet sich ebenfalls in den Materialien <strong>zu</strong> § 13 BGB (BT-Drs.<br />

13/6040, S. 243).<br />

Unterstützt wird diese Sicht durch § 15 UKlaG, der die Möglichkeit der<br />

Unterlassungsklagen bei Verstößen gegen §§ 307-309 BGB und<br />

verbraucherschutzwidrigen Praktiken im Arbeitsrecht ausschließt. Dieser Ausschluss<br />

ist nur da<strong>mit</strong> <strong>zu</strong> erklären, dass der Gesetzgeber implizit davon ausgegangen sein<br />

muss, dass der Arbeitnehmer Verbraucher ist. Bei den Vorschriften <strong>zu</strong>r Inhaltskontrolle<br />

formulieren die Materialien, dass das Schutzniveau im Arbeitsrecht nicht hinter dem<br />

des Zivilrechts <strong>zu</strong>rückbleiben solle (BT-Drs. 14/6857, S. 17).<br />

Besonders deutlich für die Einordnung des Arbeitnehmers als Verbraucher spricht<br />

auch, dass durch § 310 Abs. 4 BGB die Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht (früher<br />

§ 23 Abs. 1 AGBG) weggefallen ist. Auf Grund von § 310 Abs. 4 BGB sind die<br />

Einzelarbeitsverträge dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterstellt,<br />

das Verbraucherverträge gem. § 310 Abs. 3 BGB grundsätzlich <strong>mit</strong> einschließt. Diese<br />

Vorschrift ist, anders als z.B. § 305 Abs. 2 und 3 BGB, nicht ausgenommen worden.<br />

Auch die systematische Auslegung stützt diese Meinung.<br />

Der Status des Arbeitnehmers als solcher steht der Anwendung des § 312 BGB daher<br />

nicht entgegen.<br />

Allerdings hat das BAG entschieden, dass die Bestimmung des Arbeitnehmers als<br />

Verbraucher nicht generell erfolgt. Dort, wo sich kraft gesetzlicher Anordnung oder aus<br />

systematisch-teleologischen Gründen etwas anderes ergibt, lässt sich von der<br />

Anwendung der Verbraucherschutzregeln auf das Arbeitsverhältnis absehen (BAG<br />

25.5.2005 AP § 310 BGB Nr. 1).<br />

Daher müssen verbraucherschützende Normen jeweils daraufhin überprüft werden, ob<br />

sie im Arbeitsrecht <strong>zu</strong>r Anwendung kommen. Der Arbeitnehmer muss sich jeweils in<br />

einer vom Schutzzweck der Norm erfassten Situation befinden.<br />

b) Aufhebungsvertrag als Haustürgeschäft?<br />

aa)<br />

Schutzzweckfunktion des Haustürgeschäfts<br />

§ 312 BGB gewährt den Verbrauchern ein Widerrufsrecht bei einem Vertrag zwischen<br />

einem Unternehmer und einem Verbraucher, der eine entgeltliche Leistung <strong>zu</strong>m<br />

Gegenstand hat und <strong>zu</strong> dessen Abschluss der Verbraucher durch mündliche<br />

Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung,<br />

anlässlich einer vom Unternehmer oder von einem Dritten <strong>zu</strong>mindest auch im<br />

Interesse des Unternehmers durchgeführten Freizeitveranstaltung oder im Anschluss<br />

an ein überraschendes Ansprechen in Verkehrs<strong>mit</strong>teln oder im Bereich öffentlich<br />

<strong>zu</strong>gänglicher Verkehrsflächen bestimmt worden ist (HAUSTÜRGESCHÄFT).<br />

Sinn und Zweck des § 312 BGB ist der Schutz des Verbraucher vor einer<br />

Überraschungs- oder Überrumpelungs-Situation.<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

