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UNTERDRÜCKUNGS<br />
STRATEGIEN IN DER<br />
MODE<br />
MODE FÜR EINE NEUE GENERATION<br />
DIPLOMARBEIT<br />
ESTHER ZAHN<br />
FACHBEREICH MODE<br />
KUNSTHOCHSCHULE<br />
BERLIN WEIßENSEE<br />
BERLIN DEN 26.09.2013<br />
1
PRÜFENDE PROFESSOREN<br />
PROF. DR. WALTER SCHEIFFELE<br />
PROF. HEIKE SELMER<br />
ESTHER ZAHN<br />
MATRIKELNUMMER 5201<br />
FACHBEREICH MODE<br />
KUNSTHOCHSCHULE<br />
BERLIN WEIßENSEE<br />
BERLIN DEN 26.09.2013
Für Claudia<br />
die mir immer Mut gemacht<br />
hat.<br />
Danke
Die Legende der Regenbogen-Krieger<br />
„...Es gab da eine Alte vom Stamme der Cree, die wurde „Feuerauge“<br />
genannt. Sie prophezeite eines Tages, dass die Gier des weißen<br />
Mannes (Yo-ne-gis‘) die Welt zerstören würde. Eine Zeit würde<br />
kommen, wenn die Fische in den Strömen sterben, die Vögel vom<br />
Himmel fallen, die Gewässer schwarz, die Bäume nicht mehr sein<br />
würden. Da würde die Menschheit ihrem Ende entgegensehen.<br />
Das würde die Zeit sein, in denen die Hüter der Legenden und<br />
Mythen, der uralten Riten und Weisheiten uns wieder gesunden<br />
lassen müssen. Sie werden die „Kämpfer des Regenbogens“<br />
genannt. und die Schlüssel zum Überleben sein. Und am Tag des<br />
Erwachens werden alle Menschen aller Völkerstämme eine Welt von<br />
Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Erkenntnis des großen Geistes<br />
herstellen.<br />
Diese Botschaft werden die Kämpfer des Regenbogens verkünden<br />
und allen Völkern der Erde lehren. Sie werden sie lehren, den „Weg<br />
des Großen Geist“ zu leben. Sie werden allen sagen, dass die Welt<br />
heute sich vom Großen Geist abgewandt hat und dass die Erde<br />
deshalb krank ist.<br />
Die Kämpfer des Regenbogens werden allen Völkern zeigen, dass<br />
dieses „uralte Wesen“ (der Große Geist) voller Liebe und Verständnis<br />
ist und ihnen zeigt, wie sie die Erde wieder schön machen können.<br />
Die Kämpfer werden den Menschen Prinzipien und Regeln geben für<br />
den „richtigen“ Weg. Diese Prinzipien werden die der alten Stämme<br />
sein. Die Kämpfer des Regenbogens werden den Menschen die<br />
uralten Sitten der Gemeinsamkeit, Liebe und Verständnis beibringen.<br />
Sie werden Harmonie zwischen die Menschen aller Gebiete der Erde<br />
bringen...“ 1<br />
4<br />
1 www.frei-denker.org/t3368-die-regenbogenkrieger
GLIEDERUNG<br />
SEITE 8<br />
SEITE 9<br />
SEITE 17<br />
SEITE 19<br />
SEITE 22<br />
SEITE 24<br />
SEITE 27<br />
EINLEITUNG<br />
SCHÖNHEITSIDEALE<br />
Anhand verschiedener Beispiele möchte ich im folgenden Abschnitt offenlegen,<br />
wie das Regelwerk im Spielfeld der Mode patriarchale Machtstrukturen<br />
aufrechtzuerhalten versucht, und wie Frauen immer wieder über die ästhetischen<br />
Ansprüche an ihren Körper zurück gedrängt wurden.<br />
DIE GLOBALISIERTE MODE<br />
Welchen Einfluss hat die Industrialisierung und Globalisierung auf den Modemarkt?<br />
Und wie Körperschablonen in der Konfektion zu einem veränderten Körperbild der<br />
Frauen führen.<br />
DIE ROLLE DER FRAU<br />
Imaginierte Weiblichkeit. Ist die moderne Frau eine Erfindung der Marktwirtschaft,<br />
und kann man sich heute Weiblichkeit kaufen?<br />
DAS FOTOMODELL<br />
Was passiert, wenn aus Träumen Realität wird. Wie ein „Traumberuf“ eine<br />
Generation an jungen Frauen am Aufstieg und Machtgewinn in unserer<br />
Gesellschaft hindert. Und wer hat sich das eigentlich ausgedacht?<br />
IMAGINATION ALS IDEAL DER REALITÄT<br />
Identitätsfindung und Schönheitsoperationen<br />
DER KÖRPER UND DIE GESELLSCHAFT<br />
Die Ökonomie des eigenen Körpers und dessen Selbstausbeutung. Die Grenzen<br />
der Kontrolle<br />
SEITE 30<br />
WOHLSTANDSGESELLSCHAFT<br />
und die Grenzen des Überflusses. Beginnen wir, die Ideale der<br />
Wegwerfgesellschaft zu hinterfragen?<br />
SEITE 32<br />
DIE MODEBLOGGER<br />
Welche Chancen stecken im Internet, wird Kalkulierbares unkalkulierbar?<br />
6
SEITE 33<br />
SEITE 36<br />
SEITE 41<br />
SEITE 42<br />
SEITE 44<br />
SEITE 48<br />
SEITE 50<br />
SEITE 55<br />
SEITE 55<br />
SEITE 56<br />
WARUM ICH DEN SCHRITT VON DER FRAUENMODE ZUR<br />
KINDERMODE WÄHLE<br />
Frauen und Kinder zuerst! Aber wer zahlt den Preis?<br />
DAS KIND IN DER MODE<br />
Die Parallelen im Prozess der Emanzipation. Wie bekannte<br />
Unterdrückungsmechanismen neu entdeckt werden<br />
LUXUSGUT KIND= DAS KIND ALS KAPITAL<br />
Ökonomie der Kinder<br />
ZWISCHENERLÄRUNG: MANN, FRAU, GESELLSCHAFT, MODE<br />
Können sich Frauen ohne Hilfe der Männer weiter emanzipieren?<br />
Das Spielfeld der Familie<br />
DAS KIND UND DIE GESELLSCHAFT<br />
Investitionsobjekt Kind. Gibt es einen Gewinner? Abgrenzung und<br />
Akzeptanz<br />
UND JETZT?<br />
MODE FÜR KINDER<br />
Nur gemeinsam sind sie stark<br />
Aus starken Kindern werden starke Erwachsene. Darum glaube ich, dass<br />
Träume wichtig sind, um glücklich zu werden. Schlechtes Verhalten, das<br />
man nicht lernt, muss man sich später auch nicht abgewöhnen.<br />
LITERATURVERZEICHNIS<br />
KINDLE EBOOKS<br />
QUELLEN TEXT<br />
SEITE 59 QUELLEN BILDER<br />
7
EINLEITUNG<br />
Die Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen in der Mode und der Wandel der Rollenverhältnisse<br />
stand am Anfang meiner Arbeit. Je tiefer ich in das Thema eintauchte, desto entsetzter war ich von den<br />
beschriebenen Verhältnissen und den daraus resultierenden Folgen für die Frauen. Zum Teil hatte ich das<br />
Gefühl, in eine Welt eingetaucht zu sein, in welcher der Begriff der Emanzipation noch nicht erfunden war.<br />
Um nicht irgendwann Teil eines Systems zu werden, in dem man vielen Menschen mehr schadet als ihnen<br />
Gutes zu tun, suchte ich nach Schwachstellen im Kreislauf der Gesellschaft, den Medien, der Wirtschaft und<br />
Mode. Um Wege und Argumente zu finden, die Dinge besser zu machen.<br />
In der Mode gibt es Vieles, sie veränderte sich im Laufe der Zeit und erfand sich immer wieder neu.<br />
Sie unterstreicht die Rollen der Träger und gibt Auskunft über Vermögen und Stand in der Gesellschaft.<br />
Sie entwickelt Bilder für Persönlichkeiten, Geschlechterrollen, Schichten, Politiker, Jugend. Der dunkle<br />
Herrenanzug steht für Erfolg und Macht. Das kleine Schwarze für eleganten Sexappeal. Oft wird die Mode<br />
belacht als Leidenschaft der Eitlen.<br />
Nur Wenige beherrschen die Regeln der Mode, mit denen sich der Wandel der Gesellschaft lesen lässt<br />
wie ein Geschichtsbuch. Und nur selten wird sie als machtvolles Mittel wahrgenommen, mit dem man<br />
täuschen oder manipulieren kann. Die Mode ist eng verbunden mit den Entwicklungen unserer Geschichte.<br />
Sie ist durchzogen von Machtstrukturen und Unterdrückungsmechanismen. Diese offen zulegen und zu<br />
hinterfragen, ist das Ziel meiner Arbeit. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt hierbei nicht bei der Analyse<br />
der Looks verschiedener Designer, sondern in den Zusammenhängen verschiedener Arbeitsprozesse der<br />
Designer mit deren Umfeld: mit den Medien und dem Verständnis von Wirtschaftlichkeit. Ich hinterfrage ein<br />
System in dem der materielle Gewinn das höchste Ziel ist und versuche zu erklären, wie diese Ideale Einzug<br />
halten in die Mode, die wir alle tragen, und somit Teil werden der eigenen Identifizierung. Ich gehe ein auf<br />
die damit einhergehende Zersetzung des Selbstverständnisses von Frauen und Kindern und die Ausbeutung<br />
von Arbeitskräften in der Textilbranche. All das möchte ich nicht hinnehmen und habe deshalb, basierend auf<br />
dieser Auseinandersetzung, eine Kollektion entwickelt, die versucht, „neue“ Wege zu gehen.<br />
8
SCHÖNHEITSIDEALE<br />
Anhand verschiedener Beispiele möchte ich im<br />
folgenden Abschnitt offenlegen, wie das Regelwerk<br />
im Spielfeld der Mode patriarchale Machtstrukturen<br />
aufrechtzuerhalten versucht, und wie Frauen immer<br />
wieder über die ästhetischen Ansprüche an ihren<br />
Körper zurück gedrängt wurden.<br />
Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken<br />
sprach mit Goethe.de über Crossdressing, den<br />
Verlust des Modischen und unhöfliche Mode.<br />
„Frau Vinken, was interessiert Sie als<br />
Literaturwissenschaftlerin besonders an der Mode, was<br />
verbindet Literatur und Mode?“<br />
„Ein besonders gelungenes Kleid kann man so lesen wie<br />
ein Gedicht; beides kann dieselbe Interpretationsneugier<br />
anstacheln.“<br />
„Sie rücken dem so flüchtigen, vergänglichen<br />
Phänomen der Mode mit dem Instrumentarium<br />
der Geschlechterforschung und mit Begriffen wie<br />
Crossdressing, Travestie und Inszenierung zu Leibe.<br />
Was enthüllen uns diese Begriffe?“<br />
„Sieht man ein bisschen genauer hin, fällt auf, dass die<br />
Mode weder flüchtig noch beliebig ist, sondern System<br />
hat. Systematisch durchkreuzt sie die von ihr selbst<br />
aufgestellten Codes. Dieses witzige Spiel mit Codes<br />
heißt Mode. Hat die Mode, grob gesprochen, bis zur<br />
französischen Revolution die Stände streng geteilt, so<br />
trennt sie danach die Geschlechter.“ 2<br />
Turnschuh Werbung<br />
2 http://www.goethe.de/kue/des/prj/mod/thm/<br />
9
10<br />
Redakteurinnen der Vogue
Die Schönheitsideale in der Mode unterlagen schon immer dem Geist ihrer Zeit, sie wandelten sich mit<br />
den Jahrhunderten, Jahrzehnten und zuletzt mit den Jahren. Dabei durchlebte die Frauenmode sehr viel<br />
mehr Wandel als die Männermode, und mit der Mode wandelte sich auch das ideal des Körpers, den die<br />
Mode verhüllte und schmückte. Die Taille war mal höher, mal tiefer, der Ausschnitt größer oder auch nicht<br />
vorhanden.<br />
In der spanischen Mode um 1500 wurden Frauen in Stahlkorsetts gezwängt, die aus heutiger Sicht einer<br />
Folter gleichen. Aber auch zu anderen Zeiten wurden sowohl Frauen als auch Männen durch Modetrends<br />
gequält. Das war jedoch nicht immer so, der Mann befreite sich gegen 1790 mit der französischen Revolution<br />
von den Zwängen und Engen der Mode (kurzes Aufleben des Männerkorsetts von 1820 - 1850). Den Frauen<br />
gelang dies angeblich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts durch Coco Chanel, aber ich bezweifle, dass es<br />
ihnen bis heute gelungen ist, das Korsett abzulegen. Dabei war die Mode, betrachtet man die Griechen ca.<br />
400 v.Chr., relativ gleichberechtigt, aber schon damals stellte die Kleidung mehr dar als nur einen Schutz vor<br />
Witterung und Blicken.<br />
Tatsächlich war Kleidung nie einfach nur ein banaler Schutz vor der Witterung, sondern immer mit Schmuck<br />
und Zierde verbunden.<br />
Schon vor 75.000 Jahren schmückten sich die Menschen mit Muscheln 3 . Das erste Korsett wurde gegen<br />
1530 angelegt. 4 Das Binden der Frauenfüße in China soll zum Beispiel mit der Geliebten des Kaisers<br />
Li Houzhu gegen 970 begonnen haben , also ausgelöst durch das Begehren eines Mannes. Dies wurde<br />
in China bis in die 1930er Jahre praktiziert. Der trippelnde Schritt der Frauen sollte angeblich zu einer<br />
Verengung der Vagina führen und machte Frauen natürlich völlig unselbstständig. 5<br />
Ähnlich wie das Korsett, das Frauen regelmäßig in die Ohnmacht trieb. Aber wieso hungern sich Frauen<br />
auch noch heute in die Unbeweglichkeit, 110 Jahre nach der Abschaffung des Frauenkorsetts?<br />
In der Mode herrscht ein Schönheitsideal vor, das es in der echten Konfektion gar nicht gibt. Im Fachbereich<br />
arbeiten wir an Schneiderbüsten, die die Größe 37 haben. Genau genommen heißt das, es handelt sich um<br />
den Brust-, Taillen- und Hüftumfang einer Größe 36, getragen von einer Frau, die eine Körperhöhe zwischen<br />
175-185 cm hat. Normal wäre eine Größe von 172 cm.<br />
de10053441.htm<br />
3 http://de.wikipedia.org/wiki/Schmuck<br />
4 http://de.wikipedia.org/wiki/Korsett<br />
5 http://de.wikipedia.org/wiki/Lotosfuß<br />
11
Zum Vergleich: Marilyn Monroe war 166 cm groß und trug 90/60/90. 84/62/89 sind die Maße der meist<br />
genutzten Schneiderpuppe der Haute Couture. Die Modelle, die diese Maße tragen, sind mindestens 175 cm<br />
groß, oft darüber hinaus. Das macht bei etwas weniger Umfang und 9 cm Körperhöhen-Differenz eine Menge<br />
aus. Man kann somit sagen, dass die Modelle in den vergangenen 60 Jahren kaum an Umfang verloren, sehr<br />
wohl aber an Körperhöhe zugelegt haben.<br />
Das Model Twiggy maß 172 cm und hatte den Umfang 78-55-80 (1960).<br />
Außer der Körperhöhe scheint sich auf den ersten Blick nicht viel verändert zu haben, bis auf ein<br />
entscheidendes Verhältnis: die Differenz zwischen Taille und Hüfte.<br />
Während bei Marilyn noch eine deutlich sanduhrartige Figur zu erkennen ist, welche „evolutionsbiologisch“<br />
für Fruchtbarkeit steht, lässt bei Twiggy der Körberbau nicht mehr auf den Fruchtbarkeitsgedanken schließen.<br />
Interessant hierbei ist, dass Twiggy zeitgleich mit der Einführung der Pille ihren Popularitätszenit hatte. Man<br />
