Zwei Baby-Boys und 36 Spezialisten - UniversitätsSpital Zürich
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BAByGLüCk!<br />
Frei <strong>und</strong> doch vereint! Fünf Tage nach<br />
der Geburt trennt Prof. Martin Meuli die<br />
am Bauch zusammengewachsenen Buben.<br />
Jetzt schlummern sie friedlich nebeneinander.<br />
<strong>Zwei</strong> <strong>Baby</strong>-<strong>Boys</strong> <strong>und</strong> <strong>36</strong> <strong>Spezialisten</strong>: Geburt <strong>und</strong> Trennung<br />
der SIAMESISCHEN ZWILLINGE waren eine Spitzen-<br />
leistung. Wer in diesem medizinischen Orchester vom<br />
Kinderspital <strong>Zürich</strong> dirigierte, operierte, assistierte.<br />
Nach der Geburt getrennt<br />
58 schweizer illustrierte 59<br />
Fotos Valérie Jaquet, Gabriela Acklin, Kinderspital <strong>Zürich</strong>
BAByGLüCk!<br />
1 proF. martin<br />
meuli trug die<br />
Verantwortung,<br />
trennte die Zwillinge.<br />
qg Jeanette<br />
zandee<br />
Stationsleiterin<br />
Neonatologie Kispi.<br />
qj eVa kaderli<br />
Abteilungsleiterin<br />
Wochenbett am<br />
Universitätsspital.<br />
qO barbara<br />
günthard-uhl<br />
Leiterin der Gebärabteilung<br />
am USZ.<br />
wa annJa alich<br />
betreute die<br />
Zwillinge auf der<br />
Neonatologie.<br />
wd christa<br />
pFeFFerkorn<br />
betreute die <strong>Baby</strong>s<br />
in der Neonatologie.<br />
2 proF. oskar<br />
bänziger Chef<br />
Neonatologie, untersuchte<br />
die <strong>Baby</strong>s.<br />
qh suzanna<br />
hasani Pflegefachfrau,<br />
kümmerte<br />
sich um die Mutter.<br />
qk colette<br />
w yler Leiterin<br />
Pränatalabteilung<br />
am Unispital.<br />
wP susanna<br />
wittek Leiterin<br />
Pflege an der<br />
Frauenklinik USZ.<br />
ws Jacqueline<br />
salzlechner<br />
betreute die<br />
Zwillinge im Kispi.<br />
wf Francoise<br />
Jossi Leiterin<br />
IntensivPflege<br />
station im Kispi.<br />
3 pd dr.<br />
Vera bernet<br />
Organisation <strong>und</strong><br />
Ablauf der Geburt.<br />
4 pd dr.<br />
bernhard Frey<br />
betreute einen<br />
der Zwillinge.<br />
5 dr. claudia<br />
grawe<br />
Assistenzärztin,<br />
half bei der Geburt.<br />
AuF Alles GeFAsst Prof. Martin Meuli 1 leitet<br />
das 35-köpfige Team von <strong>Spezialisten</strong> während der<br />
Kaiserschnittgeburt. Geburtshelfer, Anästhesisten,<br />
Neonatologen, Chirurgen, Pflegende <strong>und</strong> Assistenten<br />
sind für jeden Notfall gewappnet. *<br />
* Die SI-Grafik zeigt<br />
die Situation im OP<br />
in der Übersicht.<br />
Tatsächlich standen<br />
die <strong>Spezialisten</strong><br />
enger beisammen.<br />
wg pd dr.<br />
markus weiss<br />
verantwortlich für<br />
Narkose der <strong>Baby</strong>s.<br />
qk<br />
ql<br />
qU<br />
wP<br />
qZ<br />
qg<br />
wQ<br />
wZ isabel<br />
gonzalez<br />
Pflegefachfrau, versorgte<br />
die <strong>Baby</strong>s.<br />
qf<br />
wW<br />
wd<br />
wj lilo enderli<br />
Pflegefachfrau,<br />
versorgte die <strong>Baby</strong>s.<br />
6 proF. ernst<br />
beinder Geburtshelfer<br />
USZ, machte<br />
den Kaiserschnitt.<br />
qW<br />
qd<br />
wf<br />
qQ<br />
wI luca<br />
mazzone Assistenzarzt,<br />
half bei<br />
Trennungsoperation.<br />
7 dr. Franziska<br />
krähenmann<br />
Oberärztin, assistierte<br />
bei der Geburt.<br />
qP<br />
8<br />
7<br />
9<br />
wO matthias<br />
baumann Assistenzarzt,<br />
half bei<br />
Trennungsoperation.<br />
8 dr. barbara<br />
blöchlingerwegemann<br />
betreute die Mutter.<br />
6<br />
eP edith Felk<br />
Leiterin Pflege<br />
Operationssaal<br />
Kispi.<br />
5<br />
9 sabine<br />
bosshard<br />
Pflegefachfrau,<br />
betreute die <strong>Baby</strong>s.<br />
