Fall 2 mit Lösung
Fall 2 mit Lösung
Fall 2 mit Lösung
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht SS 2009<br />
<strong>Fall</strong> 2<br />
<strong>Fall</strong> 2<br />
Kann der eine, will der andere nicht und umgekehrt!!!<br />
<strong>Fall</strong> A<br />
A betreibt ein Unternehmen, das sich <strong>mit</strong> der Herstellung verschiedener<br />
Keramikartikel befasst. Das Unternehmen besteht aus zwei Filialen, die sich in den<br />
nahe gelegen Orten M und E befinden.<br />
Als der A vermehrt wirtschaftliche Verluste erleidet, beschließt er, für die<br />
Fertigungsabteilung ein Ruhen der Arbeitspflicht bei gleichzeitigem Ruhen der<br />
Entgeltzahlungspflicht für einen Zeitraum von 3 Wochen im Herbst 2006<br />
anzuordnen.<br />
Dies will D, der in der Fertigung tätig ist, nicht akzeptieren, da er auf das Geld<br />
angewiesen ist. Daher erscheint er am nächsten Tag an seinem Arbeitsplatz und<br />
meint „sein Recht auf Arbeit“ könne man ihm nicht nehmen. A schickt ihn aber unter<br />
Hinweis auf die getroffene Anordnung nach Hause.<br />
D verlangt dennoch Zahlung seines Gehalts. Zu Recht?<br />
Abwandlung 1:<br />
Wie wäre es, wenn A kurz vor Anordnung der Kurzarbeit dem D <strong>mit</strong>teilt, dass dieser<br />
nunmehr nicht mehr in M, sondern in E arbeitet? A bezieht sich dafür auf den<br />
Arbeitsvertrag, in dem vereinbart ist, dass D je nach Arbeitsanfall in M oder E<br />
arbeite. D erscheint jedoch an seinem alten Arbeitsplatz und bietet dort seine<br />
Arbeitsleistung an.<br />
Abwandlung 2:<br />
Kann D sein Gehalt verlangen, wenn A ihn anweist, anstatt an seinem bisherigen<br />
(vertraglich nicht vereinbarten) Arbeitstag (Dienstag), nunmehr <strong>mit</strong>twochs zu<br />
arbeiten, D aber weiterhin dienstags erscheint?<br />
<strong>Fall</strong> B<br />
Die wirtschaftliche Situation des A verbessert sich nicht. Daher beschließt A, künftig<br />
ausschließlich Keramikteile für Kriegswaffen herzustellen. D, der bislang <strong>mit</strong> der<br />
Herstellung von Tellern und Tassen betraut war, ist Pazifist und weigert sich, die<br />
neue Tätigkeit anzutreten. A weist darauf hin, dass im Arbeitsvertrag unter<br />
„Tätigkeitsbeschreibung“ nur aufgeführt ist, dass D <strong>mit</strong> der Herstellung von<br />
Keramikprodukten beschäftigt wird. Die Arbeitspflicht des D erstrecke sich also auch<br />
auf Waffenteile aus Keramik. D meint, er habe sich bei der Einstellung darauf<br />
verlassen, Teller und Tassen herzustellen. Man könne ihn jetzt ja wohl nicht<br />
zwingen, Waffenteile zu produzieren. Das könne er <strong>mit</strong> seinem Gewissen nicht<br />
vereinbaren.<br />
Kann A von D die Mitarbeit in der Waffenproduktion verlangen? Kann D von A<br />
Vergütung verlangen, obwohl er nicht arbeitet?<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
Inhalt:<br />
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HAUPTLEISTUNGSPFLICHTEN DES ARBEITGEBERS: ENTGELTZAHLUNG<br />
UND BESCHÄFTIGUNG<br />
Suspendierung der Hauptleistungspflichten<br />
Annahmeverzug iSd § 615 BGB<br />
Fixschuld der Arbeitsleistung<br />
HAUPTLEISTUNGSPFLICHTEN DES ARBEITNEHMERS<br />
Direktionsrecht<br />
Grundrechte im Arbeitsverhältnis<br />
<strong>Fall</strong> A (Kurzarbeit)...............................................................................................3<br />
I. Anspruch entstanden .................................................................................3<br />
II. Anspruch untergegangen? .........................................................................3<br />
1. Gem. § 326 Abs. 1 Hs. 1 BGB? .............................................................3<br />
a) Unmöglichkeit gem. § 275 BGB ..........................................................3<br />
b) Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung................................................3<br />
2. Zwischenergebnis: Anspruch untergegangen .........................................3<br />
3. Entgeltfortzahlung bei Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB).......................4<br />
a) Abgrenzung Annahmeverzug zur Unmöglichkeit.................................4<br />
b) Voraussetzungen des Annahmeverzug...............................................5<br />
aa) ‽ Erfüllbarer Anspruch ...................................................................5<br />
(1) Zulässige Suspendierung der Beschäftigungspflicht..................5<br />
(2) Zulässige Suspendierung der Entgeltzahlungspflicht.................6<br />
