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Lebensstil, Religiosität und Ritualbedürfnis in jungen Familien

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Alfred Dubach<br />

<strong>Lebensstil</strong>, Religiosität<br />

<strong>und</strong> Ritualbedürfnis <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

Ergebnisse e<strong>in</strong>er Repräsentativbefragung <strong>in</strong> der Deutschschweiz<br />

St. Gallen, 2009<br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort……………………………………………………………………….5<br />

I<br />

LEBENSSTILE JUNGER FAMILIEN<br />

1. <strong>Lebensstil</strong>e als modernes Gesellschaftsphänomen…………………..7<br />

1.1 E<strong>in</strong> Leben nach eigenem Geschmack ................................. 7<br />

1.2 Soziale Integration über <strong>Lebensstil</strong>e................................... 8<br />

1.3 Das Konzept des Habitus ................................................. 10<br />

1.4 <strong>Lebensstil</strong> als konstitutives Kennzeichen sozialer<br />

Milieus………………………………………………..…<br />

107<br />

1.5 Existentielle Anschauungsweise <strong>in</strong> sozialen Milieus ....... 16<br />

2. Dimensionen der <strong>Lebensstil</strong>e ............................................................. 20<br />

2.1 Alltagsästhetische Schemata ............................................ 20<br />

2.2 Drei Arten von alltagsästhetischen Schemata................... 22<br />

2.3 Musik- <strong>und</strong> Fernsehgeschmack als Indikatoren<br />

alltagsästhetischer Schemata ............................................ 23<br />

2.4 Alltagsästhetische Präferenzen unter den <strong>jungen</strong><br />

<strong>Familien</strong>………………………………………………….27<br />

2.5 Freizeitaktivitäten ............................................................. 29<br />

2.6 Erziehungsziele ................................................................ 35<br />

3. <strong>Lebensstil</strong>e der befragten <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> .......................................... 47<br />

3.1 Zeitoffener Erlebnistyp (17%).......................................... 47<br />

3.2 Anspruchsvoller Selbstverwirklichungstyp (24.4%) ........ 50<br />

3.3 Konventioneller Harmonietyp (20.4%) ............................ 54<br />

3.4 Ehrenamtlich engagierter Integrationstyp (20%).............. 56<br />

3.5 Des<strong>in</strong>teressiert-passiver Unterhaltungstyp (18.3%) ......... 59<br />

4. Die <strong>Lebensstil</strong>e im Vergleich ............................................................. 63<br />

4.1 Musikgeschmack .............................................................. 63<br />

4.2 Fernseh<strong>in</strong>teresse ............................................................... 65<br />

4.3 Freizeitaktivitäten ............................................................. 67<br />

4.4 Erziehungsziele ............................................................... 71<br />

5. Situierung der <strong>Lebensstil</strong>e im sozialen Raum .................................... 75<br />

6. <strong>Lebensstil</strong>e <strong>und</strong> <strong>Familien</strong>formen ........................................................ 83<br />

6.1 Zivilstand <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>samer Haushalt ............................. 83<br />

6.2 Haushaltgrösse – K<strong>in</strong>der im Haushalt .............................. 85<br />

6.3 Konfessionelle Zusammensetzung der Haushalte ............ 87<br />

7. Religiöser <strong>Lebensstil</strong>typ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erweiterten <strong>Lebensstil</strong>modell ........ 90<br />

2


II<br />

LEBENSSTIL UND RELIGIOSITÄT<br />

8. <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> religiöse Orientierung ................................................. 96<br />

8.1 Dimensionen der religiösen Welt- <strong>und</strong> Lebensdeutung .... 96<br />

8.2. Religiöse Typen ................................................................ 98<br />

8.2.1 Exklusive Christen ........................................................... 99<br />

8.2.2. Synkretistische Christen ................................................. 106<br />

8.2.3 Neureligiöse ................................................................... 110<br />

8.2.4 Transzendenzoffene........................................................ 115<br />

8.2.5 Religiöse Humanisten ..................................................... 119<br />

8.2.6. Areligiöse ....................................................................... 122<br />

8.3 Zusammenhang von <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> religiösen<br />

Orientierungen ................................................................ 125<br />

8.4 Überprüfung des Zusammenhanges von <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong><br />

religiöser Orientierung anhand e<strong>in</strong>es theoretischen<br />

<strong>Lebensstil</strong>models ............................................................ 127<br />

8.5 Spiritualität statt Bekenntnis.......................................... 131<br />

9. <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche .................................. 135<br />

9.1 <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Kirchlichkeit........................................... 135<br />

9.2 Gegenläufige Weltsichten von Kirchennahen <strong>und</strong><br />

Kirchenfernen ................................................................. 138<br />

9.3 <strong>Lebensstil</strong> Konfessionsloser .......................................... 140<br />

10. Religiös überwölbtes <strong>Familien</strong>leben ................................................ 144<br />

III<br />

RITUALE IN JUNGEN FAMILIEN<br />

11. Nachfrage nach kirchlichen Ritualen ................................................ 148<br />

11.1 Kirchliche Ritualpraxis <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> .................... 148<br />

11.2 Religiöse Orientierung <strong>und</strong> Ritualpraxis ........................ 152<br />

11.3 <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> kirchlicher Ritualbedarf ......................... 156<br />

11.4 Verträglichkeit von Moderne <strong>und</strong> Ritualverhalten ......... 161<br />

12. Geburtsritus Taufe……………………………………… …………166<br />

12.1 Häufigkeit der K<strong>in</strong>dertaufe ............................................. 166<br />

12.2 Bedeutung der Taufe für die Eltern ................................ 168<br />

12.3 Der soziale Charakter der Taufe ..................................... 181<br />

13. Die religiöse Dimension des Gute-Nacht-Rituals .............................. 188<br />

14. Die Feier des Weihnachtsfestes ......................................................... 196<br />

14.1 Gr<strong>und</strong>elemente der Weihnachtsfeier .............................. 196<br />

14.2 Gegengift gegen erodierende <strong>Familien</strong>bande ................. 199<br />

14.3 Stimmung an Weihnachten............................................. 204<br />

14.4 Besuch der Mitternachtsmesse ....................................... 206<br />

15. Resümee: Wechselwirkung zwischen <strong>Lebensstil</strong>, Religiosität <strong>und</strong><br />

Ritualbedürfnis……………...………….…………………… …….208<br />

3


Religiositätsprofile nach <strong>Lebensstil</strong>e .......................................................... 215<br />

8er Modell der <strong>Lebensstil</strong>e .......................................................................... 220<br />

Repräsentativität der Befragung .................................................................. 228<br />

Fragebogen mit L<strong>in</strong>earauszählung .............................................................. 234<br />

Literatur ...................................................................................................... 254<br />

4


Vorwort<br />

Im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms 52 „K<strong>in</strong>dheit, Jugend <strong>und</strong><br />

Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel“ führte das Institut<br />

für praktische Theologie (IPT) der Universität Bern das Forschungsprojekt<br />

„Rituale <strong>und</strong> Ritualisierungen <strong>in</strong> <strong>Familien</strong>. Religiöse Dimensionen <strong>und</strong> <strong>in</strong>tergenerationelle<br />

Bezüge“ durch. Innerhalb dieses Forschungsprojektes befragte<br />

das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schriftlichen<br />

Repräsentativbefragung junge <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Deutschschweiz zu ihrer religiös<br />

rituellen Praxis. Die Ergebnisse dieser Erhebung im Jahre 2005 s<strong>in</strong>d<br />

Thema des vorliegenden Buches.<br />

Das Hauptanliegen des Forschungsvorhabens bestand dar<strong>in</strong>, E<strong>in</strong>sichten zu<br />

gew<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Zusammenhänge zwischen <strong>Lebensstil</strong>, Religiosität <strong>und</strong> ritueller<br />

Praxis <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong>. Der Ritualpraxis wird <strong>in</strong> der Befragung anhand<br />

von drei Ritualen nachgegangen: der Taufe als lebensgeschichtlicher Passage,<br />

dem täglichen Gute-Nacht-Ritual beim Zu-Bett-Gehen der K<strong>in</strong>der, dem<br />

Weihnachtsfest als ausserordentlicher Zeit im Jahr. Gefragt wurde nach der<br />

Ausgestaltung der Rituale <strong>und</strong> ihrer Bedeutung <strong>in</strong> den Augen der <strong>jungen</strong><br />

Mütter <strong>und</strong> Väter. Die E<strong>in</strong>bettung der drei Rituale <strong>in</strong> die alltägliche Lebenswelt<br />

junger <strong>Familien</strong> wurde über den von ihnen praktizierten <strong>Lebensstil</strong> erschlossen.<br />

Der Frageraster für die Erfassung der religiösen E<strong>in</strong>stellung<br />

stammt aus den Sonderfall-Studien von 1989 <strong>und</strong> 1999. Ergänzt wurde sie<br />

durch Fragen zur Weltsicht – gestellt, um von den <strong>jungen</strong> Eltern zu erfahren,<br />

<strong>in</strong> wieweit sie sich <strong>in</strong> ihrer Lebensführung an gesellschaftlich vorgegebenen<br />

Ordnungen orientieren oder zur Selbststeuerung ihres Lebens tendieren.<br />

Der erste Teil des Buches befasst sich mit dem <strong>Lebensstil</strong> der <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong>.<br />

Im ersten Kapitel wird das theoretische Rahmenkonzept zur empirischen<br />

Ermittlung von <strong>Lebensstil</strong>en <strong>in</strong> Anlehnung an die Gedankengänge von<br />

Pierre Bourdieu <strong>und</strong> Gerhard Schulze vorgestellt, anschliessend die alltagästhetischen<br />

Schemata, welche unterschiedliche expressive, <strong>in</strong>teraktive <strong>und</strong><br />

evaluative Aspekte der Lebensführung zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen (Kap. 2). Kapitel<br />

3 präsentiert die clusteranalytisch ermittelten <strong>Lebensstil</strong>typen. Sie werden<br />

nach ihren charakteristischen Merkmalen mite<strong>in</strong>ander verglichen (Kap.<br />

4), <strong>in</strong> den sozialen Raum gestellt (Kap. 5) <strong>und</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht mit<br />

den sie charakterisierenden <strong>Familien</strong>formen (Kap. 6). Wird die Basistypologie<br />

der <strong>Lebensstil</strong>e weiter ausdifferenziert, ergibt sich e<strong>in</strong> eigenständiger<br />

religiöser <strong>Lebensstil</strong>typ (Kap. 7).<br />

Im mittleren Teil wird der Zusammenhang zwischen <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Religiosität<br />

<strong>in</strong> drei Kapiteln beleuchtet. Zur Sprache kommt dabei Religiosität als<br />

Welt- <strong>und</strong> Lebensdeutung (Kap. 8), als Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche (Kap.<br />

9) <strong>und</strong> als prägendes Element des <strong>Familien</strong>klimas (Kap. 10).<br />

5


Der letzte Teil versucht, die erstaunlich hohe Nachfrage nach religiösen<br />

Ritualen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Erklärungszusammenhang zu stellen<br />

(Kap. 11), mit Blick auf die Praxis <strong>und</strong> Deutung der drei ausführlich <strong>in</strong> der<br />

Befragung thematisierten Ritualen Taufe, Gute-Nacht-Ritual <strong>und</strong> Weihnachtsfeier<br />

(Kap. 12 bis 14).<br />

Abschliessend werden die wichtigsten Erkenntnisse aus der Untersuchung<br />

zusammengefasst (Kap. 15), im Anhang die Repräsentativität der Befragung<br />

erörtert <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare Auszählung des Fragebogens vorgelegt.<br />

Für die Schweiz gab es bisher ke<strong>in</strong>e repräsentative Erhebung zum Ritualverhalten<br />

der Bevölkerung. Gelegentlich kommt es zur Behandlung von e<strong>in</strong>zelnen<br />

Fragen zu den kirchlichen Kasualien <strong>in</strong> Untersuchungen mit anderen<br />

Themenschwerpunkten. Mit dem Berner Forschungsprojekt liegen nun erstmals<br />

wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zum Ritualverhalten von <strong>jungen</strong><br />

<strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Schweiz vor.<br />

E<strong>in</strong>e Forschergruppe aus Vertretern der beiden Institute begleitete das<br />

Projekt. Ihr gehörten von Seiten des SPI an: Alfred Dubach, Susanne Frimel<br />

(ab Frühjahr 2005: Roger Husiste<strong>in</strong>), von Seiten des IPT Christoph Morgenthaler,<br />

Claudia Graf <strong>und</strong> Roland Hauri. Qualitative Teilstudien bildeten<br />

die Gr<strong>und</strong>lage für die Thematisierung der Taufe, des Gute-Nacht-Rituals <strong>und</strong><br />

der Feier des Weihnachtsfestes im Fragebogen. Die Fragen zu den drei Ritualen<br />

erarbeiten die jeweiligen Forschungsgruppen des IPF. Roger Husiste<strong>in</strong><br />

besorgte die Durchführung der Befragung <strong>und</strong> die statistische Aufbereitung<br />

des Datenmaterials unter der Anleitung von Thomas Englberger. Ihm gilt e<strong>in</strong><br />

besonderer Dank für se<strong>in</strong>e Mithilfe bei der Konzeptualisierung des Fragebogens,<br />

der technischen Abwicklung der Befragung <strong>und</strong> der Codierung der<br />

Daten.<br />

St. Gallen, im Herbst 2009<br />

Alfred Dubach<br />

www.dubach.biz/rfi<br />

6


I<br />

LEBENSSTILE JUNGER FAMILIEN<br />

1. <strong>Lebensstil</strong>e als modernes Gesellschaftsphänomen<br />

1.1 E<strong>in</strong> Leben nach eigenem Geschmack<br />

Der gesellschaftliche Wandel seit Mitte des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts hat den<br />

Menschen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft historisch e<strong>in</strong>malige Gestaltungsräume<br />

eröffnet. Die Steigerung der Erlebnis-, Handlungs- <strong>und</strong> Lebensmöglichkeiten<br />

s<strong>in</strong>d enorm. Die Welt verzweigt sich nach vorne <strong>in</strong> immer neue Möglichkeiten.<br />

E<strong>in</strong> Ende ist nicht abzusehen.<br />

Die Vielfalt an Möglichkeiten <strong>in</strong> der modernen Konsum- <strong>und</strong> Freizeitgesellschaft,<br />

das Mehr an Lebensoptionen (Gross 1994) verweist den Menschen<br />

auf se<strong>in</strong>en Geschmack. „Vor dem Fernseher, beim E<strong>in</strong>kaufensbummel, bei<br />

der Auswahl des Urlaubszieles, im Zeitschriftenladen usw. muss man sich<br />

danach richten, worauf man Lust hat, wonach sonst? Der Handelnde erfährt<br />

sich nicht als moralisches Wesen, als Kämpfer für e<strong>in</strong> weit entferntes Ziel, als<br />

Unterdrückter mit der Vision e<strong>in</strong>er besseren Welt, als Überlebenskünstler, als<br />

Träger von Pflichten. Wissen, was man will, bedeutet wissen, was e<strong>in</strong>em<br />

gefällt. ‚Erlebe de<strong>in</strong> Leben!’ ist der kategorische Imperativ unserer Zeit.“<br />

(Schulze 1992, 58f.) Es kommt darauf an, das eigene Leben so zu führen,<br />

dass man an se<strong>in</strong>em Ende sagen kann: „Es hat sich gelohnt.“<br />

Die explosionsartige Ausdehnung des Spielraumes für Geschmack <strong>und</strong><br />

Stil, für Ansichten <strong>und</strong> Lebensphilosophien, für Moral <strong>und</strong> Lebensführung<br />

macht die Verwirklichung e<strong>in</strong>es schönen <strong>und</strong> gelungenen Lebens zum zentralen<br />

Orientierungspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der Gegenwartsgesellschaft. Was die Menschen<br />

bewegt, was sie anstreben, wofür sie leben, wo für sie der Spass aufhört,<br />

wenn man es ihnen nehmen will, ist die Aussicht auf e<strong>in</strong> gelungenes <strong>und</strong><br />

gutes Leben. Dar<strong>in</strong> drückt sich die Restgeme<strong>in</strong>schaft von uns allen aus.<br />

Was <strong>in</strong> früheren Zeiten nur Reichen möglich war, wird zu e<strong>in</strong>em Massenphänomen:<br />

das Leben nach den eigenen Bedürfnissen e<strong>in</strong>zurichten, <strong>in</strong> der<br />

Wahl der Konsumgüter se<strong>in</strong>en eigenen Geschmack auszudrücken, sich selbst<br />

<strong>in</strong> der Art der Kleidung, der Wohnungse<strong>in</strong>richtung, den Lesegewohnheiten<br />

usw. zur Darstellung zu br<strong>in</strong>gen. Man ist sich dabei bewusst, dass die eigene<br />

Selbstdarstellung den anderen etwas sagt. Die besondere Art, sich zu kleiden,<br />

drückt nur dann etwas aus, wenn es e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Stilsprache gibt, e<strong>in</strong>e<br />

Sprache der Zeichen <strong>und</strong> Symbole, die alle zu deuten wissen.<br />

7


Je mehr wir können, desto drängender stellt sich die Frage, welchen<br />

Gebrauch wir von der Welt als Möglichkeitsraum überhaupt machen wollen.<br />

Die Frage nach dem gelungenen <strong>und</strong> guten Leben drängt <strong>in</strong>s Zentrum<br />

menschlicher Aspirationen. Sie hat „im Laufe der letzten Jahrzehnte immer<br />

mehr Menschen ergriffen; <strong>in</strong> vielen Industrienationen ist sie nicht mehr bloss<br />

e<strong>in</strong> Luxusproblem privilegierter M<strong>in</strong>derheiten, sondern e<strong>in</strong> Lebensthema der<br />

meisten.“ (Schulze 2003, 212)<br />

Nach der weitgehend kulturellen Preisgabe aller Ideen e<strong>in</strong>er künftigen<br />

‚Heilszeit’, die die wahre Erfüllung allen Lebens br<strong>in</strong>gt, rückt e<strong>in</strong>e andere<br />

Vorstellung <strong>in</strong> den Mittelpunkt des Bewusstse<strong>in</strong>s, nach der die Zeitspanne<br />

des Lebens so <strong>in</strong>tensiv <strong>und</strong> umfassend wie möglich zu nutzen ist. E<strong>in</strong> gutes<br />

Leben wird dann e<strong>in</strong> erfülltes Leben se<strong>in</strong>, wenn es gel<strong>in</strong>gt, möglichst viel von<br />

dem, was die Welt zu bieten hat, auszukosten <strong>und</strong> auszuschöpfen, möglichst<br />

umfassend von ihren Möglichkeiten <strong>und</strong> Angeboten Gebrauch zu machen<br />

<strong>und</strong> die eigenen Fähigkeiten, Begabungen <strong>und</strong> Potentiale möglichst umfassend<br />

zu entfalten.<br />

1.2 Soziale Integration über <strong>Lebensstil</strong>e<br />

Der dramatische Anstieg des materiellen Lebensstandards g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>her mit<br />

Freisetzungsprozessen aus alten Klassen- <strong>und</strong> Schichtb<strong>in</strong>dungen. Die Position,<br />

die der E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong> der Gesellschaft e<strong>in</strong>nimmt, ist nicht mehr schicksalhaft<br />

festgelegt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Regel von Geburt an vorbestimmt durch se<strong>in</strong>e Zugehörigkeit<br />

zu e<strong>in</strong>er bestimmten Gesellschaftsschicht. Weniger verb<strong>in</strong>dliche<br />

Normen der Lebensführung über die soziale Schichtung der Gesellschaft<br />

br<strong>in</strong>gen grössere <strong>in</strong>dividuelle Spielräume mit sich.<br />

Soziale Zugehörigkeit wird heute weniger von schicht- bzw. klassenspezifischen<br />

Merkmalen geprägt als von <strong>Lebensstil</strong>en <strong>und</strong> deren Wahrnehmung.<br />

„Der <strong>in</strong> jüngster Zeit beachtliche Aufschwung von <strong>Lebensstil</strong>forschungen<br />

<strong>und</strong> -analysen gründet nicht zuletzt <strong>in</strong> der Tatsache, dass <strong>in</strong> Folge des sozialen<br />

<strong>und</strong> technischen Wandels <strong>in</strong> modernen Gesellschaften objektive sozialstrukturelle<br />

Bed<strong>in</strong>gungen immer weniger die Ausführungen von Sozialformen<br />

bed<strong>in</strong>gen.“ (Michailow 1994, 27)<br />

Über den <strong>Lebensstil</strong> werden Menschen identifizierbar für andere. Mit se<strong>in</strong>em<br />

<strong>Lebensstil</strong> ordnet sich der E<strong>in</strong>zelne e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Grossgruppe<br />

zu. Die Integration <strong>in</strong> die Gesellschaft geschieht über Geme<strong>in</strong>samkeiten im<br />

<strong>Lebensstil</strong>. Die Unterschiedlichkeit von <strong>Lebensstil</strong>en ist für die Alltagswirklichkeit<br />

von Menschen bedeutsamer geworden als die Unterschiedlichkeit<br />

sozialökonomischer Lebensbed<strong>in</strong>gungen. In Prozessen <strong>in</strong>teraktiver Erfahrungsverarbeitung<br />

gleichen sich die mite<strong>in</strong>ander lebenden Menschen <strong>in</strong> ihrem<br />

Selbstentwurf e<strong>in</strong>ander an. Sie bilden zusammen sozialkulturelle Gravitationszentren.<br />

Die Grenzen zwischen den verschiedenen <strong>Lebensstil</strong>typen s<strong>in</strong>d<br />

8


fliessend, denn sie s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> gleichem Masse vone<strong>in</strong>ander abgrenzbar wie<br />

soziale Schichten.<br />

<strong>Lebensstil</strong>e können als zeitgenössische Formen <strong>in</strong>dividueller <strong>und</strong> zugleich<br />

kollektiver Strategien der Alltagsgestaltung betrachtet werden. E<strong>in</strong>e <strong>Lebensstil</strong>gruppe<br />

ist nicht e<strong>in</strong>e durch soziale Kontrolle geschlossene soziale Gruppierung,<br />

sondern e<strong>in</strong>e lose Formation, die <strong>in</strong> ihrem <strong>Lebensstil</strong> ähnlichen<br />

Menschen Orientierung <strong>und</strong> Identität ermöglicht.<br />

In der <strong>Lebensstil</strong>analyse wird davon ausgegangen, dass sich die Menschen<br />

heute <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie über ihre <strong>Lebensstil</strong>e sozial orientieren <strong>und</strong> sich<br />

über ihre <strong>Lebensstil</strong>e von anderen abgrenzen. Den <strong>Lebensstil</strong>en kommen drei<br />

zentrale Funktionen zu, nämlich erstens die Ermöglichung von Alltagsrout<strong>in</strong>en,<br />

zweitens die Sicherung personaler <strong>und</strong> sozialer Identität <strong>und</strong> drittens<br />

Abgrenzung gegenüber anderen. Sie können als relativ konstante Muster der<br />

<strong>in</strong>dividuellen Organisation <strong>und</strong> Gestaltung des Alltags verstanden werden<br />

(Zapf et al. 1987, 14).<br />

„Unter‚<strong>Lebensstil</strong>‘“ wird von Ra<strong>in</strong>er Geissler „e<strong>in</strong> relativ stabiles, regelmässig<br />

wiederkehrendes Muster der alltäglichen Lebensführung verstanden –<br />

e<strong>in</strong> ‚Ensemble’ von Wertorientierungen, E<strong>in</strong>stellungen, Deutungen, Geschmackspräferenzen,<br />

Handlungen <strong>und</strong> Interaktionen, die aufe<strong>in</strong>ander bezogen<br />

s<strong>in</strong>d.“ (Geissler, 2006, 106)<br />

Der Verlust traditioneller E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dungen führt nicht notwendigerweise zu<br />

e<strong>in</strong>er Situation, <strong>in</strong> der die Handelnden e<strong>in</strong>em ständigen Zwang zur Selbstvergewisserung<br />

<strong>und</strong> des Entscheidenmüssens unterliegen. Über Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

des biografischen Erlebens, E<strong>in</strong>flüsse des Elternhauses <strong>und</strong> Peergroups <strong>in</strong><br />

der K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendzeit, über geteilte Lebenslagen, entfalten sich neue<br />

soziale Formationen <strong>und</strong> Modi der Sozial<strong>in</strong>tegration. Von zahlreichen Forschern<br />

(Georg 1998) werden die <strong>Lebensstil</strong>milieus heute als „e<strong>in</strong>e neue Art<br />

der sozialen E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung“ (Beck 1986, 206) werden heute angesehen.<br />

Das <strong>Lebensstil</strong>konzept basiert auf e<strong>in</strong>er zunehmenden Kulturalisierung<br />

<strong>und</strong> Stilisierung der Lebensführung <strong>in</strong> der Selbstwahrnehmung <strong>und</strong> Selbstpräsentation<br />

der Menschen. Anhand e<strong>in</strong>er quantitativen Inhaltsanalyse von<br />

Kontaktanzeigen <strong>in</strong> zwei Schweizer Tageszeitungen, <strong>in</strong> der Neuen Zürcher<br />

Zeitung (NZZ) <strong>und</strong> im Tages-Anzeiger, untersuchten Marlis Buchmann <strong>und</strong><br />

Manuel Eisner (1999) für den Zeitraum von 1900 bis 1996 soziale <strong>und</strong> kulturelle<br />

Merkmale, auf die Menschen bei der Partnersuche Wert legen. Insbesondere<br />

<strong>in</strong> den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahre stieg bei der Partnersuche über Zeitungs<strong>in</strong>serate<br />

die Nennung von Eigenschaften, die sich auf Freizeit, <strong>Lebensstil</strong><br />

<strong>und</strong> das äussere Ersche<strong>in</strong>ungsbild beziehen, während Bezüge auf den<br />

sozialen Status – soziale Herkunft, E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen – kont<strong>in</strong>uierlich<br />

abnahmen.<br />

Mit Annette Spellerberg lässt sich im Blick auf die momentane gesellschaftlich<br />

Lage sicherlich sagen, dass soziale Zuordnungen <strong>und</strong> Abgrenzungen<br />

über Geschmack <strong>und</strong> Stil <strong>in</strong> der Lebensführung an Bedeutung gewonnen<br />

9


haben (Spellerberg 1996, 11), doch immer noch <strong>in</strong> beachtlichem Masse von<br />

der Schichtzugehörigkeit mitgeprägt werden. Nach Hans-Peter Müller „muss<br />

e<strong>in</strong> <strong>Lebensstil</strong>konzept stets e<strong>in</strong>en ökonomischen (materiellen) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en<br />

kulturellen (ideellen) Pol umfassen“ (Müller 1982, 62). <strong>Lebensstil</strong>e entstehen<br />

aus zwei Komponenten: zum e<strong>in</strong>en aus objektiven Ressourcen <strong>und</strong> zum anderen<br />

aus den Konstitutionsleistungen der Individuen. An die Stelle e<strong>in</strong>er<br />

schicksalhaft zugewiesenen Standeszugehörigkeit tritt zusehends e<strong>in</strong>e aktive<br />

Milieubildung über Formen der Stilisierung <strong>und</strong> Ästhetisierung der eigenen<br />

Person (Brock 1998, 96).<br />

In unserer Untersuchung werden die <strong>Lebensstil</strong>e ausschliesslich über subjektive<br />

Verhaltensweisen, Zeichensetzungen, Geschmacksmuster <strong>und</strong> Wertorientierungen<br />

def<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> nicht wie <strong>in</strong> der Milieutypologie von S<strong>in</strong>us (S<strong>in</strong>us<br />

Sociovision 2005) <strong>und</strong> Michael Vester (Vester u.a. 2001) zusätzlich über<br />

objektiv gegebene Ressourcen. Sie werden nicht a priori an Status- <strong>und</strong> Bildungsunterschiede<br />

geb<strong>und</strong>en. Soziodemografische Merkmale werden als<br />

passive Variablen behandelt, die nicht zur <strong>Lebensstil</strong>ermittlung selbst, sondern<br />

erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweiten Phase zur Verortung der <strong>Lebensstil</strong>e im sozialen<br />

Raum herangezogen werden (vgl. dazu Kap. 7).<br />

Die Basis für die Konzeptualisierung der <strong>Lebensstil</strong>e bilden<br />

– der Musikgeschmack<br />

– die Fernsehgewohnheiten<br />

– die Freizeitaktivitäten<br />

– die Erziehungsziele <strong>in</strong> den befragten <strong>Familien</strong><br />

als symbolisch bedeutsame Bereiche des expressiven, <strong>in</strong>teraktiven <strong>und</strong> evaluativen<br />

Verhaltens im Alltag.<br />

1.3 Das Konzept des Habitus<br />

Die <strong>Lebensstil</strong>e können als sichtbaren Ausdruck unterschiedlicher Habitus-<br />

Formen betrachtet werden. Mit dem Begriff Habitus wird der unsichtbare,<br />

<strong>in</strong>nere Kern von <strong>Lebensstil</strong>en Bezeichnet. Der Habitus be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e<br />

Gr<strong>und</strong>haltung <strong>in</strong> der Lebensführung, der sich nach <strong>und</strong> nach im Zusammenleben<br />

mit anderen Menschen entwickelt. Er offenbart sich im Geschmack, <strong>in</strong><br />

der körperlichen <strong>und</strong> emotionalen Haltung, <strong>in</strong> den sozialen Beziehungen<br />

ebenso wie <strong>in</strong> den Lebenswerten. „E<strong>in</strong> Habitus kann daher nur als e<strong>in</strong>e umfassende<br />

Komb<strong>in</strong>ation oder als e<strong>in</strong> Syndrom von praktischen <strong>und</strong> moralischen<br />

E<strong>in</strong>stellungs- Klassifikations- <strong>und</strong> Wertmuster beschrieben werden“.<br />

(Vester 2001, 163) Er verkörpert den Schatz praktischer Lebenserfahrungen<br />

<strong>und</strong> deren Verarbeitung. E<strong>in</strong>mal als ganzer erfasst, kann er mit e<strong>in</strong>em Blick<br />

als allgeme<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>haltung erkannt werden, <strong>in</strong> dem die vielfachen Lebensäusserungen<br />

e<strong>in</strong>es Menschen sich nach e<strong>in</strong>er Formel oder e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip<br />

zusammenfügen.<br />

10


Im Habitus kann e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitstiftendes Pr<strong>in</strong>zip erkannt werden, das als umfassendes<br />

Klassifikations- Bedeutungs- <strong>und</strong> Handlungsschema e<strong>in</strong>en Zusammenhang<br />

von äusserst Vielfältigem darstellt <strong>und</strong> uns sagt, „ob die andere<br />

Person ‚unsere Wellenlänge’ hat, ‚unser Typ’ ist oder, bei Differenzen, wenigstens<br />

die gleiche Sprache spricht’“(Vester 2001, 169).<br />

Der Begriff Habitus hat se<strong>in</strong>e theoretisch F<strong>und</strong>ierung hauptsächlich <strong>in</strong> den<br />

Arbeiten von Pierre Bourdieu erhalten. Pierre Bourdieu bezeichnet mit dem<br />

Begriff Habitus e<strong>in</strong>e “Handlungs-, Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Denkmatrix” (Bourdieu<br />

1979, 169). Der Habitus steht “für e<strong>in</strong> Handlungs- <strong>und</strong> Haltungskonzept,<br />

das sich <strong>in</strong> allen Situationen durchhält <strong>und</strong> für soziale Zuordnung wie auch<br />

für soziale Abgrenzung sorgt – <strong>und</strong> zwar unterhalb der Schwelle des Bewusstse<strong>in</strong>s”<br />

(Wegner 2002, 44) – <strong>und</strong> als “gesellschaftlicher Orientierungss<strong>in</strong>n”<br />

(Bourdieu 1982, 728) wirkt.<br />

Bourdieu fasst den Habitus als verhaltensregulierende Gedankenwelt auf, als<br />

e<strong>in</strong> “e<strong>in</strong>heitsstiftendes Erzeugungspr<strong>in</strong>zip der Praxis”, als e<strong>in</strong>e “ähnliche<br />

Handlungsmuster hervorbr<strong>in</strong>gende Disposition” (Bourdieu 1982, 277), die<br />

ihren Kern <strong>in</strong> “geme<strong>in</strong>samen Denk-, Auffassungs-, Beurteilungs- <strong>und</strong> Handlungsschemata<br />

von sozialen Gruppierungen” (Bourdieu/Passeron 1971, 143)<br />

hat. Der Habitus stellt e<strong>in</strong> typisches Verhaltensmuster dar <strong>und</strong> erschliesst sich<br />

erst durch Abstraktion vom konkreten Denken <strong>und</strong> Handeln. In diesem S<strong>in</strong>ne<br />

steht er gewissermassen zwischen den strukturellen Bed<strong>in</strong>gungen menschlichen<br />

Handelns <strong>und</strong> dem Alltagsverhalten.<br />

Mit dem Habitus-Begriff will Bourdieu e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung schaffen zwischen<br />

der Klassenzugehörigkeit e<strong>in</strong>es Menschen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Denkweise sowie<br />

se<strong>in</strong>em Handeln, wie er an e<strong>in</strong>er Stelle schreibt: „Als Vermittlungslied zwischen<br />

der Position <strong>und</strong> Stellung <strong>in</strong>nerhalb des sozialen Raumes <strong>und</strong> spezifischen<br />

Praktiken, Vorlieben usw. fungiert das, was ich Habitus nenne, d.h.<br />

e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>haltung, e<strong>in</strong>e Disposition gegenüber der Welt, die zu<br />

systematischen Stellungsnahmen führt, …. Es gibt mit anderen Worten tatsächlich<br />

<strong>und</strong> das ist nach me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung überraschend genug, e<strong>in</strong>en Zusammenhang<br />

zwischen höchst disparaten D<strong>in</strong>gen: wie e<strong>in</strong>er spricht, tanzt,<br />

lacht, was er liest, was er mag, welche Bekannte <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong> er hat usw. All<br />

das ist eng mite<strong>in</strong>ander verknüpft“ (Bourdieu 1979, 25) Für den Habitus<br />

ergibt sich die Formel: Struktur→ Habitus→ Praxis.<br />

Zu den wesentlichen Merkmalen des Habitus gehören, dass er ver<strong>in</strong>nerlichte<br />

Gesellschaft ist, dass er e<strong>in</strong>e strategisch orientierte Praxis hervorbr<strong>in</strong>gt<br />

<strong>und</strong> dass die von ihm erzeugten Strategien nicht <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> gehoben<br />

werden. Die Dispositionen, die den Habitus ausmachen, s<strong>in</strong>d dem Individuum<br />

dauerhaft e<strong>in</strong>geprägt. Sie s<strong>in</strong>d stabil.<br />

Als kollektive Orientierungsmuster verleihen habituellen Übere<strong>in</strong>stimmungen<br />

Sicherheit im Handeln <strong>und</strong> entlasten davon, ständig das eigene Verhalten<br />

überdenken <strong>und</strong> aus e<strong>in</strong>er Vielzahl von Optionen wählen zu müssen.<br />

Solche habituellen Orientierungsmuster haben den Charakter vorreflexiven<br />

11


Wissens <strong>und</strong> übersteigen das <strong>in</strong>dividuelle Bewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong>sofern, als “die<br />

Handelnden <strong>in</strong> ihnen existieren” (Bohnsack/Nohl 2001, 21).<br />

Als e<strong>in</strong> generatives Pr<strong>in</strong>zip, das immer wieder Praxis hervorbr<strong>in</strong>gt, versteht<br />

Bourdieu den Habitus als e<strong>in</strong> System von Dispositionen zu praktischem<br />

Handeln, das die Gr<strong>und</strong>lage abgibt für regelmässige Verhaltensweisen. In<br />

diesem S<strong>in</strong>ne könnte man den Habitus als „Software“ der Praxis bezeichnen.<br />

Der Habitus-Begriff schliesst Gr<strong>und</strong>überzeugungen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es unh<strong>in</strong>terfragbaren<br />

Fürwahrhaltens mit e<strong>in</strong>. Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reihe erworbener Weltsichten<br />

<strong>und</strong> Vorstellungen enthalten, die dem Handelnden als natürlich <strong>und</strong><br />

selbstverständlich ersche<strong>in</strong>en. Zu welcher Art von Habitus heute noch religiöses<br />

Erleben <strong>und</strong> Handeln im S<strong>in</strong>ne der christlichen Glaubensüberzeugung<br />

gehören, wird sich im Verlaufe der weiteren Analyse herausstellen.<br />

Der Habitus ist quasi automatisch am Werk. Das im Habitus „E<strong>in</strong>verleibte<br />

f<strong>in</strong>det sich jenseits des Bewusstse<strong>in</strong>sprozesses angesiedelt, also geschützt vor<br />

absichtlichen <strong>und</strong> überlegten Transformationen, geschützt selbst noch davor,<br />

explizit gemacht zu werden. Nichts ersche<strong>in</strong>t unaussprechlicher, unkommunizierbarer,<br />

unersetzlicher, unnachahmlicher <strong>und</strong> dadurch kostbarer als die<br />

e<strong>in</strong>verleibten, zu Körpern gemachten Werte“ (Bourdieu 1987, 200). Der<br />

Habitus bildet e<strong>in</strong>e Art zweite Natur des Menschen, die sich auch <strong>in</strong> der Körperhaltung<br />

ausmachen lässt.<br />

Das wohl wichtigste Merkmal des Habitus ist für Bourdieu se<strong>in</strong>e Sozialität.<br />

Der Habitus ist etwas, was Individuen mit anderen teilen, die den gleichen<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt s<strong>in</strong>d. Mitglieder derselben Gesellschaftsschicht<br />

oder Lebenslage weisen e<strong>in</strong>en ähnlichen Habitus auf. Prägend<br />

für den Habitus ist nach Bourdieu die Position e<strong>in</strong>es Menschen im sozialen<br />

Gefüge. Den Zusammenhang zwischen objektiven gesellschaftlichen Strukturen<br />

<strong>und</strong> deren subjektiver Verarbeitung erläutert Bourdieu wie folgt: „Die für<br />

e<strong>in</strong>en spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen [etwa die<br />

e<strong>in</strong>e Klasse charakterisierenden materiellen Existenzbed<strong>in</strong>gungen] … erzeugen<br />

Habitus-Formen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte<br />

Strukturen, die geeignet s<strong>in</strong>d, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit<br />

anderen Worten: als Erzeugungs- <strong>und</strong> Strukturierungspr<strong>in</strong>zip von Praxisformen<br />

<strong>und</strong> Repräsentationen, die objektiv ‚geregelt’ <strong>und</strong> ‚regelmässig’ se<strong>in</strong><br />

können, ohne im ger<strong>in</strong>gsten das Resultat e<strong>in</strong>er gehorsamen Erfüllung von<br />

Regeln zu se<strong>in</strong>; die objektiv ihrem Zweck angepasst se<strong>in</strong> können, ohne das<br />

bewusste Anvisieren der Ziele <strong>und</strong> Zwecke <strong>und</strong> die explizite Beherrschung<br />

der zu ihrem Erreichen notwendigen Operationen vorauszusetzen, <strong>und</strong> die …<br />

kollektiv abgestimmt se<strong>in</strong> können, ohne das Werk der planenden Tätigkeit<br />

e<strong>in</strong>es ‚Dirigenten’ zu se<strong>in</strong>.“ (Bourdieu 1987, 164f.)<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne gründet der Habitus für Bourdieu <strong>in</strong> sozialen Unterschieden.<br />

Die moderne Gesellschaft ist für Bourdieu nach wie vor e<strong>in</strong>e Klassengesellschaft.<br />

Klassenunterschiede reproduzieren sich vermöge des Habitus <strong>in</strong><br />

der Praxis der Lebensführung. Der Habitus verknüpft die Klassenlage mit der<br />

12


Lebensführung. Er schlägt sich <strong>in</strong> allen Ausprägungen der Lebensführung<br />

nieder – vom Musikgeschmack bis h<strong>in</strong> zum Freizeitverhalten <strong>und</strong> <strong>in</strong> der<br />

Wahl der Ferienziele. Ihre Ausrichtung erhalten solche kulturellen Präferenzen<br />

von der Stellung <strong>in</strong> der Gesellschaft. Die Praxis der Lebensführung<br />

schafft als e<strong>in</strong>e die Klassenstruktur ergänzende symbolische Ordnung selbst<br />

signifikante soziale Unterschiede. Sie erfüllt e<strong>in</strong>e ähnliche Funktion wie das<br />

ökonomische Kapital. Bourdieu redet deswegen von symbolischem Kapital.<br />

Es erzeugt soziale Unterschiede wie die ökonomische Stellung.<br />

Über Geschmacksunterschiede erzeugt der Habitus das, was Bourdieu den<br />

<strong>Lebensstil</strong> nennt. Der <strong>Lebensstil</strong> kann als System von Zeichen angesehen<br />

werden, mit dem sich Menschen identifizieren, <strong>in</strong>dem sie sich <strong>in</strong> ihm selbst<br />

darstellen <strong>und</strong> dadurch von andren unterscheiden. Nach Bourdieu hat jede<br />

Klasse ihren eigenen Geschmack <strong>und</strong> ihren eigenen <strong>Lebensstil</strong>. Zwischen den<br />

verschiedenen <strong>Lebensstil</strong>en <strong>und</strong> den sozialen Klassen besteht se<strong>in</strong>er Überzeugung<br />

nach e<strong>in</strong>e Homologie, die durch den Habitus erzeugt wird.<br />

E<strong>in</strong>e flexiblere Auffassung des Habitus-Begriffes als Bourdieu vertritt<br />

Norbert Elias. Er verwendet den Begriff Habitus zur näheren Beschreibung<br />

der sozialen Persönlichkeitsstruktur (Elias 1999, 244). Für Elias stellt die<br />

Geschichte der Zivilisation e<strong>in</strong>e allmähliche Verlagerung von Fremdzwängen<br />

<strong>in</strong> Selbstzwänge dar. Der Habitus ist e<strong>in</strong>e Form der Triebmodellierung durch<br />

Selbstkontrolle, e<strong>in</strong>e Form der Kontrolle des Sozialen über das Individuum.<br />

Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft s<strong>in</strong>d für Elias ke<strong>in</strong>e zwei getrennt vone<strong>in</strong>ander<br />

existierende Grössen. Jeder e<strong>in</strong>zelne Mensch, so verschieden er von allen<br />

anderen ist, trägt e<strong>in</strong> spezifisches Gepräge <strong>in</strong> sich, das er mit anderen Angehörigen<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft teilt. Der Habitus-Begriff vermag für Elias Individuum<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang mite<strong>in</strong>ander zu br<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>dem er den<br />

Gedanken formuliert, „dass der e<strong>in</strong>zelne Mensch den Habitus e<strong>in</strong>er Gruppe<br />

an sich trägt <strong>und</strong> dass es dieser soziale Habitus ist, den er oder sie im Heranwachsen<br />

mehr oder weniger <strong>in</strong>dividualisiert“ (Elias 1999, 245).<br />

Jedes e<strong>in</strong>zelne Mitlied e<strong>in</strong>er Gesellschaft wird <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Denken <strong>und</strong><br />

Handeln von se<strong>in</strong>er Position <strong>in</strong> der Gesellschaft bestimmt. Diese ist <strong>in</strong>dividuell<br />

nicht bee<strong>in</strong>flussbar. Im S<strong>in</strong>ne sozialer Ungleichheit kann hier im übertragenen<br />

S<strong>in</strong>ne von Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen, von Chancen <strong>und</strong> H<strong>in</strong>dernissen<br />

für die subjektive Entwicklung jedes E<strong>in</strong>zelnen gesprochen werden. Subjektiver<br />

Selbstentwurf <strong>und</strong> gesellschaftliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen stehen ständig<br />

<strong>in</strong> direkter Beziehung <strong>und</strong> Wechselwirkung mite<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> können nur als<br />

Gesamtzusammenhang verstanden <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiert werden. Das Habitus-<br />

Konzept macht die symbiotische Beziehung zwischen Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

theoretisch greifbar <strong>und</strong> begrifflich fassbar. Der Habitus oder der<br />

soziale Charakter e<strong>in</strong>es Menschen s<strong>in</strong>d demnach immer Produkte variierender<br />

objektiver Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> subjektiver Möglichkeiten.<br />

In der deutschen Soziologie kommt der Begriff der Mentalität dem des<br />

Habitus sehr nahe (Hartmann 1999, 71). In der Alltagssprache steht der Beg-<br />

13


iff für Geisteshaltung, S<strong>in</strong>nesart, E<strong>in</strong>stellung. Der Blick auf die Welt ist e<strong>in</strong>e<br />

Frage der Mentalität. Mit Mentalität ist e<strong>in</strong> geistig-seelische Disposition<br />

geme<strong>in</strong>t, e<strong>in</strong>e unmittelbare „Prägung des Menschen durch se<strong>in</strong>e soziale Lebenswelt<br />

<strong>und</strong> die vor ihr ausstrahlenden, an ihr gemachten Lebenserfahrungen“<br />

(Geiger 1932, 77). Der mentalen Prägung durch die soziale Alltagswelt<br />

entkommt man nicht.<br />

1.4 <strong>Lebensstil</strong> als konstitutives Kennzeichen sozialer Milieus<br />

Der erhebliche Bedeutungsverlust traditionaler identitätsverbürgender sozialer<br />

Formationen darf nicht gleich gesetzt werden mit Individualisierung im<br />

S<strong>in</strong>ne von Vere<strong>in</strong>zelung <strong>und</strong> unbegrenzter Wahlfreiheit des E<strong>in</strong>zelnen. Über<br />

<strong>Lebensstil</strong>e werden auf neue Art <strong>und</strong> Weise soziale Integrationse<strong>in</strong>heiten<br />

gebildet. <strong>Lebensstil</strong>e fungieren als Erkennungszeichen, als Zeichen der Zuordnung<br />

<strong>und</strong> Identität. Sie können als thematisch übergreifende, <strong>in</strong>tegrative<br />

Überformungen <strong>und</strong> Überhöhungen des Lebensvollzuges verstanden werden.<br />

E<strong>in</strong>e Wirkung, die ihnen von Forschern zugeschrieben wird, liegt <strong>in</strong> ihrem<br />

Vergeme<strong>in</strong>schaftungspotential (Otte 2005a, 14). Menschen orientieren sich<br />

an <strong>Lebensstil</strong>en ihrer Mitmenschen <strong>und</strong> gehen bei ähnlichen Lebensmustern<br />

soziale Beziehungen e<strong>in</strong>. <strong>Lebensstil</strong>e werden als Instanzen sozialer Integration<br />

aufgefasst, die für soziale Identität sorgen <strong>und</strong> soziale Kohäsion begründen.<br />

Die Funktion von <strong>Lebensstil</strong>en besteht u. a. dar<strong>in</strong>, es Individuen zu ermöglichen,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zusammenspiel von Identifikation <strong>und</strong> Abgrenzung<br />

gleichzeitig Individualität zu demonstrieren <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Unsicherheiten<br />

zu bewältigen. E<strong>in</strong> wesentlicher Ausgangspunkt für die Ausbildung<br />

der heutigen <strong>Lebensstil</strong>milieus bildet die durch die Modernisierung<br />

erzeugte Unsicherheit <strong>in</strong> der Identitätsbildung <strong>und</strong> -sicherung der Menschen.<br />

<strong>Lebensstil</strong>e stellen kollektive Schemata der Lebensbewältigung zur Verfügung<br />

<strong>und</strong> ermöglichen dadurch Vergewisserung des eigenen Selbst unter<br />

Rekurs auf externe Massstäbe.<br />

Die Begrifflichkeit von <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Milieu wird <strong>in</strong> der Forschung nicht<br />

trennscharf verwendet. <strong>Lebensstil</strong>e s<strong>in</strong>d „e<strong>in</strong>e notwendige, wenn auch nicht<br />

h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung von Vergeme<strong>in</strong>schaftung“ (Spellerberg 1996, 62).<br />

Während Milieus eher soziale Interaktionszusammenhänge darstellen, beschreiben<br />

<strong>Lebensstil</strong>e lediglich alltagskulturelle Verhaltensweisen, die Personen<br />

geme<strong>in</strong>sam s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> an denen sie sich wechselseitig erkennen.<br />

Mit dem Begriff des sozialen Milieus wird stärker an den Strang der sozialwissenschaftlichen<br />

Forschung angeknüpft, die sich mit der Lebensführung<br />

<strong>in</strong> traditionellen sozialmoralischen Milieus (Lespius 1973) befasste. Ra<strong>in</strong>er<br />

Lespius unterschied e<strong>in</strong>st zwischen dem protestantisch-liberalen, dem konservativen,<br />

dem katholischen <strong>und</strong> dem sozialdemokratischen Lager. Die Le-<br />

14


ensstilforschung h<strong>in</strong>gegen legt ihr Augenmerk auf kulturelle <strong>und</strong> ästhetische<br />

Unterschiede, wie sie <strong>in</strong> unterschiedlichen Stilisierungen des Alltags zum<br />

Ausdruck kommen.<br />

Gr<strong>und</strong>legend für Milieus ist e<strong>in</strong> spezieller <strong>Lebensstil</strong>. Darüber h<strong>in</strong>aus heben<br />

sich Milieus ab von anderen durch <strong>in</strong>tensivere Kontakte untere<strong>in</strong>ander<br />

der Personen mit ähnlicher Lebensausrichtung. <strong>Lebensstil</strong>e können durchaus<br />

Anlass geben zu engeren sozialen Kontakten im S<strong>in</strong>ne der Spruchweisheit:<br />

Gleich zu gleich gesellt sich gern. Indem soziale Interaktionen sich <strong>in</strong>nerhalb<br />

von <strong>Lebensstil</strong>typen verdichten, erzeugen sie soziale Schliessungsprozesse.<br />

Ähnliche <strong>Lebensstil</strong>e implizieren gleichzeitig Unterscheidung zu anderen, die<br />

e<strong>in</strong>en anderen <strong>Lebensstil</strong> pflegen, was zu sozialer Schliessung führen kann.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Kodierung ästhetisch-expressiven<br />

Verhaltens kommt es unter Vertretern des gleichen <strong>Lebensstil</strong>s zu e<strong>in</strong>er Verdichtung<br />

von Interaktionen, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er häufigeren Wahl von Fre<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Partnern <strong>in</strong>nerhalb des gleichen <strong>Lebensstil</strong>typs ausdrückt. Was sich aus<br />

der Innenperspektive als soziale Kohäsion darstellt, erweckt für Aussenstehende<br />

den E<strong>in</strong>druck der Dist<strong>in</strong>ktion <strong>und</strong> Abschliessung.<br />

Die Rede von Lebensmilieus lenkt die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen<br />

zwischen Menschen. Die soziale Welt setzt sich nicht aus E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dividuen<br />

zusammen, die erst völlig unabhängig vone<strong>in</strong>ander s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich dann<br />

ihren Eigenschaften entsprechend zusammenf<strong>in</strong>den. Bevor Menschen <strong>in</strong><br />

ihrem Alltagshandeln sichtbar werden, s<strong>in</strong>d sie schon durch unsichtbare Bande,<br />

E<strong>in</strong>schätzungen <strong>und</strong> Kräfteverhältnisse aufe<strong>in</strong>ander ausgerichtet.<br />

Im Milieubegriff schw<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Dimension mit, die man als kommunikativ<br />

oder <strong>in</strong>teraktiv bezeichnen könnte. Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für den Milieubegriff,<br />

der von Gerhard Schulze im Rahmen se<strong>in</strong>er Theorie der Erlebnisgesellschaft<br />

entwickelt wurde. Für Schulze s<strong>in</strong>d Milieus die zentralen Ausprägungen<br />

gegenwärtiger sozialer Unterschiede. Er def<strong>in</strong>iert sie als Personengruppen,<br />

die sich durch gruppenspezifische Existenzformen <strong>und</strong> erhöhte<br />

B<strong>in</strong>nenkommunikation vone<strong>in</strong>ander abheben (Schulze 1992, 174). Milieus<br />

erlangen ihre Eigenheit <strong>und</strong> Differenz zu anderen durch ihre besondere „Art<br />

der Wahrnehmung, Interpretation <strong>und</strong> Nutzung der jeweiligen äusseren Umwelt<br />

<strong>und</strong> menschlichen Mitwelt“ (Hradil 1992, 10).<br />

Im Konzept des Milieus drückt sich nach Michael Vester der Zusammenhalt<br />

aus, <strong>in</strong> dem sich der Habitus der Individuen ausbildet, <strong>in</strong> familiären,<br />

beruflichen, territorialen <strong>und</strong> anderen Gruppierungen, <strong>und</strong> der se<strong>in</strong>erseits<br />

wieder Beziehungen <strong>in</strong> den sozialen Gruppen mitbegründet. Die sozialen<br />

Milieus haben seit dem Ausgang der 1970er Jahre den Platz e<strong>in</strong>genommen,<br />

den zuvor die soziale Schicht <strong>und</strong> Klasse <strong>in</strong> hohem Masse <strong>in</strong>nehatten. „Milieu<br />

bezeichnet geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> die besondere soziale Umwelt, <strong>in</strong> deren Mitte (‚au<br />

milieu’) Menschen leben, wohnen <strong>und</strong> tätig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die ihrem Habitus entspricht.<br />

Hier f<strong>in</strong>den sie ihresgleichen, andere Menschen, mit deren ‚Art’ sie<br />

zusammenpassen. Verb<strong>in</strong>dend ist das Gewohnte (‚ethos’) beziehungsweise<br />

15


e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same gr<strong>und</strong>legende Haltung(‚hexis’, ‚habitus’), die sich im Zusammenleben<br />

nach <strong>und</strong> nach entwickelt hat.“ (Vester 2001, 168f.) Der Zu<br />

Zusammenhalt im Milieu ergibt sich aus dem geme<strong>in</strong>samen Habitus <strong>und</strong><br />

Geschmack.<br />

Sprach Emile Durkheim noch von moralischen Milieus als Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>heit<br />

der Gesellschaft, von Menschen also, die moralische Regeln mite<strong>in</strong>ander<br />

teilen (Durkheim 1983, 56), schaffen nach Stefan Hradil <strong>in</strong>teraktive Interpretationsprozesse<br />

<strong>und</strong> kollektive Erfahrungen „typische Bündelungen von ‚objektiven’<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> ‚subjektiven’ E<strong>in</strong>stellungen, Bewusstse<strong>in</strong>sformen<br />

etc.“ (Hradil 1987, 163) Die E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Bewusstse<strong>in</strong>sformen<br />

der mite<strong>in</strong>ander lebenden Menschen gleichen sich <strong>in</strong> Prozessen gegenseitiger<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>und</strong> Anpassungen an. Daraus bilden sich bestimmte<br />

<strong>Lebensstil</strong>e, die erkennbar s<strong>in</strong>d an typischen Verhaltensmustern.<br />

1.5 Existentielle Anschauungsweise <strong>in</strong> sozialen Milieus<br />

Spricht Bourdieu von Habitus als gr<strong>und</strong>legende Kategorie für die Interpretation<br />

von <strong>Lebensstil</strong>milieus, bildet für Gerhard Schulze „die existentielle Anschauungsweise“<br />

(Schulze 1992, 232) den stabilisierenden Kristallisationspunkt<br />

e<strong>in</strong>es Milieus. Darunter versteht er e<strong>in</strong>en ganzheitlich zusammenhängenden<br />

Komplex von Vorstellungen über die Welt <strong>und</strong> die eigenen Beziehungen<br />

zur Welt. Die existentielle Anschauungsweise ist „e<strong>in</strong>e stark verdichtete<br />

