Pyrenäen: Hoch und heilig - Uwe Grinzinger
Pyrenäen: Hoch und heilig - Uwe Grinzinger
Pyrenäen: Hoch und heilig - Uwe Grinzinger
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pyrenäen<br />
<strong>Hoch</strong> <strong>und</strong> <strong>heilig</strong><br />
Nahe des Wallfahrtsortes Lourdes findet sich eines der<br />
himmlischten Bergsteigerreviere der <strong>Pyrenäen</strong>. R<strong>und</strong><br />
um Gavarnie liegen Massenprozession <strong>und</strong> Einsiedler-<br />
Feeling eng beisammen.<br />
Von <strong>Uwe</strong> <strong>Grinzinger</strong> (Text <strong>und</strong> Bilder)<br />
Wie Aufgemalt<br />
Atelier de photographie - Bunte<br />
Fototapete unter der Brèche de Roland,<br />
links der „Wollmützchenberg“<br />
62 Land<br />
der Berge 04|11 Land der Berge 04|11 63
pyrenäen<br />
64 Land<br />
Drei Wahrnehmungen verbinde<br />
ich sofort mit Gavarnie: Das<br />
elektrisch tönende Alarmpfeifen<br />
der Plüsch-Murmeltiere an den Souvenirständen.<br />
Das Wiehern der echten<br />
Esel <strong>und</strong> Pferde. Und das Aroma ihrer<br />
dampfenden Hinterlassenschaften.<br />
Wir befinden uns im Jahre 2011.<br />
Ganz Gallien ist von Erholungswütigen<br />
besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein<br />
Dorf im Südwesten ganz besonders!<br />
Der winzige <strong>Pyrenäen</strong>weiler Gavarnie<br />
nämlich, ganze<br />
Wasserfälle Europas.<br />
Der Weg in den Cirque ist nicht zu<br />
verfehlen. Eine bunte Schar wälzt sich<br />
entlang der Pferdeapfel-Avenue,<br />
schwitzend <strong>und</strong> schnatternd. Letzteres<br />
nimmt mit jeder kleinen Steigung verlässlich<br />
ab. Rauchende Franzosen,<br />
zielstrebig ausschreitende Deutsche,<br />
kurzbehoste Briten, entweder käsebleich<br />
(heute angekommen) oder<br />
knallrot (schon einen Tag da). Und natürlich<br />
Amerikaner, die ihren Mangel<br />
an Fitness durch ein Übermaß an Sitzfleisch<br />
wettmachen. Was letztendlich<br />
die ebenso bemitleidenswerten wie<br />
apathischen Ausflugspferde <strong>und</strong> Esel<br />
büßen müssen, die sie in den Cirque<br />
<strong>und</strong> zurück schleppen.<br />
150 Einwohner<br />
zählend. Die<br />
Hauptsaison-<br />
Horden dort haben<br />
fast alle nur<br />
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ein Ziel: den<br />
Neu in der 4ten Auflage:<br />
grandiosen Felskessel<br />
des Cir-<br />
Gavarnie - ein nationales Heiligtum!<br />
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Heiligtum, zwiespältig<br />
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que de Gavarnie. Ein natürliches Halbr<strong>und</strong>,<br />
etwa drei Kilometer im<br />
Josephs-Höhe für Österreich. Allerdings<br />
- Neue Klettersteigfilme auf DVD-ROM<br />
Ein Gästemagnet wie die Franz-<br />
- Tourenblätter für das Smartphone<br />
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Durchmesser. Darüber pflustern sich mit einem Rest von Charme. Speziell,<br />
- Und natürlich viele neue Klettersteige :-)<br />
wuchtige Dreitausenderwände noch sobald die Touristenprozession des<br />
einmal mehr als 1.500 Meter hoch auf. Abends abgeebbt ist. Zuvor sei empfohlen,<br />
die illustre Parade aus sicherer Di-<br />