bb) Ordnungsgemäßes Angebot..........................................................6<br />
cc) Möglichkeit und Nichtannahme der Leistung .................................6<br />
c) Zwischenergebnis ...............................................................................6<br />
III. Ergebnis .................................................................................................6<br />
Abwandlung 1 (Arbeitsort).................................................................................6<br />
I. Anspruch entstanden .................................................................................6<br />
II. Anspruch untergegangen ...........................................................................6<br />
1. Gem. § 326 Abs. 1 HS. 1 BGB................................................................6<br />
2. Entgeltfortzahlung gem. § 615 S. 1 BGB wegen Annahmeverzugs.........7<br />
a) Abgrenzung zur Unmöglichkeit............................................................7<br />
b) Voraussetzungen des Annahmeverzugs .............................................7<br />
aa) Erfüllbarer Anspruch......................................................................7<br />
bb) Ordnungsgemäßes Angebot..........................................................7<br />
cc) ‽ Konkretisierung des Leistungsortes <strong>mit</strong>tels Direktionsrecht ........7<br />
dd) Zwischenergebnis .........................................................................7<br />
III. Ergebnis .................................................................................................8<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
Abwandlung 2 (Arbeitszeit)................................................................................9<br />
I. Anspruch auf Zahlung des Entgelts gem. § 611 BGB i.V.m. Arbeitsvertrag 9<br />
II. Anspruch entstanden .................................................................................9<br />
III.<br />
Anspruch untergegangen........................................................................9<br />
1. Gem. § 326 Abs. 1 HS. 1 BGB................................................................9<br />
2. Entgeltfortzahlung gem. § 615 S. 1 BGB wegen Annahmeverzug ..........9<br />
a) Abgrenzung zur Unmöglichkeit............................................................9<br />
b) Voraussetzungen des Annahmeverzugs .............................................9<br />
aa)<br />
bb)<br />
Ordnungsgemäßes Angebot..........................................................9<br />
Einseitige Änderung der Lage der Arbeitszeit................................9<br />
c) Zwischenergebnis ...............................................................................9<br />
<strong>Fall</strong> B (Gewissenskonflikt) ...............................................................................11<br />
I. Anspruch A gegen D auf Arbeitsleistung in der Waffenproduktion gem.<br />
§ 611 Abs. 1 BGB i.V.m. Arbeitsvertrag...........................................................11<br />
II.<br />
1. Anspruch entstanden?..........................................................................11<br />
2. Anspruch untergegangen gem. § 275 Abs. 3 BGB?..............................11<br />
a) persönliche Leistung iSv § 275 Abs. 3 BGB ......................................11<br />
b) unzumutbar .......................................................................................11<br />
3. Ergebnis ...............................................................................................12<br />
Vergütungsanspruch des D......................................................................12<br />
1. Anspruch entstanden............................................................................12<br />
2. Anspruch untergegangen......................................................................12<br />
a) Gem. § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB? .................................................12<br />
b) Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB? ................................................13<br />
c) Annahmeverzug nach § 615 BGB? ...................................................13<br />
3. Ergebnis ...............................................................................................13<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
F A L L A ( K U R Z A R B E I T )<br />
Anspruch auf Zahlung des Lohns gem. § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag<br />