Qu<strong>in</strong>tessenz all der konkreten Normalitätsvorstellungen, mit denen sich<br />

Subjekte <strong>in</strong> ihrem Ambiente orientieren“ (Schulze 1992, 231), e<strong>in</strong> übergreifendes<br />

Orientierungspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der Vielgestaltigkeit der vorgestellten Welt.<br />

Sie steuert die Verb<strong>in</strong>dung zwischen Individuum <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Umwelt, <strong>in</strong>dem<br />

sie den Kurs der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion vorgibt.<br />

Mit Hilfe der existentiellen Anschauungsweise werden die Normalitätsvorstellungen<br />

e<strong>in</strong>es Menschen ständig neu ausgerichtet <strong>und</strong> rekonstruiert. Die<br />

existentielle Anschauungsweise ermöglicht e<strong>in</strong>e halbwegs stabile <strong>und</strong> funktionsfähige<br />

Organisation unseres Alltagslebens. „Gelegentliche Konfusionen,<br />

schockartige Realitätskrisen, <strong>in</strong>nere Erschütterungen durch neue Erkenntnisse<br />

haben erstaunlich selten den Effekt e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>legend neuen Sicht der Wirklichkeit.“<br />

(Schulze 1992, 264)<br />

Um überhaupt existieren zu können, müssen sich die Menschen e<strong>in</strong>e<br />

Struktur geben, die es ihnen erlaubt, sich gegenseitig e<strong>in</strong>zuschätzen <strong>und</strong> Identität<br />

aufzubauen. Mit Hilfe ihrer existentiellen Anschauungsweise als Richtschnur<br />

bauen sie wechselseitige E<strong>in</strong>schätzung auf <strong>und</strong> erlangen e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong><br />

davon, wer sie selbst eigentlich s<strong>in</strong>d.<br />

Der Wunsch nach Absicherung der eigenen Wirklichkeitsbilder lässt<br />

Menschen zusammenrücken. Durch den Blick auf andere versucht man, Orientierung<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Über verifizierende Kommunikation baut der E<strong>in</strong>zel-<br />

16


ne se<strong>in</strong>e existentielle Anschauungsweise auf, nach der er sich tendenziell<br />

richtet. „Soziale Milieus s<strong>in</strong>d Geme<strong>in</strong>schaften der Weltdeutung.“ (Schulze<br />

1992, 267)<br />

Die Individuen bef<strong>in</strong>den sich zur milieutypischen Normalitätsvorstellung<br />

<strong>in</strong> unterschiedlicher Distanz. Milieuspezifische Anschauungsweisen s<strong>in</strong>d im<br />

Leben des E<strong>in</strong>zelnen nicht allgegenwärtig, aber typisch. Sie erfassen nicht<br />

alle Personen gleichermassen, bestimmen die Form der Wirklichkeitskonstruktion<br />

e<strong>in</strong>er Person nicht vollständig, nehmen aber spürbaren E<strong>in</strong>fluss<br />

darauf. Sie bilden das Häufige, Übliche, Typische ab. Der Informationsgehalt<br />

von Aussagen über die existentielle Anschauungsweise wird dadurch bestimmt,<br />

„dass die behauptete Anschauungsweise im Bezugsmilieu vor anderen<br />

Anschauungsweisen dom<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> dass sie für das Bezugsmilieu typischer<br />

ist als für andere Milieus“ (Schulze 1992, 262).<br />

Die existentielle Anschauungsweise e<strong>in</strong>es Milieus setzt sich aus drei<br />

Komponenten zusammen: den Ich-Welt-Bezug, die normale existentielle<br />

Problemdef<strong>in</strong>ition <strong>und</strong> die primäre Perspektive.<br />

Konkretisierung existentieller Anschauungsweisen Schema 1<br />

Ich-Welt Normale existentielle Primäre<br />

Milieu<br />

Bezug Problemdef<strong>in</strong>ition Perspektive<br />

Streben nach Rang Hierarchie Niveaumilieu<br />

Weltverankert<br />

Ichverankert<br />

Streben nach Konformität<br />

Streben<br />

nach Geborgenheit<br />

Streben nach Selbstverwirklichung<br />

Soziale<br />

Erwartungen<br />

Bedrohung<br />

Innerer Kern<br />

Integrationsmilieu<br />

Harmoniemilieu<br />

Selbstverwirklichungsmilieu<br />

Streben nach Stimulation Bedürfnisse Unterhaltungsmilieu<br />

(Quelle: Schulze 1992, 261)<br />

Den Kern existentieller Anschauungsweise bildet die existentielle Problemdef<strong>in</strong>ition.<br />

Die vielen alltäglichen Aktivitäten enthalten e<strong>in</strong>e übergreifende<br />

Auffassung, woraufh<strong>in</strong> sie ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Jede <strong>und</strong> jeder hat se<strong>in</strong>e besondere<br />

Weise, das Leben anzugehen, die im Laufe der Zeit sichtbar wird. Der<br />

Begriff der normalen existentiellen Problemdef<strong>in</strong>ition spricht die gr<strong>und</strong>legende<br />

Aufgabenstellung <strong>und</strong> Zielsetzung im Leben an, die sich wie e<strong>in</strong> roter<br />

Faden durch das Leben des E<strong>in</strong>zelnen zieht <strong>und</strong> den Kurs se<strong>in</strong>es Alltagshandelns<br />

bestimmt. Der Fokus richtet sich <strong>in</strong> unserer Gesellschaft der vielen<br />

Optionen auf die subjektive Vorstellung von Lebensqualität: Rang, Konformität,<br />

Geborgenheit, Selbstverwirklichung <strong>und</strong> Stimulation als Selbstzweck.<br />

Was zählt, ist z.B. die Empf<strong>in</strong>dung von Geborgenheit, so illusionär sie auch<br />

se<strong>in</strong> mag. Geme<strong>in</strong>sam ist allen fünf Motiven e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nengeleitete, erlebnisorientierte<br />

Zielsetzung.<br />

17


Jede existenzielle Problemdef<strong>in</strong>ition geht implizit von e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Ich-Welt-Bezug aus. Er lässt sich entweder weltverankert beschreiben, wenn<br />

sich e<strong>in</strong>e Person die Welt als vorgegeben vorstellt, oder ichverankert, wenn<br />

die Welt dom<strong>in</strong>ant auf die eigene Person h<strong>in</strong> erschlossen wird. In e<strong>in</strong>er weltverankerten<br />

Sicht werden die Welt als auch das <strong>in</strong> ihr wohnende Ich als Bestandteile<br />

e<strong>in</strong>er umfassenden Ordnung verstanden. Man stellt sich die Welt<br />

als gegebene Ordnung vor, zu der das Ich <strong>in</strong> Bezug gesetzt wird. Der E<strong>in</strong>zelne<br />

legt es darauf an, e<strong>in</strong>en vorteilhaften Platz <strong>in</strong> dieser Ordnung zu erlangen.<br />

Mit e<strong>in</strong>em weltverankerten Ich-Welt-Bezug s<strong>in</strong>d das Streben nach Rang,<br />

nach Konformität <strong>und</strong> nach Geborgenheit verb<strong>und</strong>en.<br />

Umgekehrt verläuft die Zuordnung von Ich <strong>und</strong> Welt <strong>in</strong> der ichverankerten<br />

Weltsicht. „Nicht das Ich wird der Welt zugeordnet, sondern die Welt<br />

dem Ich.“ (Schulze 1992, 235) Prägt e<strong>in</strong>e weltverankerte Wirklichkeitsauffassung<br />

tendenziell traditionelle Milieus, kennzeichnet e<strong>in</strong> selbstreferenzieller<br />

Zugang zur Welt moderne <strong>Lebensstil</strong>milieus. Fragt man Menschen, mit e<strong>in</strong>er<br />

ichverankerten Weltsicht, wonach sie ihr Leben ausreichten, so berufen sie<br />

sich auf sich selbst, auf von ihnen selbst def<strong>in</strong>ierte Kriterien. Die Gestaltung<br />

des Lebens wird primär auf sich selbst <strong>und</strong> die eigenen Erfahrungen bezogen.<br />

In den Sozialwissenschaften wird dieser Sachverhalt als ‚Selbstreferenz’<br />

bezeichnet. Sich suchen, zu sich f<strong>in</strong>den, zu sich stehen, ist das, was Orientierung<br />

<strong>in</strong> der Welt verbürgen soll. In e<strong>in</strong>er ichverankerten Weltsicht gründen<br />

das Streben nach Selbstverwirklichung <strong>und</strong> das Streben nach Stimulation.<br />

Die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften führt auf der<br />

Ebene des personalen Verhaltens zu e<strong>in</strong>er fortschreitende „Ich-Zentrierung“<br />

(Rucht 1994, 54). Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene besteht der<br />

Schlüsselprozess <strong>in</strong> der Radikalisierung von bereits <strong>in</strong> hochkulturellen Gesellschaften<br />

angebahnter funktionaler Differenzierung. Das bedeutet die Ausdifferenzierung<br />

e<strong>in</strong>er vormals religiös <strong>in</strong>tegrierten Handlungs- <strong>und</strong> Vorstellungswelt<br />

<strong>in</strong> gesellschaftliche Teilsysteme: Politik, Wirtschaft, Recht, Familie,<br />

Wissenschaft, Sport usw., die nach je eigenen Regeln <strong>und</strong> Logik funktionieren:<br />

Mit der Lösung aus ihrer religiösen Verankerung werden die gesellschaftlichen<br />

Teilsysteme nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em radikalen S<strong>in</strong>ne freigesetzt, aber<br />

doch relativ autonom, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong>nerhalb ihres Geltungsbereiches nach<br />

eigenen Regeln funktionieren <strong>und</strong> sich gegenseitig aufe<strong>in</strong>ander abstimmen.<br />

Funktionale Differenzierung der Gesellschaft <strong>und</strong> Ich-Zentrierung s<strong>in</strong>d<br />

zwei Seiten der gleichen Medaille. Sie verlaufen nicht zufällig parallel. Ich-<br />

Zentrierung f<strong>in</strong>det auf Systemebene ihre Entsprechung im Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>er dezentralen<br />

Gesellschaft, zusammengesetzt aus mehr oder weniger autonomen<br />

Teilsystemen. Beide Seiten bed<strong>in</strong>gen, stabilisieren <strong>und</strong> fördern sich wechselseitig.<br />

Funktionale Differenzierung bedarf auf der Individualebene e<strong>in</strong>es<br />

Subjektes, das flexibel <strong>und</strong> wendig genug ist, um gleichzeitig mehreren Systemen<br />

anzugehören <strong>und</strong> viele Funktionen wahrzunehmen. Umgekehrt kann<br />

sich radikale Ich-Zentrierung nur durchsetzen, wo Funktionssysteme Spiel-<br />

18


äume gewähren. An die Stelle der E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gleichsam schicksalhaft<br />

zugewiesenen sozialen Ort, tritt <strong>in</strong> der modernen Gesellschaft der Anspruch,<br />

e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> Referenz auf sich selbst zu entwerfen.<br />

Ich-Zentrierung bedeutet allerd<strong>in</strong>gs nicht, dass der E<strong>in</strong>zelne autonom <strong>und</strong><br />

selbstbestimmt denkt <strong>und</strong> handelt. Ich-Zentrierung vollzieht sich <strong>in</strong> permanenter<br />

sozialer Interaktion, sie wird sozialisiert <strong>und</strong> fortlaufend wechselseitig<br />

bekräftigt. Doch <strong>in</strong> den Mittelpunkt rückt das Individuum, das se<strong>in</strong>en eigenen<br />

Lebensentwurf gegen konkurrierende Bewertungen <strong>in</strong> ständigere Interaktion<br />

mit anderen stabilisiert.<br />

Die beiden gegenläufigen Ich-Welt-Bezüge geben lediglich e<strong>in</strong>en groben<br />

Raster des Zugangs zur Welt ab, der <strong>in</strong> der primären Perspektive konkretisiert<br />

wird (siehe Schema 1). Die primäre Perspektive me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Blickw<strong>in</strong>kel auf die beiden Konstitutiven des Ich-Welt-Bezuges. Mit der<br />

weltverankerten Dase<strong>in</strong>sauffassung gehen drei primäre Perspektiven e<strong>in</strong>her:<br />

e<strong>in</strong>e Ordnung von oben nach unten (Hierarchie), von erlaubt <strong>und</strong> verboten<br />

(Soziale Erwartung), von Schutz <strong>und</strong> Bedrohung. Im Blick auf die ichverankerte<br />

Weltsicht können zwei Ausprägungen der primären Perspektive unterschieden<br />

werden: Das Äussere so e<strong>in</strong>zurichten, dass es zur <strong>in</strong>neren Ordnung<br />

passt (Innerer Kern) oder sich <strong>in</strong> der Ausgestaltung des Ich an den Bedürfnissen<br />

zu orientieren.<br />

Der Ich-Welt-Bezug, die normale existentielle Problemdef<strong>in</strong>ition, verb<strong>und</strong>en<br />

mit der primären Perspektive begründen jeweils bestimmte <strong>Lebensstil</strong>milieus,<br />

wie sie <strong>in</strong> der Folge <strong>in</strong> den Kapiteln 3–6 vorgestellt werden. In<br />

e<strong>in</strong>er differenzierteren Fe<strong>in</strong>struktur der <strong>Lebensstil</strong>milieus ergibt sich e<strong>in</strong> eigenständiger<br />

Stiltyp, dessen Identität <strong>in</strong> hohem Masse religiös geprägt ist<br />

(Kap. 7).<br />

19


2. Dimensionen der <strong>Lebensstil</strong>e<br />

2.1 Alltagsästhetische Schemata<br />

In der Vielzahl der mittlerweile vorliegenden Untersuchungen wird ‚<strong>Lebensstil</strong>’<br />

sehr unterschiedlich gefasst. Von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Wahl von Dimensionen<br />

<strong>und</strong> Indikatoren zur empirischen Feststellung von <strong>Lebensstil</strong>en kann<br />

nicht die Rede se<strong>in</strong>. Die Dimensionen, die der Auswahl der Indikatoren zur<br />

Ermittlung der <strong>Lebensstil</strong>e zugr<strong>und</strong>e liegen, variieren zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Studien (Hartmann 1999, Georg 1998, Spellerberg 1996) beträchtlich.<br />

Bislang liegt <strong>in</strong> der <strong>Lebensstil</strong>forschung ke<strong>in</strong> empirisches Instrument vor,<br />

das <strong>in</strong> Bevölkerungsumfragen standardmässig e<strong>in</strong>gesetzt wird. In unserer<br />

Befragung stützten wir uns für die Erhebung der <strong>Lebensstil</strong>e auf die Bevölkerungsumfrage<br />

ALLBUS 1998 <strong>in</strong> Deutschland. Beim den im ALLBUS verwendeten<br />

Dimensionen <strong>und</strong> Items handelt es sich um Replikationen aus dem<br />

Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) von 1990 <strong>und</strong> dem Wohlfahrtssurvey aus<br />

dem Jahre 1993 <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Der ALLBUS se<strong>in</strong>erseits<br />

orientierte sich am <strong>Lebensstil</strong>konzept von Gerhard Schulze (Koch et alii<br />

1999).<br />

Schulze geht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Studie zur Erlebnisgesellschaft von e<strong>in</strong>er nachhaltigen<br />

Ästhetisierung der Alltagswelten aus. Durch die Ausweitung der Konsumpotentiale,<br />

die Umwandlung von vorgegebener <strong>in</strong> gestaltbare Wirklichkeit<br />

wird der Mensch immer stärker auf se<strong>in</strong>en Geschmack verwiesen. „Die<br />

Ästhetisierung des Alltagslebens drängt uns zu e<strong>in</strong>er wachsenden Zahl von<br />

Geschmacksentscheidungen“ (Schulze 1992, 127). Die Modernisierung der<br />

Gesellschaft äussert sich <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> gestiegenen Bedeutung der ästhetischen<br />

Komponenten im Alltag. Welche Kleidung man trägt, welche Musik<br />

man hört, wo <strong>und</strong> wie man se<strong>in</strong>e Freizeit verbr<strong>in</strong>gt, ist ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> persönliche<br />

Angelegenheit mehr. Alltagsästhetische Stile werden zu Bezugspunkten <strong>in</strong><br />

der kulturellen <strong>und</strong> sozialen Ausgestaltung der Gesellschaft.<br />

<strong>Lebensstil</strong>e werden als expressives Verhalten begriffen. So wird der <strong>Lebensstil</strong><br />

von Lüdtke ausdrücklich „als auf die Expression angelegtes Muster<br />

von Präferenzen <strong>und</strong> Verhaltensweisen e<strong>in</strong>er Person“ (1989, 42) verstanden.<br />

In se<strong>in</strong>er Untersuchung der Pariser Bevölkerung erfasste zum Beispiel Pierre<br />

Bourdieu den <strong>Lebensstil</strong> über die folgenden Verhaltensstilisierungen: Möbel<br />

<strong>und</strong> Wohnungse<strong>in</strong>richtungen, Freizeitaktivitäten bzw. sportliche Betätigung,<br />

Kleiderstil, Präferenzen von Speisen, Literatur- <strong>und</strong> Filmgattungen, Radio<strong>und</strong><br />

Fernsehsendungen, Musikpräferenzen bzw. Liebl<strong>in</strong>gssänger, Malerei<br />

bzw. Liebl<strong>in</strong>gsmaler, Fre<strong>und</strong>eskreis, bevorzugte Fotomotive. Am Geschmack<br />

wird sichtbar, welchen <strong>Lebensstil</strong> jemand pflegt. Der Geschack br<strong>in</strong>gt auf<br />

kultureller Ebene e<strong>in</strong>en bestimmten <strong>Lebensstil</strong> zum Ausdruck. Im Blickpunkt<br />

20


steht das alltägliche Verhalten, <strong>in</strong> dem das subjektive Lebensverständnis über<br />

Zeichen <strong>und</strong> Symbole ausgedrückt wird.<br />

Für Bourdieu ist der Geschmack ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> persönliche Angelegenheit,<br />

sondern e<strong>in</strong>e klassenspezifisch ausgeprägte ästhetische Bewertung <strong>und</strong> Unterscheidung.<br />

Der Geschmack wird von ihm als evidentes Zeichen der Klassenzugehörigkeit<br />

gedeutet. Der Geschmack trennt <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>t, erzeugt Zustimmung<br />

wie auch Ablehnung. Er fungiert als e<strong>in</strong>e Art sozialer Orientierungss<strong>in</strong>n.<br />

Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage werden Selbst- <strong>und</strong> Fremde<strong>in</strong>schätzungen<br />

vorgenommen. Geschmackspräferenzen als sichtbare Unterscheidungszeichen<br />

verbürgen Prozesse der Integration <strong>und</strong> Identität, <strong>in</strong>dem nach der sozialen<br />

Logik des E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Ausschlusses zusammenf<strong>in</strong>det, was zusammengehört,<br />

<strong>und</strong> getrennt bleibt, was sich als getrennt empf<strong>in</strong>det.<br />

Betrachtet Pierre Bourdieu Ästhetik <strong>und</strong> <strong>Lebensstil</strong> als zentrale Indikatoren<br />

für die Klassenzughörigkeit, favorisiert Schulze e<strong>in</strong>en subjektzentrierten<br />

Gesellschaftsaufbau. Am besten lässt sich nach ihm die Struktur moderner<br />

Gesellschaften aus der Perspektive persönlicher ästhetischer Stilisierung im<br />

Alltag beschreiben. Vorlieben <strong>in</strong> Stil <strong>und</strong> Geschmack bündeln sich zu charakteristischen<br />

alltagsästhetischen Schemata. Unter alltagsästhetischen Schemata<br />

versteht er e<strong>in</strong>e Gruppe ästhetischer Zeichen, die bedeutungsäquivalent kodiert<br />

werden. In den alltagsästhetischen Schemata stehen den Menschen kollektive<br />

Muster des Erlebens zur Verfügung, durch die die Erlebnisorientierung<br />

des E<strong>in</strong>zelnen gel<strong>in</strong>gt. Sie fassen e<strong>in</strong>e Vielzahl von Zeichen zusammen,<br />

denen e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>same Bedeutung eigen ist. Sie s<strong>in</strong>d mehr als e<strong>in</strong> Sammelsurium<br />

von Vorlieben, Abneigungen, Gleichgültigkeiten, Abgrenzungen. Sie<br />

drücken auf je eigene Weise das Selbstverständnis, die verdichtete Lebensphilosphie<br />

e<strong>in</strong>er Person aus. Ablesbar wird die <strong>in</strong> den alltagsästhetischen<br />

Schemata zum Ausdruck kommende Lebensphilosophie im Alltagsverhalten.<br />

In unserer Untersuchung wurden die <strong>jungen</strong> Eltern zu vier Bereichen des<br />

familiären Lebens ausführlich befragt: Musikgeschmack, Fernsehgewohnheiten,<br />

Freizeitaktivitäten, Erziehungsstil.<br />

Den alltagsästhetischen Schemata fällt immer mehr die Funktion zu, „anderen<br />

<strong>und</strong> sich selbst sowohl dist<strong>in</strong>ktive wie lebensphilosophische Inhalte zu<br />

signalisieren“ (Schulze 1992, 96). Sie be<strong>in</strong>halten kollektive Muster des Erlebens<br />

<strong>und</strong> erleichtern die Orientierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vieldimensionalen Raum. Sie<br />

reduzieren die unendliche Menge der Möglichkeiten, die Welt zum Gegenstand<br />

des Erlebens zu machen, auf e<strong>in</strong>e übersichtliche Zahl von Mustern,<br />

damit <strong>in</strong> der Optionsgesellschaft nicht vollends die Orientierung verloren<br />

geht.<br />

Alltagsästhetische Schemata s<strong>in</strong>d die Konstruktionselemente für die Bildung<br />

von <strong>Lebensstil</strong>typen, „die sich als Komb<strong>in</strong>ation bestimmter Ausprägungen<br />

von Schemata beschreiben lassen“(Schulze 1992, 123).<br />

21


2.2 Drei Arten von alltagsästhetischen Schemata<br />

Als hauptsächliche Dimensionen der ästhetischen Orientierung unterscheidet<br />

Schulze drei alltagsästhetische Schemata:<br />

• das Hochkulturschema<br />

• das Trivialschema<br />

• das Spannungsschema<br />

Schema 2 gibt e<strong>in</strong>en schematischen Überblick über diese Gr<strong>und</strong>muster <strong>und</strong><br />

charakterisiert sie kurz <strong>in</strong> ihren Gr<strong>und</strong>zügen.<br />

Alltagsästhetische Schemata im Überblick Schema 2<br />

Alltags-<br />

ästhetische<br />

Schemata<br />

Trivial-<br />

schema<br />

Typische Zeichen<br />

(3 Beispiele)<br />

Klassische Musik<br />

Museumsbesuch<br />

Lektüre „guter Literatur“<br />

deutscher Schlager<br />

Fernsehquiz<br />

Arztroman<br />

Rockmusik, Thriller<br />

Ausgehen (Kneipen,<br />

Genuss<br />

Kontemplation<br />

Gemütlichkeit<br />

Action<br />

Bedeutung<br />

Dist<strong>in</strong>k-<br />

tion<br />

Anti-<br />

barbarisch<br />

Anti-<br />

exzentrisch<br />

Anti-<br />

Perfektion<br />

Harmonie<br />

Narzissmus<br />

Lebensphilosophie<br />

Hochkulturschema<br />

Spannungsschema<br />

konventio-<br />

Discos, K<strong>in</strong>os usw.)<br />

nell<br />

(Schulze 1992, 163)<br />

Die drei Schemata verkörpern allgeme<strong>in</strong> verständliche Zeichensysteme, die<br />

e<strong>in</strong>e Zuordnung von Handlungen <strong>und</strong> Personen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sozialen Kontext<br />

erlauben.<br />

Im Mittelpunkt des Hochkulturschemas stehen die „schönen Künste“ <strong>und</strong><br />

sonstige als anspruchsvoll <strong>und</strong> kulturell wertvoll angesehene Aktivitäten. Das<br />

Hochkulturschema entspricht <strong>in</strong> etwa dem bei Bourdieu beschriebenen „legitimen<br />

Geschmack“ <strong>und</strong> umfasst e<strong>in</strong>e breite Palette ‚bildungsbürgerlicher’<br />

Zeichen. Dazu gehören u. a. klassische Musik, gehobene Literatur, Kultursendungen,<br />

Diskussionsr<strong>und</strong>en im Fernsehen, Besuch von Oper, Theater,<br />

Galerien usw. Die Lebensphilosophie ist auf ästhetische Perfektion ausgerichtet,<br />

die dist<strong>in</strong>ktive Bedeutung ist „antibarbarisch“ <strong>und</strong> der Genuss liegt im<br />

stillen Betrachten <strong>und</strong> <strong>in</strong> der meditativen Ruhe. Gerhard Schulze wählte für<br />

22


das hochkulturelle Muster von Genuss den Ausdruck Kontemplation. Wegen<br />

se<strong>in</strong>er langen Tradition ist das Hochkulturschema besonders klar sozial identifizierbar.<br />

Der ästhetische Orientierungspunkt im Trivialschema ist die heile, harmonische<br />

Welt. Für sie s<strong>in</strong>d die folgenden Zeichen typisch: Schlager,<br />

Volksmusik, Heimat- <strong>und</strong> Arztromane, Heimatfilme, Folklore usw. Die Lebenshaltung<br />

ist auf Harmonie ausgerichtet, die dist<strong>in</strong>ktive Bedeutung wendet<br />

sich gegen alle Extravaganz <strong>und</strong> der Genuss dreht sich um die Gemütlichkeit.<br />

Das Trivialschema hat auf essentielle Weise Bedeutung für die kle<strong>in</strong>bürgerliche<br />

Welt. Geordnete <strong>und</strong> stetige Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse s<strong>in</strong>d<br />

Angehörigen der Mittelschicht sehr wichtig <strong>und</strong> werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besonderen<br />

Leistungs- <strong>und</strong> Pflichtethik ver<strong>in</strong>nerlicht. Die Kultur des Kle<strong>in</strong>bürgertums<br />

birgt, schafft Übersicht, sorgt für Nähe, garantiert Vertrautheit, ermöglicht<br />

Vorhersehbarkeit, erleichtert die Orientierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er komplexen, unübersichtlich<br />

gewordenen Welt. Mit der Erhöhung des Lebensstandards haben<br />

auch die „kle<strong>in</strong>en Leute“ genug Spielraum gewonnen, e<strong>in</strong>e populäre Kultur<br />

<strong>in</strong> ihrem Alltagsleben e<strong>in</strong>zurichten<br />

Im Spannungsschema werden ästhetische Vorlieben zusammengefasst,<br />

die durch Bewegung, Abwechslung, Spannung <strong>und</strong> starke S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücke<br />

charakterisiert s<strong>in</strong>d. Es bündelt Zeichen wie Pop- <strong>und</strong> Rockmusik, Vorliebe<br />

für Spiel- <strong>und</strong> Actionfilme, K<strong>in</strong>o- <strong>und</strong> Discobesuch. „Man setzt sich unter<br />

Strom, lässt sich durchschütteln <strong>und</strong> hört auf, wenn es ke<strong>in</strong>en Spass mehr<br />

macht.“ (Schulze 1992, 155) Diese Präferenzen s<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er narzisstischen<br />

Lebensphilosophie verb<strong>und</strong>en, die Dist<strong>in</strong>ktion ist vom Fe<strong>in</strong>dbild des ‚langweiligen<br />

Spiessertum’ geprägt, <strong>und</strong> Genuss ist gleichbedeutend mit ‚Action’.<br />

Das Spannungsschema entwickelte sich aus den jugendkulturellen Umbrüchen<br />

<strong>in</strong> den 60er Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts. Es ist das historisch jüngste<br />

Kulturmuster.<br />

2.3 Musik- <strong>und</strong> Fernsehgeschmack als Indikatoren alltagsästhetischer<br />

Schemata<br />

Empirisch aussichtsreich erfassen lassen sich die drei alltagsästhetischen<br />

Schemata über den Musikgeschmack <strong>und</strong> die Fernsehgewohnheiten. Als<br />

symbolisch bedeutsame Bereiche des expressiven Verhaltens im Alltag bilden<br />

sie die Basis für die Konzeptualisierung der <strong>Lebensstil</strong>e. Der Differenzierungsraum<br />

von <strong>Lebensstil</strong>en wird vorwiegend durch expressive Angebote der<br />

Kultur<strong>in</strong>dustrie abgedeckt.<br />

Musik eignet sich auf besondere Weise, se<strong>in</strong>em Lebensgefühl Ausdruck<br />

zu verleihen. In <strong>Lebensstil</strong>-Untersuchungen hat sich immer wieder gezeigt,<br />

23


dass der jeweilige Musikgeschmack e<strong>in</strong> wichtiger Aspekt von Unterschieden<br />

im <strong>Lebensstil</strong> ist (Georg 1998, 238; Hartmann 1999, 125; Schulze 1992,<br />

594).<br />

Demgegenüber zählt Fernsehen zu den häufigsten <strong>und</strong> beliebtesten Freizeitaktivitäten.<br />

Fernsehgeräte gibt es <strong>in</strong> nahezu allen Haushalten <strong>und</strong> je nach<br />

Empfang steht e<strong>in</strong> mehr oder weniger grosse Programmvielfalt zur Verfügung.<br />

Fragen zum Musikgeschmack <strong>und</strong> zu den Fernseh<strong>in</strong>teressen haben deshalb<br />

den Vorteil, für fast alle Bevölkerungsgruppen gleichermassen beantwortbar<br />

zu se<strong>in</strong>. Indem nach dem Genre der Musik <strong>und</strong> des Fernsehprogramms<br />

gefragt wird, werden gefestigte <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>e Interessen ermittelt,<br />

die nicht von augenblicklichen Moden <strong>und</strong> Popularitäten abhängen.<br />

Sieben Musikstile standen den Befragten zur Auswahl. Sie konnten ankreuzen,<br />

ob sie die jeweilige Musikart gerne oder ungern hören:<br />

• Volksmusik, Blas- <strong>und</strong> Marschmusik<br />

• Schlagermusik<br />

• Pop- <strong>und</strong> Rockmusik<br />

• Klassische Musik<br />

• Jazz<br />

• Punk, Heavy Mental<br />

• Techno, House<br />

In der Erhebung konnten die Befragten angeben, <strong>in</strong>wieweit sie die folgenden<br />

Fernsehsendungen <strong>in</strong>teressieren:<br />

• Fernsehshows, Quizsendungen<br />

• Sportsendungen<br />

• Spielfilme<br />

• Nachrichten<br />

• Politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

• Kunst- <strong>und</strong> Kultursendungen<br />

• Heimatfilme<br />

• Krimis, Krimiserien<br />

• Actionfilme<br />

• <strong>Familien</strong>- <strong>und</strong> Unterhaltungsserien<br />

Die Faktorenanalyse br<strong>in</strong>gt an den Tag, dass die drei alltagsästhetischen<br />

Schemata auch <strong>in</strong> unserer Untersuchung zentrale kollektive Stilmuster bilden,<br />

24


mit deren Hilfe sich die Individuen auf ihrem Weg durch das Labyr<strong>in</strong>th der<br />

Erlebnismöglichkeiten orientieren.<br />

Mit der Faktorenanalyse lässt sich aufzeigen, welche Musik- <strong>und</strong> Fernsehpräferenzen<br />

zusammengehören, welche e<strong>in</strong>en hohen <strong>in</strong>neren Zusammenhang<br />

untere<strong>in</strong>ander haben <strong>und</strong> welche sich deutlich gegenüber anderen Musik-<br />

<strong>und</strong> Fernsehvorlieben abgrenzen. Sowohl beim Musikgeschmack wie bei<br />

den Fernsehgewohnheiten haben sich die drei bereits kurz beschriebenen<br />

alltagsästhetischen Schemata ergeben.<br />

Tabelle 1<br />

Hochkulturschema (Cronbach’s α = .64) Faktorenladung Trennschärfe<br />

Musikgeschmack<br />

Klassik<br />

Jazz<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

Pollitische Magaz<strong>in</strong>e<br />

Kunst- <strong>und</strong> Kultursendungen<br />

Nachrichten<br />

Trivialschema (Cronbach’s α = .70)<br />

Musikgeschmack<br />

Volksmusik<br />

Schlager<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

Shows/Quiz<br />

Heimatfilme<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

Sportsendungen<br />

Spannungsschema (Cronbach’s = .64)<br />

Musikgeschmack<br />

Punk/Heavy Metal<br />

Techno/House<br />

Pop/Rock<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

Actionfilme<br />

Krimis<br />

Spielfilme<br />

Musikgeschmack: Varianzerklärung 66.4%<br />

.84<br />

.82<br />

.86<br />

.68<br />

.66<br />

.89<br />

.86<br />

.76<br />

.67<br />

.65<br />

.55<br />

.82<br />

.79<br />

.55<br />

.78<br />

.78<br />

.71<br />

Spannungsschema: 23.5%;Trivialschema: 22.4%; Hochkulturschema: 20.5%;<br />

Fernsehgewohnheiten: Varianzerklärung 57.3%<br />

Trivialschema: 19.7%; Spannungsschema: 19.6% ; Hochkulturschema: 18%;<br />

.61<br />

.63<br />

.69<br />

.73<br />

.46<br />

.63<br />

.68<br />

.65<br />

.67<br />

.61<br />

.50<br />

.58<br />

.56<br />

.55<br />

.70<br />

.62<br />

.59<br />

25


Die Faktorenladung zeigt an, wie stark der jeweilige Indikator das Hochkultur-, Trivial- oder<br />

Spannungsschema prägt.<br />

Der Trennschärfekoeffizient gibt an, wie gut e<strong>in</strong> bestimmtes Element zur Messung der Gesamtausrichtung<br />

e<strong>in</strong>er Skala beiträgt. E<strong>in</strong> hoher Wert besagt, dass das entsprechende Skalenelement<br />

deutlich unterscheidet, z. B. zwischen. denen, die e<strong>in</strong> Hochkulturschema leben, <strong>und</strong> allen<br />

anderen. Hohe Trennschärfen lassen sich als H<strong>in</strong>weis auf die E<strong>in</strong>dimensionalität der Skala<br />

deuten. Der Trennschärfekoeffizient gibt Auskunft über das Ausmass, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes<br />

Skalenelement von den Befragten <strong>in</strong> Richtung der Gesamtskala beantwortet wird. Der Trennwert<br />

kann wie bei allen Angaben <strong>in</strong> der Übersicht zwischen 0 <strong>und</strong> 1 liegen. Die Werte können als<br />

hoch bis sehr hoch bezeichnet werden.<br />

Cronbach’s α zeigt an, <strong>in</strong>wieweit e<strong>in</strong>e Gruppe von Indikatoren zur Messung e<strong>in</strong>er Verhaltensweise<br />

taugt. E<strong>in</strong> hoher Wert spricht für e<strong>in</strong>e hohe <strong>in</strong>terne Konsistenz, also e<strong>in</strong>e grosse Ähnlichkeit<br />

der Indikatoren untere<strong>in</strong>ander. Cronbach’s α macht e<strong>in</strong>e Aussage über die Zuverlässigkeit<br />

e<strong>in</strong>er Skala bzw. die Genauigkeit, mit der gemessen wird, oder über die Stabilität der Messung<br />

über die Zeit. Die Werte der drei alltagsästhetischen Schemata können bei der ger<strong>in</strong>gen<br />

Indikatorenzahl als ausreichend angesehen werden. Bekanntlich reduziert sich Cronbach’s α mit<br />

der Zahl der Indikatoren.<br />

Musikgeschmack <strong>und</strong> Fernsehgewohnheiten zeigen <strong>in</strong> den drei verschiedenen<br />

Schemata sehr unterschiedliche Ausprägungen:<br />

Hochkulturschema: In der Vorliebe für klassische Musik <strong>und</strong> Jazz widerspiegelt<br />

sich das Hochkulturschema. Beide Musikarten verkörpern e<strong>in</strong>en<br />

ausgeprägt eigenständigen Musikgeschmack Man ist es sich selbst schuldig,<br />

Distanz zum Schlager zu markieren.Wer etwas auf sich hält, beschränkt se<strong>in</strong>en<br />

Fernsehkonsum auf politische Magaz<strong>in</strong>e, Kunst- <strong>und</strong> Kultursendungen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>teressiert sich darüber h<strong>in</strong>aus für Nachrichtensendungen. Lässt sich bei<br />

Sehern von politischen Magaz<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Kultursendungen auf e<strong>in</strong>en hochkulturellen<br />

Geschmack schliessen, ist Vorsicht geboten bei regelmässigen Zuschauer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Zuschauern von Nachritenmagaz<strong>in</strong>en. Wenn auch <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem<br />

Masse stossen Tagesschau, 10 vor 10 usw. auf Interesse bei Personen<br />

mit e<strong>in</strong>er anderen Geschmacksausrichtung.<br />

Trivialschema: Als H<strong>in</strong>weise auf das Trivialschema gelten der Schlager<br />

<strong>und</strong> die Volksmusik. Sie repräsentieren e<strong>in</strong>em Musikgeschmack, der öfters<br />

mit abfälligen Bezeichnungen versehen wird: Kitsch, Rührseligkeit, Spiessigkeit,<br />

schlechter Geschmack, Geschmacklosigkeit. Hoch im Kurs stehen im<br />

Fernsehen Shows <strong>und</strong> Quizsendungen. Kaum m<strong>in</strong>der beliebt s<strong>in</strong>d Heimatfilme<br />

<strong>und</strong> <strong>Familien</strong>- <strong>und</strong> Unterhaltungsserien. Das Interesse an Sportsendungen<br />

teilen Vertreter dieses ästhetischen Schemas zum Teil mit Bildungsbürgern.<br />

Bei <strong>Familien</strong>- <strong>und</strong> Unterhaltungsserien treffen sie vorzugsweise auf Personen,<br />

die dem Spannungsschema zuzuordnen s<strong>in</strong>d.<br />

26


Spannungsschema: „Power“ als musikalisches Stilelement kennzeichnet<br />

das Spannungsschema: Punk <strong>und</strong> Heavy Metal, Techno <strong>und</strong> House, Pop- <strong>und</strong><br />

Rockmusik. Spannung kommt am klarsten <strong>in</strong> diesen Musikstilen zum Ausdruck.<br />

Sie wird ausgelebt im Actionfilm, <strong>in</strong> Krimis <strong>und</strong> Spielfilmen. Spielfilme<br />

f<strong>in</strong>den gelegentlich Anklang auch unter Exponenten des Trivialschemas.<br />

In e<strong>in</strong>em Zeitvergleich wies Thomas Müller-Schneider auf, dass die empirischen<br />

Strukturen, auf denen das <strong>Lebensstil</strong>modell von Schulze beruht, seit<br />

Mitte der 1980er Jahre weitgehend stabil geblieben s<strong>in</strong>d: „Nach wie vor s<strong>in</strong>d<br />

die drei alltagsästhetischen Schemata zentrale kollektive Stilmuster, mit deren<br />

Hilfe sich die Individuen auf ihrem Weg durch das Labyr<strong>in</strong>th der Erlebnismöglichkeiten<br />

orientieren.“ ( Müller-Schneider 2000, 373)<br />

2.4 Alltagsästhetische Präferenzen unter den <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

Um erkennen zu können, welche Zustimmung die alltagsästhetischen Schemata<br />

<strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> der Deutschschweiz erfahren, werden ihre Indikatoren<br />

<strong>in</strong> additiven Skalen zusammengefasst. Die Ausdrucksformen der Trivialkultur<br />

f<strong>in</strong>den die ger<strong>in</strong>gste Zustimmung. Aus anderen <strong>Lebensstil</strong>studien ist<br />

bekannt, dass sich das Trivialschema eher bei älteren Menschen f<strong>in</strong>det. Soziale<br />

Milieus, <strong>in</strong> denen das Trivialschema e<strong>in</strong>e massgebende Rolle spielt,<br />

siedelt Gerhard Schulze <strong>in</strong> der Bevölkerung über 40 Jahre an (Schulze 1992,<br />

664). In unserer Untersuchung haben wir es mit <strong>jungen</strong> Erwachsenen zu tun.<br />

Ihnen entspricht eher das Spannungsschema.<br />

Alltagsästhetische Schemata<br />

<strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

Schaubild 1<br />

50%<br />

45%<br />

40%<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

28.8%<br />

5.6%<br />

39.1%<br />

22.0%<br />

44.5%<br />

36.8%<br />

34.6%<br />

32.1%<br />

26.3%<br />

13.3% 14.2%<br />

4.5%<br />

5.7%<br />

1.1% 1.4%<br />

Hochkulturschema Trivialschema Spannungsschema<br />

sehr ausgeprägt ausgeprägt teils/teils<br />

schwach ausgeprägt<br />

sehr schwach ausgeprägt<br />

27


Infolge der Veränderungen im Bildungsbereich verfügen jüngere Jahrgänge<br />

über bessere Ausbildungen als ältere Menschen. Durch die Expansion<br />

des Bildungssystems haben jüngere eher als ältere Menschen die Chance<br />

erhalten, weiterführende <strong>und</strong> höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen. Von<br />

daher erstaunt die relative breite Zustimmung zu hochkulturellen Verhaltensweisen<br />

nicht. Tabelle 2 zeigt, wie eng das Hochkulturschema mit Bildung<br />

zusammenhängt.<br />

Tabelle 2<br />

Hochkulturschema<br />

Obligatorische Schule<br />

Berufslehre/Handelsschule<br />

Hochschule<br />

Alltagsästhetisches Schema<br />

sehr ausgeprägt ausgeprägt<br />

4.1%<br />

2.9%<br />

13.5%<br />

10.9%<br />

20.5%<br />

42.2%<br />

Trivialschema<br />

Obligatorische Schule<br />

Berufslehre/Handelsschule<br />

Hochschule<br />

Spannungsschema<br />

Obligatorische Schule<br />

Berufslehre/Handelsschule<br />

Hochschule<br />

4.1%<br />

1.0%<br />

–<br />

2.8%<br />

1.2%<br />

–<br />

25.7%<br />

16.6%<br />

–<br />

21.7%<br />

17.4%<br />

9.3%<br />

Die drei alltagsästhetischen Schemata stehen weitgehend unabhängig nebene<strong>in</strong>ander.<br />

Die Nähe zu e<strong>in</strong>em Schema bedeutet nicht notwendigerweise Distanz<br />

zu e<strong>in</strong>em anderen. Hochkultur <strong>und</strong> Action schliessen sich nicht aus,<br />

ebenso wenig wie Action <strong>und</strong> Trivialkultur, oder Hochkultur <strong>und</strong> Trivialkultur.<br />

Die <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> verstehen die drei Schemata nicht als Alternativen,<br />

sondern als Komb<strong>in</strong>ationsmöglichkeiten, um ihren eigenen <strong>Familien</strong>stil zu<br />

kreieren.<br />

Die Zustimmung zu e<strong>in</strong>em Schema zieht kaum Reaktionen gegenüber e<strong>in</strong>em<br />

anderen mit sich. Leicht negativ (r = –.11) stehen das Hochkultur- <strong>und</strong><br />

Trivialschema zue<strong>in</strong>ander wie <strong>in</strong> anderen <strong>Lebensstil</strong>studien (Hartmann 1999,<br />

183). Stossen sich <strong>in</strong> anderen <strong>Lebensstil</strong>studien das Trivial- <strong>und</strong> Spannungsschema<br />

gegenseitig ab, stehen sie <strong>in</strong> der vorliegenden Studie tendenziell<br />

leicht positiv zue<strong>in</strong>ander (r = .18). Weder gegenseitige Ger<strong>in</strong>g- noch Wertschätzung<br />

zeichnen die jeweiligen Repräsentanten e<strong>in</strong>es Kulturschemas aus.<br />

Profilierung durch negative Beurteilung anderer kultureller Ausdrucksformen<br />

wird von den <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Regel nicht praktiziert: Auch wenn dem<br />

Trivialschema e<strong>in</strong>e antiexzentrische Haltung eigen ist, werden Vertreter des<br />

Spannungsschemas <strong>in</strong> ihrer Eigenart nicht abgelehnt. Mit dem Hochkulturschema<br />

verb<strong>in</strong>det sich ke<strong>in</strong> Exklusivitätsanspruch <strong>und</strong> Überlegenheitsgefühl,<br />

28


das dem traditionellen Symbolkosmos ger<strong>in</strong>gschätzig begegnet. Die <strong>jungen</strong><br />

<strong>Familien</strong> im Bereich der Hochkultur grenzen sich kaum mehr im S<strong>in</strong>ne der<br />

Klassengesellschaft von der Kultur der Volksmassen unter ihnen ab, zwischen<br />

den fe<strong>in</strong>en <strong>und</strong> gewöhnlichen Leuten wird kaum mehr e<strong>in</strong>e Trennl<strong>in</strong>ie<br />

gezogen wie <strong>in</strong> den Studien von Bourdieu. Nach Bourdieu spannt sich die<br />

vertikale Dist<strong>in</strong>ktionsachse auf zwischen den Gegensatzpaaren von grob <strong>und</strong><br />

fe<strong>in</strong>, vornehm <strong>und</strong> vulgär, anspruchsvoll <strong>und</strong> bescheiden.<br />

2.5 Freizeitaktivitäten<br />

Mit der allgeme<strong>in</strong>en Wohlstandssteigerung, mit der Zunahme der arbeitsfreien<br />

Zeit – kürzere Arbeitszeiten <strong>und</strong> Ferien – gew<strong>in</strong>nt die Lebensphäre ausserhalb<br />

der Arbeit, vermittelt über vielfältige Vergnügungsangebote <strong>und</strong><br />

Freizeitbeschäftigungen, zunehmend an Bedeutung. Mit dem Übergang von<br />

der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft geht auch e<strong>in</strong> Wandel der Freizeitfunktionen<br />

e<strong>in</strong>her. Neben der Entspannung <strong>und</strong> Regeneration dient die Freizeit<br />

heute überwiegend der Abwechslung, der Selbstdarstellung sowie der Selbstentfaltung<br />

<strong>und</strong> damit auch der sozialen E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> Ausgrenzung.<br />

Aufgr<strong>und</strong> verkürzter Arbeitszeiten f<strong>in</strong>det während des Erwerbslebens e<strong>in</strong>e<br />

Verschiebung zugunsten freier Zeit statt. E<strong>in</strong>er der wichtigsten Effekte des<br />

sozialen Wandels ist <strong>in</strong> der abnehmenden Bedeutung der Berufsarbeit im<br />

Lebenskonzept zu sehen. Das Mehr an Bildung <strong>und</strong> materiellen Ressourcen<br />

verb<strong>in</strong>det sich mit mehr Freizeit bzw. berufs- <strong>und</strong> arbeitsfreier Zeit.<br />

Freizeitaktivitäten zählen zu den zentralen Elementen von <strong>Lebensstil</strong>en,<br />

weil sie Verhaltensweisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em relativ frei gestaltbaren Lebensbereich<br />

erfassen. Die Freizeit bietet den Menschen Raum, sich selbst auszudrücken,<br />

<strong>in</strong>dividuelle Bedürfnisse zu befriedigen, persönliche Eigenheiten auszuleben,<br />

das zu se<strong>in</strong>, was sie se<strong>in</strong> wollen. Die Aktivitäten <strong>in</strong> der Freizeit werden um<br />

ihrer selbst willen gewählt. Die verschiedenen Arten der Freizeitgestaltung<br />

widerspiegeln unterschiedliche <strong>Lebensstil</strong>e. Die Menschen sagen damit etwas<br />

über sich selbst aus <strong>und</strong> über ihre Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er bestimmten gesellschaftlichen<br />

Gruppe. Freizeit hat mit der Erfahrung zu tun, über die eigene<br />

Zeit zu verfügen, mit Selbstverwirklichung, mit Ausdrucksmöglichkeiten<br />

se<strong>in</strong>er selbst. Um es etwas pathetisch auszudrücken: Als ‚frei’ erfahren wir<br />

e<strong>in</strong>e Zeit dann, wenn wir sagen können: Hier b<strong>in</strong> ich Mensch, hier darf ich es<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Die Gestaltung der Freizeit ist e<strong>in</strong> alltagsrelevanter Lebensbereich, welcher<br />

besonders anschaulich über Prioritäten <strong>und</strong> Bedürfnisse von Menschen<br />

<strong>in</strong> unterschiedlichen Lebenssituationen <strong>in</strong>formiert. Die Freizeit ist ausserdem<br />

e<strong>in</strong> Lebensbereich, der vielfältige Möglichkeiten bietet, sich von anderen zu<br />

unterscheiden. <strong>Lebensstil</strong>e werden <strong>in</strong> Freizeitstilen sichtbar.<br />

29


Dass die Freizeitsphäre e<strong>in</strong>e grosse kulturelle Bedeutung hat <strong>und</strong> spezifische<br />

<strong>Lebensstil</strong>e eng mit charakteristischen Mustern von Freizeitgestaltung<br />

verknüpft s<strong>in</strong>d, ist heute e<strong>in</strong>e weitgehend geteilte E<strong>in</strong>schätzung der kultursoziologischen<br />

Forschung. Die Stilisierung des Lebens <strong>in</strong> der Gestaltung der<br />

Freizeit ist zu e<strong>in</strong>em wesentlichen Element sozialer Integration avanciert <strong>und</strong><br />

wird expressiv als Mittel kultureller Dist<strong>in</strong>ktion e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

In ihrer Analyse von Bekanntschafts<strong>in</strong>seraten von 1900 bis 1990 gel<strong>in</strong>gt<br />

es Marlies Buchmann <strong>und</strong> Manuel Eisner aufzuzeigen, wie die Bedeutung<br />

der Freizeit als Element der Selbstpräsentation zunimmt. „Die dramatische<br />

Zunahme der Freizeitnennungen zwischen 1960 <strong>und</strong> 1975 über alle Altersgruppen<br />

<strong>und</strong> Zeitungen h<strong>in</strong>weg, weist darauf h<strong>in</strong>, dass Freizeit als Element<br />

des <strong>Lebensstil</strong>s seit Mitte der 50er Jahre langsam <strong>in</strong> breite Bevölkerungskreise<br />

diff<strong>und</strong>ierte, um sich dann ab der 60er Jahre zu verallgeme<strong>in</strong>ern. Der Bezug<br />

zur Freizeit, den nun praktisch jedes Inserat herstellt, ist e<strong>in</strong> wichtiger<br />

Beleg für deren zunehmende Bedeutung als eigenständiger Lebensbereich.“<br />

(Buchmann, Eisner 1999, 598)<br />

Mit den Fragen nach der Freizeitgestaltung sollte e<strong>in</strong> möglich breites<br />

Spektrum von Aktivitäten abgedeckt werden. Bei der Erhebung der Freizeitaktivitäten<br />

g<strong>in</strong>g es um die subjektive E<strong>in</strong>schätzung der Häufigkeit der verschiedenen<br />

Aktivitäten. Abgefragt wurden gängige Freizeitbeschäftigungen<br />

sowohl im häuslichen sowie im ausserhäuslichen Bereich. Die Frage nach<br />

den Freizeitaktivitäten soll auch Auskunft geben über das soziale Netzwerk,<br />

<strong>in</strong> das e<strong>in</strong>e Person e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en ist. In der Art der Geselligkeit kommt e<strong>in</strong><br />

bestimmter Wertbezug <strong>in</strong> der Lebense<strong>in</strong>stellung zum Ausdruck. Gesellig zu<br />

se<strong>in</strong> wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen <strong>Lebensstil</strong>en als e<strong>in</strong>e wichtige Fähigkeit der eigenen<br />

Lebensführung verstanden<br />

Wie beim Musik- <strong>und</strong> Fernsehgeschmack stützt sich unsere Untersuchung<br />

bei der Erfassung der Freizeitaktivitäten auf im ALLBUS 1998 verwendeten<br />

Indikatoren. Es handelt sich dabei weitgehend um Replikationen aus dem<br />

Wohlfahrtssurvey 1993 <strong>und</strong> der Massenkommunikationsstudie von 1995 <strong>und</strong><br />

des Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) der Jahre 1990 <strong>und</strong> 1995 <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland.<br />

Insgesamt wurde im Blick auf 24 Freizeitaktivitäten gefragt, ob sie täglich,<br />

wöchentlich, monatlich, seltener oder überhaupt nie ausgeübt werden. In<br />

der Faktorenanalyse gruppierten sie sich zu neun Aktivitätenbündel:<br />

PC- <strong>und</strong> Internetnutzung<br />

• Sich mit dem Computer beschäftigen<br />

• Das Internet oder spezielle Onl<strong>in</strong>e-Dienste nutzen<br />

30


Musische Tätigkeiten<br />

• Künstlerische <strong>und</strong> musische Tätigkeiten (Malerei, musizieren,<br />

Fotografie, Theater, Tanz)<br />

• Bücher lesen<br />

• Sich privat weiterbilden<br />

Sportlich-mentales Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

• Aktive sportliche Betätigung<br />

• Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung<br />

• Besuch von Sportveranstaltungen<br />

• Spazieren gehen, wandern<br />

Ausgang<br />

• K<strong>in</strong>obesuch, Besuch von Pop- oder Jazzkonzerten, Tanzveranstaltungen,<br />

Disco<br />

• Besuch von Veranstaltungen wie Oper, klassische Konzerte,<br />

Theater, Ausstellungen<br />

• Essen oder tr<strong>in</strong>ken gehen (Café, Kneipe, Restaurant)<br />

Gesellschaftspolitisches Engagement<br />

• Ehrenamtliche Tätigkeiten <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en, Verbänden oder sozialen<br />

Diensten<br />

• Kirchgang, Besuch von religiösen Veranstaltungen<br />

• Beteiligung <strong>in</strong> Parteien, <strong>in</strong> der Kommunalpolitik, Bürger<strong>in</strong>itiativen<br />

Besuch von Angehörigen <strong>und</strong> Bekannten<br />

• Gegenseitige Besuche von <strong>Familien</strong>angehörigen oder Verwandten<br />

• Gegenseitige Besuche von Nachbarn, Fre<strong>und</strong>en oder Bekannten<br />

Familiär-häusliche Aktivitäten<br />

• Ausflüge <strong>und</strong> kurze Reisen machen<br />

• Karten- <strong>und</strong> Gesellschaftsspiele im <strong>Familien</strong>kreis<br />

• Zeitschriften lesen<br />

• Basteln, reparieren am Haus, <strong>in</strong> der Wohnung, am Auto, Gartenarbeit<br />

Benutzung von Multimedia<br />

• Schallplatten, CDs, Kassetten hören<br />

• Videokassetten, DVDs anschauen<br />

Faulenzen<br />

• E<strong>in</strong>fach nichts tun, faulenzen<br />

Die Zuordnung der Freizeitaktivitäten zu den neun Hauptkomponenten fällt<br />

im E<strong>in</strong>zelfall mehr oder weniger e<strong>in</strong>deutig aus. Private Weiterbildung steht<br />

über ihre Zuordnung zur ‚musischen Bildung’ h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> Zusammenhang mit<br />

31


der Nutzung des Computers (Internet) <strong>und</strong> mit dem ‚sportlich-mentalen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g’.<br />

Personen mit Vorlieben für musische Bildung gew<strong>in</strong>nen Sportveranstaltungen<br />

wenig ab. ‚Spazieren gehen’ mag zwar öfter zusammenfallen mit<br />

sportlich-mentalem Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, hat aber auch e<strong>in</strong>en Zusammenhang mit ‚häuslich-familiären<br />