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Wenn die Reisebusse am<br />
Abend die Massen wieder<br />
eingesaugt haben, kehrt selbst<br />
in Gavarnie Stille ein.<br />
„Klettersteigpapst“ Eugen E. Hüsler bemerkte,<br />
verlässlich „für Heiterkeit gesorgt,<br />
passen Ross <strong>und</strong> Reiter doch zu<br />
oft nicht ohne weiteres zusammen.“<br />
Heidelbeerkuchen <strong>und</strong> Café au lait versüßen<br />
das Amüsement. Oder gleich ein<br />
Panaché? Denn wir sind zwar unbestreitbar<br />
im herben <strong>Hoch</strong>gebirge,<br />
gleichzeitig weht aber bereits heitersüdfranzösisches<br />
Flair. Willkommen<br />
im Hoheitsgebiet von Baguettes, Crèpes,<br />
Patissierien <strong>und</strong> echtem Muntermacher-<br />
Kaffee in Fingerhüten!<br />
Lourdes – höllisch <strong>heilig</strong><br />
Und überhaupt: Wer sich am Weg nach<br />
Gavarnie schon durch Lourdes gestaut<br />
hat, den erschüttert nichts mehr. Legionen<br />
von Wallfahrern drängen sich<br />
dort, auf der Suche nach Heil, Genesung<br />
oder spirituellem Mehrwert. Aber<br />
genau der ist in der Welthauptstadt der<br />
Motivkerzen nicht leicht zu finden. Es<br />
dominieren heilloser Kitsch <strong>und</strong> gnadenlose<br />
Geschäftstüchtigkeit. Kitschengerl,<br />
Plastik-Gnadenmuttern,<br />
Schwarzwälder Kuckucksuhren (zu<br />
Bsp.: Tourenblatt<br />
auf Smartphone<br />
Architektur & Natur<br />
Petite village - Torla, das Eingangstor zum spanischen<br />
Nachbarn im Süden (li.) Surprise humide - eine<br />
wässrige Überraschung im spanischen Süden (re.).<br />
erstehen im „deutschen Kaufhaus“<br />
oder „Bei Dieter“) <strong>und</strong> Ave Maria-<br />
Zwangsbeschallung: auch eine Form<br />
der Buße! Fünf Millionen Pilger jährlich<br />
geben dabei die Statisten. So hat<br />
sich ein ehemaliges Provinznest zur<br />
Stadt mit der zweithöchsten Hoteldichte<br />
in ganz Frankreich gemausert.<br />
Band<br />
Band<br />
Band<br />
Schlucht<br />
Band
pyrenäen<br />
66 Land<br />
colossale!<br />
Große Kerbe, kleiner Mensch. Die „Brèche<br />
de Roland,“ ein ca. 40 Meter breiter <strong>und</strong> 100<br />
Meter hoher Druchschlupf durch die Felsen.<br />
<strong>Pyrenäen</strong><br />
R<strong>und</strong> um Gavarnie<br />
Lage<br />
Zentralpyrenäen, Südfrankreich, an der Grenze<br />
zu Spanien. Ca. 95 km südlich von Pau bzw.<br />
50 km südlich von Lourdes.<br />
Anreise<br />
■ Per Flugzeug<br />
(Lufthansa, Air France, Austrian Airlines) nach<br />
Pau od. Toulouse. Weiter mit PKW od. Bus.<br />
Lufthansa-Direktflüge: München - Toulouse.<br />
Beste Reisezeit<br />
Je nach Schneelage Anfang Juli bis Ende<br />
September.<br />
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(zusätzlich für Tour 4)<br />
Literatur<br />
Roger Büdeler<br />
<strong>Pyrenäen</strong> 2,<br />
Rother-Wanderführer, Bergverlag Rother, 2.<br />
Auflage 2010, EAN 9783763343089 (Tour 2, 3, 5)<br />
Eugen E. Hüsler<br />
Wanderungen in den <strong>Pyrenäen</strong>,<br />
Bruckmann Verlag, 1992, ISBN 3-7654-2457-9<br />
(v. a. für Tour 4, vergriffen)<br />
Prozession & Einsamkeit<br />
50 Kilometer talaufwärts pilgern die Prozessionen dann<br />
halt in den Tempel Natur – den Cirque de Gavarnie.<br />
Warum aber gerade eine Geschichte über einen solchen<br />