B hat den A in dessen Privatwohnung aufgesucht, dort <strong>mit</strong> ihm über die Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses gesprochen und ihm den Vertrag <strong>zu</strong>r Unterschrift vorgelegt.<br />

Mithin befand sich B gerade in einer vom Schutzzweck erfassten Situation<br />

bb)<br />

Anwendbarkeit des § 312 BGB auf arbeitsrechtl. Aufhebungsverträge<br />

Wenngleich da<strong>mit</strong> grundsätzlich hier auch der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag<br />

erfasst scheint, ist eine Anwendung auf den arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag<br />

dennoch ab<strong>zu</strong>lehnen.<br />

Aus der Systematik des Gesetzes sowie der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass<br />

§ 312 BGB nicht auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge an<strong>zu</strong>wenden ist (BAG<br />

27.11.2003 AP BGB § 312 BGB Nr. 2; 22.4.2004 AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag<br />

Nr. 27; 03.06.2004 – 2 AZR 428/03, juris).<br />

Das Haustürwiderrufsrecht nach §§ 312 ff. BGB ist ein vertragstypenbezogenes<br />

Verbraucherschutzrecht. Es erfasst nur "besondere Vertriebsformen". Auf Verträge,<br />

die - wie der Arbeitsvertrag und der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag - keine<br />

Vertriebsgeschäfte sind, findet das gesetzliche Widerrufsrecht keine Anwendung (BAG<br />

27. November 2003 AP BGB § 312 Nr. 2 mwN).<br />

Hin<strong>zu</strong> kommt, dass ein unbefristetes Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 3 S. 3 BGB im<br />

<strong>Fall</strong>e einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung sich nicht <strong>mit</strong> dem allgemeinen<br />

Beschleunigungsinteresse arbeitsrechtlicher Beendigungsstreitigkeiten, wie es<br />

beispielsweise in §§ 4, 7 KSchG, § 17 TzBfG <strong>zu</strong>m Ausdruck kommt, vereinbaren ließe<br />

(LAG Brandenburg 30.10.2002 LAGE BGB 2002 § 312 Nr. 1 (Verfügungsgeschäft)).<br />

Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte gegen die Anwendung des<br />

gesetzlichen Widerrufsrechts auf arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen. Die<br />

Rechtsprechung hatte in mehreren Entscheidungen (BAG 30.9.1993 BAGE 74, 281;<br />

BAG 14.2.1996 EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 21) eine un<strong>zu</strong>lässige<br />

Rechtsausübung des Arbeitgebers (§ 242 BGB) verneint, wenn dieser dem<br />

Arbeitnehmer weder das Gesprächsthema eines Beendigungsgesprächs <strong>mit</strong>geteilt<br />

noch ihm eine Bedenkzeit eingeräumt hatte. Nach dem bisher geltenden Recht wäre<br />

dies nach Auffassung des BAG auf die un<strong>zu</strong>lässige Gewährung eines gesetzlich nicht<br />

geregelten Rücktritts- oder Widerrufsrechts und da<strong>mit</strong> auf eine un<strong>zu</strong>lässige<br />

Rechtsfortbildung hinausgelaufen. Die Kenntnis des Gesetzgebers von dieser<br />

Rechtsprechung kann unterstellt werden. Erstreckt der Gesetzgeber vor dem<br />

Hintergrund dieser Rechtslage das zivilrechtliche Widerrufsrecht weder ausdrücklich<br />

auf die Arbeitsverhältnisse und schafft er auch keine klaren Fristen für dessen<br />

Ausübung durch den Arbeitnehmer, so deutet alles darauf hin, dass er<br />

arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen nicht in den Anwendungsbereich des<br />

§ 312 BGB einbeziehen wollte. So<strong>mit</strong> ist von der Anwendung des § 312 BGB auf<br />

arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge insbesondere aus systematisch-teleologischen<br />

Gründen ab<strong>zu</strong>sehen (a.A. Hümmerich/Holthausen NZA 2002, 173, 178; Schleusener<br />