D könnte einen Anspruch auf Zahlung seines Entgelts gem. § 611 BGB i.V.m. dem<br />
Arbeitsvertrag haben.<br />
I. Anspruch entstanden<br />
Grundsätzlich ist <strong>mit</strong> Abschluss des Arbeitsvertrages ein Anspruch des D auf<br />
Arbeitslohn entstanden.<br />
II. Anspruch untergegangen?<br />
1. Gem. § 326 Abs. 1 Hs. 1 BGB?<br />
Der Anspruch könnte jedoch wegen Nichtleistung des D gem. § 326 Abs. 1 HS. 1<br />
BGB untergegangen sein. Nach dieser Norm entfällt der Anspruch auf die<br />
Gegenleistung, wenn dem Schuldner die Erbringung der Leistung unmöglich<br />
geworden ist. § 326 Abs. 1 Hs. 1 BGB findet auch auf das Arbeitsverhältnis<br />
Anwendung, so dass grundsätzlich gilt: „Ohne Arbeit kein Lohn“.<br />
Vorliegend hat D für den Zeitraum ab Herbst 2006 keine Arbeitsleistung mehr<br />
erbracht. Allerdings entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung nur, wenn die<br />
Leistung dem Schuldner unmöglich geworden ist. Andernfalls bliebe der Schuldner<br />
zur Leistung und der Gläubiger zur Gegenleistung verpflichtet.<br />
a) Unmöglichkeit gem. § 275 BGB<br />
Voraussetzung wäre daher, dass die Leistung des D unmöglich im Sinne des § 275<br />
BGB geworden sein. Dies erscheint fraglich, denn grundsätzlich wäre es dem D<br />
möglich die Arbeitsleistung an einem anderen Tag zu erbringen. Die Nachholbarkeit<br />
der Leistung schließt grundsätzlich die Unmöglichkeit der Leistung aus.<br />
b) Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung<br />
Gegen eine Nachholbarkeit und <strong>mit</strong>hin für eine Unmöglichkeit spricht jedoch der<br />
Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung. Nach der h.M. ist der Arbeitnehmer nicht<br />
nur zur Arbeitsleistung im Allgemeinen verpflichtet, sondern hat grundsätzlich seine<br />
Arbeitsleistung zum vereinbarten Zeitpunkt am vereinbarten Ort zu erbringen.<br />
Wegen dieses Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung ist sie im Allgemeinen auch<br />
nicht nachholbar. Mit Nichtleistung zum vereinbarten Zeitpunkt tritt daher<br />
Unmöglichkeit ein, so dass der Vergütungsanspruch grundsätzlich gem. § 326 BGB<br />
Abs. 1 Hs. 1 HGB erloschen ist.<br />
2. Zwischenergebnis: Anspruch untergegangen<br />
Da<strong>mit</strong> wäre die Leistung des D unmöglich geworden und sein Anspruch auf die<br />
Gegenleistung aus § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag gem. § 326 Abs. 1 Hs. 1<br />
BGB untergegangen.<br />
Ein Anspruch aus § 611 BGB besteht <strong>mit</strong>hin grundsätzlich nicht mehr.<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
3. Entgeltfortzahlung bei Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB)<br />
Der Anspruch könnte jedoch ausnahmsweise trotz Unmöglichkeit gem. §§ 293 ff.,<br />
615 S. 1 BGB fortbestehen. Demnach behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf<br />
Zahlung des Arbeitslohns, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der<br />
Dienstberechtigte <strong>mit</strong> der Annahme der Dienste in Verzug gerät.<br />
Indem A den D nach Hause geschickt und <strong>mit</strong>hin die Annahme der Arbeitsleistung<br />
verweigert hat, könnte sich A in Annahmeverzug befunden haben.<br />
Anm.: § 615 BGB regelt die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers,<br />
die Voraussetzungen des Annahmeverzugs ergeben sich aus den allgemeinen<br />
§§ 293 ff. BGB.<br />
Gegenüber § 326 Abs. 2 BGB ist § 615 BGB lex specialis.<br />
a) Abgrenzung Annahmeverzug zur Unmöglichkeit<br />
Gegen einen Annahmeverzug könnte jedoch der Fixschuldcharakter der<br />
Arbeitsleistung sprechen. Wie oben dargelegt führt dieser Fixschuldcharakter dazu,<br />
dass bei Nichtannahme der Arbeitsleistung diese zugleich unmöglich wird.<br />
Voraussetzung für den Annahmeverzug ist aber, dass dem Schuldner die Leistung<br />
noch möglich ist (§ 297 BGB). Insofern schließen sich Annahmeverzug und<br />
Unmöglichkeit aus.<br />
Würde man an diesen Gegebenheiten konsequent festhalten, bestünde für die<br />
Regelung des § 615 S. 1 BGB eigentlich kein Anwendungsfall, denn diese setzt<br />
nach dem Wortlaut die Nachholbarkeit der Arbeitsleistung voraus.<br />
Um diesen Widerspruch zu überwinden, haben sich in Rechtsprechung und Literatur<br />
verschiedene Lösungswege herausgebildet.<br />
Nach der bis heute herrschenden Meinung soll zur Abgrenzung allein maßgeblich<br />
sein, ob dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung unmöglich geworden ist, obwohl der<br />
