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Breitwandträume in Millimetern: Von der Illusion zur Kontemplation

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„Schienensegler“ auf e<strong>in</strong> Hochrad <strong>in</strong> AROUND THE WORLD IN 80 DAYS (USA<br />

1956) zeugen hiervon, aber auch das E<strong>in</strong>reiten des „Kriegspabstes“ auf dem<br />

Marktplatz <strong>in</strong> THE AGONY AND THE ECSTASY (USA 1965) und die<br />

Bahnhofssequenz am Anfang von OKLAHOMA! (USA 1955). Im Todd-A-O-System<br />

Super Panavision 70 machen sich Weitw<strong>in</strong>kele<strong>in</strong>sätze rarer und kennzeichnen auch<br />

e<strong>in</strong>en „Pragmatismus“ <strong>der</strong> 1960er Jahre, die gängige Palette filmsprachlicher Mittel<br />

im Spielfilm auch für „Large Formats“ nutzbar zu machen, ja <strong>der</strong>en Showeffekt<br />

zunehmend <strong>zur</strong>ückzunehmen. Der „Effekt“ des Weitw<strong>in</strong>kele<strong>in</strong>satzes bei Super<br />

Panavision wi<strong>der</strong>spricht <strong>der</strong> bug-eye-lens und <strong>der</strong>en Verzerrung nach dem<br />

„Hohlspiegel“-System: die Rän<strong>der</strong> krümmen sich nicht, sie „fliegen“ ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> –<br />

e<strong>in</strong> Effekt, <strong>der</strong> sich an den Bildrän<strong>der</strong>n stark gebogener Bildwände noch weiter<br />

verstärkt. Die Auto-und LKW-Szenen <strong>in</strong> EXODUS (USA 1960), aber auch die<br />

E<strong>in</strong>sätze <strong>der</strong> Hand-held-Kameras <strong>in</strong> GRAND PRIX (USA 1966) und e<strong>in</strong>iger Szenen <strong>in</strong><br />

2001: A SPACE ODYSSEY (GB 1968) zeugen davon. Denen stehen wenige, aber<br />

um so e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glicher vorstoßende Close-ups wie <strong>in</strong> KING OF KINGS (USA 1960)<br />

o<strong>der</strong> die E<strong>in</strong>schnürung des Feldherrnblicks über die Fernrohrperspektive <strong>in</strong> PATTON<br />

(USA 1970) gegenüber. Otto Prem<strong>in</strong>ger, e<strong>in</strong> jüdisch-österreichischer Regisseur, <strong>der</strong><br />

ebenfalls als Exilant seit Anfang <strong>der</strong> 1930er Jahre <strong>in</strong> Hollywood angekommen war<br />

und seit RIVER OF NO RETURN (Fluß ohne Wie<strong>der</strong>kehr, USA 1954, C<strong>in</strong>emaScope)<br />

oft als e<strong>in</strong> „Wollüstiger“ <strong>der</strong> Breitwand bezeichnet wurde, lässt se<strong>in</strong>e 70-mm-<br />

Produktion PORGY AND BESS (Porgy und Bess, USA 1959, Todd-AO) mit e<strong>in</strong>em<br />

Ensemble-umkreisenden „establish<strong>in</strong>g shots“ beg<strong>in</strong>nen, mit dem er visuell-akustisch<br />

den Marktplatz von Catfish-Row <strong>in</strong> 360-Grad-Schwenks erforscht. Kameramann<br />

Leon Shamroy beschwört <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> bühnengemäßen Ausgestaltung jener<br />

„Filmoper“ <strong>in</strong> ausgeklügelten E<strong>in</strong>stellungen die Abkunft des von ihm verwendeten 70mm-Todd-A-O-Verfahrens:<br />

als Segment <strong>der</strong> Rotunden o<strong>der</strong> Panoramen vergangener<br />

Epochen, o<strong>der</strong> auch als Anspruch von Bildrepräsentanz, die Prem<strong>in</strong>ger, so <strong>der</strong><br />

Filmtheoretiker Karsten Witte e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>wendend, eklektisch wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen<br />

Schaufenster weiterführe.<br />

Der englische Filmhistoriker Charles Barr, nach dem er von EXODUS überwältigt<br />

wurde, erwartete im gleichen Jahr noch höchst optimistisch e<strong>in</strong>e Ablösung des 35mm-Scope<br />

durch die technologisch höher stehenden 70-mm-Produktionen – was<br />

bekanntlich e<strong>in</strong>e oft kolportierte Utopie blieb und heute aus Kompatibilitäts-<br />

Interessen sowie im Zuge e<strong>in</strong>er totalen Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche<br />

(o<strong>der</strong> kurzum: aufgrund von Unvermögens <strong>der</strong> Filmemacher zu e<strong>in</strong>er avancierteren<br />

photographischen Gestaltung am Set) auch auf Gegenwehr stoßen würde.<br />

Die e<strong>in</strong>zige nennenswerte Weiterentwicklung von 70-mm-Todd-A-O, das 70-mm-<br />

Imax-Verfahren seit 1969 bis <strong>in</strong> die Jetztzeit, sprengt zwar hypertroph den Rahmen<br />

des theatralisch und optisch Möglichen im K<strong>in</strong>o, es verharrt aber regressiv im<br />

Schausteller-Gebaren: die Geschichte <strong>der</strong> K<strong>in</strong>ematographen kehrt <strong>in</strong> Imax zu den<br />

Anfängen <strong>zur</strong>ück. Christian Metz s<strong>in</strong>niert: „<strong>der</strong> k<strong>in</strong>ematographische Fetischismus<br />

kehrt <strong>zur</strong>ück“.<br />

Schon das Aufkommen von Panorama und Diorama zeugt von e<strong>in</strong>er Aufhebung alles<br />

„Trennenden“ im Zurschaugebotenem: <strong>in</strong> <strong>der</strong> Imax-Produktion wird jener Sehakt <strong>in</strong><br />

die horizontale und vertikale Totalerfassung des Gesichtsfeldes („Umhüllung“)<br />

überführt: sie enthüllt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verdichtung <strong>der</strong> raumbildlichen Overkills, um Hörer<br />

und Betrachter neuartigen S<strong>in</strong>nesreizen auszuliefern, die die Natur selbst (und das<br />

klassische o<strong>der</strong> experimentelle K<strong>in</strong>o am wenigsten) schon nicht mehr hergeben.<br />

Das Imax-Verfahren entzieht sich somit e<strong>in</strong>er künstlerischen Transformation se<strong>in</strong>es<br />

Rohmaterials ebenso wie den klassischen Formaten <strong>der</strong> Breitwand und des<br />

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