NZA 2002, 949, 951).<br />

cc)<br />

Zwischenergebnis<br />

Demnach ist der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft im Sinne<br />

des § 312 BGB und eine Anwendung des Widerrufrechts auf diesen scheidet aus.<br />

Seite 5<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

c) Ergebnis<br />

Mithin steht A kein Widerrufsrecht gem. § 355, 312 BGB hinsichtlich des am 5.6.2005<br />

geschlossenen Aufhebungsvertrages <strong>zu</strong>.<br />

3. Anfechtung des Aufhebungsvertrages<br />

Allerdings könnte der Aufhebungsvertrag gem. §§ 142, 123 BGB wegen einer<br />

arglistigen Täuschung nichtig sein.<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür wäre, dass A wirksam eine Anfechtung innerhalb der<br />

erforderlichen Anfechtungsfrist erklärt hat und ihm ein Anfechtungsgrund <strong>zu</strong>stand.<br />

a) Anfechtungserklärung<br />

A hat drei Tage nach Abschluss des Aufhebungsvertrages gegenüber B erklärt, dass<br />

er alles rückgängig machen will. Da<strong>mit</strong> ist eine wirksame Anfechtungserklärung gem.<br />

§ 143 BGB erfolgt. Die genaue Bezeichnung als Anfechtung fordert § 143 BGB nicht.<br />

b) Anfechtungsgrund<br />

Des Weiteren müsste ein Anfechtungsgrund gegeben sein. Vorliegend kommt eine<br />

arglistige Täuschung gem. § 123 Abs. 1, 1.Alt. BGB in Betracht, da B verschwiegen<br />

hat, dass der Aufhebungsvertrag negative Folgen 1 für A hinsichtlich des<br />

Arbeitslosengeldes <strong>mit</strong> sich bringen kann.<br />

aa)<br />

Anm.: Ein Irrtum nach § 119 BGB scheitert daran, dass es sich bei dem Irrtum des A<br />

über die sozialrechtlichen Folgen lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum<br />

handelt.<br />

Argliste Täuschung<br />

Dafür müsste B arglistig getäuscht haben. B hat jedoch nicht positiv gehandelt,<br />

sondern lediglich die negativen sozialrechtlichen Folgen für A verschwiegen. Eine<br />

Täuschung durch Unterlassen schadet einer Anwendbarkeit des § 123 BGB jedoch<br />

dann nicht, wenn eine Pflicht <strong>zu</strong>r Aufklärung bestand.<br />

Grundsätzlich gilt, dass sich jede Vertragspartei selbst über die Folgen des<br />

Aufhebungsvertrags informieren muss (vgl. BAG 22.04.2004 AP BGB § 620 Nr. 27<br />

m.w.N.). Jedoch kann gem. § 242 BGB auch ausnahmsweise eine Pflicht des<br />

Arbeitgebers <strong>zu</strong>r Aufklärung des Arbeitnehmers über die sozialrechtlichen Nachteile<br />

bestehen. Ob und Inwieweit diese Aufklärungspflicht besteht, ist anhand der Umstände<br />

des Einzelfalles <strong>zu</strong> entscheiden. Dabei ist insbesondere <strong>zu</strong> berücksichtigen:<br />

- Von wem ist die Initiative <strong>zu</strong>m Abschluss des Aufhebungsvertrags ausgegangen?<br />

- In wessen Interesse liegt der Aufhebungsvertrag?<br />

1 Gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III führt das Lösen des Beschäftigungsverhältnisses (da<strong>zu</strong> zählt<br />

nicht nur die Eigenkündigung, sondern auch der Aufhebungsvertrag) da<strong>zu</strong>, dass der<br />

Arbeitnehmer für Dauer einer gesetzlichen Sperrzeit kein Arbeitslosengeld erhält.<br />