Arbeitgeber zur Annahme bereit war (Abstrahierungsformel) (Merke: Arbeitgeber<br />
will, aber kann nicht beschäftigen): Dann läge Unmöglichkeit vor; Fälle der<br />
Unmöglichkeit wegen Realisierung eines Betriebs- oder Wirtschaftsrisikos wären<br />
dann nach der (jetzt in § 615 S.3 BGB geregelten) Betriebsrisikolehre zu lösen. Nur<br />
bei der bloßen Annahmeunwilligkeit (Arbeitgeber kann beschäftigen, will aber nicht)<br />
läge Annahmeverzug nach § 615 S.1 BGB vor.<br />
Vorliegend wäre es D grundsätzlich möglich gewesen, seine Arbeitsleistung zu<br />
erbringen. Lediglich A wollte diese Leistung nicht annehmen. Demnach hätte sich A<br />
in Annahmeverzug versetzt und § 615 S. 1 BGB wäre anwendbar gewesen.<br />
Eine weitere Ansicht will die Unterscheidung allein danach treffen, ob die Leistung<br />
noch tatsächlich nachholbar ist. Liegt eine nachholbare Leistung vor, so liege<br />
Annahmeverzug und keine Unmöglichkeit vor. Da<strong>mit</strong> bedient sich diese Ansicht dem<br />
auch im allgemeinen Schuldrecht verwandten Kriterium der Nachholbarkeit. Auch<br />
nach dieser Ansicht, hätte sich A in Annahmeverzug befunden. Die Leistung des D<br />
wäre tatsächlich nachholbar gewesen.<br />
Eine dritte im Vordringen befindliche Ansicht, will auch die Fälle der<br />
Annahmeunmöglichkeit von § 615 S. 1 BGB erfasst wissen. Demnach würde die<br />
Vorschrift auch alle Fälle regeln, bei denen aufgrund der Nichtannahme nicht nur<br />
Verzug, sondern auch Unmöglichkeit eintritt. Mithin wäre auch nach dieser Ansicht<br />
§ 615 BGB anwendbar.<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
Demnach gelangen alle Ansichten zur Anwendbarkeit des § 615 S. 1 BGB. Mithin ist<br />
eine Streitentscheidung entbehrlich.<br />
Anm.: Für die letzte Ansicht spricht der neu eingefügte § 615 S. 3 BGB. Dieser stellt<br />
klar, dass § 615 S. 1 BGB auch dann anzuwenden ist, wenn dem Arbeitgeber die<br />
Annahme der Arbeitsleistung unmöglich geworden ist. (vgl. ErfK/Preis, § 615 BGB<br />
Rn. 7).<br />
b) Voraussetzungen des Annahmeverzug<br />
Nunmehr müssten auch die Voraussetzungen des Annahmeverzugs vorliegen.<br />
Diese bestimmen sich nach den §§ 294 ff BGB.<br />
aa)<br />
‽ Erfüllbarer Anspruch<br />
Vorerst müsste ein Anspruch des Gläubigers, der für den Schuldner erfüllbar ist,<br />
bestehen. Grundsätzlich bestand ein Anspruch des A auf die Arbeitsleistung des D.<br />
Fraglich ist jedoch, ob der Anspruch auf die Arbeitsleistung zum Zeitpunkt des<br />
Leistungsangebots des D noch bestand. Dieser könnte durch die Anordnung der<br />
Kurzarbeit entfallen sein.<br />
(1) Zulässige Suspendierung der Beschäftigungspflicht<br />
Fraglich ist, ob der Arbeitgeber einseitig Kurzarbeit anordnen kann. Dagegen könnte<br />
sprechen, dass der Arbeitgeber <strong>mit</strong> der Anordnung von Kurzarbeit die vertraglichen<br />
Hauptleistungspflichten, namentlich die Beschäftigungs- und<br />
Entgeltzahlungspflicht, einseitig suspendiert.<br />
Das Recht auf Suspendierung der Hauptleistungspflicht steht grundsätzlich zur<br />
Disposition der Parteien. Demnach können die Parteien durch eine individuelle<br />
Vereinbarung das Ruhen der Beschäftigungspflicht anordnen. Liegt eine<br />
Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag <strong>mit</strong> Regelungen bezüglich Kurzarbeit vor so,<br />
kann der Arbeitgeber auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers einseitig<br />
Kurzarbeit anordnen.<br />
Darüber hinaus sind an die Zulässigkeit der einseitigen Suspendierung der<br />
Beschäftigungspflicht sehr hohe Anforderungen zu stellen. Die dem Arbeitgeber<br />
grundsätzlich obliegende Beschäftigungspflicht wird aus der Treuepflicht des<br />
Arbeitgebers gem. § 242 BGB hergeleitet wobei die verfassungsrechtlichen<br />
Wertentscheidungen aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG <strong>mit</strong> einfließen. Das<br />
Recht auf Beschäftigung ist Bestandteil des Persönlichkeitsrechts.<br />
Demnach ist die einseitige Suspendierung der Beschäftigungspflicht grundsätzlich<br />
nicht möglich (BAG 21. 9. 1993 AP Bildungsurlaubs NRW § 1 Nr. 6). Nur in engen<br />
Ausnahmefällen, kann eine Freistellung unter Berücksichtigung der Interessen des<br />
Arbeitnehmers zulässig sein, wenn für den Arbeitgeber Gründe vorliegen, die ihm<br />
eine Weiterbeschäftigung unzumutbar erscheinen lassen und eine sofortige<br />
Reaktion des Arbeitgebers erfordern. Eine solche Unzumutbarkeit kann etwa<br />
gegeben sein bei einem Wegfall der Vertrauensgrundlage (z.B. auch bei strafbaren<br />