könnte also annehmen, dass die Veränderung der Frauenfigur in der Modewelt ein Schritt der Emanzipation<br />
war, denn heute ist die Differenz zwischen Brust, Taille, Hüfte noch geringer. Sie steht also noch weniger für<br />
Fruchtbarkeit als noch bei Twiggy.<br />
Allerdings gibt es meiner Meinung nach noch einen anderen Faktor, denn wer waren eigentlich die Designer<br />
und Fotografen, die nach dem zweiten. Weltkrieg die Frauenbilder entwarfen?<br />
„Denn Pariser Mode steht im Zeichen aristokratischer Feste und ihrer Verschwendung, des Überflusses und einer<br />
Leidenschaft für unbedingte Eleganz. Unhinterfragbarer Chic, frivoler leichtherziger Luxus, kapriziöse Willkür kommen<br />
mit stilistischer Perfektion zusammen und geben dieser Mode das gewisse Etwas, das ihr den unnachahmlichen Reiz<br />
verleiht. Dem Gesetz des Marktes und der Ratio scheinbar durch nichts unterworfen, behauptet sie ihre eigene Willkür,<br />
rhythmisiert und tyrannisiert sie noch den Lauf der Zeit.“ 6<br />
Yves Saint Laurent, Christian Dior, Cristóbal Balenciaga, Alexander McQueen, Gianni Versace, Valentino<br />
Garavani, Hubert de Givenchy, Giorgio Armani, John Galliano, das Duo hinter Dolce & Gabbana und Viktor &<br />
Rolf, Karl Lagerfeld, Wolfgang Joop, Zac Posen, Dries van Noten, Jean Paul Gaultier und Michael Michalsky<br />
sind homosexuelle Modedesigner. 7 Es gibt wohl kein anderes Business, in dem Homosexuelle so zahlreich<br />
vertreten sind.<br />
Diese Männer, die offenkundig kein sexuelles Verlangen nach Frauen empfinden, entwarfen nun Mode für<br />
Frauen, die sie trugen, um Männern zu gefallen, denn in den 60er Jahren zahlte die Mehrheit der Männer die<br />
12<br />
6 B. Vinken Die Mode nach der Mode, S. 57<br />
7 http://www.funkhauseuropa.de/themen/2013_07/schwul_Modebranche_130711.phtml
Rechnungen ihrer Frauen. Die Differenz zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und der<br />
tatsächlichen Unabhängigkeit war somit maximal groß.<br />
Busen und Taille verschwinden, das körperliche Statussymbol „Fruchtbarkeit“ verringert sich - jedoch bleibt<br />
die finanzielle Abhängigkeit der Frau erhalten.<br />
Dieser Prozess war und ist natürlich ein schleichender, aber ich glaube anhand verschiedener Beispiele<br />
zeigen zu können, dass die Frau als Fruchtbarkeitssymbol in der Ästhetik unserer Zeit und vor allem in der<br />
Modewelt an Wert verliert.<br />
Und das nicht nur ausgelöst durch die Designer, sondern auch durch die Emanzipation und die<br />
Unabhängigkeit, die die Frau erlangt hat.<br />
So gingen 1950 in Deutschland 44% der Frauen insgesamt (bzw. 26% der verheirateten Frauen) einer Erwerbstätigkeit<br />
nach. 8 2012 waren es 68% 9 . Das heißt, dass es seit 1950 eine Steigerung von 50% an erwerbstätigen Frauen<br />
gibt, außerdem haben sich ihre Berufsfelder verändert. Wenn die meisten Frauen in den 50ern noch in<br />
schlecht bezahlten Positionen tätig waren, arbeiten viele Frauen heute in akademischen Bereichen, die<br />
besser bezahlt werden. Die von Männern unabhängige Kaufkraft der Frauen nimmt also zu.<br />
Diese Entwicklung lässt sich im Übrigen wunderbar in der Mode ablesen.<br />
In den 90er Jahren zum Beispiel trugen Frauen typisch männliche Kleidungselemente: legere Anzüge von<br />
Helmut Lang oder Giorgio Armani. Sie verkleideten sich als Männer, um in einer klar männlich zentrierten<br />
Welt Fuß zu fassen. Dieses Phänomen lässt sich auch heute noch sehen, wenn man z.B. Angela Merkel<br />
betrachtet, bei Treffen in einem meist männlich dominierten Umfeld.<br />
Viele Frauen müssen heute nicht mehr nur glänzen durch die Erziehung ihrer Kinder, sondern auch durch<br />
die Selbstverwirklichung im Beruf. Natürlich ist es nicht nur ein modischer Spagat, zwischen Karrierefrau,<br />
Mutter und begehrenswerter Frau einen entspannten Look zu kreieren. Bis heute hat die Mode nicht wirklich<br />
herausgefunden, wie das aussieht. Allerdings ist es schon mal von Vorteil, wenn eine Frau nicht zu altern<br />
scheint und erstklassig durchtrainiert ist. Als Vorbild für viele Karrieremütter dienten bis vor kurzem Frauen,<br />
die ihr Geld mit ihrem Körper verdienten, wie zum Beispiel Ex-Models, die von Berufs wegen viel Zeit mit<br />
Fitness und Chirurgen verbringen. Vorzeigemütter unserer Zeit sind zum Beispiel Angelina Jolie oder Heidi<br />
Klum, die in fast jeder Ausgabe von Frauen- oder Modemagazinen zu finden sind.<br />
8 http://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauen-in-deutschland/49397/globalisierung-und-arbeit?p=all<br />
9 http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenerwerbsquote<br />
13
Erst langsam etablieren sich Frauen, die durch Bildung und Durchsetzungsvermögen potenzielle Kundinnen<br />
der High-Class Fashion werden. Blättert man Modemagazine wie die Vogue durch, finden sich größtenteils<br />
Erbinnen, Ehefrauen und Frauen, die mit ihrem Körper ihr Geld verdienen.<br />
Schaut man sich an, wer diese Magazine macht, stellt man auch fest, dass kaum eine dieser Frauen jemals<br />
über das Geldverdienen hätte nachdenken müssen . 10<br />
Das Unangenehme an dieser Vorbildfunktion ist, dass Frauen von Anfang an mit dem Ansammeln von<br />
aufstiegsrelevantem Kapital zu scheitern verurteilt sind. Sieht man den Körper als Kapital, so sind Frauen im<br />
ersten Augenblick im Vorteil, da sie schon in jungen Jahren den Höhepunkt ihres Potenzials erreicht haben<br />
- im Gegensatz zu Männern, die sich ihr Kapital durch Bildung, Arbeit und Durchsetzungsvermögen erst<br />
erarbeiten müssen.<br />
Das männliche Sozial- und Materialkapital kann im Laufe des Lebens und mit fortschreitendem Alter<br />
zunehmen. Das Kapital der Frau hingegen wird im Laufe der Jahre weniger.<br />
Denn sie verliert an Wert, je älter sie wird, wenn sie sich auf ihr Aussehen als Aufstiegsoption verlässt. Es<br />
kann einen nur wundern, welch ein veraltetes Rollenbild in Mode- und Frauenmagazinen propagiert wird.<br />
Beispiele dafür sind ältere männliche Models in Modemagazinen zur Identifikation der Männer und junge<br />
Frauen oft im Alter von 16-20 Jahren, die eine Bandbreite von Konsumentinnen zwischen 30-60 abdecken.<br />
Das aktuelle Schönheitsideal von Frauen in der Mode ist ein Mädchen, das in der Pubertät steckt, sie<br />
entwickelt sich gerade zur Frau, ist aber noch eine Heranwachsende. Dieses Mädchen stellt den Augenblick<br />
des Erwachens dar - ähnlich wie der Fotograf Jock Sturges es in seinen Fotografien festgehalten hat 11 . An<br />
diesem Körper passt nichts zusammen. Die Hüften sind die einer Frau, die Brüste, die eines Kindes, die<br />
Arme und Beine wachsen unkontrolliert vom Rest des Körpers schlaksig wie die eines Jungen. Dieser<br />
Augenblick, in dem Mädchen so aussehen, ist ein ziemlich kurzer, sie sind sich ihrer Weiblichkeit noch nicht<br />
bewusst und schweben zwischen den Lebensphasen und Geschlechtern. Genau diese Phase, so meine ich<br />
beobachtet zu haben, ist die, welche als Vorbild vieler Designer zählt, wenn sie ihre Models aussuchen, auf<br />
deren Körper die Schnitte entworfen werden. Fast jedes Model, das man auf dem Laufsteg sieht, soll diese<br />
Art von „Fabelwesenfrau“ darstellen. Wieso?<br />
Es ist der uralte Gedanke der Jungfrau, die sich und die Welt entdeckt, vollkommen und unverdorben, sie<br />
14<br />
10 http://antwerpsex.wordpress.com/2013/01/31/the-women-behind-vogue/<br />
11 Jock Sturges; Radiant Identeties; Aperture Fondation, Inc. 1994
posiert noch nicht, sondern schaut scheu in die Kamera und huscht über den Laufsteg. ohne der Kleidung,<br />
die sie trägt, durch zu viel eigenen Charakter die Show zu stehlen. Sie ist magisch unscheinbar und dabei<br />
dennoch so präsent, weil sie Lebenshunger und Neugier ausstrahlt, um genug Freiraum für die eigenen<br />
Interpretationen des Betrachters zuzulassen.<br />
Die Kleidung scheint ihr zu groß zu sein. Genau das vermittelt der zahlenden Kundin das Gefühl, sich in<br />
diesem Mädchen wiederzufinden.<br />
Diese Mädchen der Werbung transportieren für Frauen und Männer gleichermaßen den Augenblick, in<br />
dem noch alles möglich war und jeder Traum erfüllbar schien. Man könnte also sagen, das Ideal der Frau<br />
unserer Gesellschaft ist ein naives Mädchen, das träumt. Das Gegenteil einer toughen Frau, die Männern<br />
den Arbeitsplatz streitig machen könnte. Ein anderer Vorteil dieser Körpermaße ist, dass Frauen, die<br />
keinen Speck am Körper haben, die geringsten Abweichungen an Körpermaßen haben. Die Maße eines<br />
15
menschlichen Skelettes sind relativ identisch, das wiederum bedeutet weniger Änderungen nach den<br />
Anproben, was eine erhebliche Zeit- und Kostenersparnis bedeutet. Seit der Industrialisierung der Mode<br />
nimmt der Anteil der Leute ab, die sich bei einem Schneider etwas Maßschneidern lassen: „Das Emblem des<br />
verleugnenden Verkuppelns des unbelebten mit dem belebten steht versteckt im Atelier des Designers: Es<br />
ist das Mannequin, die Puppe, auf der die Kleider modelliert werden. Die als Mannequins über den Laufsteg<br />
daher kommen, sind nicht wirkliche Frauen, sie sind die belebten Puppen aus der Werkstatt.“ 12<br />
Bezogen auf die Passform der Kleidung könnte man sagen, dass eine Abkoppelung der Mode vom<br />
individuellen Körperbau des Konsumenten stattgefunden hat. Die Schnitte der Kleidung gleichen mehr den<br />
normierten Körpern der Schneiderpuppen (die wiederum den Körpern von 16-20 Jährigen entsprechen) als<br />
denen der Käuferinnen. Die Passform der Mode hat sich also emanzipiert - von dem Körper der Trägerin,<br />
und somit von ihrer eigentlichen Bestimmung. Ich als gelernte Schneiderin würde behaupten, dass es<br />
kaum noch üblich ist, die Kleidung, die man kauft, dem Körper anzupassen, der sie tragen soll. Ein anderes<br />
interessantes Phänomen ist der Ablauf von Anproben mit männlichen und weiblichen Fitting-Modellen. Die<br />
Anproben mit Frauen verlaufen für den Designer oder die Designerin oft viel leichter. Grund dafür ist, dass<br />
sich ein weibliches Fitting-Model seltener über das Zwicken von Kleidung, also Ungenauigkeiten in der<br />
Passform, beschwert. Die Anprobe mit einem Mann verläuft oft ganz anders. Erst einmal wird der Entwurf<br />
16<br />
12 Barbara Vinken, die Mode nach der Mode; S.40
kommentiert, und das auch, wenn er nicht gefällt.<br />
Und anschließend wird jede Unbequemlichkeit<br />
erwähnt. Ein Mann würde eher auf ein Kleidungsstück<br />
verzichten, wenn es nicht bequem ist, als eine Frau.<br />
DIE GLOBALISIERTE MODE<br />
Welchen Einfluss hat die Industrialisierung und<br />
Globalisierung auf den Modemarkt? Und wie<br />
Körperschablonen in der Konfektion zu einem<br />
veränderten Körperbild der Frauen führen.<br />
Gerade in der Industrialisierung wird die männliche<br />
Vorherrschaft deutlich<br />
„Seit den siebziger Jahren wird Mode nicht mehr von der<br />
Aristokratie oder Bourgeoisie lanciert, um langsam nach<br />
unten zu sinken; sie steigt vielmehr von der Straße in die<br />
Salons der Haute Couture auf, wird von ihr adaptiert und<br />
ihrerseits nachgeahmt. Die Schichten, die die Mode kaufen,<br />
haben sich einerseits verbreitert; auf der anderen Seite<br />
sind es nicht mehr sie, die die Trends setzen, sondern sie<br />
reagieren auf das, was an Trends kommt und zu erwarten<br />
ist aus den Gegenkulturen.“ 13<br />
Interessanterweise gibt es auch in der industriellen Anfertigung von Herrenbekleidung mehr Größensysteme<br />
als in der Damenmode.<br />
Es wird also auch in der Industrie mehr auf die unterschiedlichen Körper der Männer eingegangen als auf die<br />
der Frauen.<br />
Bei den Männern - HAKA - gibt es die normale Größe (44-74), die kurze Größe für kleine Männer (22-37),<br />
die Bauchgröße (51-73) und die lange Größe (90-122). 14 Diese Größensysteme sind natürlich nicht bei jedem<br />
13 Barbara Vinken Die Mode nach der Mode, S. 59<br />
14 http://www.g-frick.de/fileadmin/user_upload/Masstabelle.<strong>pdf</strong><br />
17
Hersteller zu haben, aber immerhin gibt es sie. Bei den Frauen - DOB - spielt sich fast alles zwischen den<br />
Größen 32 - 54 ab. Es gibt keine Bauchgrößen oder Busengrößen. Bei sehr wenigen Herstellern gibt es<br />
noch Mode für große oder kleine Frauen. Aber das Passform-Sortiment insgesamt ist nicht so vielseitig wie<br />
das für Männer. Insgesamt kann man sagen, dass durch Industrialisierung und Globalisierung die Vielfalt<br />
bezogen auf die Passform der Mode stark abgenommen hat. Meine Vermutung ist, dass mit dem Rückgang<br />
der Maßschneider auch das Bewusstsein der Konsumenten für die Option der Änderungsschneiderei von<br />
Konfektionskleidung abgenommen hat. Ein anderer Aspekt der Globalisierung: Mit dem Outsourcing von<br />
vielen Fabrikationen in Billiglohnländer sank auch der Preis für Bekleidung, sowohl in der Männer- als auch in<br />
der Frauenmode. Der Tageslohn einer Näherin in Bangladesh liegt bei ca. 1,20 Dollar pro Tag 15 .<br />
