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Wie ein<br />

Sechser im<br />

Lotto<br />

✣ Text: Lina Unterbörsch Fotos: Dominik Asbach<br />

Fünf Jahre lang hat Nicola Kupitz aus Essen dafür<br />

gekämpft, dass ihr behinderter Sohn Jan eine reguläre Schule<br />

b<strong>es</strong>uchen kann. Als <strong>es</strong> klappte, war die Familie überglücklich.<br />

Sonst hätte Jan auf eine Förderschule gehen müssen. Das<br />

tun acht von zehn Kindern mit Behinderung in Deutschland –<br />

viele gegen ihren Willen<br />

26 chrismon plus rheinland 06.2010


Ohne unser Engagement wäre<br />

Jan auf einer Förderschule gelandet,<br />

sagt Nicola Kupitz. Heute b<strong>es</strong>ucht<br />

er eine G<strong>es</strong>amtschule<br />

Sozialpädagogin Pegah Pour-Moseh<br />

zeigt Jan, wie er eine Aufgabe angehen muss.<br />

Den R<strong>es</strong>t schafft er allein<br />

In der Klasse 5a an der Essener G<strong>es</strong>amt<br />

schule Holsterhausen verteilt<br />

die Lehrerin an di<strong>es</strong>em Morgen die<br />

korrigierten Deutsch ar bei ten. Die<br />

Kinder tuscheln aufgeregt. Auch<br />

Jan Kupitz ist nervös. Als der Elf jährige<br />

sein Heft aufschlägt, schaut er etwas enttäuscht.<br />

Eine Drei. Seine neugierige Sitznachbarin<br />

ruft strahlend: „Mensch, Jan,<br />

heu te bin ich ja mal b<strong>es</strong>ser als du!“ Der<br />

schlaksige Junge runzelt die Stirn, grinst<br />

aber verlegen, als das Mädchen entschuldigend<br />

hinzufügt: „Sonst schreibst du doch<br />

immer die super Noten!“ Tatsächlich ist Jan<br />

ein guter Schüler: Auf seinem Zeugnis stehen<br />

fast nur Zweier.<br />

Wer Jan nur flüchtig kennt, mag sich darüber<br />

wundern. Der Junge mit <strong>den</strong> dunkelblon<strong>den</strong><br />

Haaren und dem verträumten G<strong>es</strong>ichts<br />

aus druck gilt von Amts wegen als behindert.<br />

Diagnose: Asperger-Syn drom. Eine<br />

leichte Form von Autismus. Unter <strong>den</strong><br />

Schü lern in der 5a ist das aber kein Thema.<br />

In di<strong>es</strong>er sogenannten Integrationsklasse<br />

lernen Kinder mit und ohne Förderbedarf<br />

gemeinsam. Hinter Jan sitzt Pegah Pour-<br />

Moseh, eine 30-jährige Sozialpädagogik-<br />

Stu<strong>den</strong> tin. Ab und zu beugt sie sich nach<br />

vorn und spricht leise mit ihm. Sie ist Jans<br />

„Integrationshelferin“ und zeigt ihm, wie<br />

er Aufgaben anpacken kann. Den R<strong>es</strong>t<br />

schafft Jan dann meist ganz allein. „Wenn<br />

alle Schüler so wären wie er, müssten wir<br />

uns keine Gedan ken machen“, sagt seine<br />

Lehrerin. Sie ist sich sicher: Der Elfjährige<br />

wird später einmal einen guten Abschluss<br />

machen und seinen Weg im Leben gehen.<br />

Di<strong>es</strong>e Zukunftsperspektive ist für einen<br />

Jungen wie Jan in Deutschland all<strong>es</strong> andere<br />

als selbstverständlich. Acht von zehn Kindern<br />

mit Behinderungen b<strong>es</strong>uchen keine<br />

regulären Schulen, sondern Förder schulen.<br />

Dort bekommen die meisten Kin der allerdings<br />

nicht genügend Lernanreize, klagen<br />

Experten. Nur jeder zwöl fte För der schüler<br />

erreicht überhaupt einen Haupt schul abschluss.<br />

Dass Jan an di<strong>es</strong>em Morgen in der<br />

5a der G<strong>es</strong>amtschule Holsterhausen sitzt,<br />

verdankt er nicht etwa einer vorbildlichen<br />