Handlungen), fehlender Einsatzmöglichkeit oder der Gefahr des Geheimnisbruchs.<br />
Wirtschaftliche Schwankungen allein reichen nicht aus, doch kann anderes gelten<br />
im <strong>Fall</strong>e einer außerordentlichen wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers, um<br />
eine einseitige Suspendierung der Leistungspflicht anzuordnen.<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
A hat hier die Kurzarbeit „Null“ lediglich wegen (nicht außerordentlicher)<br />
wirtschaftlicher Engpässe angeordnet. Da<strong>mit</strong> war die Anordnung unzulässig.<br />
(2) Zulässige Suspendierung der Entgeltzahlungspflicht<br />
Wie oben bereits dargelegt, steht es den Parteien frei die Hauptleistungspflichten<br />
einvernehmlich im Arbeitsvertrag bzw. <strong>mit</strong>tels TV oder BV zu suspendieren. Eine<br />
einseitige Suspendierung der Entgeltzahlungspflicht scheidet jedoch aus. Selbst,<br />
wenn der Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht ausnahmsweise zulässig<br />
suspendiert (Bsp.: starker Verdacht strafbarer Handlung), berechtigt dies nicht zur<br />
einseitigen Suspendierung der Entgeltzahlungspflicht. Die Entgeltzahlungspflicht<br />
besteht fort (ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 567).<br />
Mithin war auch die Suspendierung der Entgeltzahlungspflicht unzulässig.<br />
bb)<br />
Ordnungsgemäßes Angebot<br />
Des Weiteren müsste D die Leistung ordnungsgemäß angeboten haben. Dies<br />
bedeutet, dass der Schuldner (Arbeitnehmer) die geschuldete Leistung tatsächlich<br />
und in der Art und Weise, wie sie geschuldet wird angeboten hat (§ 294 BGB). Dies<br />
bedeutet, dass der Schuldner die Leistung auch am vereinbarten Ort zu erbringen<br />
hat. D war an seinem Arbeitsplatz zur Rechten Zeit am Rechten Ort persönlich<br />
erschienen und hat seine Leistung angeboten.<br />
Mithin lag ein ordnungsgemäßes Angebot des D vor.<br />
cc)<br />
Möglichkeit und Nichtannahme der Leistung<br />
Zudem war die Leistung dem D auch möglich gewesen (§ 297 BGB). Schließlich hat<br />
A die Leistung auch nicht angenommen (§ 293 BGB).<br />
c) Zwischenergebnis<br />
Die Vorschrift des § 615 S. 1 BGB ist vorliegend anwendbar. Zudem sind auch die<br />
Voraussetzungen des Annahmeverzugs erfüllt.<br />
III. Ergebnis<br />
Demnach hat D einen Anspruch auf Zahlung seines vollen Gehalts ohne zur<br />
Nacharbeit verpflichtet zu sein.<br />
Anm.: Sofern eine Kurzarbeitsklausel im Arbeitsvertrag enthalten ist, unterliegt sie<br />
einer Inhaltskontrolle; dabei ist die Gefahr der Umgehung des Kündigungsschutzes<br />
durch die Klausel zu beachten!<br />
A B W A N D L U N G 1 ( A R B E I T S O R T )<br />
I. Anspruch entstanden<br />
II. Anspruch untergegangen<br />
1. Gem. § 326 Abs. 1 HS. 1 BGB<br />
(vgl. oben)<br />
Seite 6
Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
2. Entgeltfortzahlung gem. § 615 S. 1 BGB wegen Annahmeverzugs<br />
Wie oben dargelegt, könnte der Anspruch des D jedoch gem. § 615 S. 1 BGB<br />
erhalten bleiben. Dies setzt voraus, dass sich A in Annahmeverzug befunden hat.<br />
a) Abgrenzung zur Unmöglichkeit<br />
(vgl. oben)<br />
b) Voraussetzungen des Annahmeverzugs<br />
aa)<br />
Erfüllbarer Anspruch<br />
Anm.: Da hier unproblematisch, sollte der Punkt in der Klausur weggelassen werden<br />
bb)<br />
Ordnungsgemäßes Angebot<br />
D müsste seine Leistung jedoch gem. §§ 293 ff BGB ordnungsgemäß angeboten<br />
haben. Entsprechend § 294 BGB liegt ein ordnungsgemäßes Angebot vor, wenn der<br />
Arbeitnehmer seine Leistung am rechten Ort zur rechten Zeit in eigener Person und<br />
in der vereinbarten Art und Weise anbietet.<br />
Bisher hat D in der Filiale in M gearbeitet und auch dort seine Arbeitsleistung<br />
angeboten. A verlangte jedoch den Arbeitseinsatz in E.<br />
cc)<br />
‽ Konkretisierung des Leistungsortes <strong>mit</strong>tels Direktionsrecht<br />
Gem. § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Arbeitszeit näher<br />
bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag,<br />
Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder<br />
gesetzliche Vorschriften festgelegt sind (Direktions-/Weisungsrecht).<br />
Welche Tätigkeit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zuweisen darf, bestimmt sich<br />
daher grundsätzlich nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags, also nach den<br />
Vereinbarungen über Art, Inhalt und Umfang, Ort und Zeit der Arbeit. Dabei darf der<br />
Arbeitgeber im Wege des Direktionsrechts lediglich den durch die Vorgaben des<br />
