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28<br />

Drum herum<br />

„Offiziell gibt es uns gar nicht“<br />

Hundertausende Menschen leben hierzulande ohne Papiere<br />

Benedikt Vallendar<br />

Berlin – Mónica heißt eigentlich<br />

anders. Sie lebt auch nicht in Berlin,<br />

sondern irgendwo im Rheinland. Seit<br />

mehr als zwölf Jahren ist die 32-Jährige<br />

Ecuadorianerin ohne Papiere und hält sich<br />

mit Putzjobs über Wasser. Auch als Aktmodell<br />

an der Kunsthochschule hat sie<br />

schon gearbeitet, erzählt Mónica. Dort<br />

würde niemand fragen, wie und warum<br />

jemand in Deutschland ist. Ein Anruf genügt.<br />

Zwei Stunden in verschiedenen<br />

Posen sitzen, stehen oder liegen. Und das<br />

Honorar, meist zwischen 20 und 25 Euro<br />

plus Trinkgeld, gibt es immer bar auf die<br />

Hand, sagt sie.<br />

Parallel zu ihrer künstlerischen Arbeit<br />

kümmert sich die Lateinamerikanerin um<br />

hochbetagte Menschen, deren Kinder<br />

und Enkel froh sind, dass sich tagsüber<br />

jemand um Oma und Opa kümmert.<br />

Mónica kocht, wäscht, bügelt und<br />

erledigt die Einkäufe. Sie begleitet die<br />

Senioren zum Arzt und sorgt dafür, dass<br />

sie ihre Medikamente nehmen. „Ich bekomme<br />

dafür zehn Euro die Stunde,“ sagt<br />

Mónica. Mit einem Tourismusvisum ist sie<br />

vor mehr als zehn Jahren aus ihrer Heimat<br />

Ecuador, über Kuba nach Deutschland gekommen,<br />

um hier ihr Glück zu suchen. Ob<br />

sie es gefunden hat? „Zum Teil“, sagt die<br />

alleinstehende Frau lächelnd. Sie wohnt in<br />

einer bescheidenen Mansardenwohnung<br />

zur Untermiete und kümmert sich um den<br />

Garten des hochbetagten Vermieters. Das<br />

war die Bedingung, um dort einziehen zu<br />

können, sagt sie. „Die angespannte Lage<br />

auf dem Wohnungsmarkt ließ mir keine<br />

andere Wahl“, sagt Mónica. Und nur in<br />

den Städten gibt es für jemanden wie sie<br />

überhaupt Möglichkeiten, eine bezahlte<br />

Arbeit zu finden. Die Anonymität macht<br />

es möglich, dass kaum jemand misstrauisch<br />

wird und auf die Idee kommt,<br />

Fragen zu stellen. Mónica ist heilfroh, eine<br />

bezahlbare Bleibe gefunden zu haben.<br />

Zuvor hatte sie jahrelang halboffiziell zur<br />

Untermiete in Wohngemeinschaften mit<br />

Informationen<br />

www.igfm.de/menschenrechte/hilfe-fuerden-notfall/illegal-in-deutschland/<br />

anderen Ausländern und Studenten gelebt,<br />

bis sie genug davon hatte.<br />

Sie leben mitten unter uns<br />

In Quito hat Mónica nach der Schule ein<br />

paar Semester Tourismuswirtschaft studiert,<br />

das Studium aber abgebrochen, weil<br />

sie darin keine Perspektive sah. „Selbst<br />

Hochschulabsolventen stehen in Ecuador<br />

auf der Straße oder müssen sich<br />

mit Billigjobs über Wasser halten“, sagt<br />

Mónica. Viele ihrer früheren Studienkollegen<br />

suchten nach Mitteln und<br />

Wegen, um dem Elend zu entfliehen,<br />

meist über Verwandte, die bereits im<br />

reichen Norden lebten und oft Anlaufpunkte<br />

sind für das neue Leben im gelobten<br />

Land. Mónica hatte Glück im<br />

Unglück. Ihre Zwillingsschwester ist mit<br />

einem Deutschen verheiratet und hat<br />

einen legalen Aufenthaltsstatus. Ihren<br />

Pass trägt seither Mónica bei sich, für den<br />