Integrationspolitik, sondern seiner Mutter<br />

Nicola. Fünf Jahre lang stritt sie für ihren<br />

Sohn, proz<strong>es</strong>sierte, gründete eine Elterninitiative.<br />

„Die Trennung von Behin derten<br />

und Nichtbehinderten ist ein Grund problem<br />

unserer G<strong>es</strong>ellschaft“, sagt die 40-Jährige.<br />

„Behin derte wer<strong>den</strong> von An fang an<br />

aussortiert.“<br />

Nicola Kupitz arbeitet halbtags als Assistentin<br />

der G<strong>es</strong>chäfts leitung ein<strong>es</strong> Unterneh<br />

mens, trägt schulterlang<strong>es</strong> braun<strong>es</strong><br />

Haar und lacht gern. Doch wenn sie von<br />

„Lassen Sie nicht zu, dass<br />

man Ihr Kind auf<br />

eine Förderschule schickt!“<br />

<strong>den</strong> Auseinandersetzungen mit Behör<strong>den</strong><br />

und Schulen erzählt, wird ihre Stimme<br />

hart. „Wenn wir uns nicht engagiert hätten,<br />

wäre Jan auf einer Förderschule gelandet“,<br />

sagt sie. Dort seien die Klassen zwar<br />

kleiner, doch die Leh rer orientierten sich<br />

am niedrigsten Niveau. „Das ist für schwerst<br />

Mehrfachbehinderte auch völlig in Ordnung.“<br />

Nicht aber für ihren Sohn Jan.<br />

International steht Deutschland mit seinem<br />

Förderschulsystem allein auf weiter<br />

Flur. In skandinavischen Ländern, aber<br />

auch in Italien und Spanien wer<strong>den</strong> fast alle<br />

Kinder mit Förderbedarf in allgemeinen<br />

Schulen unterrichtet. Kritiker sagen: Ein<br />

sol ch<strong>es</strong> – „inklusiv“ genannt<strong>es</strong> – System<br />

mit zusätzlichen Sonderpädagogen und Integrationshelfern<br />

sei unbezahlbar. Befürworter<br />

sagen: Der Staat spart langfristig.<br />

Da von ist auch Nicola Kupitz überzeugt.<br />

„Was meinen Sie, was <strong>es</strong> kostet, wenn Kinder<br />

ohne Schulabschluss erwachsen wer<strong>den</strong>?“,<br />

fragt sie Kritiker gern. „Dann leben<br />

sie vom Staat oder arbeiten für ein Taschengeld<br />

in einer Behinderten werkstatt.“<br />

Aufwind erhält die Diskussion um ein<br />

inklusiv<strong>es</strong> Schulsystem durch die UN-Behindertenrechtskonvention,<br />

die seit 2009<br />

in Deutschland geltend<strong>es</strong> Recht ist. Sie fordert,<br />

dass alle Menschen Zugang zu regulären<br />

Schulen und allgemeiner Bildung haben.<br />

Doch der Weg dorthin ist noch weit.<br />

Wie in Essen <strong>gibt</strong> <strong>es</strong> in vielen Städten immer<br />

noch nicht genügend Plätze für Kinder<br />

mit Förderbedarf an weiterführen<strong>den</strong> Regelschulen.<br />

Dietmar Klin ke, Schul referent<br />

d<strong>es</strong> Evangelischen Kirchen kreis<strong>es</strong> Essen,<br />

schätzt <strong>den</strong> Bedarf in der Ruhrgebietsstadt<br />

auf durchschnittlich 30 bis 60 Plätze pro<br />

Jahr. Das Angebot liegt deutlich darunter,<br />

sei „sehr unzureichend“, klagt der kirchliche<br />

Experte (siehe Interview Seite 32). Die<br />

wenigen Plätze wer <strong>den</strong> unter <strong>den</strong> Antragsstellern<br />

verlost. Die Chance auf optimale<br />

Bildung – reine Glückssache.<br />

Für Nicola Kupitz stand schon früh f<strong>es</strong>t:<br />

Mein Sohn soll di<strong>es</strong>e Chance bekommen.<br />

Der Kampf dafür begann bereits, als Jan<br />

noch <strong>den</strong> Kindergarten b<strong>es</strong>uchte. Erzieh e-<br />