eQ erica lüthi<br />
verantwortlich für<br />
das Material im<br />
Operationssaal.<br />
qP pd dr. peter<br />
biro verantwortlich<br />
für die Narkose<br />
beim Kaiserschnitt.<br />
qQ margret<br />
lewandowski<br />
Technische Operationsassistentin.<br />
ed dr. peter<br />
sacher Leitender<br />
Kinderchirurg Kispi.<br />
qd alexander<br />
Juppe<br />
Technischer Operationsassistent.<br />
60 schweizer illustrierte schweizer illustrierte 61<br />
es isabel<br />
Vormering<br />
Zudienende im<br />
Operationssaal.<br />
qs Valerie<br />
Jaquet<br />
fotografierte fürs<br />
Kinderspital.<br />
<strong>36</strong> <strong>Spezialisten</strong> für e inen Kaiserschnitt<br />
4<br />
3<br />
2<br />
wZ<br />
1<br />
eZ<br />
wg<br />
wj wk<br />
eg<br />
wl<br />
eR<br />
ef gabriela<br />
acklin<br />
fotografierte fürs<br />
Kinderspital.<br />
eP<br />
eE<br />
eQ<br />
eW<br />
eT pd dr. rita<br />
gobet Leitende<br />
Kinderchirurgin,<br />
half bei Trennung.<br />
qf irene baumann<br />
Leiterin Operationssaal<br />
Geburtshilfe USZ.<br />
SI-Grafik / Nigel Simmonds<br />
eZ brigitte<br />
Fritschi<br />
Planung Vorbereitung,<br />
Zudienung.<br />
dIE GEBurt<br />
13.00 Die Mutter wird mit der Ambulanz<br />
vom Universitätsspital USZ <strong>Zürich</strong> ins<br />
Kinderspital gefahren.<br />
13.30 Das Team versammelt sich im OP.<br />
Dr. Markus Weiss, Chef-Anästhesist im<br />
Kispi, orientiert über den Ablauf.<br />
14.00 Einleitung der Anästhesie bei der<br />
Mutter durch PD Peter Biro.<br />
14.13 Start der Kaiserschnitt-Operation<br />
durch Prof. Ernst Beinder.<br />
14.17 Die <strong>Baby</strong>s sind geboren <strong>und</strong><br />
wohlauf. Einer der Buben schreit sofort.<br />
14.18 Prof. Ernst Beinder trägt die Kinder<br />
auf den Doppelbabytisch.<br />
14.19 Prof. Oskar Bänziger, Neo-<br />
natologe, <strong>und</strong> seine Leute untersuchen<br />
die Säuglinge. Martin Meuli kontrolliert<br />
die Gewebebrücke, die die Zwillinge<br />
verbindet.<br />
14.20 Die Geburtshelfer versorgen die<br />
Mutter <strong>und</strong> nähen den Kaiserschnitt.<br />
14.34 Martin Meuli entscheidet nach<br />
Rücksprache mit seinem Team, dass<br />
man die Kinder nicht sofort<br />
trennen muss. Sie werden auf die<br />
Intensiv-Pflegestation verlegt.<br />
dIE trENNuNG<br />
Fünf Tage nach der Geburt ist es so weit.<br />
11.10 Die Buben liegen auf dem<br />
Operationstisch. Nochmals werden<br />
Körperfunktionen wie Puls <strong>und</strong><br />
Blutdruck überprüft.<br />
11.21 Einleitung der Anästhesie beim<br />
ersten Buben. Der Schlauch durch den<br />
M<strong>und</strong> zur Lunge, Intubation genannt,<br />
stellt die Atmung sicher.<br />
11.33 Einleitung der Narkose beim anderen<br />
Zwilling. Auch er wird intubiert.<br />
11.46 Anästhesisten positionieren die<br />
Kinder in Seitenlage.<br />
11.57 Das Operationsfeld wird desinfiziert<br />
<strong>und</strong> steril abgedeckt.<br />
12.18 Martin Meuli beginnt mit der<br />
Trennungsoperation. Ihm assistieren<br />
Dr. Rita Gobet <strong>und</strong> Dr. Peter Sacher.<br />
12.58 Die Zwillinge sind getrennt.<br />
13.01 Sie werden je auf einem separaten<br />
Operationstisch gelagert. Noch sind die<br />
Verbände provisorisch.<br />
13.32 Die Bauchdecken der Buben<br />
werden verschlossen, jeder erhält einen<br />
Bauchnabel. An die siamesische Verbindung<br />
erinnert nur die kleine Narbe.<br />
14.20 Die Intubationen werden entfernt.<br />
Die Kinder atmen selbstständig. Alle<br />
Werte sind normal.<br />
14.41 Martin Meuli informiert die Eltern<br />
über die geglückte Operation. Die Kinder<br />
werden auf die Intensiv-Pflegestation<br />
zurückgebracht.