Arbeitsvertrags gesetzten Rahmen konkretisieren, aber nicht überschreiten.<br />
D und A haben im Arbeitsvertrag vereinbart, dass D je nach Arbeitsanfall in den<br />
verschiedenen Filialen des A arbeiten soll. Demnach oblag es A zu bestimmen, wo<br />
D arbeiten sollte. A hatte dem D <strong>mit</strong>geteilt, dass dieser nunmehr an der Filiale in E<br />
arbeiten solle. Mithin war die Arbeitspflicht des A dahingehend konkretisiert, dass D<br />
nunmehr in E zu arbeiten habe. Diese vertragliche Vereinbarung wird auch nicht<br />
dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber bisher von seinem Direktionsrecht<br />
noch keinen Gebrauch gemacht hat.<br />
dd)<br />
Anm: Fehlt eine Konkretisierung im Arbeitsvertrag, so ist durch Auslegung unter<br />
Berücksichtigung der Umstände zu er<strong>mit</strong>teln, für welchen Arbeitsort der<br />
Arbeitnehmer eingestellt worden ist. (vgl. <strong>Fall</strong> 38 Skript GK Arbeitsrecht Band I)<br />
Zwischenergebnis<br />
Mithin war die Weisung des A rechtmäßig. Der rechte Arbeitsort des D wäre folglich<br />
in E gewesen. D hat jedoch seine Arbeitsbereitschaft am alten Arbeitsplatz in M<br />
angeboten. So<strong>mit</strong> scheidet ein Annahmeverzug des A wegen eines fehlenden<br />
ordnungsgemäßen Angebots aus.<br />
Seite 7
Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
III. Ergebnis<br />
D hat keinen Anspruch gegen A auf Zahlung seines Arbeitslohns ab Herbst 2006.<br />
Seite 8
Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
A B W A N D L U N G 2 ( A R B E I T S Z E I T )<br />
I. Anspruch auf Zahlung des Entgelts gem. § 611 BGB i.V.m. Arbeitsvertrag<br />
II. Anspruch entstanden<br />
III. Anspruch untergegangen<br />
1. Gem. § 326 Abs. 1 HS. 1 BGB<br />
(vgl. oben)<br />
2. Entgeltfortzahlung gem. § 615 S. 1 BGB wegen Annahmeverzug<br />
Wie oben dargelegt, könnte der Anspruch des D jedoch gem. § 615 S. 1 BGB<br />
erhalten bleiben. Dies setzt voraus, dass sich A in Annahmeverzug befunden hat.<br />
a) Abgrenzung zur Unmöglichkeit<br />
(vgl. oben)<br />
b) Voraussetzungen des Annahmeverzugs<br />
aa)<br />
Ordnungsgemäßes Angebot<br />
Ein ordnungsgemäßes Angebot liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine<br />
Arbeitsleistung zur rechten Zeit, am rechten Ort in eigener Person in der<br />
vereinbarten Art und Weise anbietet.<br />
Laut Sachverhalt ist nicht ersichtlich, dass A und D eine bestimmte Lage der<br />
Arbeitszeit vereinbart haben. Allerdings hat D bisher immer am Dienstag gearbeitet,<br />
Fraglich ist daher, ob A die Lage der Arbeitszeit des D einseitig auf den Mittwoch<br />
verschieben darf.<br />
bb)<br />
Einseitige Änderung der Lage der Arbeitszeit<br />
Gem. § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Arbeitszeit näher<br />
bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag,<br />
Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder<br />
gesetzliche Vorschriften festgelegt sind (Direktions-/Weisungsrecht).<br />
Grundsätzlich erstreckt sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers da<strong>mit</strong> auch auf<br />
die Lage der Arbeitszeit, die so<strong>mit</strong> einseitig geändert werden kann. Das gilt auch<br />
dann, wenn in der Vergangenheit über einen mehrjährigen Zeitraum anderweitig<br />
verfahren worden ist und nicht besondere Umstände vorliegen, die einer solchen<br />
Veränderung entgegenstehen (BAG 13.3.2007 AP Nr. 26 zu § 307 BGB).<br />
Laut Sachverhalt existierte auch keine anderweitige individual- oder<br />
kollektivvertragliche Regelung. Mithin war A berechtigt, die Lage der Arbeitszeit<br />
einseitig zu verlegen.<br />
c) Zwischenergebnis<br />
Da<strong>mit</strong> hat D seine Arbeitsleistung am Dienstag nicht ordnungsgemäß angeboten. A<br />
ist so<strong>mit</strong> <strong>mit</strong> der Verweigerung der Annahme nicht in Annahmeverzug geraten.<br />
Seite 9
Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
D hat <strong>mit</strong>hin keinen Anspruch auf Zahlung seines Entgelts.<br />
Anm. : Außerordentlich umstritten und problematisch ist, ob und inwieweit das<br />
Direktionsrecht sich auch auf den Umfang der Arbeitszeit bezieht. Diese Frage ist<br />
grundsätzlich zu verneinen, weil der Umfang der Arbeitszeit zum Kernbestand des<br />
Austauschverhältnisses gehört. Einseitige Veränderungen des Umfangs der<br />
Arbeitszeit, von dem die Höhe der Vergütung abhängt, können daher prinzipiell nur<br />
durch Änderungskündigung erfolgen (BAG 12.12.1984 AP Nr. 6 zu § 2 KSchG<br />