„Das Gehalt eines deutschen Handwerkers beträgt ca. 12 Euro die Stunde“ 16<br />
Heute ist es günstiger, ein Kleidungsstück neu zu kaufen, als es reparieren oder ändern zu lassen. Welche<br />
Auswirkung hat dieses Missverhältnis auf unser Verhalten? Vor ca. 30 Jahren war es selbstverständlich, dass<br />
in jedem Kaufhaus mindestens eine Schneiderin arbeitete, die die Kleidung änderte. Bei Modediscountern<br />
wie H&M, ZARA, MANGO, PRIMARK wird dieser Service nicht mehr angeboten. Er würde zu offentsichtlich<br />
das Missverhältnis der Löhne der Näherinnen in Bangladesh zu den Löhnen bei uns offen legen.<br />
Die Verarbeitung und Materialqualität in der Männerabteilung von H&M ist wesentlich höher als die bei den<br />
Frauen. Auch das Kaufverhalten der Geschlechter unterscheidet sich.<br />
„ Frauen sind die ambitionierteren Modekäufer: 71% macht das Einkaufen von Kleidung Spaß. Dagegen kaufen<br />
nur 31% der Männer gerne in Modegeschäften ein. Jüngere Männer sind für Modethemen stärker aufgeschlossen,<br />
doch auch sie lassen sich ungern zum Spontankauf verführen. Generell achten Männer mehr auf Qualität und<br />
Wertbeständigkeit. Das Allensbacher Institut fand heraus, dass 41% der Männer am liebsten hochwertige Kleidung<br />
kaufen, die länger hält. 45% aller Frauen kaufen stattdessen lieber preiswerte Kleidung und leisten sich dafür öfter<br />
etwas Neues. Männer haben eine Präferenz für funktionelle, bequeme oder sportliche Bekleidung.<br />
Für jeden zweiten Mann ist die Frage der Bekleidung eine ausschließlich praktische Angelegenheit, an der er<br />
eingeringes persönliches Interesse zeigt.“ 17<br />
18<br />
15 http://www.zeit.de/2003/02/Bangladesh<br />
16 http://www.gehaltsvergleich.com/gehalt/Handwerk.html<br />
17 http://www.medialine.de/media/uploads/projekt/medialine/docs/bestellung_<strong>download</strong>/marktanalysen/2004/ma_<br />
Mode_200408.<strong>pdf</strong>
DIE Die Rolle ROLLE der DER Frau FRAU<br />
Imaginierte Weiblichkeit. Ist die moderne Frau eine Erfindung der<br />
Marktwirtschaft, und kann man sich heute Weiblichkeit kaufen?<br />
„Als Frau verkleidet machen Frauen `Karriere´; über ihre Berufstätigkeit<br />
in der Modebranche, als Verkäuferinnen in einem luxuriösen Kaufhaus,<br />
als Mannequin einer guten Schneiderin kommen sie an den Mann.<br />
Über sie breitet sich so gut wie über die reichen Frauen der betörende<br />
Schein der Weiblichkeit. Zugunsten der signifikanten Weiblichkeit<br />
verwischen sich die Klassenunterschiede. Und das Ziel des weiblichen<br />
Begehrens, Mann oder Mode, liegt sehr im Unklaren. Ebenso unsicher<br />
ist geblieben, wer `die Frau´ mehr begehrt, die Frauen oder die<br />
Männer“ 18<br />
Das ständige neu imaginieren der Weiblichkeit bzw. die<br />
Neuerfindung der Weiblichkeit durch die Mode hat dazu geführt,<br />
dass sich das Schönheitsideal der Frau vom Begehren des<br />
Mannes gelöst hat, es steht nicht mehr für Fruchtbarkeit,<br />
sondern für Perfektion, die sich unter anderem durch eine<br />
sehr zeitaufwendige Pflege des äußeren Erscheinungsbildes<br />
verdeutlicht. Von den Haarspitzen bis zu den Fußnägeln<br />
durchgepflegt.<br />
In einer Gesellschaft des ständigen Wachstums ist es wichtig, Bedürfnisse zu schaffen, die zum Konsumieren<br />
anregen. Dabei gilt: zufriedene Konsumenten sind schlechte Konsumenten. Welche Frau würde sich eine<br />
Antifaltencreme kaufen, wenn sie akzeptieren würde, dass das Altern zum Leben mit dazugehört. Hierbei<br />
erfüllen Modemagazine und Lifestyle Magazine ihren Teil.<br />
Christina Mundlos beschreibt in ihrem Buch „Schönheit, Liebe, Körperscham“, 19 auf welche Art und Weise<br />
Jugend- und Frauenmagazine ihren Leserinnen ein körperliches und ästhetisches Defizit einreden.<br />
Frauen wird systematisch eingeredet, dass sie für ihr äußeres Erscheinungsbild selbst verantwortlich sind.<br />
18 Barbara Vinken; die Mode nach der Mode; Seite 49; Fischer Taschenverlag 1993<br />
19 Christina Mundlos: Schönheit, Liebe, Körperscham. Marburg: Tectum Wissenschaftsverlag 2011<br />
19
Jeder Körper sei optimierbar. Jedes Problem scheint lösbar zu sein, alles ist in den Griff zu bekommen.<br />
Gegen Augenringe, Falten und Cellulite gibt es Wundercremes, gegen Übergewicht helfen Yoga und<br />
Diätpillen, die Haare auf dem Kopf müssen mit Pflegemitteln versorgt werden, und alle anderen Haare<br />
gehören entfernt. Und sollten all diese Wundermittel nicht mehr helfen, kann man sich unters Messer legen<br />
oder sich Botox spritzen lassen. Bei all der Schönheitspflege, die Frauen angeraten wird, um nicht zu altern<br />
und gepflegt zu sein, bleibt kaum noch Zeit, sich auf die Karriere zu konzentrieren. Mundlos beschreibt genau<br />
diejenigen Strategien, die Modemagazine wie Cosmopolitan und Girl verfolgen, um die Kaufbereitschaft der<br />
Leserinnen weiter anzutreiben. Diese Form von Verkaufsförderung nennt man Narrativ-Marketing. Werbung<br />
wird von den Leserinnen nicht als solche wahrgenommen, sondern in eine interessante Geschichte oder<br />
Fotostrecke verpackt. Das vorrangige Interesse dieser Magazine ist die Werbung und nicht die Frauen,<br />
die sie lesen. Die Anzeigenpartner entscheiden, was in solch ein Magazin kommt. So ist es zum Beispiel<br />
ausgeschlossen, dass man jemals etwas Schlechtes über Produkte aus dem Hause LÓreal in einem Magazin<br />
lesen wird, auch wenn das der Wahrheit entsprechen würde. Vermeintliche Kosmetiktests führen immer zu<br />
einem positiven oder noch positiveren Ergebnis.<br />
In den Modestrecken muss die Mode von Anzeigenpartnern vorhanden sein. Der Platz für nicht zahlende<br />
Modefirmen in diesen Magazinen ist sehr gering. Man kann in diesem Zusammenhang also nicht von<br />
Pressefreiheit reden. Diese Einschränkung führt auch dazu, dass Modetrends nur in einem engen Rahmen<br />
dargestellt werden können. Nachwuchsdesigner haben es schwerer, sich in diesen Magazinen zu etablieren,<br />
wenn sie nicht dafür zahlen können.<br />
Der Modemarkt wird von einigen großen Firmengruppen wie zum Beispiel Louis Vuitton, Moet, Hennessy und<br />
Pinault-Printemps-Redoute dominiert. Zu ihnen gehören Modehäuser wie Alexander McQueen, Balenciaga,<br />
Bottega Veneta, Gucci, Sergio Rossi, Stella McCartney, Yves Saint Laurent, Brioni, Girard-Perregaux, Louis<br />
Vuitton, Loewe, Céline, Berluti, Kenzo, Givenchy, Marc Jacobs, Fendi, Emilio Pucci und Donna Karan.<br />
„Die Frau ist »das schöne Geschlecht«. Ihr Zeichen ist das Venussymbol, weltweit verwendet in der Wissenschaft wie<br />
in feministischen Zeitschriften: Der Kreis mit dem angehängten Kreuz stellt den Handspiegel der Venus dar. Immer<br />
geht es um die Frage: Sehe ich gut aus? Schönheit – oder eben Nichtschönheit – war immer eine entscheidende<br />
Eigenschaft aller Frauen und Mädchen.<br />
Schon Homer erzählt, wie ein zehnjähriger Krieg zwischen Griechen und Trojanern entbrennt, der eine einzige Ursache<br />
hat: den Raub der schönsten Frau Griechenlands, Helenas – einer Art antiker Isabel Gülck.
Vielleicht kennt Isabel die uralte Geschichte der Helena nicht, aber ihre Botschaft trägt auch sie tief in sich: Eine schöne<br />
Frau hat Bedeutung. Eine schöne Frau wird geliebt. Um eine schöne Frau kämpfen die Männer. Deshalb arbeiten<br />
Millionen Frauen bis heute mit allen Mitteln daran, schön zu werden oder schön zu bleiben. Obwohl sie wissen, dass<br />
dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Denn die Schönheit hat einen hässlichen, welken Bruder: den Verlust. Und der bleibt<br />
immer Sieger, zuletzt“ 20<br />
DAS FOTOMODELL<br />
Was passiert, wenn aus Träumen Realität wird. Wie ein „Traumberuf“ eine Generation an jungen Frauen am<br />
Aufstieg und Machtgewinn in unserer Gesellschaft hindert. Und wer hat sich das eigentlich ausgedacht?<br />
Für viele Mädchen scheint „Fotomodell“ ein Traumberuf zu sein. Gerade in den letzten Jahren erfreuten<br />
sich Fernsehformate wie „Germany‘s next Topmodel“ oder „Supermodel“ hoher Einschaltquoten. In diesen<br />
Sendungen wird unter jungen Mädchen, basierend auf Mutproben und Wettbewerben, das Mädchen<br />
auserwählt, welches am häufigsten seine eigenen Ideale und Hemmungen überwunden und die ihr gestellten<br />
Aufgaben zur Zufriedenheit der Jury erfüllt hat. Schön sind eigentlich alle Mädchen, die an der Sendung<br />
teilnehmen. Der Unterhaltungswert der Sendung besteht darin zuzugucken, wie sich die Mädchen in der<br />
Konkurrenzsituation in die Haare bekommen und niedermachen oder von der Jury vor laufender Kamera<br />
gedemütigt werden. So gemein die Sendung sein mag, so realistisch sind die Konflikte, mit denen die<br />
Mädchen in der Sendung zu tun haben im Bezug auf die Realität ihres Traumberufs.<br />
„Nicht jedes Mädchen, das abnimmt, hungert sich an den Rand des Todes. Aber Abnehmen ist Normalität geworden,<br />
denn schon normale Körper werden als zu dick empfunden. Laut einer Umfrage der Jugendzeitschrift Bravo – die nicht<br />
jedem als seriöse Quelle gilt, aber nach wie vor ein Seismograf für die Stimmungen der Jugend ist – hat fast jedes<br />
zweite 14 Jahre alte Mädchen in Deutschland schon mindestens eine Diät gemacht. Und warum? Vielleicht weil jedes<br />
zweite Mädchen zwischen 12 und 21 Jahren, das regelmäßig Germany’s next Topmodel sieht, Model werden möchte.<br />
Dies geht aus einer Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen hervor. Bereits<br />
Fünftklässlerinnen wünschen sich Körper wie die der Models im Fernsehen. Um das zu erreichen, tun sie genau das,<br />
was Heidi Klum in ihrer Sendung fordert: an sich arbeiten. Die Show, so ein Ergebnis der Studie, veranlasst Mädchen<br />
dazu, weniger zu essen. Deshalb machen schon Zwölfjährige Diät.“ 21<br />
22<br />
20 http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn<br />
21 http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn/seite-3
Die Aufgabe eines Models ist es, sich den Vorstellungen seines Arbeitgebers zu unterwerfen. Ein Model<br />
soll nicht dem eigenen Geschmack entsprechen, sondern dem des Auftraggebers. Es soll - in den<br />
meisten Fällen - so uneigenwillig wie möglich sein, mit einem Gespür dafür, was von ihm erwartet wird.<br />
Je besser das Model darin ist, desto mehr kann sie damit verdienen. Nicht das Model entscheidet, was<br />
schön ist, sondern der Auftraggeber. Man kann also sagen, dass der Beruf des Models alles andere als<br />
selbstbestimmt ist. Und trotzdem streben viele junge Mädchen danach, Model zu werden. Aber wie kann<br />
das sein? Welche Faszination übt dieser Beruf auf junge Mädchen aus? Woher kommt die Bereitschaft zur<br />
Unterwerfung, in Zeiten der „Gleichberechtigung“? Es scheint, als sei der Wunsch nach Anerkennung der<br />
Schönheit wichtiger als das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.<br />
Das Bild (auf Partys gehen, reiche Männer ehelichen und reisen), das in den Medien vom Betätigungsfeld<br />
eines Models transportiert wird, unterscheidet sich eklatant von dem tatsächlichen Aufgabengebiet, das ein<br />
Model zu erfüllen hat.<br />
Betrachtet man Fotostrecken in Modemagazinen, erscheint einem auf den ersten Blick, dass das<br />
abgelichtete Mädchen die Muse des Designers sein könnte. In der Realität erhält das Model genaue<br />
Anweisungen, was sie darzustellen hat. Vermutlich haben sich Fotograf und Designer vorher<br />
abgesprochen. Steht das Konzept, wird es an die Stylisten und Makeup-artists weitergeleitet. Deren<br />
Aufgabe wiederum ist es, das gebuchte Model so gut wie es eben geht in die von Designer und Fotografen<br />
erdachte Rolle hinein zu schminken. Die Aufgabe des Models ist es nun zu erkennen, was von ihm erwartet<br />
wird, und dieser Rolle so gut wie möglich zu entsprechen. Je professioneller das Model, desto besser<br />
erkennt es die Rolle, die es nun zu erfüllen hat. Ähnlich wie die Aufgabe eines Schauspielers, allerdings<br />
begrenzter in der Entwicklung persönlicher Anteile.<br />
Der eigene Anteil des Models ist nun noch, einen Körper zu haben, der dem der Schneiderpuppe aus dem<br />
Atelier zu entsprechen hat, und die Rolle zu erkennen und zu spielen, die der Auftraggeber ihr zugedacht<br />
hat.<br />
Man könnte also sagen, dass es einen minimalen Freiraum gibt, den das Model mit ihrer eigenen<br />
Persönlichkeit füllen kann. Aber im Großen und Ganzen erfüllt es eine Aufgabe, die von anderen<br />
vorgegeben wird. Es handelt sich also hier um die vermeintliche Selbstverwirklichung über die<br />
Wahrnehmung anderer.<br />
Ich glaube, Wolfgang Joop sagte einmal: „das perfekte Model ist wie eine weiße Leinwand, die der<br />
23
Designer nur noch bemalen muss“. Man kann also festhalten, dass der Beruf des Models, bis auf einen<br />
minimalen Spielraum, auf der Repräsentation von dem basiert, was andere in einem sehen, erwarten und<br />
wünschen. Es ist also das Gegenteil von einem emanzipierten und eigenständigen Leben.<br />
IMAGINATION ALS IDEAL DER REALITÄT<br />
24<br />