! Allerdings hat das BSG jüngst entschieden, dass dies nicht gilt, wenn <strong>zu</strong>m gleichen Zeitpunkt<br />

eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung gedroht hätte, gegen die der<br />

Arbeitnehmer sich hätte <strong>zu</strong>r Wehr setzen können. Da<strong>mit</strong> hat das BSG die einvernehmliche<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den <strong>Fall</strong> erleichtert, dass statt des<br />

Aufhebungsvertrages eine betriebsbedingte Kündigung gedroht hätte (BSG 17.10.2007 NZA-<br />

RR 2008, 383).<br />

Seite 6<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

- Hat der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer das Vertrauen erweckt, er werde auch<br />

seine Interessen wahren?<br />

Vorliegend spricht gegen eine Aufklärungspflicht des B, dass A eine voreilige<br />

Unterschrift hätte ablehnen und sich vor Unterzeichung des Vertrags erst einmal hätte<br />

informieren können. Zudem liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass B den<br />

Eindruck erweckt habe, er werde bei Abschluss des Vertrages die Interessen das A<br />

wahren oder ihn über alle Risiken aufklären. B hat noch nicht einmal bei A<br />

nachgefragt. Schließlich statuiert auch § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III keine zivilrechtlich<br />

sanktionierbare Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer über die Verpflichtung<br />

unverzüglicher Meldung bei der Agentur für Arbeit <strong>zu</strong> informieren (BAG 29.9.2005 NZA<br />

2005, 1406 ff.).<br />

Für eine Aufklärungspflicht spricht allein, dass der Aufhebungsvertrag auf der Initiative<br />

des B beruhte. Eine Entscheidung kann hier jedoch dahinstehen, da es jedenfalls an<br />

dem erforderlichen subjektiven Merkmal der Arglist fehlt. Aus dem Sachverhalt ist nicht<br />

ersichtlich, dass B von den Folgen Kenntnis hatte und diese vorsätzlich verschwiegen<br />

hat.<br />

bb)<br />

Zwischenergebnis<br />

Mithin liegt kein Anfechtungsgrund vor, so dass keine wirksame Anfechtung gem.<br />

§§ 142, 123 BGB in der Erklärung des A lag.<br />

Anm.: Eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB wegen Inhaltsirrtums scheidet aus, da<br />

es sich bei dem Irrtum über die sozialrechtlichen Konsequenzen nur um einen<br />

unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum handelt (s. etwa BAG v. 16.2.1983 NJW 1983,<br />

2958, in dem die Rechtsprechung einer schwangeren Arbeitnehmerin, die sich bei<br />

Abschluss eines Aufhebungsvertrags über die mutterschutzrechtlichen Konsequenzen<br />

irrte, kein Anfechtungsrecht aus § 119 BGB <strong>zu</strong>gestand).<br />

II. Ergebnis<br />

Der am 5.6.2005 geschlossene Aufhebungsvertrag wurde daher weder wirksam<br />

widerrufen noch angefochten. Der Aufhebungsvertrag ist wirksam und das<br />

Arbeitsverhältnis wirksam <strong>zu</strong>m 1.7.2005 beendet worden.<br />

Seite 7<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

B . A B W A N D L U N G :<br />

B könnte die Leistung einstellen, wenn er die Weihnachtsgratifikation wirksam gem.<br />

§ 2 des Arbeitsvertrages widerrufen hätte.<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür wäre, dass die Vereinbarung in § 2 des Arbeitsvertrages wirksam<br />

gewesen wäre. Vorliegend kommt ein Verstoß gegen §§ 305 ff BGB von Betracht.<br />

I. Vorliegen von AGB<br />

1. „Vielzahl für Verträge“ vorformuliert<br />

§ 2 des Arbeitsvertrages ist für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert. B verwendet<br />

diese Klausel in allen Arbeitsverträgen in seinem Betrieb. Auch wurde sie von B<br />

gestellt.<br />

2. Ausgehandelt?<br />

Möglicherweise konnte C jedoch auf den Vertragsinhalt Einfluss nehmen. Dann läge<br />

nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB schon keine AGB vor. Eine solche sog.<br />