1969).<br />
Seite 10
Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
F A L L B ( G E W I S S E N S K O N F L I K T )<br />
I. Anspruch A gegen D auf Arbeitsleistung in der Waffenproduktion gem.<br />
§ 611 Abs. 1 BGB i.V.m. Arbeitsvertrag<br />
1. Anspruch entstanden?<br />
Zunächst müsste der Anspruch entstanden sein. A und D haben einen<br />
Arbeitsvertrag geschlossen, nach dem sich D allgemein zur Produktion von<br />
Keramikartikeln verpflichtet hat. Fraglich ist allein, ob A den Anspruch dahingehend<br />
konkretisieren durfte, dass er D in der Waffenproduktion einsetzt. Dies könnte sich<br />
aus § 106 Satz 1 GewO ergeben, wonach der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der<br />
Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann<br />
(Weisungs-/Direktionsrecht). Es handelt sich vorliegend um eine Inhaltsbestimmung<br />
innerhalb des arbeitsvertraglich vorgegebenen Rahmens. Auch wenn D zuvor lange<br />
Zeit <strong>mit</strong> der Produktion von Tellern und Tassen betraut war, tritt dadurch<br />
grundsätzlich keine „Konkretisierung“ der vertraglichen Arbeitspflicht auf diese<br />
Tätigkeit ein.<br />
Problematisch könnte hier nur sein, ob die Weisung „billigem Ermessen“ entspricht.<br />
Sie verstößt gegen das Gewissen des D. Da der Begriff des „billigen Ermessens“ in<br />
§ 106 Satz 1 GewO ein „Einfallstor“ für Grundrechte darstellt, könnte dies zu<br />
berücksichtigen sein. Nach überwiegender Ansicht ist das objektive Kriterium des<br />
„billigen Ermessens“ aber nicht geeignet, um Gewissensüberzeugungen zu<br />
berücksichtigen, weil diese für den Arbeitgeber bei Ausübung des Weisungsrechts<br />
meist gar nicht erkennbar sind und <strong>mit</strong> § 275 Abs. 3 BGB ein speziellerer<br />
Anknüpfungspunkt vorhanden ist (a.A. vertretbar).<br />
Da<strong>mit</strong> ist der Anspruch des A auf Arbeitsleistung des D in der Waffenproduktion<br />
entstanden.<br />
2. Anspruch untergegangen gem. § 275 Abs. 3 BGB?<br />
Der Anspruch könnte aber gem. § 275 Abs. 3 BGB untergegangen sein, weil D die<br />
Leistung verweigert hat.<br />
a) persönliche Leistung iSv § 275 Abs. 3 BGB<br />
Es handelt sich um eine persönlich zu erbringende Leistung iSv. § 275 Abs. 3 BGB,<br />
vgl. § 613 BGB.<br />
b) unzumutbar<br />
Die Leistung müsste D „unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden<br />
Hindernisses <strong>mit</strong> dem Leistungsinteresse des Gläubigers“ unzumutbar sein, § 275<br />
Abs. 3 BGB. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Unzumutbarkeit“ ist dabei ein<br />
„Einfallstor“ für grundrechtliche Wertungen (<strong>mit</strong>telbare Drittwirkung).<br />
Gemäß Art. 4 Abs.1 GG ist die Freiheit des Gewissens unverletzlich. Nach ständiger<br />
Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 4 Abs. 1 GG nicht nur das Haben einer<br />
Gewissenseinstellung („forum internum“), sondern ebenso das Handeln nach der<br />
Gewissensentscheidung („forum externum“). Fraglich ist hier zunächst, ob in der<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
pazifistischen Einstellung des D tatsächlich eine Gewissensentscheidung des D<br />
liegt.<br />
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist eine Gewissensentscheidung jede<br />
ernstliche, an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung, die der<br />
Einzelne als bindend und verpflichtend empfindet. Die Gewissensentscheidung als<br />
solche ist dabei rein subjektiv zu bestimmen und einer gerichtlichen Kontrolle nicht<br />
zugänglich. Ihr Vorliegen kann nicht inhaltlich, sondern nur anhand äußerer<br />
Umstände überprüft werden, etwa indem derjenige, der sich auf die<br />
Gewissensfreiheit beruft, bereit ist, Nachteile seiner Gewissensentscheidung zu<br />
tragen. So<strong>mit</strong> ist die Aussage des D, sein Gewissen verbiete ihm die Arbeit in der<br />
Waffenproduktion, als Gewissensentscheidung zu akzeptieren.<br />
Fraglich bleibt, ob A ein überwiegendes Interesse an der Arbeitsleistung des D<br />
vorweisen kann, das sich in der durch § 275 Abs. 3 BGB verlangten Abwägung<br />
gegenüber der Gewissensentscheidung durchsetzt. Angesichts des hohen Ranges<br />
der Gewissensfreiheit als vorbehaltlos geschützten Grundrechts kommt eine<br />
Abwägung nur gegenüber anderen Rechtsgütern <strong>mit</strong> Verfassungsrang in Betracht.<br />
Der vertragliche Erfüllungsanspruch hat nur einfachrechtlichen Rang. Die<br />
verfassungsrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit ist nur ganz geringfügig<br />