Fall, dass sie in eine Kontrolle, etwa in der<br />

U-Bahn oder durch die Polizei gerät.<br />

„Das Leben in der Schattenwelt<br />

macht es illegal in Deutschland lebenden<br />

Menschen schwer, ihre Rechte auf<br />

Woh nen, Bildung, Sozialleistungen oder<br />

Gesundheitsversorgung wahrzunehmen“<br />

sagt Barbara Schwemmer, stellvertretende<br />

Pressesprecherin der Berliner Caritas.<br />

Gerade in der Hauptstadt ist die Caritas<br />

daher ein beliebter Anlaufpunkt für<br />

Menschen, um die sich sonst niemand<br />

mehr kümmern würde.<br />

Niemand weiß genau, wie viele<br />

Menschen in der Bundesrepublik ohne<br />

gültigen Aufenthaltsstatus leben. Die<br />

Zahlen schwanken zwischen einigen<br />

Hunderttausenden bis zu einer Million.<br />

Sicher ist nur: Sie leben mitten unter<br />

uns. Und sie machen sich nur selten bemerkbar.<br />

Denn im Fall ihrer Entdeckung<br />

müssen sie jederzeit mit ihrer Abschiebung<br />

rechnen. Viele waren es irgendwann leid,<br />

sich durch das undurchsichtige Gestrüpp<br />

der deutschen Asyl- und Duldungsbürokratie<br />

zu kämpfen, hatten kein Geld mehr,<br />

um einen Anwalt zu bezahlen und sind<br />

abgetaucht, um hier zu arbeiten und<br />

dauerhaft ein besseres Leben zu führen,<br />

als sie es in ihren Heimatländern je<br />

könnten. Die jüngste Volkszählung in der<br />

Mónica, seit zwölf Jahren illegal<br />

Bundesrepublik hat die so genannten „Illegalen“<br />

dezent verschwiegen, obwohl der<br />

Politik seit Jahren bekannt ist, dass viele<br />

Menschen aus der Statistik fallen, „weil es<br />

uns „offiziell gar nicht gibt“, sagt Mónica.<br />

Inflationshemmende Dienstleister<br />

Die immense Wirtschaftskraft Deutschlands<br />

macht es möglich, dass auch<br />

Menschen wie Mónica etwas vom hiesigen<br />

Wohlstandskuchen abbekommen. Tatsächlich<br />

ist es eine Win-Win-Situation,<br />

von der auch Bürger und Staat profitieren.<br />

„In meiner Heimat würde ich am Tag das<br />

verdienen, was ich hier in einer Stunde<br />

bekomme“, sagt Mónica. „Mitbürgern<br />

ohne Papiere verdanken wir, dass einfache<br />

Dienstleistungen in der Bundesrepublik<br />

auch auf absehbare Zeit preiswert<br />

angeboten werden können“, sagt<br />

Sergio Costa, Soziologe an der Freien<br />

Universität (FU) Berlin. Profiteur sei<br />

die deutsche Mittelschicht, die sich mit<br />

geringem Aufwand Haus und Garten in<br />

Schuss halten lässt. Die, trotz Finanzkrise<br />

und Staatsschulden, frappierende<br />

Dauerstabilität des Euro hat auch etwas<br />

damit zu tun, dass hierzulande Millionen<br />

Menschen ohne Papiere dem freien Markt<br />

als preiswerte Dienstleister branchenübergreifend<br />

zur Verfügung stehen<br />

und damit indirekt inflationshemmend<br />

wirken. Die Leidtragenden sind vor allem<br />

Geringqualifizierte. Denn wer sich regulär<br />

um eine Stelle als Hausmädchen oder<br />

Spülhilfe bewirbt, der weiß genau, dass<br />

ihm unsichtbare Konkurrenten im Nacken<br />

sitzen, die dieselbe Arbeit für weniger<br />

als die Hälfte machen würden. Das bekommt<br />

auch Mónica zu spüren. Viele ihrer<br />

Freundinnen gehen inzwischen für sieben<br />

oder acht Euro die Stunde putzen...<br />

justament september 2013

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