Monatsbrief Juni 2013 - Freie Waldorfschule Wolfratshausen
Monatsbrief Juni 2013 - Freie Waldorfschule Wolfratshausen
Monatsbrief Juni 2013 - Freie Waldorfschule Wolfratshausen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Das Klassenspiel der 8. Klasse: weit mehr als ein Theaterstück<br />
In der achten Klasse einer <strong>Waldorfschule</strong>, vor dem<br />
Abschluss der „Klassenlehrerzeit“ wird in der Regel<br />
ein größeres Theaterstück gespielt. Warum ist dieses<br />
Stück so wichtig und warum nimmt es in der 8. Klasse<br />
einen solchen Raum ein? Wir fragten Herrn Burghard<br />
Rühmann, den Klassenlehrer der 8. Klasse und besuchten<br />
die Proben, um mehr zu erfahren.<br />
Acht Schüler nehmen auf der Bühne ihre Positionen<br />
ein, weitere streichen draußen eine Tür weiß, andere<br />
malen Requisiten an, die zuvor vorbereitet wurden.<br />
„Seitdem Technik, Kostüme und Bühne in Ansätzen<br />
vorhanden sind, sind wir einen großen Schritt weiter“,<br />
erzählt die Regisseurin Edda von der Decken. Alle<br />
Schüler sind eingebunden,<br />
übernehmen<br />
Aufgaben auf und<br />
hinter der Bühne. Der<br />
Szenenplan ist eng,<br />
trotzdem bleibt immer<br />
Zeit für ein gemeinsames<br />
Mittagessen.<br />
Die Probenwochen<br />
sind aufregend<br />
turbulent und anstrengend.<br />
Sie erfordern<br />
Mut zur Improvisation,<br />
Geduld,<br />
Durchhaltevermögen<br />
und Konzentration.<br />
„Es ist nicht damit<br />
getan, dass ihr eure<br />
Rollen sprecht, ihr<br />
müsst auch reagieren,<br />
mitspielen“,<br />
spornt die Regisseurin<br />
die Schauspieler<br />
an. Wie reagieren Bo,<br />
Scipio, Wespe und<br />
Co, wenn sie beleidigt<br />
sind, sich freuen<br />
oder wenn ihnen etwas<br />
peinlich ist? Die<br />
Schüler entwickeln<br />
nicht nur den Sprachrhythmus,<br />
Auf- und<br />
Abgänge, sie schlüpfen in andere Persönlichkeiten.<br />
Burghard Rühmann erklärt die Bedeutung des Klassenspiels<br />
einer 8. Klasse für die Schüler so: „In der 8.<br />
Klasse stehen die Schüler an der Schwelle zum<br />
Erwachsenwerden: Sie sind auf der Suche nach ihrer<br />
eigenen Persönlichkeit, erleben bisher unbekannte<br />
seelische Empfindungen und sehen sich neuartigen<br />
Herausforderungen gegenübergestellt. Die Schüler<br />
wollen sich und ihre erwachende Persönlichkeit ausprobieren<br />
und stoßen im wirklichen Leben dabei<br />
schnell an äußere Grenzen.<br />
Die Bühne und die Theaterarbeit kann ihnen einen<br />
geschützten Raum bieten, in dem sie sich in ihrer<br />
Entwicklung ausprobieren können: Die Maske einer<br />
Bühnenrolle erleichtert es ihnen, Seelisches zum Ausdruck<br />
zu bringen und vor anderen zu zeigen. Hierbei<br />
bietet sich ihnen die Gelegenheit, bisher unbekannte<br />
Aspekte ihrer Persönlichkeit und neue Ausdrucksmöglichkeiten<br />
zu entdecken.<br />
Nicht selten bringt die Theaterarbeit dadurch auch<br />
Bewegung in die Klassengemeinschaft. Die Schüler<br />
nehmen sich auf der Bühne gegenseitig neu wahr und<br />
sehen ihre Mitschüler in einem anderen Licht. Mancher<br />
findet auf diese Weise auch in der Klassengemeinschaft<br />
eine neue Rolle.“<br />
Die erste Voraussetzung für ein erfolgreiches Klassenspiel<br />
ist das Stück selbst. Es muss zur Klasse<br />
passen, damit bei den Schülern der Funke überspringt.<br />
Das Klassenspiel<br />
begleitete die<br />
Schüler ab Oktober.<br />
Zuerst wählten sie aus<br />
fünf Vorschlägen der<br />
Regisseurin und des<br />
Klassenlehrers das<br />
passende Stück: „Herr<br />
der Diebe“, frei nach<br />
dem Roman von Cornelia<br />
Funke.<br />
Wer dachte, es sei das<br />
„einfachere“ Stück,<br />
hatte sich mächtig geirrt.<br />
Weil das Regieteam<br />
und die Klasse<br />
den Wunsch hatten,<br />
möglichst nahe am<br />
Buch und an den Charakteren<br />
zu spielen,<br />
entschied sich Edda<br />
von der Decken kurzerhand<br />
die ursprüngliche<br />
Bühnenfassung<br />
mit filmischen Elementen<br />
zu erweitern. Über<br />
einige Wochen überarbeitete<br />
die Regisseurin<br />
das Stück zusammen<br />
mit zwei Schülerinnen.<br />
Heraus kam eine Bühnenfassung<br />
mit zwei<br />
Akten und insgesamt 37 Szenen! Dann befasste sich<br />
die Klasse im Rahmen des Unterrichts mit dem Stück.<br />
Leseproben, Szenen besprechen und anspielen kombiniert<br />
mit verschiedenen Theaterübungen und<br />
Stimmarbeit.<br />
Seit den Osterferien probte die Klasse auf der Bühne<br />
im Gasthaus „Beim Schlicke“, gleichzeitig bereiteten<br />
Schüler, Lehrer und helfende Eltern die Requisiten,<br />
Kostüme, Technik und das Bühnenbild vor. Häufig<br />
hieß es improvisieren, nicht zuletzt um die zahlreichen<br />
Requisiten schon für die Proben nutzen zu<br />
können. Nun sind die aufregenden Probewochen<br />
vorbei – allen Zuschauern viel Spaß beim Zusehen –<br />
auf dass der Funke weiter springt!<br />
Albertine Sprandel<br />
6