Individualvereinbarung setzt jedoch mehr als bloßes Verhandeln voraus. Der<br />

Verwender muss den Kerngehalt einer Klausel vielmehr inhaltlich ernsthaft <strong>zu</strong>r<br />

Disposition gestellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit eingeräumt<br />

haben. C möchte zwar mehr Weihnachtsgeld, aber B lässt sich nicht darauf ein. B stellt<br />

<strong>mit</strong>hin die Klausel nicht ernsthaft <strong>zu</strong>r Disposition und räumt C keinerlei<br />

Gestaltungsspielraum ein. So<strong>mit</strong> ist die Klausel nicht ausgehandelt.<br />

Folglich ist die Klausel über die Weihnachtsgratifikation eine allgemeine<br />

Geschäftsbedingung gem. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

II. Einbeziehung von AGB<br />

Die Klausel wurde auch wirksam <strong>mit</strong>einbezogen. Ob B ausdrücklich im Sinne des<br />

§ 305 Abs. 2 BGB auf die Klausel hingewiesen hat, kann dahinstehen, da diese<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ng gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB im Arbeitsrecht keine Anwendung findet.<br />

III. Auslegung von AGB<br />

§ 2 des Arbeitsvertrages gewährt C eine freiwillige Weihnachtsgratifikation. Zugleich<br />

hat B in der Klausel festgehalten, dass er sich vorbehalte, die freiwillige Leistung<br />

jederzeit <strong>zu</strong> widerrufen.<br />

Für eine angemessene Inhaltskontrolle gilt es <strong>zu</strong> differenzieren, ob es sich bei dem<br />

Vorbehalt um einen Freiwilligkeits- oder um einen Widerrufsvorbehalt handelt.<br />

Bei einem WIDERRUFSVORBEHALT entsteht der Anspruch des Arbeitnehmers auf die<br />

gewährte Leistung. Dieser kann nachträglich widerrufen werden. Beim<br />

FREIWILLIGKEITSVORBEHALT hingegen entsteht erst gar kein Anspruch. Der<br />

Arbeitgeber behält sich vor, vor jeder Einzelleistung neu über das Ob und Wie der<br />

Gewährung <strong>zu</strong> entscheiden. Da<strong>mit</strong> kann er die Leistung jederzeit einstellen.<br />

Anm.: Formulierungen, nach denen die Leistung „freiwillig und unter dem Vorbehalt des<br />

jederzeitigen Widerrufs“ gewährt wird, die <strong>mit</strong>hin Elemente des Freiwilligkeits- und<br />

Widerrufsvorbehalts kombinieren, sind grds. unangemessen benachteiligend und<br />

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Lösung <strong>Fall</strong> 5<br />

intransparent (ErfK/Preis, §§ 305-310 BGB Rn. 70 m.w.N.). Die Klausel kann aber als<br />

Widerrufsvorbehalt weiterhin Bestand haben, wenn der (unwirksame, da<strong>zu</strong> BAG v.<br />

30.7.2008 NZA 2008, 1173) Freiwilligkeitsvorbehalt als teilbare Klausel gestrichen<br />

werden kann (LAG Brandenburg v. 10.1.2008 – 20 Sa 1636/07, Revision eingelegt<br />

unter dem Az: 10 AZR 219/08). Käme man vorliegend nicht <strong>zu</strong> dem Ergebnis, dass der<br />

Vorbehalt insgesamt als Widerrufsvorbehalt aus<strong>zu</strong>legen ist, könnte man sie in einen<br />

(unwirksamen) Freiwilligkeit- und einen (wirksamen) Widerrufsvorbehalt aufteilen.<br />