Massenauflauf? Weil die Szenerie tatsächlich ihresgleichen<br />
sucht! Weil sich die <strong>Pyrenäen</strong> vielerorts<br />
noch wild <strong>und</strong> ungezähmt geben. So stelle ich mir die<br />
Alpen vor fünfzig Jahren vor. Und weil es dort noch<br />
sehr leicht geht, alleine zu sein. Wenn die Reisebusse<br />
am Abend die Massen wieder eingesaugt haben, kehrt<br />
selbst in Gavarnie Stille ein.<br />
„’<strong>Pyrenäen</strong>’ – das war so eine rostbraune Sache auf<br />
einer sonst grünen <strong>und</strong> schwarzen Karte, darin ein paar<br />
Bergkleckse standen, rechts <strong>und</strong> links gefiel sich die<br />
Karte in Blau, das war das Meer... Ja, <strong>und</strong> sie trennten<br />
Spanien <strong>und</strong> Frankreich. Auch musste man jedes Mal<br />
ein kleines bißchen nachdenken, bevor man den Namen<br />
schrieb“, bilanzierte Kurt Tucholsky sein Schulwissen.<br />
Aber sonst? Nur nackte, sonnenverdörrte Ödnis, oder?<br />
Weit gefehlt! Denn ein Gebirgszug von gut 400 Kilometern<br />
Länge, von zwei Meeren eingekeilt, ist halt leicht<br />
ein Hindernis für die eine oder andere Front. Und so<br />
kommt’s, dass sich die Landschaft ziemlich zweigeteilt<br />
präsentiert: Grüner französischer Norden, trockener<br />
spanischer Süden. Sieht man aber ein bisschen genauer<br />
hin, bieten die <strong>Pyrenäen</strong> zwischen diesen beiden Polen<br />
einen schier unglaublichen Reichtum an Formen <strong>und</strong><br />
Farben.<br />
Andächtig staunen<br />
Wer das touristische Pflichtprogramm, den Cirque de<br />
Gavarnie, absolviert hat, sollte für die Kür zum Pic de<br />
Tentes (2.322 m) wechseln. Eine ideale Alpin-Ouverture!<br />
Natürlich lässt er sich auch als besserer Spaziergang<br />
von der Straße am Col de Tentes erreichen. Wer’s allerdings<br />
ruhiger will, steige direkt von Gavarnie hinauf,<br />
am besten über den Pic de la Pahule (2.292 m). Ab dem<br />
Plateau de Bellevue (das heißt nicht umsonst so!) sogar<br />
steil <strong>und</strong> weglos, mit einem Abstieg übers Vallée des<br />
Pouey Aspé eine wahrlich r<strong>und</strong>e Sache.<br />
Falsche Heiden<br />
Die Brèche de Roland - eines DER Wahrzeichen der <strong>Pyrenäen</strong>!<br />
Wie eine kolossale Zahnlücke klafft die monumentale<br />
Scharte im ansonsten makellosen Strahlelächeln<br />
des <strong>Pyrenäen</strong>-Hauptkammes. Ein schmaler<br />
Durchschlupf durch eine senkrechte Felsbarriere, ca. 40<br />
Meter breit <strong>und</strong> fast 100 Meter hoch. Noch einmal Eugen<br />
E. Hüsler: „Keine Scharte, wie man sie von der Natur<br />
erwartet ... Es fehlt nur die Türe, um die Illusion<br />
eines vom Menschen geschaffenen Durchgangs perfekt<br />
zu machen.“ Der Legende zufolge hat sich hier der heldenhafte<br />
Roland, obwohl schon schwerst morib<strong>und</strong>, ein<br />
Webtipps<br />
www.gavarnie.com<br />
der Berge 04|11<br />
www.parc-pyrenees.com<br />
www.ordesapirineos.com<br />
Land der Berge 04|11 67
pyrenäen<br />
Wir sind zwar unbestreitbar<br />
im herben <strong>Hoch</strong>gebirge,<br />
gleichzeitig weht aber<br />
bereits heiter-südfranzösisches<br />
Flair.<br />
Spiegel & Farben<br />
Der Taillon steht Kopf im Naturspiegel am<br />