Identitätsfindung und Schönheitsoperationen<br />
Aber warum sind gerade Frauen so bereitwillig, sich jedes Defizit zu Eigen zu machen? Evolutionsbiologen<br />
könnten jetzt vermutlich sagen, dass Frauen dies aus einem Urinstinkt heraus machen, weil sie in der<br />
Steinzeit nicht in der Lage gewesen seien, sich und ihren Nachwuchs alleine durchzubekommen, sie seien<br />
stets darauf angewiesen, dem Mann zu gefallen, und würden dies immer noch anstreben.<br />
Silvia Bovenschen meint dazu, dass die Frau seit Jahrhunderten gelernt hat, sich über die Wahrnehmung von<br />
anderen zu identifizieren. In der Kulturgeschichte haben die längste Zeit Männer Geschichte und Literatur<br />
geschrieben. Das bedeutet, dass Frauen in der Vergangenheit nur aus der Sicht von Männern beschrieben<br />
wurden.<br />
Das muss zwangläufig zu einer Verzerrung des Frauenbildes führen. Silvia Bovenschen beschreibt in<br />
ihrem Buch „Die imaginierte Weiblichkeit“ anhand verschiedenster literarischer Beispiele, wie Männer<br />
Frauenbilder schufen, die vor allem dem Mann dienlich waren, und die zu einer langfristigen Unterdrückung<br />
der Frau führten. Ein anderer Aspekt sind die Aufgaben, die den Frauen in zahlreichen literarischen Arbeiten<br />
zugedacht werden.<br />
So lässt sich die Literatur unserer Kulturgeschichte auch als Bild gebendes Medium für weibliche<br />
Rollenstereotype lesen, ähnlich wie man es mit Modemagazinen machen kann. Frauenmagazine,<br />
Modemagazine und Literatur wurden in der Vergangenheit hauptsächlich von Männern geschrieben.<br />
Silvia Bovenschen schreibt über die Auseinandersetzung der Geschichte, und somit der Männer, mit dem<br />
Element des Weiblichen und der Frau:<br />
„So scheint zum Beispiel der literarische Diskurs einer der wenigen zu sein, in denen das Weibliche stets eine<br />
auffällige und offensichtliche Rolle gespielt hat. Dieser erste Eindruck bestätigt sich jedoch bei genauerer Prüfung nur<br />
teilweise. Es ist wiederum nur ein Moment des Literarischen, in dem das Weibliche diese Bedeutung erlangen konnte:<br />
nur in der Fiktion, als Ergebnis des Phantasierens, des Imaginierens, als Thema ist es üppig und vielfältig präsentiert
worden; als Thema war es eine schier unerschöpfliche Quelle künstlerischer Kreativität; als Thema hat es eine große<br />
literarische Tradition. Die Geschichte der Bilder, der Entwürfe, der metaphorischen Ausstattung des Weiblichen ist<br />
ebenso materialreich, wie die Geschichte der realen Frauen arm an überlieferten Fakten ist.“ 22<br />
Betrachtet man also die Identitätsfindung der Frau unter diesem Aspekt und bedient sich einfacher<br />
Grundlagen der Psychologie, so fällt auf, dass der Ursprung und die Abstammung eine wesentliche Rolle in<br />
der Persönlichkeitsbildung einer Jeden spielen. Über ihre reale Herkunft und Geschichte aber erfahren die<br />
Frauen wenig aus den historischen und kulturhistorischen Dokumenten. Überspitzt könnte man sagen, dass<br />
die Frau ein ähnliches Schicksal erleidet wie Kinder, die nicht wissen, woher sie kommen. So ist die weibliche<br />
Identität geprägt von der Spiegelung männlicher Wahrnehmung, ähnlich wie die Identifikationsbildung<br />
des Kindes geprägt ist von der Spiegelung durch die Eltern - und dies geschieht in einem Verhältnis der<br />
Abhängigkeit.<br />
Das könnte erklären, warum Frauen sich so sehr nach den Vorgaben anderer richten. Trotz all der<br />
Fortschritte in der Emanzipation der Frau hat die Unterdrückung und Maßregelung der Frau nur scheinbar<br />
abgenommen. Der immer größer werdende Druck, gut auszusehen, betrifft heute alle Schichten der<br />
Gesellschaft.<br />
In unserer Optimierungsgesellschaft sind wir alle selbst verantwortlich für unsere Gesundheit, unser Glück,<br />
unsere Kinder und unsere Körper, alles lässt sich optimieren. Die Zahl der Schönheitsoperationen weltweit<br />
wächst.<br />
Immer mehr Frauen - aber auch Männer - optimieren ihr Aussehen.<br />
Nach Einschätzungen der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) wurden im<br />
vergangenen Jahr 400.000 ästhetisch-plastische Operationen in Deutschland durchgeführt.<br />
80 Prozent der Patienten in der so genannten „Schönheitschirurgie“ sind Frauen. Jede zweite Frau in<br />
Deutschland ist generell nicht abgeneigt, sich für ihre vermeintliche Schönheit unters Messer zu legen.<br />
Allerdings geht die Tendenz dahin, dass bald Jeder dritte Patient der ästhetisch-plastischen Chirurgie ist ein<br />
Mann. Die häufigsten Eingriffe sind Fett absaugen und Tränensäcke/Doppelkinn entfernen. Doch zunehmend<br />
ist das gesamte Repertoire bei Männern gefragt - bis hin zu Brustimplantaten. Die meisten männlichen<br />
Patienten sind zwischen 40 und 50 Jahren alt, überdurchschnittlich gebildet und arbeiten in gehobenen<br />
Berufen. Sie sind sehr kritisch sowohl bei der Wahl des Arztes als auch bei der Beratung. Sie wollen sportlich,<br />
22 Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, Suhrkamp Verlag, Seite 11<br />
25
offen und gepflegt auftreten.<br />
Ein Viertel aller deutschen „Schönheits-Patientinnen“ sind<br />
15 bis 25 Jahre alt - Tendenz steigend. 23<br />
In den Medien werden überall perfekte Menschen gezeigt.<br />
Seit den 1990er Jahren gibt es Photoshop. Heute gibt es<br />
kaum noch Bilder, die nicht mit Photoshop nachbearbeitet<br />
wurden. Und vermutlich ist dies wiederum verantwortlich<br />
dafür, dass die Zahl der Schönheitsoperationen zunimmt.<br />
Wir manipulieren nicht mehr nur unsere Fotos, sondern<br />
auch unsere Körper. Wir haben das Bestreben, unseren<br />
bearbeiteten Idealen und Vorbildern nachzueifern. Da<br />
aber diese schon manipuliert sind, können wir diese Ideale<br />
in der Realität niemals erreichen – nicht einmal mit Hilfe<br />
medizinischer Eingriffe.<br />
Ein anderer Aspekt ist der immer größer werdende Druck<br />
der Perfektion in allen anderen Lebensbereichen.<br />
Durch die gestiegene Eigenverantwortung und durch<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse wird es immer schwerer,<br />
Schicksale zu akzeptieren.<br />
„In keinem anderen Land der Welt, das belegt eine Studie der<br />
Universität Bielefeld, gibt es so viele normalgewichtige junge<br />
Frauen, die sich zu dick finden. In der Untersuchung geht es<br />
nicht um Schauspielerinnen oder andere Frauen, deren Körper<br />
ihr Kapital ist.<br />
Deutschland wird klassenlos schlank und faltenfrei. Ist das<br />
Zufall? Wieso wollen gerade deutsche Mädchen dünner sein als<br />
die Norm?<br />
Bilder von mageren Models in Illustrierten können nicht alleine<br />
26<br />
23 http://www.gesundheitswirtschaft.info/content/<br />
view/91/417/
die Ursache für das kranke Körperbild sein. Die Medien verbreiten sie schließlich global.<br />
Das Schönheitsideal der Europäer unterscheidet sich kaum noch von dem der Japaner<br />
oder der Argentinier.<br />
Es geht nicht um das Schlanksein an sich, sondern darum, was damit verbunden<br />
wird: Dick bedeutet faul und träge, schlank verbindet man mit Disziplin, Kontrolle und<br />
Leistungsbereitschaft. Eine schlanke Frau, so die Assoziation, ist diszipliniert, weil sie ihr<br />
Essverhalten kontrolliert und regelmäßig Sport treibt. Die Deutschen gelten im Ausland<br />
als besonders gewissenhaft und strebsam im Beruf. Haben wir diese ökonomistische<br />
Leistungsethik auf unsere Körper übertragen?“ 24<br />
In der Haute Couture erworbene Kleidungsstücke werden von Schneiderinen<br />
so modifiziert, dass sie exakt zum Körper der Trägerin passen. Im Grunde<br />
entspricht fast jede Bestellung einem Neuentwurf, der sich an den Vorgaben des<br />
eigentlichen Entwurfes orientieren, jedoch so modifiziert werden muss, bis er zum<br />
Beispiel auch an einer Größe 42 gut aussieht.<br />
Erst mit Einzug der Industrialisierung und Einführung der Konfektion gegen 1850<br />
veränderte sich das Verhältnis zwischen vorgegebenem Model und Trägerin. 25<br />
Aus den ehemals individuellen Schnittmustern entstanden nach und nach allgemeine<br />
Durchschnittsmodelle. Das war also der Augenblick, in dem Kleidung zum ersten Mal<br />
nicht passen konnte, aufgrund der Abweichungder Norm.<br />
DER KÖRPER UND DIE GESELLSCHAFT<br />
Die Ökonomie des eigenen Körpers und dessen Selbstausbeutung. Die Grenzen<br />
der Kontrolle<br />
Der Körper ist zu einem besonders wichtigen Kapital geworden, mit dem<br />
Frauen und zunehmend auch Männer im Aufstiegskampf punkten können. Das<br />
Aussehen und der Körper lassen vor allem Frauen zu Aufsteigerinnen werden.<br />
Ein scheinbar besseres Leben lockt. Ähnlich wie im Film „Pretty Woman“<br />
beschrieben, scheint ihr Körper sie von der Unterschicht in die Oberschicht zu<br />
24 http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn<br />
25 http://de.wikipedia.org/wiki/Konfektion<br />
H&M Plus-sizemodel<br />
27
katapultieren. Mir scheint es, als wäre das Model<br />
die moderne Form der Prinzessin. Eine fiktive<br />
Person, in der sich jeder wiederfinden kann. Zumal<br />
sich der Verhaltenskodex von Prinzessinnen<br />
und Models gar nicht so sehr unterscheidet.<br />
Wer Meldungen über echte Prinzessinnen der<br />
Gegenwart liest, kann nur staunen über die<br />
lobenden Worte, die gefunden werden, wenn diese<br />
sich standesgemäß verhalten. Standesgemäß<br />
im Sinne der Promi-Magazine bedeutet konkret:<br />
sich freundlich lächelnd immer dem Mann an<br />
der Seite unterzuordnen und dabei gut gekleidet<br />
und gepflegt zu erscheinen. Aber welches kleine<br />
Mädchen wird schon Prinzessin? Ein Ideal, das<br />
sich eher erreichen lässt, stellt das Model da.<br />
Die Aufgaben, die es zu erfüllen hat, sind ganz<br />
ähnlich. Und die Vermischung von Träumen und<br />
Realität stellt eine gefährliche Verlockung dar, die<br />
mit der Geißelung des weiblichen Körpers endet.<br />
Die mühsam erworbene Autonomie der Frauen wird zermürbt mit Idealen, die zum Träumen gedacht waren<br />
aber in der Realität in einem erschreckenden Ausmaß die erworbene Freiheit zersetzen.<br />
„Für eine Umfrage der Frauenzeitschrift Petra wurden im vergangenen Jahr (2011) 1000 Frauen gefragt, ob sie zehn<br />
Punkte ihres Intelligenzquotienten opfern würden, wenn sie dafür einen Schönheitsmakel ausgleichen könnten. Fast<br />
drei Viertel der Frauen antworteten mit Ja.“ 26<br />
28<br />
Ich denke, dass es kein genaues Bild ergibt, wenn man das Handeln der „Modewelt“ von dem Handeln in<br />
Politik und Gesellschaft trennt. Und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper findet auch nicht nur<br />
auf Basis des Aussehens statt. Sie ist untrennbar mit dem Erhalt des Köpers durch Gesundheit verbunden.<br />
Und man kann sich nun fragen, was zuerst da war: der Einsatz der Medien für die Gesundheit oder für<br />
26 http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn/seite-3
die Schönheit. Vermutlich ist das Streben nach Gesundheit das Thema der älteren Generation, welches<br />
durch das Streben nach Schönheit der jüngeren abgelöst bzw. ergänzt wird. Die Optimierung in allen<br />
Lebensbereichen scheint von einem großen Bedürfnis nach Kontrolle überschattet zu sein. Und das Thema<br />
der Kontrolle wiederum findet sich nicht zuletzt auch in der großen Politik wieder, wenn man an den NSA-<br />
Skandal denkt. Das Kontrollieren ist das Werkzeug derer, die nicht vertrauen können. Und so lässt sich<br />
feststellen, das es vielen von uns an Vertrauen fehlt. Und das, obwohl wir so alt werden wie noch nie zuvor.<br />
Zumindest in unserer westlichen Welt gibt es keine Bedrohung, die uns frühzeitig ableben lässt. Nur sehr<br />
wenige von uns leben in Situationen, die der Sklaverei ähneln. Mir ist auch nicht bekannt, dass bei uns<br />
neunstöckige Häuser einstürzen und europäische Mitarbeiter unter sich begraben.<br />
„Die Globalisierung reicht in die siebziger Jahre zurück und sorgte zunächst für totale Intransparenz. Was immer<br />
an Produktion günstig in die dunklen Hinterhöfe der Welt ausgelagert werden konnte, wurde ausgelagert. Das<br />
war billig, und niemand schaute so genau hin. Die Folgen waren malochende Kinder, moderne Arbeitssklaven,<br />
Umweltverschmutzung und eine wuchernde Agrarindustrie, die sich von der romantischen Vorstellungswelt<br />
ihrer Endkunden in westlichen Industrieländern immer stärker abkoppelte. Frühzeitig begann eine politische<br />
Gegenbewegung, die „Grenzen des Wachstums“ anmahnte. Aber zum Katalysator der Kritik konnte erst die<br />
allmähliche Digitalisierung werden. Sie erst verspricht dank weltweiter Vernetzung durchs Internet totale Transparenz,<br />
Offenheit, Wahrheit.<br />
Die reale, globalisierte Welt verwandelte sich teils in eine konzerngesteuerte Effizienz-Hölle, die Staaten nur noch<br />
nach ihren Lohnstückkosten beurteilte. Derweil verhieß die virtuelle, digitale Welt fortan Aufklärung durch Offenheit,<br />
die letztlich jede Ungerechtigkeit aufzudecken versprach - natürlich mit der Konsequenz, dass man sich als mündiger<br />