BAByGLüCk!<br />
Die Geburt der siamesischen<br />
Zwillinge <strong>und</strong> ihre Trennung fünf<br />
Tage später waren ein seltenes<br />
Ereignis. Prof. MArtIN<br />
MEuLI ist stolz auf sein Team,<br />
das er gern auch als «mein<br />
Symphonieorchester» bezeichnet.<br />
Text MArtIN SCHuppLI<br />
Fotos dICk vrEdENBrEGt<br />
Sensationell! Siamesische Zwillinge!<br />
Ende Januar erhält Prof.<br />
Martin Meuli ein Telefon von<br />
Prof. Ernst Beinder, Leitender Arzt Geburtshilfe<br />
am Unispital <strong>Zürich</strong>. Er teilt<br />
dem chirurgischen Direktor des Kinderspitals<br />
mit, dass eine seiner Patientinnen<br />
im vierten Monat schwanger sei <strong>und</strong><br />
siamesische Zwillinge erwarte. «Mich<br />
elektrisierte die Nachricht», sagt der<br />
Kispi-Chirurg. «Schliesslich kommt das<br />
auf 120 000 Schwangerschaften nur einmal<br />
vor!» Ein Drittel der zusammengewachsenen<br />
<strong>Baby</strong>s sterben kurz vor<br />
oder kurz nach der Geburt. Die, die<br />
überleben, sind kaum trennbar.<br />
Die Zürcher Buben haben gute Überlebenschancen.<br />
«Kollege Beinder war<br />
schon damals weitgehend sicher, dass<br />
die Verbindung am Bauch eher einfacher<br />
Natur sei», sagt Meuli, «<strong>und</strong> es kaum<br />
Komplikationen gebe.» Der fröhliche<br />
Kispi-Professor informiert sofort einige<br />
62 schweizer illustrierte<br />
seiner wichtigsten Leute. «Ich begann<br />
quasi mein Orchester zusammenzustellen<br />
<strong>und</strong> mit ihm den Tag X zu planen. Im<br />
besten Fall hatten wir dafür 20 Wochen<br />
Zeit. Denn wir wollten die <strong>Baby</strong>s in<br />
der 37. Woche mit einem Kaiserschnitt<br />
zur Welt bringen.» Siamesische Zwillinge<br />
sind auch für Martin Meuli seltene Patienten:<br />
«Im Kispi hatten wir erst einmal<br />
zusammengewachsene <strong>Baby</strong>s. Das war<br />
1989. Sie starben nach der Geburt.» Besser<br />
erging es siamesischen Zwillingen<br />
aus Rumänien, die 1983 in Lausanne VD<br />
getrennt wurden. Sie überstanden den<br />
Eingriff <strong>und</strong> sind wohlauf.<br />
In <strong>Zürich</strong> laufen die Vorbereitungen auf<br />
Hochtouren. Was später als «kurz <strong>und</strong><br />
bündig» bezeichnet werden wird, ist in<br />
Tat <strong>und</strong> Wahrheit eine «grosse Kiste»,<br />
«eine Symphonie für Orchester <strong>und</strong><br />
Chor», wie Musikfan Meuli die Geburt<br />
gerne nennt. «Trotz guter Prognose<br />
mussten wir für Notfälle bereit sein.»<br />
Diverse Szenarien werden durchgesprochen<br />
<strong>und</strong> auch trocken geübt. Martin<br />
Meuli legt mit seinen Teamleadern einen<br />
exakten Ablaufplan fest. Für den Tag X<br />
müssen genügend Leute aufgeboten <strong>und</strong><br />
Operationssäle reserviert werden. Besprochen<br />
wird auch, was passiert, wenn<br />
die Kinder zu früh, etwa in der 30. Woche,<br />
zur Welt kommen würden. «Das<br />
wäre höchst anspruchsvoll gewesen»,<br />
meint Meuli. «Glücklicherweise ist<br />
dieser Fall nicht eingetreten.»<br />
ZuFrieden Prof. Martin Meuli ist glücklich. Sein<br />
«Orchester» trennte die siamesischen Zwillinge.<br />
Sein Taktstock ist das Skalpell<br />
Sieben Wochen später überrascht<br />
Gynäkologe Beinder seinen Kollegen<br />