Ausgangspunkt Col de Tentes(li.) Rechts das<br />
Farbenspektakel am Monte Perdido.<br />
letztes Mal ausgetobt. Nach seiner Niederlage<br />
gegen die Sarazenen schlug er<br />
flüchtend mit einem Hieb seines unbesiegbaren<br />
Schwertes Durendal (Frage<br />
an die Historiker: warum verliert man<br />
eine Schlacht trotz unbesiegbarem<br />
Schwert?) diese gewaltige Bresche.<br />
Wahrer Kern der Sage: die Vernichtung<br />
der Nachhut des Frankenkönigs Karls<br />
des Großen durch die Basken im Jahr<br />
778. Nur war das innerchristliche Gemetzel<br />
für den Schreiber der Rolandssaga<br />
glaubenstechnisch nicht so wirklich<br />
opportun. Deshalb ließ er die<br />
meuchelnden Basken kurzerhand zu<br />
heidnischen Sarazenen werden. Soviel<br />
zum Thema objektive Geschichtsschreibung.<br />
In der Brèche de Roland tut sich<br />
schlagartig ein Blick auf die Mondlandschaft<br />
im trockenen spanischen<br />
Süden auf. Dort liegt der Ordesa-Nationalpark,<br />
der älteste <strong>und</strong> kleinste der<br />
drei <strong>Pyrenäen</strong>-Nationalparks. Zusammen<br />
mit seinem Nachbarn, dem französischen<br />
Parc National des Pyrénées,<br />
bildet er einen Teil des UNESCO-Weltnaturerbes.<br />
In den Felscañyons von<br />
Ordesa nisten häufig Gänsegeier.<br />
Nicht ganz so erfolgreich gedeiht der<br />
legendäre <strong>Pyrenäen</strong>bär. Zwar fallen<br />
ihm jedes Jahr „nur“ rd. 150 (von 3<br />
Mio.) Schafe zum Opfer, wenn er<br />
wieder mal auf vegetarische Kost<br />
pfeift. Dennoch hat sich Meister Petz<br />
damit ein ordentliches Imageproblem<br />
eingebrockt. Auch Importe aus<br />
68 Land<br />
Slowenien <strong>und</strong> Kroatien konnten<br />
nicht verhindern, dass das gute Dutzend<br />
verbleibender Braunbären mehr<br />
<strong>und</strong> mehr zum Auslaufmodell wird.<br />
Eine Parallele zur österreichischen<br />
Population, die sich ja überhaupt<br />
zum Ein-Mann-Unternehmen entwickelt<br />
hat.<br />
Die Brèche wäre aber, bei aller<br />
Großartigkeit, ohne den erstklassigen<br />
Aussichtsgipfel Le Taillon (3.144 m)<br />
nur eine halbe Sache. Am einstündigen<br />
Weg dorthin dünnt sich nicht<br />
nur das Teilnehmerfeld merklich aus,<br />
auch wechselt das Gestein fast<br />
Schritt für Schritt die Farbe: Bleiches<br />
Hellgrau, gedämpftes Ocker, knalliges<br />
Orange, sattes Karminrot – nur<br />
um auf der anderen Seite des Gipfels<br />
noch bunter zu werden. Ein Farbenspektakel!<br />
Mindestens ebenso beeindruckt<br />
die phänomenale Aussicht,<br />
etwa auf die wie Plastilin gew<strong>und</strong>enen<br />
Gesteinsverwerfungen gegenüber<br />
am Pic de Marboré. Monumental!<br />
Himmlisch ruhig<br />
Wem’s an der Brèche de Roland zu<br />
quirlig zuging, auf den wartet wenig<br />
entfernt das stille Kontrastprogramm:<br />
Der Pic de la Bernatoire (2.516 m),<br />
einer aus der breiten Masse der Unauffälligen.<br />
Erreicht wird der gutmütige<br />
Schieferberg von Gavarnie aus<br />
auf einer Fahrpiste, von der der Mietwagenanbieter<br />
Ihres Vertrauewns<br />
besser keinen Wind bekommen sollte.<br />
Die Attraktionen am Weg zum<br />
Gipfel: Sattgrüne Hänge, Blumen,<br />
Kühe, Murmeltiere. Schließlich der<br />