r innen stellten bei ihm auffällig<strong>es</strong> Ver halten<br />

f<strong>es</strong>t. „Wenn sie die Gruppe aufforderten,<br />

etwas zu tun, hat Jan sich nicht persönlich<br />

ang<strong>es</strong>prochen gefühlt“, erinnert sich<br />

Nicola Kupitz. Um Aufgaben zu erledigen,<br />

brauche er meist eine direkte Anspra che.<br />

„Er kann in <strong>den</strong> G<strong>es</strong>ichtern von Men schen<br />

nicht gut die Emotionen abl<strong>es</strong>en und Situationen<br />

nicht intuitiv richtig erfassen.“<br />

Nach einem medizinischen T<strong>es</strong>t sagten die<br />

Ärzte jedoch zu Nicola Kupitz: „Ihr Kind<br />

ist normal intelligent. Lassen Sie nicht zu,<br />

dass man <strong>es</strong> auf eine Förderschule schickt!“<br />

Eine weitere Untersuchung sollte Jans<br />

sonderpädagogischen Förderbedarf klären.<br />

Sie fand in einer Förderschule statt. Während<br />

Mutter und Sohn vor dem Unter suchungsraum<br />

warteten, beobachtete Jan die<br />

Schulkinder. „Mama“, sagte er entrüstet,<br />

„du willst mich doch nicht etwa hierher<br />

schicken?“ Die Sonderpä dagogen empfahlen<br />

Jans Eltern, <strong>den</strong> Jungen auf eine Förderschule<br />

zu schicken – oder auf eine Regelschule<br />

mit Integrationshelfer. Für Ni cola<br />

Kupitz und ihren Ehemann war die<br />

Entscheidung klar. Beim Behindertenreferat<br />

06.2010 chrismon plus rheinland 29


Das b<strong>es</strong>ondere Patenschaftsprogramm<br />

30 chrismon plus rheinland 06.2010<br />

Nur weil Andrea Meth so hartnäckig war,<br />

kann ihre Tochter trotz Rollstuhl im neuen<br />

Schuljahr aufs Gymnasium gehen<br />

der Evangelischen Kirche in Essen beantragten<br />

sie einen Integrationshelfer. Das<br />

Referat bündelt unter dem Motto „Aktion<br />

Menschenstadt“ Initiativen und Projekte für<br />

Menschen mit Behinderung. Dazu gehört<br />

auch die Vermittlung von Integra tions helfern,<br />

die von der Stadt bezahlt wer<strong>den</strong>.<br />

Die Hoffnung, für Jan die optimale Unterstützung<br />

gefun<strong>den</strong> zu haben, währte jedoch<br />

nur kurze Zeit. Die Stadt Essen erlaubte<br />

Jan zwar <strong>den</strong> B<strong>es</strong>uch einer regulären<br />

Grundschule, aber aus dem versprochenen<br />

Integrationshelfer wurde nichts. „Bei der<br />

schulärztlichen Begutachtung sagte man<br />

uns lapidar: ,Der trägt seinen Kopf ja gar<br />

nicht unter dem Arm‘, erzählt Nicola Kupitz.<br />

Sie wird heute noch wütend, wenn sie<br />

daran <strong>den</strong>kt. Einen Tag vor seinem ersten<br />

Schultag habe die Stadt Jan <strong>den</strong> Inte grationshelfer<br />

entzogen, sagt sie. Die Eltern<br />

waren fassungslos – und verklagten die<br />

Stadt Essen. Während der Proz<strong>es</strong>s lief,<br />

kämp fte sich Jan an der Grund schule allein<br />

durch. „Mehr schlecht als recht“, sagt Nicola<br />

Kupitz rückblickend. Doch Mutter<br />

und Sohn wollten nicht aufgeben. „Wir haben<br />

<strong>den</strong> Stoff d<strong>es</strong> Unterrichts zu Hause<br />

nachgearbeitet.“<br />

Zweieinhalb Jahre später die Erlösung:<br />