Vorliegend hat B die Leistung als freiwillig bezeichnet. Die bloße Bezeichnung einer<br />

Leistung als „freiwillig“ genügt jedoch nicht <strong>zu</strong>r Annahme eines<br />

Freiwilligkeitsvorbehalts, da aus ihr lediglich hervorgeht, dass der Arbeitgeber die<br />

Leistung gewähren will, ohne hier<strong>zu</strong> durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder<br />

Gesetz verpflichtet <strong>zu</strong> sein.<br />

Entscheidend ist vielmehr, dass sich der Arbeitgeber grundsätzlich <strong>zu</strong>r Gewährung von<br />

Weihnachtsgeld verpflichtet sieht und sich lediglich ein Widerrufsrecht einräumt. Der<br />

Vorbehalt soll das Recht des B begründen, die versprochene Leistung einseitig <strong>zu</strong><br />

ändern. Gegen einen Freiwilligkeitsvorbehalt spricht <strong>zu</strong>dem die ausdrückliche<br />

Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts. Eines solchen bedürfte es bei einem<br />

Freiwilligkeitsvorbehalt nicht.<br />

Vorliegend ist daher in § 2 des Arbeitsvertrages ein Widerrufsvorbehalt an<strong>zu</strong>erkennen.<br />

IV. Angemessenheitskontrolle (§ 308 Nr.4 BGB)<br />

1. Zulässigkeit des Widerrufvorbehalts<br />

Fraglich ist jedoch, ob dieser Widerrufsvorbehalt wirksam ist.<br />

Anm.: Grundsätzlich verbietet das Gesetz nicht, Vergütungstatbestandteile als<br />

widerruflich aus<strong>zu</strong>gestalten, wenn wirtschaftliche Gründe für einen Widerruf vorliegen.<br />

Allerdings stellt der Widerrufsvorbehalt eine von den Rechtsvorschriften abweichende<br />

Regelung im Sinne des § 307 Abs. 3 BGB dar, denn er modifiziert den im Vertragsrecht<br />

grundlegenden Grundsatz „pacta sunt servanda“ (BAG 12.01.2005 NZA 2005, 465 ff.).<br />

Er könnte gegen § 308 Nr. 4 BGB verstoßen. Demnach ist eine Klausel un<strong>zu</strong>lässig, in<br />

der das Recht des Verwenders, die versprochene Leistung <strong>zu</strong> ändern oder von ihr<br />

ab<strong>zu</strong>weichen, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter<br />

Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil<br />

<strong>zu</strong>mutbar ist, begründet wird.<br />

Nach der Rechtsprechung ist daher das Widerrufsrecht gem. § 308 Nr. 4 BGB<br />

grundsätzlich <strong>zu</strong>mutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern<br />

wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung<br />

notwendig ist.<br />

Auch im Arbeitsverhältnis muss in diesem Sinne ein Grund für den Widerruf bestehen.<br />

Dabei sind die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen <strong>zu</strong><br />

berücksichtigen. Maßgeblich bei der Frage nach Zumutbarkeit der Klausel ist dabei die<br />

gebotene Interessenabwägung. So ist einerseits <strong>zu</strong> berücksichtigen, dass der<br />

Arbeitgeber wegen der Ungewissheit wirtschaftlicher Entwicklung ein<br />

anerkennenswertes Interesse daran hat, Zusatzleistungen flexibel aus<strong>zu</strong>gestalten.<br />

Andererseits darf aber nicht das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer verlagert<br />

werden. Eingriffe in den Kernbereich des Arbeitsvertrages sind nach Wertung des<br />

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§ 307 Abs. 2 BGB nicht <strong>zu</strong>lässig. Daraus folgert das BAG, dass ein Widerrufsvorbehalt<br />

nur <strong>zu</strong>lässig ist, wenn der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25 bis 30 %<br />

liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird.<br />

Vorliegend überschreitet die Weihnachtsgratifikation diesen Umfang nicht.<br />

Fraglich ist jedoch, ob ein hinreichender Grund für das Widerrufsrecht vorlag.<br />