Verbraucher nun auch mit den Schattenseiten befassen muss, ob man will oder nicht.<br />
Dem Recht des Stärkeren (der Konzerne, Manager, anonymen Finanzmärkte) wurde das Recht des stärkeren<br />
Arguments entgegengesetzt: des einzelnen Verbrauchers, des protestierenden System-Opfers, des anonymen<br />
Bloggers oder der Nicht-Regierungsorganisation. (...) Genauso beruhigt Moral in einer schnelllebig gewordenen Welt.<br />
Werte schaffen Geborgenheit. Ein gutes Gewissen ist das letzte Lagerfeuer, an dem wir uns wärmen können. ‚Empört<br />
euch!‘ wurde so zur beruhigenden Alltagsattitüde.<br />
Weil es aber ohne Konsum eben auch nicht geht, verheißen Etiketten wie „Öko“, „Bio“, „fair gehandelt“ oder „aus<br />
nachhaltigem Anbau“ eine Art Heiligsprechung: Shoppen mit gutem Gewissen. “ 27<br />
Dass Verbraucher ihr Verhalten nun diametral ändern, ist nicht zu erwarten, aber es bleibt zu hoffen, dass<br />
die große „Geiz ist geil“-Mentalität eingedämmt wird. Denn egal wie böse profitorientierte Manager und<br />
27 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91203407.html<br />
29
Unternehmen sein mögen, ein Teil der Verantwortung lässt sich wohl auch bei den Verbrauchern finden. Und<br />
der Boom der Öko-Etiketten könnte ja auch Gutes mit sich bringen.<br />
WOHLSTANDSGESELLSCHAFT<br />
und die Grenzen des Überflusses. Beginnen wir, die Ideale der Wegwerfgesellschaft zu hinterfragen?<br />
Dass der westliche Wohlstand eine Überschwemmung mit Konsumgütern mit sich gebracht hat, ist keine<br />
Frage. Heute entscheidet der Geldbeutel kaum noch darüber, ob jemand modern gekleidet ist. Da es aber zu<br />
den Eigenschaften der Mode gehört, sich durch Neuerfindungen vom Vergangenen abzugrenzen,<br />
In einer Modemarkt- Auswertung des Focus aus dem Jahre 2004 28 kommt dieser zu dem Schluss, das<br />
die Zeit der Pariser Haute Couture vorbei sei. „Inzwischen hat Prêt-à-porter die Haute Couture verdrängt. Nur<br />
noch wenige Kundinnen können oder wollen die horrenden Preise bezahlen. Über die Pariser Modenschauen sind<br />
dunkle Wolken gezogen. Von ursprünglich 23 sind nur noch acht Couturiers übrig geblieben. Die Zahl der Kundinnen<br />
schrumpfte von 15.000 auf 500.“ 29 Dass die Zeit der Haute Couture vorbei ist, glaube ich auch. Allerdings<br />
vermute ich, dass es eine Art Neuentwicklung hin zu einer Haute-Prêt-à-porter geben wird. Ein Praktikant<br />
bei einem hoch rangierenden internationalen Designer erzählte mir, dass auch dieser seine Stickereien<br />
in Bangladesh herstellen lasse; und es ist zu vermuten, dass andere Designer das ebenfalls machen.<br />
Andererseits gibt es Projekte: das Ethical Fashion Programme des Internationalen Handelszentrums,<br />
eines Organs der UN-Sonderorganisation WTO, also der Welthandelsorganisation, will Produzenten in<br />
Entwicklungsländern am Welthandel beteiligen.“ 30 Designer und Labels wie Vivienne Westwood, Fendi und<br />
Stella McCartney lassen Teile ihrer Kollektionen hier anfertigen. 31 Diese Kooperation mit Frauen in Nairobi<br />
könnte leicht von Kritikern als eine Art Greenwashing der Modemacher verspottet werden. Ich sehe darin<br />
aber eine Chance, neue Wege zu gehen, auf die sich viele Modemarken nicht trauen oder auch nicht in der<br />
Lage dazu sind. Denn es darf nicht vergessen werden, dass hinter den Modemachern eine riesige Industrie<br />
steht - aus Zulieferern, Webereien, Druckereien und Produktionsstätten. All diese ausgelagerten Mitarbeiter<br />
30<br />
28 http://www.medialine.de/media/uploads/projekt/medialine/docs/bestellung_<strong>download</strong>/marktanalysen/2004/ma_Mode_200408.<strong>pdf</strong><br />
29 http://www.medialine.de/media/uploads/projekt/medialine/docs/bestellung_<strong>download</strong>/marktanalysen/2004/ma_Mode_200408.<strong>pdf</strong><br />
30 http://www.zeit.de/2011/41/Kollektion-Westwood<br />
31 http://www.theguardian.com/world/2011/nov/24/kings-road-kenya-vivienne-westwood
der Konzerne befinden sich in einem automatisierten Prozess der Produktionskette, die nur schwer zu<br />
durchbrechen ist. Firmen wie H&M arbeiten mit Produzenten zusammen, die ihnen neben dem Nähen der<br />
Kleidung auch noch ganz andere Aufgaben abnehmen wie das Weben und Färben der Textilien, die Drucke,<br />
Stickereien und die Zulieferung von Knöpfen, Reißverschlüssen etc.<br />
H&M schickt also den Entwurf und ein Musterteil nach Bangladesh und erhält kurze Zeit später eine<br />
Schiffsladung mit den fertigen Sachen.<br />
Wenn man als kleines Modeunternehmen ein ähnliches Vorhaben startet, muss man sich zuerst um die<br />
Stoffe kümmern, um all das Zubehör, das sonst noch benötigt wird, dann schickt man einen Container<br />
voll Stoff zu einem europäischen Schneiderbetrieb und erhalte dann das fertige Produkt. Dieser<br />
Produktionsprozess ist natürlich viel aufwändiger als der automatisierte, aber der Abbau der deutschen<br />
Textilindustrie in Deutschland und Europa durch die Verlagerung ins Ausland ist nicht einfach wieder<br />
rückgängig zu machen. Ich sehe also eine große Chance für die Rückbesinnung auf kleine lokale Designer,<br />
die in kleinen Schritten Produktionsvorgänge wieder aufbauen. Das lokale Design bringt für den deutschen<br />
Arbeitsmarkt Chancen, Berufe wieder einzuführen, die fast ausgestorben waren.<br />
Denn anders als Großkonzerne benötigen kleine Modeunternehmen nicht gleich viele Mitarbeiter. So kann<br />
der Zulieferermarkt mit den Unternehmen der Auftraggeber allmählich wachsen. In Zeiten unsicherer<br />
Wirtschaftverhältnisse können sie flexibler agieren. Tendenziell lässt sich auch ein Wachsen des grünen<br />
Marktes beobachten. 32<br />
DIE MODEBLOGGER<br />
Welche Chancen stecken im Internet, wird Kalkulierbares unkalkulierbar?<br />
Ein weiteres neues Phänomen sind die Modeblogger, anfangs verpönt und nicht ernst genommen, spielen<br />
sie heute eine bedeutende Rolle. Und Konkurrieren mit den etablierten Medien um die Werbepartner<br />
„ Die Nervosität des Establishments ist verständlich. Leser und Werbebudgets wandern ins Netz ab, viele<br />
Modemagazine haben es nicht geschafft, erfolgreiche Online-Versionen ihrer Publikationen aufzubauen. Mit 3,7<br />
Millionen Seitenaufrufen ist themanrepeller.com einer der weltweit einflussreichsten Modeblogs .Die Street-Style-<br />
Stars sind Teil des Interpretationssystems der Mode geworden...“ 33 Diese Blogger beschleunigen den Prozess<br />
32 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-96238925.html<br />
33 http://www.welt.de/lifestyle/article114491448/Der-Streit-um-die-Pfauenparade-der-Mode-Blogger.html<br />
31
der Verbreitung von Mode weltweit, denn anders als bei den Printmedien lassen sich Meldungen oft schon<br />
kurz nach den Schauen online lesen. Allerdings kommen auch diese Blogger meist aus wohlhabendem<br />
Haus, was wohl auch damit zu tun hat, dass der Zutritt zu wichtigen Schauen Unbekannten eher verwehrt<br />
bleibt. Jedoch bietet das Internet an sich große Chancen, von einer breiten Masse wahrgenommen zu<br />
werden. Grundsätzlich bringt das Internet eine Chance zur Demokratisierung der Gesellschaft. Auch wenn es<br />
unkalkulierbare Risiken mit sich bringt.<br />
In der Wirtschaftswissenschaft gibt es eine Theorie, die sich Black Swan nennt. Der Name bezieht sich auf<br />
die Annahme, dass schwarze Schwäne sehr selten sind. Lange glaubte man, es gäbe sie nicht, bis man<br />
feststellte, dass sie doch vorkommen. Der Autor und ehemalige Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb<br />
befasste sich mit diesem Phänomen in seinem 2007 erschienenen Buch „Black Swan“: „Im Grunde genommen<br />
ist sie jedoch weitaus älter. Schon Bertrand Russel warf 1912 in seiner Veröffentlichung „The Problems of Philosophy“<br />
die damit zusammenhängenden Fragen auf. Dazu erzählte er die berüchtigte Geschichte des Huhns:<br />
„Ein Huhn, das jeden Tag Nahrung erhält, geht davon aus, dass es auch weiterhin jeden Tag Nahrung erhalten wird. Es<br />
festigt sich sein Glaube, dass ihm der Mensch wohlgesonnen sei. Nichts im Leben des Huhns deutet darauf hin, dass<br />
es eines Tages geschlachtet wird. “ 34<br />
Schwarze Schwäne sind also seltene Ereignisse, die an einander gereiht zu unerwarteten Umbrüchen in<br />
Wirtschaft, Politik oder im privaten Umfeld stattfinden.<br />
Beispiele für schwarze Schwäne sind zum Beispiel der 11. September, Fokushima oder die Pleite der<br />
Lehman Brothers Bank. All diese Ereignisse haben das Vertrauen der Bürger und der Politik stark<br />
verunsichert. Und stehen stellvertretend für das Unkalkulierbare in unserer vermeintlich kontrollierbaren Zeit.<br />
„Wir sind ihm in jüngster Zeit häufig begegnet. Der Schwarze Schwan ist der Sendbote einer neuen Zeit, in der die<br />
alten Wahrscheinlichkeiten nicht mehr gelten. Das Verlässliche unserer Zeit besteht darin, dass es keine Verlässlichkeit<br />
mehr gibt. Fast scheint es, als wolle der Schwarze Schwan das Wappentier des gerade begonnenen Jahrhunderts<br />
werden. In den vergangenen zehn Jahren kam es zu einer spürbaren Zunahme dessen, was die Amerikaner „Freak-<br />
Event“ nennen: Das Verrückte wurde normal. Die Normalität spielt verrückt.“ 35<br />
Ich könnte mir vorstellen, dass das Internet, die Blogger und die gehäuften Unfälle in Bangladesh und in<br />
anderen Billiglohn-Ländern das Potenzial haben, ein Black Swan zu werden. Schon jetzt wissen Firmen nicht,<br />
32<br />
34 http://www.teamdenzer.de/Aktuelles/Erfolgsmodelle/Die-Black-Swan-Theory<br />
35 http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/katastrophen-die-ankunft-des-schwarzenschwans/3962600.html
wie sie mit so genannten „Shitstorms“ umgehen sollen und welche Auswirkung die Wut der Verbrauer auf ihre<br />
Einnahmen hat.<br />
Für mich steht der Schwarze Schwan exemplarisch für ein kommendes Zeitalter des Hinterfragens.<br />
WARUM ICH DEN SCHRITT VON DER FRAUENMODE ZUR KINDERMODE WÄHLE<br />
WARUM ICH DEN SCHRITT VON DER FRAUEN ZUR KINDERMODE WÄHLE<br />
Frauen und Kinder zuerst! Aber wer zahlt den Preis?<br />
Für mich ergibt sich ein ganz deutlicher Zusammenhang zwischen dem gelernten Verhalten der Frauen und<br />
ihrer Vorbildfunktion für Kinder, da die Kindererziehung immer noch überwiegend Aufgabe der Frau ist. Und<br />
da immerhin fast 20% aller in Deutschland lebenden Kinder bei nur einem Elternteil groß werden. Von diesen<br />
20% sind zwischen 8-12% Väter. Im Ganzen gesehen leben nur 3% aller Kinder hauptsächlich bei ihrem<br />
Vater.<br />
Bei den verheiraten Paaren ist die Aufgabenverteilung viel klarer verteilt als bei den unverheirateten.<br />
Kindererziehung ist eine klare Frauenaufgabe in Deutschland. Daher spielt auch der Umgang der Frauen<br />
mit Mode, Kosmetik und Körperpflege eine wesentlich wichtigere Rolle als die der Männer. In Städten liegt<br />
die Zahl der Alleinerziehenden bei ca. 30 % - Tendenz steigend . Und da Mode eher aus den Städten heraus<br />
geboren wird als z.B. aus dem bayrischen Idyll, scheinen mir diese Zahlen relevanter zu sein für meine<br />
Thesen. Interessant erscheinen mir auch die gesellschaftlichen Gemeinsamkeiten, die Kinder und Frauen<br />
verbinden.<br />
„Seit Jahrhunderten hat die Familie als Machtstruktur existiert.(...) In sozialer wie in politischer und soziologischer<br />
Hinsicht war die Macht absolut und ließ keinen Zweifel an der familiären Hierarchie aufkommen: Zuerst der Mann, dann<br />
die Frau- sofern es keine männlichen Jugendlichen gab-, danach die Jungen und zuletzt die Mädchen. Eine gelungene<br />
Ehe basierte auf der Fähigkeit und dem Willen der Frau, sich dem Mann unterzuordnen, und die Erziehung sollte den<br />
Kindern vor allem klarmachen, dass sie sich den Machthabern anzupassen und zu gehorchen hatten.“ 36<br />
Die Emanzipation der Frau blieb nicht ohne Folgen für die Kinder. Und der Zusammenhang zwischen<br />
dem Dilemma von Kindern und Frauen durch die Überforderung beider Gruppen durch gesellschaftliche<br />
Anforderungen verläuft leicht zeitversetzt.<br />
„Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen wir, Kinder als geistig unabhängige, eigenständige Wesen zu betrachten,<br />
36 Jesper Juul; Dein kompetentes Kind, Rowolt Taschenbuch Verlag; S. 21<br />
33
deren individuelle Existenz von Bedeutung für ihr Wohlergehen und ihre persönliche Entwicklung war. In den 20er<br />
Jahren machten die Frauen dann nachdrücklich auf sich aufmerksam und verlangten- sowohl in menschlicher als auch<br />
in sozialer und politischer Hinsicht ernstgenommen zu werden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schwächte<br />
sich der totalitäre Charakter der Familien schrittweise ab, doch an der Machtstruktur als solcher wurde nicht gerüttelt<br />
(...) Den Machthabern (Ehemänner und Eltern) wurde geraten, den Abweichlern (Frauen und Kindern) bei ihrer<br />
liebevolles Verständnis und Konsequenz entgegenzubringen, doch riet ihnen niemand, etwas<br />
34<br />
von ihrer Macht abzugeben.“ 37<br />