In einer vom Gericht angeordneten Untersuchung<br />

in der Jugend psy chiatrie diag<br />

nos tizierten Ärzte bei Jan das Asperger-<br />

Syndrom. Damit stand f<strong>es</strong>t: Jan hat das<br />

Recht auf einen Integra tionshelfer. „Ab<br />

die sem Moment hat er einen Quan tensprung<br />

in der Grundschule gemacht“, erzählt<br />

Nicola Kupitz.<br />

Doch der Kampf um eine „normale“<br />

Schulkarriere war damit nicht zu Ende.<br />

„Das größte Problem sind nicht die Grundschulen,<br />

sondern die weiterführen<strong>den</strong><br />

Schu len“, sagt Jans Mutter. Weil in Essen<br />

Plätze an Regelschulen fehlen, gründete sie<br />

zusammen mit anderen Eltern die Initiative<br />

„Zukunftswerkstatt Gemeinsa mer<br />

Un terricht“. „Eltern von behinderten Kindern<br />

sind oft Einzel kämp fer“, sagt Ni cola<br />

Kupitz. „Gemeinsam wollen wir mehr<br />

Druck ausüben.“ Die Initiative schrieb Essener<br />

Schulen an – und brachte gleich zwei<br />

Hauptschulen dazu, zehn neue Plätze für<br />

behinderte Kinder zu schaffen. Den noch<br />

zitterte die Familie bis <strong>zum</strong> Schluss, ob die<br />

Plätze ausreichen wür<strong>den</strong>. „Als Jan auf der<br />

Ge samtschule Holster hau sen angenommen<br />

wurde, war <strong>es</strong> für uns wie ein Sechser im<br />

Lotto“, sagt Nicola Ku pitz strahlend.<br />

Rollstuhl gleich blöd,<br />

<strong>den</strong>ken viele. Elena zeigt,<br />

dass das nicht stimmt<br />

Zu <strong>den</strong> Gründungsmitgliedern der Essener<br />

Initiative gehört auch Andrea Meth.<br />

Die 40-jährige Hausfrau trägt die blonde<br />

Mäh ne locker hochg<strong>es</strong>teckt. Wenn ihr etwas<br />

nicht passt, sagt sie das. Ihre Tochter<br />

Elena kam mit der Glasknochenkrankheit<br />

zur Welt. Ärzte erklärten das Mädchen<br />

mehrfach für nicht lebensfähig, doch Elena<br />

b<strong>es</strong>itzt eine Kämpfernatur. Heute ist sie<br />

zehn Jahre alt, aber nur 75 Zentimeter<br />

groß. Weil ihre Knochen so schnell brechen,<br />

ist sie auf einen speziellen Rollstuhl<br />

angewi<strong>es</strong>en. Schwere Dinge zu bewegen,<br />

ist für sie tabu.<br />

„Ich merke immer wieder, dass viele<br />

<strong>den</strong>ken: Rollstuhl gleich blöd“, sagt ihre<br />

Mut ter. Dass das nicht stimmt, beweist Elena<br />

Meth, die die vierte Klasse einer Essener<br />

Grundschule b<strong>es</strong>ucht, mit guten Noten.<br />

„Sie ist sehr ehrgeizig“, sagt ihre Inte grationshelferin<br />

Fabienne Trieb. Die 23-jährige<br />

Kinderpflegerin hilft Elena bei allem,<br />

was körperlich zu schwer für sie ist. Als <strong>es</strong><br />

an di<strong>es</strong>em Morgen zur Pause klingelt,<br />

schauen sich beide kurz an, Elena schüttelt<br />

ihren Blondschopf. Fabienne Trieb weiß<br />

nun: Elena will allein in die Pause rollen.<br />

„Sie hat hier viele Freundinnen und will<br />

mich nicht immer überall mit dabei haben.“<br />

Normal für ihr Alter eben.<br />

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Gerade weil sich Elena als normal<strong>es</strong> Mädchen<br />