Lac de la Bernatoire - kreisr<strong>und</strong>, wie<br />
mit dem Zirkel gezogen, ohne sichtbaren<br />
Abfluss. Allesamt gewiss keine<br />
Weltsensationen, aber in ihrer<br />
schlichten Harmonie <strong>und</strong> Abgeschiedenheit<br />
irgendwie doch etwas Besonderes.<br />
Ein Berg zum Abschalten, zur<br />
inneren Einkehr.<br />
„Haute Route de Gavarnie“<br />
Genussmaximierern sei als Nonplusultra-Tour<br />
eine wahrlich große Dreitagesr<strong>und</strong>e<br />
um Gavarnie empfohlen. Allerdings<br />
nur, wenn Verhältnisse als auch<br />
persönliches Rüstzeug wirklich passen.<br />
Als da wären: Gute Sicht - Nebel <strong>und</strong><br />
das nachmittags obligatorische Quellwolkengewabere<br />
lassen das Unternehmen<br />
rasch zur Irrfahrt werden. Wen<br />
dort oben gar ein Gewitter überrumpelt,<br />
der hat schlechte Karten – aber<br />
hoffentlich einen umso leistungsfähigeren<br />
Schutzengel. Schließlich muss<br />
immer wieder allerlei Geschröf ungesichert<br />
<strong>und</strong> schnell überklettert werden.<br />
Die „Haute Route de Gavarnie“, so<br />
sei die Tour genannt, beginnt mit dem<br />
Aufstieg zum Refuge de la Brèche de<br />
Roland, wenn möglich gefolgt von<br />
einem Abstecher auf den Taillon. Anderntags<br />
dann der Paukenschlag: Nach<br />
Durchschreiten der Brèche de Roland<br />
ein st<strong>und</strong>enlanges Dahinwandeln auf<br />
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Land der Berge 04|11 69<br />
© Nikwax 2011. All rights reserved. Photo by Patitucci Photo
pyrenäen<br />
Ruhe in Person<br />
Sie sind wirklich nicht zu beneiden <strong>und</strong><br />
trotzdem höchst gelassen: Die armen<br />
Touristenesel in Gavarnie..<br />
spanischer Seite - immer entlang des<br />
Hauptkammes, immer nahe der Dreitausendergrenze,<br />
immer in einer fantastisch<br />
abseitigen Gegend. Wer flink<br />
<strong>und</strong> gut bei Kondition ist, kann die<br />
lautmalerischen Gipfel Tour (Turm,<br />
3.009 m), Casque (Helm, 3.006 m) <strong>und</strong><br />
Épaule (Schulter, 3.072 m) alle mit<br />
recht wenig Zusatzaufwand „mitnehmen.“<br />
Gut überlegen sollte man sich hingegen<br />
Abstecher auf den Cilindro<br />
(3.325 m) oder auf den Monte Perdido<br />
(3.355 m), Dritthöchster der <strong>Pyrenäen</strong>.<br />
Denn auch ohne sie ist der folgende<br />
Abstieg von der Cilindro-Scharte noch<br />
lange genug – <strong>und</strong> manchmal auch<br />
knifflig, führt er doch über den Perdido-Gletscher.<br />
Sogar ein paar Spalten<br />
hat’s hier. Dem nicht genug: Unter dem<br />
Gletscher gilt es noch, den richtigen<br />
Ausstieg zu finden, der in manchmal<br />
unguter Kletterei ins <strong>Hoch</strong>tal mit dem<br />
70 Land<br />
der Berge 04|11<br />
Lago Helado de<br />
Pineta leitet. Nebulose<br />
Beschreibungen,<br />
die über<br />
20 Jahre am Buckel<br />
haben, erleichtern<br />
dieses<br />
Unterfangen übrigens<br />
nicht<br />
wirklich.<br />
Am Ende<br />
dieses ansonsten<br />
genialen Tages<br />
lauert der größte<br />
Wermutstropfen:<br />
das Refuge de<br />
Tuquerouye. Die<br />
älteste <strong>Pyrenäen</strong>-Hütte<br />
des<br />
Club Alpin Francais<br />
(1890,<br />
Selbstversorger)<br />
lümmelt mitten<br />
in einer engen<br />
