Aktuell - Justament
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Drum herum<br />
„Offiziell gibt es uns gar nicht“<br />
Hundertausende Menschen leben hierzulande ohne Papiere<br />
Benedikt Vallendar<br />
Berlin – Mónica heißt eigentlich<br />
anders. Sie lebt auch nicht in Berlin,<br />
sondern irgendwo im Rheinland. Seit<br />
mehr als zwölf Jahren ist die 32-Jährige<br />
Ecuadorianerin ohne Papiere und hält sich<br />
mit Putzjobs über Wasser. Auch als Aktmodell<br />
an der Kunsthochschule hat sie<br />
schon gearbeitet, erzählt Mónica. Dort<br />
würde niemand fragen, wie und warum<br />
jemand in Deutschland ist. Ein Anruf genügt.<br />
Zwei Stunden in verschiedenen<br />
Posen sitzen, stehen oder liegen. Und das<br />
Honorar, meist zwischen 20 und 25 Euro<br />
plus Trinkgeld, gibt es immer bar auf die<br />
Hand, sagt sie.<br />
Parallel zu ihrer künstlerischen Arbeit<br />
kümmert sich die Lateinamerikanerin um<br />
hochbetagte Menschen, deren Kinder<br />
und Enkel froh sind, dass sich tagsüber<br />
jemand um Oma und Opa kümmert.<br />
Mónica kocht, wäscht, bügelt und<br />
erledigt die Einkäufe. Sie begleitet die<br />
Senioren zum Arzt und sorgt dafür, dass<br />
sie ihre Medikamente nehmen. „Ich bekomme<br />
dafür zehn Euro die Stunde,“ sagt<br />
Mónica. Mit einem Tourismusvisum ist sie<br />
vor mehr als zehn Jahren aus ihrer Heimat<br />
Ecuador, über Kuba nach Deutschland gekommen,<br />
um hier ihr Glück zu suchen. Ob<br />
sie es gefunden hat? „Zum Teil“, sagt die<br />
alleinstehende Frau lächelnd. Sie wohnt in<br />
einer bescheidenen Mansardenwohnung<br />
zur Untermiete und kümmert sich um den<br />
Garten des hochbetagten Vermieters. Das<br />
war die Bedingung, um dort einziehen zu<br />
können, sagt sie. „Die angespannte Lage<br />
auf dem Wohnungsmarkt ließ mir keine<br />
andere Wahl“, sagt Mónica. Und nur in<br />
den Städten gibt es für jemanden wie sie<br />
überhaupt Möglichkeiten, eine bezahlte<br />
Arbeit zu finden. Die Anonymität macht<br />
es möglich, dass kaum jemand misstrauisch<br />
wird und auf die Idee kommt,<br />
Fragen zu stellen. Mónica ist heilfroh, eine<br />
bezahlbare Bleibe gefunden zu haben.<br />
Zuvor hatte sie jahrelang halboffiziell zur<br />
Untermiete in Wohngemeinschaften mit<br />
Informationen<br />
www.igfm.de/menschenrechte/hilfe-fuerden-notfall/illegal-in-deutschland/<br />
anderen Ausländern und Studenten gelebt,<br />
bis sie genug davon hatte.<br />
Sie leben mitten unter uns<br />
In Quito hat Mónica nach der Schule ein<br />
paar Semester Tourismuswirtschaft studiert,<br />
das Studium aber abgebrochen, weil<br />
sie darin keine Perspektive sah. „Selbst<br />
Hochschulabsolventen stehen in Ecuador<br />
auf der Straße oder müssen sich<br />
mit Billigjobs über Wasser halten“, sagt<br />
Mónica. Viele ihrer früheren Studienkollegen<br />
suchten nach Mitteln und<br />
Wegen, um dem Elend zu entfliehen,<br />
meist über Verwandte, die bereits im<br />
reichen Norden lebten und oft Anlaufpunkte<br />
sind für das neue Leben im gelobten<br />
Land. Mónica hatte Glück im<br />
Unglück. Ihre Zwillingsschwester ist mit<br />
einem Deutschen verheiratet und hat<br />
einen legalen Aufenthaltsstatus. Ihren<br />