„Als sozialwissenschaftlicher Begriff bezeichnet Macht einerseits die Fähigkeit einer Person oder Interessengruppe, auf<br />
das Verhalten und Denken von einzelnen Personen, Personenmehrheiten und sozialen Gruppen einzuwirken.“ 38<br />
So haben sich zwar im Laufe der Zeit Einzelheiten im Gefüge leicht verschoben, im familiären wie auch<br />
gesellschaftlichen Sinn, aber die Machtstruktur an sich ist erhalten geblieben. Mir erscheint es manchmal<br />
so, als ob Frauen und Kinder eine Menge Verantwortung zugesprochen bekamen, allerdings ohne diese<br />
wirklich zum Ausbau von Freiräumen nutzen zu können. Deutlich wird das in der Überforderung dieser<br />
Gruppen: Frauen, die zwanghaft ihren Körper pflegen, und Kinder die unter der Last der Anforderungen<br />
zusammenbrechen.<br />
Kinder haben noch nicht so stark gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken. Und schon jetzt lässt<br />
sich eine, nennen wir es mal „Rebellion“ der Kinder deutlich erkennen. Immer häufiger scheitern Kinder an<br />
den Anforderungen, die unser Bildungssystem und ihre Eltern an sie stellen. Die Zunahme an Kindern, die<br />
ihren Schulalltag nur noch mit Medikamenten bewältigen können, wächst stetig. Und es ist erschütternd, wie<br />
wenig Eltern ein System infrage stellen, das so viel „Ausschuss“ produziert<br />
An dieser Stelle werden dann gerne wieder die Frauen verantwortlich gemacht, die natürlich auch heute<br />
noch den erzieherischen Teil verantworten - sowohl privat als auch professionell. Aber: „eine neue Studie, die<br />
1400 Kinder zwischen fünf und zehn Jahren mehrere Jahre lang beobachtet hat, zeigt deutliche Defizite - vor allem<br />
männlicher Nachkommen. Sie wurde zwar in Australien durchgeführt, aber in Deutschland würden die Ergebnisse<br />
ähnlich sein, vermutet die Jianghong Li, die Leiterin der Untersuchung vom Wissenschaftszentrum Berlin. Kinder<br />
zeigen deutlich mehr Verhaltensprobleme, wenn sie nicht ausreichend mit einem gleichgeschlechtlichen Elternteil<br />
interagieren können, sagt die Wissenschaftlerin. Bei Jungen seien aber die Auswirkungen eines weitgehend<br />
abwesenden Vaters wesentlich auffälliger als bei Mädchen“ 39<br />
Diese Feststellung durch wissenschaftliche Studien zeigt auch, wie sehr sich Forschung verändert, wenn<br />
37 Ebd.,S.22<br />
38 http://de.wikipedia.org/wiki/Macht<br />
39 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/2232780/
Bilder aus der Vogue (Dez. 1999)<br />
Dakota Fanning (17jahre) für Marc Jacobs<br />
Frauen teilhaben.<br />
Bedauerlicher Weise sind die schwächsten unserer Gesellschaft diejenigen, die am meisten leiden<br />
DAS KIND IN DER MODE<br />
Die Parallelen im Prozess der Emanzipation. Wie bekannte Unterdrückungsmechanismen neu entdeckt werden<br />
Während es in der Vergangenheit etliche Beispiele für Kindermode gab, scheint sie in der Gegenwart keine<br />
Rolle mehr zu spielen.<br />
Der Sektor der Kindermode scheint klar unterteilt zu sein zwischen Pink und Glitzer und schlicht und klar.<br />
Also Mädchen und Jungen. Diese Aufteilung scheint eine Art Manifestierung der natürlichen Bedürfnisse in<br />
Zeiten der Aufklärung zu sein.<br />
35
36<br />
Wenn ich Mütter und Väter gefragt habe, wie es mit den bevorzugten Präferenzen ihrer Kinder aussah,<br />
schienen die Antworten relativ eindeutig zu sein. Jungen fanden Pink und Glitzer ganz schrecklich - und<br />
Mädchen liebten alles, was glitzerte. Es scheint also eine eindeutige geschlechterspezifische Präferenz zu<br />
geben. Die es erstaunlicherweise in meiner Kindheit in dieser Art der Ausprägung noch nicht gab. Es gibt<br />
sicher Mädchen, die alles lieben, was pink ist und glitzert, aber ich glaube, dass es genauso Jungen gibt,<br />
die das lieben - oder Mädchen, die Autos und Pink bevorzugen. Als Mädchen schätzte ich die Kombination<br />
von pink und rot, ich sammelte „Micro Machines“ (kleine Mini-Autos) und hatte ein Puppenhaus, für das ich<br />
Möbel baute. Ich wünschte mir auch ganz heiß und innig eine Barbie und einen Ken. Meine erste Barbie<br />
war Astronautin, und Ken war ein Popstar. Und ich muss gestehen: an diesem Rollenverhältnis hat sich nur<br />
minimal etwas verändert.<br />
Wenn es um Mode für Kinder geht, muss man noch einmal die Unterteilung der Sektionen der Mode neu<br />
definieren. Denn neben der eigentlichen Bekleidung der Kinder könnte auch das Spielzeug als Accessoire in<br />
die Mode mit eingebunden werden.<br />
Ähnlich wie heute Smartphones und Touchpads Einzug gehalten haben in die Welt der Mode, bedarf es<br />
gesonderter Aufmerksamkeit, was die Spielsachen der Kinder anbelangt.<br />
Erst einmal lässt sich feststellen, dass Kinder, anders als Erwachsene, das Verhältnis von<br />
Klassenzugehörigkeiten mit geringerer Aufmerksamkeit bewerten. Denn ihnen sind gesellschaftliche<br />
Machtstrukturen auf eine andere Art bekannt als den Erwachsenen. Wobei die Betonung auf „geringerer“<br />
liegt, unwichtig ist dies nicht.<br />
In de Regel lässt sich beobachten, dass bei Kindern diejenigen, die mutig den Erwachsenen entgegentreten,<br />
auch diejenigen sind, die ein höheres Ansehen in der Gruppe der Kinder genießen. Ähnlich wie zum Beispiel<br />
Pipi Langstrumpf. Ich vermute, dieses Phänomen ist relativ zeitlos in der Geschichte der Kindheit.<br />
„ Anders als das Säuglingsalter ist die Kindheit ein gesellschaftliches Kunstprodukt, keine biologische Kategorie.<br />
Unsere Gene enthalten keine klaren Anweisungen darüber, wer ein Kind ist und wer nicht, und auch die Gesetze des<br />
Überlebens machen es nicht erforderlich, eine Unterscheidung zwischen der Welt des Erwachsenen und der Welt des<br />
Kindes zu treffen. Wenn wir mit dem Wort Kinder eine bestimmte Kategorie von Menschen zwischen sieben und, sagen<br />
wir, siebzehn Jahren bezeichnen, die bestimmte Form von Pflege, Unterricht und Schutz benötigt, dann lässt sich<br />
eine Fülle von Belegen dafür aufführen, dass es Kinder erst seit weniger als vierhundert Jahren gibt.(...) Angehörige<br />
der älteren Generationen werden sich auch noch daran erinnern, dass es einmal einen bedeutsamen Unterschied<br />
zwischen Kinder- und Erwachsenenbekleidung gegeben hat. Im letzten Jahrzehnt hat die Kinderbekleidungsindustrie
Hailee Steinfeld (14jahre) für miu miu<br />
Suri Cruise<br />
„Kidsfashion Ikone“<br />
37
einen derart raschen Wandel durchgemacht, dass die Kinderbekleidung praktisch verschwunden ist.(1987)(...)<br />
Zusammen mit der Wissenschaft, dem Nationalstaat und der Religionsfreiheit hat sich die Kindheit als soziale<br />
Struktur und als psychologisches Bedingungsgefüge im 16. Jahrhundert herausgebildet und bis in unsere Zeit weiter<br />
entwickelt.“ 40<br />
Doch diese Weiterentwicklung führte zu neuen Konflikten, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen.<br />
Die Idee der Kindheit als eigenständiger Abschnitt und Teilhaber unserer Kultur agierte in dem Ideal des<br />
stillen Teilhabers oder Beobachters unserer Gesellschaft. Somit steht das Ideal der Kindheit im Gegensatz<br />
zur Emanzipation der Kinder, dass hierbei ein Interessenkonflikt entsteht, verwundert nicht.<br />
Das Kind erlernt gesellschaftliche Verhaltensweisen, ohne sie geistig zu durchdringen, beobachtet und<br />
bewertet sie deshalb auf eine ganz eigene Art. Das Kind ist in der Lage, den Traum der Chancengleichheit<br />
und Gerechtigkeit zu leben - für diesen Abschnitt im Leben scheint alles möglich zu sein.<br />
Und genau deshalb steht das Verschwinden der Kindheit auch in einem konkreten Zusammenhang zu den<br />
vorher beschriebenen Umständen, sowohl zeitlich als auch inhaltlich. So wie der Nutzen des Kindes in der<br />
Geschichte beschrieben steht, scheint es, als sei er vor allem wirtschaftlicher Natur gewesen: die Kinder<br />
versorgten die ältere Generation.<br />
Auch durch die Einführung der Rentenversicherung rückte dieser Aspekt in den Hintergrund; die scheinbare<br />
Absicherung durch finanzielle Mittel schien es unnötig zu machen, Kinder zu bekommen. Der Rückgang<br />
der Geburtenrate wird zwar mit der Einführung der Pille in Zusammenhang gebracht, könnte aber auch<br />
einmal von der Seite der Rentenabsicherung betrachtet werden. Man könnte die Anzahl der Kinder also<br />
auch folgendermaßen betrachten: Wer viele Kinder hat, ist zwar im Alter abgesichert, scheint es aber auch<br />
nötig zu haben, viele Kinder zu bekommen. Wer wenige Nachkommen zeugt, kann es sich leisten, auf<br />
Nachkommen zu verzichten. Denn nach der Industrialisierung waren Kinder nicht mehr zwangsläufig dafür<br />
nötig, die Existenz der Familie zu erhalten. Einerseits wandelte sich das Bild der Kinder ab den 50er Jahren<br />
durch die Aufklärung von Seiten der Psychologie, andererseits verlor das Kind als existenzsichernder Teil der<br />
Gesellschaft an Bedeutung.<br />
38<br />
40 Neil Postman Das Verschwinden der Kindheit; Seite 7; 14.Auflage 2003
Astronauten Barbie und Nerd Barbie Inhalt aus einem Überraschungsei für Mädchen<br />
Trotz all dieser Entwicklungen lernen Kinder natürlich immer noch die Werte einer Gesellschaft<br />
weiterzuführen aufgrund der Erziehung durch ihre Eltern. Und die Herkunft von Kindern ist schon sehr früh in<br />
ihrem Verhalten erkennbar. Das heißt, dass sie Machtstrukturen aufrechterhalten, auch wenn sie sich dessen<br />
nicht bewusst sind.<br />
Ein anderes Phänomen ist, dass nach dem starken Geburtenrückgang von Mitte der 1960er Jahre seit der<br />
Jahrtausendwende eine neue Form der Geburtensteigerung stattfindet.<br />
39
40 The Pink Project – Jiyeon and Her Pink Things, Light jet Print, 2007, © Jeong Mee Yoon
LUXUSGUT KIND DAS KIND ALS KAPITAL<br />
Ökonomie der Kinder<br />
„Heute bekommen vor allem zwei Bevölkerungsgruppen viele Kinder: Die so genannten Unterschichtler und – das<br />
ist neu – die Gutverdiener. Man zeigt, was man sich leisten kann.“ 41 Für die einen war Kinder kriegen schon<br />
immer Überlebensstrategie - für die anderen ein neu entdeckter Luxus. Das Kind wird Statussymbol. Und<br />
genau das ist ein Beispiel dafür, wie aus alt hergebrachten Gesellschaftsnormen in der Umkehrung ein<br />
Trend entsteht, der in der Mode en Vogue ist. Denn schon kurz vor diesem Wandel entdeckte die Mode um<br />
die Jahrtausendwende das Kind als Style-Accessoire und als Luxusgut. Gab es zuvor noch relativ wenig<br />
Kinderlabel, steigen immer mehr Firmen ein in das Geschäft mit der Kindermode. Der Bedarf, sein Kind<br />
auszuschmücken und darzustellen, spiegelt die Aufgabe der Kinder wide,r ihre Eltern zu repräsentieren. Es<br />
entsteht ein neuer Trend, denn wer heute viele Kinder hat, kann es sich immer häufiger auch leisten.<br />
Andererseits bekommen immer öfter Frauen Kinder, weil sie sich diese wünschen. Die Entscheidung, ein<br />
Kind zu bekommen, stellt für Frauen keine Überlebensstrategie mehr dar, sondern einen Luxus. Und eine<br />
andere Veränderung scheint immer häufiger in Erscheinung zu treten: Frauen bekommen Kinder ohne<br />
Partnerschaft. Die Familie als klassisches Umfeld für das Großziehen von Kindern scheint ein Auslaufmodell<br />
zu werden. Viele verschiedene Faktoren führen zu einer Veränderung der Idee der Kindheit.<br />
41 http://www.zeit.de/gesellschaft/generationen/2009-12/luxusgut-kind<br />
41
ZWISCHENERKLÄRUNG: MANN, FRAU, GESELLSCHAFT, MODE<br />
Können sich Frauen ohne Hilfe der Männer weiter emanzipieren?<br />
Das Spielfeld der Familie<br />
An dieser Stelle möchte ich für die Mode einen Bogen spannen, um im Anschluss wieder auf das Kind<br />
zurück zu kommen. Für mich klärt sich an dieser Stelle die Frage von Barbara Vinken vom Anfang ihres<br />
Textes („Zugunsten der Signifikanten ‚Weiblichkeit‘ verwischen sich die Klassenunterschiede. Und das Ziel<br />
des weiblichen Begehrens, Mann oder Mode, liegt sehr im Unklaren“), 42 ob die Männer oder die Frauen<br />
die imaginierte Frau mehrbegehren. Es sind die Frauen, denn es ist ihnen in relativ kurzer Zeit gelungen,<br />
sich von dem Mann als aktivem Familienmitglied aber auch als Unterdrücker zu lösen. Und diese Form der<br />
losgelösten Erotik, die nicht mehr das Begehren des Mannes benötigt, ist eine Eigenschaft, die sich im Leben<br />
von immer mehr Frauen wiederfinden lässt: die Familienplanung ohne Männer.<br />
Ich finde es bezeichnend, dass Barbara Vinken 1993 diese Beobachtung gelungen ist, erst Jahre später-.<br />
zuerst im Verhalten einiger Prominenter zu sehen war- und heute bei ca. 20% aller Mütter in Deutschland,<br />
wenn auch nicht immer freiwillig. In dieser Zeit konnten sich verschiedene neue Familienkonzepte entwickeln,<br />
die mehr oder weniger akzeptiert sind. Für mich ist entscheidend ,dass in 20% aller Fälle die Mütter das Kind<br />
allein großziehen. Und auch in Lebensgemeinschaften liegt der Großteil der Haus- und Heimarbeit bei den<br />
Frauen.<br />
Frauen verrichten im Schnitt täglich 100 Minuten mehr Hausarbeit als Männer, so eine OECD-Studie. Bei 3,5<br />