Aktivitäten’ <strong>und</strong> ‚Faulenzen’. Faulenzer scheuen ihrerseits<br />

Heimwerken zu Hause: Basteln, reparieren am Haus, <strong>in</strong> der Wohnung, am<br />

Auto, Gartenarbeit. Sie gehen lieber spazieren <strong>und</strong> <strong>in</strong> Gaststätten. Bei Verwandten-<br />

<strong>und</strong> Bekanntenbesuche geht man gerne mal <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Restaurant.<br />

Die zehn beliebtesten Freizeitbeschäftigungen s<strong>in</strong>d:<br />

Die 10 beliebtesten Freizeitaktivitäten<br />

Schaubild 2<br />

Zeitschriften lesen<br />

79.1%<br />

Schallplatten, CDs,<br />

Kassetten hören<br />

71.5%<br />

Spazieren gehen,<br />

wandern<br />

66.8%<br />

Aktive sportliche<br />

Betätigunjg<br />

65.0%<br />

Sich mit dem Computer<br />

beschäftigen<br />

64.9%<br />

Bastleln, Reparieren am<br />

Haus, <strong>in</strong> der Wohnung,<br />

am Auto, Gartenarbeit<br />

64.2%<br />

Bücher lesen<br />

63.3%<br />

Das Internet oder<br />

spezielle Onl<strong>in</strong>e-Dienste<br />

nutzen<br />

Gegenseitige Besuche<br />

von Nachbarn, Fre<strong>und</strong>en<br />

oder Bekannten<br />

53.1%<br />

57.8%<br />

Karten- <strong>und</strong><br />

Gesellschaftsspiele im<br />

<strong>Familien</strong>kreis<br />

45.9%<br />

0% 20% 40% 60% 80%<br />

32


Den ger<strong>in</strong>gsten Zuspruch f<strong>in</strong>den die folgenden 5 Freizeitaktivitäten:<br />

Am wenigsten geschätzte Freizeitaktivitäten<br />

Schaubild 3<br />

Beteiligung <strong>in</strong> Parteien, <strong>in</strong> der Kommunalpolitik,<br />

Bürger<strong>in</strong>itaitiven<br />

92.0%<br />

Besuch von Veranstaltungen wie Oper, klassische<br />

Konzerte, Theater, Ausstellungen<br />

86.6%<br />

K<strong>in</strong>obesuch, Besuch von Pop- oder Jazzkonzerten,<br />

Tanzveranstaltung, Disco<br />

80.3%<br />

Besuch von Sportveranstaltungen<br />

78.1%<br />

Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung<br />

69.1%<br />

Kirchgang, Besuch von religiösen Veranstaltungen<br />

69.6%<br />

Künstlerische <strong>und</strong> musische Tätigkeiten, Malerei,<br />

musizieren, Fotographie, Theater, Tanz<br />

60.1%<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Bemerkenswert ist, dass kirchlich oder religiös betonte Freizeitgestaltung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em nennenswerten Zusammenhang mit politisch bürgerlichem <strong>und</strong> sozialem<br />

Engagement steht. Oft s<strong>in</strong>d ehrenamtliche Tätigkeiten <strong>in</strong> den Kirchen<br />

<strong>und</strong> kirchennahen Organisationen angesiedelt.<br />

Mit der Frage nach Yoga, Meditation, autogenem Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>und</strong> Körpererfahrung<br />

wird e<strong>in</strong>e weitere mögliche religiöse Freizeittätigkeit angesprochen.<br />

Sie ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit ‚aktiver sportlicher Betätigung’ <strong>und</strong> ‚Besuch<br />

von Sportveranstaltungen’. In e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Aussage werden facettenreiche<br />

Meditations- <strong>und</strong> Körpererfahrungstechniken erfasst, die zu Bewusstse<strong>in</strong>serweiterung,<br />

Erschliessung des Unbewussten <strong>und</strong> Beherrschung des<br />

Körperlichen führen sollen.<br />

Meditation hat auch im Christentum Tradition <strong>und</strong> ist dort eng mit Kontemplation<br />

<strong>und</strong> bestimmten Formen des Gebetes verb<strong>und</strong>en. Bes<strong>in</strong>nung <strong>und</strong><br />

Sammlung sollen e<strong>in</strong>en von der Unrast des Alltags abgrenzen mit dem Ziel,<br />

der wesentlichen Wirklichkeit im eigenen Inneren, der tieferen Ordnung <strong>in</strong><br />

der wechselnden Vielfalt gewahr zu werden. Meditative Praktiken werden<br />

33


e<strong>in</strong>gesetzt zur Förderung neuer Sensibilität gegenüber dem Körper, die sich<br />

im zwangsläufig auferlegten Arbeits- <strong>und</strong> Lebensrythmus zu verflüchtigen<br />

droht.<br />

Die meisten gymnastischen <strong>und</strong> kampftechnischen Sportarten Asiens <strong>in</strong>tegrieren<br />

regelmässig meditative Übungen <strong>in</strong> das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g. Die Dignität derartiger<br />

Übungsarten wird gestützt durch H<strong>in</strong>weise auf ehrwürdige religiöse<br />

<strong>und</strong> metaphysische Traditionen. Meditative Übungen werden heute nicht nur<br />

<strong>in</strong> vielen populär gewordenen Selbstverteidigungsarten praktiziert, sondern<br />

auch <strong>in</strong> Managementtra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs <strong>und</strong> Kursen zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung<br />

sche<strong>in</strong>en Kirchgängern tendenziell eher fremd zu se<strong>in</strong> (r. = –.12).<br />

Besteht bei der Freizeitaktivität ‚Kirchgang’ e<strong>in</strong>e deutlich positive Verb<strong>in</strong>dung<br />

zur Trivialkultur <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e negative zu den alltagsästhetischen Schemata<br />

der Spannungs- <strong>und</strong> Hochkultur, üben sich Vertreter der Hochkultur<br />

öfter mal <strong>in</strong> ihrer Freizeit <strong>in</strong> Yoga, Meditation, autogenem Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung.<br />

Auch wenn nach Hartmut Lüdtke Freizeit den Orientierungs- <strong>und</strong> Handlungskern<br />

moderner <strong>Lebensstil</strong>e (Lüdtke 1995) darstellt, <strong>in</strong> der Freizeit also<br />

vorab <strong>in</strong>dividuelle Stile <strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellungen zur Entfaltungen kommen, ist auch<br />

heute noch davon auszugehen, dass soziale Unterschiede <strong>in</strong> der spezifischen<br />

Art der Freizeitgestaltung wirksam s<strong>in</strong>d. Die <strong>in</strong>dividuelle Freizeitgestaltung<br />

bzw. der <strong>Lebensstil</strong> reflektiert <strong>in</strong> unserer Untersuchung die Position im Ungleichheitsgefüge<br />

der Gesellschaft <strong>in</strong>sofern, als der soziale Status sich niederschlägt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er deutlichen Höherbewertung bestimmter Freizeitaktivitäten:<br />

sich privat weiterbilden, Bücher lesen, sich mit dem Computer beschäftigen,<br />

das Internet oder spezielle Onl<strong>in</strong>e-Dienste nutzen, künstlerisch <strong>und</strong> musisch<br />

tätig se<strong>in</strong>, Oper- <strong>und</strong> Konzertbesuch. Sek<strong>und</strong>är gehen mit e<strong>in</strong>er höheren Position<br />

<strong>in</strong> der Gesellschaft e<strong>in</strong>her: ‚K<strong>in</strong>obesuch, Besuch von Pop- <strong>und</strong> Jazzkonzerten,<br />

Tanzveranstaltungen, Discobesuch’, ‚aktive sportliche Betätigung“,<br />

„Ausflüge <strong>und</strong> kurze Reisen machen’, ‚Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g,<br />

Körpererfahrung’ <strong>und</strong> ‚Beteiligung <strong>in</strong> Parteien, <strong>in</strong> der Kommunalpolitik,<br />

Bürger<strong>in</strong>itiativen’.<br />

Die logistische Regressionsanalyse sagt aus, dass kulturelle Präferenzen<br />

<strong>und</strong> nicht die soziale Schichtzugehörigkeit E<strong>in</strong>fluss auf die Art der Freizeitgestaltung<br />

ausüben. Die logistische Regression misst die E<strong>in</strong>flussstärke e<strong>in</strong>zelner<br />

Merkmale auf e<strong>in</strong> Verhalten oder e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung, während gleichzeitig<br />

aller anderen Komponenten konstant gehalten werden.<br />

34


2.6 Erziehungsziele<br />

Zusätzlich <strong>und</strong> ergänzend zum expressiv-ästhetischen Verhalten s<strong>in</strong>d, um<br />

auch die subjektive Perspektive im eigenen Leben zu berücksichtigen, evaluative<br />

Aspekte der Lebensführung zur Typenbildung von <strong>Lebensstil</strong>en herangezogen<br />

worden. Das evaluative Verhalten als wesentliche Dimension, <strong>in</strong> der<br />

sich <strong>Lebensstil</strong>e äussern, wird fassbar <strong>in</strong> den Wertorientierungen e<strong>in</strong>es Menschen.<br />

Wertorientierungen erfassen gr<strong>und</strong>legende Handlungsantriebe <strong>und</strong> Strategien<br />

der Lebensführung. Sie gelten als besonders stabile Elemente der<br />

menschlichen Psyche. Bei handlungsleitenden Wertorientierungen handelt es<br />

sich um gr<strong>und</strong>legende Pr<strong>in</strong>zipien der <strong>in</strong>dividuellen, als wünschenswert erachteten<br />

Lebensgestaltung. „Values are a) concepts or beliefs, b) about desirable<br />

end states or behaviors, c) that transcend specific situations, d) guide selection<br />

or evaluation of behavior and events, and (e) are ordered by relative<br />

importance. (Schwartz, Bilsky 1987, 551)<br />

Werte üben <strong>in</strong> der Wahrnehmung, im Denken <strong>und</strong> Verhalten des Menschen<br />

e<strong>in</strong>e bedeutsame Steuerungsfunktion aus. Sie werden überall dort wirksam,<br />

wo nicht biologische Triebe, strukturelle Zwänge <strong>und</strong> rationale Nutzenerwägungen<br />

den Ausschlag geben. Immer dann, wenn Menschen etwas wünschen<br />

oder wichtig f<strong>in</strong>den, wenn sie Lebensleitbilder verfolgen oder als Personen<br />

Stellung nehmen <strong>und</strong> Urteile aussprechen, s<strong>in</strong>d Werte massgeblich im<br />

Spiel. Diese brauchen ihren Trägern ke<strong>in</strong>eswegs voll bewusst zu se<strong>in</strong>, sondern<br />

können <strong>in</strong> sozialen Gegebenheiten, Normen <strong>und</strong> kulturelle Selbstverständlichkeiten<br />

e<strong>in</strong>gebettet se<strong>in</strong>.<br />

Man kann also, ganz grob gesagt, davon sprechen, dass Werte – als Führungsgrössen<br />

– das menschliche Verhalten ‚steuern’. Man darf sich diesen<br />

Sachverhalt allerd<strong>in</strong>gs nicht zu e<strong>in</strong>fach vorstellen. Selbst wenn wir vielleicht<br />

im E<strong>in</strong>zelfall davon ausgehen können, dass die E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>es Menschen<br />

zu se<strong>in</strong>er Umwelt sehr deutlich von se<strong>in</strong>en Werten bestimmt wird, so kann<br />

dies doch ke<strong>in</strong>esfalls bedeuten, dass er durch sie unablässig <strong>in</strong> Gang gehalten<br />

<strong>und</strong> angetrieben wird. Die Werte, die e<strong>in</strong> Mensch hat, werden ihn zwar <strong>in</strong><br />

kritischen Situationen dazu veranlassen, D<strong>in</strong>ge zu tun, die Menschen mit<br />

anderen Werten nicht tun würden. Sie werden ihn <strong>in</strong> solchen Situationen auch<br />

an der Wahl von Handlungsweisen h<strong>in</strong>dern, die anderen sehr nahe liegend<br />

ersche<strong>in</strong>en mögen. Nichtsdestoweniger lassen die Werte den Menschen –<br />

ungeachtet der Stärke, die sie haben – <strong>in</strong> grossen Teilen des normalen Tagesablaufs<br />

e<strong>in</strong>en mehr oder weniger grossen Spielraum für e<strong>in</strong> Verhalten, <strong>in</strong><br />

welchem Überlegungen, Augenblickse<strong>in</strong>fälle oder Wünsche mit verhältnismässig<br />

schwacher Wertgr<strong>und</strong>lage zur Geltung gelangen können.<br />

35


Die E<strong>in</strong>schätzung von Erziehungszielen nach ihrer Wichtigkeit gilt als<br />

bedeutsames Indiz für gegenwärtige, aber vor allem auch zukünftige Entwicklungen<br />

im Wertebereich der Gesellschaft. Dabei kann es nicht darum<br />

gehen, über die Äusserungen zu den Erziehungszielen das tatsächliche Erziehungsverhalten<br />

<strong>in</strong> konkreten Situationen zu erfassen – dass dazu sogar zum<br />

Teil Widersprüche bestehen, ist durchaus anzunehmen –, vielmehr s<strong>in</strong>d die<br />

Erziehungsziele als relativ abstrakte, auf personales Handeln bezogene Wert<strong>in</strong>dikatoren<br />

zu verstehen. Gerade der hohe Grad situationsspezifischer Abstraktheit,<br />

der Bezug auf die Person <strong>und</strong> personales Handeln <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong> das Sozialisationsgeschehen machen Erziehungsziele zu wichtigen<br />

Wert<strong>in</strong>dikatoren. In ihnen f<strong>in</strong>det das Selbstbild der Eltern se<strong>in</strong>en Niederschlag,<br />

<strong>in</strong> dem das, was man für sich selbst wünscht, auf die K<strong>in</strong>der übertragen<br />

wird.<br />

Werteraum nach Schwartz Schema 3<br />

Selbsttranszendenz<br />

Universalismus<br />

Prosoziales<br />

Verhalten<br />

Offenheit<br />

für<br />

Wandel<br />

Selbstverwirklichung<br />

Anregung<br />

Konformität<br />

Tradition<br />

Sicherheit<br />

Bewahrung<br />

Hedonismus<br />

Macht<br />

Leistung<br />

Selbststeigerung<br />

Gr<strong>und</strong>legend für die Erfassung der Erziehungsziele war <strong>in</strong> der vorliegenden<br />

Untersuchung das theoretische Konzept des ‚Werteraumes’ nach Shalom H.<br />

Schwartz (1987, 1994, 1994a <strong>und</strong> 1995). Es stützt sich auf e<strong>in</strong>e breite empirische<br />

Basis. In e<strong>in</strong>er Analyse der Ähnlichkeitsstruktur von Wertorientierungen<br />

36


<strong>in</strong> mehr als 40 Ländern kommt Schwartz zu e<strong>in</strong>er zweidimensionalen Anordnung<br />

der Werte im ‚Werteraum’. Die bipolaren Dimensionen des Werteraumes<br />

nennt er ‚Offenheit für Wandel’ versus ‚Bewahrung’ <strong>und</strong> ‚Selbsttranszendenz’<br />

versus ‚Selbststeigerung’. Die neun von Schwartz eruierten Wertetypen<br />

gruppieren sich entlang dieser beiden Achsen. In Schema 3 wird die<br />

Anordnung der erfragten Wertepräferenzen sichtbar.<br />

Die Wertetypen nach Schwartz lassen sich wie folgt charakterisieren:<br />

Schema 4<br />

Wertetypen Charakterisierung<br />

Universalismus Verstehen, Wertschätzen, Toleranz, das Wohlergehen aller Menschen<br />

<strong>und</strong> der Natur schützen<br />

Prosoziales Sicherung <strong>und</strong> Steigerung des Wohlergehens der Menschen, mit den man<br />

Verhalten häufig Kontakt hat<br />

Tradition<br />

Respekt, Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Akzeptanz der Sitten <strong>und</strong> Ideen, die von der<br />

traditionellen Kultur bereitgestellt werden<br />

Konformität Beschränkung von Handlungen, Neigungen <strong>und</strong> Impulsen, die voraussichtlich<br />

anderen schaden <strong>und</strong> soziale Erwartungen <strong>und</strong> Normen verletzen<br />

Sicherheit Sicherheit, Harmonie <strong>und</strong> Stabilität der Gesellschaft, der Beziehungen<br />

<strong>und</strong> der eigenen Person<br />

Macht<br />

Sozialer Status <strong>und</strong> Prestige, Kontrolle <strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>anz über Menschen<br />

<strong>und</strong> Ressourcen<br />

Leistung<br />

Persönlicher Erfolg durch Kompetenzerweis <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit<br />

sozialen Standards<br />

Hedonismus Vergnügen, Genuss für die S<strong>in</strong>ne der eigenen Person<br />

Anregung Aufregung, Neuheit <strong>und</strong> Herausforderungen für das Leben<br />

Selbstentfaltung Freies Denken <strong>und</strong> Handeln – wählen, kreativ se<strong>in</strong>, forschen<br />

Die neuen Wertetypen wurden über die folgenden Indikatoren zu erfassen<br />

versucht. Die Zahlen <strong>in</strong> den Klammern geben die Prozentwerte der Zustimmung<br />

als „sehr wichtig“ durch die befragten <strong>jungen</strong> Eltern wider:<br />

Offenheit für Wandel<br />

• Hedonismus<br />

Etwas vom Leben haben, das Leben geniessen (48.8%)<br />

• Anregung<br />

E<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches Leben führen (45.2%)<br />

• Selbstentfaltung<br />

Sich selbst im Leben verwirklichen können (60.8%)<br />

Bewahrung<br />

• Tradition<br />

Traditionen wahren (15.1%)<br />

• Konformität<br />

E<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben führen (41.7%)<br />

37


• Sicherheit<br />

In geordneten Verhältnissen leben (41.5%)<br />

Selbststeigerung<br />

• Macht<br />

E<strong>in</strong>e gute gesellschaftliche Position erreichen (9.4%)<br />

• Leistung<br />

Es im Leben zu etwas br<strong>in</strong>gen (20.1%)<br />

Selbsttranszendenz<br />

• Prosoziales Verhalten<br />

Stets hilfsbereit se<strong>in</strong> (54.2%)<br />

• Universalismus<br />

Das menschliche Zusammenleben fördern (64.5%)<br />

Auf dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der Untersuchungsthematik wurde die Werteskala<br />

ergänzt durch das Erziehungsziel:<br />

• In Verantwortung vor Gott leben (29%)<br />

In se<strong>in</strong>er Gegenüberstellung der Pole ‚Bewahrung’ versus ‚Offenheit für<br />

Wandel’ als e<strong>in</strong>e der beiden Achsen se<strong>in</strong>es Werteraumes übernahm Shalom<br />

Schwartz E<strong>in</strong>sichten führender Repräsentanten der Werteforschung, nach<br />

denen sich <strong>in</strong> der modernen Gesellschaft e<strong>in</strong>e Entwicklung weg von Pflicht<strong>und</strong><br />

Akzeptanzwerten h<strong>in</strong> zu Werten der Selbstentfaltung abzeichnet. Mit<br />

grosser Beharrlichkeit weigerte sich z.B. Roland Ingelhart <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wertestudien,<br />

mit e<strong>in</strong>em anderen Wertmodell als e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>dimensionalen Skala:<br />

‚Materialisten’ versus ‚Postmaterialisten’ zu arbeiten (Ingelhart 1995). Zwei<br />

Werteformationen stehen nach Ingehart als positive <strong>und</strong> negative Pole e<strong>in</strong>er<br />

Wertehierarchie analog zur Koord<strong>in</strong>ate ‚Bewahrung’ versus ‚Offenheit für<br />

Wandel’ im Werteraum von Schwartz gegenüber. Durch die moderne Gesellschaftsentwicklung<br />

mit ihren Forderungen nach Autonomie gew<strong>in</strong>nt nach<br />

ihm das Leitbild der Selbstverwirklichung an Bedeutung auf Kosten traditionaler<br />

Werte der E<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> die gegebene Sozialstruktur.<br />

Bei e<strong>in</strong>em derartigen Wertwandlungsvorgang verschieben sich gewissermassen<br />

die Gr<strong>und</strong>strukturen der menschlichen Wertausstattung, von traditionelleren<br />

Orientierungen wie Gehorsam, Akzeptanz h<strong>in</strong> zu Selbstentfaltungswerten<br />

wie Selbständigkeit, Toleranz, Offenheit, Konfliktfähigkeit. Es<br />

geht bei diesem Wandel nicht nur darum, dass neue Erziehungswerte <strong>und</strong> -<br />

normen übernommen <strong>und</strong> angewendet werden. Es handelt sich - viel elementarer<br />

- darum, dass e<strong>in</strong> verändertes Selbstideal se<strong>in</strong>en Niederschlag <strong>in</strong> Erziehungswerten<br />

f<strong>in</strong>det, mit denen man das, was man für sich selbst wünscht, auf<br />

die K<strong>in</strong>der überträgt.<br />

38


Menschen, die Wert auf Selbstentfaltung <strong>und</strong> Selbstbestimmung legen,<br />

nehmen gegenüber autoritativ geltend gemachten Aussenforderungen e<strong>in</strong>e<br />

abwehrende Haltung e<strong>in</strong>. Die Betonung der Selbständigkeit als wesentlicher<br />

Selbst- <strong>und</strong> Persönlichkeitswert br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>sätzliche Empf<strong>in</strong>dlichkeit<br />

gegenüber Widerständen, E<strong>in</strong>schränkungen <strong>und</strong> Selbständigkeitsgefährdung<br />

aus dem Raum der gesellschaftlichen Umwelt mit sich. Im Vordergr<strong>und</strong> steht<br />

die Option zugunsten e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die der Verwirklichung der hochgehaltenen<br />

Selbstwerte die besten Möglichkeiten bietet. Man wird entsprechend<br />

dort, wo Selbständigkeits- <strong>und</strong> Selbstentfaltungswerte vorherrschen, ke<strong>in</strong><br />

Ethos der E<strong>in</strong>ordnung, Anpassung <strong>und</strong> des E<strong>in</strong>satzes für vorgegebene Zielsetzungen<br />

unter Zurückstellung eigener Lebens<strong>in</strong>teressen erwarten dürfen.<br />

Der Verwirklichung eigener Lebens<strong>in</strong>teressen kommt e<strong>in</strong>e zentrale Stellung<br />

<strong>in</strong> den Aspirationen der Menschen zu.<br />

Begünstigt durch e<strong>in</strong>en zunehmend selbstverständlich ersche<strong>in</strong>enden relativen<br />

Wohlstand, verstärken sich <strong>in</strong> unserer Gesellschaft die Tendenzen zu<br />

hedonistischem Konsum. Die Gewöhnung an den Wohlstand <strong>und</strong> die trotz<br />

Krisen anhaltende wirtschaftliche Prosperität fördern die Abkehr von Orientierungen<br />

der Askese, der Genügsamkeit. Sie macht hedonistisch gefärbte<br />

Lebensauffassungen, früher das Privileg kle<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheiten, der Mehrheit<br />

zugänglich.<br />

Die wachsende Freizeitorientierung zeigt an, dass auch hierzulande der<br />

Befriedigung persönlicher Bedürfnisse mehr Bedeutung zugemessen wird.<br />

Die Bedürfnisse selbst s<strong>in</strong>d nicht neu, wohl aber der Anspruch, ihnen mehr<br />

Raum zu geben. Selbsterfüllung oder Lebenserfüllung wird nicht von der<br />

H<strong>in</strong>gabe an ausserhalb des Individuums liegende Ziele erhofft, sondern von<br />

der Realisierung unmittelbar Ich-bezogener Bestrebungen, nicht von e<strong>in</strong>er<br />

durch diszipl<strong>in</strong>ierte Arbeit <strong>und</strong> ständige Sparsamkeit erst herzustellende Zukunft,<br />

sondern unmittelbar von der Gegenwart, von der Beschäftigung mit<br />

sich selbst.<br />

Das von Schwartz entworfene Konzept e<strong>in</strong>es Werteraumes, nach dem<br />

sich Werthaltungen entlang von zwei gegenpoligen Achsen gruppieren, f<strong>in</strong>det<br />

unter den befragten <strong>jungen</strong> Eltern empirisch ke<strong>in</strong>e Bestätigung. Dies wäre<br />

dann der Fall gewesen, wenn die Faktorenanalyse die erfragten Erziehungsziele<br />

positiv wie negativ zu zwei Dimensionen nach den Koord<strong>in</strong>aten des<br />

Werteraumes von Schwartz zusammengefasst hätte. In der Faktorenanalyse<br />

kristallisieren sich drei Wertedimensionen heraus. Der Pol ‚Bewahrung’ <strong>und</strong><br />

‚Offenheit für Wandel’ stehen nicht gegene<strong>in</strong>ander, sondern nebene<strong>in</strong>ander<br />

als zwei separate Wertedimensionen.<br />

39


Erziehungsziele<br />

E<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben<br />

führen<br />

In geordneten Verhältnissen<br />

leben<br />

Es im Leben zu etwas br<strong>in</strong>gen<br />

E<strong>in</strong>e gute gesellschaftliche Position<br />

erreichen<br />

Traditionen wahren<br />

Etwas vom Leben haben, das<br />

Leben geniessen<br />

E<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches<br />

Leben führen<br />

Sich selbst im Leben verwirklichen<br />

können<br />

Das menschliche Zusammenleben<br />

fördern<br />

Stets hilfsbereit se<strong>in</strong><br />

Pflicht- <strong>und</strong><br />

Akzeptanzwerte<br />

.75<br />

.74<br />

.73<br />

.67<br />

.56<br />

Faktoren<br />

Hedonistische<br />

Selbstverwirklichung<br />

Tabelle 3<br />

Prosoziales<br />

Verhalten<br />

Die Wertegruppe ‚Bewahrung’ wird beherrscht von den beiden Erziehungszielen<br />

Pflichterfüllung <strong>und</strong> der Vorliebe für geordnete Verhältnisse. Die E<strong>in</strong>stellung<br />

für oder gegen die genannten Erziehungsziele erklärt am besten<br />

vorhandene Unterschiede im Wertverhalten bei <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong>.<br />

In diese Wertegruppe reihen sich auch die Werte r<strong>und</strong>um den Pol ‚Selbststeigerung’<br />

e<strong>in</strong>: Leistungs- <strong>und</strong> Machtstreben. Beiden Werten ist gleichzeitig<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Verb<strong>in</strong>dung eigen zur zweiten Wertedimension ‚hedonistische<br />

Selbstverwirklichung’. Zusammen mit dem Erziehungsziel „Traditionen<br />

wahren“ lassen sich die Wertausprägungen <strong>in</strong> der ersten Gruppe zusammenfassen<br />

unter der Bezeichnung ‚Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerte’.<br />

Das Selbstwertgefühl von Menschen, bei denen ‚Akzeptanz’ vorherrscht,<br />

wird bestimmt von e<strong>in</strong>em Ethos, welches die E<strong>in</strong>ordnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gesellschaft,<br />

die Erfüllung autoritativ geltend gemachter Aussenanforderungen,<br />

zum Massstab der persönlichen Lebensgestaltung werden lässt, Bereitschaft<br />

zur Unterordnung <strong>und</strong> zum Gehorsam e<strong>in</strong>schliesst. Menschen, bei denen<br />

Akzeptanzwerte sehr deutlich vorherrschen, s<strong>in</strong>d geneigt, persönliche Interessen<br />

zurücktreten zu lassen, ohne zu klagen <strong>und</strong> ohne e<strong>in</strong>deutiges Verlustempf<strong>in</strong>den<br />

zu besitzen. Sie neigen dazu, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pflichtenkreis aufzugehen.<br />

Die Tätigkeit, die sie pflichtgemäss ausüben, besitzt für sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erhebli-<br />

.37<br />

.36<br />

.81<br />

.78<br />

.57 .42<br />

.85<br />

.49<br />

.54<br />

Varianzerklärung 59.2% 26.9% 18.9% 13.4%<br />

40


chen Mass Selbstwert. Der Anerkennung ihrer Leistung messen sie grossen<br />

Wert bei.<br />

Durch Pflichterfüllung, Streben nach Lebensstandard <strong>und</strong> damit erreichbare<br />

soziale Sicherheit, Karrierebewusstse<strong>in</strong>, Wahrung überkommener Sitten<br />

<strong>und</strong> Gewohnheiten soll den gesellschaftlichen Erwartungen entsprochen<br />

werden. Der ganze Wertkomplex könnte auch als wirtschaftsbürgerliche<br />

Wertorientierung bezeichnet werden. Er erreicht volle Zustimmung bei<br />

34.7%, teils/teils Zustimmung bei 60.6%, Ablehnung bei lediglich 4.7%.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Wertegruppe versammelt die Werte r<strong>und</strong> um den Pol ‚Offenheit<br />

für Wandel’: Hedonismus, Anregung <strong>und</strong> Selbstverwirklichung. Die<br />

Reihenfolge der Faktorenladungen legt nahe, im vorliegenden Fall von hedonistischer<br />

Selbstverwirklichung zu sprechen. Je höher die Faktorenladung,<br />

desto ausdrücklicher bestimmt e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Erziehungsziel den jeweiligen<br />

Wertekomplex. Mit 66.5% liegt die Zustimmungsquote fast doppelt so hoch<br />

wie bei den Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerten, teils/teils stimmen 32.7% der<br />

Befragten zu <strong>und</strong> nur 0.8% ist e<strong>in</strong>e solche Werthaltung völlig fremd.<br />

Die hohen Zustimmungsquoten zu den beiden Wertegruppen, mehr noch<br />

e<strong>in</strong> statistisch ausgewiesener positiver Zusammenhang zwischen ihnen (r –<br />

.32), lässt vermuten, dass e<strong>in</strong> beachtlicher Teil der <strong>jungen</strong> Väter <strong>und</strong> Mütter<br />

offen s<strong>in</strong>d für hedonistische Selbstverwirklichung <strong>und</strong> gleichzeitig geordnete<br />

Lebensverhältnisse <strong>und</strong> Pflichterfüllung hoch im Kurse stehen.<br />

Im folgenden Schema wird <strong>in</strong> Anlehnung an Helmut Klages e<strong>in</strong>e Vierertypologie<br />

vorgestellt, mit der dieser Vermutung nachgegangen wird. Mite<strong>in</strong>ander<br />

komb<strong>in</strong>iert werden die zwei Werthaltungen des Wertkomplexes<br />

‚Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerte’ mit der höchsten Faktorenladung:<br />

• e<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben führen<br />

• <strong>in</strong> geordneten Verhältnissen leben<br />

mit den zwei signifikantesten Erziehungszielen der Haltung ‚hedonistische<br />

Selbstverwirklichung’:<br />

• etwas vom Leben haben, das Leben geniessen<br />

• e<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches Leben führen<br />

Tabelle 4<br />

Anteile <strong>in</strong> der<br />

Elternbefragung<br />

Wertetypen Pflicht- <strong>und</strong><br />

Akzeptanzwerte<br />

Hedonistische<br />

Selbstverwirklichung<br />

Konventionalisten hoch niedrig 11.7%<br />

Wertpragmatiker hoch hoch 69.9%<br />

Hedonisten niedrig hoch 15.1%<br />

Perspektivlose niedrig niedrig 3.3%<br />

41


Bei den <strong>jungen</strong> Eltern kann nun nicht festgestellt werden, dass die modernen<br />

Gesellschaftsstrukturen e<strong>in</strong>en Wandel der traditionellen Pflicht- <strong>und</strong> Ordnungswerte<br />

zugunsten selbständiger Lebensgestaltung begünstigen. Ordnungs-<br />

<strong>und</strong> Sicherheitswerte stehen bei der Mehrheit der <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

neben hedonistischen Orientierungen.<br />

Mehrheitlich neigen junge Eltern e<strong>in</strong>em Wertepragmatismus zu. Der<br />

Wertpragmatiker pflegt e<strong>in</strong>en situationsabhängigen Umgang mit Werten. Er<br />

hält nach dem Baukastenpr<strong>in</strong>zip für verschiedene Alltagskonstellationen<br />

jeweils angemessene Verhaltensoptionen bereit. Die E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> geordnetes<br />

<strong>und</strong> sicheres Lebensumfeld versteht er nicht als pr<strong>in</strong>zipielle Alternative<br />

zu den Möglichkeiten persönlichen Lebensgenusses. Die heutigen Lebensumstände<br />

legen nahe, bei aller Wertschätzung, Spass am Leben zu haben,<br />

sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unübersichtlich gewordenen Welt wieder mehr am Geordneten<br />

<strong>und</strong> Geregelten zu orientieren. Der persönlichen Entfaltung soll e<strong>in</strong> fester<br />

Rahmen gegeben werden. E<strong>in</strong>e Brücke über den Wertegraben zwischen<br />

‚Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerten’ <strong>und</strong> ‚hedonistischer Selbstverwirklichung’<br />

schlägt das Streben nach beruflichem Erfolg <strong>und</strong> Aufstieg. Das Wertegerüst<br />

der Ordnung, Leistung <strong>und</strong> der Sicherheit wird <strong>in</strong> den Dienst persönlicher<br />

Selbstentfaltung gestellt.<br />

Ähnlich pragmatisch wie ihre Eltern verhält sich nach der deutschen<br />

Shell-Studie ‚Jugend 2006’ die junge Generation. Die Orientierung an<br />

Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerten schliesst e<strong>in</strong>en kreativen <strong>und</strong> genussvollen<br />

<strong>Lebensstil</strong> nicht aus. Die Mehrheit der Jugendlichen versucht, „zu e<strong>in</strong>er Synthese<br />

von <strong>in</strong>zwischen entstaubten ‚traditionellen’ Werten mit ‚modernen’<br />

Werten zu gelangen“ (Gensicke 2006, 175).<br />

Im Vergleich zu den Wertpragmatikern weisen die ‚Konventionalisten’<br />

<strong>und</strong> ‚Hedonisten’ e<strong>in</strong>en hohen Grad an Werte-Hierarchisierung auf. Der<br />

Konventionalist wird bestimmt von stark ausgeprägten Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerten<br />

bei ger<strong>in</strong>ger Bewertung hedonistischer Orientierungen. Ger<strong>in</strong>ge<br />

Bereitschaft zur Normkonformität, schwaches Sicherheitsstreben <strong>und</strong> Interesse<br />

an gesellschaftlichem Aufstieg zeigt der der Typ der hedonistischen<br />

Selbstverwirklichung. Kennzeichnet die Wertepragmatiker e<strong>in</strong> Eigenschaftsprofil<br />

der Werte-Inkonsistenz, <strong>in</strong> dem er klare Alternativen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lebensführung<br />

meidet, pflegen die beiden anderen Wertetypen e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Lebensausrichtung.<br />

Den Perspektivlosen fehlen so zentrale lebensleitende Werte wie das<br />

Streben nach sozialer E<strong>in</strong>bettung, Erfolg <strong>und</strong> gesellschaftlicher Aufstieg wie<br />

auch der Wunsch, im Alter auf e<strong>in</strong> lohnenswertes <strong>und</strong> abwechslungsreiches<br />

Leben zurückblicken zu können. Lebensziele kommen bei ihnen nicht zum<br />

Zuge. Das Resultat ist e<strong>in</strong> Persönlichkeitsprofil, das von Apathie, Passivität<br />

<strong>und</strong> Gleichgültigkeit gekennzeichnet ist.<br />

42


Wertetypen nach Erziehungszielen<br />

nicht wichtig<br />

2.5<br />

2<br />

1.5<br />

1<br />

0.5<br />

Schaubild 4<br />

sehr wichtig<br />

3<br />

E<strong>in</strong><br />

abwechslungsreiches<br />

Leben führen<br />

Das Leben geniessen<br />

In Verantwortung vor<br />

Gott leben<br />

Es im Leben zu etwas<br />

br<strong>in</strong>gen<br />

E<strong>in</strong> pflichtbewusstes<br />

Leben führen<br />

Stets hilfsbereit se<strong>in</strong><br />

Traditionen wahren<br />

E<strong>in</strong>e gute<br />

gesellschaftliche<br />

Position erreichen<br />

In geordneten<br />

Verhältnissen leben<br />

Sich selbst im Leben<br />

verwirklichen können<br />

Das menschliche<br />

Zusammenleben<br />

fördern<br />

Mittelwerte<br />

Konventionalisten<br />

Wertpragmatiker<br />

Hedonisten<br />

Perspektivlose<br />

43


Ziele <strong>und</strong> Zwecke spornen den Perspektivlosen nicht an. Die Aufforderung,<br />

se<strong>in</strong> Leben selbst zu gestalten, erzeugt Widerwillen. Der Perspektivlose<br />

setzt auf die ewige Wiederkehr des Gleichen. Se<strong>in</strong>e Welt kreist <strong>in</strong> sich selbst.<br />

Es ist, als habe er alle Erwartungen an das Leben aufgegeben. Er entwirft<br />

ke<strong>in</strong>e Pläne. Ihm ist die Zukunft abhanden gekommen. Der Perspektivlose<br />

sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong>nerlich abgestorben. Nichts kann ihn erregen, nichts reizen, nichts<br />

berühren. Die S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d müde, das Herz ist träge, der Geist erstarrt. Die<br />

Welt ersche<strong>in</strong>t wie h<strong>in</strong>ter Milchglas. Der Perspektivlose ist nicht ganz <strong>in</strong><br />

dieser Welt. Um Enttäuschungen zu vermeiden, werden Ziele niedrig angesetzt.<br />

Er orientiert sich an e<strong>in</strong>em schmalen Set von Rumpfwerten.<br />

E<strong>in</strong>en adäquateren Zugang zur Interpretation der Werteorientierung der<br />

befragten <strong>jungen</strong> Eltern als die Vorstellung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>dimensionalen Wertewandels<br />

von Pflicht <strong>und</strong> Konvention zu hedonistischer Selbstverwirklichung<br />

eröffnet die Theorie der „Wertesynthese“ (Klages, Gensicke 2006). Sie geht<br />

davon aus, dass die Individuen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er differenzierten Gesellschaft sich bewusst<br />

s<strong>in</strong>d, dass es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lebenslage angebracht se<strong>in</strong> kann, sich z.B. an<br />

Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerten zu orientieren, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Konstellation<br />

des Alltags aber se<strong>in</strong>en Spass am Leben haben kann. Die Theorie der Wertesynthese<br />

postuliert ke<strong>in</strong>e durchgängige Wertehierarchie, sondern vielmehr<br />

e<strong>in</strong>e Wertekomb<strong>in</strong>ation, die es erlaubt, <strong>in</strong> unterschiedlich gelagerten Situation<br />

<strong>und</strong> unter dem Druck widerspruchsvoller Anforderungen sich adäquat zu<br />

verhalten. Man kann sich den Kern der Wertesynthese als e<strong>in</strong>e Koexistenz<br />

aus normativ-<strong>in</strong>tegrativen Werten <strong>und</strong> aus Werten vorstellen, die auf die<br />

Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Die Wertesynthese kann nach<br />

Me<strong>in</strong>ung von Helmut Klages <strong>und</strong> Thomas Gensicke als „e<strong>in</strong>e anspruchsvolle<br />

Reaktion auf die Komplexität der modernen Gesellschaft“ (Klages, Gensicke<br />

2006, 349) betrachtet werden.<br />

Mit ihrer simultanen Zustimmung zu Lebensgenuss <strong>und</strong> E<strong>in</strong>ordnung <strong>in</strong><br />

die Gesellschaft, wollen die <strong>jungen</strong> Väter <strong>und</strong> Mütter wohl auch darauf aufmerksam<br />

machen, dass alles im Leben se<strong>in</strong>e Zeit hat <strong>und</strong> je nach Situation<br />

e<strong>in</strong>e unterschiedliche Wertsetzung angezeigt ist. Die Antworten auf die Erziehungswerte<br />

deuten weniger auf konturierte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>dimensionale Verhaltensweisen<br />

gegenüber den K<strong>in</strong>dern, sondern auf e<strong>in</strong>en flexiblen <strong>und</strong> variablen<br />

Erziehungsstil. Je nach <strong>Lebensstil</strong>milieu dürften die vier Wertetypen <strong>in</strong> unterschiedlichem<br />

Masse Anklang f<strong>in</strong>den.<br />

Nach den Ergebnissen der Faktorenanalyse (vgl. Tabelle 3) streben<br />

Selbstverwirklichung nicht nur alle jene an, die Spass am Leben haben wollen:<br />

Auch zahlreichen Eltern, die der Hilfsbereitschaft <strong>und</strong> der Förderung des<br />

Zusammenlebens hohe Priorität e<strong>in</strong>räumen, sagen von sich, sich selbst im<br />

Leben verwirklichen zu wollen. Zielen Hedonisten auf e<strong>in</strong>e persönliche Be-<br />

44


friedigung ihrer Bedürfnisse ab, wenn sie von Selbstverwirklichung reden,<br />

verstehen andere darunter Engagement für andere.<br />

Mag se<strong>in</strong>, dass der e<strong>in</strong>e oder andere der Versuchung nicht widerstehen<br />

konnte, sich bei der Beantwortung des Fragebogens <strong>in</strong> e<strong>in</strong> günstiges Licht zu<br />

rücken. Doch auch dann erstaunt die hohe prosoziale Selbste<strong>in</strong>schätzung der<br />

befragten Eltern. 72.3% halten altruistische Erziehungsziele für sehr wichtig,<br />

kaum jemand für unwichtig. Sie s<strong>in</strong>d sich der Gefahren e<strong>in</strong>es übertriebenen<br />

Strebens nach dem eigenen Glück durchaus bewusst, <strong>in</strong>dem sie gleichzeitig<br />

grössten Werten auf Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft bei ihren K<strong>in</strong>dern<br />

legen. Wenn auch e<strong>in</strong>em Leben nach eigenen Vorstellungen <strong>und</strong> Bedürfnissen<br />

hohe Priorität e<strong>in</strong>geräumt wird, soll es nicht <strong>in</strong> Egozentrik ausarten.<br />

56.1% der Hedonisten <strong>und</strong> 68.2% der Konventionalisten messen e<strong>in</strong>er<br />

prosozialen Lebenshaltung <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dererziehung e<strong>in</strong>e sehr hohe, die meisten<br />

anderen zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e eher hohe Bedeutung zu.<br />

H<strong>in</strong>ter der durchwegs hohen prosozialen Haltung dürfte die Erfahrung<br />

stehen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft zu leben, <strong>in</strong> der Kräfte der Loslösung, der Abgrenzung,<br />

der Isolation stärker s<strong>in</strong>d als jene des Zusammenhalts <strong>und</strong> der<br />

B<strong>in</strong>dung, <strong>in</strong> der die E<strong>in</strong>zelnen möglichst viel für sich beanspruchen. Mit der<br />

Betonung e<strong>in</strong>er prosozialen Haltung bei ihren K<strong>in</strong>dern möchten die <strong>jungen</strong><br />

Eltern diesem Trend entgegenwirken. Dem Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>n <strong>und</strong> der Hilfsbereitschaft<br />

wird umso höhere Priorität e<strong>in</strong>geräumt, je mehr Sicherheit,<br />

Pflicht <strong>und</strong> Ordnung als Wertquelle <strong>in</strong> Geltung s<strong>in</strong>d (r. = .39). Etwas schwächer<br />

verb<strong>in</strong>det sich die Hilfsbereitschaft mit e<strong>in</strong>er hedonistischen Lebense<strong>in</strong>stellung<br />

(r. = .25).<br />

Besonders aussagekräftig ist der Faktor ‚sozialer Status’ für die beiden<br />

Wertetypen ‚Konventionalisten’ <strong>und</strong> ‚Hedonisten’. S<strong>in</strong>kt der Anteil der Konventionalisten<br />

von 16.2% unter Abgängen der obligatorischen Schule auf<br />

9.4% unter Hochschulabsolventen, erhöht sich der Prozent-Anteil der hedonistischen<br />

Selbstverwirklicher von 1.5% auf 30.9%. Die Wertetypen nach<br />

E<strong>in</strong>kommenshöhe <strong>und</strong> Berufsgruppen bestätigen den Bef<strong>und</strong>.<br />

Tabelle 5<br />

Wertetypen<br />

<strong>Familien</strong>e<strong>in</strong>kommen<br />

Konventionalistetikenistetivlose<br />

Wertpragma-<br />

Hedo-<br />

Perspek-<br />

Unter Fr. 4000 18.1% 72.4% 8.7% 0.8%<br />

Fr. 4000–6000 13.9% 70.7% 11.6% 3.8%<br />

Fr. 6000–8000 11.3% 68.0% 17.2% 3.4%<br />

Fr. 8000–10'000 7.6% 64.1% 22.9% 5.3%<br />

Über Fr. 10'000 6.7% 69.5% 22.0% 1.8%<br />

45


Berufsgruppen<br />

Wertetypen<br />

Tabelle 6<br />

Konventionalisten<br />

Wertpragmatiker<br />

Hedonisten<br />

Perspektivlose<br />

Hilfskräfte/Anlagen- <strong>und</strong><br />

Masch<strong>in</strong>enbediener<br />

14.3% 81.4% 2.9% 1.4%<br />

Handwerk <strong>und</strong> verwandte<br />

Berufe<br />

13.5% 74.9% 9.7% 1.9%<br />

Fachkräfte <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />

18.8% 72.9% 8.2% –<br />

Dienstleistungsberuf <strong>in</strong><br />

Geschäften <strong>und</strong> Märkten<br />

7.7% 75.0% 9.6% 7.7%<br />

Kaufmännische Angestellte 13.2% 81.6% 5.3% –<br />

Techniker <strong>und</strong> gleichrangige<br />

nichttechnische Berufe<br />

10.0% 69.3% 17.4% 3.3%<br />

Wissenschaftler 9.9% 59.0% 26.6% 4.5%<br />

Führungskräfte <strong>in</strong> Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Verwaltung<br />

6.5% 74.1% 15.8% 3.6%<br />

Wer über ausreichend materielle Ressourcen <strong>und</strong> gesellschaftlich anerkannten<br />

Status verfügt, kann sich öfter e<strong>in</strong>en kreativen <strong>und</strong> genussvollen <strong>Lebensstil</strong><br />

leisten ohne Rücksicht auf Konventionen, Verpflichtungen <strong>und</strong> berufliche<br />

Leistungserwartungen. Je weniger K<strong>in</strong>der im Haushalt leben, desto ausgeprägter<br />

bestimmen Abwechslung <strong>und</strong> Genuss das Leben <strong>in</strong> der Familie.<br />

Das Erziehungsziel „<strong>in</strong> Verantwortung vor Gott leben“ ordnet sich am<br />

stärksten <strong>in</strong> das Wertgefüge der Konventionalisten e<strong>in</strong>, gefolgt von den<br />

Wertpragmatikern. In negativem Zusammenhang steht es zu e<strong>in</strong>er hedonistischen<br />

Lebensführung (r. = –.21), entsprechend schwache Aufmerksamkeit<br />

erfährt es <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dererziehung unter hedonistischen Selbstverwirklichern.<br />

Tabelle 7<br />

Erziehungsziel: Verantwortung vor Gott<br />

Wertetypen sehr eher eher nicht<br />

wichtig wichtig wichtig<br />

nicht wichtig<br />

Konventionalisten 47.3% 39.2% 12.8% 0.7%<br />

Wertpragmatiker 29.3% 34.7% 24.3% 11.9%<br />

Hedonisten 12.5% 33.3% 33.3% 20.8%<br />

Perspektivlose 27.5% 27.5% 35.0% 10.0%<br />

46


3. <strong>Lebensstil</strong>e der befragten <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

In welchen Konfigurationen sich die eben geschilderten typischen Merkmalsdimensionen<br />

zu <strong>Lebensstil</strong>en bündeln, lässt sich mit Hilfe der Cluster-<br />

Analyse ermitteln. Sie zeigt uns, mit welchen typischen Formationen von<br />

<strong>Lebensstil</strong>en wir es unter den befragten Müttern <strong>und</strong> Vätern zu tun haben <strong>und</strong><br />

wie stark sie unter ihnen verbreitet s<strong>in</strong>d. Mit der statistischen Methode der<br />

Cluster-Analyse lassen sich jene Personen zusammenfassen, die <strong>in</strong> ihrer Verhaltensweise<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>ander sehr ähnlich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ge Überschneidungen<br />

mit anderen <strong>Lebensstil</strong>typen aufweisen. Sie bilden zusammen<br />

e<strong>in</strong>e <strong>Lebensstil</strong>gruppe. Das Ziel dieses Verfahrens ist es, die Verschiedenheit<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es <strong>Lebensstil</strong>typs möglichst m<strong>in</strong>imal <strong>und</strong> den Unterschied zwischen<br />

den <strong>Lebensstil</strong>typen so gross wie möglich zu halten. Die Ähnlichkeit<br />

beziehungsweise Unähnlichkeit der <strong>Lebensstil</strong>e ergibt sich aus der ungleichen<br />

Verteilung der Merkmale, die <strong>in</strong> unserer Untersuchung zur Umschreibung<br />

der <strong>Lebensstil</strong>e verwendet werden: Musikgeschmack, Fernsehgewohnheiten,<br />

Freizeitverhalten, Wertepräferenzen.<br />

Die Cluster-Analyse ermöglicht, Gravitationszentren des <strong>Lebensstil</strong>s freizulegen.<br />

Sie grenzen sich nicht trennscharf vone<strong>in</strong>ander ab. Im Folgenden<br />

werden fünf <strong>Lebensstil</strong>typen präsentiert: der anspruchsvolle Selbstverwirklichungstyp,<br />

der zeitoffene Erlebnistyp, der konventionelle Harmonietyp, der<br />

ehrenamtlich engagierte Integrationstyp <strong>und</strong> der des<strong>in</strong>teressiert-passive Unterhaltungstyp.<br />

Eventuell mag man den e<strong>in</strong>en oder anderen <strong>Lebensstil</strong> vermissen.<br />

Entweder hat er nicht die Bedeutung e<strong>in</strong>es Gravitationszentrums oder<br />

er wird als Teil e<strong>in</strong>es umfassenderen <strong>Lebensstil</strong>typus aufgefasst.<br />

Die Schaubilder 5 bis 9 illustrieren die charakteristischen Ausprägungen<br />

der fünf eruierten <strong>Lebensstil</strong>typen unter den befragten Müttern <strong>und</strong> Vätern.<br />

Sie zeigen im positiven <strong>und</strong> im negativen S<strong>in</strong>ne die Abweichungen vom<br />

Mittelwert des jeweiligen <strong>Lebensstil</strong>merkmales. Sichtbar wird dadurch das<br />

unverkennbare Profil e<strong>in</strong>es jeden <strong>Lebensstil</strong>s, was ihn speziell auszeichnet<br />

<strong>und</strong> ihn auch von den anderen unterscheidet.<br />

3.1 Zeitoffener Erlebnistyp (17%)<br />

Im zeitoffenen Erlebnistyp begegnen uns junge Erwachsene, die darauf aus<br />

s<strong>in</strong>d, die sich bietende Optionsvielfalt moderner Gesellschaften zu nutzen.<br />

Dom<strong>in</strong>ierendes Merkmal dieses <strong>Lebensstil</strong>typus ist se<strong>in</strong>e weltzugewandte<br />

Lebenshaltung. Er stilisiert sich nicht über negative Abgrenzungen gegenüber<br />

anderen, sondern <strong>in</strong>szeniert sich selbst <strong>und</strong> setzt sich <strong>in</strong> Szene. Über die eige-<br />

47


ne Selbst<strong>in</strong>szenierung br<strong>in</strong>gt er symbolisch Unterschiedense<strong>in</strong> zum Ausdruck.<br />

Er identifiziert sich nicht über Dist<strong>in</strong>ktion, <strong>in</strong>dem er sich von den<br />

andren e<strong>in</strong> Bild macht, mit dem er im eigenen Leben nicht <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

gebracht werden will.<br />

Musikgeschmack<br />

Techno/House<br />

Punk/Heavy Metal<br />

Zeitoffener Erlebnistyp<br />

Schaubild 5<br />

0.84<br />

0.83<br />

Pop/Rock<br />

Fernsehgewoheiten<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

0.43<br />

0.47<br />

Actionfilme<br />

0.65<br />

Krimis<br />

0.33<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

0.41<br />

Politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

0.59<br />

Nachrichten<br />

0.42<br />

Spielfilme<br />

0.35<br />

Sportsendungen<br />

0.73<br />

Shows/Quiz<br />

Freizeitaktivitäten<br />

K<strong>in</strong>o-/Discobesuch<br />

0.37<br />

0.36<br />

Sportveranstaltungen besuchen<br />

0.74<br />

Ausflüge/Reisen machen<br />

0.33<br />

Restaurantbesuch<br />

0.5<br />

Internet nutzen<br />

0.46<br />

Videos/DVDs anschauen<br />

0.32<br />

Tonträger hören<br />

0.3<br />

Zeitschriften lesen<br />

0.35<br />

Gesellschaftlicher Aufstieg<br />

0.37<br />

Erziehungsziele<br />

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

48


Am klarsten kommt die Lebensphilosophie des Erlebnistyps <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Musikgeschmack zum Ausdruck: Techno <strong>und</strong> House, Punk <strong>und</strong> Heavy Metal,<br />

Pop- <strong>und</strong> Rockmusik: Dynamik im Leben. In dieser Musik verb<strong>in</strong>det sich<br />

das eigene Selbstverständnis mit Stilelementen von rhythmischer Aggressivität,<br />

Tempo, Lautstärke <strong>und</strong> expressiver Show. Ekstatische Bewegung ist<br />

fester Bestandteil dieser Musikkultur. Ke<strong>in</strong> anderer Stiltyp zeigt ähnlich starke<br />

Musikvorlieben.<br />

Äussere Reize, Lautstärke, schneller Wechsel von Lichteffekten <strong>in</strong> Lasershows<br />

verstärken die Erlebnis<strong>in</strong>tensität <strong>in</strong> Konzerten <strong>und</strong> Discos. Der Fernsehkonsum<br />

umfasst e<strong>in</strong>e breite Palette von Sendungen. Es gibt kaum e<strong>in</strong><br />

Programm, das nicht das Interesse des Erlebnistyps f<strong>in</strong>det, von Actionfilmen,<br />

Krimiserien über Kultursendungen, politische Magaz<strong>in</strong>e bis h<strong>in</strong> zu Shows<br />

<strong>und</strong> Quizsendungen.<br />

Das Fernsehen bedeutet für ihn das Tor <strong>in</strong> die weite Welt. Es befriedigt<br />

se<strong>in</strong> Bedürfnis nach Abwechslung. Über die Pogrammvielfalt bleibt e<strong>in</strong>e<br />

Gr<strong>und</strong>spannung im Leben erhalten. Zu Hause ist immer etwas e<strong>in</strong>geschaltet,<br />

wenn nicht das Fernsehen, dann der Videorekorder, Plattenspieler, DVD-<br />

Player, iPod. Se<strong>in</strong>e Freizeit verbr<strong>in</strong>gt der Erlebnistyp vorzugsweise ausser<br />

Haus. Er isst gerne <strong>in</strong> Restaurants <strong>und</strong> bevölkert Sportstadien, K<strong>in</strong>os <strong>und</strong><br />

Discos. Ausgehen, unterwegs se<strong>in</strong>, bis spät <strong>in</strong> die Nacht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, Abwechslung<br />

von Szenen <strong>und</strong> Personen br<strong>in</strong>gt Bewegung <strong>in</strong> den Alltag. Fester Bestanteil<br />

der Freizeit s<strong>in</strong>d Ausfüge <strong>und</strong> kurze Reisen. Das Erreichen e<strong>in</strong>er guten gesellschaftlichen<br />