betroffen. Im Ergebnis setzt sich die Gewissensentscheidung des D in der<br />
Abwägung durch.<br />
3. Ergebnis<br />
Demnach ist der Anspruch des A auf Erfüllung der Arbeitsleistung gem. § 275<br />
Abs. 3 BGB untergegangen. A hat keinen Anspruch gegen D auf Erbringung der<br />
Arbeitsleistung in der Waffenproduktion.<br />
Anm.: Besteht ein Anspruch auf Arbeitsleistung, zB weil die Abwägung bei § 275<br />
Abs. 3 BGB anders ausfällt, kann dieser jedenfalls nicht im Wege der<br />
Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden, § 888 Abs. 3 ZPO!<br />
II. Vergütungsanspruch des D<br />
1. Anspruch entstanden<br />
(+), durch Abschluss des Arbeitsvertrages<br />
2. Anspruch untergegangen<br />
a) Gem. § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB?<br />
Es müsste ein <strong>Fall</strong> der Leistungsbefreiung nach § 275 Abs. 1 - 3 BGB gegeben sein.<br />
Hier tritt die Leistungsbefreiung nicht erst wegen Unmöglichkeit aufgrund des<br />
Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung ein, sondern schon aufgrund der (logisch<br />
vorgelagerten) Leistungsverweigerung des D, sofern diese einen <strong>Fall</strong> des § 275<br />
Abs. 3 BGB darstellt. Der Anspruch ist durch Ausübung des<br />
Leistungsverweigerungsrechts (s.o.) an sich untergegangen.<br />
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Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 2<br />
b) Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB?<br />
Es käme ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Betracht, wenn es sich um eine<br />
vorübergehende Verhinderung des D aus persönlichen Gründen handelte.<br />
Ob ein Gewissenskonflikt einen „in der Person liegenden Grund“ iSv. § 616 BGB<br />
darstellt, ist umstritten. Nach überzeugender Auffassung gibt es keinen Grund der<br />
stärker in der Person, nämlich in individuellen, persönlichen Anschauungen<br />
begründet ist, als einen Gewissenskonflikt. Auch bei Gewissenskonflikten käme<br />
so<strong>mit</strong> eine Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB in Betracht.<br />
Fraglich ist, ob es sich hier um eine Leistungshinderung von „verhältnismäßig nicht<br />
erheblicher Dauer“ handelt. Dies ist in einer Abwägung zwischen der bisherigen<br />
Dauer des Arbeitsverhältnisses, seiner Gesamtdauer, der Dauer der Verhinderung<br />
und ihrem Grund zu er<strong>mit</strong>teln. Die Grenze liegt bei höchstens einigen Tagen. Dauert<br />
die Leistungshinderung länger, entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung<br />
insgesamt, also nicht erst ab Überschreiten dieser zeitlichen Grenze.<br />
Da A hier die Produktion komplett umgestellt hat, ist nicht ersichtlich, dass der<br />
Hinderungsgrund schnell wieder entfallen wird. Da es sich <strong>mit</strong>hin nicht um eine<br />
verhältnismäßig nicht erhebliche Dauer handelt, hat D keinen Anspruch auf<br />
Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB.<br />
c) Annahmeverzug nach § 615 BGB?<br />
Fraglich ist, ob D gegen A einen Anspruch auf Annahmeverzugsentgelt nach § 615<br />
BGB hat.<br />
Hier ist die Abgrenzung zur Unmöglichkeit – bzw. Unzumutbarkeit nach § 275<br />
Abs. 3 BGB – zweifelhaft. Legt man die Abstrahierungsformel zugrunde, wollte der<br />
A den D beschäftigen, konnte aber nicht, weil D die Leistung verweigert hat. Dafür<br />
dass eine vertragsgemäße Alternativbeschäftigung zur Vermeidung des<br />
Gewissenskonflikts möglich gewesen wäre, ist nichts ersichtlich. Es liegt also kein<br />
<strong>Fall</strong> der Annahmeunwilligkeit vor. Auch hat sich dabei kein Betriebs- oder<br />
Wirtschaftsrisiko realisiert, sondern ein Risiko aus der Sphäre des D. Da<strong>mit</strong> wäre<br />
Annahmeverzug des A ausgeschlossen.<br />
Legt man die zweite Auffassung zugrunde und fragt man nach der tatsächlichen<br />
Nachholbarkeit der Arbeit, ist diese schon wegen der unabsehbaren Dauer des<br />
Gewissenskonflikts nicht gegeben.<br />
Zudem handelt es sich auch nicht um Annahme-, sondern Leistungsunmöglichkeit,<br />
da D zu vertragsgemäßer Leistung nicht imstande ist (vgl. § 297 BGB).<br />
Der Theorienstreit ist daher auch hier nicht zu entscheiden, da alle drei Meinungen<br />
zum selben Ergebnis kommen. Es handelt sich so<strong>mit</strong> um keinen <strong>Fall</strong> des<br />
Annahmeverzugs.<br />
3. Ergebnis<br />
D hat gegen A keinen Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts.<br />
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