Scharte, kalt,<br />
finster <strong>und</strong> zugig.<br />
Insgesamt<br />
verströmt die<br />
Blech-Stein-<br />
Schlaftonne einen ähnlich heiteren<br />
Charme wie die Kapuzinergruft. Das<br />
Raumklima im Refuge ist dafür deutlich<br />
schlechter - eine Symphonie aus<br />
unerquicklichen Ausdünstungen <strong>und</strong><br />
wenig sakralen Schlafgeräuschen.<br />
Da treibt’s einen des Morgens rasch<br />
vor die Tür, zum unbestritten größten<br />
Trumpf der Tuquerouye-Hütte: Der<br />
wirklich phänomenalen Aussicht zur<br />
vergletscherten Nordseite des Monte<br />
Perdido. H. Bertram <strong>und</strong> H. Renner im<br />
Alpenvereinsjahrbuch 1908, wo gestandene<br />
Männer noch öffentlich schwärmen<br />
durften: „Da leuchtet <strong>und</strong> gleißt<br />
durch das düstere Tor ein Bild so zauberhaft<br />
hell, so lichtumflossen <strong>und</strong> formenschön,<br />
dass man unwillkürlich die<br />
Augen reibt, fürchtend, das W<strong>und</strong>erbare<br />
möchte entschwinden. Zu Füßen<br />
im Gr<strong>und</strong> ein kleiner See. Schwerlastende<br />
Eisdecke noch auf den schlafenden<br />
Wassern, jenseits auf breitem<br />
Sockel fußend der Berg. Gleichmäßig<br />
sich verjüngend streben die Seitenlinien<br />
mit zierlichem Schwung zur Höhe,<br />
um hoch oben im Ätherblau in feiner<br />
Spitze sich zu einen. Die Bergfläche<br />
überrieselt wie weiches Spitzengeflute<br />
schimmerndes Eis...“<br />
Doch Obacht! Es empfiehlt sich<br />
ausdrücklich, den Blick zu Boden nicht<br />
zu vernachlässigen. Denn als Hüttentoilette<br />
fungiert – nun ja, der Nationalpark<br />
vor der Haustür. Und so lauern<br />
im Hüttenumfeld nicht nur verstoffwechselte<br />
Tretminen, auch Klopapierfahnen<br />
wirbeln im Aufwind munter<br />
über die schmale Hüttenterrasse...<br />
Wir flüchten weglos auf Grand<br />
(3.071 m) <strong>und</strong>/oder Petit Astazou<br />
(3.012 m). Oder gleich hinüber zum<br />
Refuge des Espuguettes, auf einem genialen,<br />
grasigen Aussichtsbalkon gelegen,<br />
von Pferden <strong>und</strong> Schafen pittoresk<br />
umstanden. Egal, ob man dabei noch<br />
dem Piméné (2.801 m) aufs Haupt<br />
steigt (was energisch empfohlen wird)<br />
oder gleich Gavarnie anvisiert, dieser<br />
letzte Teil ist ein einziges Schauvergnügen!<br />
Der Piméné ist übrigens auch<br />
eine hochkarätige Tagestour von Gavarnie<br />
aus. Wer hinaufsteigt, sammelt<br />
nicht nur unvergessliche Eindrücke,<br />
sondern auch reichlich Höhenmeter.<br />
Paradies mit Kratzern<br />
Wer sich nach drei Tagen mit rauchenden<br />
Fußsohlen in Gavarnie einbremst,<br />
tut dies in der Gewissheit, mit der<br />
„Haute Route de Gavarnie“ eine der<br />
ganz großen Touren in Europas Bergen<br />
absolviert zu haben. Mehr Abwechslung<br />
in drei Tagen geht fast nicht!<br />
Gavarnie, das Bergsteiger-Paradies<br />
auf Erden also? Nun, was die Natur<br />
betrifft, vielleicht - die ist tatsächlich<br />
himmlisch. Das touristische Gewusel<br />
im Tale verpasst dem Glorienschein<br />
von Gavarnie allerdings doch ein paar<br />
Schrammen. Aber sind es nicht gerade<br />
auch diese kleinen Schwächen, die<br />
Menschen <strong>und</strong> Orte so liebenswert machen...?<br />
Eben! <br />
n