42<br />
Stunden täglicher Hausarbeit ist der Unterschied erheblich und stellt einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. 43<br />
Auch die Einführung des Betreuungsgeldes macht deutlich, wie wenig dem Staat die Leistung der Hausfrau<br />
wert ist. Die Kosten für einen Kita-Platz liegen bei 1000 Euro pro Monat . Und die Gehälter von Erziehern<br />
sind auch sehr gering. Die finanzelle Anerkennung von Kinderbetreuung steht im krassen Gegensatz zu der<br />
Aufmerksamkeit, die der Erziehung politisch und medial gegeben wird.<br />
Ich finde die Beobachtung der Frauen in der Gesellschaft und Mode deshalb so wichtig für Erklärungen der<br />
Kindermode, weil Kinder und Frauen eins gemeinsam haben. Beide Gruppen haben sich im Laufe des letzen<br />
Jahrhunderts emanzipiert. Ihre Rolle in Familie und der Gesellschaft hat einen starken Wandel durchlebt.<br />
42 Barbara Vinken, Mode nach der Mode; S. 49<br />
43 http://www.zeit.de/karriere/2011-04/studie-unbezahlte-arbeit
Auch die Emanzipation<br />
der Frau ist nicht spurlos<br />
an der Situation der Kinder<br />
vorbeigegangen, beides steht<br />
im direkten Zusammenhang.<br />
Beide Gruppen plagen<br />
ähnliche Probleme, die sich<br />
grob gesagt mit Überforderung<br />
und überhöhten Ansprüchen<br />
beschreiben lassen. Die<br />
Parallelen, die sich durch die<br />
Adaption der Kleidungsstile<br />
übergeordneter Klassen<br />
darstellen, ist sowohl bei<br />
den Frauen als auch bei den<br />
Kindern zu beobachten.<br />
Andrej Pejic männliches Topmodel<br />
Aber welche Rolle erfüllt der<br />
Mann hierbei? Barbara Vinken hat dazu in einem Vortrag im Postfuhramt im CO/Berlin gesagt, dass sich<br />
die Männermode zum ersten Mal seit der französischen Revolution in Richtung der Frauenmode entwickelt.<br />
Die Sakkos werden taillierter, die Hosen schmal wie Leggings und der Look der Männer femininer - hoffen<br />
wir für die Familien, dass sich dieser Trend auch in der Aufgabenverteilung von Männern und Frauen in der<br />
Gesellschaft durchsetzt (sie sprach hier über Themen aus ihrem im September 2013 erscheinenden Buch<br />
„Angezogen: Das Geheimnis der Mode ; bei Klett Cotta“).<br />
43
DAS KIND UND DIE GESELLSCHAFT<br />
Investitionsobjekt Kind. Gibt es einen Gewinner? Abgrenzung und Akzeptanz<br />
Das Kind wird in eine Gesellschaft geboren, um diese einerseits zu erhalten und fortzuführen, andererseits<br />
entwickelt es im Verlauf seinen Lebens Strategien, um diese Familie/Gesellschaft zu modifizieren. Ich<br />
vermute, dass die Erfindung der Kindheit der Einfügung in die Gesellschaft gedient hat, denn es liegt in der<br />
Natur der Menschen, sich einer Gruppe einfügen zu wollen, um mit dazuzugehören. Der Wunsch wächst, je<br />
länger eine Person nicht als ganz vollständiges Mitglied legitimiert wird.<br />
„In den letzten hundert Jahren hat der Status von Kindern einen fundamentalen Wandel erfahren. Zunächst waren<br />
sie - als Mitarbeiter in der Familie und später als Versorger der Eltern - eine soziale Notwendigkeit. Dann sollten sie die<br />
Moralvorstellungen, den Ehrgeiz und Sozialstatus ihrer Eltern manifestieren, und heute sollen wir uns daran gewöhnen,<br />
dass sie nicht nur individuelle Persönlichkeiten sind, sondern auch einen unverwechselbaren eigenen Wert haben,<br />
der sich durch pure Existenz begründet. Das Wertefundament hat sich von äußeren sozialen Werten hin zu inneren<br />
existenziellen Werten verschoben.“ 44<br />
Andererseits leben wir in einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der der Druck auf jeden Einzelnen stetig<br />
wächst. Aber auch die Eigenverantwortung eines Jeden und somit die Chancen der Selbsterfüllung. Die<br />
durch den Wandel sich ergebenden Unterschiede führen aber auch dazu, dass Erziehungsmethoden der<br />
Vergangenheit hinterfragt werden müssen. Das wiederum führt zu einer Verunsicherung der Eltern, wie sie<br />
mit ihren Kindern umgehen sollen. Deutlich wird das im erhöhten Absatz von Erziehungsratgebern. Und so<br />
kommt oft ein Flickenteppich von verschiedensten Erziehungsmethoden zum Einsatz, der nicht selten in einer<br />
Überforderung der Kinder endet.<br />
Denn die individuelle Erziehung der Kinder bleibt nicht ohne Folgen für die Kindergärten und Schulen. Das<br />
„Funktionieren“ im Sinne der Gesellschaft ist nicht sichergestellt. Was in den Familien klappt, scheitert in<br />
der Realität des Bildungssystems. Viele Eltern haben Angst davor, dass ihre Kinder versagen, wenn es um<br />
Bildung geht. Sie versuchen ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung anzubieten, in der Hoffnung, dass<br />
diese den Wunsch der Eltern als die bestmögliche Wahl anerkennenund ihm folgen. Die Frage ist nur: steht<br />
hier das Kindeswohl im Zentrum oder was Wohl der Gesellschaft und der Eltern?<br />
„Die „Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“ (NUBBEK) hat nach<br />
44<br />
44 Jesper Juul; Dein kompetentes Kind; S.142
zwei Jahren des Elaborierens herausgefunden: Höchstens zehn Prozent aller Kinderbetreuungseinrichtungen in<br />
Deutschland haben eine gute Qualität was Gruppengröße, Zuwendung durch Erzieher, Zufriedenheit der Kinder und<br />
ihrer Eltern angeht. Gerade jetzt erhebt auch Jesper Juul, der Dalai Lama unter den Pädagogen, seine Stimme. In der<br />
Streitschrift „Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst?“,“ 45<br />
Ein anderer wichtiger Punk scheint für mich die Differenzierung der Geschlechter von Kindern zu sein. Und<br />
die Frage ob diese Unterteilung das Wohl der Jungen und Mädchen im Auge hat oder andere Interessen<br />
im Fokus stehen. Ich möchte keinem Jungen seine „Rabaukenhaftigkeit“ abreden oder keinem Mädchen<br />
verbieten, Pink und Puppen zu lieben, aber mir scheint, dass diese Zuordnungen schwarz weiß sind und<br />
wenig Spielraum lassen für individuelle Abweichungen. Und da es unzählige Studien gibt, die belegen,<br />
dass Geschlechter-Unterschiede auf hormonellen Variablen basieren, die sehr vielseitig ausfallen können,<br />
entspricht eine zu einfache Aufteilung nicht dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaften.<br />
Wie schon vorher beschrieben, lassen sich Geschlechterzuordnungen auch nutzen, um Gruppen zu<br />
unterteilen.<br />
Eine Abweichung von der Norm kann zu dem Wunsch führen, dies durch Konsumgüter oder auch spezielle<br />
Verhaltensweisen zu kompensieren. Ein Beispiel dafür sind Männer, die mit heulenden Motoren durch die<br />
Städte brettern.<br />
Nicht nur das Zugehörigkeitsbedürfnis spielt eine Rolle in der Entwicklung der Persönlichkeit, auch die<br />
Abgrenzung. Man kann das bei Geschwistern beobachten.<br />
Aus einem Interview von Jesper Juul mit dem Zeit-Magazin:<br />
„Juul: Kinder haben Sehnsucht nach sozialen Beziehungen. Freud hat das nicht geglaubt, und bis vor kurzem gab es<br />
auch keine Beweise. Dann haben Forscher die Spiegelneuronen entdeckt: jene Nervenzellen im Gehirn, die aktiviert<br />
werden, wenn jemand sich in einen anderen hineinversetzt – er spiegelt die Gefühle des anderen, und das gibt es auch<br />
schon bei Kindern. Ich warte nur darauf, dass man jetzt auch die Erklärung dafür findet, warum 50 Prozent der Kinder<br />
spiegelverkehrt kooperieren.<br />
ZEITmagazin: Was heißt das: spiegelverkehrt kooperieren?<br />
Juul: Eltern mit zwei Kindern kennen das: Wahrscheinlich sind diese zwei Kinder sehr unterschiedlich. Das ist nicht nur<br />
genetisch bedingt, sondern sie verhalten sich so, weil sie kooperieren – das eine Kind macht quasi eine Fotokopie des<br />
Verhaltens, das ihm entgegengebracht wird, das andere kopiert spiegel-verkehrt. In ein Beispiel übersetzt: Die Hälfte<br />
der Kinder, die mit Gewalt aufwachsen, wird aggressiv anderen gegenüber; die andere Hälfte wird genauso aggressiv,<br />
46<br />
45 http://www.cicero.de/salon/mein-kind-das-investitionsobjekt/52526
aber sich selbst gegenüber. Das Phänomen gibt es in allen möglichen Bereichen – immer sind es ungefähr 50 Prozent,<br />
die ein Verhalten an den Tag legen, und 50 Prozent, die umgekehrt reagieren. Es gibt zum Beispiel einen Trend, dass<br />
Eltern ganz unbedingt glückliche Kinder haben wollen. Das ist furchtbar gefährlich, denn nur 50 Prozent der Kinder<br />
reagieren, indem sie sagen: Okay, ich werde glücklich sein…“ 46<br />
Das von Juul beschriebene spiegelverkehrte Kooperieren kann als Abgrenzungsstrategie unter Geschwister<br />
verstanden werden. Mir scheint also wichtig, dieses Grundbedürfnis nicht zu unterbinden. Aber muss die<br />
Abgrenzung zwischen Jungen und Mädchen, zwischen Männern und Frauen von außen stattfinden?<br />
Das Verwischen der Grenzen zwischen Mädchen und Frauen (Mädchen, die 14 sind, tragen Mode für Frauen<br />
ab Mitte 20, Frauen versuchen jung zu bleiben, so wie es oft in Modemagazinen und Medien dargestellt wird)<br />
könnte zu einer stärkeren Abgrenzung zwischen den Geschlechtern führen.<br />
46 http://www.zeit.de/2010/09/Jesper-Juul/seite-4<br />
47
Und Jetzt?<br />
Man könnte all diese geschilderten Zusammenhänge als gegeben ansehen, gegen die man als Einzelne<br />
kaum ankommen kann. Würde man das tun, könnte man sich getrost den Machtstrukturen unterwerfen und<br />
nach denselben Regeln spielen.<br />
Aber welche Möglichkeiten bieten sich, wenn man das nicht möchte?<br />
Ich glaube, dass, wenn man sich der bestehenden Regeln bewusst ist, sich viele Möglichkeiten bieten,<br />
selbige zu verändern und zu reformieren. Denn nur wer die Regeln kennt, kann sie auch gezielt brechen.<br />
Denn schließlich sind wir Designer Teil des Ganzen.<br />
Ich glaube erkannt zu haben, dass wir uns in einer Zeit befinden, die sich kurz vor einem völligen Umbruch<br />
befindet. Immer deutlicher werden die Grenzen des Wachstums, der Ausbeutung und Unterdrückung. Zurzeit<br />
werden all die Unternehmen angegriffen, die es damit zu weit getrieben haben. Aber was ist, wenn ihnen die<br />
Unternehmen folgen, die ähnliche Wege gehen, aber eben nicht so eindeutig? Oder wenn Frauen sich den<br />
Vorgaben der Medien nicht mehr bedingungslos beugen, weil sie erkenne wie aussichtslos dieser Kampf ist?<br />
Dem Beobachter der Mode wird ein Trend nicht entgangen sein. Die Frauenmode bringt neu Materialien und<br />
Schnitte hervor, die an Rüstungen erinnern. Und was wird aus den kleinen Jungen, deren Verhalten heute als<br />
verhaltensauffällig deklariert wird?<br />
48
Balenciaga Mantel H/W13 Max Mara H/W13 Proenza Schouler F/S 2014<br />
49
MODE FÜR KINDER<br />
50<br />
Nur gemeinsam sind sie stark<br />
Aus starken Kindern werden starke Erwachsene. Darum glaube ich, dass Träume wichtig sind, um glücklich<br />
zu werden. Schlechtes Verhalten, das man nicht lernt, muss man sich später auch nicht abgewöhnen.<br />
Es gab eine Zeit, in der Jungen Rosa trugen und Mädchen Pink. Dann gab es eine Zeit, in der Kinder<br />
spezielle Kindersachen trugen (Latzhosen, Schürzenkleider, Kittelkleider etc.), und danach kam die Zeit, in<br />
der Mädchen pink trugen und Jungen blau<br />
Glaubt man heute den Eltern und den Medien, ist pink eine Art genetische Präferenz. Schaut man genauer<br />
hin, dann bemerkt man, dass das Spielfeld der kindlichen Kleidung stark dominiert wird vom Vorbild der<br />
erwachsenen Kleidung. Kleidung adaptiert also entweder die Erwachsenenmode, oder sie ist pink und<br />
glitzert. Bei Jungenbekleidung sieht es noch trister aus sie gleicht der Garderobe des „kleinen Lord“ oder<br />
hat Monster und Autos als Aufdruck. Aber vor allem ähnelt alles der Mode der Erwachsenen. Kinder haben<br />
also die Wahl, sich zu verkleiden wie Erwachsene oder niedlich auszusehen für Erwachsene. Hier sind<br />
klare Schemata angelegt, die gesellschaftlich relevanten Rollen der Großen zu übernehmen. Aber ist es<br />
aktuell, dass Jungen Monster bekämpfen und Mädchen Prinzessin spielen in einer Gesellschaft, deren<br />
Rahmenbedingungen sich längst geändert haben?<br />
Warum verkleiden wir heute Jungen wie kleine Männer und Mädchen wie Prinzessinnen - bringen ihnen<br />
Rollerverhalten bei, das wir selbst immer weniger leben? Um ihnen im Anschluss zu erklären, dass Mann und<br />
Frau gleich sind?<br />
Würde man Kindermode aus einem anderen Blickwinkel sehen als die erwachsenen Mode, nämlich bezogen<br />
auf die Möglichkeiten, die Bekleidung im Sinne des mentalen Schutzes bieten könnte, würde man Kinder<br />
anders anziehen.<br />
Im Vorlauf meiner praktischen Diplomarbeit stellte ich Kindern im Alter zwischen 5 und 12 Jahren Fragen<br />
zu ihrer Bekleidung: z.B. ob Rosa eine Farbe sei, die für Jungen nicht tragbar sei. Die antwort war Nein -<br />
Jungen können rosa tragen, aber es sollte nicht gerade ein „ganz pinker Pulli“ sein.<br />
Dass Jungen und Mädchen unterschiedliches Interesse an Kleidung zeigten, fiel mir auf. Aber liegt das daran<br />
das Jungen sich nicht so sehr für Bekleidung interessieren, weil jungen das nun mal nicht tun oder könnte es<br />
andere Gründe dafür geben.