Position soll ermöglichen, das persönliche Erlebnisprogramm<br />

zu f<strong>in</strong>anzieren.<br />

Ähnlich der Existenzform des Selbstverwirklichungsmilieus strebt der Erlebnistyp<br />

nach Vervollkommnung des Ichs: Selbstverwirklichung als ambitioniertes<br />

Ich-Projekt. Bevorzugen Angehörige des Selbstverwirklichungsmilieus<br />

Formen der Beschäftigung mit sich selbst <strong>in</strong> therapeutischen Kursangeboten,<br />

lebt der Erlebnistyp se<strong>in</strong>en Drang nach aussen <strong>und</strong> zur Selbstdarstellung<br />

aus. Interessiert die e<strong>in</strong>e Gruppe ihre <strong>in</strong>nere Wirklichkeit, lebt die andere<br />

e<strong>in</strong>e ich-bezogene existentielle Anschauungsweise, <strong>in</strong>dem sie die Welt zur<br />

Verwirklichung ihrer selbst <strong>in</strong> Anspruch nimmt.<br />

Der zeitoffene Erlebnistyp nimmt unterschiedliche hierarchische Positionen<br />

nach der Berufsklassifikation ISCO-88 e<strong>in</strong>. Er geht bedeutend weniger<br />

anspruchsvoller Beschäftigung als der Selbstverwirklichungstyp nach. R<strong>und</strong><br />

die Hälfte (51.5%) arbeitet auf dem Niveau 1–3 der ISCO-88 Scala. Im Vergleich<br />

zum Mittelwert von 43.3% ist er überdurchschnittlich präsent <strong>in</strong> obersten<br />

Berufssegmenten. Handwerkliche Arbeit verrichtet 24.8% (Stufe 7 auf<br />

der 9er Skala der ISCO-88). An der modernen erlebnis<strong>in</strong>tensiven Lebensart<br />

f<strong>in</strong>den immer mehr Leute aus traditionellen Berufszweigen Gefallen.<br />

49


Nach den Frauen des Selbstverwirklichungsmilieus (53.2%) bleiben am<br />

wenigsten Frauen des Erlebnismilieus als Hausfrauen zu Hause (66.7%). Sie<br />

gehen höher qualifizierten Berufen als ihre (Ehe-)Partner nach, ohne über<br />

e<strong>in</strong>e den Männern ebenbürtige Ausbildung zu verfügen. Die Quote der Abschlüsse<br />

an Sem<strong>in</strong>arien, höheren Fach- <strong>und</strong> Berufsausbildungsschulen liegt<br />

bei den Männern (57.2%) doppelt so hoch wie bei ihren (Ehe-)Partner<strong>in</strong>nen<br />

(22.7%) <strong>und</strong> damit unter dem Durchschnitt aller <strong>Familien</strong>frauen (35.6%).<br />

Zusammen mit dem Selbstverwirklichungstyp gehört die <strong>Lebensstil</strong>gruppe zu<br />

den Besserverdienern (34.4% über Fr. 8000.–).<br />

3.2 Anspruchsvoller Selbstverwirklichungstyp (24.4%)<br />

Der <strong>Lebensstil</strong> des anspruchsvollen Selbstverwirklichungstyps ist ausgesprochen<br />

auf das alltagsästhetische Hochkulturschema ausgerichtet (siehe Tabelle<br />

8). Er zeigt e<strong>in</strong> ausgeprägtes Interesse an klassischer Musik <strong>und</strong> Jazz <strong>und</strong><br />

verabscheut Schlager- <strong>und</strong> Volksmusik. Wenn Sendungen Qualität haben, ist<br />

das Fernsehen zugelassen. Se<strong>in</strong>e Fernsehpräferenzen haben e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>en<br />

hochkulturellen E<strong>in</strong>schlag.<br />

Mit Vorliebe sieht der Selbstverwirklichungstyp Kultur- <strong>und</strong> Kunstsendungen.<br />

Hochgeschätzte Fernsehprogramme unter den Vertretern der Trivialkultur:<br />

<strong>Familien</strong>serien, Heimatfilme, Shows <strong>und</strong> Quizsendungen, auch Sportübertragungen<br />

entsprechen ganz <strong>und</strong> gar nicht se<strong>in</strong>em Geschmack. Ebenso<br />

sagen ihm Actionfilme wenig zu, mit denen die junge Generation Abwechslung<br />

<strong>und</strong> Spannung assoziiert.<br />

Tabelle 8<br />

<strong>Lebensstil</strong><br />

Alltagsästhetische Schemata<br />

Spannungsschema<br />

Hochkulturschema<br />

Trivialschema<br />

Erlebnistyp 77.6% 72.1% 38.1%<br />

Selbstverwirklichungstyp 29.6% 85.4% 2.0%<br />

Harmonietyp 19.5% 24.3% 79.5%<br />

Integrationstyp 12.8% 61.2% 48.7%<br />

Unterhaltungstyp 53.4% 21.7% 20.7%<br />

Im Musikgeschmack <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Fernsehgewohnheiten manifestiert sich das<br />

Wirklichkeitsmodell des Selbstverwirklichungsmilieus, die gesellschaftliche<br />

Abstufung zwischen höher <strong>und</strong> niedriger, oben <strong>und</strong> unten. Kultur, die fe<strong>in</strong>e<br />

gepflegte Lebensart, ereignet sich höheren Orts. Der Gegenpol zur hochkulturellen<br />

Lebenshaltung bildet die Alltagskultur der e<strong>in</strong>fachen Leute. Geme<strong>in</strong>t<br />

50


ist damit e<strong>in</strong> Ensemble von ästhetischen Alltagsmanifestationen, die aus der<br />

Perspektive des hochkulturellen <strong>Lebensstil</strong>s mit dem Stigma der Trivialität<br />

versehen werden. Die Nähe zum Hochkulturschema bedeutet für den<br />

Selbstverwirklichungstypen gleichzeitig Distanz zur Trivialkultur.<br />

Schaubild 6<br />

Anspruchsvoller Selbstverwirklichungstyp<br />

Musikgeschmack<br />

Jazz<br />

Klassik<br />

0.71<br />

0.75<br />

-0.91<br />

Schlager<br />

-0.65<br />

Volksmusik<br />

-0.85<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

-0.45<br />

Actionsfilme<br />

-0.66<br />

Heimatfilme<br />

-0.58<br />

Sportsendungen<br />

-0.74<br />

Show s/Quiz<br />

Freizeitaktivitäten<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

Oper-/Konzertbesuch<br />

0.34<br />

0.68<br />

-0.44<br />

Sportveranstaltungen besuchen<br />

Musische Tätigkeiten<br />

0.68<br />

-0.37<br />

Besuch religiöser Anlässe<br />

Yoga/Meditation<br />

0.42<br />

Private Weiterbilldung<br />

0.55<br />

Internet nutzen<br />

0.41<br />

Computer nutzen<br />

0.31<br />

Bücher lesen<br />

0.65<br />

-0.53<br />

-0.39<br />

Geordnete Verhältnisse<br />

Gesellschaftlicher Aufstieg<br />

Erziehungsziele<br />

-0.33<br />

Traditionen w ahren<br />

-0.54<br />

Pflichtbew ussstes Leben<br />

-0.43<br />

Erfolg im Leben<br />

-0.33 Verantw ortung vor Gott<br />

-1 -0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8<br />

Mittelw ertabw eichungen über .30 E<strong>in</strong>heiten<br />

51


Angehörige des anspruchsvollen Selbstverwirklichungstyps treffen sich <strong>in</strong><br />

der Hochkulturszene: Besuch von Veranstaltungen wie Oper, klassische<br />

Konzerte, Theater <strong>und</strong> Ausstellungen, künstlerische <strong>und</strong> musische Tätigkeiten.<br />

Kulturelle Aktivitäten, die besonderer Dekodierungsfähigkeit <strong>und</strong> Reflexivität<br />

bedürfen, s<strong>in</strong>d der Besuch von Theatern <strong>und</strong> Ausstellungen: Sie eignen<br />

sich daher ausgesprochen gut zur Messung der Hochkulturalität der Lebensführung.<br />

Im Vordergr<strong>und</strong> der Freizeitaktivitäten stehen im Weiteren die<br />

persönliche Weiterbildung. Computer <strong>und</strong> Internet werden oft genutzt. Lesen<br />

stellt ebenfalls e<strong>in</strong> besonders aussagekräftiges Zeichen von hochkulturellem<br />

Kapital dar, denn <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Literatur werden generalisierbare<br />

Kompetenzen der Diskusivität vermittelt. Bücher lesen zeugt von<br />

komplexer Informationsverarbeitungskapazität.<br />

Ke<strong>in</strong> anderer <strong>Lebensstil</strong>typ zeigt sich <strong>in</strong> so hohem Masse aufgeschlossen<br />

für Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g Körpererfahrung, Yoga. Kirchgang <strong>und</strong><br />

der Besuch von religiösen Veranstaltungen behagen den Vertretern dieses<br />

<strong>Lebensstil</strong>stypus dagegen wenig.<br />

Niveau als Lebenspr<strong>in</strong>zip manifestiert sich <strong>in</strong> den Werten, die <strong>in</strong> der Erziehung<br />

der K<strong>in</strong>der vermittelt werden sollen. Die Ausstattung mit ökonomischem,<br />

kulturellem <strong>und</strong> sozialem Kapital erübrigt e<strong>in</strong> Streben nach Erfolg im<br />

Leben <strong>und</strong> sozialen Aufstieg. Entsprechend schwach ausgeprägt ist das Streben<br />

nach konventioneller E<strong>in</strong>ordnung, danach, e<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben zu<br />

führen, <strong>in</strong> geordneten Verhältnissen zu leben <strong>und</strong> die Traditionen zu wahren.<br />

Mit dem Wohlstand hat der ökonomische Bezug des Strebens nach Perfektion<br />

an Bedeutung verloren. Das niveauorientierte Lebensprojekt verweist<br />

nicht mehr auf e<strong>in</strong>e f<strong>und</strong>amentale Orientierung nach ‚mehr’ im ökonomischen<br />

S<strong>in</strong>ne, auf Erwerb <strong>und</strong> Sicherung von materiellen Ressourcen. In der<br />

existentiellen Anschauungsweise des anspruchsvollen Selbstverwirklichungsmilieus<br />

verblasst der ökonomische Bezug des Rangstrebens zugunsten<br />

persönlicher Selbstperfektion.<br />

E<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>ere Ausdifferenzierung des Selbstverwirklichungstyps ergibt<br />

zwei unterschiedliche <strong>Lebensstil</strong>muster <strong>in</strong>nerhalb der hochkulturell ausgerichteten<br />

<strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> (vgl. dazu das 8er-Modell der <strong>Lebensstil</strong>e im Anhang).<br />

Im e<strong>in</strong>en Stiltyp hat e<strong>in</strong>e Umdeutung des Strebens nach Perfektion <strong>in</strong><br />

Richtung persönlicher Selbstentfaltung stattgef<strong>und</strong>en. Man setzt weniger auf<br />

Selbstdef<strong>in</strong>ition über die Kaufkraft, stattdessen auf e<strong>in</strong>e tiefere Begegnung<br />

mit sich selbst. Das Streben nach Perfektion richtet sich auf die eigene Person.<br />

Auf der Basis e<strong>in</strong>es relativ sicher empf<strong>und</strong>enen Wohlfahrtsniveaus wird<br />

mehr Zeit <strong>und</strong> Energie aufgewendet für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.<br />

Lebensqualität soll weniger durch hohes E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Karriere<br />

erreicht werden, als vielmehr durch subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den. Menschen<br />

52


dieses Stiltyps fragen nach sich selbst, sie wollen sich verwirklichen <strong>und</strong> bei<br />

sich se<strong>in</strong>. Ausflüge <strong>in</strong>s spirituelle Feld sollen neue Wege zu sich selbst eröffnen,<br />

die Möglichkeit bieten, neue Seiten der eigenen Persönlichkeit zu entdecken,<br />

e<strong>in</strong>e neue Sicht auf den Alltag zu gew<strong>in</strong>nen, das eigene Bewusstse<strong>in</strong> zu<br />

erweitern, den Gr<strong>und</strong> allen Se<strong>in</strong>s zu erspüren, die Welt mit anderen Augen zu<br />

sehen, die Mitte des Selbst zu f<strong>in</strong>den. Auf sie trifft Roland Ingleharts Feststellung<br />

se<strong>in</strong>er empirischen Studien <strong>in</strong> 43 Länder zu, der e<strong>in</strong>e vermehrte<br />

H<strong>in</strong>wendung von materiellen zu immateriellen Werten (Postmaterialismus)<br />

konstatiert (Inglehart 1998). Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt die<br />

Sehnsucht nach Stimmigkeit von Innen- <strong>und</strong> Aussenwelt. Die Welt fungiert<br />

als Kulisse für e<strong>in</strong> – <strong>in</strong> der Wunschvorstellung des E<strong>in</strong>zelnen selbstgeschriebenes<br />

– Stück, bei dem man zugleich die Hauptrolle spielen <strong>und</strong> Regie führen<br />

möchte. Sie wird zum Resonanzraum persönlicher Wunschvorstellungen.<br />

Den Weg zu sich selbst sollen Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung<br />

eröffnen.<br />

In e<strong>in</strong>er zweiten Untergruppe des Selbstverwirklichungsmilieus wird<br />

Nonkonformismus zum Milieuzeichen. Zu den Besonderheiten mittlerer<br />

gesellschaftlicher Position zählt es, mühsam erworbene Verfügungsmacht<br />

über Geld verlieren zu können. Gegen drohenden Verlust kann man sich<br />

durch Konformität gegenüber den Mächtigen schützen. In den oberen Reihen<br />

der Gesellschaft kann man sich h<strong>in</strong>gegen Nonkonformität leisten: Weil niemand<br />

da ist, der Verstösse ahnden kann, s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>schränkungen durch<br />

soziale Kontrolle ger<strong>in</strong>ger. In e<strong>in</strong>er Teilgruppe des Selbstverwirklichungsmilieus<br />

gehört die Überschreitung gesellschaftlicher Konventionen zur dist<strong>in</strong>ktiven<br />

Praxis. Die Praxis der Hochkultur bedarf e<strong>in</strong>er vergleichsweise grossen<br />

ästhetischen Kompetenz, die nur durch langfristige Ausbildungs<strong>in</strong>vestitionen<br />

zu erreichen ist. 76.8% der Väter haben zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Ausbildung an e<strong>in</strong>em<br />

Lehrer(<strong>in</strong>nen)sem<strong>in</strong>ar oder e<strong>in</strong>e höheren Fach- <strong>und</strong> Berufsausbildung abgeschlossen,<br />

knapp e<strong>in</strong> Drittel (31.6%) e<strong>in</strong> Hochschulstudium. 53.9% der Mütter<br />

verfügen ebenfalls über e<strong>in</strong>en Abschluss an e<strong>in</strong>er höheren Fachschule.<br />

Ger<strong>in</strong>ger ist die Zahl der Hochschulabsolvent<strong>in</strong>nen (19.8%). Die Personen,<br />

die den Fragebogen ausfüllten, s<strong>in</strong>d älter als <strong>in</strong> allen anderen Stilmilieus.<br />

41.8% s<strong>in</strong>d über 40 Jahre alt. In 43.1% der Hauhalte liegt das E<strong>in</strong>kommen<br />

über Fr. 8000. –.<br />

Werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Typologie die Wertekomplexe ‚Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerte’<br />

<strong>und</strong> ‚hedonistische Selbstverwirklichung’, die das Erziehungsverhalten<br />

der <strong>jungen</strong> Eltern massgeblich prägen (vgl. dazu Kapitel 2.6), mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> Beziehung gesetzt, dann zeigt sich, dass der Selbstverwirklichungstyp am<br />

wenigsten von allen <strong>Lebensstil</strong>en e<strong>in</strong>en Wertpragmatismus pflegt, der je nach<br />

Situation mal diesen mal jenen Wert <strong>in</strong>s Spiel br<strong>in</strong>gt Stattdessen favorisiert er<br />

weit überdurchschnittlich, zu 41% (Tabelle 9), e<strong>in</strong>en Erziehungsstil, der kon-<br />

53


sequent auf hedonistische Selbstverwirklichung setzt. In dieser H<strong>in</strong>sicht haben<br />

sich die Angehörigen des Selbstverwirklichungsmilieus augenfällig von<br />

allen anderen ab.<br />

Tabelle 9<br />

Wertetypen<br />

<strong>Lebensstil</strong>e Konventionalisten<br />

Wertpragmatiker<br />

Hedonisten<br />

Perspektivlose<br />

Erlebnistyp 4.5% 88.3% 6.1% 1.1%<br />

Selbstverwirklichungstyp 2.7% 50.2% 41.2% 5.8%<br />

Harmonietyp 8.8% 89.8% 1.4% –<br />

Integrationstyp 29.4% 56.4% 9.0% 5.2%<br />

Unterhaltungstyp 6.2% 85.0% 8.3% 0.5%<br />

3.3 Konventioneller Harmonietyp (20.4%)<br />

Herausragende alltagsästhetische Milieuzeichen s<strong>in</strong>d die Vorliebe für Schlager-<br />

<strong>und</strong> Volksmusik, für Heimatfilme, <strong>Familien</strong>serien, Shows <strong>und</strong> Quizsendungen<br />

im Fernsehen. Der konventionelle Harmonietyp repräsentiert das<br />

kle<strong>in</strong>bürgerliche Milieu, die Welt der kle<strong>in</strong>en Leute.<br />

Angehörige dieses Stiltyps nehmen im sozialen Raum untere Positionen<br />

e<strong>in</strong>. Für das untere Milieu s<strong>in</strong>d geordnete <strong>und</strong> stetige Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse<br />

sehr wichtig. Dem Kle<strong>in</strong>gewerbe <strong>und</strong> dem e<strong>in</strong>fachen Angestellten<br />

hat der Modernisierungsprozess am stärksten zugesetzt. Sie gehen eher<br />

unstetigen <strong>und</strong> unsicheren Beschäftigungen nach, müssen auf günstige Gelegenheiten<br />

warten <strong>und</strong> können nicht auf eigenes, planmässiges Schaffen setzen.<br />

Teilhabe am Wohlstand versuchen sie durch Ver<strong>in</strong>nerlichung e<strong>in</strong>er<br />

Leistungs- <strong>und</strong> Pflichtethik zu erreichen. Im Gegenüber zur Komplexität <strong>und</strong><br />

Unübersichtlichkeit der Gesellschaft, die sie <strong>in</strong> vielfacher H<strong>in</strong>sicht als bedrohlich<br />

empf<strong>in</strong>den, tendieren sie zu E<strong>in</strong>fachheit <strong>und</strong> Ordnung. Im Weltbild<br />

des Harmoniemilieus dom<strong>in</strong>iert nach den Beobachtungen von Schulze <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Milieustudie „als primäre Perspektive die Dimension der Gefahr. Gegeben<br />

ist e<strong>in</strong>e potentiell bedrohliche Welt“ (Schulze 1992, 293). E<strong>in</strong>er als<br />

bedrohlich empf<strong>und</strong>enen Welt korrespondiert die ständige Suche nach Geborgenheit<br />

<strong>und</strong> Harmonie.<br />

Von den Besitz-, Bildungs- <strong>und</strong> Machteliten grenzt man sich ausdrücklich<br />

ab. Von unten her werden obere Milieus nicht selten als dünkelhaft, e<strong>in</strong>gebildet<br />

oder, wenn sie Macht ausüben, als rücksichtslos bezeichnet. Personen des<br />

Harmoniemilieus zeigen sich wenig empfänglich für typische Aktivitäten<br />

gehobener Gesellschaftskreise <strong>und</strong> damit auch des Selbstverwirklichungstyps:<br />

private Weiterbildung, Nutzung von Computer <strong>und</strong> Internet, Bücherle-<br />

54


sen. Aktivitäten dieser Art, die zusätzliche Verunsicherungen mit sich br<strong>in</strong>gen,<br />

werden aus der Wahrnehmung ausgeblendet. Auf die Vorstellung e<strong>in</strong>er<br />

tendenziell gefährlichen Wirklichkeit reagiert man mit Suche nach Geborgenheit<br />

<strong>und</strong> Harmonie <strong>und</strong> nicht mit Bildungsanstrengungen.<br />

Konventioneller Harmonietyp<br />

Schaubild 7<br />

-0.31<br />

Techno/House<br />

Musikgeschmack<br />

-0.35<br />

Punk/Heavy Metal<br />

-0.66<br />

-0.58<br />

Jazz<br />

Klassik<br />

Schlager<br />

1.02<br />

Volksmusik<br />

0.92<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

Heimatfilme<br />

0.84<br />

-0.53<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

-0.46<br />

Politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

Show s/Quiz<br />

0.57<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

0.6<br />

-0.45<br />

-0.49<br />

Faulenzen<br />

Private Weiterbildung<br />

Freizeitaktivitäten<br />

-0.92<br />

Internet nutzen<br />

-0.81<br />

Computer nutzen<br />

Tonträger hören<br />

0.3<br />

-0.43<br />

Bücher lesen<br />

Geordnete Verhältnisse<br />

0.42<br />

Erziehungsziele<br />

Traditionen w ahren<br />

Hilfsbereitschaft<br />

0.3<br />

0.33<br />

Pflichtbew usstes Leben<br />

0.44<br />

Erfolg im Leben<br />

0.33<br />

Verantw ortung vor Gott<br />

0.36<br />

-1 -0.5 0 0.5 1<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

55


Den Aspirationen des Erlebnistyps steht der konventionelle Harmonietyp<br />

skeptisch gegenüber. Extravaganz, gar Avantgardistisches, erträgt er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Lebenssituation nicht.<br />

Von den Kirchen als öffentliche Repräsentanten von Religion erwartet der<br />

Harmonietyp e<strong>in</strong>e orientierungsgebende Rahmung se<strong>in</strong>es Lebens, die als<br />

Sicherheit stiftend, schützend <strong>und</strong> entlastend empf<strong>und</strong>en wird. Bei der Bewältigung<br />

e<strong>in</strong>er oft als ungerecht, widersprüchlich <strong>und</strong> unverständlich erfahrenen<br />

Welt, die der Verwirklichung se<strong>in</strong>er angestrebten Ziele enge Grenzen<br />

setzt, will er nicht alle<strong>in</strong> gelassen werden. In unserer Erlebnisgesellschaft<br />

haben viele Angehörige der Unterschicht das Gefühl, für ihre Mühen nicht<br />

ausreichen belohnt zu werden. Religion gibt ihnen Trost <strong>und</strong> Hoffnung auf<br />

e<strong>in</strong> besseres Leben. Mit dem Integrationsmilieu teilen sie ihr Bemühen, e<strong>in</strong><br />

gottgefälliges Leben zu führen. Die volkstümliche Ästhetik der Erlösung<br />

kl<strong>in</strong>gt im Schlager genau so an wie die Hoffnung auf das Paradies bei gottgefälligem<br />

Leben.<br />

Bei den Berufstätigen im Harmoniemilieu handelt es sich mehrheitlich<br />

um Tätigkeiten mit begrenzter Verantwortung <strong>und</strong> sehr e<strong>in</strong>geschränkten<br />

Entscheidungsspielräumen. Dazu gehören Bürokräfte <strong>und</strong> Verkaufspersonal<br />

(14.7%), Fachkräfte <strong>in</strong> der Landwirtschaft <strong>und</strong> Fischerei (14.8%), handwerkliche<br />

Berufen (29.5%), Anlagen- <strong>und</strong> Masch<strong>in</strong>enbediener <strong>und</strong> Hilfskräfte<br />

(12.6%). 15% mehr Berufstätige als <strong>in</strong> allen anderen <strong>Lebensstil</strong>milieus s<strong>in</strong>d<br />

selbständig ohne Angestellte.<br />

In den eben genannten Berufssparten s<strong>in</strong>d 77.7% der berufstätigen (Ehe-<br />

)Partner<strong>in</strong>nen beschäftigt. Jede zehnte arbeitet im <strong>Familien</strong>betrieb mit. Von<br />

allen <strong>Lebensstil</strong>gruppen üben am wenigsten Frauen voll- oder teilzeitlich e<strong>in</strong>e<br />

berufliche Tätigkeit aus. Die Ausbildung beschränkt sich auf die obligatorische<br />

Schule <strong>und</strong> die Berufslehre, bei den Männern zu 76.9%, bei den Frauen<br />

zu 87.5%. Diejenigen Väter <strong>und</strong> Mütter aus dem Harmoniemilieu, die den<br />

Fragebogen ausfüllten, gehörten überdurchschnittlich oft zur Altersgruppe<br />

der über 40-jährign.<br />

3.4 Ehrenamtlich engagierter Integrationstyp (20%)<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en, Verbänden oder sozialen Diensten,<br />

Kirchgang <strong>und</strong> der Besuch von religiösen Veranstaltungen, Beteiligung <strong>in</strong><br />

Parteien, <strong>in</strong> der Kommunalpolitik, <strong>in</strong> Bürger<strong>in</strong>itiativen machen die charakteristischen<br />

Kernelemente des Integrationstyps aus. Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n, Zugehörigkeit,<br />

soziale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung stehen im Vordergr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Lebensführung. In der<br />

örtlich überschaubaren, lokal begrenzten Sozialwelt fühlt er sich zu Hause.<br />

56


Wie es e<strong>in</strong>e Sehnsucht nach Freiheit <strong>und</strong> Weite gibt, so auch das Verlangen<br />

nach E<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>ense<strong>in</strong>. Der Geist des Aufgehobense<strong>in</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sozialen<br />

Ordnung durchweht das Integrationsmilieu; Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft<br />

steht an zentraler Stelle im Selbstverständnis des Integrationstyps. Se<strong>in</strong><br />

Erlebnisparadigma ist die nette R<strong>und</strong>e. Sie vermittelt das Gefühl des Dazugehörens<br />

<strong>und</strong> der wechselseitigen Bestätigung.<br />

Ehrenamtlich engagierter Integrationstyp<br />

Schaubild 8<br />

-0.42<br />

Techno/House<br />

Musikgeschmack<br />

-0.37<br />

Punk/Heavy Metal<br />

Klassik<br />

0.32<br />

-0.31<br />

Pop/Rock<br />

Schlager<br />

0.4<br />

Volksmusik<br />

0.59<br />

-0.56<br />

Actionfilme<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

-0.45<br />

Krimis<br />

-0.36<br />

Spielfilme<br />

Beteiligung <strong>in</strong> Politik<br />

0.36<br />

Freizeitaktivitäten<br />

Ehrenamtliche Tätigkeiten<br />

0.73<br />

Besuch religiöser Anlässe<br />

0.73<br />

-0.48<br />

Tonträger hören<br />

-0.47<br />

Selbstverwirklichung<br />

Erziehungsziele<br />

-0.52<br />

Genuss<br />

-0.46<br />

Abwechslung<br />

Verantwortung vor Gott<br />

0.63<br />

-0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

57


Die alltagsästhetische Position des Integrationsmilieus besteht aus e<strong>in</strong>er<br />

Mischung von Hochkultur- <strong>und</strong> Trivialschema, beides <strong>in</strong> moderater Ausprägung.<br />

Mit dem Harmonietyp teilt es die Nähe zur Trivialkultur <strong>und</strong> die Distanz<br />

zum Spannungsschema: Schlager <strong>und</strong> Volksmusik als typische Zeichen<br />

der Trivialkultur bestimmen wie im Harmoniemilieu das Lebensgefühl des<br />

Integrationstyps. Überdurchschnittliche Vorliebe für klassische Musik rückt<br />

Angehörige dieses Stiltyps <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Mittellage zwischen Hoch- <strong>und</strong> Trivialkultur.<br />

Den besonderen Charakter erhält der Integrationstyp neben se<strong>in</strong>em ausgeprägten<br />

sozialen Engagement durch die Komb<strong>in</strong>ation von Stilelementen<br />

der Milieus über <strong>und</strong> unter ihm auf der sozialen Stufenleiter.<br />

Aus den Daten zum Integrationsmilieu spricht das Bestreben, sich deutlich<br />

vom modernen Spannungsschema abzugrenzen, wie es exemplarisch der<br />

zeitoffene Erlebnistyp vorlebt. Selbstverwirklichung, etwas von Leben haben,<br />

das Leben geniessen, e<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches Leben führen<br />

werden von den Angehörigen des Integrationsmilieus abgelehnt. In Verantwortung<br />

vor Gott leben verträgt sich nicht mit existentiellen Anschauungsweisen<br />

dieser Art. Im „Werteraum“ nach Shalom H. Schwarz bilden hedonistische<br />

Lebensziele den Gegenpol zu e<strong>in</strong>er bewahrenden Lebensauffassung.<br />

Genuss, Abwechslung, Selbstentfaltungswerte stehen der Wertkategorie<br />

‚Bewahrung’ diametral entgegen (Schwarz 1994).<br />

Wird von den <strong>jungen</strong> Eltern <strong>in</strong>sgesamt mehrheitlich e<strong>in</strong> situationsabhängiger<br />

Wertepragmatismus <strong>in</strong> der Erziehung praktiziert, Genuss <strong>und</strong> Spass wie<br />

auch Pflicht <strong>und</strong> Akzeptanz sollen im Alltag des K<strong>in</strong>des ihren Platz haben,<br />

neigt öfter als <strong>in</strong> allen anderen <strong>Lebensstil</strong>milieus jeder dritte Angehörige des<br />

Integrationsmilieus dazu, die K<strong>in</strong>der ausschliesslich auf e<strong>in</strong> pflichtbewusstes<br />

Leben h<strong>in</strong>zuführen <strong>und</strong> für geordnete Lebensverhältnisse zu sorgen (Tabelle<br />

9).<br />

In der Berufswelt zeigt das Integrationsmilieu Kompetenz <strong>und</strong> Verantwortung.<br />

Die Männer s<strong>in</strong>d zur Hälfte (54.3%) <strong>in</strong> Berufen zu f<strong>in</strong>den, die <strong>in</strong> der<br />

Berufsklassifikation ISCO-88 die ersten drei von 9 Stufen belegen. Häufiger<br />

als <strong>in</strong> anderen Milieus f<strong>in</strong>den sich Landwirte <strong>in</strong> dieser Stilgruppe (26.6%).<br />

77.8% der Fachkräfte <strong>in</strong> der Landwirtschaft ordnen sich diesem <strong>Lebensstil</strong><br />

zu. 17.8% s<strong>in</strong>d Selbständige mit Angestellten. Den zweithöchsten Anteil von<br />

Selbständigen mit Angestellten (14%) stellt das Selbstverwirklichungsmilieu.<br />

Die Tätigkeit der (Ehe-)Partner<strong>in</strong>nen konzentriert sich dagegen nicht so<br />

stark auf die Landwirtschaft (16%). Sie reicht von kaufmännischen Angestellten<br />

(21.3%) bis zu Verkäufer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Geschäften <strong>und</strong> Märkten (29.8%).<br />

Bei den Männern überwiegen Bildungsabschlüsse, die e<strong>in</strong>e Matura voraussetzen<br />

(57%). Überdurchschnittlich viele schlossen e<strong>in</strong> Universitätsstudi-<br />

58


um ab (18.8%). Die Bildungswerte der Frauen liegen mit 34.8% deutlich<br />

niedriger, leicht unter dem Durchschnitt bei den Frauen von 35.6%.<br />

29.2% haben e<strong>in</strong> Haushaltse<strong>in</strong>kommen von über Fr. 8000.– im Monat.<br />

Der Integrationstyp erreicht dennoch weder die E<strong>in</strong>kommenshöhe des Selbstverwirklichungstyp<br />

noch die des zeitoffenen Erlebnistyps.<br />

3.5 Des<strong>in</strong>teressiert-passiver Unterhaltungstyp (18.3%)<br />

Den Kern dieses <strong>Lebensstil</strong>milieus bilden jüngere <strong>Familien</strong> mit bescheidenem<br />

E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> niedrigem Schulabschluss. Beide Merkmale teilen sie<br />

mit dem Harmonietyp, der über noch ger<strong>in</strong>gere f<strong>in</strong>anzielle <strong>und</strong> kulturelle<br />

Ressourcen verfügt. Trotz ähnlich niedriger ökonomischer Position unterscheiden<br />

sich die beiden Milieus <strong>in</strong> erheblichem Masse <strong>in</strong> ihrer Mentalität,<br />

Lebensart <strong>und</strong> -e<strong>in</strong>stellung.<br />

Typisch für die Personen des ambitionslos-passiven, gesellschaftlich des<strong>in</strong>teressierten<br />

Sozialmilieus ist ihre Abgrenzung gegenüber der kle<strong>in</strong>bürgerlichen<br />

Lebensart <strong>und</strong> den gesellschaftlich arrivierten Kreisen, ohne e<strong>in</strong>e eigenständige<br />

Identität auszubilden.<br />

Das Projekt des schönen Lebens, das für den Erlebnistyp so typisch ist,<br />

ersche<strong>in</strong>t ihnen nicht so wichtig. Das Ich wird nicht so sehr vom Erlebniserfolg<br />

her konstruiert, sondern von der Befriedigung der Alltagbedürfnisse,<br />

wobei man gleichzeitig auch etwas Spass haben möchte. Die Welt wird als<br />

Ressource der persönlichen Befriedigung angeschaut <strong>und</strong> nicht so sehr als<br />

Bühne für die eigene Selbstdarstellung.<br />

Im Gegensatz zur Egozentrizität des Erlebnismilieus mit se<strong>in</strong>em wachen<br />

Interesse für die Welt, ist die Egozentrizität des ambitionslos-passiven, gesellschaftlich<br />

distanzierten Stiltyps von gesellschaftspolitischem Des<strong>in</strong>teresse<br />

geprägt. Poltische Magaz<strong>in</strong>e im Fernsehen stossen auf ger<strong>in</strong>ges Interesse.<br />

Der ambitionslos-passive, gesellschaftlich des<strong>in</strong>teressierte Unterhaltungstyp<br />

zeichnet sich nicht durch das aus, was er anstrebt, sondern wovon er sich<br />

abgrenzt. Er weiss, als wen er nicht wahrgenommen werden will. E<strong>in</strong>e eigenständige<br />

Vorstellung von sich selbst fehlt ihm. Ihn charakterisiert e<strong>in</strong>e unauffällige,<br />

schlichte, angepasste, passive Lebensweise, den Stimulationen aus<br />

der Konsumwelt nicht abgeneigt. Er kann als e<strong>in</strong> typischer Mitläufer der<br />

modernen Konsumgesellschaft betrachtet werden.<br />

Die Nähe zum alltagsästhetischen Spannungsschema zeigt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Vorliebe für Rock- <strong>und</strong> Popmusik <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Präferenzen für Krimis <strong>und</strong><br />

Actionfilme im Fernsehen. In ke<strong>in</strong>em anderen Milieu wird so oft Rock- <strong>und</strong><br />

Popmusik gehört. Die Verantwortung für die eigenen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> bescheide-<br />

59


ne f<strong>in</strong>anzielle Mittel setzen der Umsetzung des Spannungsschemas im <strong>Familien</strong>alltag<br />

allerd<strong>in</strong>gs enge Grenzen.<br />

Des<strong>in</strong>teressiert-passiver Unterhaltungstyp<br />

Schaubild 9<br />

-0.61<br />

Jazz<br />

Musikgeschmack<br />

-0.69<br />

Klassik<br />

-0.32<br />

Schlager<br />

-0.64<br />

Volksmusik<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

0.35<br />

Actionfilme<br />

0.67<br />

Krimis<br />

0.42<br />

-0.46<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

-0.53<br />

Politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

Show s/Quiz<br />

0.57<br />

-0.37<br />

Heimw erken<br />

Freizeitaktivitäten<br />

-0.7<br />

Musische Tätigkeiten<br />

-0.4<br />

Religiöse Anlässe<br />

-0.56<br />

Ehrenamtliche Tätigkeiten<br />

-0.33<br />

Spiele im <strong>Familien</strong>kreis<br />

-0.35<br />

Private Weiterbildung<br />

-0.33<br />

Bücher lesen<br />

-0.34<br />

Zusammenleben fördern<br />

Erziehungsziele<br />

-0.41<br />

Verantw ortung vor Gott<br />

-0.7 -0.5 -0.3 -0.1 0.1 0.3 0.5 0.7<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

60


In der Erziehung se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>der legt der ambitionslos-passive, gesellschaftlich<br />

des<strong>in</strong>teressierte Unterhaltungstyp wenig Wert auf e<strong>in</strong>e prosoziale<br />

Haltung.<br />

Weniger als alle anderen Stiltypen erfreut er sich an Karten- <strong>und</strong> Gesellschaftsspielen<br />

im <strong>Familien</strong>kreis. Se<strong>in</strong>e eher ablehnende Haltung gegenüber<br />

e<strong>in</strong>em geselligen Freizeitverhalten zeigt sich unter anderem auch daran, dass<br />

er selten oder nie <strong>in</strong> der Kirche anzutreffen ist. Geme<strong>in</strong>samkeit besteht <strong>in</strong> der<br />

passiven Freizeitgestaltung, ke<strong>in</strong>e Freizeitaktivität wird überdurchschnittlich<br />

häufig ausgeführt.<br />

Ausgesprochen zuwider ist dem ambitionslos-passiven, gesellschaftlich<br />

des<strong>in</strong>teressierten Unterhaltungstyp die Lebensart der kulturell Gebildeten.<br />

Deren Musikgeschmack, Klassik <strong>und</strong> Jazz, sagt ihm nicht zu, Bücherlesen<br />

empf<strong>in</strong>det er als zu anstrengend, erst recht Weiterbildungskurse. Auf Ablehnung<br />

stösst jede Art künstlerischer <strong>und</strong> musischer Tätigkeit. Selten übernimmt<br />

er ehrenamtliche Tätigkeiten <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en, Verbänden oder <strong>in</strong> sozialen<br />

Diensten.<br />

In Distanz setzt sich der ambitionslos-passive, gesellschaftlich distanzierte<br />

Stiltyp zur Hoch- <strong>und</strong> Trivialkultur, nicht aber zu den Zeichen des Spannungssyndroms.<br />

Abgesehen von Verhaltensweisen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellungen, mit<br />

denen er sich von anderen unterscheidet, zeichnen ihn die folgenden Stilelemente<br />

(zu mehr als 50%) aus:<br />

Tabelle 10<br />

Musik- <strong>und</strong> Fernsehgeschmack (gern/sehr gern)<br />

• Pop- <strong>und</strong> Rockmusik (99.2%)<br />

• Nachrichten (74.1%)<br />

• Spielfilme (68.4%)<br />

Freizeitaktivitäten (m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Woche)<br />

• Zeitschriften lesen (77.2%)<br />

• Sich mit dem Computer beschäftigen (71.6%)<br />

• Spazieren gehen (69.9%)<br />

• Schallplatten, CDs, Kassetten hören (62.7%)<br />

• Das Internet oder spezielle Onl<strong>in</strong>e-Dienste nutzen (62.2%)<br />

• Aktive sportliche Betätigung (60.1%)<br />

Erziehungsziele (sehr wichtig)<br />

• Etwas vom Leben haben, das Leben geniessen (60.6%)<br />

Personen im ambitionslos-passiven, gesellschaftlich des<strong>in</strong>tegrierten Milieu<br />

haben zu 48.8% e<strong>in</strong>e Berufslehre abgeschlossen, die sie vor allem für techni-<br />

61


sche (25.3%) <strong>und</strong> landwirtschaftliche (20.9%) Berufe <strong>und</strong> für Büroarbeit<br />

(11.4%) qualifizieren. Die (Ehe-)Partner<strong>in</strong>nen absolvierten zu 62.8% e<strong>in</strong>e<br />

Berufslehre, <strong>in</strong>sbesondere für technische Berufe (21.2%), für ausführende<br />

Tätigkeiten im Büro (29.3%) <strong>und</strong> im Verkauf (27.3%). Knapp die Hälfte der<br />

Haushalte (48.6%) muss mit weniger als Fr. 6000.– im Monat auskommen.<br />

Mehr als bei allen anderen <strong>Lebensstil</strong>typen leben im Haushalt bloss 2 K<strong>in</strong>der<br />

(68.4%). 5.2% der Personen, die den Fragebogen ausfüllten, s<strong>in</strong>d unverheiratet<br />

oder wurden geschieden (9.8%). Noch etwas öfter (7.4%) zogen es Personen<br />

des Selbstverwirklichungsmilieus bis zum Zeitpunkt der Befragung vor,<br />

nicht zu heiraten. Mit dem Selbstverwirklichungstyp (9.3%) teilen ambitionslos<br />

Passive, gesellschaftlich Des<strong>in</strong>tegrierte e<strong>in</strong>e überdurchschnittlich hohe<br />

Scheidungsrate (9.3%).<br />

62


4. Die <strong>Lebensstil</strong>e im Vergleich<br />

Wie eng sich die vorgestellten fünf <strong>Lebensstil</strong>e auf bestimmte Merkmalsgruppen<br />

beziehen, lässt sich mit dem statistischen Verfahren der Korrespondenzanalyse<br />

optisch veranschaulichen. Die Korrespondenzanalyse ist e<strong>in</strong><br />

statistisches Verfahren, dessen wichtigstes Charakteristikum die grafische<br />

Darstellung der Nähe <strong>und</strong> Distanz von Merkmalen zu den ermittelten <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

ist. Mit Hilfe der Korrespondenzanalyse kann gezeigt werden,<br />

<strong>in</strong> welchen Merkmalen sich die <strong>Lebensstil</strong>milieus am stärksten vone<strong>in</strong>ander<br />

unterscheiden oder wo sie e<strong>in</strong>ander ähnlich s<strong>in</strong>d.<br />

Die Ausgangs<strong>in</strong>formationen bilden die Antworten der Befragten zu den<br />

Merkmalen, die den <strong>Lebensstil</strong>porträts zugr<strong>und</strong>e liegen. Beispielsweise sieht<br />

das Verteilungsprofil des Merkmals: „Das Internet oder spezielle Onl<strong>in</strong>e-<br />

Dienste nutzen“ folgendermassen aus: Der Selbstverwirklichungstyp benutzt<br />

zu 74% m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Woche das Internet, der Harmonietyp zu<br />

32.1%, der Integrationstyp zu 56.9%, der Erlebnistyp zu 78.2% <strong>und</strong> der Unterhaltungstyp<br />

zu 62.2%.<br />

Die Korrespondenzanalyse konstruiert nun e<strong>in</strong>en Raum, <strong>in</strong> dem die<br />

Merkmale nach dem Gesichtspunkt von Ähnlichkeit <strong>und</strong> Unähnlichkeit im<br />

Bezug auf die <strong>Lebensstil</strong>typen angeordnet werden. Die beiden Dimensionen,<br />

die den grafischen Darstellungsraum für die <strong>Lebensstil</strong>e entfalten, werden<br />

def<strong>in</strong>iert nach jenen Merkmalen, die am stärksten zur Nähe <strong>und</strong> Distanz zwischen<br />

den <strong>Lebensstil</strong>en beitragen. So lässt sich die relative Position der <strong>Lebensstil</strong>milieus<br />

im Raum des Musikgeschmacks, der Fernsehgewohnheiten,<br />

der Erziehungszielen für die K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> des Freizeitverhaltens bestimmen.<br />

4.1 Musikgeschmack<br />

Die beiden Dimensionen im Schaubild 10 markieren jene Musikarten, die am<br />

markantesten Unterschiede im Musikgeschmack ausdrücken <strong>und</strong> damit E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>und</strong> Ausgrenzung bewirken. Die <strong>Lebensstil</strong>typen siedeln sich nach<br />

ihrem musikalischen Geschmack <strong>in</strong> verschiedenen Quadranten an. Am ehesten<br />

teilen der Erlebnis- <strong>und</strong> Unterhaltungstyp mite<strong>in</strong>ander ihre musikalischen<br />

Neigungen.<br />

Die Dimension 2 im Schaubild 10 spannt sich auf zwischen den Liebhabern<br />

<strong>und</strong> Verächtern des Schlagers <strong>und</strong> der Volksmusik. Die E<strong>in</strong>stellung zum<br />

Schlager <strong>und</strong> zur Volksmusik, der Blas- <strong>und</strong> Marschmusik unterscheidet die<br />

<strong>Lebensstil</strong>typen <strong>in</strong> Bezug auf ihren Musikgeschmack am meisten. Die diesbezüglich<br />

grösste Distanz besteht zwischen den Angehörigen des Selbstverwirklichungstyps<br />

<strong>und</strong> des Harmonietyps. Drückt für den Harmonie- <strong>und</strong><br />

63


etwas weniger für den Integrationstyp der Schlager <strong>und</strong> die Volksmusik se<strong>in</strong><br />

Lebensgefühl aus, w<strong>und</strong>ern sich andere, dass man daran Gefallen f<strong>in</strong>den<br />

kann. Teilen der Unterhaltungs- <strong>und</strong> Erlebnistyp mit dem Selbstverwirklichungstyp<br />

ihre Abneigung gegen die Trivialkultur des Schlagers <strong>und</strong> der<br />

Volksmusik, unterscheiden sie sich von ihm <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>stellung zur Klassik<br />

<strong>und</strong> zum Jazz, - der Unterhaltungs- dabei mehr als der Erlebnistyp.<br />

Die Dimension 1 entfaltet sich zwischen Techno/House <strong>und</strong> Punk/Heavy<br />

Metal am positiven Pol <strong>und</strong> der Ablehnung von Pop- <strong>und</strong> Rockmusik am<br />

negativen Pol auf. Die Ablehnung von Pop- <strong>und</strong> Rockmusik vermischt sich<br />

mit der Vorliebe für Klassik <strong>und</strong> Jazz. Wenig haben Techno/House- <strong>und</strong><br />

Punk/Heavy-Metal-Hörer übrig für Klassik, ebenso wenig e<strong>in</strong>gefleischte<br />

Fre<strong>und</strong>e der Volksmusik <strong>und</strong> des Schlagers. Im Unterschied zum Selbstverwirklichungs-<br />

<strong>und</strong> Integrationstyp bek<strong>und</strong>et der Erlebnistyp grosse Sympathien<br />

für Techno/House <strong>und</strong> Punk/Heavy Metal. Diese Sympathie rückt ihn<br />

<strong>in</strong> die Nähe des Unterhaltungstyps. Werden die beide <strong>Lebensstil</strong>milieus<br />

massgebend vom Spannungsschema (Bewegung, Abwechslung, Aktion)<br />

geprägt - Zeichen dafür s<strong>in</strong>d eben diese Musikstile - , s<strong>in</strong>d im Erlebnismilieus<br />

hochkulturelle E<strong>in</strong>flüsse spürbar <strong>in</strong> dessen gedämpftes Faible für Klassik <strong>und</strong><br />

Jazz. Wer gerne klassische Musik <strong>und</strong> Jazz hört, der bek<strong>und</strong>et grössere Mühe,<br />

Zugang zum Lebensgefühl des Techno/House <strong>und</strong> Punk/Heavy Metal zu<br />

f<strong>in</strong>den als zu dem des Schlagers <strong>und</strong> der Volksmusik.<br />

64


Allgeme<strong>in</strong> bekannt ist, welcher Musikgeschmack zum Kernbereich der<br />

Hochkultur zählt. Nähe <strong>und</strong> Distanz e<strong>in</strong>zelner Menschen zur Hochkultur lässt<br />

sich an ihrer Vorliebe für klassische Musik <strong>und</strong> Jazz ablesen. Klassische<br />

Musik zu hören manifestiert die Zugehörigkeit zur gebildeten Schicht. Mit<br />

den Begriffen Verklärung, Versenkung, Ver<strong>in</strong>nerlichung, Betroffenheit, meditative<br />

Ruhe lässt sich der Genuss anlässlich e<strong>in</strong>es Konzertes für klassische<br />

Musik beschreiben. Der Vergeistigungsanspruch der Hochkultur wird von<br />

allen Musikarten am wirksamsten von der Klassik <strong>und</strong> von Jazz e<strong>in</strong>gelöst.<br />

Der Musikgeschmack der Hochkultur am nächsten steht das Selbstverwirklichungsmilieu,<br />

gefolgt vom Integrationsmilieu. Distanz gegenüber Klassik<br />

<strong>und</strong> Jazz markieren das Harmonie- <strong>und</strong> Unterhaltungsmilieu.<br />

Gehen das Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> Erlebnismilieu deutlich auf Distanz<br />

zur Trivialkultur des Schlagers <strong>und</strong> der Volksmusik, vermischen sich<br />

Hoch- <strong>und</strong> Trivialästhetik im Integrationsmilieu. Milieuübergreifend Anklang<br />

f<strong>in</strong>det am ehesten die Pop- <strong>und</strong> Rockmusik. An den musikalischen<br />

Vorlieben von Jugendlichen: Techno <strong>und</strong> House, Punk <strong>und</strong> Heavy Metal,<br />

auch Pop- <strong>und</strong> Rockmusik, f<strong>in</strong>den die Angehörigen des Integrations- <strong>und</strong><br />

Harmoniemilieus am wenigsten Gefallen.<br />

4.2 Fernseh<strong>in</strong>teresse<br />

Fernsehen zählt zu den häufigsten <strong>und</strong> beliebtesten Freizeitaktivitäten. Fernsehen,<br />

Radio hören <strong>und</strong> Zeitung lesen s<strong>in</strong>d nach der Sozialforschungs-<br />

Datenbank UNIVOX (2004) die drei am häufigsten ausgeübten Freizeitbeschäftigungen<br />

der Schweizer Bevölkerung. Fernsehen liegt dabei an der Spitze.<br />

80% der Befragten Schweizer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schweizer sehen fast täglich<br />

m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e fern <strong>und</strong> weitere 16% m<strong>in</strong>destens wöchentlich (Gurtner,<br />

Müller 2005).<br />

Fernsehgeräte gibt es nahezu <strong>in</strong> allen Haushalten. Den Bewohnern steht<br />

e<strong>in</strong>e mehr oder weniger grosse Programmvielfalt zur Verfügung. Der alltagskulturelle<br />

Geschmack kann deshalb besonders differenziert erfasst werden.<br />

Der Fernsehgeschmack wird im Schaubild 11 unterschieden entlang der<br />

Koord<strong>in</strong>aten Unterhaltung <strong>in</strong> Form von Shows, Actionfilmen, <strong>Familien</strong>serien<br />

(Dimension 2) <strong>und</strong> dem Interesse für politische <strong>und</strong> kulturelle Sendungen<br />

(Dimension 1).<br />

Der Selbstverwirklichungstyp auf der e<strong>in</strong>en <strong>und</strong> der Harmonie- <strong>und</strong> Unterhaltungstyp<br />

auf der anderen Seite dürften sich nicht e<strong>in</strong>ig werden, welche<br />

Sendung sie im Fernsehen geme<strong>in</strong>sam anschauen wollen: Zu sehr unterscheiden<br />

sie sich <strong>in</strong> ihrem Geschmack. Entscheidet sich der Selbstverwirklichungstyp<br />

dezidiert gegen Unterhaltungssendungen <strong>und</strong> für politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> Kultursendungen, sieht sich der Harmonie- <strong>und</strong> Unterhaltungstyp<br />

65


gerne Shows, Spielfilme <strong>und</strong> Daily Soaps an. Politische Magaz<strong>in</strong>e oder Kultursendungen<br />

langweilen sie. Mit dem Harmonie- <strong>und</strong> dem Unterhaltunstyp<br />

teilt der Erlebnistyp das Interesse an Shows <strong>und</strong> Unterhaltungsfilmen. Er<br />

kann sich aber mit dem Selbstverwirklichungstyp e<strong>in</strong>igen, geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong><br />

politisches Magaz<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>e Kunst- oder Kultursendung anzusehen. Der<br />

Integrationstyp teilt mit dem Selbstverwirklichungstyp die Abneigung gegenüber<br />

dem Unterhaltungsangebot des Fernsehens <strong>und</strong> verhält sich gegenüber<br />

dessen Kultur- <strong>und</strong> Politsendungen ambivalent.<br />

Wie beim Musikgeschmack situieren sich auch <strong>in</strong> Bezug auf den Fernsehkonsum<br />

die Milieutypen <strong>in</strong> allen vier Feldern, die jeweils durch die zwei<br />

Achsen erstellt werden, die am stärksten Nähe <strong>und</strong> Distanz zwischen den<br />

<strong>Lebensstil</strong>milieus markieren. Dies zeigt, dass e<strong>in</strong>zelne <strong>Lebensstil</strong>typen e<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> ihrem Musikgeschmack <strong>und</strong> ihren Fernseh<strong>in</strong>teressen e<strong>in</strong>ander ähnlich<br />

se<strong>in</strong> können, aber sich gleichzeitig auch deutlich vone<strong>in</strong>ander unterscheiden.<br />

Sitzen öfter mal der Harmonie- <strong>und</strong> Unterhaltungstyp geme<strong>in</strong>sam<br />

66


vor dem Fernseher, treffen der Unterhaltungs- <strong>und</strong> Erlebnistyp aufe<strong>in</strong>ander<br />

bei Openairs. Hier werden sich der Harmonie- <strong>und</strong> Integrationstyp kaum<br />

sehen lassen, gelegentlich vielleicht der Selbstverwirklichungstyp.<br />

4.3 Freizeitaktivitäten<br />

In unserer Untersuchung haben wir es mehrheitlich mit <strong>jungen</strong> Menschen zu<br />

tun, denen geme<strong>in</strong>sam ist, für e<strong>in</strong> oder mehrere K<strong>in</strong>der verantwortlich zu<br />

se<strong>in</strong>. Der Umstand, als Eltern <strong>in</strong> Pflicht genommen zu se<strong>in</strong>, schränkt das<br />

Spektrum der Freizeitaktivitäten e<strong>in</strong>.<br />

Nach Gerhard Schulze ist das Lebensalter neben dem Bildungsgrad dasjenige<br />

Merkmal, das die trennschärfsten Grenzl<strong>in</strong>ien zwischen den <strong>Lebensstil</strong>milieus<br />

zieht. Wie jemand se<strong>in</strong>e Freizeit gestaltet, hängt wesentlich vom<br />

Alter e<strong>in</strong>er Person ab. Erlebnisbedürfnisse <strong>und</strong> Erlebnismuster verändern sich<br />

mit dem Alter. Das steigende Bedürfnis nach Ordnung, Ruhe, Harmonie <strong>und</strong><br />

Tradition im Alltag bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Freizeitverhalten.<br />

Lebenszyklische Veränderungen der Alltagsästhetik bestimmen die Vorlieben<br />

<strong>in</strong> der Freizeit.<br />

Auch wenn Gerhard Schulze dem Alter e<strong>in</strong>e harmonisierende Wirkung <strong>in</strong><br />

der ästhetischen Stilisierung des Lebens zuspricht, lassen sich je nach bevorzugtem<br />

<strong>Lebensstil</strong> unter den von uns befragten <strong>jungen</strong> Eltern beachtliche<br />

Unterschiede <strong>in</strong> der Ausgestaltung der Freizeit ausmachen. Im Vergleich der<br />

Mitteilwerte erzeugen die folgenden Freizeitaktivitäten die markantesten<br />

Unterschiede zwischen den <strong>Lebensstil</strong>en (Punktedifferenz zwischen dem<br />

höchsten <strong>und</strong> niedrigsten Wert):<br />

Tabelle 11<br />

• Das Internet nutzen 1.39<br />

• Künstlerische <strong>und</strong> musische Tätigkeiten 1.37<br />

• Ehrenamtliche Tätigkeiten 1.21<br />

• Besuch von Sportveranstaltungen 1.18<br />

• Sich mit dem Computer beschäftigen 1.17<br />

• Kirchgang, Besuch von religiösen Anlässen 1.11<br />

• Bücher lesen .98<br />

• Sich privat weiterbilden .90<br />

Ausser ‚Sportveranstaltungen besuchen’, ‚ehrenamtliche Tätigkeiten’ <strong>und</strong><br />