Grundsätzlich ging es B im Jahre 2006 schlecht. Wirtschaftliche Gründe sind auch von<br />

der Rechtsprechung <strong>zu</strong>lässige Widerrufsgründe im Rahmen des Widerrufsvorbehalts.<br />

2. Bestimmtheit der Klauselformulierung<br />

Wenngleich die inhaltlichen Anforderungen für einen Widerrufsvorbehalt gegeben sind,<br />

könnte § 2 des Arbeitsvertrags dennoch aus formellen Gründen unwirksam sein. Ein<br />

wirksamer Widerrufsvorbehalt erfordert nicht nur, dass tatsächlich <strong>zu</strong>lässige<br />

Widerrufsgründe vorliegen. Vielmehr verlangen die §§ 308, Nr. 4, 307 BGB auch, dass<br />

die Klauselformulierung bereits tatbestandlich dahingehend eingeschränkt wird. Die<br />

Bestimmung muss die Angemessenheit und Zumutbarkeit erkennen lassen. Der<br />

Maßstab von §§ 307 Abs. 2, 308 Nr. 4 BGB muss nach dem Text der Klausel <strong>zu</strong>m<br />

Ausdruck kommen. Dabei müssen die Vorausset<strong>zu</strong>ngen und der Umfang der<br />

vorbehaltenen Änderung möglichst konkretisiert werden. Der Arbeitnehmer muss<br />

sehen „was auf ihn <strong>zu</strong>kommt“. Die Klausel muss also bestimmte Gründe nennen, d.h.<br />

die Richtung angeben (wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des<br />

Arbeitnehmers), bei deren Vorliegen – und zwar nur dann – der Arbeitgeber berechtigt<br />

ist, die Leistung <strong>zu</strong> widerrufen sowie die Höhe. Dies gebietet im Übrigen auch das<br />

Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. (hier<strong>zu</strong> unbedingt lesen: BAG 12.01.2005<br />

NZA 2005, 465 ff.)<br />

Vorliegend ist der Widerruf in das völlige Belieben des B gestellt. § 2 des<br />

Arbeitsvertrages lässt weder die Vorausset<strong>zu</strong>ngen noch den Umfang des<br />

Widerrufsvorbehalts erkennen. Da<strong>mit</strong> wird die Klausel den formellen Anforderungen<br />

des §§ 308 Nr. 4, 307 BGB nicht gerecht.<br />

V. Rechtsfolge<br />

1. Unwirksamkeit der Klausel<br />

Gem. § 306 Abs. 1 BGB berührt die Unwirksamkeit der Klausel nicht den Vertrag im<br />

Gesamten, so dass nur der Widerrufsvorbehalt an sich gem. § 308 Nr. 4 BGB<br />

unwirksam ist.<br />

2. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion<br />

Fraglich ist jedoch, ob die Klausel dergestalt geltungserhaltend reduziert werden kann,<br />

dass der Widerruf nur bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten erfolgen soll.<br />

Vor der Schuldrechtsreform befürwortete das BAG regelmäßig die geltungserhaltende<br />

Reduktion überschießender Vertragsbedingungen. Mit der Geltung des AGB-Rechts<br />

für Arbeitsverträge (§ 310 Abs. 4 BGB) gilt das (vom BGH in st. Rspr. immer schon<br />

vertretene) Verbot der geltungserhaltenden Reduktion unangemessener Klauseln<br />

(§ 306 Abs. 2 BGB) uneingeschränkt nunmehr auch bei vorformulierten<br />

Arbeitsbedingungen (so jetzt auch BAG 4.3.2004 AP BGB § 309 Nr. 3).<br />

Besonderheiten des Arbeitsrechts (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) stehen dem nicht<br />