Pass trägt seither Mónica bei sich, für den<br />
Fall, dass sie in eine Kontrolle, etwa in der<br />
U-Bahn oder durch die Polizei gerät.<br />
„Das Leben in der Schattenwelt<br />
macht es illegal in Deutschland lebenden<br />
Menschen schwer, ihre Rechte auf<br />
Woh nen, Bildung, Sozialleistungen oder<br />
Gesundheitsversorgung wahrzunehmen“<br />
sagt Barbara Schwemmer, stellvertretende<br />
Pressesprecherin der Berliner Caritas.<br />
Gerade in der Hauptstadt ist die Caritas<br />
daher ein beliebter Anlaufpunkt für<br />
Menschen, um die sich sonst niemand<br />
mehr kümmern würde.<br />
Niemand weiß genau, wie viele<br />
Menschen in der Bundesrepublik ohne<br />
gültigen Aufenthaltsstatus leben. Die<br />
Zahlen schwanken zwischen einigen<br />
Hunderttausenden bis zu einer Million.<br />
Sicher ist nur: Sie leben mitten unter<br />
uns. Und sie machen sich nur selten bemerkbar.<br />
Denn im Fall ihrer Entdeckung<br />
müssen sie jederzeit mit ihrer Abschiebung<br />
rechnen. Viele waren es irgendwann leid,<br />
sich durch das undurchsichtige Gestrüpp<br />
der deutschen Asyl- und Duldungsbürokratie<br />
zu kämpfen, hatten kein Geld mehr,<br />
um einen Anwalt zu bezahlen und sind<br />
abgetaucht, um hier zu arbeiten und<br />
dauerhaft ein besseres Leben zu führen,<br />
als sie es in ihren Heimatländern je<br />
könnten. Die jüngste Volkszählung in der<br />
Mónica, seit zwölf Jahren illegal<br />
Bundesrepublik hat die so genannten „Illegalen“<br />
dezent verschwiegen, obwohl der<br />
Politik seit Jahren bekannt ist, dass viele<br />
Menschen aus der Statistik fallen, „weil es<br />
uns „offiziell gar nicht gibt“, sagt Mónica.<br />
Inflationshemmende Dienstleister<br />
Die immense Wirtschaftskraft Deutschlands<br />
macht es möglich, dass auch<br />
Menschen wie Mónica etwas vom hiesigen<br />
Wohlstandskuchen abbekommen. Tatsächlich<br />
ist es eine Win-Win-Situation,<br />
von der auch Bürger und Staat profitieren.<br />
„In meiner Heimat würde ich am Tag das<br />
verdienen, was ich hier in einer Stunde<br />
bekomme“, sagt Mónica. „Mitbürgern<br />
ohne Papiere verdanken wir, dass einfache<br />
Dienstleistungen in der Bundesrepublik<br />
auch auf absehbare Zeit preiswert<br />
angeboten werden können“, sagt<br />
Sergio Costa, Soziologe an der Freien<br />
Universität (FU) Berlin. Profiteur sei<br />
die deutsche Mittelschicht, die sich mit<br />
geringem Aufwand Haus und Garten in<br />
Schuss halten lässt. Die, trotz Finanzkrise<br />
und Staatsschulden, frappierende<br />
Dauerstabilität des Euro hat auch etwas<br />
damit zu tun, dass hierzulande Millionen<br />
Menschen ohne Papiere dem freien Markt<br />
als preiswerte Dienstleister branchenübergreifend<br />
zur Verfügung stehen<br />
und damit indirekt inflationshemmend<br />
wirken. Die Leidtragenden sind vor allem<br />
Geringqualifizierte. Denn wer sich regulär<br />
um eine Stelle als Hausmädchen oder<br />
Spülhilfe bewirbt, der weiß genau, dass<br />
ihm unsichtbare Konkurrenten im Nacken<br />
sitzen, die dieselbe Arbeit für weniger<br />
als die Hälfte machen würden. Das bekommt<br />
auch Mónica zu spüren. Viele ihrer<br />
Freundinnen gehen inzwischen für sieben<br />
oder acht Euro die Stunde putzen...<br />
justament september 2013