‚Kirchgang/Besuch von religiösen Anlässen’ handelt es sich um hochkulturelle<br />

Aktivitäten, die vorzugsweise den Charakter des Selbstverwirklichungs<strong>und</strong><br />

Erlebnismilieus prägen.<br />

Aus Gründen der Übersichtlichkeit s<strong>in</strong>d die 24 abgefragten Freizeitaktivitäten<br />

auf zwei korrespondenzanalytisch erstellten Grafiken abgebildet. In der<br />

67


ersten Grafik versammeln sich jene Freizeitaktivitäten mit der grössten Mittelwertdifferenz<br />

zwischen den <strong>Lebensstil</strong>en, <strong>in</strong> der zweiten jene, die weniger<br />

zu Unterschieden zwischen den <strong>Lebensstil</strong>en beitragen.<br />

E<strong>in</strong> flüchtiger Blick auf die beiden Schaubilder 12 <strong>und</strong> 13 führt vor Augen,<br />

dass sich <strong>in</strong> den Koord<strong>in</strong>atennetzen auf der e<strong>in</strong>en Seite das Selbstverwirklichungs-<br />

<strong>und</strong> Erlebnismilieu ansiedeln <strong>und</strong> auf der anderen Seite das<br />

Integrations-, Harmonie- <strong>und</strong> Unterhaltungsmilieu. Die Distanzen zwischen<br />

den grossen Punkten für die <strong>Lebensstil</strong>typen br<strong>in</strong>gen zum Ausdruck, wie<br />

unterschiedlich die Prioritäten heute <strong>in</strong> der Freizeitgestaltung gesetzt werden.<br />

Die Anordnung der Freizeitaktivitäten <strong>in</strong> ihren Bezügen zu den <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

bestimmen <strong>in</strong> Grafik 12 horizontal die Komponenten: schwache<br />

Computer- <strong>und</strong> Internetnutzung auf der rechten <strong>und</strong> Yoga/Meditation, aktive<br />

Weiterbildung, regelmässige Benutzung des Computers <strong>und</strong> des Internets,<br />

Faulenzen auf der l<strong>in</strong>ken Seite.<br />

Der Kirchgang schafft <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Differenzen auf der vertikalen Achse.<br />

Mitgeprägt wird die Koord<strong>in</strong>ate auf der positiven Seite neben schwachem<br />

Kirchgang durch ger<strong>in</strong>ges Interesse an ehrenamtlichem Engagement zugunsten<br />

des Geme<strong>in</strong>wohls. Auf der vertikalen Achse stehen der Integrations- <strong>und</strong><br />

68


Unterhaltungstyp e<strong>in</strong>ander diametral gegenüber. Zwischen ihnen besteht die<br />

grösste Distanz <strong>in</strong> den aufgeführten Freizeitaktivitäten. Der Integrationstyp<br />

steht zu allen anderen <strong>Lebensstil</strong>milieus <strong>in</strong> deutlicher Entfernung.<br />

Nahe dem Unterhaltungs- <strong>und</strong> Harmonietyp situieren sich Menschen, die<br />

<strong>in</strong> mancher H<strong>in</strong>sicht wenig Elan <strong>in</strong> der Gestaltung der Freizeit entwickeln.<br />

Die Zahl 1 neben dem Symbol für e<strong>in</strong>e bestimmten Freizeitaktivität bedeutet,<br />

dass sie selten oder überhaupt nicht ausgeführt wird. Dagegen zeigt die Zahl<br />

3 e<strong>in</strong>e hohe Aktivität an: Sie f<strong>in</strong>det sich besonders oft bei Freizeitbeschäftigungen<br />

des Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> des Erlebnistyps. E<strong>in</strong> mittleres Aktivitätsniveau<br />

<strong>in</strong> der Freizeit kennzeichnet tendenziell den Integrationstyp.<br />

Sehr am Herzen liegt ihm bloss der Kirchgang.<br />

Hochkulturelle Freizeitbeschäftigung <strong>und</strong> die Nutzung von Computer <strong>und</strong><br />

Internet scheiden den Unterhaltungs- <strong>und</strong> Harmonietyp auf der e<strong>in</strong>en vom<br />

Erlebnis- <strong>und</strong> Selbstverwirklichungstyp auf der anderen Seite. Dem ästhetischen<br />

Anspruch auf hochkulturelle Freizeitaktivitäten steht die vergnügungsorientierte<br />

Anspruchslosigkeit gegenüber.<br />

Angehörige des Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> Erlebnistyps teilen zwar über<br />

weite Strecken hochkulturelle Freizeit<strong>in</strong>teressen mite<strong>in</strong>ander, doch statt sich<br />

wie im Selbstverwirklichungsmilieu künstlerischen <strong>und</strong> musischen Tätigkeiten<br />

zu widmen, besucht der Erlebnistyp lieber Sportveranstaltungen <strong>und</strong> trifft<br />

sich auswärts mit anderen zum Essen <strong>und</strong> Tr<strong>in</strong>ken. Diese Neigung teilt er mit<br />

Angehörigen des Unterhaltungsmilieus, die sich ihrerseits mit dieser Vorliebe<br />

vorab vom Harmoniemilieu absetzen, das am wenigsten Sympathie aufbr<strong>in</strong>gt<br />

für die Freizeitpräferenzen im Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> Erlebnismilieu. In<br />

Bezug auf die private Bildung <strong>und</strong> Nutzung des Computers nimmt der Integrationstyp<br />

e<strong>in</strong>e Mittelposition e<strong>in</strong>.<br />

Die Ansammlung von schwach ausgeprägten Freizeit<strong>in</strong>teressen beim Unterhaltungs-<br />

<strong>und</strong> Harmoniemilieu lässt vermuten, dass diese Milieus den<br />

Möglichkeiten unserer Gesellschaft tendenziell apathisch oder - mangels<br />

kultureller, sozialer <strong>und</strong> materieller Ressourcen - hilflos gegenüber stehen.<br />

Ihr Habitus der Notwendigkeit (Vester 2001, 48ff.) erschwert es ihnen, ihre<br />

Aspiration auf e<strong>in</strong> schönes Leben umzusetzen.<br />

Im Gegensatz zum Integrationstyp haben Mitglieder des Unterhaltungstyps<br />

wenig übrig für familiäre Geselligkeit wie auch für die Kontaktpflege im<br />

Kreis der Verwandten <strong>und</strong> Bekannten. Der Unterhaltungstyp verfügt lediglich<br />

über e<strong>in</strong> rudimentär entwickeltes Sozialnetz. Geselligkeit wird im Unterhaltungsmilieu<br />

nicht als e<strong>in</strong>e wichtige Fähigkeit erachtet <strong>und</strong> damit auch<br />

nicht als wichtiger Aspekt der eigenen Lebensführung verstanden. Im Gegenteil:<br />

Die soziale Kompetenz zählt nicht zu den geschätzten Eigenschaften im<br />

Unterhaltungsmilieu.<br />

69


Etwas ger<strong>in</strong>ger scheiden <strong>in</strong> der zweiten Grafik (Schaubild 13) die Freizeitaktivitäten<br />

die <strong>Lebensstil</strong>typen vone<strong>in</strong>ander. Dies erstaunt nicht, handelt es sich<br />

doch um Gestaltungselemente der Freizeit mit schwacher stilbildender Wirkung.<br />

Dennoch vermögen sie deutliche Distanzen zwischen den <strong>Lebensstil</strong>en<br />

zu schaffen. Das zweite Koord<strong>in</strong>atensystem entfaltet sich entlang der vertikalen<br />

Achse mit den familienorientierten Freizeitbeschäftigungen: Heimwerken,<br />

Karten- <strong>und</strong> Familiespiele, Verwandtenbesuche. Der Selbstverwirklichungstyp<br />

vermag e<strong>in</strong>er familienzentrierten Lebensweise bedeutend weniger<br />

abzugew<strong>in</strong>nen als der Integrations- <strong>und</strong> Harmonietyp. Er setzt sich von allen<br />

<strong>Lebensstil</strong>typen tendenziell am stärksten ab von den <strong>in</strong> dieser Grafik genannten<br />

Freizeit<strong>in</strong>teressen. Se<strong>in</strong>e bevorzugten Freizeitpräferenzen werden <strong>in</strong> der<br />

ersten Grafik thematisiert.<br />

Der K<strong>in</strong>obesuch, der Besuch von Pop- oder Jazzkonzerten, von Tanzveranstaltungen<br />

<strong>und</strong> Discos wie auch der Besuch von Veranstaltungen wie Oper,<br />

klassische Konzerte, Theater <strong>und</strong> Ausstellungen verläuft <strong>in</strong> der vertikalen<br />

Dimension gegenläufig zu den familienzentrierten Freizeitbeschäftigungen.<br />

Gleichzeitig gehen diese Freizeit<strong>in</strong>teressen auf der horizontalen Achse e<strong>in</strong>her<br />

mit Beteiligung an der Politik, mit Ausflügen <strong>und</strong> kurzen Reisen, Besuchen<br />

von Bekannten.<br />

70


Für den Erlebnistyp ist die Freizeit das bevorzugte Terra<strong>in</strong>, um sich voll<br />

zur Entfaltung zu br<strong>in</strong>gen. In der zweiten Grafik zählen dazu auch die Beteiligung<br />

an Parteien, an der Kommunalpolitik, Ausflüge <strong>und</strong> kurze Reisen,<br />

Besuche bei Verwandten <strong>und</strong> Bekannten. Bei der Hälfte der befragten Freizeitaktivitäten<br />

erreicht der Erlebnistyp die höchsten Zustimmungswerte.<br />

Spannung <strong>und</strong> Abwechslung prägen nachhaltig das Lebensgefühl des Erlebnistyps.<br />

Das Bewusstse<strong>in</strong>, der eigenen Ges<strong>und</strong>heit Sorge tragen zu müssen, kennt<br />

ke<strong>in</strong>e Milieugrenzen <strong>und</strong> animiert die <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong>, aktiv Sport zu treiben,<br />

spazieren zu gehen <strong>und</strong> zu wandern.<br />

4.4 Erziehungsziele<br />

E<strong>in</strong> kurzer Blick auf das Schaubild 14 vermittelt den E<strong>in</strong>druck, dass sich im<br />

Profil ihrer Erziehungsziele die Milieutypen nicht sonderlich vone<strong>in</strong>ander<br />

unterscheiden. Im alltagsästhetischen Geschmack werden deutlichere Unterschiede<br />

sichtbar als bei den Werten, die den K<strong>in</strong>dern vermittelt werden sollen.<br />

Vertreten alle <strong>Lebensstil</strong>typen gr<strong>und</strong>sätzlich ähnliche Intentionen, wie sie<br />

ihre K<strong>in</strong>der erziehen wollen, so unterscheiden sie sich doch jeweils <strong>in</strong> der<br />

Bedeutung, die sie den betreffenden Erziehungszielen beimessen. Bei der<br />

schmalen Skalenbreite von 1 bis 4 weisen auch bescheidene Differenzen auf<br />

relevante Unterschiede im Erziehungsstil h<strong>in</strong>.<br />

Was bei K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Anbetracht der gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

besonders zu fördern ist, darüber machen sich seit jeher landauf landab Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Erzieher Gedanken. Pädagogen treten <strong>in</strong> Talkshows auf <strong>und</strong><br />

schreiben darüber Kolumnen <strong>in</strong> den Zeitungen. Die heutige Jugendgewalt<br />

verleiht der Diskussion um Erziehungsziele e<strong>in</strong>en zusätzlichen Schub.<br />

Die öffentliche Diskussion hat die Werteerziehung wiederentdeckt. Im<br />

Zentrum steht die Frage, wie junge Menschen auf das Leben <strong>in</strong> der gegenwärtigen<br />

Gesellschaft vorbereitet werden sollen. Eltern fragen sich, ob sie<br />

alles richtig machen. Es gibt e<strong>in</strong>e grosse Erziehungsunsicherheit. Durch die<br />

Brüchigkeit der Beziehungen sowie den Verlust von Traditionen <strong>und</strong> religiösen<br />

B<strong>in</strong>dungen ist es für Eltern schwieriger geworden, die Aufgaben im Erziehungsalltag<br />

kompetent zu bewältigen. Der gesellschaftliche Wandel geht<br />

nicht spurlos an der Erziehung vorbei.<br />

In der Öffentlichkeit wird zunehmend gefordert, dass das Elternhaus <strong>und</strong><br />

die Schule ihre Erziehungsaufgaben konsequent wahrnehmen. Notwendig sei<br />

es, e<strong>in</strong>e gesellschaftliche E<strong>in</strong>igung über Werte <strong>und</strong> Ziele <strong>in</strong> der Erziehung zu<br />

erreichen. Die Öffentlichkeit könne sich nicht heraushalten, wenn es zu klären<br />

gelte, welche Werte <strong>und</strong> Ziele der nachkommenden Generation vermittelt<br />

werden sollten. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, welche Werte <strong>in</strong><br />

71


Familie <strong>und</strong> Schule gelebt <strong>und</strong> zugr<strong>und</strong>e gelegt werden müssten, damit e<strong>in</strong><br />

gedeihliches Mite<strong>in</strong>ander sowohl hier <strong>und</strong> heute als auch <strong>in</strong> der Zukunft, <strong>in</strong><br />

der die <strong>jungen</strong> Menschen die Gestalter der Gesellschaft se<strong>in</strong> werden, stattf<strong>in</strong>den<br />

kann.<br />

Erziehungsziele nach <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

nicht wichtig<br />

Schaubild 14<br />

sehr wichtig<br />

3<br />

2.5<br />

2<br />

1.5<br />

1<br />

E<strong>in</strong> abwechslungsreiches<br />

Leben führen<br />

Das Leben geniessen<br />

In Verantwortung vor<br />

Gott leben<br />

Es im Leben zu etwas<br />

br<strong>in</strong>gen<br />

E<strong>in</strong> pflichtbewusstes<br />

Leben führen<br />

Stets hilfsbereit se<strong>in</strong><br />

Traditionen wahren<br />

E<strong>in</strong>e gute<br />

gesellschaftliche Position<br />

errreichen<br />

In geordneten<br />

Verhältnissen leben<br />

Sich selbst im Leben<br />

verwirklichen<br />

Das menschliche<br />

Zusammenleben fördern<br />

Mittelwerte<br />

Erlebnistyp<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

Harmonietyp<br />

Integrations-typ<br />

Unterhaltungs-typ<br />

72


Die öffentlichen Diskussionen über jene Werte <strong>und</strong> Erziehungsziele, die<br />

geeignet wären, die Jugendlichen zu sozial verantwortlichen Menschen zu<br />

erziehen, sche<strong>in</strong>en die Leitvorstellungen der <strong>Lebensstil</strong>milieus <strong>in</strong> Bezug auf<br />

die K<strong>in</strong>dererziehung e<strong>in</strong>ander anzunähern. Der Integrationstyp schert aus <strong>in</strong><br />

der Ablehnung von Genuss, Abwechslung <strong>und</strong> Selbstverwirklichung als<br />

Erziehungsziele, der Selbstverwirklichungstyp <strong>in</strong> der Ablehnung von Ordnung,<br />

Tradition <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft. Indem sie ‚<strong>in</strong> Verantwortung vor Gott<br />

leben’ als erstrebenswertes Ziel <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dererziehung erachten, grenzen<br />

sich der Integrations- <strong>und</strong> Harmonietyp von allen anderen ab. Der Harmonie-,<br />

Erlebnis- <strong>und</strong> Unterhaltungstyp verfolgen am ehesten ähnliche Erziehungsstile<br />

<strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dererziehung.<br />

Entlang der vertikalen Achse steht das Integrationsmilieu dem Erlebnis-,<br />

Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> Unterhaltungsmilieu gegenüber. Gegenläufige<br />

Erziehungsvorstellungen trennen diese sozialen Milieus. Die Verantwortung<br />

73


vor Gott verträgt sich nicht mit Lebensgenuss. Wer se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der zur Verantwortung<br />

vor Gott erziehen will, kann sie nicht gleichzeitig zu e<strong>in</strong>em lustvollen<br />

<strong>und</strong> abwechslungsreichen Leben ermuntern. Bis heute wirkt die über<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte verkündete Lehre im Christentum nach, dass sich e<strong>in</strong> Leben für<br />

Gott nicht mit e<strong>in</strong>em eigenen, lusterfüllten Leben vere<strong>in</strong>baren lässt. E<strong>in</strong> von<br />

diesseitigen Wünschen bestimmtes Leben wurde als Gottlosigkeit verabscheut<br />

<strong>und</strong> als Sünde gebranntmarkt. Bereits <strong>in</strong> der Schöpfungsgeschichte ist<br />

e<strong>in</strong> Konflikt zwischen Gott <strong>und</strong> dem dem eigenen Willen folgenden, lustsuchenden<br />

Menschen angelegt. Nur der se<strong>in</strong>e Natur verleugnende, se<strong>in</strong>en Eigenwillen<br />

unterdrückende Mensch f<strong>in</strong>det Gottes Gefallen: „Gott bekommt<br />

das Leben selbst, das eigene Leben vor die Füsse gelegt.“ (Schulze 2006,<br />

123) E<strong>in</strong> lustfe<strong>in</strong>dliches Leben galt als gottgefällig.<br />

Während die Mehrzahl der <strong>jungen</strong> Väter <strong>und</strong> Mütter darum bemüht s<strong>in</strong>d,<br />

den gesellschaftlichen Erwartungen an sie zu entsprechen, nämlich Erfolg im<br />

Leben zu haben, es im Leben zu etwas zu br<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>e gute gesellschaftliche<br />

Position zu erreichen <strong>und</strong> diese Werte auch an ihre K<strong>in</strong>der weitervermitteln<br />

wollen, können es sich Angehörige des Selbstverwirklichungsmilieus leisten,<br />

sich nicht nach den geltenden gesellschaftlichen Regeln <strong>und</strong> Normen richten<br />

zu müssen. Aufgr<strong>und</strong> ihrer materiellen Sicherheit können sie sich mehr als<br />

andere unkonventionelles Verhalten erlauben. Die Mittelschicht verb<strong>in</strong>det<br />

Menschen, die <strong>in</strong> ihrem Leben nach materieller Sicherheit <strong>und</strong> sozialer Anerkennung<br />

streben, wozu Normkonformität wesentlich mithilft, diese Ziele zu<br />

erreichen. Im <strong>Lebensstil</strong> des Harmonie-, Integrations- <strong>und</strong> Erlebnismilieus<br />

verbirgt sich e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer Habitus des Strebens. „Für die mittleren Milieus s<strong>in</strong>d<br />

geordnete <strong>und</strong> stetige Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse sehr wichtig, ver<strong>in</strong>nerlicht<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Leistungs- <strong>und</strong> Pflichtethik“ (Vögele u.a. 2002, 95).<br />

74


5. Situierung der <strong>Lebensstil</strong>e im sozialen Raum<br />

E<strong>in</strong> weiterer Schritt zu e<strong>in</strong>er lebensnahen Beschreibung der <strong>Lebensstil</strong>gruppen<br />

ist deren Abbildung im sozialen Raum. In Anlehnung an die Arbeiten<br />

von Pierre Bourdieu (1982, 211ff.) spannt sich der soziale Raum nach den<br />

typenbildenden <strong>Lebensstil</strong>analysen von Michael Vester <strong>und</strong> den Milieustudien<br />

der S<strong>in</strong>us-Sociovision (2005) nach drei Achsen räumlich auf.<br />

Die vertikale Achse bezeichnet die Teilnahme an der Herrschaft. Die Position<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Lebensstil</strong>typs im sozialen Raum hat e<strong>in</strong>e ökonomische Dimension:<br />

nach oben h<strong>in</strong> mehr Macht, Entscheidung, soziale Sicherheit. In der<br />

vertikalen Struktur wird der soziale Raum gegliedert durch zwei markante<br />

Trennl<strong>in</strong>ien. Die erste, die Grenze die Dist<strong>in</strong>ktion, trennt die oberen von den<br />

mittleren <strong>Lebensstil</strong>gruppen ab <strong>und</strong> zieht e<strong>in</strong>e Trennl<strong>in</strong>ie zwischen den fe<strong>in</strong>en<br />

<strong>und</strong> den gewöhnlichen Leuten. Die zweite, die Grenze der Respektabilität,<br />

trennt die mittleren von den unteren Milieus. Das obere Milieu, das im Bereich<br />

der höheren Kultur <strong>und</strong> der höheren Machtpositionen angesiedelt ist,<br />

hebt sich deutlich von den Milieus der unteren Volksklassen ab. Man lebt<br />

exklusiv, es gibt wenig Berührungspunkte im Alltag <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Freizeit. Aus<br />

der Sicht der unteren Milieus wiederum werden die oberen Milieus nicht<br />

selten als dünkelhaft, e<strong>in</strong>gebildet oder, wenn sie Macht ausüben, als rücksichtslos<br />

bezeichnet.<br />

Die mittleren <strong>und</strong> unteren Milieus teilen sich an der Grenze der Respektabilität.<br />

Für die mittleren Milieus s<strong>in</strong>d geordnete <strong>und</strong> stetige Arbeits- <strong>und</strong><br />

Lebensverhältnisse sehr wichtig, ver<strong>in</strong>nerlicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Leistungs<strong>und</strong><br />

Pflichtethik. Es kommt darauf an, e<strong>in</strong>e beständige, gesicherte <strong>und</strong> anerkannte<br />

soziale Stellung e<strong>in</strong>zunehmen, die durch Leistung <strong>und</strong> Loyalität verdient<br />

wird. Den unteren Milieus wird als Charaktermangel vorgehalten, dass<br />

sie eher unstetigen <strong>und</strong> unsicheren Beschäftigungen nachgehen, wenig Zuverlässigkeit<br />

<strong>und</strong> Bildungsstreben zeigen <strong>und</strong> eher auf günstige Gelegenheiten<br />

als auf eigenes planmässiges Schaffen setzen. Die unteren Milieus versuchen<br />

e<strong>in</strong>erseits, durch Anlehnung an höhere Milieus soziale Anerkennung zu<br />

gew<strong>in</strong>nen. Andererseits werten sie ihre gesellschaftlich wenig respektierten<br />

Eigenarten teilweise positiv: ihre Fähigkeit zur Spontaneität <strong>und</strong> Improvisation,<br />

ihre Flexibilität bei der Suche nach Gelegenheiten, ihr Gefühl für herzliche<br />

menschliche Beziehungen, ihr körperliches <strong>und</strong> sportliches Können <strong>und</strong><br />

ihre Fähigkeit, mit chaotischen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Schicksalsschlägen umzugehen.<br />

Je höher e<strong>in</strong> Mensch soziale Rangunterschiede betont <strong>und</strong> das Anspruchsvolle<br />

schätzt, desto näher ist er dem oberen, dem ‚elitären’ Pol des<br />

Sozialraumes, auch wenn er dabei dezent auftritt oder gar dementiert, dass er<br />

75


es tue. Im Mittelfeld f<strong>in</strong>den sich jene Mentalitäten, die dem Vorbild prestigereicher<br />

Kultur- <strong>und</strong> Konsumgüter nacheifern, unten primär jene, die solches<br />

Streben verpönen <strong>und</strong> eher auf nützliche D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> verlässliche Beziehungen<br />

setzen. Die Mittelschicht mit ihrer Strebsamkeit <strong>und</strong> dem Wunsch, dazuzugehören,<br />

unterscheidet sich von der Mentalität der Unterschicht, die sich der<br />

Diszipl<strong>in</strong> der Notwendigkeit fügt, aber auch die Chancen des Genusses <strong>und</strong><br />

Geselligkeit nutzt.<br />

In unserer Studie s<strong>in</strong>d das <strong>Familien</strong>e<strong>in</strong>kommen, die zuletzt abgeschlossene<br />

Bildungsstufe <strong>und</strong> der Beruf des Haushaltvorstandes nach der ISOP 88-<br />

Skala die Merkmale zur Kategorisierung der Bevölkerung nach Schichtzugehörigkeit.<br />

Anhand dieser Merkmale lassen sich die <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> auf e<strong>in</strong>er<br />

Achse von ‚oben’ <strong>und</strong> ‚unten’ e<strong>in</strong>ordnen. Die berufliche Stellung ist der ausschlaggebende<br />

Faktor für die Lebenschancen <strong>und</strong> das Prestige <strong>in</strong> unserer<br />

Gesellschaft. E<strong>in</strong>kommensangaben werden berücksichtigt, weil sie über die<br />

Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe <strong>und</strong> Partizipation am Wohlstand<br />

<strong>in</strong>formieren. Bildung ist die entscheidende Grösse für die im Berufsleben<br />

erreichbare Position.<br />

Neben dem Fortwirken alter Klassenstrukturen gewann <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahrzehnten e<strong>in</strong>e zweite, horizontale Achse an Bedeutung für das Alltagshandeln<br />

der Menschen: der Modernisierungsgrad der Lebensführung. Weniger<br />

als noch vor Jahrzehnten bestimmt heute die Zugehörigkeit von Menschen zu<br />

sozialen Schichten <strong>und</strong> Klassen das konkrete Handeln <strong>und</strong> die Wertorientierung.<br />

Sie können auf der Basis objektiv sehr ähnlich Lebensstandards unterschiedliche<br />

Lebensziele <strong>und</strong> Lebensformen verwirklichen.<br />

Wie weit heute noch Klassenzugehörigkeiten die moderne Lebensart prägen,<br />

darüber gehen die Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> der <strong>Lebensstil</strong>forschung weit ause<strong>in</strong>ander.<br />

Auf der e<strong>in</strong>en Seite steht Pierre Bourdieu, der mit se<strong>in</strong>en Studien von<br />

e<strong>in</strong>em systematischen Zusammenhang zwischen Klassenstrukturen <strong>und</strong> kultureller<br />

Praxis (<strong>Lebensstil</strong>) ausgeht. <strong>Lebensstil</strong>e <strong>in</strong>terpretiert er als Ersche<strong>in</strong>ungs-<br />

<strong>und</strong> Reproduktionsmuster struktureller sozialer Ungleichheit. Als e<strong>in</strong><br />

Produkt der „Dialektik von sozialer Lage <strong>und</strong> Habitus“ (Bourdieu 1982, 92)<br />

s<strong>in</strong>d sie nach dem ökonomischen, kulturellen <strong>und</strong> sozialen Kapitalvolumen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em entsprechenden Klassenhabitus <strong>in</strong> der Gesellschaft verortbar.<br />

In Absetzung von Bourdieu sprechen <strong>in</strong> der deutschen Sozialstrukturforschung<br />

seit Beg<strong>in</strong>n der 80er Jahre etliche Autoren davon, dass Klassen- <strong>und</strong><br />

Schichtmodelle nicht mehr zur Beschreibung der Gesellschaft taugen. Die<br />

drei klassischen vertikalen Ungleichheitsmerkmale: Bildung, berufliche Position<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen, seien immer weniger bestimmend für das <strong>in</strong>dividuelle<br />

Verhalten.<br />

Nach Gerhard Schulze (1992), wie unter anderem auch nach Karl Hörn<strong>in</strong>g,<br />

Daniela Ahrens, Annette Gerhard (1996), formen <strong>und</strong> produzieren sich<br />

76


<strong>Lebensstil</strong>e selbst im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Entkoppelung von Subjektivität <strong>und</strong> objektiven<br />

Strukturen. Ähnliche Vorstellungen verfolgen Helmut Berk<strong>in</strong>g <strong>und</strong><br />

Sighard Neckel (1990) mit dem Konzept der „nachtraditionalen Geme<strong>in</strong>schaftsbildung“<br />

sowie Roland Hitzler mit dem Begriff des „Existenzbastlers“<br />

(Hitzler 1999). Nach ihnen löst sich die alte Klassengesellschaft auf <strong>und</strong> die<br />

sozialen Zusammenhänge werden <strong>in</strong> freien Schöpfungsakten der Individuen<br />

autonom konstituiert, bestimmt von der Eigenständigkeit des <strong>in</strong>dividuellen<br />

Geschmacks.<br />

Die mehr oder m<strong>in</strong>der vorgegebenen äusseren Spielräume der Lebenschancen<br />

s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e determ<strong>in</strong>ierenden Bestimmungsgründe von Denken <strong>und</strong><br />

Handeln mehr, sondern müssen nach Michael Vesters Modell „der pluralistischen<br />

Klassengesellschaft“ (Vester 1994, 131) als Lernaufforderungen verstanden<br />

werden, die von den Menschen auf verschiedene Weise verarbeitet<br />

werden.<br />

Im Blick auf die von uns befragten <strong>jungen</strong> Eltern gehen wir davon aus,<br />

dass weder von e<strong>in</strong>er strikten Strukturdeterm<strong>in</strong>iertheit noch von e<strong>in</strong>er freien<br />

Gestaltbarkeit der <strong>Lebensstil</strong>e gesprochen werden kann. Subjektive Gestaltungsspielräume<br />

s<strong>in</strong>d gegeben, doch bewegen sich diese <strong>in</strong>nerhalb der Bahnen,<br />

die durch die Ressourcen <strong>und</strong> Restriktionen der objektiven sozialen<br />

Lage vorgezeichnet werden.<br />

Den sozial-kulturellen Gestaltungsraum repräsentiert die horizontale Achse<br />

des sozialen Raumes. Im Zusammenhang der gesamtgesellschaftlichen<br />

Entwicklung bildet die horizontale Achse die Dynamik der Modernisierung<br />

ab. E<strong>in</strong>e Modernisierungsdimension <strong>in</strong> der Konstruktion des sozialen Raumes<br />

verwenden nahezu alle Studien, die <strong>in</strong> ihrer <strong>Lebensstil</strong>typologie auf Mentalitätsunterschiede<br />

<strong>und</strong> Wertorientierungen setzten. Den traditionalen Pflicht<strong>und</strong><br />

Akzeptanzwerten werden moderne Selbstentfaltungs- <strong>und</strong> Genusswerte<br />

gegenüber gestellt. Nach dem <strong>Lebensstil</strong>modell der Forschungsgruppe um<br />

Michael Vester (Vester 2001, 29) lässt sich die horizontale L<strong>in</strong>ie an den E<strong>in</strong>stellungen<br />

zur Autorität festmachen. Für die e<strong>in</strong>en ist eher Hierarchieb<strong>in</strong>dung,<br />

für die anderen eher Eigenverantwortung der leitende Wert. Zur Bezeichnung<br />

der drei Bereiche entlang der Modernitätsachse verwendet die<br />

S<strong>in</strong>us-Sociovision die Begriffe: traditionelle Werte (Pflichterfüllung, Ordnung),<br />

Modernisierung (Individualisierung, Selbstverwirklichung, Genuss)<br />

<strong>und</strong> Neuorientierung (Multi-Optionalität, Experimentierfreude, Leben <strong>in</strong><br />

Paradoxien) (S<strong>in</strong>us-Sociovision 2005, 16).<br />

Aus e<strong>in</strong>er biografischen Perspektive betrachtet entsprechen die jüngeren<br />

Jahrgänge tendenziell dem modernen Typus mit ihrer lebenszyklisch offenen,<br />

<strong>in</strong>novationsfreudigen Weltsicht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em erlebnisorientierten Alltagsverhalten.<br />

Mit zunehmendem Alter etabliert sich e<strong>in</strong>e relativ geschlossene Lebensführung,<br />

e<strong>in</strong>e biografisch konsolidierte Lebensphase, geprägt durch Familie,<br />

77


Berufskarriere <strong>und</strong> Alltagsrout<strong>in</strong>en. Die Jüngeren grenzen sich von den Älteren<br />

ab durch die grössere Betonung <strong>in</strong>dividueller Kompetenzen <strong>und</strong> Selbstbestimmung.<br />

Früh im Lebenslauf beg<strong>in</strong>nen die Menschen damit, zeitraubende<br />

Investitionen <strong>in</strong> ihrer Lebensführung vorzunehmen <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der b<strong>in</strong>denden<br />

Wirkung dieser Investitionen e<strong>in</strong>e biografische Schliessung zu vollziehen,<br />

die nach aussen als ‚traditional’ ersche<strong>in</strong>t.<br />

In den beiden Achsen: Schichtzugehörigkeit <strong>und</strong> Modernisierungsgrad<br />

der Lebensführung verläuft die Zeitachse der Generationenunterschiede.<br />

E<strong>in</strong>erseits grenzen sich die jüngeren von den älteren Milieus ‚horizontal’<br />

durch grössere Betonung <strong>in</strong>dividueller Kompetenzen <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />

ab. Dies ist u.a. auch der Gr<strong>und</strong>, weshalb sie sich den traditionellen Institutionen,<br />

wenn sie ihnen nicht genügend aktive Mitbestimmung e<strong>in</strong>räumen, oft<br />

verweigern. Andererseits eröffnet ihnen ihr kulturelles Kapital den Zugang zu<br />

grösserer Macht <strong>und</strong> Herrschaft.<br />

Die horizontale Achse wird <strong>in</strong> unserer Studie <strong>in</strong>haltlich anhand von sechs<br />

Indikatoren erfasst, die zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen sollen, <strong>in</strong> welchem Masse sich<br />

die befragten Mütter <strong>und</strong> Väter <strong>in</strong> ihrer Lebensführung von e<strong>in</strong>er fremd- oder<br />

selbstreferenziellen Weltsicht leiten lassen:<br />

• Das Leben hat nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn man ihm selber e<strong>in</strong>en<br />

S<strong>in</strong>n gibt.<br />

• Für mich trägt das Leben se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> sich selbst.<br />

• Für das, was aus dem eigenen Leben wird, ist man selbst verantwortlich.<br />

• Das Leben hat für mich nur Bedeutung, wenn es Ziele gibt,<br />

die über me<strong>in</strong> persönliches Leben h<strong>in</strong>ausweisen.<br />

• Ich muss dem Leben nicht durch eigene Anstrengungen e<strong>in</strong>en<br />

S<strong>in</strong>n geben. Lebenss<strong>in</strong>n gibt die Religion vor.<br />

• Das Leben besteht vor allem dar<strong>in</strong>, die Aufgaben zu erfüllen,<br />

vor die man gestellt ist.<br />

Alle diese Indikatoren thematisieren die Frage, ob das Leben aus sich<br />

selbst heraus entworfen, eigenbestimmt gestaltet werden muss oder sich an<br />

e<strong>in</strong>er vorgegebenen, unh<strong>in</strong>terfragbaren Ordnung zu orientieren hat: „Ob man<br />

es mit etwas bereits Vorgegebenem <strong>und</strong> mehr oder weniger extern Def<strong>in</strong>iertem<br />

zu tun hat, im Unterschied etwa zur Vorstellung e<strong>in</strong>es freien Raumes<br />

persönlicher Konstruktion.“ (Huber, Friedrich, Ste<strong>in</strong>acker 2006, 285) Die<br />

Individualisierung der Gesellschaft wird hier <strong>in</strong>terpretiert als Form der Zurechnung<br />

von Verantwortung an die eigene Person (Wohlrab-Sahr 1997).<br />

Angesprochen wird die Verantwortung für das, was aus dem eigenen Leben<br />

wird. Wird das Individuum als alle<strong>in</strong>verantwortliche <strong>und</strong> letztendlich gestal-<br />

78


tende Kraft im Leben angesehen <strong>und</strong> hat es möglicherweise selbst <strong>in</strong> den<br />

‚letzten Fragen’ das alle<strong>in</strong>entscheidende Wort oder eben nicht. Die sechs<br />

Indikatoren sollen e<strong>in</strong>en „S<strong>in</strong>nraum“ (Huber, Friedrich, Ste<strong>in</strong>acker, 2006,<br />

286) beschreiben, <strong>in</strong> dem sich die befragten Eltern bewegen.<br />

<strong>Lebensstil</strong>e <strong>in</strong><br />

Beziehung zu Schicht <strong>und</strong> Modernität<br />

Schaubild 16<br />

Schicht<br />

0.4<br />

0.3<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

0.2<br />

Integrationstyp<br />

0.1<br />

Erlebnistyp<br />

-0.4 -0.3 -0.2 -0.1 0 0.1 0.2<br />

0<br />

Modernitätsgrad<br />

-0.1<br />

-0.2<br />

Unterhaltungstyp<br />

Harmonietyp<br />

-0.3<br />

-0.4<br />

Schaubild 16 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen Schicht <strong>und</strong><br />

Modernität der fünf <strong>Lebensstil</strong>typen. Zwischen den fünf <strong>Lebensstil</strong>typen s<strong>in</strong>d<br />

deutliche Statusunterschiede festzustellen. Die <strong>Lebensstil</strong>e mit überdurchschnittlichen<br />

Anteilen von hochkultureller Alltagsästhetik gehen mit e<strong>in</strong>er<br />

gehobenen Soziallage e<strong>in</strong>her. Die Feststellung von Gerhard Schulze, dass die<br />

alltagsästhetische Praxis ihre ökonomische Zeichenfunktion weitgehend<br />

verloren habe <strong>und</strong> kaum noch von Ressourcenunterschieden <strong>in</strong> Form von<br />

Besitz, Eigentum, sozialem Status abhängig seien, bestätigen die Daten unserer<br />

Erhebung nicht. Dass objektive Ungleichheitslagen ihre Bedeutung für die<br />

Entwicklung der sozialen Persönlichkeit verloren haben, wie es die Individualisierungstheorie<br />

behauptet, lässt sich empirisch nicht belegen. Im Gegenteil:<br />

In den Umfragedaten bestätigt sich, dass <strong>Lebensstil</strong>e nicht unabhängig<br />

von vertikalen Ungleichheiten <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen Fragen nach unterschiedlichen<br />

Chancen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft betrachtet werden können.<br />

79


Da die <strong>Lebensstil</strong>e unabhängig von objektiven Schichtmerkmalen konstituiert<br />

wurden (vgl. dazu die vorangehenden Kapitel), können sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

zweiten Schritt auf Zusammenhänge mit der sozialen Lage untersucht werden.<br />

Musikgeschmack, Fernsehgewohnheiten, Freizeitverhalten <strong>und</strong> Erziehungsziele<br />

def<strong>in</strong>ieren die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>em <strong>Lebensstil</strong>milieu. Indem<br />

sie erst anschliessend entsprechend ihrem sozialökonomischen Status im<br />

sozialen Raum positioniert werden, lässt sich erkennen, <strong>in</strong>wieweit sie mit<br />

e<strong>in</strong>er bestimmten ‚objektiven Lage’ <strong>in</strong> der Gesellschaft verknüpft oder von<br />

ihr entkoppelt s<strong>in</strong>d.<br />

Die <strong>in</strong>dividuelle Ausformung der objektiven Ausgangslagen thematisiert<br />

die horizontale Achse. <strong>Lebensstil</strong>e s<strong>in</strong>d demnach die <strong>in</strong>dividuelle Ausformung<br />

gegebener objektiver-struktureller Voraussetzungen. Vergleichbare<br />

objektive Bed<strong>in</strong>gungen oder Ausgangslagen werden <strong>in</strong>dividuell unterschiedlich<br />

verarbeitet.<br />

Die Ergebnisse stützen Bourdieus These, dass im kulturellen Geschmack<br />

immer auch soziale Ungleichheiten transportiert werden. Bourdieus Leistung<br />

war es, den <strong>Lebensstil</strong> e<strong>in</strong>es Menschen als symbolisches Kapital e<strong>in</strong>er Klasse,<br />

d.h. se<strong>in</strong>er Bedeutung für Prestige, Anerkennung <strong>und</strong> soziale Schliessungsprozesse,<br />

herausgestrichen zu haben. Der Geschmack repräsentiert Schichtzugehörigkeit.<br />

<strong>Lebensstil</strong>e s<strong>in</strong>d das Resultat der Wechselbeziehungen von<br />

objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> deren subjektiver Ausgestaltung.<br />

Entlang der Modernitätsachse bilden sich zwei gegenläufige <strong>Lebensstil</strong>gruppen:<br />

Der Integrations- <strong>und</strong> Harmonie-Typ mit e<strong>in</strong>er eher traditionalen<br />

<strong>und</strong> der Selbstverwirklichungs-, Erlebnis- <strong>und</strong> Unterhaltungs-Typ mit e<strong>in</strong>er<br />

modernen Gr<strong>und</strong>orientierung. In ihnen drücken sich wie im sozialen Milieumodell<br />

von Gerhard Schulze (1992) zwei gegenläufige Muster der Beziehung<br />

zwischen Ich <strong>und</strong> Welt aus. Wird das Ich der Welt zugeordnet, stellt die soziale<br />

Umwelt den dom<strong>in</strong>anten Faktor <strong>in</strong> den subjektiven Orientierungen der<br />

betreffenden Person dar. Die soziale Umwelt wird als vorgegeben <strong>und</strong> vorgeordnet<br />

erlebt. Der Wunsch e<strong>in</strong>er Person ist es, sich se<strong>in</strong>er Umwelt anzupassen,<br />

sich <strong>in</strong> ihr e<strong>in</strong>zuordnen, sich unter den vorherrschenden Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>en guten Platz <strong>in</strong>nerhalb der bestehenden Ordnung zu sichern. Bei e<strong>in</strong>er<br />

Zuordnung der Welt zum Ich verhält es sich genau entgegengesetzt: Das<br />

eigene Ich wird der Welt vorgeordnet. Die soziale Umwelt wird den Bedürfnissen<br />

des Ichs angepasst, <strong>in</strong>dem es sich jene Aspekte der Welt aneignet, die<br />

se<strong>in</strong>er Selbstentfaltung dienen.<br />

Unterschieden werden kann also zwischen e<strong>in</strong>em traditionellen, umweltzentrierten<br />

Lebensmuster <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> Richtung Modernisierung <strong>in</strong>terpretierbaren<br />

Ich-zentrierten Lebensmuster.<br />

Die konkrete Umsetzung der beiden Lebensdeutungsmuster sche<strong>in</strong>t statusspezifisch<br />

zu verlaufen. Auf Seiten der umwelt-zentrierten Haltung wan-<br />

80


deln sich die Habitusformen mit s<strong>in</strong>kender Statusposition von ’Integration’ <strong>in</strong><br />

Richtung ‚Harmonie’. Das Ich-bezogene Deutungsmuster h<strong>in</strong>gegen bewegt<br />

sich mit s<strong>in</strong>kendem Status von Selbstverwirklichung <strong>in</strong> Richtung Unterhaltung.<br />

Das dom<strong>in</strong>ante Lebensdeutungsmuster wird den objektiven Chancen<br />

entsprechend auf unterschiedlichem Anspruchsniveau umgesetzt.<br />

Aus Schaubild 16 wird ersichtlich, dass der Selbstverwirklichungstyp<br />

tendenziell auf e<strong>in</strong>er Ich-zentrierten Lebensdeutung basiert. Das Streben nach<br />

Perfektion erschöpft sich nicht wie <strong>in</strong> der konservativen Variante e<strong>in</strong>es gehobenen<br />

Lebensstatus auf die E<strong>in</strong>ordnung des Ichs <strong>in</strong> die Oberschicht der Gesellschaft.<br />

Die existenzielle Anschauungsweise orientiert sich nicht so sehr an<br />

e<strong>in</strong>em Mehr im ökonomischen S<strong>in</strong>ne, an Erwerb <strong>und</strong> Sicherung des Besitzes<br />

von knappen Ressourcen, sondern an e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>nenorientierten Streben nach<br />

Perfektion <strong>in</strong> der eigenen Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Die traditional-konservative, umwelt-zentrierte Lebenshaltung wird <strong>in</strong> der<br />

<strong>jungen</strong> Elterngeneration auf mittlerer Gesellschaftsebene <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es<br />

eher pragmatischen Strebens nach erfolgreichen Integration mit gutem <strong>und</strong><br />

gesichertem E<strong>in</strong>kommen, verb<strong>und</strong>en mit Aufstiegschancen, ausgeformt,<br />

während <strong>in</strong> unteren sozialen Lagen e<strong>in</strong> ansche<strong>in</strong>end durch das Bedürfnis nach<br />

sozialer Sicherheit geprägter, sich selbst bescheidender Rückzug auf den<br />

Wunsch nach privater Harmonie vorherrscht. Gleiches gilt für die Ichzentrierte<br />

Perspektive, wo das anspruchsvolle Streben nach Selbstverwirklichung<br />

mit abnehmenden sozialen Status stärker auf den bescheidenen<br />

Wunsch nach Unterhaltung weicht. Der hohe Anspruch, sich selbst zu verwirklichen,<br />

relativiert sich mit s<strong>in</strong>kendem Status <strong>in</strong> Richtung äusserer Stimulation<br />

<strong>und</strong> Unterhaltung. Die existenziellen Anschauungsweisen ‚Harmonie’<br />

<strong>und</strong> ‚Unterhaltung’ s<strong>in</strong>d demnach eher typisch für untere soziale Lagen, die<br />

existenziellen Anschauungsweisen ‚Integration’ <strong>und</strong> ‚Erlebnis’ s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen<br />

eher <strong>in</strong> mittleren, die existenzielle Anschauungsweise ‚Selbstperfektion’ eher<br />

<strong>in</strong> höheren Statuspositionen zu f<strong>in</strong>den.<br />

Begreiflicherweise lässt sich <strong>in</strong> unserer Untersuchung ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige<br />

Verb<strong>in</strong>dung zwischen Alter <strong>und</strong> dem Charakter der jeweiligen <strong>Lebensstil</strong>e<br />

feststellen. Mit e<strong>in</strong>em Durchschnittsalter zwischen 38 <strong>und</strong> 39 Jahren haben<br />

wir es bei den von uns befragten <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> mit e<strong>in</strong>em relativ <strong>jungen</strong><br />

Bevölkerungssegment zu tun. Üblicherweise siedeln sich <strong>in</strong> <strong>Lebensstil</strong>studien<br />

jüngere Leute tendenziell bei den modernen Ich-zentrierten Lebensmustern<br />

auf der rechten Seite der horizontalen Achse an. Dass dies bei den von uns<br />

befragten Vätern <strong>und</strong> Müttern nicht bei allen der Fall ist, dafür sorgt <strong>in</strong> hohem<br />

Masse das Merkmal ‚Religiosität’, wie Schaubild 18 im übernächsten<br />

Kapitel deutlich macht. Zeigen die meisten <strong>Lebensstil</strong>e e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Tendenz<br />

zu Ich-zentrierter, modernisierten Orientierungen <strong>und</strong> Verhaltenswesen,<br />

81


situiert sich der religiöse Integrationstyp, wie er <strong>in</strong> Kapitel 7 näher beschrieben<br />

wird, offensichtlich am anderen Pol der Modernitätsachse.<br />

82


6. <strong>Lebensstil</strong>e <strong>und</strong> <strong>Familien</strong>formen<br />

6.1 Zivilstand <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>samer Haushalt<br />

In die Befragung e<strong>in</strong>bezogen wurden Haushalte mit K<strong>in</strong>dern der Jahrgänge<br />

1996 <strong>und</strong> 1999. Wenigstens e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte e<strong>in</strong>em der beiden Jahrgänge angehören.<br />

Die meisten dieser K<strong>in</strong>der (87.6%) leben mit erwachsenen Bezugspersonen<br />

zusammen, die mite<strong>in</strong>ander verheiratet s<strong>in</strong>d. 1.7% der Personen, die<br />

den Fragebogen ausfüllten, sagen von sich, dass sie geschieden <strong>und</strong> wiederverheiratet<br />

s<strong>in</strong>d. In Bezug auf den Lebenspartner fehlen die Angaben.<br />

12.4% der K<strong>in</strong>der leben <strong>in</strong> Haushalten, <strong>in</strong> denen die Beantworter<strong>in</strong> oder<br />

der Beantworter des Fragebogens ledig, geschieden/getrennt oder verwitwet<br />

ist. 67.9% von ihnen leben nicht mit e<strong>in</strong>em Partner im gleichen Haushalt, bei<br />

32.1% besteht e<strong>in</strong>e Haushaltgeme<strong>in</strong>schaft mit e<strong>in</strong>em Lebenspartner. Demnach<br />

wachsen 91.5% der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Lebensgeme<strong>in</strong>schaften von (Ehe-<br />

)Partnern auf.<br />

Trotz aller Pluralisierung ehelicher Lebensformen bevorzugen junge Erwachsene<br />

als Lebensform die Institution Ehe. Die Mehrheit von ihnen setzt<br />

diese Option auch <strong>in</strong> die Tat um: “Das nichteheliche Zusammenleben stellt <strong>in</strong><br />

der Schweiz … nach wie vor e<strong>in</strong>e kurze Zwischenetappe vor e<strong>in</strong>er wahrsche<strong>in</strong>lichen<br />

Heirat dar, entscheiden sich die Konsensualpartner doch fast<br />

immer früher oder später für die Ehe.” (B<strong>und</strong>esamt für Statistik 1999, 17)<br />

Das Eheleben wird als attraktiv empf<strong>und</strong>en, tendenziell von jedermann/jederfrau<br />

erwünscht <strong>und</strong> angestrebt. Es wird als Angelegenheit des<br />

persönlichen Lebensglücks betrachtet. In den Lebensplänen der heutigen<br />

Generation hat die Aspiration auf Ehe hohes motivationales Gewicht. Das<br />

wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass heute e<strong>in</strong> freier „Beziehungsmarkt“<br />

herrscht, wo niemand zur Ehe verpflichtet wird.<br />

Das Bedürfnis nach engen sozialen Paarbeziehungen ist ungebrochen. Es<br />

sche<strong>in</strong>t, dass die Norm, zu heiraten, hohe Verb<strong>in</strong>dlichkeit besitzt, weitgehend<br />

dem Diskurs <strong>und</strong> der Beliebigkeit entzogen ist. Abzuwägen gibt es <strong>in</strong> dieser<br />

H<strong>in</strong>sicht für die meisten wenig. In der Ehe begegnen sich zwei Personen <strong>in</strong><br />

besonders verb<strong>in</strong>dlicher Art <strong>und</strong> Weise. Sie ist Ausdruck des persönlichen<br />

Interesses zweier Personen ane<strong>in</strong>ander, Ausdruck e<strong>in</strong>er besonderen B<strong>in</strong>dungsbereitschaft,<br />

e<strong>in</strong>e dialogische Beziehung auf Dauer e<strong>in</strong>zugehen.<br />

Mit Niklas Luhmann kann die Ehe als e<strong>in</strong> auf Dauer angelegtes “System<br />

mit enthemmter Kommunikation” (Luhmann 1990, 197) betrachtet werden,<br />

<strong>in</strong> dem alles, was e<strong>in</strong>e Person betrifft, für Kommunikation zugänglich ist,<br />

83


egründet im Bedürfnis nach “persönlicher F<strong>und</strong>ierung <strong>und</strong> Selbstvergewisserung<br />

<strong>in</strong> dialogischer Interaktion” (Hu<strong>in</strong><strong>in</strong>g 1995, 169).<br />

Höchst persönliche, <strong>in</strong>time Kommunikation hat <strong>in</strong> den übrigen Bereichen<br />

der Gesellschaft kaum mehr Platz. Es ist normalerweise nicht möglich, z.B.<br />

mit Berufskolleg(<strong>in</strong>n)en die persönlichen Sorgen zu besprechen. Es handelt<br />

sich hier <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um re<strong>in</strong> funktionale Beziehungen. Da die unpersönliche<br />

Kommunikation <strong>in</strong> unserer Gesellschaft zunimmt, steigt der Bedarf an<br />

persönlicher Kommunikation. Er fördert die Spezialisierung <strong>in</strong>timer Kommunikation<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenen Teilbereich der Gesellschaft, <strong>in</strong> dem es nicht<br />

erlaubt ist, Persönliches der Kommunikation zu entziehen. Der Partnerschaft<br />

<strong>und</strong> speziell der Ehe wird die Aufgabe zugewiesen, kommunikative Behandlung<br />

von Individualität zu ermöglichen, zu pflegen, zu fördern. Das Medium<br />

‚Liebe’ hilft, an sich unwahrsche<strong>in</strong>liche Kommunikation wahrsche<strong>in</strong>licher zu<br />

machen.<br />

Zur unbed<strong>in</strong>gten Liebe gehört das Signal der “Unendlichkeitsfiktion”<br />

(Hu<strong>in</strong><strong>in</strong>g 1995,106) e<strong>in</strong>er Beziehung. Der öffentliche Eheabschluss bildet <strong>in</strong><br />

expliziter Form e<strong>in</strong>e Bekräftigung dieser “Unendlichkeitsfiktion”. Mit ihm<br />

bezeugt man gegenüber der sozialen Umwelt se<strong>in</strong> Bemühen um e<strong>in</strong>e zeitlich<br />

nicht limitierte Liebe. „Wer sagt, ich liebe dich, aber nur jetzt, liebt nicht.“<br />

(Dux 1994,141) Dort, wo Liebe entsteht, stellt sich e<strong>in</strong> Bedürfnis nach Dauer<br />

e<strong>in</strong>. Liebende wollen “Ewigkeit”, Zeitlosigkeit, bei allem Risiko des Scheiterns.<br />

Entgegen der These von der Auflösung von Ehe <strong>und</strong> Familie stellt zum<br />

Beispiel die 15. Shell Jugendstudie 2006 <strong>in</strong> Deutschland bei den heutigen<br />

Jugendlichen e<strong>in</strong>e starke <strong>Familien</strong>orientierung fest, die <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren sogar etwas angestiegen ist. 72% der Jugendlichen s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung<br />

dass man e<strong>in</strong>e Familie braucht, um glücklich leben zu können. Nur e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit<br />

(17%) der Jugendlichen glaubt, alle<strong>in</strong>e genauso glücklich leben zu<br />

können. 10% s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Frage noch unentschieden. (Langness, Leven,<br />

Hurrelmann 2006, 50)<br />

Erstaunlich ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Ehe als Lebensform<br />

allgeme<strong>in</strong>e Akzeptanz f<strong>in</strong>det. Ob man heiraten will oder nicht, steht im Normalfall<br />

nicht zur Diskussion. Hier herrscht weitgehend Verb<strong>in</strong>dlichkeit, Konsens<br />

<strong>und</strong> nicht Diskurs. Die Aussage von Beck/Beck-Gernsheim: “Es ist<br />

nicht mehr klar, ob man heiratet” (Beck 1990, 25), würde unter den Befragten<br />

Kopfschütteln auslösen. Die vieldiskutierte Frage, ob die Ehe e<strong>in</strong>er auskl<strong>in</strong>genden<br />

Epoche angehört, lässt sich mit e<strong>in</strong>em klaren Ne<strong>in</strong> beantworten.<br />

E<strong>in</strong>e Absage an lebenslange, dauerhafte B<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> stabile Lebensorte, wie<br />

sie von manchen Zeitdiagnostikern als Kennzeichen der Moderne gedeutet<br />

werden, lässt sich aus den Antworten der Befragten nicht heraushören.<br />

84


In der Regel wird geheiratet, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d gewünscht oder erwartet<br />

wird. Wer „nicht an <strong>Familien</strong>gründung denkt, der hat auch wenig Gr<strong>und</strong> zur<br />

Heirat“ (Burkart 1997, 110).<br />

Ehe <strong>und</strong> Elternschaft s<strong>in</strong>d eng mite<strong>in</strong>ander verkoppelt. Für die Elternschaft<br />

ist die Ehe e<strong>in</strong>e wichtige Rahmenbed<strong>in</strong>gung. Im Eheabschluss versichern<br />

sich die Partner der Stabilität ihrer Beziehungen als Voraussetzung für<br />

e<strong>in</strong>e erfolgreiche Erziehung ihrer K<strong>in</strong>der.<br />