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entgegen. Es ist nicht <strong>zu</strong> begründen, warum der Zweck des Verbots der<br />

geltungserhaltenden Reduktion, das Risiko der Unwirksamkeit vorformulierter Klauseln<br />

ungeschmälert beim Verwender <strong>zu</strong> belassen und ihn nicht noch für das Stellen<br />

unangemessener Vertragsbedingungen <strong>zu</strong> „belohnen“, nicht auch im Arbeitsverhältnis<br />

<strong>mit</strong> seiner typischen Vertragsdisparität gelten soll.<br />

So<strong>mit</strong> scheidet eine geltungserhaltende Reduktion der Widerrufsklausel aus; sie ist<br />

daher grundsätzlich unwirksam.<br />

3. Ergänzende Vertragsauslegung bei Altverträgen ?<br />

Problematisch ist jedoch, dass B und C den Arbeitsvertrag vor der Schuldrechtsreform,<br />

d.h. vor dem 1.1.2002 geschlossen haben. Dem<strong>zu</strong>folge konnte B bei Abschluss des<br />

Arbeitsvertrages noch nicht berücksichtigen, dass ab 1. 1. 2002 die §§ 305 ff. BGB in<br />

Kraft treten würden. Würde die Regelung ohne Ersatzregelung für unwirksam erklärt,<br />

könnte dies gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei rückwirkenden<br />

Gesetzen verstoßen.<br />

In diesem Sinne hat auch das BAG entschieden, dass bei Widerrufsklauseln in<br />

Arbeitsverträgen, die vor dem 1. 1. 2002 geschlossen wurden (Altverträgen), die<br />

unwirksame Vertragsklausel nicht ersatzlos wegfällt. Vielmehr muss gem. § 306 Abs. 2<br />

BGB die entstandene Lücke durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen<br />

werden (BAG 12.01.2005 NZA 2005, 465 ff.).<br />

Es ist daher <strong>zu</strong> fragen, was B und C vereinbart hätten, wenn sie die Regelungen der<br />

§§ 305 ff. gekannt hätten. Es liegt nahe, dass die Parteien bei Kenntnis der neuen<br />

gesetzlichen Anforderungen die Widerrufsmöglichkeit <strong>zu</strong>mindest bei wirtschaftlichen<br />

Verlusten, wie sie bei B bestehen, vorgesehen hätten. C hätte dem redlicherweise<br />

nicht widersprochen. Eine solche Bestimmung wäre auch <strong>zu</strong>mutbar gewesen und hätte<br />

den C nicht unangemessen benachteiligt.<br />

Demnach ist der Widerrufsvorbehalt dahingehend aus<strong>zu</strong>legen, dass ein Widerruf bei<br />

erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten <strong>zu</strong>lässig ist. Allerdings darf der Widerruf,<br />

wie oben dargelegt, nicht in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingreifen und<br />

dem<strong>zu</strong>folge nicht mehr als 20 – 25 % der Gesamtvergütung widerrufen. Dies liegt hier<br />

nicht vor.<br />

Für eine anschließende unwirksame Ausübung des Widerrufs ist nichts ersichtlich.<br />

Anm.: Auch die Ausübung des Widerrufvorbehalts ist kontrollfähig. So überprüft<br />

das Gericht auch, ob die tatsächlichen Vorausset<strong>zu</strong>ngen für einen wirksamen Widerruf<br />

vorlagen (d.h. wirtschaftliche Schwierigkeiten). Zudem unterliegt die Ausübung des<br />

Widerrufs auch der Kontrolle gem. § 315 BGB. Schließlich können auch Verstöße<br />

gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz <strong>zu</strong>r Unwirksamkeit des grundsätzlich<br />

<strong>zu</strong>lässigen Widerrufs führen.<br />

4. Ergebnis<br />

Da<strong>mit</strong> konnte B die Weihnachtsgratifikation wirksam widerrufen.<br />

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