ein weiteres Mal. «Ein Zwilling hatte sich<br />
im Bauch der Mutter gedreht. Die Buben<br />
schauen sich nicht mehr an, sondern<br />
strecken einander die Füsse ins Gesicht»,<br />
meldet er. Komplikationen gibts<br />
keine, aber die Fachleute im Kispi<br />
müssen ihre Pläne ändern. Martin<br />
Meuli: «Statt zwei Köpfe nahe beieinander<br />
hatten wir nun die Situation Kopf<br />
neben Fuss. Eine Schwierigkeit für<br />
die Neonatologen. Man stelle sich vor,<br />
die arbeiten am Kopf des <strong>Baby</strong>s <strong>und</strong><br />
daneben strampelt der andere Zwilling<br />
mit den Füssen. Gut möglich, dass er<br />
mit dem Fuss dem Bruder den Beatmungsschlauch<br />
aus dem M<strong>und</strong> reisst.»<br />
Etwas Ähnliches passiert dann auch tatsächlich<br />
kurz vor der Trennung: «Ich<br />
sah, wie einer dem anderen mit dem<br />
Fuss den Nuggi aus dem M<strong>und</strong> riss. Der<br />
Schnuller hing danach am grossen Zeh»,<br />
erzählt Martin Meuli in seinem markigen<br />
Bündner Dialekt. Der 52-Jährige lacht<br />
dabei laut.<br />
Im Frühsommer wächst im Kispi die<br />
Aufregung. Da im Kinderspital eigentlich<br />
keine <strong>Baby</strong>s zur Welt kommen, stellt das<br />
Unispital sowohl ein Geburtshilfe-Team<br />
unter der Leitung von Prof. Ernst Beinder<br />
<strong>und</strong> ein Erwachsenen-Anästhesie-<br />
Team, geleitet von PD Peter Biro. Für die<br />
Betreuung der <strong>Baby</strong>s sind die Leute von<br />
Prof. Oskar Bänziger, Chef von Intensiv-<br />
Aus eins wird <strong>Zwei</strong> An Bauch <strong>und</strong> Brustbein<br />
waren sie zusammengewachsen (oben). Kurz nach<br />
der Trennung sind sie noch voll verkabelt.<br />
station <strong>und</strong> Neonatologie, im Kispi verantwortlich.<br />
«Wir brauchten im Operationssaal<br />
viele Leute auf Pikett», so<br />
Martin Meuli. «Ein Chirurgenteam, das<br />
bei der Kaiserschnitt-OP im Notfall<br />
allfällige Blutungen hätte stoppen<br />
können, Chirurgen <strong>und</strong> Assistenten für<br />
die notfallmässige Trennung der Kinder.<br />
Sowie zwei Neonatologie-Teams für die<br />
Versorgung der Zwillinge <strong>und</strong> Anästhesie-Teams.»<br />
Mitte Juni ist es endlich so weit. Im<br />
grössten Operationssaal des Kinderspitals<br />
holen die Geburtshelfer die beiden<br />
ges<strong>und</strong>en Buben auf die Welt. Da alles<br />
gut verläuft, kommen nur Anästhesisten,<br />
Geburtshelfer sowie Neonatologen zum<br />
Einsatz. Eine St<strong>und</strong>e nach der Geburt<br />
rollt das Pflegepersonal das Bettchen<br />
der siamesischen Zwillinge bereits auf<br />
die Intensiv-Pflegestation. «Die beiden<br />
schrien <strong>und</strong> strampelten wie ganz normale<br />
Kinder», sagt Martin Meuli. «Und<br />
die Überwachungsgeräte zeigten uns,<br />
dass alles normal verlief.»<br />
Problemlos klappt fünf Tage später<br />
auch die Trennung der beiden Buben.<br />
«Eine kurze <strong>und</strong> problemlose Sache»,<br />
sagt Martin Meuli. Mittlerweile sind die<br />
<strong>Baby</strong>s bei ihren Eltern zu Hause. Sie entwickeln<br />
sich prächtig, trinken abwechselnd<br />
Schoppen oder von Mutters Brust.<br />
An die Zeit als siamesische Zwillinge erinnert<br />
nur noch eine kleine Narbe am<br />
Bauch. �