Tabelle 12<br />

Zivilstand<br />

<strong>Lebensstil</strong>e<br />

ledig<br />

verheiratet<br />

geschieden<br />

getrennt<br />

geschieden<br />

wiederverheiratet<br />

verwitwet<br />

Erlebnistyp 2.8% 87.2% 8.4% 1.7% –<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

7.4% 80.5% 9.3% 2.7% –<br />

Harmonietyp 1.4% 89.8% 6.0% 1.4% 1.4%<br />

Integrationstyp 1.4% 91.5% 6.2% 0.9% –<br />

Unterhaltungstyp 5.2% 83.4% 9.8% 1.6% 3.0%<br />

Ger<strong>in</strong>gere Attraktivität erfreut sich die Institution Ehe unter den Personen des<br />

Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> Unterhaltungsmilieus. Den höchsten Zuspruch<br />

erfährt die lebenslange Festlegung e<strong>in</strong>er Partnerschaft als Ehe unter den Angehörigen<br />

des Integrationsmilieus.<br />

E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss, ob sich jemand scheiden lässt, übt nicht so sehr die Milieuzugehörigkeit<br />

aus, sondern die Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche. Gedanken<br />

an e<strong>in</strong>e Scheidung kommen Kirchenfernen bedeutend schneller als kirchlich<br />

Verb<strong>und</strong>enen, wenn die gegenseitige Liebe als Basis schw<strong>in</strong>det. Regelmässige<br />

Kirchbesucher lassen sich bedeutend weniger (5.4%) auf e<strong>in</strong>e Scheidung<br />

e<strong>in</strong> als jene, die nie e<strong>in</strong>en Sonntagsgottesdienst besuchen (18.9%) Die Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

übt e<strong>in</strong>en scheidungsm<strong>in</strong>dernden E<strong>in</strong>fluss aus. Mit der Distanz<br />

zu den Kirchen entwickelt sich das traditionelle Ehemodell von e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung,<br />

die gottgewollt e<strong>in</strong> Leben lang gilt, zu e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung, die nur unter<br />

bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen aufrechterhalten wird.<br />

Der Anteil Lediger mit K<strong>in</strong>dern nimmt mit nachlassender Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

von 0.9% auf 8.5% zu.<br />

6.2 Haushaltgrösse – K<strong>in</strong>der im Haushalt<br />

In mehr als 7 von 10 Haushalten (71.7%) leben vier oder fünf Personen.<br />

Weitere 12.1% leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dreierhaushalt, 11.3% <strong>in</strong> Haushalten mit mehr<br />

85


als fünf Personen. Die Grösse des Haushaltes hängt von der Zahl der K<strong>in</strong>der<br />

ab. Wer zum Beispiel angibt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vierköpfigen Haushalt zu leben, sagt<br />

damit zu 95.8% aus, zwei K<strong>in</strong>der zu haben. In Fünf-Personen-Haushalten<br />

leben zu 98.1% drei K<strong>in</strong>der.<br />

Die durchschnittliche Anzahl der K<strong>in</strong>der pro Haushalt beträgt 2.44. Sie<br />

liegt damit etwas höher als bei e<strong>in</strong>er vergleichbaren Haushaltgruppe im Rahmen<br />

des Schweizerischen Haushaltpanels 2004 ermittelt. Die durchschnittliche<br />

K<strong>in</strong>derzahl beträgt dort 2.14 K<strong>in</strong>der.<br />

In knapp der Hälfte der Haushalte (48.2%) leben zwei K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong> 3 von 10<br />

Haushalten drei K<strong>in</strong>der (29.9%) <strong>und</strong> <strong>in</strong> r<strong>und</strong> jedem zehnten e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

(11.2%). In 10.6% der Haushalte leben mehr als drei K<strong>in</strong>der. E<strong>in</strong> Leben ohne<br />

K<strong>in</strong>der ist immer noch für die Mehrheit der Bevölkerung schwer vorstellbar<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>sofern ist “Elternschaft e<strong>in</strong>e kulturell-normierte biografische Selbstverständlichkeit“<br />

(Burkhart 1997, 142).<br />

Das gesellschaftliche <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuelle Anspruchsniveau <strong>in</strong> Bezug auf die<br />

Qualität der K<strong>in</strong>dererziehung hat sich erhöht. Elternschaft ist <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahrzehnten voraussetzungsvoller <strong>und</strong> schwieriger geworden. Junge Eltern<br />

haben e<strong>in</strong> genu<strong>in</strong>es Interesse, dass ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Gesellschaft erfolgreich<br />

wird. Elternschaft wird umso befriedigender erfahren, je mehr sie <strong>in</strong> die Entwicklung,<br />

Bildung <strong>und</strong> den persönlichen Erfolg des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong>vestieren können.<br />

E<strong>in</strong>e Familie wird dann gegründet, wenn man sich relativ sicher ist, den<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Anforderungen gerecht zu werden.<br />

Man verwendet allgeme<strong>in</strong> mehr Zeit, materielle Ressourcen <strong>und</strong> kommunikative<br />

Aufmerksamkeit für jedes der K<strong>in</strong>der. Um den K<strong>in</strong>dern bestmögliche<br />

Entfaltungschance <strong>in</strong> der Gesellschaft zu verschaffen, beschränken sich<br />

die Eltern <strong>in</strong> der Zahl der K<strong>in</strong>der. Das hat <strong>in</strong> der Regel nichts damit zu tun,<br />

dass sie eigensüchtig ihr eigenes Leben leben wollen, sondern dies ergibt sich<br />

aus der E<strong>in</strong>sicht, dass die hohen Investitionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> oder zwei K<strong>in</strong>der für<br />

entsprechende Bildungserfolge als notwendige Voraussetzung die Begrenzung<br />

der K<strong>in</strong>derzahl erforderlich machen, es sei denn, man verfügt über unbegrenzte<br />

Ressourcen. Unter dem Gesichtspunkt verantworteter Elternschaft<br />

f<strong>in</strong>det die k<strong>in</strong>derreiche Familie kaum mehr Zuspruch.<br />

Die Beschränkung auf e<strong>in</strong> bis zwei K<strong>in</strong>der im Normalfall lässt sich als<br />

Ausdruck e<strong>in</strong>er Norm <strong>in</strong>terpretieren, die Entwicklung der Persönlichkeit des<br />

K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den Mittelpunkt der Familie zu rücken. Ger<strong>in</strong>gere K<strong>in</strong>derzahl “ist<br />

aus <strong>in</strong>stitutioneller Perspektive im Wesentlichen auf die Wirksamkeit des<br />

Normenkomplexes verantworteter Elternschaft <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der ökonomischen<br />

Benachteiligung k<strong>in</strong>derreicher <strong>Familien</strong> <strong>und</strong> hohen Ansprüchen an<br />

die K<strong>in</strong>dererziehung zu begreifen” (Kaufmann 1988, 395). Zu deutlich höherer<br />

K<strong>in</strong>derzahl als die anderen <strong>Lebensstil</strong>typen neigen Befragte allerd<strong>in</strong>gs aus<br />

dem Harmonie- <strong>und</strong> Integrationsmilieu:<br />

86


Tabelle13<br />

K<strong>in</strong>der im Haushalt<br />

<strong>Lebensstil</strong>e<br />

1 2 3 mehr als 3<br />

Erlebnistyptyp 11.7% 54.7% 26.3% 7.3%<br />

Selbstverwirklichungstyp 14.0% 51.0% 28.0% 6.6%<br />

Harmonietyp 7.0% 47.0% 33.5% 12.5%<br />

Integrationstyp 7.1% 38.4%. 33.6% 20.9%<br />

Unterhaltungstyp 11.4% 57.0% 26.9% 4.6%<br />

Wie später <strong>in</strong> Kapitel 9 ausgeführt werden wird, lässt sich zeigen dass nicht<br />

nur k<strong>in</strong>derreiche <strong>Familien</strong>, sondern auch regelmässige Kirchgänger überdurchschnittlich<br />

oft dem Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieu angehören. Regelmässige<br />

Kirchgänger haben markant häufiger mehr als 2 K<strong>in</strong>der als Kirchenferne.<br />

Der regelmässige Kirchgang wirkt sich stärker als die Zughörigkeit<br />

zum Integrations- oder Harmoniemilieu auf den K<strong>in</strong>derreichtum aus.<br />

Tabelle 14<br />

Kirchgang<br />

K<strong>in</strong>der im Haushalt<br />

1 2 3 mehr als 3<br />

jeden Sonntag 9.8% 23.2% 36.6% 30.4%<br />

m<strong>in</strong>destens monatlich 5.6% 37.8% 39.7% 17.1%<br />

gelegentlich (Festtage) 8.9% 52.6% 29.2% 9.3%<br />

selten 15.7% 53.9% 24.9% 5.4%<br />

nie 24.5% 57.5% 17.9% –<br />

6.3 Konfessionelle Zusammensetzung der Haushalte<br />

Es kann ke<strong>in</strong> Zweifel bestehen, dass seit längerer Zeit e<strong>in</strong> Rückgang des<br />

sonntäglichen Kirchgangs als Zeichen der schw<strong>in</strong>denden Verb<strong>und</strong>enheit mit<br />

der Kirche zu verzeichnen ist <strong>und</strong> von daher die Kirchenzugehörigkeit bei der<br />

Wahl des (Ehe-)Partners oder der (Ehe-)Partner<strong>in</strong> an Bedeutung e<strong>in</strong>gebüsst<br />

hat. Am s<strong>in</strong>kenden Anteil von Lebensgeme<strong>in</strong>schaften, <strong>in</strong> denen beide Partner<br />

der gleichen christlichen Kirche angehören, <strong>und</strong> der steigenden Zahl von<br />

konfessionell gemischten Paaren, lässt sich diese Entwicklung deutlich machen.<br />

Gehörten 1970 <strong>in</strong> 83.6% der Haushalte beide (Ehe-)Partner der gleichen<br />

christlichen Kirche an, waren es im Jahre 2000 noch 60%. Im gleichen<br />

Zeitraum stieg der Anteil der konfessionell gemischten Paare von 13.3% auf<br />

17%. Zugenommen hat auch der Anteil von Paaren, bei denen der e<strong>in</strong>e Part-<br />

87


ner e<strong>in</strong>er religiösen Geme<strong>in</strong>schaft, der andere ke<strong>in</strong>er Religion angehört (von<br />

1% auf 6.9%). (Bovey 2004, 120)<br />

Auch wenn die Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit bei der Wahl e<strong>in</strong>es<br />

(Ehe-)Partners abgenommen hat, s<strong>in</strong>d Katholiken <strong>und</strong> Protestanten unter<br />

den befragten <strong>jungen</strong> Väter <strong>und</strong> Müttern bis heute überwiegend mit e<strong>in</strong>em<br />

Partner ihrer eigenen Konfession verheiratet oder leben mit e<strong>in</strong>em Partner der<br />

gleichen Konfession zusammen (Katholiken 70.8%, Protestanten 59.5%). E<strong>in</strong><br />

ähnliches Verhalten kann man auch unter den Konfessionslosen beobachten.<br />

Auch sie bevorzugen zu 52.9% e<strong>in</strong>en konfessionell ungeb<strong>und</strong>enen (Ehe-<br />

)Partner.<br />

Mit der Wahl gleichkonfessioneller Partner verb<strong>in</strong>det sich unbewusst die<br />

Hoffnung auf e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Belastung der Partnerschaft. Die Beziehung soll<br />

nicht zusätzlichen Risiken der Konfessionsverschiedenheit ausgesetzt werden.<br />

Aus der Netzwerkforschung ist schon lange bekannt, dass bei der Auswahl<br />

wichtiger Bezugspersonen Wert gelegt wird auf ähnliche Mentalitätsmuster.<br />

Dies gilt ganz offensichtlich auch <strong>in</strong> Bezug auf die konfessionelle<br />

Zugehörigkeit.<br />

Bedeutend öfter als <strong>in</strong> anderen <strong>Lebensstil</strong>milieus leben Katholiken <strong>und</strong><br />

Protestanten des Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieus <strong>in</strong> Ehe- <strong>und</strong> Lebensgeme<strong>in</strong>schaften,<br />

<strong>in</strong> denen beide Partner der gleichen Konfession angehören.<br />

Während <strong>in</strong> allen anderen <strong>Lebensstil</strong>milieus prozentual annähernd gleich<br />

viele Protestanten <strong>in</strong> gleichkonfessionellen Ehe- oder Lebensgeme<strong>in</strong>schaften<br />

leben, begegnet man bedeutend öfter gleichkonfessionellen katholischen<br />

Lebensgeme<strong>in</strong>schaften im Harmonie- <strong>und</strong> Integrationsmilieu. Am meisten<br />

leben Katholiken <strong>und</strong> Protestanten des Selbstverwirklichungsmilieus (51.5%)<br />

<strong>in</strong> Mischehen, an zweiter Stelle die Katholiken <strong>und</strong> Protestanten des Erlebnismilieus<br />

(43.2%). Beide Milieus zeichnen sich gegenüber den anderen<br />

durch e<strong>in</strong>e modernitätsoffene Lebenshaltung aus.<br />

Tabelle 15<br />

(Ehe-)partner<br />

<strong>Lebensstil</strong>e beide<br />

beide<br />

prot./kat<br />

protestantisch katholisch h.<br />

Erlebnistyp 26.0% 30.8% 43.2%<br />

Selbstverwirklichungstyp 22.2% 26.3% 51.5%<br />

Harmonietyp 22.9% 53.1% 24.0%<br />

Integrationstyp 26.0% 48.7% 25.3%<br />

Unterhaltungstyp 24.2% 30.9% 45.0%<br />

Stärker als der prozentuale Anteil der Protestanten schwankt der Katholikenanteil<br />

zwischen den fünf <strong>Lebensstil</strong>milieus. Überdurchschnittlich viele Katholiken<br />

gehören dem Harmoniemilieu an, gefolgt vom Integrationsmilieu<br />

88


(47.6%). Weniger als e<strong>in</strong> Drittel (28.6%) machen die Protestanten im Integrationsmilieu<br />

aus. Dafür fühlen sich <strong>in</strong> diesem Milieu umso zahlreicher Mitglieder<br />

von evangelischen Freikirchen heimisch, im Gegensatz zu den Konfessionslosen,<br />

denen der <strong>Lebensstil</strong> dieses Milieus am wenigsten behagt:<br />

Tabelle 16<br />

Konfession/Religion<br />

<strong>Lebensstil</strong>e protestantiscliclisch<br />

freikirch-<br />

katho-<br />

andere ke<strong>in</strong>e<br />

Erlebnistyp 38.8% 1.1% 44.4% 5.6% 19.1%<br />

Selbstverwirklichungstyp 38.1% 1.2% 37.4% 4.7% 18.7%<br />

Harmonietyp 33.2% 2.8% 56.9% 4.8% 2.4%<br />

Integrationstyp 28.6% 16.2% 47.6% 4.4% 3.3%<br />

Unterhaltungstyp 41.6% 3.2% 39.5% 5.6% 10.5%<br />

89


7. Religiöser <strong>Lebensstil</strong>typ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erweiterten<br />

<strong>Lebensstil</strong>modell<br />

Die Zahl der <strong>Lebensstil</strong>gruppen, die über die Cluster-Analyse ermittelt werden,<br />

ist frei wählbar. Die Entscheidung über die Anzahl der Stilgruppen muss<br />

letztlich nach <strong>in</strong>haltlichen Gesichtspunkten getroffen werden. Ergibt die<br />

gewählte Anzahl von <strong>Lebensstil</strong>-Gruppen e<strong>in</strong>e plausible Aufteilung der Befragten<br />

im sozialen Raum? Verlangt ist e<strong>in</strong>e recht aufwändige Analyse diverser<br />

Cluster-Lösungen. Es muss auch die Entscheidung darüber gefällt werden,<br />

ob eher e<strong>in</strong>e stark differenzierende Fe<strong>in</strong>struktur (viele Cluster) oder e<strong>in</strong>e<br />

robuste Grobstruktur (wenige Cluster) der <strong>Lebensstil</strong>verteilung anvisiert<br />

werden soll.<br />

Gerhard Schulze spricht von e<strong>in</strong>em „Unschärfeproblem“, e<strong>in</strong>er Grauzone<br />

zwischen den <strong>Lebensstil</strong>en, der umgänglichen Unsicherheit der <strong>Lebensstil</strong>forschung,<br />

wo die Grenzen zwischen den <strong>Lebensstil</strong>milieus zu ziehen s<strong>in</strong>d.<br />

<strong>Lebensstil</strong>gruppen lassen sich nur theoretisch <strong>und</strong> idealtypisch sauber vone<strong>in</strong>ander<br />

abgrenzen, <strong>in</strong> der Realität überlagern sie sich <strong>in</strong> den Grenzbereichen.<br />

Je mehr Merkmale <strong>in</strong> die Konstitution der <strong>Lebensstil</strong>milieus e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden, desto eher gleichen sich <strong>Lebensstil</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Merkmalsausprägungen<br />

<strong>und</strong> unterscheiden sich markant <strong>in</strong> anderen. Es ist die Aufgabe des<br />

Forschers, e<strong>in</strong>e typische <strong>Lebensstil</strong>-Struktur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er untersuchten gesellschaftlichen<br />

Gruppe zu identifizieren. Wird eher e<strong>in</strong>e stabile <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache<br />

Struktur der <strong>Lebensstil</strong>verteilung bevorzugt, werden kle<strong>in</strong>ere, aber unter<br />

Umständen charakteristische <strong>Lebensstil</strong>ausprägungen <strong>in</strong> den Grossgruppen<br />

e<strong>in</strong>geebnet. Da ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche theoretische Vorgabe zur Zahl der <strong>Lebensstil</strong>e<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft vorliegt, müssen <strong>in</strong> explorativer Vorgehensweise<br />

verschiedene Cluster-Lösungen gegene<strong>in</strong>ander abgewogen werden. Dabei ist<br />

darauf zu achten, dass jene Merkmalsdimensionen berücksichtigt werden, die<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>schlägigen Zusammenhang stehen mit der Forschungsthematik.<br />

Orientierende H<strong>in</strong>weise auf die Anzahl der statistisch relevanten <strong>Lebensstil</strong>gruppen<br />

kann die aktuelle <strong>Lebensstil</strong>diskussion geben. Demnach bewegen<br />

sich die Anzahl der <strong>Lebensstil</strong>gruppen zwischen fünf <strong>und</strong> zehn Clustern (Risel<br />

2005)<br />

Nach systematischen Vergleichen verschiedener Cluster-Lösungen erwiesen<br />

sich zwei Modelle mit jeweils fünf bzw. acht <strong>Lebensstil</strong>gruppen als die<br />

überzeugendsten Lösungen. Das Basismodell bildet der 5er-Cluster, wie er <strong>in</strong><br />

den vorausgehenden Kapiteln ausführlich präsentiert wurde. Charakteristisch<br />

für dieses Modell ist e<strong>in</strong> Muster von <strong>Lebensstil</strong>kernen, um die sich unterschiedlich<br />

gefärbte Mentalitäten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e unterschiedliche Praxis mit e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>samen Mitte anlagern. Für jeden <strong>Lebensstil</strong>-Cluster erweisen sich<br />

90


prägnante Merkmale als gute Deskriptoren des jeweiligen <strong>Lebensstil</strong>s. Die<br />

Typologie richtet sich an evidenten <strong>und</strong> signifikanten Zeichen aus, durch die<br />

sich die Gruppen deutlich unterscheiden.<br />

Die 5er-Typologie wird, <strong>in</strong> Anlehnung die Konzeption der <strong>Lebensstil</strong>e<br />

nach Gerhard Schulze, auch für die weiteren Analyseschritte des Datenmaterials<br />

favorisiert. Dem liegt. Se<strong>in</strong>e Erkenntnisse zur Erlebnisgesellschaft gaben<br />

das theoretische F<strong>und</strong>ament ab für die Konzeptualisierung der <strong>Lebensstil</strong>e <strong>in</strong><br />

der vorliegenden Untersuchung. In se<strong>in</strong>en Analysen heutiger <strong>Lebensstil</strong>e<br />

gelangte er zu fünf typischen sozialen <strong>Lebensstil</strong>typen. Sie zeigen markante<br />

gruppenspezifische Profile, die neben alltagsästhetischen Schemata auch<br />

gr<strong>und</strong>legende Persönlichkeitsdispositionen <strong>und</strong> Wertevorstellungen e<strong>in</strong>schliessen.<br />

Mit der Kurzbezeichnung des jeweiligen <strong>Lebensstil</strong>s wird „die im<br />

Milieu dom<strong>in</strong>ierende normale existenzielle Problemdef<strong>in</strong>ition“ (Schulze<br />

1992, 281) zum Ausdruck gebracht <strong>und</strong> gleichzeitig auf die Ähnlichkeiten<br />

mit Schulzes Milieutypen aufmerksam gemacht.<br />

Bei mehr als fünf Gruppen ist die Abgrenzung <strong>und</strong> Charakterisierung der<br />

<strong>Lebensstil</strong>typen nur <strong>in</strong> Form partieller E<strong>in</strong>deutigkeit zu erlangen, <strong>in</strong> etlichen<br />

Verhaltensfeldern zeigen sich erhebliche Überschneidungen. Beim 8er-<br />

Cluster werden <strong>in</strong>sbesondere typische Merkmale von drei der fünf Basistypen<br />

weiter ausdifferenziert: der Selbstverwirklichungs-, Integrations- <strong>und</strong> der<br />

Unterhaltungstyp.<br />

Beim Selbstverwirklichungstyp lässt sich e<strong>in</strong>e Personengruppe unterscheiden,<br />

die e<strong>in</strong>er musisch-unkonventionellen Lebenshaltung zuneigen: der<br />

musisch-unkonventionelle Niveautyp <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e zweite, die ausgesprochen<br />

nach Selbstverwirklichung durch Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>und</strong><br />

Körpererfahrung sucht: der <strong>in</strong>nengeleitete Selbstverwirklichungstyp. Zum<br />

Kern des <strong>in</strong>nengeleitenden Selbstverwirklichungstyps gehören die Selbstperfektion<br />

durch Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung. Er<br />

liest gerne Bücher, bildet sich überdurchschnittlich fort <strong>und</strong> widmet sich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Freizeit auffallend häufig der körperlichen <strong>und</strong> mentalen Fitness. Dabei<br />

dürften auch im weiten S<strong>in</strong>ne religiöse Selbstf<strong>in</strong>dungsprogramme se<strong>in</strong><br />

Interesse f<strong>in</strong>den. „Er bastelt an der eigenen Biografie, der eigenen Moral <strong>und</strong><br />

auch der eigenen Religion.“ (Goebel, Clemont 1997, 191) Selbständige S<strong>in</strong>nschöpfung<br />

ist für ihn e<strong>in</strong>e selbstverständliche Form der Selbst- <strong>und</strong> Wert<strong>in</strong>terpretation.<br />

Er setzt se<strong>in</strong>e Weltanschauung nach eigenen autonomen Regeln<br />

zusammen, die nicht mehr den kirchlich-<strong>in</strong>stitutionellen Vorgaben folgen.<br />

Meditative Praktiken eröffnen den Zugang zum eigenen Innern <strong>und</strong> zur Entdeckung<br />

dessen, was im Leben unbed<strong>in</strong>gt Geltung beansprucht.<br />

Der Integrationstyp zeichnet sich dadurch aus, dass e<strong>in</strong> Teil der Personen<br />

sich vorzugsweise an religiösen Aktivitäten beteiligt (religiöser Integrationstyp)<br />

<strong>und</strong> die anderen e<strong>in</strong>e ehrenamtliche Tätigkeit <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en, Verbänden<br />

91


oder sozialen Diensten ausüben <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> Parteien, <strong>in</strong> der Kommunalpolitik<br />

oder <strong>in</strong> Bürger<strong>in</strong>itiativen beteiligen, ohne sich <strong>in</strong> der religiösen Praxis vom<br />

Durchschnitt der befragten Väter <strong>und</strong> Mütter zu unterscheiden (gesellschaftsoffener<br />

Integrationstyp). Der Reiz e<strong>in</strong>er Typologie mit acht <strong>Lebensstil</strong>ausprägungen<br />

macht es aus, dass e<strong>in</strong> eigenständiger Typ sichtbar wird, für den<br />

wie bei ke<strong>in</strong>em anderen ‚die Verantwortung vor Gott’ <strong>und</strong> ‚Kirchgang, Besuch<br />

von religiösen Veranstaltungen’ lebensprägend wirkt.<br />

Der Unterhaltungstyp differenziert sicht zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den ambitionslossozial<br />

distanzierten <strong>und</strong> zum anderen <strong>in</strong> den zurückhaltend-konventionellen<br />

Unterhaltungstyp aus.<br />

Im Überblick lassen sich die acht <strong>Lebensstil</strong>typen wie folgt begrifflich fassen:<br />

1. Innengeleiteter Selbstverwirklichungstyp (11.8%)<br />

2. Ambitionslos – sozial distanzierter Unterhaltungstyp (11.7%)<br />

3. Zurückhaltend-konventioneller Unterhaltungstyp (9.6%)<br />

4. Konventioneller Harmonietyp (15%)<br />

5. Religiöser Integrationstyp (13.5%)<br />

6. Expressiver Erlebnistyp (12.6%)<br />

7. Gesellschaftsoffener Integrationstyp (12.7%)<br />

8. Musisch-unkonventioneller Niveautyp (13.3%)<br />

Ihre Charakterisierung verdeutlichen die Schaubilder im Anhang: Besondere<br />

Aufmerksamkeit zieht auf dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der Befragungsthematik dieser<br />

Studie Typ 5 auf sich: der religiöse Integrationstyp. Religiosität wird zu e<strong>in</strong>em<br />

unverkennbaren Zeichen für Milieuzugehörigkeit. An ihr macht sich die<br />

Identität der Milieuangehörigen fest <strong>und</strong> grenzt sie gleichzeitig gegen andere<br />

ab. Bei allen anderen Typen gehört Religion nicht zu den prägenden Milieumerkmalen.<br />

Religion mag neben anderen zum Leben gehören, nimmt aber<br />

ke<strong>in</strong>e lebensbestimmende Stellung e<strong>in</strong>. Ausdrücklich auf Distanz zur Religion,<br />

wie sie <strong>in</strong> den zwei Parametern:<br />

• Kirchgang, Besuch von religiösen Veranstaltungen<br />

• In Verantwortung von Gott leben<br />

angesprochen wird, gehen<br />

• ambitionslos – sozial distanzierte Unterhaltungstyp<br />

• der expressive Erlebnistyp<br />

• der musisch-unkonventionelle Niveautyp.<br />

92


Religiöser Integrationstyp<br />

Schaubild 17<br />

-0.37<br />

Techno/House<br />

Musikgeschmack<br />

-0.48<br />

Punk/Heavy Metal<br />

-0.55<br />

Pop/Rock<br />

Schlager<br />

0.4<br />

Volksmusik<br />

0.7<br />

-0.68<br />

Actionfilme<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

-0.3<br />

Sportsendungen<br />

-0.65<br />

Krimis<br />

-0.52<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

-0.38<br />

Nachrichten<br />

-0.5<br />

Spielfilme<br />

-0.34<br />

K<strong>in</strong>o-/Discobesuch<br />

Freizeitaktivitäten<br />

-0.35 Sportveranstaltungen besuchen<br />

-0.31<br />

Sport treiben<br />

Besuch religiöser Anlässe<br />

0.97<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

0.59<br />

-0.34<br />

Restaurantbesuch<br />

-0.63<br />

Yoga/Medidation<br />

-0.32<br />

Computer nutzen<br />

-0.39<br />

Tonträger hören<br />

-0.6<br />

Selbstverw irklichung<br />

Erziehungsziele<br />

-0.33 Gesellschaftlicher Aufstieg<br />

Verantw ortung vor Gott<br />

0.84<br />

-0.64<br />

Genuss<br />

-0.6<br />

Abw echslung<br />

-0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

93


Wenig Interesse br<strong>in</strong>gt der religiöse Integrationstyp Kultur- <strong>und</strong> Kunstsendungen<br />

im Fernsehen entgegen, wie auch den täglichen Nachrichten.<br />

Abgelehnt werden die Formen der modernen Erlebnis- <strong>und</strong> Informationsgesellschaft:<br />

K<strong>in</strong>o- <strong>und</strong> Discobesuch, Besuch von Sportveranstaltungen, aktive<br />

sportliche Betätigung als Ausdruck zeitgenössischer Körperkultur, der Zugang<br />

zur virtuellen Welt des Internets, Gebrauch des Computers, Restaurantbesuch.<br />

Die Lebensphilosophie, wie sie <strong>in</strong> den Aussagen: „E<strong>in</strong> anregendes<br />

<strong>und</strong> abwechslungsreiches Leben führen“, <strong>und</strong> „Etwas vom Leben haben, das<br />

Leben geniessen“, zum Ausdruck kommt, verstellt den Blick auf das ewige<br />

Leben im Jenseits. Die Religion steht dermassen hoch im Kurs, dass daneben<br />

alle anderen möglichen Lebensaspirationen verblassen. Die dom<strong>in</strong>ierende<br />

Bedeutung der Religion gibt diesem <strong>Lebensstil</strong>typ se<strong>in</strong> unverwechselbares<br />

Gepräge. Mit dem musisch-unkonventionellen Niveautyp verb<strong>in</strong>den ihn die<br />

ger<strong>in</strong>gste Anzahl positiver Merkmalsausprägungen <strong>und</strong> damit die Reduktion<br />

auf wenige Profilmerkmale. Besticht der gesellschaftsoffene Integrationstyp<br />

durch aktive Beteiligung am gesellschaftlichen Leben <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Offenheit für<br />

Gesellschaftsgestaltung, zeichnet sich der religiöse Integrationstyp dadurch<br />

aus, dass er sich von diesseitigen Leben abgrenzt zugunsten des jenseitigen.<br />

<strong>Lebensstil</strong>typen im sozialen Raum<br />

8er-Modell<br />

Schaubild 18<br />

Schicht<br />

0.3<br />

0.2<br />

Gesellschaftsoffener<br />

Integrationstyp<br />

Musich-unkonventioneller<br />

Niveautyp<br />

Modernitätsgrad<br />

Innengeleiteter<br />

0.1<br />

Selbstverwirlichungstyp<br />

Ambitionslos-sozial<br />

distanzierter Unterhaltungstyp<br />

0<br />

-0.4 -0.3 -0.2 -0.1 0 0.1 0.2<br />

Religiöser Integrationstyp<br />

-0.1<br />

Expressiver<br />

Erlebnistyp<br />

Zurückhaltend-konventioneller<br />

Unterhaltungstyp<br />

-0.2<br />

Konventioneller<br />

Harmonietyp<br />

-0.3<br />

94


Der religiöse Integrationstyp zeigt antimoderne Züge. Die Berufung auf<br />

Religion als identitäts<strong>in</strong>tegrierendes Merkmal wirkt sozial des<strong>in</strong>tegrativ <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die durch funktionale Differenzierung gekennzeichnet ist,<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der die Religion ihre gesellschaftliche Integrationskraft verloren hat.<br />

In modernen Gesellschaften ist Religion nicht mehr e<strong>in</strong>e alle Lebensbereiche<br />

umfassende Grösse, sondern e<strong>in</strong> Teilbereich neben anderen, die sich nach<br />

eigenen Regeln <strong>und</strong> Gesetzen ausgestalten.<br />

Für den religiösen Integrationstyp hat Religion e<strong>in</strong>e lebens<strong>in</strong>tegrative Bedeutung.<br />

Indem die Religion für ihn identitätsbestimmend ist, tritt alles andere<br />

<strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der existenziellen Relevanz. Religion steht als Chiffre<br />

für das Leben selbst, mit se<strong>in</strong>en Gewohnheiten <strong>und</strong> alltäglichen Selbstverständlichkeiten.<br />

Mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft verliert nun aber<br />

die Religion ihren Charakter als Lieferant <strong>und</strong> Garant von gesamtgesellschaftlich<br />

verb<strong>in</strong>dlichen Lebensformen <strong>und</strong> -werten. Die moderne Gesellschaft<br />

lässt sich nicht mehr durch e<strong>in</strong>en überwölbenden Gesamts<strong>in</strong>n <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Die Repräsentation des Ganzen im Ganzen wirkt per se paradox, weil<br />

ke<strong>in</strong> Teilsystem mehr <strong>in</strong> der Lage ist, für das Ganze zu sprechen. Die gesellschaftlichen<br />

Funktionsbereiche werden nicht mehr durch e<strong>in</strong>en allen geme<strong>in</strong>samen<br />

S<strong>in</strong>n <strong>in</strong>tegriert. Es ist nicht mehr möglich, die Welt als Ganzheit von<br />

e<strong>in</strong>em Standpunkt aus zu begreifen: „Moderne Gesellschaften s<strong>in</strong>d konstitutionell<br />

multiperspektivisch verfasst“. (Kaufmann 2003, 27) Die Welt lässt<br />

sich nicht mehr aus e<strong>in</strong>er Zentralperspektive betrachten.<br />

Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft impliziert e<strong>in</strong>e Entlassung<br />

der Lebensführung aus der Vorherrschaft der Religion, den Verlust<br />

e<strong>in</strong>er umfassenden sozialen E<strong>in</strong>bettung <strong>und</strong> S<strong>in</strong>nstiftung, die der religiöse<br />

Integrationstyp auf privater Ebene weiter bewahrt. In symbolischer Überhöhung<br />

repräsentiert bei ihm die Religion die ganze Persönlichkeit. Sie ist nicht<br />

bloss e<strong>in</strong> Moment des eigenen Selbstverständnisses, sondern dessen Integration.<br />

Religion <strong>und</strong> Welt werden, wie <strong>in</strong> der Moderne, nicht unterschieden. Im<br />

privaten Bereich wird nach wie vor gelebt, was im gesellschaftlichen Transformationsprozess<br />

zur Moderne verloren gegangen ist.<br />

95


II<br />

LEBENSSTIL UND RELIGIOSITÄT<br />

8. <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> religiöse Orientierung<br />

8.1 Dimensionen der religiösen Welt- <strong>und</strong> Lebensdeutung<br />

Das gesamte Spektrum religiöser Pluralität lässt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schriftlichen<br />

Befragung nicht e<strong>in</strong>fangen. Die subjektiv vielfältigen „Religiositäten“ können<br />

mit standardisierten Antworten nur sehr begrenz erfasst werden. Im Vorhaben,<br />

die religiösen Orientierungen <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> zu erheben, stützten<br />

wir uns auf den mehrdimensionalen Raster der Sonderfall-Studien zur Bestimmung<br />

von Religion <strong>in</strong> der Schweiz (Krüggeler 1993, Dubach 2005).<br />

Die religiöse Orientierung wird <strong>in</strong> Erfahrung gebracht über die Zustimmung<br />

oder Ablehnung von Aussagen zur Existenz e<strong>in</strong>er höheren Macht <strong>und</strong><br />

zur Deutung des Todes <strong>in</strong> sechs Weltanschauungsentwürfen: christlicher<br />

Glaube, allgeme<strong>in</strong>er Transzendenzglaube, humanistische Weltanschauung,<br />

atheistische Weltdeutung, synkretistisch-neureligiöser Glaube <strong>und</strong> Agnostizismus.<br />

Die nachgefragten Aussagen zur religiösen Orientierung gruppieren sich<br />

<strong>in</strong> der Faktorenanalyse zu vier eigenständigen E<strong>in</strong>stellungsdimensionen:<br />

Tabelle 17<br />

E<strong>in</strong>verstanden<br />

Religiöse Todesdeutung Ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

– Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 11.4% 15.0% 73.6%<br />

– Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em andren Leben. 59.8% 21.7% 18.5%<br />

– Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt etwas gibt,<br />

bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort. 27.7% 25.5% 46.8%<br />

– Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der Seele<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben. 31.1% 26.7% 42.2%<br />

Neureligiöser Humanismus<br />

– Die höhere Macht: Das ist der ewige Kreislauf<br />

zwischen Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos. 51.9% 21.5% 26.5%<br />

– Was man Gott nennt, ist nichts anderes als<br />

das Wertvolle im Menschen. 32.6% 28.1% 39.1%<br />

Christlicher Glaube<br />

– Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus<br />

zu erkennen gegeben hat. 64.2% 18.4% 18.4%<br />

– Die Auferstehung von Jesus Christus gibt<br />

me<strong>in</strong>em Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n. 39.6% 17.8% 42.6%<br />

Allgeme<strong>in</strong>er Transzendenzglaube<br />

– Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im Leben. 84.9% 7.8% 7.2%<br />

96


Werden die e<strong>in</strong>zelnen Aussagen zur religiösen Orientierung, die zu e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>stellungsdimension gehören, jeweils zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Skala zusammengefasst,<br />

ergeben sich die folgenden Werte:<br />

Dimensionen der Religiosität<br />

Schaubild 19<br />

Religiöse<br />

Todesdeutung<br />

48.8%<br />

40.1%<br />

11.1%<br />

Neureligiöser<br />

Humanismus<br />

31.8%<br />

43.7%<br />

24.5%<br />

Christlicher Glaube<br />

44.6%<br />

30.5%<br />

24.9%<br />

Allgeme<strong>in</strong>er<br />

Transzendenzglaube<br />

85.0%<br />

ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

7.8% 7.2%<br />

Mit den vier E<strong>in</strong>stellungsdimensionen lassen sich 64.2% der Varianzen <strong>in</strong> der<br />

religiösen E<strong>in</strong>stellung erklären. Den grössten Beitrag dazu leistet die E<strong>in</strong>stellung<br />

zum Tod. Angesichts der Tatsache, dass das zeitliche Leben im Tod an<br />

se<strong>in</strong> def<strong>in</strong>itives Ende kommt, stellt sich jeder <strong>und</strong> jedem die dr<strong>in</strong>gende Frage,<br />

ob es e<strong>in</strong>e begründete Hoffnung auf e<strong>in</strong> Leben jenseits der Todesgrenze gibt.<br />

Die Frage nach dem postmortalen Schicksal des Menschen erweist sich als<br />

die zentrale religiöse Thematik.<br />

E<strong>in</strong>e agnostische Lebenshaltung, nach der es unsicher ist, ob es nach dem<br />

Tod überhaupt e<strong>in</strong> Weiterleben gibt, schält sich nicht als e<strong>in</strong>e eigenständige<br />

Deutungsdimension heraus. Sie bildet zusammen mit der Aussage: „Nach<br />

dem Tod ist alles endgültig aus“ den negativen Pol zum Glauben an e<strong>in</strong> Leben<br />

nach dem Tode. Sie steht darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven Zusammenhang<br />

mit der Haltung des neureligiösen Humanismus.<br />

In der Dimension „Christlicher Glaube“ s<strong>in</strong>d die christliche Deutung des<br />

Todes wie der Glaube an die Existenz e<strong>in</strong>es persönlichen Gottes, der sich <strong>in</strong><br />

Jesus Christus zu erkennen gegeben hat, zusammengefasst. Sie erweist sich<br />

als kohärente <strong>und</strong> hoch <strong>in</strong>stitutionalisierte Weltanschauung.<br />

Wie unangemessen es ist, <strong>in</strong> der Schweiz von e<strong>in</strong>er areligiösen Gesellschaft<br />

auszugehen, dokumentieren die Antworten auf die Frage nach der<br />

Existenz e<strong>in</strong>er höheren Macht. Allen anders lautenden Aussagen zum Trotz<br />

ist es bei weitem nicht so, dass e<strong>in</strong>e moderne Gesellschaft im Zuge der sogenannten<br />

Säkularisierung Religion aus dem Weg räumt. Es gilt unter den<br />

Menschen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft weitgehend als normal, se<strong>in</strong> Leben religiös<br />

zu deuten. Religiösse<strong>in</strong> stellt e<strong>in</strong>e sozial-kulturelle Selbstverständlichkeit dar.<br />

97


8.2. Religiöse Typen<br />

Zu welchen Überzeugungskonfigurationen sich die eben geschilderten religiösen<br />

Basisdimensionen unter den <strong>jungen</strong> Eltern bündeln, lässt sich mit Hilfe<br />

der Cluster-Analyse ermitteln. Sie zeigt uns, mit welchen Mischformen <strong>und</strong><br />

typischen Ausgestaltungen von Religiosität wir es unter ihnen zu tun haben<br />

<strong>und</strong> wie stark sie <strong>in</strong> dieser Bevölkerungsgruppe verbreitet s<strong>in</strong>d. Mit der Methode<br />

der Cluster-Analyse lassen sich jene Personen zusammenfassen, die <strong>in</strong><br />

ihrer religiösen Lebensauffassung e<strong>in</strong>ander sehr ähnlich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ge<br />

Überschneidungen mit anderen Religionstypen aufweisen.<br />

Die <strong>in</strong> 8.1 dokumentierten neun Aussagen zur religiösen Orientierung<br />

gruppieren sich mit Hilfe der Cluster-Analyse zu sechs verschiedenen religiösen<br />

Typen:<br />

Typen religiöser Orientierung<br />

Schaubild 20<br />

25%<br />

23.3%<br />

20%<br />

17.4%<br />

20.0%<br />

18.3%<br />

15%<br />

14.3%<br />

10%<br />

6.8%<br />

5%<br />

0%<br />

Exklusive<br />

Christen<br />

Synkretistische<br />

Christen<br />

Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene<br />

Religiöse<br />

Humanisten<br />

Areligiöse<br />

Schaubild 21 illustriert die charakteristischen Ausprägungen der sechs eruierten<br />

religiösen Überzeugungstypen unter den befragten Vätern <strong>und</strong> Müttern.<br />

Auf e<strong>in</strong>er Skala von 0 bis 4 lassen sich die Zustimmung oder Ablehnung der<br />

sechs religiösen Typen zu den e<strong>in</strong>zelnen Glaubensaussagen <strong>in</strong> Form von<br />

Mittelwerten ablesen, wobei 4 „voll <strong>und</strong> ganz e<strong>in</strong>verstanden“ bedeutet, 0<br />

„überhaupt nicht e<strong>in</strong>verstanden“.<br />

98


Profil der religiösen Typen<br />

Schaubild 21<br />

Trifft nicht zu<br />

trifft zu<br />

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4<br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im<br />

Leben.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus<br />

zu erkennen gegeben hat.<br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus.<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt<br />

etwas gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt<br />

me<strong>in</strong>em Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em anderen<br />

Leben.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der<br />

Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

Die höhere Macht: Das ist der ewige Kreislauf<br />

zwischen Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als<br />

das Wertvolle im Menschen.<br />

Mittelwerte<br />

Exklusive<br />

Christen<br />

Synkretistische<br />

Christen<br />

Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene<br />

Religiöse<br />

Humanisten<br />

Areligiöse<br />

99


8.2.1 Exklusive Christen<br />

Der Typ des exklusiven Christen (17.4%) zeichnet sich durch hohe Zustimmung<br />

zu den beiden Statements aus, mit denen <strong>in</strong> der Befragung die Orientierung<br />

am christlichen Glauben angesprochen wird:<br />

Tabelle 18<br />

Religiöse Orientierungen<br />

e<strong>in</strong>verstanden<br />

ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu<br />

erkennen gegeben hat.<br />

99.0% 0.5% 0.5%<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

96.0% 3.0% 1.0%<br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im<br />

Leben.<br />

85.1% 2.0% 12.9%<br />

Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em andren<br />

Leben.<br />

77.7% 7.9% 14.4%<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der<br />

Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

8.9% 7.4% 83.7%<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt<br />

etwas gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

5.5% 7.4% 87.1%<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als das<br />

Wertvolle im Menschen.<br />

3.5% 6.4% 90.1%<br />

Die höhere Macht: Das ist der Kreislauf zwischen<br />

Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

2.5% 13.4% 84.1%<br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 0.4% 1.0% 98.6%<br />

Mit dem Adjektiv ‚exklusiv’ soll ausgedrückt werden, dass sich die Personen<br />

dieses Glaubenstyps nachdrücklich von anderen religiösen Lebensdeutungen<br />

distanzieren. Im Christentum erkennen sie das unh<strong>in</strong>terfragbare F<strong>und</strong>ament<br />

ihrer Lebensführung. An der Existenz Gottes hegen sie ke<strong>in</strong>en Zweifel, Ungewissheit<br />

über e<strong>in</strong> Leben nach dem Tod quält sie nicht.<br />

In der Übernahme des kirchlich verfassten Christentums geschieht e<strong>in</strong>e<br />

vorbehaltslose Identifikation mit der christlichen Glaubensüberzeugung. Die<br />

unaufhebbare Vielfalt gegenwärtiger Lebensverhältnisse wird <strong>in</strong> Richtung<br />

auf Klarheit <strong>und</strong> E<strong>in</strong>deutigkeit überw<strong>und</strong>en. Die/der E<strong>in</strong>zelne greift auf e<strong>in</strong>en<br />

ordnenden Rahmen ihrer/se<strong>in</strong>er Lebensführung zurück, auf e<strong>in</strong> fixiertes Koord<strong>in</strong>atensystem<br />

von Normen <strong>und</strong> S<strong>in</strong>norientierungen. Die Regeln, Normen,<br />

Ziele <strong>und</strong> Wege der Lebensführung müssen nicht ständig neu ausgehandelt<br />

werden. Das Leben erhält e<strong>in</strong> tragendes F<strong>und</strong>ament. Die exklusiven Christen<br />

lassen sich von e<strong>in</strong>em normativen Modell gelungener Identitätsbildung leiten.<br />

Das Leben ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er positiven Konzeption von S<strong>in</strong>n f<strong>und</strong>iert, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ganz<br />

bestimmten Vorstellung davon, wie das Leben von Menschen generell verfasst<br />

se<strong>in</strong> muss, um als s<strong>in</strong>nhaft erfahren zu werden.<br />

Die exklusiven Christen leben e<strong>in</strong> dezidiertes Christse<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>gebettet <strong>und</strong><br />

verankert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e festgefügte Weltanschauung. Gefolgschaft prägt das Ver-<br />

100


halten. Der Beurteilung der Menschen entzogen, gibt der Glaube ihnen vor,<br />

was im Leben zu tun ist. Die religiöse Welt des Christentums ersche<strong>in</strong>t als<br />

verpflichtende Vorgabe <strong>und</strong> nicht als unverb<strong>in</strong>dliche Offerte zur Deutung des<br />

eigenen Lebens.<br />

Unter den exklusiven Christen überlebt e<strong>in</strong>e Dase<strong>in</strong>svorstellung aus e<strong>in</strong>er<br />

gesellschaftlichen Epoche, <strong>in</strong> der die <strong>in</strong>dividuelle Lebensführung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

stabilen kulturellen Rahmen von verlässlichen Traditionen e<strong>in</strong>gebettet war,<br />

der Sicherheit <strong>und</strong> Gewissheit <strong>in</strong> der Lebensausrichtung vermittelte. Das<br />

H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> die Gesellschaft bedeutete, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vorgegebenen<br />

Identitätsgehäuse e<strong>in</strong>zurichten. Die Mensachen lebten <strong>in</strong> festen weltanschaulichen<br />

Behausungen. Unter den Bed<strong>in</strong>gungen der gegenwärtigen Gesellschaft<br />

haben ganzheitliche ‚Schnittmuster’, nach denen sich die Menschen biografisch<br />

entwerfen <strong>und</strong> ihr Leben gestalten, ihre Prägekraft verloren. Die gesellschaftliche<br />

Entwicklung fördert die Dekonstruktion haltgebender, im Rückblick<br />

autoritärer Weltdeutungen, „die Freisetzung aus gleichermassen orientierenden<br />

<strong>und</strong> schützenden wie präjudizierenden <strong>und</strong> gefangennehmenden<br />

Verhältnissen“ (Habermas 1998, 126f.). Nur noch <strong>in</strong> Restbeständen existieren<br />

Lebenswelten mit geschlossener weltanschaulich-religiöser S<strong>in</strong>ngebung,<br />

klaren Autoritätsverhältnissen <strong>und</strong> Pflichtenkatalogen.<br />

E<strong>in</strong>es der kennzeichnenden Merkmale moderner Gesellschaften ist es,<br />

dass sie sich nicht mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong> festgefügtes, überwölbendes Weltbild <strong>in</strong>tegrieren<br />

lassen. Im Lauf der Modernisierung splitterte sich die Gesellschaft <strong>in</strong><br />

immer zahlreichere E<strong>in</strong>zelbereiche auf, da Freizeit, hier Bildung, dort Beruf,<br />

da Politik, mediz<strong>in</strong>ische Versorgung, Religion usw. mit je unterschiedlichen<br />

Strukturen <strong>und</strong> Verhaltensanforderungen an den E<strong>in</strong>zelnen. Die verschiedenen<br />

Lebenskreise der Menschen bilden nicht mehr wie e<strong>in</strong>st, mite<strong>in</strong>ander <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander verwoben, e<strong>in</strong> Lebensganzes mit e<strong>in</strong>em weitgehend anerkannten<br />

Weltbild. Die neuzeitliche gesellschaftliche Ausdifferenzierung zergliederte<br />

den Erfahrungs- <strong>und</strong> Lebenszusammenhang früherer Zeiten. E<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> abgestützt durch die Ressourcen des Wohlfahrtstaates hat die Dynamik<br />

des gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse die Menschen aus ganzheitlichen<br />

Lebenszusammenhängen herausgelöst. Moderne Lebensverhältnisse<br />

gehen e<strong>in</strong>her mit e<strong>in</strong>em Verblassen e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Weltsicht, die der<br />

Alltagsbewältigung Konturen gibt.<br />

In dem Masse als die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit zur kulturellen<br />

Selbstverständlichkeit wird, stellt die Berufung auf e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Gesichtspunkt,<br />

von dem her die Welt erklärt <strong>und</strong> gestaltet werden könnte, e<strong>in</strong>e illegitime<br />

Vere<strong>in</strong>fachung dar. Demzufolge s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der herrschenden Kultur alle<br />

Denksysteme von Legitimitätsverlust bedroht, die für sich <strong>in</strong> Anspruch nehmen,<br />

die Welt als E<strong>in</strong>heit zu begreifen - auch das Christentum. Der E<strong>in</strong>zelne<br />

sieht sich zunehmend e<strong>in</strong>er heterogenen, plural gewordenen Wirklichkeit<br />

gegenüber, sie sich se<strong>in</strong>em Anspruch oder se<strong>in</strong>er Sehnsucht nach der ‚e<strong>in</strong>en<br />

101


Welt’ immer radikaler verweigert. Die Vorstellung von e<strong>in</strong>er ganzheitlichen<br />

Welt- <strong>und</strong> Lebenssicht widerspricht der Moderne gr<strong>und</strong>legend.<br />

Die Gesellschaft ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er als ständigen Bewegung, die weder<br />

Normen oder Idealen noch e<strong>in</strong>er geschichtlichen Teleologie folgt, sondern<br />

nur ihrer flexiblen Selbsterhaltung durch Selbststeuerung. Die kollektive<br />

Ziellosigkeit der Veränderlichkeit lässt e<strong>in</strong> azentrisches Weltbild entstehen,<br />

das e<strong>in</strong>e Umkehrung der traditionellen Vorstellung e<strong>in</strong>es das Ganze repräsentiernden<br />

Mittelpunkts be<strong>in</strong>haltet. Der Rationalisierungsprozess der Moderne<br />

lässt die alten, metaphysischen Weltbilder zerbrechen. Der Mensch sieht sich<br />

nicht mehr aufgehoben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em grösseren Ganzen. Die E<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>enheit des<br />

Mikrokosmos <strong>in</strong> den Makrokosmos, das Aufgehobense<strong>in</strong> der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Welten <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>igenden grossen Welt, die ihrerseits gemäss christlichen<br />

Vorstellungen <strong>in</strong> den allumspannenden Armen Gottes ruht, verliert sich <strong>in</strong><br />

der Komplexität <strong>und</strong> Unübersichtlichkeit e<strong>in</strong>er ausdifferenzierten Gesellschaft.<br />

Was die Menschen heute erfahren, ist die Erosion der christlichen Grosserzählung<br />

(Gräb 2006, 61), <strong>in</strong> der sie sich, vor allem <strong>in</strong> der Heilsgeschichte,<br />

welche die Bibel erzählt, mit ihrer eigenen Lebensgeschichte unterbr<strong>in</strong>gen<br />

können. Bis <strong>in</strong> die Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> konnten sie sich kommunikativ auf e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same Vergangenheit <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e entsprechend entworfene Zukunft als<br />

Geme<strong>in</strong>schaft von Christen <strong>in</strong> den Kirchen verständigen. Die Moderne jedoch<br />

zerbrach die metaphysische H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>gewissheiten <strong>und</strong> die geschichtstheologische<br />

Legitimationsbasis der grossen Erzählung von Schöpfung<br />

<strong>und</strong> Sündenfall, Leben <strong>und</strong> Sterben Jesu, Versöhnung <strong>und</strong> Erlösung<br />

durch Jesus Christus am Kreuz, vom Endgericht wie deren Verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />

<strong>und</strong> Prägekraft, die sie für die Gesellschaft <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>st hatten.<br />

Dass die exklusiven Christen ihre Weltanschauung zum Kernbestand ihrer<br />

Identität machen <strong>und</strong> aus ihr die Leitl<strong>in</strong>ien für die Lebensführung ableiten,<br />

gründet wesentlich <strong>in</strong> ihrer engen Kirchenb<strong>in</strong>dung (Schaubild 22). „Exklusive<br />

Identifikationen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> hohem Masse angewiesen auf stützende soziale<br />

Beziehung.“ (Schweitzer, Englert, Schwab, Zibertz 2002, 40). Die geme<strong>in</strong>sam<br />

geteilte <strong>und</strong> gelebte Glaubensüberzeugung wird als e<strong>in</strong>e das ganze<br />

Leben umfassende <strong>und</strong> verwandelnde Kraft erfahren. Der exklusive Christ<br />

lernt sich als Gleichges<strong>in</strong>nter im Spiegel se<strong>in</strong>er Mitchristen begreifen. Der<br />

Typ des exklusiven Christen liesse sich auch als „kirchlich-christlich“ bezeichnen,<br />

<strong>in</strong>sofern er e<strong>in</strong>e religiöse Orientierung repräsentiert, die sich eng an<br />

den kirchlich verfassten Glauben <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Ausdrucksformen anlehnt. Religiöses<br />

Erleben <strong>und</strong> Handeln bewegt sich <strong>in</strong> kirchlich vorgezeichneten Bahnen.<br />

In der Kommunikation untere<strong>in</strong>ander erfahren die exklusiven Christen<br />

gegenseitige Bestätigung <strong>in</strong> ihrer Wirklichkeitsauffassung. Mehr als zwei<br />

Drittel besuchen m<strong>in</strong>destens monatlich den Sonntagsgottesdienst. Zu 73.2%<br />

haben sie <strong>in</strong> ihrer Kirche religiöse Beheimatung gef<strong>und</strong>en. Sie sehen ihre<br />

102


Kirchgang nach religiösen Typen<br />

Schaubild 22<br />

70%<br />

60%<br />

52.0%<br />

58.7%<br />

54.9%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

38.2%<br />

35.2%<br />

29.0%<br />

39.8%<br />

40.3%<br />

29.6%<br />

25.6%<br />

39.7%<br />

33.3%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

18.1% 19.2%<br />

16.4%<br />

15.4%<br />

12.6%<br />

Exklusive<br />

Christen<br />

8.0%<br />

4.1%<br />

0.5%<br />

2.2%<br />

Synkretistische<br />

Christen<br />

3.5%<br />

Neureligöse<br />

3.4%<br />

religiösen Bedürfnisse durch das Angebot der christlichen Kirchen gut bedient.<br />