fühlt, fällt <strong>es</strong> ihr schwer, für di<strong>es</strong>e<br />

Normalität ständig kämpfen zu müssen.<br />

„Nie läuft irgendetwas glatt, immer ist all<strong>es</strong><br />

ein Ri<strong>es</strong>enproblem“, sagt sie genervt. Als<br />

Elena – unterstützt von ihrer Mutter – an<br />

alle weiterführen<strong>den</strong> Schulen in Essen eine<br />

persönliche E-Mail schickte, lautete die<br />

häufigste Antwort: Tut uns leid, wir haben<br />

leider nicht die Möglichkeit, Rollstuhlkinder<br />

aufzunehmen. Begründung: Es man­<br />

Nachgefragt Braucht Essen eine inklusive Schule der Kirche?<br />

Dietmar Klinke, 52,<br />

ist Pfarrer und<br />

Schulre ferent d<strong>es</strong><br />

Kirchenkreis<strong>es</strong><br />

Essen<br />

32 chrismon plus rheinland 06.2010<br />

chrismon plus rheinland: Herr Klinke, der<br />

Kirchenkreis Essen überlegt, eine inklusive<br />

Schule zu grün<strong>den</strong>. Gibt <strong>es</strong> in der Stadt<br />

nicht genug Schulen?<br />

Dietmar Klinke: Insg<strong>es</strong>amt schon. Aber die<br />

„Evangelische Inklusive Zukunftsschule Essen“<br />

soll eine weiterführende Schule für <strong>den</strong><br />

gemeinsamen Unterricht von Kindern mit<br />

all ihren unterschiedlichen Begabungen sein<br />

– ob das nun ein Kind mit Down-Syndrom<br />

oder mit einer Hochbegabung ist. Dem Bedarf<br />

an so einem inklusiven Un terricht steht<br />

in Essen nur ein sehr unzureichend<strong>es</strong> Angebot<br />

gegenüber. Die Zukunfts schule soll eine<br />

Lücke füllen. Mit einem reformpädagogisch<br />

angelegten Lernkonzept wollen wir dafür<br />

sor gen, dass alle Kinder individuell optimal<br />

gefördert wer<strong>den</strong>. Die traditionelle Vorstellung<br />

einheitlicher Lern grup pen, wie sie heute<br />

noch durch die verschie<strong>den</strong>en Schulformen<br />

abgebildet wer<strong>den</strong>, ist eine Illu sion,<br />

die an der Wirk lichkeit der Men schen und<br />

unserer Ge sell schaft vorbeigeht. Auf unserer<br />

Schule sollen Jugendliche so viel wie<br />

möglich gemeinsam lernen und trotzdem<br />

alle Bil dungs abschlüsse machen können.<br />

Vom Haupt schulabschluss bis <strong>zum</strong> Abi tur.<br />

Warum nennen Sie die Schule „inklusiv“<br />

und nicht „integrativ“?<br />

Wir wollen eine Schule haben, die sich <strong>den</strong><br />

Begabungen und Be dürfnissen jed<strong>es</strong> einzelnen<br />

Kind<strong>es</strong> anpasst, und nicht Kinder, die<br />

passend gemacht wer<strong>den</strong> fürs System. Denn<br />

„integrativ“ bedeutet: Am System der Schule<br />

ändert sich nichts, <strong>es</strong> wer<strong>den</strong> bei <strong>den</strong> Kindern<br />

lediglich Mängel ausgeglichen. Wir<br />

aber gehen von der Verschie<strong>den</strong>heit der Heranwachsen<strong>den</strong><br />

aus. Es ist einfach normal,<br />

verschie<strong>den</strong> zu sein. Und wir sehen genau<br />

darin eine Chance für das Lernen. Das ist<br />

„inklusiv“. Inklusion bedeutet die konsequente<br />

Förderung d<strong>es</strong> Einzelnen und d<strong>es</strong> gemeinsamen<br />

Lernens.<br />

Warum will gerade die evangelische Kirche<br />

so eine Schule grün<strong>den</strong>?<br />

Weil wir uns in einer b<strong>es</strong>onderen Verantwortung<br />

für Bildung sehen. Die Gründung<br />

einer privaten Schule in kirchlicher Trägerschaft<br />

knüpft an das evangelische Menschen<br />

bild an. Daraus folgt: Jeder Mensch<br />

ist ein Ebenbild Gott<strong>es</strong>. Alle Menschen sind<br />

bildungsfähig und bildungsbedürftig. Bildung<br />

umfasst neben dem reinen Wissen<br />

auch Wertebewusstsein und soziale Ver antwortung.<br />

Ein entsprechend<strong>es</strong> Schulleben<br />

und die Pflicht fächer Religion und Philosophie<br />

sollen die Schüler hierfür sensibilisieren.<br />

Positiv ist für die Schüler außerdem<br />

die lokale Einbindung in das große Netzwerk<br />

d<strong>es</strong> Kirchenkreis<strong>es</strong>, <strong>zum</strong> Beispiel bei<br />