Diplomkollektion „rainbow warriors“ Foto Kirsten Becken<br />
51
52<br />
Auf die Frage, welche Kleidungsstücke sie eher nicht mögen, antworteten die meisten: Strumpfhose und<br />
diejenigen Blusen und Hemden, die so aussehen wie die von Erwachsenen.<br />
Schon an anderer Stelle war mir aufgefallen, dass sich auch Jungen mehr als erwartet für Glitzersteine und<br />
Mädchensachen interessierten, gerade bei den jüngeren Kindern um die 4 Jahre. So tauschte meine Tochter<br />
gerne mit ihren Freunden die Anziehsachen, und die Jungen wollten ihre Kleider anziehen. Die Reaktion<br />
vieler Eltern, aber vor allem die der Väter war eindeutig verhalten bis ablehnend.<br />
Ein anderer Aspekt war, dass mir auffiel, dass meine Tochter ständig von Erwachsenen auf ihr Äußeres<br />
Erscheinungsbild angesprochen und gelobt wurde. Anders als bei Jungen, die ich auch sehr hübsch fand.<br />
Ich gewöhnte mir an, jedesmal, wenn jemand sagte, das ist aber eine Hübsche, zu erwähnen, was sie<br />
gerade Neues gelernt hatte. Nicht weil ich sie nicht umwerfend schön finde. Nein ich wünsche mir, dass sie<br />
Anerkennung spürt für Dinge, die sie gelernt und sich selbst erkämpft hat und die ihr erhalten bleiben.<br />
Im Gegensatz dazu Stelle man sich mal vor, ein Junge würde mehrmals am Tag gesagt bekommen, wie<br />
hübsch er ist und was er für tolle Haare hat und für schöne Kleidung trägt.....<br />
Nicht komplett auszuschließen, aber doch eher ungewöhnlich.<br />
Basierend auf diesem Vergleich ziehe ich die Schlussfolgerung, dass genau dieses unterschiedliche<br />
Verhalten zu unterschiedlich starkem Interesse der Geschlechter führt. Von Anfang an wird Mädchen<br />
gegenüber dem Äußeren mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung geschenkt. Jungen bekommen mehr<br />
Aufmerksamkeit fürs Klettern und Bauen und für die Dinge, die sie herstellen. Betrachtet man nun aber die<br />
Betätigungsfelder von Jungen und Mädchen, sollte auffallen, dass beide den ganzenTag damit beschäftigt<br />
sind, die Welt neu zu entdecken. Das macht zum Teil Angst. Kinder können noch viel weniger auf den<br />
eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Und vieles in dieser Welt ist einfach laut, schnell und groß! Wer<br />
sich einmal an eine Straßenkreuzung kniet wird feststellen, wie bedrohlich die heranrasenden Autos auf<br />
einen wirken. Viele Kinder fürchten sich im Dunklen. Oder fühlen sicht unsichtbar gegenüber Erwachsenen.<br />
Sie fühlen sich oft nicht ernst genommen. Denn für Kinder besteht der Alltag in aus einer unverständlichen<br />
Terminabfolge, die sie nicht begreifen können, weil ihnen das nötige Verständnis von Zeit fehlt. Ständig<br />
werden sie gehetzt. Wer hält es durch, sich in den Rhythmus der Kinder zu begeben und die Zeit einfach<br />
laufen zu lassen? Und wann haben wir das letzte Mal Kinder gesehen, die einfach so auf der Straße spielen?<br />
Also auf gemeinsam genutztem Raum?<br />
Wo ist in unserem Alltag der Raum für Kinder geblieben? Das Träumen und Spielen?
Basierend auf den Erinnerungen meiner eigenen Kindheit wollte ich eine Kollektion entwerfen. Mit der<br />
Absicht, in erster Linie die Wünsche der Kinder zu erfüllen, gepaart mit dem Knowhow einer Erwachsenen.<br />
Mein Wunsch war es, das Selbstverständnis der Kindheit, das sich vor allem durch spielerisches Entdecken<br />
und Unvoreingenommenheit auszeichnet, zu stärken und das Wahrnehmungsspektrum der Kinder zu<br />
erweitern. Denn es gibt viele Kinder, die den Wunsch nach Pink und Glitzer nicht teilen, und Eltern, die<br />
ebenso unter dem Prinzessinen-Diktat leiden. Zudem zwingt die geschlechtsspezifische Kleidung die Eltern<br />
zum Neukauf, sollte das zweitgeborene Kind ein Junge sein.<br />
Nach meinen ersten Entwürfen zur Kollektion „Rainbow Warriors“, in denen ich bewusst auf typische<br />
Mädchen- oder Jungenattribute verzichtet hatte, stellte ich fest, dass sogar Farben wie Lila von Jungen<br />
akzeptiert wurden, wenn sie im Dunklen leuchteten, Mädchen fanden kantige Formen cool, denn sie<br />
reflektierten das Licht. Selbst Pullover, die rosa Flecken hatten, wurden von Jungen gemocht, weil sie sich in<br />
der Sonne in lila verfärbten.<br />
Ich erlebte kein einziges Mal, dass ein Kind auf Grund seines Geschlechtes meine Sachen nicht mochte,<br />
und das sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen. Und das nur, weil ich den Sachen ein paar spielerische<br />
Eigenschaften verlieh, die normale Kleidung nicht besitzt.<br />
Auf die Frage vieler Erwachsener, warum ich so etwas nicht auch für Große mache, antwortete ich: „ Weil ich<br />
möchte, dass Kinder mal etwas Tolles nur für sich haben. Und ich denke, dass es an der Zeit ist, nur an die<br />
Kinder zu denken.“<br />
Ein anderer Ansatz war, dass ich ökologische Materialien mit Hightech-Materialien kombinieren wollte. Für<br />
mich stellte das kein Problem dar, da ich die Eigenschaften von natürlichen Materialien als viel angenehmer<br />
empfinde als die der Chemiefasern, welche ich überwiegend als untragbar empfinde. Mein Ziel war es<br />
hierbei, ein umweltfreundlicheres Produkt zu entwickeln, das vor allem Leute anspricht, die nie auf die Idee<br />
kämen, sich ökologische Kleidung zu kaufen - erst recht nicht, wenn sie teurer sind. Für den Verbraucher<br />
wird in der Kollektion „Rainbow Warriors“nicht deutlich, ob die Preise durch die „Superkräfte“ zustande<br />
kommen oder durch die hochwertigen Materialien. Nach den Reaktionen von Kindern und Eltern bin ich mir<br />
sicher, dass mein Experiment geglückt ist.<br />
Ich glaube, dass wir Modedesigner unsere Arbeiten stärker hinterfragen sollten und auch mehr eingehen<br />
müssen auf das Wohlbefinden der Träger und der Menschen, die unsere Arbeiten später realisieren. Es liegt<br />
in unserer Verantwortung, Produkte zu entwickeln, die gut sind. Wir sollten uns nicht immer verstecken hinter<br />
53
den Strukturen des Modemarktes, oder der Ausrede der „Kunst am Körper“. Kunst ist überall möglich, nicht<br />
nur an ausgehungerten Körpern.<br />
Ich sehe jedoch keine Chance, gut durch dachte Produkte zu entwickeln, wenn wir uns an Zeitvorgaben<br />
halten, die uns zwingen, in zu kurzen Abständen neue Kollektionen zu realisieren.<br />
Ich hoffe mit meiner Arbeit einen Teil dazu beigetragen zu haben, die der nächsten Generation ermöglicht,<br />
sich von schlechten Vorbildern zu lösen und mit Selbstvertrauen neue Wege zu gehen.<br />
54
Literartur Verzeichnis:<br />
-Jesper Juul; Dein kompetentes Kind: Rowold Taschenbuch verlag ) 9.Auflage November 2012;<br />
-Barbara Vinken; Mode nach der Mode- Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts; Fischer Taschenbuch<br />
Verlag, April 1993<br />
-Neil Postman; Das Verschwinden der Kindheit; Fischer Taschenbuch Verlag 14.Auflage Februar 2003<br />
- Christina Mundlos: Schönheit, Liebe, Körperscham- Schönheitsideale in Zeitschriften und ihre Wirkung auf<br />
Mädchen und Frauen; Tectum Wissenschaftsverlag Marburg: 2011<br />
-Andrea Hauner, Elke Reichart; Bodytalk- Der riskante Kult um Körper und Schönheit; Deutscher<br />
Taschenbuch Verlag München; November 2004<br />
-Pierre Bourdieu; Die Feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft; Suhrkamp Taschenbuch<br />
Verlag Frankfurt am Main, 1987 ;<br />
Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit- Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen<br />
und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main<br />
2003<br />
Kindle ebooks:<br />
-Laurie Penny; Fleischmarkt: Weibliche Körper im Kapitalismus Edition Nautilus Hamburg Februar 2012;<br />
-Jesper Juul; Wem gehören unsere Kinder; Beltz Verlag Bad Langensalza 2012;<br />
55
Quellen Text:<br />
-GEO Magazin;07/Juli 2012 Frau Mann, Der Unterschied der k(l)einer ist<br />
-Geo Wissen; Nr 37; Kindheit und Erziehung Die ersten 10 Jahre;<br />
ISBN:978-3-570-19673-1<br />
-http://www.goethe.de/kue/des/prj/mod/thm/de10053441.htm<br />
(Goethe-Institut, Dezember 2012; Ulrike Prinz )<br />
- http://de.wikipedia.org/wiki/Schmuck<br />
- http://de.wikipedia.org/wiki/Korsett<br />
- http://de.wikipedia.org/wiki/Lotosfuß<br />
-http://www.funkhauseuropa.de/themen/2013_07/schwul_Modebranche_130711.phtml<br />
- http://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauen-in-deutschland/49397/globalisierung-und-arbeit?p=all<br />
(bundeszentrale für politische Bildung; 30.7.2010)<br />
- http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenerwerbsquote<br />
- http://antwerpsex.wordpress.com/2013/01/31/the-women-behind-vogue/<br />
(January 31, 2013)<br />
- http://www.zeit.de/2003/02/Bangladesh<br />
(DIE ZEIT 02/2003; WOLFGANG UCHATIUS)<br />
- http://www.gehaltsvergleich.com/gehalt/Handwerk.html<br />
- http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn<br />
(DIE ZEIT, 31.10.2012 Nr. 45; NADINE AHR)<br />
56<br />
-http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn/seite-3
(DIE ZEIT, 31.10.2012 Nr. 45; NADINE AHR)<br />
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-http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn<br />
(DIE ZEIT, 31.10.2012 Nr. 45; NADINE AHR)<br />
- http://de.wikipedia.org/wiki/Konfektion<br />
-http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn/seite-3<br />
(DIE ZEIT, 31.10.2012 Nr. 45; NADINE AHR)<br />
-http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91203407.html<br />
(DER SPIEGEL 9/2013; Fair ist schwer;<br />
Von Amann, Susanne; Dohmen, Frank; Hawranek, Dietmar; Klawitter, Nils; Nezik, Ann-Kathrin; Schiessl,<br />
Michaela; Tietz, Janko; Tuma, Thomas)<br />
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ma_Mode_200408.<strong>pdf</strong><br />
http://www.medialine.de/media/uploads/projekt/medialine/docs/bestellung_<strong>download</strong>/marktanalysen/2004/<br />
ma_Mode_200408.<strong>pdf</strong><br />
- http://www.zeit.de/2011/41/Kollektion-Westwood<br />
(ZEIT ONLINE; 6. Oktober 2011, ELISABETH RAETHER)<br />
- http://www.theguardian.com/world/2011/nov/24/kings-road-kenya-vivienne-westwood (The Guardian,<br />
Thursday 24 November 2011; Clar Ni Chonghaile)<br />
-http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-96238925.html (DER SPIEGEL 22/2013; Von Böll, Sven und Hesse,<br />
Martin)<br />
-http://www.welt.de/lifestyle/article114491448/Der-Streit-um-die-Pfauenparade-der-Mode-Blogger.html (DIE<br />
WELT; 20.März 2013; Von Clark Parkin)<br />
57
-http://www.teamdenzer.de/Aktuelles/Erfolgsmodelle/Die-Black-Swan-Theory ---<br />
http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/katastrophen-die-ankunft-des-schwarzenschwans/3962600.html<br />
(Handelsblatt 18. März 2013; Gabor Steingart)<br />
-http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/2232780/<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Macht<br />
- http://www.zeit.de/gesellschaft/generationen/2009-12/luxusgut-kind (ZEIT online; TANJA DÜCKERS; 14.<br />
März 2011)<br />
-http://www.zeit.de/karriere/2011-04/studie-unbezahlte-arbeit (ZEIT online;12. April 2011; QUELLE AFP)<br />
- http://www.cicero.de/salon/mein-kind-das-investitionsobjekt/52526 ( Cicero online; MARIE AMRHEIN;11.<br />
NOVEMBER 2012)<br />
-http://www.zeit.de/2010/09/Jesper-Juul/seite-4 (QUELLE ZEITmagazin, 25.02.2010 Nr. 09)<br />
Bildquellen<br />
- Jock Sturges; Radiant Identeties; Aperture Fondation, Inc. 1994<br />
58
QUELLEN BILDER<br />
-5 Foto:Kirsten Becken<br />
-9 :New Balance (http://www.flickr.com/photos/freecs/8702083754/in/pool-948882@N21/)<br />
-10: Vogue (http://www.vogue.co.uk/news/2011/10/11/fashions-night-out-event---japan-vogue-editors/<br />
gallery/695581)<br />
-15: Foto:Jock sturges; The Last Day of Summer (http://www.paulcava.com/STURGES-SOW/<br />
jocksturgesstana.html)<br />
-16: victoria secret Models (http://wallpaperswide.com/victoria_secret_models-wallpapers.html)<br />
-17: Benetton-Hemd in den Trümmern des eingestürzten Fabrikgebäudes in Bangladesch; ©MUNIR UZ<br />
ZAMAN/AFP/Getty Images<br />
-19 AXE Werbung (http://pinkstinks.de/petition/)<br />
-20: Foto: Dolce & Gabbana (http://www.sueddeutsche.de/leben/werbung-von-dolce-amp-gabbana-mehr-alsnur-modemacher-1.226751)<br />
-26: STATIS<br />
-27: H&M.com<br />
-28: thankgodimagirl.tumblr.com<br />
-35: Vouge Dez 1999/ Marc Jacobs; OH LOLA!<br />
59
-37: Foto: miu miu/ Suri Cruise (http://suricruisefashion.blogspot.de/2012_01_01_archive.html)<br />
-39: (http://www.exmodels.de/inside-barbiehaus-berlin) &(http://wupperwasser.wordpress.com/tag/nerv/)<br />
-40: Foto: The Pink Project – Jiyeon and Her Pink Things, Light jet Print, 2007, © Jeong Mee Yoon<br />
-43:(http://blog.megamodelagency.com/tag/andrej-pejic/)<br />
-45: Foto: detlev Schneider<br />
-49: Balanciaga/ Max Mara/ Proenza Schouler<br />
-51: Fotos: Kirsten Becken