Transzendenzoffene<br />

8.6%<br />

6.2%<br />

3.4%<br />

0.6% 1.3%<br />

Religiöse<br />

Humanisten<br />

Areligiöse<br />

jeden Sonntag bis 2x monatlich gelegentlich (Festtage) selten nie<br />

100%<br />

90%<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Religiöse Typen nach<br />

Konfessionszugehörigkeit<br />

95.2%<br />

Schaubild 23<br />

32.4%<br />

23.7%<br />

20.2% 20.4%<br />

23.9%<br />

20.1%<br />

16.1% 15.5%<br />

19.1% 19.8%<br />

11.5%<br />

12.2%<br />

9.9%<br />

9.7%<br />

7.1%<br />

8.0%<br />

3.7%<br />

4.8%<br />

3.5%<br />

Katholiken Protestanten Freikirchen Konfessionslose<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

103


Fast doppelt so oft ist der Typ des exklusiven Christen unter den Katholiken<br />

(16.1%) vertreten als unter den Protestanten (9.9%) (Schaubild 23).<br />

Rechnet man die Angehörigen von evangelischen Freikirchen den Protestanten<br />

zu, erhöht sich der Anteil exklusiver Christen unter den Protestanten auf<br />

21.5%.<br />

Besonders oft f<strong>in</strong>det sich der exklusive Christ unter den sonntäglichen<br />

Kirchgängern mit 79.2% (Schaubild 24). Der hohe Anteil exklusiver Christen<br />

unter den sonntäglichen Kirchgängern erklärt sich durch das hohe Teilnahmeverhalten<br />

unter Angehörigen von Freikirchen. Nahezu die Hälfte der sonntäglichen<br />

Kirchgänger (48.6%) gehören e<strong>in</strong>er Freikirche an, 33% der katholischen<br />

<strong>und</strong> 5.5% der protestantischen Kirche.<br />

Religiöse Typen nach Kirchgang<br />

Schaubild 24<br />

80%<br />

79.2%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

40.7%<br />

39.4%<br />

34.7%<br />

35.4%<br />

28.1%<br />

24.5%<br />

28.6%<br />

18.3%<br />

18.5%<br />

16.2%<br />

15.4%<br />

15.4%<br />

17.9%<br />

11.5%<br />

4.0% 13.1% 12.0% 7.7%<br />

7.3%<br />

7.2% 6.2%<br />

6.6%<br />

5.1%<br />

1.0%<br />

4.0%<br />

1.0%<br />

1.1%<br />

Jeden Sonntag 1-2 mal monatlich gelegentlich selten nie<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

Exklusive Ausrichtung am christlichen Glauben kennzeichnet den protestantischen<br />

Kirchgänger (m<strong>in</strong>destens monatlich) – unter Ausschluss der Mitglieder<br />

evangelischer Freikirchen – ausgeprägter (41.7%) als den katholischen<br />

(34.1%). Etliche Jahre später bestätigt sich, was sich bereits <strong>in</strong> der Befragung<br />

der beiden Sonderfall-Studien von 1989 <strong>und</strong> 1999 beobachten liess: Der<br />

konfessionelle Unterschied im Umgang mit der Volksreligiosität macht sich<br />

bis auf den heutigen Tag im Kernsegment der beiden Konfessionen bemerkbar.<br />

„Die Frömmigkeitsformen der Katholiken waren <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d stärker von<br />

Ekklektizismus traditioneller Volksreligiosität geprägt als der doktr<strong>in</strong>al <strong>und</strong><br />

rituell purifizierte, <strong>in</strong>sbesondere calv<strong>in</strong>istische Protestantismus.“ (Krüggeler<br />

1993, 118)<br />

104


Schaubild 25<br />

Religiöse Typen nach abgeschlossener Schulbildung<br />

30%<br />

25%<br />

13.8%<br />

19.2%<br />

20%<br />

17.2%<br />

15%<br />

27.6%<br />

25.0%<br />

22.0%<br />

22.8%<br />

22.0%<br />

22.8% 20.3% 22.8%<br />

20.0%<br />

22.0%<br />

19.1%<br />

19.9%<br />

18.8%<br />

17.2%<br />

15.3%<br />

18.3%<br />

14.9% 14.9% 13.6%<br />

15.0%<br />

15.2%<br />

11.4%<br />

10%<br />

5%<br />

5.2%<br />

6.0%<br />

5.1%<br />

6.9%<br />

6.9%<br />

0%<br />

Ke<strong>in</strong>e/Obligat.<br />

Schule<br />

Berufslehre/<br />

-schule<br />

Matura<br />

Höhere<br />

Fachschule<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

Fachhochschule<br />

Uni<br />

Schaubild 25<br />

Religiöse Typen nach abgeschlossener Schulbildung<br />

30%<br />

25%<br />

13.8%<br />

19.2%<br />

20%<br />

17.2%<br />

15%<br />

27.6%<br />

25.0%<br />

22.0%<br />

22.8%<br />

22.0%<br />

22.8% 20.3% 22.8%<br />

20.0%<br />

22.0%<br />

19.1%<br />

19.9%<br />

18.8%<br />

17.2%<br />

15.3%<br />

18.3%<br />

14.9% 14.9% 13.6%<br />

15.0%<br />

15.2%<br />

11.4%<br />

10%<br />

5%<br />

5.2%<br />

6.0%<br />

5.1%<br />

6.9%<br />

6.9%<br />

0%<br />

Ke<strong>in</strong>e/Obligat.<br />

Schule<br />

Berufslehre/<br />

-schule<br />

Matura<br />

Höhere<br />

Fachschule<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

Fachhochschule<br />

Uni<br />

Katholiken pflegen <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en pragmatischeren Umgang mit den <strong>in</strong>stitutionellen<br />

Vorgaben ihrer Kirche als Protestanten. Die höhere Beteiligung<br />

der Katholiken am kirchlichen Leben geht gleichzeitig e<strong>in</strong>her mit religiösem<br />

105


Synkretismus. Neigen Katholiken eher zu Kompromissen mit der offiziellen<br />

Kirche, geben Protestanten e<strong>in</strong>er eigenständigeren kirchenfremden Auslegung<br />

des religiösen Lebenss<strong>in</strong>nes den Vorzug.<br />

Zu den exklusiven Christen zählen sich Frauen (17.1%) <strong>und</strong> Männer<br />

(18.9%) gleichermassen. E<strong>in</strong>en leicht höheren Anteil von exklusiven Christen<br />

gibt es unter den Hausfrauen (19.9%).<br />

Ke<strong>in</strong>en allzu grossen Schwankungen unterworfen ist der Typ des exklusiven<br />

Christen nach Bildungsgrad (Schaubild 25). Die höchsten Anteile erreicht<br />

er unter Personen, die e<strong>in</strong>e höhere Fachschule besucht (22.8%) oder<br />

Matura (22.0%) gemacht haben. Den höchsten Anteil von exklusiven Christen<br />

lebt <strong>in</strong> der Berufgruppe Landwirtschaft (26.1%). Etwas häufiger als <strong>in</strong><br />

Grossstädten (10%) begegnet man exklusiven Christen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Orten mit<br />

weniger als 1000 E<strong>in</strong>wohnern (16.8%), wie Schaubild 27 <strong>in</strong> Kapitel 8.2.3<br />

zeigt.<br />

8.2.2 Synkretistische Christen<br />

Der zweite Typ (23.3%), der sich <strong>in</strong> der Cluster-Analyse herausgebildet hat,<br />

zeichnet sich durch ebenso hohe Zustimmung zu den christlichen Glaubens<strong>in</strong>halten<br />

aus wie die exklusiven Christen. Im Unterschied zu ihnen zeigt er<br />

sich aber darüber h<strong>in</strong>aus empfänglich für Orientierungsangebote neureligiösesoterischer<br />

Art. Ihn zeichnet e<strong>in</strong>e ausgesprochene Sensibilität für religiöse<br />

Interpretationen jedweder Art aus. Wir haben es hier mit Wanderer zwischen<br />

unterschiedlichen religiösen Welten zu tun. Die Suche nach e<strong>in</strong>em zum<strong>in</strong>dest<br />

halbwegs s<strong>in</strong>nhaften Leben treibt sie um.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Quelle religiöser Orientierung bleibt nach wie vor das<br />

Christentum. Die Verwendung religiöser Deutungsmuster verschiebt sich<br />

<strong>in</strong>dessen von exklusiv kirchlicher Religiosität h<strong>in</strong> zu <strong>in</strong>dividuell gewählter,<br />

aus unterschiedlichen Quellen zusammengesetzter Religiosität. Aus dem<br />

Angebot bereitstehender S<strong>in</strong>ndeutungsmuster wird übernommen, was für die<br />

Lebensführung aufgr<strong>und</strong> der eigenen <strong>in</strong>dividuellen Situation als e<strong>in</strong>schlägig<br />

erachtet wird. Nicht die Entscheidung für e<strong>in</strong>e bestimmte Weltanschauung -<br />

wie bei den exklusiven Christen - charakterisiert die synkretistischen Christen<br />

<strong>in</strong> ihrem Umgang mit religiöser Pluralität, sondern die gleichzeitige<br />

Übernahme unterschiedlicher Überzeugungen, wenn es darum geht, dem<br />

eigenen Leben e<strong>in</strong>en letzten S<strong>in</strong>nzusammenhang zu geben.<br />

Dies hat e<strong>in</strong>e labile Mischung von religiösen Me<strong>in</strong>ungen zur Folge, von<br />

denen e<strong>in</strong> Teil durchaus der traditionell-christlichen Überlieferung entspricht,<br />

daneben aber auch Teile anderer Weltanschauungen enthält. Synkretismus<br />

bezeichnet die Verb<strong>in</strong>dung, Verflechtung <strong>und</strong> auch Vermischung von ursprünglich<br />

nicht zusammenhängenden weltanschaulich-religiösen Ideen <strong>und</strong><br />

Vorstellungen. Die religiöse Vielfalt wird gewissermassen <strong>in</strong> das Individuum<br />

106


h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>verlagert. Den synkretistischen Christen prägt die Zustimmung zu den<br />

Aussagen:<br />

Tabelle 19<br />

e<strong>in</strong>verstanden<br />

Religiöse Orientierungen<br />

ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im 97.8% 2.2% –<br />

Leben.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu 96.4% 3.7% –<br />

erkennen gegeben hat.<br />

Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em andren 86.3% 12.2% 1.4%<br />

Leben.<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em<br />

77.9% 19.9% 2.2%<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

Die höhere Macht: Das ist der Kreislauf zwischen<br />

71.6% 20.7% 7.7%<br />

Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der 49.9% 30.6% 19.6%<br />

Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als das 42.1% 34.7% 23.2%<br />

Wertvolle im Menschen.<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt 23.3% 28.0% 48.7%<br />

etwas gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 1.8% 5.2% 92.9%<br />

Religiöse Aussagen jeder Art f<strong>in</strong>den durchwegs hohe Akzeptanz. Neureligiöse<br />

Lebensdeutungsmuster charakterisieren das Ersche<strong>in</strong>ungsbild des synkretistischen<br />

Christen stärker als den Religionstyp des Neureligiösen. Im Denken<br />

der synkretistischen Christen erfährt die christliche Heilslehre ke<strong>in</strong>e<br />

Relativierung durch den Rekurs auf andere religiöse Weltbilder.<br />

Offensichtlich wird das kirchlich verfasste Christentum nicht mehr als<br />

ausreichend für die Lebensbewältigung erachtet. Es wird aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Deutungsdefizits oder für unerfüllte Bedürfnisse durch Elemente anderer<br />

Weltanschauungen ergänzt. Carsten Wippermann spricht im Blick auf den<br />

synkretistischen Christen von „Ergänzungssynkretismus“ (Wippermann<br />

1998, 234).<br />

In e<strong>in</strong>er anderen Leseart liesse sich der synkretistische Christ entwicklungstheoretisch<br />

als „Übergangsphase zwischen zwei religiösen Positionen“<br />

(Wippermann 1998, 238) <strong>in</strong>terpretieren, an deren Ende die e<strong>in</strong>e Religionsform<br />

durch e<strong>in</strong>e andere ersetzt wird. Bei den synkretistischen Christen lassen<br />

sich Züge e<strong>in</strong>er religiösen Suchbewegung erkennen als Ausdruck e<strong>in</strong>er kreativen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Vielfalt religiöser S<strong>in</strong>nhorizonte im Kontext<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der sich der E<strong>in</strong>zelne divergierenden <strong>und</strong> widersprüchlichen<br />

Anforderungen ausgesetzt sieht. Synkretistische Christen bleiben<br />

nicht bei der Übernahme konventioneller Religiosität stehen. Sie begeben<br />

sich auf die Suche nach e<strong>in</strong>em neuen, m<strong>in</strong>der festgelegten, den religiösen<br />

Bedürfnissen angemesseneren Form von Religiosität. Christliche <strong>und</strong> esoteri-<br />

107


sche Komponenten der Welt- <strong>und</strong> Selbstdeutung werden als „S<strong>in</strong>n-Bricolage“<br />

(Helsper 1994, 214) zusammengefügt.<br />

Die Konfiguration der eigenen Weltanschauung wandelt sich von e<strong>in</strong>er<br />

monoreferenziellen Exklusivität zu e<strong>in</strong>er multireferenziellen Collage, die<br />

nicht mehr der Maxime der Konsistenz folgt. Der generelle Druck zu religiöser<br />

Selbstthematisierungen unter den Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er fortgeschrittenen<br />

Modernisierung veranlasst die synkretistischen Christen, <strong>in</strong> der Reflexion<br />

ihrer eigenen Biografie sich unterschiedlicher religiöser <strong>und</strong> spiritueller Quellen<br />

zu bedienen. Im Unterschied zur lebensgeschichtlich-ordnenden Funktion<br />

von Religion im <strong>in</strong>stitutionalisierten Kontext der Kirchen gew<strong>in</strong>nen reflexive<br />

Formen der Religiosität ausserhalb der Kirchen an Attraktivität. E<strong>in</strong> beachtlicher<br />

Teil der synkretistischen Christen (38.4%) stimmen gleichzeitig der<br />

christlichen Erlösungshoffnung zu, die Auferstehung Jesu Christi gebe dem<br />

eigenen Tod S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> es gebe e<strong>in</strong>e Wiedergeburt der Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren<br />

Leben oder sie verstehen im Kontext e<strong>in</strong>er esoterischen Lebensauslegung die<br />

Existenz e<strong>in</strong>er höheren Macht als ewigen Kreislauf zwischen Mensch, Natur<br />

<strong>und</strong> Kosmos (54.2%). E<strong>in</strong>e synkretistische Glaubenshaltung vertreten weit<br />

mehr Katholiken (32.4%) als Protestanten (19.1%).<br />

Synkretistische Christen zeichnen sich durch e<strong>in</strong>en souveränen Umgang<br />

mit christlicher Tradition, Lehren <strong>und</strong> Wahrheitsansprüchen aus. Sie nutzen<br />

das breite Angebot spiritueller Lehren <strong>und</strong> Techniken, das die globale Kultur<br />

<strong>in</strong>zwischen zur Verfügung stellt, für ihre spirituellen Bedürfnisse. Sie glauben,<br />

sie <strong>in</strong> ihren Herkunftskirchen nicht mehr befriedigen zu können.<br />

Aus den Sonderfall-Studien wissen wir (Dubach, Campiche 1993; Dubach,<br />

Fuchs 2005) dass synkretistische Christen im Unterschied zu den nachfolgenden<br />

religiösen Typen ihrer eigenen Religiosität überdurchschnittliche<br />

Bedeutung auf ihrer Werteskala beimessen. Sie s<strong>in</strong>d von ihrer eigenen religiösen<br />

Kompetenz überzeugt <strong>und</strong> verstehen sich als Christen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em selbstdef<strong>in</strong>ierten,<br />

die kirchlichen Vorgaben sprengenden Rahmen. Sie nutzen unvore<strong>in</strong>genommen<br />

<strong>und</strong> mit offenen Augen das vielfältige <strong>und</strong> ständig wachsende<br />

Angebot auf dem expandierenden Markt der Lebenshilfe <strong>und</strong> S<strong>in</strong>nstiftung.<br />

Wer e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>er Buchhandlung vor dem Regal ‚Lebenshilfe/Esoterik’ stand,<br />

der ist überwältigt von der Vielzahl der Buchtitel <strong>und</strong> den <strong>in</strong> den Prospekten<br />

<strong>und</strong> Flyers enthaltenen Versprechungen.<br />

Synkretistische Christen reklamieren für sich die Def<strong>in</strong>itionshoheit über<br />

ihre eigene Religiosität. Ausgehend von e<strong>in</strong>er gleichwertigen Pluralität religiöser<br />

S<strong>in</strong>nstiftung entziehen sie sich dem Anspruch auf e<strong>in</strong> Deutungsmonopol<br />

durch die kirchlichen Funktionsträger, die häufig schnell mit e<strong>in</strong>em desavouierenden<br />

Urteil gegenüber e<strong>in</strong>er synkretistischen Glaubenshaltung zur<br />

Stelle s<strong>in</strong>d. Im S<strong>in</strong>ne des Konsumentenschutzes glauben sie, die Menschen<br />

vor den schädlichen E<strong>in</strong>flüssen des spirituellen Marktes schützen zu müssen.<br />

Gewarnt wird von e<strong>in</strong>er „Cafeteria-Religion“, die sich <strong>in</strong> den christlichen<br />

Kirchen breitmache. So diagnostiziert der protestantische Theologe Friedrich<br />

108


Wilhelm Graf: „Die früher an den unscharfen Rändern der evangelischen<br />

Kirche angesiedelte vagab<strong>und</strong>ierende Religiosität f<strong>in</strong>det sich nun auch <strong>in</strong> den<br />

kirchlichen B<strong>in</strong>nenmilieus <strong>und</strong> synkretistisch bunte ‚Cafeteria-Religion’ mit<br />

ganzheitlicher Körpererfahrung, importierter Re<strong>in</strong>karnationshoffnung <strong>und</strong><br />

narzisstischer Gefühligkeit wird <strong>in</strong>zwischen auch auf Kirchentagen gefeiert.“<br />

(Graf 2004, 259)<br />

Der synkretistische Christ verkörpert e<strong>in</strong>en Religionstypen, der als „spiritueller<br />

Wanderer“ beschrieben werden kann. Se<strong>in</strong> Interesse an religiösen <strong>und</strong><br />

spirituellen Erfahrungen führt ihn dazu, christliche <strong>und</strong> nichtchristliche spirituelle<br />

Traditionsbestände <strong>und</strong> Selbsterfahrungstechniken für sich <strong>in</strong> Anspruch<br />

zu nehmen <strong>und</strong> sich auch <strong>in</strong> gleicher Weise aus dem Repertoire oftmals trivialer<br />

psychologischer <strong>und</strong> pädagogischer Selbstf<strong>in</strong>dungs- <strong>und</strong> Therapiemethoden<br />

zu bedienen. Charakteristisch für den spirituellen Wanderer s<strong>in</strong>d nach<br />

W<strong>in</strong>fried Gebhardt, Mart<strong>in</strong> Engelbrecht <strong>und</strong> Christoph Boch<strong>in</strong>ger drei<br />

Gr<strong>und</strong>überzeugungen: 1. das Bild der vielen Wege, die zur Wahrheit führen;<br />

2. der Anspruch auf die Deutungshoheit <strong>und</strong> 3. „die Annahme e<strong>in</strong>es dem<br />

Menschen positiv <strong>und</strong> unbed<strong>in</strong>gt zugewandten Absoluten“ (2005, 143). Der<br />

spirituelle Wanderer besteht darauf, se<strong>in</strong>en eigenen Weg zu gehen. Die unterschiedlichen<br />

spirituellen Wege zu sich selbst, die ausgewählt <strong>und</strong> ausprobiert<br />

werden, konvergieren <strong>in</strong> der Vorstellung e<strong>in</strong>er transzendenten Wirklichkeit.<br />

Der spirituelle Wanderer unterscheidet sich e<strong>in</strong>erseits von der religiösen<br />

Sozialfigur des Pilgers, der e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiges <strong>und</strong> präzis def<strong>in</strong>iertes Ziel verfolgt.<br />

Andererseits aber auch von der Figur des Landstreichers, wie er von<br />

Zygmunt Baumann als typisch für die S<strong>in</strong>nsuche <strong>in</strong> der Moderne betrachtet<br />

wird. Der Landstreicher „weiss nicht, wie lange er dort, wo er ist noch bleiben<br />

wird. Unterwegs wählt er sich se<strong>in</strong>e Ziele, wie sie kommen <strong>und</strong> wie er<br />

sie von den Wegweisern abliest; aber selbst dann weiss er nicht sicher, ob er<br />

an der nächsten Station Rast machen wird, <strong>und</strong> für wie lange. Er weiss nur,<br />

dass se<strong>in</strong>es Bleibens sehr wahrsche<strong>in</strong>lich nicht lange se<strong>in</strong> wird. Was ihn forttreibt,<br />

ist die Enttäuschung über den Ort se<strong>in</strong>es letzten Verweilens sowie die<br />

nie versagende Hoffnung, der nächste Ort, von ihm noch nicht besucht, oder<br />

vielleicht der übernächste möchte frei se<strong>in</strong> von Mängeln, die ihm die bisherigen<br />

verleidet haben.“ (Baumann 1993) Er folgt dem Zufall <strong>und</strong> geniesst das<br />

Leben dort, wo dieses ihn h<strong>in</strong>führt. Der religiöse Wanderer lässt zwar nicht<br />

ab von der Idee der notwendigen Zielgerichtetheit des Lebens, „er deutet sie<br />

nur um: als se<strong>in</strong>e eigene, <strong>in</strong>dividuelle, nur von ihm alle<strong>in</strong> zu bewältigende<br />

Lebensaufgabe, die unabgeschlossen bleibt, solange er ‚strebt’“ (Gebhardt,<br />

Engelbrecht, Boch<strong>in</strong>ger 2005 151).<br />

Die soziale Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche lockert sich im Vergleich zu<br />

den exklusiven Christen. Synkretistische Christen s<strong>in</strong>d markant seltener im<br />

Sonntagsgottesdienst anzutreffen (Schaubild 23).<br />

Nach abgeschlossener Schulbildung ist der Typ des synkretistischen<br />

Christen ke<strong>in</strong>en grossen Schwankungen unterworfen. Städter (14%) <strong>und</strong><br />

109


Personen <strong>in</strong> ländlichen Gegenden (12.1%) ordnen sich etwas weniger den<br />

synkretistischen Christen zu (Schaubild 27).<br />

8.2.3 Neureligiöse<br />

Die Neureligiösen (20%) markieren Distanz sowohl zum ersten wie zum<br />

zweiten Religionstyp mit ihrer Mischung aus Christentum <strong>und</strong> religiöser<br />

Identitätsbildung im weiten Kontext des New Age. Den christlichen Glaubensaussagen<br />

begegnet der neureligiöse Religionstyp skeptisch bis ablehnend.<br />

Er neigt wie die synkretistischen Christen e<strong>in</strong>er ausserchristlichreligiösen<br />

Todesdeutung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em neureligiösen Humanismus zu.<br />

Den Typ des Neureligiösen charakterisieren die Aussagen <strong>in</strong> der Reihenfolge:<br />

Tabelle 20<br />

Religiöse Orientierungen<br />

e<strong>in</strong>verstanden<br />

ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im Leben. 93.1% 3.4% 3.4%<br />

Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em andren Leben. 89.3% 9.4% 1.3%<br />

Die höhere Macht: Das ist der Kreislauf zwischen 77.7% 16.3% 6.0%<br />

Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der 69.1% 25.3% 5.6%<br />

Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als das 39.0% 31.8% 29.1%<br />

Wertvolle im Menschen.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu 32.2% 33.5% 34.3%<br />

erkennen gegeben hat.<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt etwas 15.4% 24.0% 60.5%<br />

gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 1.7% 3.9% 94.4%<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

1.3% 9.0% 89.7%<br />

Neureligiöse suchen Konsistenz <strong>und</strong> E<strong>in</strong>deutigkeit nicht <strong>in</strong> der Konturiertheit<br />

des traditionell-christlichen Religionsverständnisses mit se<strong>in</strong>en dogmatisierten,<br />

allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlichen Inhalten <strong>und</strong> pendeln nicht wie der synkretistische<br />

Christ zwischen unterschiedlichen Religionsformen h<strong>in</strong> <strong>und</strong> her, sondern<br />

sie optieren für e<strong>in</strong>en Religionstyp der Bewusstse<strong>in</strong>serweiterung <strong>und</strong> der<br />

Transzendierung des Ich h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit mit dem Göttlichen im Kosmos.<br />

Die Idee von der E<strong>in</strong>heit des Universums kommt dem Wunsch nach Konsistenz<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gespaltenen Welt entgegen. Die Unverb<strong>in</strong>dlichkeit der esoterischen<br />

Angebote ermöglicht e<strong>in</strong>e ungeb<strong>und</strong>ene Suche nach Ganzheit <strong>in</strong> der<br />

Persönlichkeitsentwicklung. Die New-Age-Religiosität sche<strong>in</strong>t deshalb so<br />

erfolgreich, weil über esoterische Inhalte e<strong>in</strong> Programm der Selbstentdeckung<br />

<strong>und</strong> Selbstthematisierung angeboten wird.<br />

110


Das praktische Programm der Esoterik zielt auf Selbstverwirklichung als<br />

Weg zum ‚höheren Selbst’, zum Wesenskern des Selbst, zum Göttlichen im<br />

Menschen. Die Thematisierung des eigenen Ich als Zentrum religiöser Erfahrung<br />

<strong>und</strong> Verantwortung ist der Versuch, se<strong>in</strong>er selbst habhaft zu werden.<br />

Die eigene Erfahrung, das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>horchen <strong>in</strong> die Transzendenz des eigenen<br />

Selbst bekommt religiösen Charakter. Die ‚Individualität ohne Ende’ als<br />

Charakteristikum radikaler Modernität erweist sich als religionsproduktiv im<br />

S<strong>in</strong>ne des Suchens nach Transzendenz <strong>und</strong> Sicherheit im eigenen Selbst. Der<br />

Typ des Neureligiösen verkörpert e<strong>in</strong>en Perspektivenwechsel von e<strong>in</strong>er geoffenbarten,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lehre verfassten Religion h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er subjektivistischen<br />

Struktur der Wirklichkeitsauffassung.<br />

Mit den Christen nimmt der neureligiöse Typ an, dass nach dem Tod<br />

nicht alles aus ist. Die Aussage: „Man weiss nicht, ob es nach dem Tod etwas<br />

gibt“, bejahen nur wenige (15.4%). Neureligiöse repräsentieren e<strong>in</strong>e religiöse<br />

Haltung, nach der die persönliche Existenz durch Wiedergeburt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Kreislauf des Lebens e<strong>in</strong>gespannt ist.<br />

Die Neureligiösen grenzen sich deutlich gegen das traditionell-kirchliche,<br />

konfessionelle Christentum ab, aber auch gegen den Typ des Areligiösen <strong>und</strong><br />

verb<strong>in</strong>den die Vorstellung von e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong> gefassten transzendenten,<br />

höheren Macht mit dem Bild e<strong>in</strong>es ewigen Kreislaufs zwischen Mensch,<br />

Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

Man kann sagen, “dass die Esoterik <strong>in</strong> Gestalt dessen, was auch als New<br />

Age bezeichnet wird, zu e<strong>in</strong>er der verbreitesten öffentlich zugänglichen Formen<br />

der Religion geworden ist“ (Knoblauch 1999, 212). Ihre Lehren <strong>und</strong><br />

Praktiken s<strong>in</strong>d Teil des kollektiven Bewusstse<strong>in</strong>s geworden. Auch ohne ausdrücklichen<br />

Bezug zum New Age verdichten sich beim Typ des Neureligiösen<br />

Gr<strong>und</strong>züge des New-Age-Weltbildes. Die Esoterik kann zum e<strong>in</strong>en als<br />

Reaktion auf das „Unbehagen an der Moderne“ (Berger, Berger, Kellner,<br />

1975) angesehen werden, zum anderen als Reaktion auf die Notwendigkeit<br />

der Subjektivierung <strong>in</strong> der modernen Gesellschaftsentwicklung. Sie ist gekennzeichnet<br />

durch die Überzeugung, dass die sichtbare Welt nicht die e<strong>in</strong>zige<br />

<strong>und</strong> ganze Wirklichkeit ist, sondern von e<strong>in</strong>er grösseren, den S<strong>in</strong>nesorganen<br />

unzugänglichen Welt umschlossen wird. Der Zugang zu dieser Welt<br />

führt nach <strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> das eigene Selbst. Der Schlüssel zur anderen Realität<br />

heisst Veränderung des Bewusstse<strong>in</strong>s.<br />

Die Neureligiösen zehren von vielfachen Quellen. Bei aller Verschiedenheit<br />

lässt sich doch e<strong>in</strong>e grobe Geme<strong>in</strong>samkeit dieser Quellen ausmachen: Es<br />

kennzeichnet sie das, was man als „alternative Religiosität“ (Knoblauch<br />

2005,128) bezeichnen könnte. Sie zählen nicht zu den traditionellen religiösen<br />

Formen westlicher Gesellschaften. Die Bandbreite reicht von der Wiederbelebung<br />

keltischer <strong>und</strong> germanischen Rituale, der Aufnahme <strong>in</strong>dianischer,<br />

schamanistischer Techniken, der Adaptation asiatischer Meditationstechniken,<br />

von Feng Shui <strong>und</strong> Ayurveda über Runenmagie <strong>und</strong> Geomantie,<br />

111


Geistheilung, Bachblütentherapie, über die Neo-Gnosis der Esoterik bis h<strong>in</strong><br />

zur sogenannten Human-Potential-Bewegung. Dabei dürfen im <strong>in</strong>nerkirchlichen<br />

Raum auch nicht die Mystik der Hildegard von B<strong>in</strong>gen oder jesuitische<br />

Annäherungen an den Zen-Budismus unerwähnt bleiben.<br />

Die Entlassung des Selbst aus e<strong>in</strong>em gesamtgesellschaftlichen S<strong>in</strong>nhorizont<br />

bürdet dem Individuum die Frage nach dem eigenen ‚Wie-Se<strong>in</strong>s’ auf.<br />

Identität wird gewissermassen zur Entwicklungsaufgabe. Die Innenwelt wird<br />

dem Subjekt realer als se<strong>in</strong>e Aussenwelt. In der Esoterik wird das moderne<br />

Selbst angeleitet, das Unwandelbare <strong>in</strong> sich durch alle möglichen Veränderungen<br />

h<strong>in</strong>durch zu suchen <strong>und</strong> zu erkennen. Der Zugang zu den Energien<br />

des Universums verspricht e<strong>in</strong>en Zuwachs an Kraft, Erkenntnisgew<strong>in</strong>n <strong>und</strong><br />

Stärkung des Selbst. Die Re<strong>in</strong>karnation eröffnet die Möglichkeit, das prozessuale<br />

Geschehen der Identitätskonstruktion <strong>in</strong> unbestimmte Zeit auszudehnen.<br />

In der Regel wird im esoterischen Kontext des New Age ke<strong>in</strong>e übergreifende,<br />

totalisierende S<strong>in</strong>nverortung angestrebt. „Unter dem Dach des New<br />

Age hat – im Dreieck von Religion – Psychologie – Sozialutopie – sehr Unterschiedliches<br />

Platz.“ (Helsper 1997, 188) Hier steht sehr Verschiedenes<br />

nebene<strong>in</strong>ander im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es flexiblen Baukastensystems, <strong>in</strong> dem verschiedene<br />

Elemente zusammengesetzt <strong>und</strong> untere<strong>in</strong>ander ausgetauscht werden<br />

können. Diese Art religiöser S<strong>in</strong>n-Bricolage „bildet die Entsprechung zu<br />

e<strong>in</strong>er Form von Selbstidentität, die beweglich, offen <strong>und</strong> unabgeschlossen<br />

bleibt, für die plurale Inkonsistenz konstitutiv ist <strong>und</strong> die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlichen <strong>und</strong><br />

geschlossenen S<strong>in</strong>nentwürfen ‚aus e<strong>in</strong>em Guss’ – etwa der Religiosität der<br />

Kirchen oder geschlossener neoreligiöser Gruppierungen – eher Freiheitsverlust<br />

sowie e<strong>in</strong>e imag<strong>in</strong>äre Form des modernisierten Selbstzwanges vermutet“<br />

(Helsper 1997, 188).<br />

Der Typ des Neureligiösen lebt se<strong>in</strong>e Religiosität <strong>in</strong> der Regel ausserhalb<br />

der grossen religiösen Organisationen, ihrer Lehren <strong>und</strong> Praktiken. Die Bezeichnung<br />

New Age wird oft auch als „Sammelbegriff für den nichtkirchlichen<br />

Teil der gegenwärtigen religiösen Szenerie“ (Boch<strong>in</strong>ger 1994,<br />

103) verwendet. In der festgefügten, hoch<strong>in</strong>stitutionalisierten christlichen<br />

Tradition, wie sie sich <strong>in</strong>sbesondere im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert herausbildete (Tyrell<br />

1993) mit ihren exklusiven normativen Ansprüchen, fühlt sich der Neureligiöse<br />

ausserstande, se<strong>in</strong>er subjektbezogenen Spiritualität nachzuleben. Die<br />

Beziehung zu den Kirchen beschränkt sich auf gelegentliche Kontakte an<br />

kirchlichen Feiertagen <strong>und</strong> bei familiären Anlässen (Schaubild 23). Mit den<br />

Areligiösen gehören die Neureligiösen mehrheitlich zu den Personen ohne<br />

nennenswerte B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e Kirche. Ihre Motivation für die Kirchenmitgliedschaft<br />

erschöpft sich fast ausnahmslos <strong>in</strong> der Anerkennung der kulturellen<br />

<strong>und</strong> sozialen Leistungen der Kirche, ohne der kirchlichen Lehre Bedeutung<br />

für die eigene Lebensführung beizumessen, <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Wertschätzung<br />

ihrer rituellen Begleitung bei Lebenswenden.<br />

112


Neureligiöse tendieren zur „Ablehnung jeglicher kollektiver Ordnungspr<strong>in</strong>zipien<br />

der Wirklichkeit im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>deutig übergeordneten Instanz“<br />

(Kaufmann 1989, 159). Man ist nicht mehr bereit, der Religion e<strong>in</strong>e überwölbende<br />

Ordnungsfunktion zuzusprechen, sondern man entscheidet sich kontextbezogen<br />

<strong>in</strong> Bezug auf Wertorientierungen <strong>und</strong> „beruft sich als Kriterium<br />

für diese Entscheidung auf das eigene Gewissen“ (Kaufmann 1989, 160).<br />

Personen die e<strong>in</strong>e neureligiöse Spiritualität praktizieren, sprechen <strong>in</strong> der<br />

Regel der Religion <strong>in</strong> ihrem Leben e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Bedeutung zu (Dubach 2005,<br />

67). Die Steigerung der Erlebnis-, Handlungs- <strong>und</strong> Lebensmöglichkeiten<br />

begünstigt nach der 15. deutschen Shell-Studie ‚Jugend 2006’ <strong>in</strong> der <strong>jungen</strong><br />

Generation e<strong>in</strong>e Art „Religion light“ (Gensicke 2006). Jugendliche, bei denen<br />

e<strong>in</strong> Bedürfnis nach Religiosität vorhanden ist, basteln oft e<strong>in</strong>e Collage- oder<br />

Patchwork-Religion zusammen, wofür verschiedenste religiöse <strong>und</strong> pseudoreligiöse<br />

Versatzstücke verwendet werden. Schicksal <strong>und</strong> Vorbestimmung,<br />

Astrologie, Hellsehen <strong>und</strong> Geister s<strong>in</strong>d Teil dieser oft durche<strong>in</strong>ander gewürfelten<br />

Glaubenswelt. In der praktischen Lebensführung spielt für die meisten<br />

Neureligiösen ihre esoterisch e<strong>in</strong>gefärbte Religiosität e<strong>in</strong>e sehr bescheidene<br />

Rolle.<br />

Carsten Wippermann konstatiert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Studie bei <strong>jungen</strong> Erwachsenen,<br />

unter denen e<strong>in</strong>e Collage-Religiosität vorherrscht, <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en Relevanzverlust<br />

religiös begründeter Deutungen für die persönliche Lebensführung:<br />

„Für die meisten hat ihre Weltanschauung (subjektiv) nicht mehr die Funktion<br />

der Bewältigung von Kont<strong>in</strong>genzen, der Beantwortung existenzieller Fragen<br />

oder der Quelle für die Regel ihrer Lebensführung. Sie setzen sich mit<br />

ihrer Weltanschauung nicht bewusst ause<strong>in</strong>ander, kommunizieren sie nicht<br />

<strong>und</strong> identifizieren sich nicht mit ihr. Sie hat (subjektiv) ke<strong>in</strong>e Bedeutung für<br />

die Lebensführung <strong>und</strong> ist allenfalls l’art pour l’art, e<strong>in</strong> Glasperlenspiel.“<br />

(Wippermann 1998, 360)<br />

Die Religiosität der Neureligiösen, durch <strong>in</strong>dividuelles Such- <strong>und</strong> Ausprobierverhalten<br />

geprägt, orientiert sich an der privaten Bef<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong><br />

bedient sich auf dem Markt der S<strong>in</strong>ndeutungsangebote, der sich durch Niederschwelligkeit<br />

auszeichnet. Es bedarf ger<strong>in</strong>ger Anstrengung, <strong>in</strong> Kontakt mit<br />

dieser religiösen Kulturform zu gelangen; e<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dliches Engagement wird<br />

bestenfalls auf Zeit gefordert. Religiöse Orientierungen <strong>und</strong> Praktiken haben<br />

den Charakter von fakultativen Angeboten.<br />

Nicht nur partizipieren die Neureligiösen kaum mehr an der religiösen<br />

Kommunikation <strong>in</strong> den grossen Volkskirchen, sie sprechen auch erheblich<br />

weniger als die exklusiven <strong>und</strong> synkretistischen Christen über ihre persönliche<br />

Religiosität mit Personen <strong>in</strong> ihrer Familie. Thematisieren häufig bis sehr<br />

häufig 63.3% der exklusiven Christen Religion im <strong>Familien</strong>kreis, sprechen<br />

nur 13.3% der Neureligiösen häufig bis sehr häufig ihre Religiosität <strong>in</strong> der<br />

Kommunikation mit <strong>Familien</strong>angehörigen an. Über Bücher, Massenmedien<br />

<strong>und</strong> neuerd<strong>in</strong>gs multimediale Kommunikation s<strong>in</strong>d heute religiöse S<strong>in</strong>nstif-<br />

113


tungsangebote <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Masse verfügbar, dass sich für Neureligiöse e<strong>in</strong>e<br />

religiöse Selbstthematisierung im persönlichen Umfeld weitgehend erübrigt.<br />

Fehlt das Gespräch über religiös-existenzielle Fragen, vergibt man e<strong>in</strong>e<br />

Chance, se<strong>in</strong>e Weltanschauung auf ihre Alltagstauglichkeit h<strong>in</strong> zu überprüfen,<br />

Täuschungen <strong>und</strong> Verwirrungen durch den religiösen Markt zu durchschauen<br />

<strong>und</strong> Gewissheit zu erlangen, auf dem richtigen Weg zu se<strong>in</strong>.<br />

40%<br />

Religiöse Typen nach Geme<strong>in</strong>degrösse<br />

Schaubild 27<br />

40.0%<br />

35%<br />

30%<br />

29.0% 29.6%<br />

25%<br />

23.5%<br />

21.5%<br />

20.5%<br />

14.5%<br />

20%<br />

16.8%<br />

18.1%<br />

16.2%<br />

12.1%<br />

15.4%<br />

15%<br />

13.1%<br />

10%<br />

7.5% 7.2%<br />

5%<br />

22.6%<br />

19.9% 19.8%<br />

19.1% 19.5%<br />

18.0% 17.0%<br />

14.2%<br />

14.2%<br />

10.0%<br />

5.9%<br />

3.7%<br />

14.0%<br />

7.0%<br />

12.0%<br />

0%<br />

-1'000 1'000-5'000 5'000-10'000 10'000-100'000 100'000+<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

Religiöse Typen nach K<strong>in</strong>derzahl<br />

Schaubild 28<br />

35%<br />

32.5%<br />

30%<br />

28.2%<br />

29.0%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

22.1%<br />

18.3%<br />

14.5%<br />

14.0%<br />

21.5%<br />

21.0% 16.1%<br />

19.0%<br />

21.3%<br />

17.0%<br />

13.1%<br />

16.2%<br />

23.3%<br />

17.5%<br />

13.3%<br />

12.5%<br />

10%<br />

7.6%<br />

9.2%<br />

8.4%<br />

5%<br />

0%<br />

3.4%<br />

1 K<strong>in</strong>d 2 K<strong>in</strong>der 3 K<strong>in</strong>der mehr als 3 K<strong>in</strong>der<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

0.8%<br />

114


Markant öfter neigen junge Eltern mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d (28.2%) e<strong>in</strong>er neureligiösen<br />

Weltsicht zu wie auch junge Väter <strong>und</strong> Mütter <strong>in</strong> Grossstädten mit<br />

über 100'000 E<strong>in</strong>wohnern (40%), <strong>in</strong> Führungspositionen (24.7%) <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

technischen Berufen (25.8%).<br />

8.2.4 Transzendenzoffene<br />

Die Differenz von Transzendenz <strong>und</strong> Immanenz, von Diesseits <strong>und</strong> Jenseits<br />

charakterisiert den Typ des Transzendenzoffenen (18.3%). Es gibt für ihn so<br />

etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im Leben (78.4%), die sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu<br />

erkennen gegeben hat (68.1%).<br />

Die Annahme e<strong>in</strong>er transzendenten Wirklichkeit kann unterschiedliche<br />

Ausdeutungen erfahren. Die Vorstellung von Gott verflüchtigt sich zu e<strong>in</strong>em<br />

diffusen Glauben an die Existenz e<strong>in</strong>er höheren Wirklichkeit, gleichsam der<br />

geme<strong>in</strong>same Nenner e<strong>in</strong>er jeden Art religiöser Überzeugung. Der allgeme<strong>in</strong>e<br />

Transzendenzglaube versteht sich als „Lebensdeutung im Unbed<strong>in</strong>gtheitshorizont,<br />

als Symbolisierung der transpragmatischen, unverfügbaren S<strong>in</strong>nbed<strong>in</strong>gungen<br />

menschlichen Lebens“, der „dem E<strong>in</strong>bruch des Absurden, des<br />

S<strong>in</strong>nwidrigen, den Erfahrungen von Endlichkeit, Sterben <strong>und</strong> Tod, der Angst<br />

vor dem Ungewissen“ standhalten lässt (Gräb 2002, 50f.). Die Aussage: „Es<br />

gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht“, verweist implizit auf e<strong>in</strong>e Instanz, die<br />

das ganze Leben umfängt, die trotz aller Erfahrungen des Unabgeschlossenen,<br />

Fragmentarischen die Hoffnung auf Lebenserfüllung wach hält.<br />

Tabelle 21<br />

Religiöse Orientierungen<br />

e<strong>in</strong>verstanden<br />

ja<br />

teils/teil<br />

s<br />

ne<strong>in</strong><br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im Leben. 78.4% 17.4% 4.2%<br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu<br />

erkennen gegeben hat.<br />

68.1% 25.4% 6.6%<br />

Die höhere Macht: Das ist der Kreislauf zwischen<br />

Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

23.4% 45.5% 31.0%<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt etwas<br />

gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

21.2% 48.8% 30.0%<br />

Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em andren Leben. 17.9% 54.5% 27.7%<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

13.6% 39.9% 46.5%<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als das<br />

Wertvolle im Menschen.<br />

14.1% 42.7% 43.2%<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der<br />

Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

9.4% 42.7% 47.9%<br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 0.7% 37.1% 58.2%<br />

115


Die Transzendenzoffenen fühlen sich lose <strong>in</strong> die christliche Tradition e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en,<br />

ohne aber mit den exklusiven <strong>und</strong> synkretistischen Christen die<br />

Überzeugung zu teilen, dass die Auferstehung von Jesus Christus dem eigenen<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n gibt. Das Christentum wirkt als kulturprägende Herkunftsb<strong>in</strong>dung<br />

auch da noch nach, wo es nicht mehr explizit gelebt <strong>und</strong> anerkannt<br />

wird.<br />

Transzendenzoffenheit bezeichnet e<strong>in</strong>e Haltung, die auf e<strong>in</strong>e Transzendenzdimension<br />

verweist, dabei aber weitgehend ohne <strong>in</strong>haltliche religiöse<br />

Festlegungen auskommt. Die Tür zur grossen Transzendenz wird e<strong>in</strong>en Spalt<br />

breit offengehalten. Sie markiert die H<strong>in</strong>tergründigkeit der Realität, ohne sie<br />

jedoch <strong>in</strong>haltlich auszufüllen.<br />

E<strong>in</strong> absoluter Geltungsanspruch wird von den Transzendenzoffene ke<strong>in</strong>er<br />

Religion bzw. christlichen Konfession zugesprochen. Alle religiösen Orientierungsmuster<br />

stehen gleichberechtigt nebene<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> jeder Absolutheitsanspruch<br />

wird als illegitim erachtet. In e<strong>in</strong>er Zeit, die zu e<strong>in</strong>em Dispositiv<br />

der Multiplizität <strong>und</strong> Diversität, der Vielfalt <strong>und</strong> Konkurrenz der Paradigmen<br />

<strong>und</strong> der Koexistenz der Heterogenität (vgl. Welsch 1987, 33) übergegangen<br />

ist, wird die religiöse Dase<strong>in</strong><strong>in</strong>terpretation als kont<strong>in</strong>gent, als „auch<br />

anders möglich“ (Luhmann 1977, 82) erfahren <strong>und</strong> bewusst. Deutungsmuster,<br />

Wertmassstäbe, Lebensmuster verlieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der alles<br />

auch anders möglich wäre, ihre unh<strong>in</strong>terfragbare Geltung. Wahrheit steht im<br />

Plural. Diese Haltung steht gleichermassen <strong>in</strong> Spannung zur Erlösungsreligion<br />

der christlichen Religion wie zur Ablehnung e<strong>in</strong>es Weiterlebens nach dem<br />

Tod durch den Atheismus.<br />

Der Typ des Transzendenzoffenen hält <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em durch wissenschaftlichen<br />

Rationalismus geprägten Kontext an der Vorstellung e<strong>in</strong>er unbed<strong>in</strong>gten Dimension<br />

im Leben fest unter weitgehendem Verzicht auf tradierte religiöse<br />

Weltdeutungen. Gelebt wird e<strong>in</strong>e religiöse Haltung, die für sich nicht bloss<br />

den Himmel offen hält, sondern „e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Unendliche weisende S<strong>in</strong>nstiftung“<br />

(Gräb 2003, 190) ausrückt, e<strong>in</strong>e Gründung im Unbed<strong>in</strong>gten, von der diese<br />

Menschen immer schon lebten, die sie aber nicht zu deuten vermögen. Religion<br />

im S<strong>in</strong>ne der Transzendenzoffenheit heisst Gr<strong>und</strong>vertrauen <strong>in</strong>s Dase<strong>in</strong>,<br />

Glaube als Sich-gegründet-Wissen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er absoluten Realität, ohne sich<br />

gedrängt zu fühlen, diese Erfahrung deuten <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretieren zu müssen Es<br />

ist das Gefühl der Geborgenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Ganzen, das Unfassliches,<br />

Widerwärtiges <strong>und</strong> Desorientierendes im Leben aushalten lässt. Das<br />

Gefühl weckt Zutrauen <strong>in</strong>s Dase<strong>in</strong>. Die Transzendenzoffenheit, wie diffus<br />

<strong>und</strong> implizit er auch immer se<strong>in</strong> mag, bewahrt die Hoffnung auf e<strong>in</strong>en Zustand<br />

des Heils <strong>und</strong> ermöglicht von daher das Aushalten moderner Unübersichtlichkeit<br />

ohne F<strong>und</strong>amentalismus, ohne Verzweiflung <strong>und</strong> ohne Suche<br />

nach <strong>in</strong>tegrativen Welterklärungen. Es erübrigt sich die Frage, warum denn<br />

etwas se<strong>in</strong> soll <strong>und</strong> nicht vielmehr Nichts. Die Gründung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unbed<strong>in</strong>g-<br />

116


ten, e<strong>in</strong>er absoluten Realität liefert die Begründung dafür, dass ich mich für<br />

das Se<strong>in</strong> <strong>und</strong> nicht für das Nichts zu entscheiden habe.<br />

Die Rede von Gott entspricht der unergründlichen Erfahrung, dass es mit<br />

den Tatsachen dieser Welt noch nicht getan ist. „Gott ist e<strong>in</strong>e geistige Realität,<br />

<strong>in</strong> Gedanken existierend, die wir Menschen uns machen. Gedanken<br />

gleichwohl von der Art, dass <strong>in</strong> ihnen e<strong>in</strong>e absolute Realität als unserem<br />

Denken <strong>und</strong> Tun vorauslaufend, es gründend, gedacht ist. Gott hat also gedankliche,<br />

geistige Realität. Das Wort ‚Gott’ ist e<strong>in</strong> Symbol, e<strong>in</strong> S<strong>in</strong>nzeichen<br />

für die geistige Wirklichkeit des Absoluten.“ (Gräb 2003, 195)<br />

Die Rede von Gott ist nach Hans Joas nichts anderes als die Symbolisierung<br />

menschlicher Gr<strong>und</strong>erfahrungen von Selbsttranszendenz, von Erfahrungen,<br />

<strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e Person sich selbst übersteigt “im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es H<strong>in</strong>ausgewiesense<strong>in</strong>s<br />

über die Grenzen des eigenen Selbst, e<strong>in</strong>es Ergriffenwerdens von<br />

etwas, das jenseits me<strong>in</strong>er selbst liegt, e<strong>in</strong>er Lockung oder Befreiung von der<br />

Fixierung auf mich selbst. Diese Selbsttranszendenz ist zunächst also bestimmt<br />

als e<strong>in</strong>e Richtung weg von sich selbst, wie es ja <strong>in</strong> dem etwas altväterlichen<br />

deutschen Wort ‚Ergriffense<strong>in</strong>’ schon zum Ausdruck kommt“ (Joas<br />

2004, 17). Vielfach gesteigert f<strong>in</strong>det sich die Erfahrung von Selbsttranszendenz,<br />

die Überschreitung der Grenzen des Selbst, <strong>in</strong> der Liebe <strong>und</strong> im Verlieben.<br />

Das Gefühl, man habe sich immer schon gekannt <strong>und</strong> sei vom Himmel<br />

füre<strong>in</strong>ander bestimmt, drückt die spontane, nicht erklärbare Wucht aus, mit<br />

der sich zwei Menschen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander erkennen <strong>und</strong> sich vom anderen als angenommen<br />

empf<strong>in</strong>den.<br />

Was es mit diesem unbed<strong>in</strong>gten, das Wissen transzendierenden Se<strong>in</strong>sgr<strong>und</strong><br />

auf sich hat, wie man ihn sich vorstellen kann, ist e<strong>in</strong>e Frage der Deutung.<br />

Religiöse Traditionen verfügen über e<strong>in</strong> reiches Repertoire zur Deutung<br />

der Erfahrung von Transzendenz. Typisch für den Transzendenzoffenen ist<br />

se<strong>in</strong>e Distanz zur Vielfalt religiöser Symbole, Bilder, Erzählungen, zu den<br />

Deutungsvorgaben der christlichen Kirchen wie zu den Angeboten, über<br />

Bewusstse<strong>in</strong>serweiterung Gott <strong>in</strong> der eigenen Innenwelt zu entdecken. Die<br />

Sprache der Religionen erreicht ihn nicht, sei es, dass sie ihm nicht verständlich<br />

ist, ihm zur Erschliessung ihrer Selbsttranszendenzen nicht plausibel<br />

ersche<strong>in</strong>t oder ihm die kulturellen Ressourcen fehlen, sich e<strong>in</strong>e eigene Me<strong>in</strong>ung<br />

zu bilden <strong>und</strong> er von daher dazu neigt, die Deutung religiösen Experten<br />

zu überlassen. Dem E<strong>in</strong>zelnen fällt es unter den Bed<strong>in</strong>gungen der gegenwärtigen<br />

Gesellschaft immer schwerer, sich selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Verhältnis zur Vielfalt<br />

der religiösen Deutungsangebote zu setzen. Dem eigenen Leben e<strong>in</strong>e kohärente<br />

religiöse Deutung zu geben, die vielfältigen Erfahrungen, die aus der<br />

Teilnahme an heterogen strukturierten sozialen Zusammenhängen resultieren,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en religiösen Zusammenhang zu br<strong>in</strong>gen, wird unter diesen Umständen<br />

zu e<strong>in</strong>er voraussetzungsvollen Prozess, auf den e<strong>in</strong>zulassen sich nicht jeder <strong>in</strong><br />

der Lage fühlt. Unbegreiflich s<strong>in</strong>d wesentliche Teile unserer Welt geworden.<br />

Wir begreifen weder das technische Funktionieren der Geräte, von denen<br />

117


unsere Bequemlichkeit abhängt, noch den Zusammenhang der Rechtsnormen,<br />

die e<strong>in</strong>e uns betreffende Entscheidung bestimmen, oder den Zweck von<br />

Behandlungen, die zum Beispiel <strong>in</strong> Krankenhäusern an uns vorgenommen<br />

werden. Verwirrend präsentiert sich für viele die Pluralität religiöser Dase<strong>in</strong>s<strong>in</strong>terpretationen.<br />

Von daher verw<strong>und</strong>ert es nicht, dass manche sich nicht auf<br />

den ebenso herausfordernden wie ermüdenden Versuch e<strong>in</strong>es Aufbaus e<strong>in</strong>er<br />

eigenen expliziten Religiosität e<strong>in</strong>lassen wollen - <strong>und</strong> es vielleicht auch gar<br />

nicht können - <strong>und</strong> sich mit e<strong>in</strong>er gut funktionierenden, rudimentären Religiosität<br />

begnügen.<br />

Auffallend häufig f<strong>in</strong>den sich Transzendenzoffene unter Abgängern der<br />

obligatorischen Schule (27.6%) <strong>und</strong> unter Personen, deren Ausbildung mit<br />

der Berufslehre endete (20%).<br />

Transzendenzoffene lassen sich nur gelegentlich an Festtagen oder <strong>Familien</strong>anlässen,<br />

bei der Taufe, Erstkommunion, Firmung oder Konfirmation, bei<br />

Hochzeiten <strong>und</strong> Beerdigungen, <strong>in</strong> der Kirche blicken (58.7%), andere selten<br />

19.2% <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige wenige überhaupt nie (3.4%).<br />

Der Verlust an Christlichkeit bei schwächerer Kirchenb<strong>in</strong>dung darf nicht<br />

verwechselt werden mit e<strong>in</strong>em spurlosen Verschw<strong>in</strong>den von Religion, als ob<br />

Religiosität bei abbröckelnden Beziehungen zur Kirche ‚verdampfte’. Nicht<br />

Religion als Ganzes verschw<strong>in</strong>det, sondern die kirchliche Religiosität zugunsten<br />

e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>deutigen Religiosität.<br />

Als geme<strong>in</strong>samer Nenner der verschiedenen S<strong>in</strong>ndeutungsangebote hat<br />

sich im gesellschaftlichen Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er, <strong>in</strong>haltlich offener<br />