der Berufsvorbereitung.<br />

Wie weit sind Sie mit Ihren Plänen?<br />

Noch ist nichts entschie<strong>den</strong>. Am 23. Juni<br />

wer<strong>den</strong> wir einen Initiativkreis grün<strong>den</strong>,<br />

der das Projekt der Evangelischen In klusiven<br />

Zukunftsschule Essen weiterentwickeln<br />

soll. Im nächsten Jahr wird dann endgültig<br />

auf der Sy node d<strong>es</strong> Kirchenkreis<strong>es</strong><br />

abg<strong>es</strong>timmt. Au ßer dem starten wir im<br />

Herbst eine groß an gelegte Elternumfrage<br />

gemeinsam mit dem Rheinisch-W<strong>es</strong>tfä lischen<br />

Ins titut für Wirt schafts forschung<br />

(RWI), um <strong>den</strong> Be darf und das Inter<strong>es</strong>se an<br />

der Schule genau zu prüfen. Wenn all<strong>es</strong> gut<br />

läuft, könnten die ersten Jahrgänge 2012/<br />

2013 starten.<br />

Interview: Lina Unterbörsch<br />

gelt an baulichen Voraussetzungen wie<br />

Auf zügen. Selbst an der integrativen G<strong>es</strong>amt<br />

schule, die Jan Kupitz b<strong>es</strong>ucht, haben<br />

Kin der im Rollstuhl d<strong>es</strong>halb keine Chance.<br />

„Das ist doch nicht zu fassen“, sagt Andrea<br />

Meth aufgebracht. „Überall in <strong>den</strong> öffentlichen<br />

Gebäu<strong>den</strong> <strong>gibt</strong> <strong>es</strong> Aufzüge, nur an<br />

<strong>den</strong> Schulen nicht.“<br />

„Überall in <strong>den</strong><br />

öffentlichen Gebäu<strong>den</strong><br />

<strong>gibt</strong> <strong>es</strong> Aufzüge, nur an<br />

<strong>den</strong> Schulen nicht“<br />

Doch die 40-Jährige ließ sich nicht entmutigen<br />

und bohrte weiter. Schließlich erklärte<br />

sich ein Gymnasium bereit, ihre<br />

Tochter aufzunehmen. Auch weil sich Elenas<br />

Klassenlehrerin eing<strong>es</strong>chaltet hatte.<br />

„Sie hat sich sehr für uns eing<strong>es</strong>etzt und<br />

bei <strong>den</strong> Kollegen am Gymnasium Über zeugungsarbeit<br />

geleistet“, sagt Andrea Meth.<br />

„Als Elternteil kann man Be<strong>den</strong>ken nur<br />

sehr schwer ausräumen. Viele <strong>den</strong>ken ja,<br />

dass man vielleicht eine viel zu positive<br />

Sicht auf das eigene Kind hat.“<br />

Jan Kupitz und Elena Weth haben <strong>es</strong> g<strong>es</strong>chafft.<br />

Sie hatten Glück, dass ihre Mütter<br />

genug Zeit und vor allem Energie aufbrachten,<br />

um für sie zu kämpfen. Viele andere<br />

Schüler haben di<strong>es</strong><strong>es</strong> Glück nicht.<br />

Anfang Mai teilte die Stadt Essen mit, dass<br />

nur 15 von 30 Kindern, deren Eltern einen<br />

Antrag auf gemeinsamen Un terricht an einer<br />

weiterführen<strong>den</strong> Schule g<strong>es</strong>tellt haben,<br />

im kommen<strong>den</strong> Schuljahr einen Platz<br />

bekommen. Die anderen wer<strong>den</strong> gegen<br />

ih ren Willen Förderschulen b<strong>es</strong>uchen.<br />

Dennoch hat sich in Essen schon etwas<br />

bewegt. Ein An fang ist gemacht. Nicola<br />

Kupitz und Andrea Meth sind froh darüber.<br />

Und die bei<strong>den</strong> Mütter sind entschlossen:<br />

„Wir kämpfen weiter.“<br />

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