Transzendenzglaube etabliert, <strong>in</strong> dem gesellschaftlich die Brüchigkeit der<br />

Wirklichkeit auf den Begriff gebracht <strong>und</strong> Dase<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nhaft verarbeitet wird.<br />

In e<strong>in</strong>er Epoche der wachsenden Individualisierung <strong>und</strong> der Vervielfältigung<br />

religiöser Alternativen fällt es schwer, sich für e<strong>in</strong>e bestimmte Form<br />

von Religion zu entscheiden. Da kaum etwas so schwierig ist, wie angesichts<br />

so vieler religiöser Wahlmöglichkeiten, wie sie die moderne Gesellschaft<br />

bereit hält, e<strong>in</strong>e Wahl zu treffen, f<strong>in</strong>den sich viele <strong>in</strong> der eigentümlichen Lage<br />

wieder, dass ihnen religiös viele Türen offenstehen, sie aber am liebsten<br />

durch alle Türen gleichzeitig gehen würden <strong>und</strong> sich alle Optionen offen<br />

halten. Optionsparalyse ist der Ausdruck dafür: Angesichts der vielfältigen<br />

religiösen Möglichkeiten wählt man am Ende gar ke<strong>in</strong>e.<br />

Da Religion e<strong>in</strong>e eher nachrangige Bedeutung im Leben e<strong>in</strong>geräumt wird,<br />

macht man sich darüber auch nicht allzu viele Gedanken. Zeit <strong>und</strong> Engagement<br />

werden durch Familie, Beruf <strong>und</strong> Freizeit derart absorbiert, dass wenig<br />

Aufmerksamkeit mehr übrig bleibt für Fragen der Religion. Es kann an Anlässen<br />

fehlen, die dazu nötigen, sich über Letztbegründungen des Lebens<br />

<strong>in</strong>tensiver Gedanken machen zu müssen. Die Alltagswelt ersche<strong>in</strong>t als dicht<br />

genug, dass der E<strong>in</strong>zelne gar nicht zum Nachdenken über den S<strong>in</strong>n des Lebens<br />

genötigt wird. Die moderne Gesellschaft hält zahlreiche Möglichkeiten<br />

bereit, die die/den E<strong>in</strong>zelne/n davon abhalten, allzu <strong>in</strong>tensiv über die letzten<br />

118


D<strong>in</strong>ge des Lebens nachzudenken. Religion bleibt latent <strong>und</strong> vieldeutig. Man<br />

versteht sich gr<strong>und</strong>sätzlich als religiös, lässt sich aber nicht auf e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

religiöse Option e<strong>in</strong>.<br />

Für die Mehrheit stellen Religion <strong>und</strong> Kirche e<strong>in</strong>e Art Lebensh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

dar, der dann <strong>und</strong> wann, im Falle biografischer Lebenswenden oder <strong>in</strong> Situationen<br />

persönlicher Krisen, aktualisiert wird <strong>und</strong> ansonsten ausgeblendet<br />

bleibt. Die moderne Gesellschaft übt auf den E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> religiösen Fragen<br />

ke<strong>in</strong>en Entscheidungszwang aus. Ob es sich um Probleme des Gelderwerbs,<br />

um die Schul- <strong>und</strong> Berufsausbildung oder um die Berufswahl handelt, ob es<br />

um die Sozialversicherung oder das Verhalten auf dem Konsummarkt geht,<br />

<strong>in</strong> allen diesen Fällen muss sich die/der E<strong>in</strong>zelne entscheiden. Die Gesellschaft<br />

nötigt ihn dazu. Die religiöse Frage dagegen kann offen bleiben. Wie<br />

man sich zu ihr verhält <strong>und</strong> ob man sich überhaupt mit ihr beschäftigt, hat<br />

ke<strong>in</strong>en oder so gut wie ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf den Zugang zu anderen Lebensbereichen<br />

<strong>und</strong> die Handlungsmöglichkeiten <strong>in</strong> ihnen. In religiöser H<strong>in</strong>sicht geht<br />

von der Gesellschaft ke<strong>in</strong> Entscheidungszwang aus. Und offenbar sehen es<br />

viele auch von sich aus nicht als notwendig an, ihr Verhältnis zu Religion<br />

<strong>und</strong> Kirche zu klären.<br />

Die Menschen <strong>in</strong> der Schweiz deuten im Grossen <strong>und</strong> Ganzen ihr Leben<br />

religiös. Sie dokumentieren damit e<strong>in</strong>e andauernde Bedeutung der Religion <strong>in</strong><br />

unserer Gesellschaft. Sie machen die Erfahrung, dass die s<strong>in</strong>nlich erfahrbare<br />

Welt nicht die gesamte Wirklichkeit ausmacht.<br />

Religion wird damit zum <strong>in</strong>tegrativen Fluchtpunkt, der die widersprüchlichen<br />

Erfahrungen im Laufe des Lebens zu e<strong>in</strong>em transzendenten Knoten<br />

zusammenb<strong>in</strong>det. Sie erschliesst den Menschen S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Deutung der Welt<br />

<strong>und</strong> gestattet ihnen, sich <strong>in</strong> dieser Welt zu orientieren.<br />

8.2.5 Religiöse Humanisten<br />

Zum Typ des religiösen Humanisten (14.3%) zählen jene Personen, die e<strong>in</strong>e<br />

höhere Wirklichkeit anerkennen, ohne aber davon überzeugt zu se<strong>in</strong>, dass es<br />

e<strong>in</strong> Weiterleben nach dem Tod gibt. Als religiöse Humanisten werden sie<br />

bezeichnet, weil sie im Horizont des New Age e<strong>in</strong> Weltbild als Kreislauf<br />

zwischen Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos vertreten <strong>und</strong> Gott für sie nichts anderes<br />

als das Wertvolle im Menschen bedeutet. Höchst ungewiss ist ihnen, ob<br />

der Tod als Übergang zu e<strong>in</strong>er anderen Existenz gedeutet werden kann <strong>und</strong><br />

nicht doch e<strong>in</strong>iges dafür spricht, dass nach dem Tod alles aus sei. E<strong>in</strong>e vielfache<br />

Wiedergeburt im Prozess der persönlich spirituellen Transformation<br />

lehnen sie, anders als der neureligiöse Religionstyp, ab. Von allen bisherigen<br />

Religionstypen legen sie sich am wenigsten fest, ob es e<strong>in</strong> Leben nach dem<br />

Tode gibt <strong>und</strong> bef<strong>in</strong>den sich mit dieser E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe zu<br />

den Areligiösen. Den religiösen Humanisten prägt der unbed<strong>in</strong>gte Wunsch, <strong>in</strong><br />

der Entwicklung der eigenen Person den S<strong>in</strong>n des Lebens zu f<strong>in</strong>den.<br />

119


Das Ersche<strong>in</strong>ungsbild des religiösen Humanisten bestimmt die folgende<br />

Bewertung der Aussagen:<br />

Tabelle 22<br />

Religiöse Orientierungen<br />

e<strong>in</strong>verstanden<br />

ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im Leben. 87.9% 10.2% 1.8%<br />

Die höhere Macht: Das ist der Kreislauf zwischen<br />

Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

84.3% 13.3% 2.4%<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt etwas<br />

gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

66.8% 27.1% 6.0%<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als das<br />

Wertvolle im Menschen.<br />

63.3% 28.3% 8.4%<br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 33.8% 40.4% 25.9%<br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu<br />

erkennen gegeben hat.<br />

31.9% 39.2% 28.9%<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt) der<br />

Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

11.4% 39.8% 48.8%<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

7.2% 25.9% 66.9%<br />

Der religiöse Humanist betrachtet das Wertvolle im Menschen als Teil e<strong>in</strong>es<br />

kosmischen Wirkungsgefüges. E<strong>in</strong>e personale Gottesvorstellung ist nicht<br />

Bestandteil e<strong>in</strong>es solchen Weltbildes, wird aber auch nicht kategorisch ausgeschlossen.<br />

Religiösen Humanisten wie der neureligiös-esoterische Glaubenstyp<br />

neigen zu e<strong>in</strong>er Interpretation Gottes als kosmische Kraft oder Energie.<br />

Der Deutungshorizont ist tendenziell <strong>in</strong>nerweltlich orientiert, e<strong>in</strong>gebettet<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Mischung christlicher <strong>und</strong> neureligiöser Wertanschauungselemente,<br />

ohne deren Interpretation von e<strong>in</strong>em Leben nach dem Tod zu übernehmen.<br />

Durch Vertiefung <strong>in</strong> die Welt des Kosmos erkennt der religiöse Humanist,<br />

dass e<strong>in</strong>e übernatürliche Macht am Werk ist, <strong>und</strong> die dem Menschen eigenen<br />

humanen Werte.<br />

Mit Humanismus wird e<strong>in</strong>e Denkhaltung bezeichnet, derzufolge das Ziel<br />

des Lebens <strong>in</strong> der Selbstwahrnehmung <strong>und</strong> Bildung der eigenen Person liegt.<br />

Ke<strong>in</strong> anderer Typ bewertet die Aussage: „Was man Gott nennt, ist nichts<br />

anderes als das Wertvolle im Menschen“, so hoch, wobei er den Menschen<br />

e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en sieht <strong>in</strong> den ewigen Kreislauf von Natur <strong>und</strong> Kosmos. Als eigentliches<br />

Ziel se<strong>in</strong>er Weltanschauung wird der Mensch selbst <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Kultur angesehen <strong>und</strong> nicht, wie im traditionell-kirchlichen Christentum, die<br />

Verehrung e<strong>in</strong>es persönlichen Gottes. Der Mensch wird zunächst als wertvolles<br />

<strong>und</strong> weiter zu vervollkommnendes Individuum angesehen. Indem das<br />

Göttliche im Menschen selbst lokalisiert wird, erkennt er dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unbed<strong>in</strong>gten<br />

Anspruch an sich selbst. In den Stellungsnahmen zur Existenz e<strong>in</strong>er<br />

höheren Macht wurde <strong>in</strong> der ALLBUS-Befragung 1992 <strong>in</strong> Deutschland das<br />

Statement: „Was man Gott nennt, ist das Wertvolle im Menschen“, e<strong>in</strong>gesetzt<br />

120


zur Eruierung der <strong>in</strong>nerweltlichen Deutung der höheren Macht (Braun, Eil<strong>in</strong>ghoff,<br />

Gabler, Wiedenbeck 1992, 14; Terwey 1996).<br />

Der religiöse Humanist orientiert sich – daher der Begriff - am Ideal vom<br />

verantwortlichen Menschentum, geleitet vom Wunsch nach E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e kosmische Harmonie. In der Aussage: „Die höhere Macht: Das ist der<br />

Kreislauf zwischen Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos“ schw<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Hoffnung auf<br />

Ganzheitlichkeit mit, darauf, die Vielzahl der Ichs, die sich <strong>in</strong> die Zukunft<br />

entwerfen, <strong>in</strong> die eigene Person <strong>in</strong>tegrieren zu können, sich selbst e<strong>in</strong>zuholen,<br />

mit sich identisch zu werden.<br />

Die Hoffnung auf Heil <strong>und</strong> Erlösung richtet sich nicht auf e<strong>in</strong>en persönlichen<br />

Gott, sondern auf das eigene Selbst, dessen evolutive Entfaltung religiöse<br />

Überhöhung erfährt. Religiosität wird nicht als Gefolgschaft gegenüber<br />

e<strong>in</strong>er göttlichen Offenbarung gelebt, sondern als unbed<strong>in</strong>gten Anspruch an<br />

sich selbst. Sie ermöglicht den Menschen, mit sich selbst <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu<br />

leben: „To live <strong>in</strong> accordance with the deepest, sacred dimension of their own<br />

unique lives.“ (Heelas, Woodhead u.a. 2004, zitiert nach Knoblauch 2005,<br />

123)<br />

Die religiösen Humanisten wie die Neureligiösen machen sich die persönliche<br />

Selbstentfaltung zur Aufgabe, die sie unbed<strong>in</strong>gt angeht. Die moderne<br />

Gesellschaft, die sich Zug um Zug aus den Notwendigkeiten herausgearbeitet<br />

hat, erzw<strong>in</strong>gt „das Strampeln <strong>in</strong> Möglichkeiten, das Improvisieren, Wählen<br />

<strong>und</strong> Probieren“ (Gross 1999, 9). Der Mensch sucht e<strong>in</strong>e Partitur im Inneren,<br />

um mit der Aussenwelt klar zu kommen. Je unsicherer ihm die Zukunft ersche<strong>in</strong>t,<br />

desto stärker wendet er sich sich selbst, se<strong>in</strong>er Selbstvervollkommnung<br />

<strong>und</strong> Selbsterlösung zu. „Die heilsgeschichtlichen Utopien <strong>und</strong> Verheissungen<br />

s<strong>in</strong>d verblasst <strong>und</strong> erlahmt, sie weichen <strong>in</strong>dividualisierten Glücks<strong>und</strong><br />

Selbstverwirklichungsvorstellungen.“ (Gross 1999, 31) Insofern die<br />

Selbstvollendung <strong>in</strong> der Ewigkeit obsolet geworden ist, bleibt die Ich-<br />

Verwirklichung die e<strong>in</strong>zige noch verbleibende Vollendung.<br />

Die christliche Erlösungsvorstellung, nach der e<strong>in</strong> göttlicher Heilsbr<strong>in</strong>ger,<br />

e<strong>in</strong> Messias, die Menschen durch se<strong>in</strong>en Tod <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Auferstehung von<br />

Schuld <strong>und</strong> Sünde erlöste, verwandelt sich bei den religiösen Humanisten<br />

<strong>und</strong> den Neureligiösen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Selbsterlösung. Die Auferstehung muss vom<br />

Subjekt selbst geleistet werden. „Die Vorstellungen e<strong>in</strong>er Weltgeschichte als<br />

Heilsgeschichte wird zu e<strong>in</strong>er Selbsterlösungsgeschichte verwandelt.“ (Gross<br />

1999, 211) Erlösung erhofft sich der religiöse Humanist <strong>und</strong> der Neureligiöse<br />

durch die Vere<strong>in</strong>igung mit sich selbst <strong>und</strong> nicht, wie im christlichen Glauben,<br />

von e<strong>in</strong>er Auferstehung des ganzen Menschen mit Leib <strong>und</strong> Seele am Ende<br />

der Zeiten. Erlösung ist die Antwort auf den Zwiespalt zwischen dem, was ist<br />

<strong>und</strong> dem, was noch nicht ist. Die zeitgemässe Erlösungsvorstellung ist die<br />

Wiederzusammenfügung e<strong>in</strong>es heterogenen, zersplitterten, multiplen Ich. Die<br />

Kluft zwischen dem Wirklichkeits-Ich <strong>und</strong> dem Möglichkeits-Ich soll überw<strong>und</strong>en<br />

werden. „Nicht Differenz zwischen Individuen, zwischen Geschlech-<br />

121


tern, zwischen Gruppen, Schichten, Klassen, Kulturen, Gesellschaften soll<br />

gem<strong>in</strong>dert, sondern Differenzen <strong>in</strong> uns wollen gem<strong>in</strong>dert, vielleicht zugeschüttet<br />

werden. Das moderne Individuum will Identität, <strong>und</strong> was könnte das<br />

anderes bedeuten, als identisch mit sich selbst se<strong>in</strong>. So dr<strong>in</strong>gt man <strong>in</strong> sich <strong>und</strong><br />

will sich. Das Individuum als unteilbares E<strong>in</strong>s verspricht Glück.“ (Gross<br />

1999, 243) Das geteilte Selbst der Moderne hat sich nicht nur selbst zu designen,<br />

sondern auch selbst zu verwirklichen <strong>und</strong> zu erlösen. Die Ichverwirklichung<br />

wird zur <strong>in</strong>nerweltlichen Aufgabe. Die Vorstellung der Selbsterlösung<br />

be<strong>in</strong>haltet, dass das Ich bei genügender Anstrengung sich selbst zu f<strong>in</strong>den<br />

vermag.<br />

Mit den synkretistischen Christen <strong>und</strong> den Transzendenzoffenen teilen die<br />

religiösen Humanisten die Gewohnheit, gelegentlich (54.9%) bis selten<br />

(29.6%) am Sonntag <strong>in</strong> die Kirche zu gehen.<br />

Die stärkste Aff<strong>in</strong>ität zum Religionstyp des religiösen Humanisten zeigen<br />

die Durchschnittschristen, die ungefähr jeden Monat (39.4%) oder gelegentlich<br />

während des Jahres (36.3%) zur Kirche gehen (Schaubild 24). Weder<br />

zeichnen sie sich durch e<strong>in</strong>e deutliche Ablehnung von Kirche <strong>und</strong> christlichem<br />

Glauben aus, noch bestehen engere Beziehungen zu Religion <strong>und</strong> Kirche.<br />

Ke<strong>in</strong>en grossen Schwankungen ausgesetzt ist die Religionsform des religiösen<br />

Humanisten nach Schulbildung <strong>und</strong> nach Berufgruppen. Deutlich<br />

seltener als <strong>in</strong> anderen Siedlungsgebieten s<strong>in</strong>d die religiösen Humanisten <strong>in</strong><br />

Grossstädten (7%) anzutreffen. Hier dom<strong>in</strong>iert mit 40% der Typ des Neureligiösen.<br />

Wie die Grossstädter, doch weniger ausgeprägt als sie, pflegen auch<br />

<strong>Familien</strong> mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d vorzugsweise e<strong>in</strong>e alternativ-neureligiöse Glaubenshaltung<br />

(28.2%) <strong>und</strong> weniger e<strong>in</strong>en religiösen Humanismus (9.2%), wie<br />

er sich häufiger <strong>in</strong> <strong>Familien</strong> mit mehreren K<strong>in</strong>dern f<strong>in</strong>det.<br />

8.2.6 Areligiöse<br />

6.8% der Befragten sympathisieren mit e<strong>in</strong>er religionsfreien Lebensführung.<br />

Dieser Religionstyp erfasst alle jene Personen, die e<strong>in</strong>e christliche Glaubenshaltung<br />

wie auch e<strong>in</strong>e ausserchristlich-religiöse Todesdeutung ablehnen,<br />

e<strong>in</strong>er religiös-humanistischen Weltsicht wenig abgew<strong>in</strong>nen können <strong>und</strong> die<br />

Me<strong>in</strong>ung vertreten, dass es e<strong>in</strong>e höhere Macht nicht gibt. Als e<strong>in</strong>ziger unter<br />

allen Religionsformen verwirft er den Glauben an e<strong>in</strong>e höhere Wirklichkeit.<br />

Die Areligiösen lehnen alle Formen von Religiosität ab.<br />

Im Rahmen des verwendeten Fragerasters artikuliert sich die atheistische<br />

Weltanschauung nicht als eigenständige weltanschauliche Position, sondern<br />

als Negation e<strong>in</strong>er religiösen Weltdeutung. Das Leben bedarf weder e<strong>in</strong>er<br />

extram<strong>und</strong>anen S<strong>in</strong>nquelle noch der mystischen Vorstellung e<strong>in</strong>er kosmischen<br />

All-E<strong>in</strong>heit, an deren Wirklichkeit der Mensch durch spirituelle Transformation<br />

teilhaftig wird. Der Areligiöse def<strong>in</strong>iert sich nicht über e<strong>in</strong>e religi-<br />

122


öse Überzeugung <strong>und</strong> macht sie nicht zum Bezugspunkt se<strong>in</strong>er Identitätsf<strong>in</strong>dung.<br />

Die stärkste Zustimmung bzw. Ablehnung erfahren folgende Aussagen:<br />

Tabelle 23<br />

Religiöse Orientierungen<br />

e<strong>in</strong>verstanden<br />

ja teils/teils ne<strong>in</strong><br />

Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 73.4% 13.9% 12.7%<br />

Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt etwas<br />

gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

65.8% 19.0% 15.2%<br />

Was man Gott nennt, ist nichts anderes als das<br />

Wertvolle im Menschen.<br />

41.8% 22.8% 35.4%<br />

Die höhere Macht: Das ist der Kreislauf zwischen<br />

Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

40.5% 20.3% 39.3%<br />

Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im Leben. 25.3% 27.8% 46.8%<br />

Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>em andren Leben. 5.1% 12.7% 82.3%<br />

Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu<br />

erkennen gegeben hat.<br />

3.8% 16.5% 79.7%<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em<br />

Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

– – 100%<br />

Der areligiöse Typ verwirft als e<strong>in</strong>ziger mehrheitlich jede Fremdreferenz auf<br />

e<strong>in</strong>e höhere Macht als letzten Massstab se<strong>in</strong>er Selbstvergewisserung. Er bezieht<br />

sich zur Bewältigung se<strong>in</strong>er Kont<strong>in</strong>genzerfahrungen ausschliesslich auf<br />

sich selbst. Se<strong>in</strong> weltanschauliches Konzept ist die konsequente Umsetzung<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>nerweltlichen <strong>und</strong> selbstreferenziellen Form der Identitätsbildung. Im<br />

areligiösen Diskurs wird das Subjekt als Souverän des eigenen Lebens, als<br />

mit sich identisches Selbst thematisiert, das an die leer gewordene Stelle<br />

Gottes tritt.<br />

Der areligiöse Typ pflegt e<strong>in</strong>e Identitätsform des konsequenten „reflexiven<br />

Subjektivismus“ (Schimank 1988, 68). Er konstituiert sich nicht durch<br />

e<strong>in</strong>e ihm externe Instanz, sondern begründet Identität selbstreferenziell <strong>in</strong> der<br />

je e<strong>in</strong>zigartigen <strong>und</strong> selbstbestimmten Biografie se<strong>in</strong>er Person. Die biografisch<br />

produzierte <strong>und</strong> reproduzierte Identität entsteht <strong>in</strong> Eigenkonstruktion:<br />

„Entsprechend ist die Biografie e<strong>in</strong>er Person stets ihre eigene autonome Konstruktion.“<br />

(Schimank 1988, 60) Der areligiöse Typ sucht Halt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Selbst. Die Abkehr von e<strong>in</strong>em offenen Transzendenzbezug nährt das Bestreben,<br />

„dass das Selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em immer ‚tieferen’ Selbstbezug se<strong>in</strong>en authentischen<br />

Kern <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e genu<strong>in</strong>e Wahrheit f<strong>in</strong>den könne“ (Helsper 1997, 180).<br />

Über e<strong>in</strong>e säkularisierte Heilsprogression <strong>in</strong>nerweltlicher Vervollkommnung<br />

soll Kont<strong>in</strong>genz bewältigen werden.<br />

Die Gruppe der Areligiösen macht wenige Prozent der <strong>jungen</strong> Eltern aus.<br />

Von e<strong>in</strong>em Ende der Religion als Zielzustand der religiösen Entwicklung,<br />

wie manche Zeit<strong>in</strong>terpreten <strong>in</strong> der Tradition der Aufklärung prognostizierten,<br />

kann bei der kle<strong>in</strong>en Anzahl von Areligiösen ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>. Für Max We-<br />

123


er war Rationalität das durchgehende Merkmal der Moderne. Die Entzauberung<br />

der Welt lässt nach ihm Religion längerfristig obsolet werden. Die empirischen<br />

Bef<strong>und</strong>e der Ritual-Studie machen nun aber e<strong>in</strong>es deutlich: Die<br />

Religion ist unter den Strukturbed<strong>in</strong>gungen der entfalteten Moderne weder<br />

bedroht noch <strong>in</strong> Auflösung. Religion <strong>und</strong> Moderne schliessen e<strong>in</strong>ander nicht<br />

aus. Die Areligiösen nehmen quantitativ e<strong>in</strong>e marg<strong>in</strong>ale Position e<strong>in</strong>. „Die<br />

Ansicht, die Moderne habe e<strong>in</strong>en steilen Niedergang der Religion sowohl im<br />

öffentlichen Leben im allgeme<strong>in</strong>en als auch <strong>in</strong> den Köpfen <strong>und</strong> Herzen der je<br />

e<strong>in</strong>zelnen Menschen verursacht“ (Berger 1994, 37), bestätigen die Ergebnisse<br />

der Untersuchung nicht. De facto ist die Welt der <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> „so glühend<br />

religiös wie eh <strong>und</strong> je, vielleicht sogar noch glühender“ (Berger 1994,<br />

37).<br />

An der Beziehung zu den grossen Volkskirchen entscheidet sich ganz wesentlich,<br />

welches Verhältnis der E<strong>in</strong>zelne zur Religion <strong>in</strong> allen ihren Formen<br />

e<strong>in</strong>nimmt. Geht die Bereitschaft zur Partizipation am kirchlichen Leben zurück,<br />

verliert die traditionell-christliche Religionsform an Stellenwert <strong>und</strong><br />

Akzeptanz. An deren Stelle treten neue ausserkirchliche Formen von Religiosität,<br />

die sich teilweise mit den überkommenen, kirchlich verfassten Glaubensüberzeugungen<br />

mischen. Zum anderen be<strong>in</strong>haltet die zunehmende Distanz<br />

von den Kirchen auch e<strong>in</strong>e stärkere Abwendung von der Religion ganz<br />

allgeme<strong>in</strong>. Der Anteil der exklusiven Christen reduziert sich von 79.2% unter<br />

den sonntäglichen Kirchenbesuchern auf 1.1% unter den Kirchenmitgliedern,<br />

die nie e<strong>in</strong>en Gottesdienst besuchen. Deutlich zu nimmt h<strong>in</strong>gegen der Anteil<br />

der Neureligiösen von 0% auf 40.7%, die Areligiösen von 1% auf 28.6%<br />

(Schaubild 24). Der hohe Anteil exklusiver Christen unter den sonntäglichen<br />

Kirchgänger beruht <strong>in</strong> erheblichem Masse auf der regelmässigen Präsenz von<br />

Mitgliedern der evangelischen Freikirchen im sonntäglichen Gottesdienst.<br />

Nahezu die Hälfte der sonntäglichen Kirchgänger (48.6%) gehören e<strong>in</strong>er<br />

Freikirche an, 33% der katholischen <strong>und</strong> 5.5% der protestantischen Kirche.<br />

Immerh<strong>in</strong> gehören mehr als die Hälfte der Areligiösen (59.5%) e<strong>in</strong>er der<br />

beiden grossen christlichen Kirchen an. Areligiosität ist folglich nicht <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong> Phänomen ausserhalb der Kirchen, sondern <strong>in</strong> den Kirchen.<br />

In den Grossstädten erreicht die Gruppe der Areligiösen 12% (Schaubild<br />

27). Stadt- <strong>und</strong> Landbewohner unterscheiden sich <strong>in</strong> ihrer Lebensform <strong>und</strong><br />

Kultur <strong>und</strong> damit <strong>in</strong> der Art, wie sie ihre Religion leben. Bildung begünstigt<br />

nur <strong>in</strong> sehr bescheidenem Masse e<strong>in</strong>e areligiöse Lebense<strong>in</strong>stellung (Schaubild<br />

25). Am wenigsten unter allen Religionsformen kommen Areligiöse über<br />

religiöse Themen mit ihrem <strong>Familien</strong>angehörigen <strong>in</strong>s Gespräch.<br />

Für den Areligiösen ist der Himmel leer. Er setzt ausschliesslich auf das<br />

Diesseits <strong>und</strong> sonst auf nichts. „Das eigene Leben ist das Diesseits-Leben,<br />

se<strong>in</strong> Ende ist das Ende. Es gibt e<strong>in</strong> Leben vor dem Tod. Man muss h<strong>in</strong>zufügen:<br />

nur e<strong>in</strong>es.“ (Beck, 1995, 14) Der Fokus des Denkens <strong>und</strong> Handelns<br />

124


ichtet sich auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt, auf „die Suche nach dem Glück auf dieser<br />

Welt <strong>und</strong> nicht im Jenseits“ (Schulze 2006, 175).<br />

Die Idee e<strong>in</strong>es eigenen, schönen <strong>und</strong> lustvollen Lebens halten Areligiöse<br />

als unvere<strong>in</strong>bar mit e<strong>in</strong>em Leben für Gott. Die Kultivierung von Lebenslust<br />

<strong>und</strong> Selbstbewusstse<strong>in</strong>, die Entfaltung des menschlichen Potentials steht für<br />

sie <strong>in</strong> Widerspruch zu e<strong>in</strong>em Gott, der von den Menschen Unterwerfung,<br />

Verzicht, Opferung von Freiheit <strong>und</strong> Eigenwille verlangt, die Übergabe des<br />

eigenen Lebens an ihn.<br />

8.3 Zusammenhang von <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> religiösen Orientierungen<br />

Religion <strong>und</strong> Religiosität s<strong>in</strong>d eng verflochten mit den sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Lebenswelten e<strong>in</strong>er Zeit. Sie stehen nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geschichtsenthobenen<br />

Raum, s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong> sich abgeschlossene Sonderwelt, abgeriegelt gegen ihre<br />

Umwelt. Die religiöse Identität e<strong>in</strong>es Menschen hängt <strong>in</strong> hohem Masse von<br />

se<strong>in</strong>em jeweiligen Standort <strong>in</strong> der sozialen Landschaft ab. „Die religiöse<br />

Nachfrage variiert <strong>in</strong> Abhängigkeit von der im sozialen Raum e<strong>in</strong>genommenen<br />

Position.“ (Bourdieu 2000, 73). Der E<strong>in</strong>zelne entkommt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er religiösen<br />

Lebensf<strong>und</strong>ierung der Prägung durch das Lebensmilieu nicht. Zu welchen<br />

<strong>Lebensstil</strong>typen sich Personen mit ähnlicher religiöser Orientierung<br />

zuordnen, zeigt Schaubild 29.<br />

Überdurchschnittlich viele exklusive (73.5%) <strong>und</strong> synkretistische (51.5%)<br />

Christen gehören dem Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieu an. Überwiegen<br />

beim Integrationstyp die exklusiven Christen (44.9%), dom<strong>in</strong>ieren unter den<br />

Personen des Harmoniemilieus die synkretistischen Christen (33.3%), gefolgt<br />

von Transzendenzoffenen (20.1%). Dieser Unterschied lässt sich erklären<br />

zum e<strong>in</strong>en am beachtlichen Anteil von Evangelikalen am Integrationstyp<br />

(16.2%) <strong>und</strong> von Katholiken am Harmoniemilieu (56.9%), deren Frömmigkeit<br />

stärker als im protestantischen Raum vom Ekklektizismus traditioneller<br />

Volksreligiosität geprägt ist. Insofern wirkt die Art der Kirchenzugehörigkeit<br />

bis heute im Verhalten ihrer Mitglieder nach.<br />

Auf katholischer Seite besteht e<strong>in</strong>e starke Ausrichtung auf kollektivkirchenbezogene<br />

Formen der Frömmigkeit. Die ausgeprägte Akzentuierung<br />

der Geme<strong>in</strong>schaftsreligiosität begünstigt die Zugehörigkeit zum Harmoniemilieu<br />

mit dem ihm typischen Lebensgefühl <strong>und</strong> Bedürfnis nach Harmonie <strong>und</strong><br />

sozialer E<strong>in</strong>bettung. Der Protestantismus dagegen kennzeichnet e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionell<br />

unabhängigere, <strong>in</strong>dividuell verantwortete Form der Lebensführung.<br />

Leicht überdurchschnittlich vertreten s<strong>in</strong>d die Protestanten <strong>in</strong> modernen Milieus<br />

des Unterhaltungs-, Erlebnis- <strong>und</strong> Selbstverwirklichungstyps. Diese<br />

Umstände wollen mitbedacht se<strong>in</strong>, wenn nach der Bedeutung des konfessionellen<br />

Faktors für die <strong>Lebensstil</strong>vorlieben gefragt wird. Wies bis Ende des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts der Katholizismus vorwiegend ländlich-agrarische Gesell-<br />

125


schaftsstrukturen auf, <strong>und</strong> zeigt er bis heute e<strong>in</strong>e ausgesprochene Skepsis<br />

gegenüber der Moderne, war der Protestantismus hauptsächlich <strong>in</strong> urbanen<br />

Regionen zu Hause <strong>und</strong> offener gegenüber dem Zeitgeist. Doch der E<strong>in</strong>fluss<br />

der Konfessionalität auf den <strong>Lebensstil</strong> lässt sich nicht erschöpfend über den<br />

bis heute unterschiedlichen Urbanisierungsgrad <strong>in</strong> der katholischen <strong>und</strong> protestantischen<br />

Bevölkerung erklären.<br />

Religiöse Typen nach <strong>Lebensstil</strong><br />

Schaubild 29<br />

45%<br />

44.9%<br />

40%<br />

35%<br />

35.4%<br />

33.3%<br />

30%<br />

26.5%<br />

25%<br />

23.5%<br />

17.5%<br />

19.9%<br />

20%<br />

18.3%<br />

15%<br />

10%<br />

7.2%<br />

8.3%<br />

5.4%<br />

5%<br />

13.8%<br />

20.1%<br />

13.5%<br />

15.3% 14.8%<br />

13.5%<br />

10.9%<br />

2.6%<br />

28.1%<br />

25.1%<br />

25.1%<br />

15.3%<br />

6.1%<br />

13.7%<br />

12.8%<br />

13.1%<br />

7.7%<br />

6.6%<br />

1.5%<br />

0%<br />

Erlebnistyp<br />

Im Vergleich zu den anderen zeichnet sich der zeitoffene Erlebnistyp durch<br />

e<strong>in</strong>e ausgeprägte Nähe zum Typ des religiösen Humanisten aus. Se<strong>in</strong>e Neigung<br />

zur sozialen Selbst<strong>in</strong>szenierung macht ihn hellhöriger für die gesellschaftsgestaltende<br />

Optik der religiösen Humanisten.<br />

Die ausgesprochene Vorliebe des niveauvollen Selbstverwirklichungstyps<br />

für Yoga, Meditation, autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung lässt der überdurchschnittliche<br />

Anteil Neureligiöser an diesem <strong>Lebensstil</strong>typ (35.4%) plausibel<br />

ersche<strong>in</strong>en. Zusammen mit dem ambitionslosen, des<strong>in</strong>teressiertpassiven<br />

Unterhaltungstyp charakterisiert ihn die grösste Nähe zur modernen<br />

Ich-zentrierten Lebensphilosophie der Neureligiösen.<br />

Die Verarbeitung der religiösen Pluralität mündet am ehesten im Unterhaltungs-<br />

<strong>und</strong> Harmoniemilieu <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en diffusen <strong>und</strong> offenen Transzendenzbezug.<br />

Beide Milieus verfügen über die schwächsten kulturellen Ressourcen,<br />

sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unübersichtlich gewordenen religiösen Welt zu orientieren.<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

Harmonietyp Integrationstyp Unterhaltungstyp<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Religiöse Humanisten Areligiöse<br />

126


8.4 Überprüfung des Zusammenhanges von <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> religiöser<br />

Orientierung anhand e<strong>in</strong>es theoretischen <strong>Lebensstil</strong>models<br />

Ausgehend von e<strong>in</strong>er Vielzahl von Verhaltensweisen: Musikgeschmack,<br />

Fernsehgewohnheiten, Freizeitaktivitäten, Werte <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dererziehung,<br />

wurden die <strong>Lebensstil</strong>typen nach den gängigen statistischen Ordnungsverfahren<br />

cluster- oder korrespondenzanalytisch <strong>und</strong> nicht a priori auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

theoretischer Überlegungen bestimmt. Durch das statistisches Verfahren<br />

der Cluster-Analyse werden unterschiedliche Merkmalskomb<strong>in</strong>ationen identifiziert<br />

<strong>und</strong> anschliessend Fälle mit ähnlichen Profilen zu e<strong>in</strong>em Typ zusammengefasst.<br />

E<strong>in</strong>e alternative Konstruktionsmöglichkeit für e<strong>in</strong>e <strong>Lebensstil</strong>typologie<br />

bietet e<strong>in</strong> konzeptionell begründetes Vorgehen. Es wird e<strong>in</strong>e<br />

theoretische Typenkonstruktion vorgenommen <strong>und</strong> erst anschliessend anhand<br />

des Datenmaterials untersucht, wie stark die e<strong>in</strong>zelnen Typen <strong>in</strong> der untersuchten<br />

Gruppe besetzt s<strong>in</strong>d. Die Zuweisung der Personen mit ähnlichem<br />

Profil geschieht aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er theoretisch entworfenen Klassifikation der<br />

<strong>Lebensstil</strong>typen. Der <strong>Lebensstil</strong>forschung kann entnommen werden, welche<br />

Dimensionen zeitgenössischer <strong>Lebensstil</strong>e sich als zentral herausgestellt<br />

haben.<br />

In der Meta-Analyse empirischer Typologien <strong>in</strong> der <strong>Lebensstil</strong>forschung<br />

identifizierte Gunnar Otte (2005) auf der Gr<strong>und</strong>lage von mehr als dreissig<br />

<strong>Lebensstil</strong>- <strong>und</strong> Wertetypologien bei allen Differenzen im Detail zwei übergeordnete<br />

Dimensionen: das Ausstattungsniveau mit ökonomischen <strong>und</strong><br />

kulturellem Kapital <strong>und</strong> den Modernisierungsgrad.<br />

<strong>Lebensstil</strong>typologien werden auf der vertikalen Achse entlang e<strong>in</strong>er sozialen<br />

Schichtungshierarchie aufgespannt. Die Lebensführung wird bestimmt<br />

von unterschiedlichen kulturellen <strong>und</strong> ökonomischen Ausstattungsniveaus.<br />

Die Indikatoren dafür s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en Bildung, E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Berufsposition.<br />

Zum anderen verb<strong>in</strong>det sich mit der vertikalen Über- <strong>und</strong> Unterordnung<br />

e<strong>in</strong>e stark bildungskorrelierte Polarität zwischen e<strong>in</strong>er hochkulturellen <strong>und</strong><br />

volkstümlich-trivialen Ästhetik. Mit zunehmender Bildungsdauer entwickelt<br />

sich die Lebensführung <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er erhöhten Reflexivität <strong>und</strong> Komplexität<br />

des Denkens <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der ‚Hochkultur’. Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

e<strong>in</strong>er im kulturellen Ausstattungsniveau gehobenen Lebensführung<br />

steigt. Für die Skalierung der vertikalen Achse werden neben E<strong>in</strong>kommen,<br />

Berufsstatus <strong>und</strong> Bildung die folgenden etablierten Indikatoren zur<br />

Messung des Hochkulturgeschmackes verwendet, wie sie bereits <strong>in</strong> Kapitel 4<br />

näher vorgestellt wurden:<br />

Freizeitaktivitäten<br />

• Sich privat weiterbilden<br />

• Besuch von Veranstaltungen wie Oper, klassische Konzerte,<br />

Theater, Ausstellungen<br />

127


Musikgeschmack<br />

• Klassik<br />

Fernsehgewohnheiten (umkodiert)<br />

• <strong>Familien</strong>- <strong>und</strong> Unterhaltungsserien<br />

• Heimatfilme<br />

In zahlreichen Studien der <strong>Lebensstil</strong>forschung, prom<strong>in</strong>ent <strong>in</strong> den Arbeiten<br />

von Michael Vester <strong>in</strong> Anlehnung an die <strong>Lebensstil</strong>typen der S<strong>in</strong>us-<br />

Sociovision lässt sich e<strong>in</strong>e zweite, zeitbezogene Dimension der Lebensführung<br />

f<strong>in</strong>den, die als Modernitätsgrad mit den Polen ‚Modernität’ <strong>und</strong> ‚Traditionalität’<br />

oder als biografischen Offenheit <strong>und</strong> Geschlossenheit <strong>in</strong>terpretierbar<br />

ist.<br />

Religiöse Orientierungen nach Gesellschaftsschicht <strong>und</strong> Modernitätsgrad<br />

Tabelle 24<br />

Konservativ Gehobene<br />

–<br />

Gesellschaftsschicht<br />

gehoben<br />

mittel<br />

niedrig<br />

Konventionalisten<br />

74.5% Exkl. Christen<br />

1.8% Synkr. Christen<br />

9.8% Transz.-offene<br />

3.9% Neureligiöse<br />

Traditionelle Arbeiter<br />

–<br />

Liberal Gehobene<br />

23.8% Exkl. Christen<br />

32.5% Synkr. Christen<br />

12.5% Transz.-offene.<br />

17.5% Neureligiöse<br />

8.8% Rel. Humanisten<br />

5.0% Areligiöse<br />

Aufstiegsorientierte<br />

19.2% Exkl. Christen<br />

28.7% Synkr. Christen<br />

19.9% Transz.-offene<br />

9.9% Neureligiöse<br />

4.0% Rel. Humanisten<br />

2.9% Areligiöse<br />

Heimzentrierte<br />

17.0% Exkl. Christen<br />

22.6% Synkr. Christen<br />

30.2% Transz.-zoffene<br />

13.2% Neureligiöse<br />

14.2% Rel. Humanisten<br />

2.8% Areligiöse<br />

Reflexive<br />

4.3% Exkl. Christen<br />

9.8% Synkr. Christen<br />

3.0% Transz.-offene<br />

33.7% Neureligiöse<br />

21.7% Rel. Humanisten<br />

17.4% Areligiöse<br />

Hedonisten<br />

3.7% Exkl. Christen<br />

22.6% Synkr. Christen<br />

14.8% Transz.-offene<br />

26.3% Neureligiöse<br />

20.4% Rel. Humanisten<br />

12.2% Areligiöse<br />

Unterhaltungssuchende<br />

12.2% Synkr. Christen<br />

34.7% Transz.-offene<br />

10.2% Neureligiöse<br />

30.6% Rel. Humanisten<br />

2.2% Areligiöse<br />

traditional teilmodern modern<br />

Modernität<br />

Inhaltlich wird die horizontale Achse anhand von drei Indikatoren zur Weltsicht<br />

erfasst (vgl. dazu die Ausführungen <strong>in</strong> Kapitel 5):<br />

• Das Leben hat nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn man ihm selber e<strong>in</strong>en<br />

S<strong>in</strong>n gibt.<br />

• Für mich trägt das Leben se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> sich selbst.<br />

• Für das, was aus dem eigenen Leben wird, ist man selber verantwortlich.<br />

128


Mit Lebensgenuss <strong>und</strong> Abwechslung werden zwei Leit<strong>in</strong>dikatoren für die<br />

modernen Wertorientierungen von Selbstentfaltung <strong>und</strong> Hedonismus e<strong>in</strong>bezogen:<br />

• E<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches Leben führen<br />

• Etwas vom Leben haben, das Leben geniessen<br />

Typisch für e<strong>in</strong>e zeitoffene Perspektive im Leben ist e<strong>in</strong>e Action-<br />

Orientierung, die über die Ausgangshäufigkeit <strong>und</strong> die Internet- <strong>und</strong> Computernutzung<br />

gemessen wird:<br />

• K<strong>in</strong>obesuch, Besuch von Pop- oder Jazzkonzerten, Tanzveranstaltungen,<br />

Discos<br />

• Sich mit dem Computer beschäftigen<br />

• Das Internet oder spezielle Onl<strong>in</strong>e-Dienste nutzen<br />

Die Indikatoren zur Erfassung der beiden Achsen: Ausstattungsniveau <strong>und</strong><br />

Modernitätsgrad, werden zu additiven Indices zusammengefasst. Die Abgrenzung<br />

der <strong>Lebensstil</strong>typen <strong>und</strong> die Zuweisung e<strong>in</strong>zelner Personen zu je<br />

e<strong>in</strong>em Typus erfordert e<strong>in</strong>e Dreiteilung der Indices. Die vertikale Achse der<br />

<strong>Lebensstil</strong>modelle wird <strong>in</strong> gehobene, mittlere <strong>und</strong> niedrige Konsumgüterausstattung<br />

<strong>und</strong> Kulturpraktiken unterteilt. Die damit korrespondierenden Verhaltensweisen<br />

können als gehoben-anspruchsvoll, respektabel-strebend <strong>und</strong><br />

kalkulierend-bescheiden umschrieben werden. Die Achse ‚Modernitätsgrad’<br />

gliedert sich <strong>in</strong> die Segmente ‚ modern’, ‚teilmodern’ <strong>und</strong> ‚traditional’. Die<br />

zwei dreiteiligen Achsen geben die Koord<strong>in</strong>aten ab zur Bildung von neuen<br />

idealtypisch konstruierten Mustern der Lebensführung.<br />

Die Beschreibung der neun <strong>Lebensstil</strong>typen geschieht auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

reichhaltiger Beschreibungen <strong>und</strong> Vorarbeiten <strong>in</strong> der <strong>Lebensstil</strong>forschung.<br />

Den verhaltenstypischen Kern der neun Lebensführungstypen lässt sich wie<br />

folgt kurz charakterisieren (Otte 2005, 454):<br />

Schema 5<br />

Konservativ Gehobene: Tradition des Besitzbürgertums, Konservativismus,<br />

Dist<strong>in</strong>ktion durch ‚Rang’, Exklusivität im Lebensstandart,<br />

klassische Hochkultur, Leistungs- <strong>und</strong> Führungsbereitschaft,<br />

Religiosität<br />

Konventionalisten: Tradition des Kle<strong>in</strong>bürgertums, Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerte,<br />

Sicherheitsorientierung, Hochkulturkonsum<br />

mit volkstümlichem E<strong>in</strong>schlag, konservativreligiöse<br />

Moral, häusliche Idylle<br />

Traditionelle Arbeiter: Tradition der Facharbeit, Bescheidenheit, Orientierung<br />

am Praktischen, Bedeutung sozialer Sicherheit,<br />

gewerkschaftliche Nähe, Vorliebe für das Volkslied,<br />

Vere<strong>in</strong>sleben<br />

129


Liberal Gehobene:<br />

Aufstiegsorientierte:<br />

Heimzentrierte:<br />

Reflexive:<br />

Hedonisten:<br />

Tradition des Bildungsbürgertums, Liberalität, berufliche<br />

Selbstverwirklichung, Hochkulturkonsum mit<br />

‚alternativem’ E<strong>in</strong>schlag, S<strong>in</strong>n für Authentizität,<br />

Kennerschaft im Konsum<br />

Zentriert um solide Berufskarriere, Familie <strong>und</strong> Partizipation<br />

am Ma<strong>in</strong>stream der modernen Freiheitskultur,<br />

‚Durchschnittlichkeit’ <strong>und</strong> <strong>in</strong>terne Heterogenität<br />

des Typus durch Mittelposition<br />

<strong>Familien</strong>zentriertheit <strong>und</strong> Häuslichkeit durch K<strong>in</strong>der<br />

<strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ge Ressourcenverfügbarkeit, traditionelle<br />

Volksfestszene <strong>und</strong> Vorliebe für moderne Massenkultur<br />

wie Popmusik <strong>und</strong> Fernsehen<br />

Kulturelle, akademisch geprägte Avantgarde, Reflexivität,<br />

Kreativität <strong>und</strong> Experimentierfreude, Suche<br />

nach eigenverantwortlicher Persönlichkeitsentfaltung,<br />

globales Lebensgefühl<br />

Jugendkultureller Stil <strong>in</strong> Mode <strong>und</strong> Musik, Innovationsfreude,<br />

gegenwartsbezogene Genuss- <strong>und</strong> Konsumorientierung,<br />

Extraversion, städtische Spektakel<strong>und</strong><br />

Clubkultur<br />

Unterhaltungssuchende: Erlebniskonsum, materielle Statussymbolik <strong>und</strong><br />

ausserhäusliche Unterhaltungsorientierung vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Deklassierungsdrohung, ohne<br />

politisches Interesse<br />

Werden die idealtypisch ermittelten <strong>Lebensstil</strong>typen <strong>in</strong> Zusammenhang gesetzt<br />

mit den Religiositätstypen <strong>in</strong> Kapitel 8.2, bestätigen sich die Bef<strong>und</strong>e <strong>in</strong><br />

Kapitel 8.3. Wegen zu ger<strong>in</strong>gen Fallzahlen lassen sich <strong>in</strong> der Gruppe der<br />

‚konservativ Gehobenen’ <strong>und</strong> der ‚traditionellen Arbeiter’ ke<strong>in</strong>e weiteren<br />

Ausdifferenzierungen nach den religiösen Typen vornehmen.<br />

Die sozialstrukturelle <strong>und</strong> -kulturelle Situierung der <strong>Lebensstil</strong>e ermöglicht<br />

e<strong>in</strong>e differenzierte Sicht auf das religiöse Erleben <strong>und</strong> Handeln der von<br />

uns befragten Väter <strong>und</strong> Mütter:<br />

1. Tabelle 24 macht die unterschiedlichen Religiositätsstile nach <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

deutlich. Die Religiosität, verstanden als Verarbeitung von Erfahrungen<br />

mit Transzendenz im alltäglichen Leben variiert nach <strong>Lebensstil</strong>milieu.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Wahlverwandtschaft zwischen <strong>Lebensstil</strong>en <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> der religiösen Überzeugung <strong>in</strong> der Bevölkerung.<br />

2. Die sozial-kulturellen Unterschiede, wie sie sich <strong>in</strong> den <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

zeigen, begünstigen oder blockieren den Zugang zur christlichen Existenz<strong>und</strong><br />

Weltdeutung. Ob man sich von e<strong>in</strong>er christlichen Lebensorientierung<br />

angesprochen fühlt oder nicht, hängt vom kulturellen Habitus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Le-<br />

130


ensstilmilieu ab. Alltagsästhetischer Geschmack steuert die religiöse Selbstvergewisserung.<br />

3. Die christlich-religiöse Weltsicht korrespondiert deutlicher mit der Modernität<br />

der Lebensgestaltung als mit Statusunterschieden.<br />

4. Vorzugsweise verb<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e traditional-konventionelle Lebenshaltung<br />

mit christlich-religiösen S<strong>in</strong>ngehalten. Das konventionelle Lebensmuster<br />

zeigt wie ke<strong>in</strong> anderes Dase<strong>in</strong>sverständnis hohe Aff<strong>in</strong>ität zur christlichen<br />

Glaubensauffassung. Die Verkündigung e<strong>in</strong>er christlichen Glaubensüberzeugung<br />

durch die Kirchen entspricht <strong>in</strong> hohem Massse dem Geschmack <strong>und</strong> Stil<br />

e<strong>in</strong>er konventionellen Lebensführung.<br />

5. Mühe mit der Vorstellungswelt der Kirchen bek<strong>und</strong>en Personen, die <strong>in</strong><br />

ihrem <strong>Lebensstil</strong>milieus e<strong>in</strong>e Ich-verankerte Lebensweise pflegen. Die traditionell<br />

christlich-religiöse Sprache <strong>und</strong> Ästhetik ersche<strong>in</strong>t der Lebenswirklichkeit<br />

<strong>und</strong> den Wertvorstellungen moderner <strong>Lebensstil</strong>gruppen nicht angemessen.<br />

6. In modernen Stilen der Lebensführung besteht häufig e<strong>in</strong> Interesse an<br />

neuen Formen des Religiösen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Abgrenzung von christlich-religiösen<br />

Bedeutungsgehalten. Christliche Glaubens<strong>in</strong>halte werden tendenziell ersetzt<br />

durch neureligiöses Gedankengut.<br />

7. Die Ich-zentrierte Weltsicht, die den <strong>Lebensstil</strong>en am rechten Pol der<br />

Modernitätsachse eigen ist, erhöht die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>es re<strong>in</strong> diesseitigen<br />

S<strong>in</strong>nhorizontes.<br />

8.5 Spiritualität statt Bekenntnis<br />

Was traditionell mit dem Begriff Religion geme<strong>in</strong>t ist, sich zu e<strong>in</strong>er von religiösen<br />

Autoritäten festgelegten Auslegung der Welt zu bekennen, e<strong>in</strong>e religiöse<br />

Lehre anzuerkennen, religiösen Normen <strong>und</strong> Regeln zu befolgen, transformiert<br />

sich zu e<strong>in</strong>er neuen Form von Religiosität unter dem Leitbegriff<br />

Spiritualität. Das Wort hat geradezu Konjunktur. „Wenn nicht alles täuscht,<br />

kommt dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> tiefgreifender Umbruch des religiösen Feldes … zum Ausdruck“<br />

(Ebertz 2005,193), die Auflösung e<strong>in</strong>er ehedem von kirchlichen<br />

Geistlichen autorisierten Religion h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er aus der eigenen Innenwelt<br />

heraus entworfenen Form von Religiosität. Spiritualität kennzeichnet nach<br />

Hubert Knoblauch e<strong>in</strong>e entschiedene Orientierung an der Erfahrung, Distanz<br />

zur Dogmatik religiöser Grossorganisationen, <strong>und</strong> die Betonung der religiösen<br />

Autonomie (Knoblauch 2005,123). Die grossen <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>en Transzen-<br />

131


denzerfahrungen werden als Quelle, Evidenz <strong>und</strong> Gütekriterien der eigenen<br />

Religiosität angesehen. „Spiritualität verlegt den Gr<strong>und</strong> für den Glauben <strong>in</strong>s<br />

eigene ‚Ich’.“ (Koblauch 2005,129) Was man selbst erfahren hat, gilt als<br />

Kriterium religiöser Wahrheit.<br />

Unter den <strong>jungen</strong> Eltern wächst e<strong>in</strong>e Generation heran, die sich der Bekenntnisreligiosität<br />

der grossen Kirchen stillschweigend entzieht <strong>und</strong> ihre<br />

religiösen <strong>und</strong> spirituellen Bedürfnisse <strong>in</strong> eigener Verantwortung <strong>und</strong> Kompetenz<br />

zu befriedigen versucht - mit Hilfe e<strong>in</strong>es breiten Angebots von spirituellen<br />

Lehren <strong>und</strong> Praktiken. Unter der Hand transformieren sich die etablierten<br />

Ausdrucksformen von Religiosität <strong>und</strong> machen e<strong>in</strong>em Frömmigkeitsstil<br />

Platz, zu dessen Charakterisierung gerne der Ausdruck Spiritualität verwendet<br />

wird. Das Wort Spiritualität be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e Grenzziehung zwischen<br />

Immanenz <strong>und</strong> Transzendenz, <strong>in</strong> dem sie das H<strong>in</strong>tergründige, Unfassbare,<br />

Rätselhafte, Geheimnisvolle im Leben thematisiert <strong>und</strong> mehr oder weniger<br />

spezifisch religiös ausformt.<br />

Die Menschen müssen sich heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft zurechtf<strong>in</strong>den, die<br />

ke<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>gültigen <strong>und</strong> verlässlichen S<strong>in</strong>n mehr kennt. Das Leben hat<br />

ke<strong>in</strong>en Aussenhalt mehr <strong>in</strong> grossen Ideen <strong>und</strong> Weltsichten, ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrativen<br />

Fixpunkte mehr. Das Individuum wird zum letzten Fluchtpunkt se<strong>in</strong>er selbst.<br />

Es muss sich unter ständig veränderten Umständen je neu entwerfen. Die<br />

<strong>jungen</strong> Erwachsenen sehen sich mit e<strong>in</strong>er Vielfalt von Lebensanforderungen<br />

konfrontiert, die sich immer weniger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en ganzheitlichen Lebensentwurf<br />

<strong>in</strong>tegrieren lassen.<br />

Bereits die beiden Sonderfall-Studien aus den Jahren 1989 <strong>und</strong> 1999 machen<br />

die Konturen e<strong>in</strong>es neuen Modells von Religiosität unter heutigen veränderten<br />

Gesellschaftsbed<strong>in</strong>gungen sichtbar (Dubach 2005). Es markiert<br />

e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Veränderungsprozess weg von der Wiederholung<br />

des ewig Gültigen, der E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en vorgegebenen Ordnungszusammenhang,<br />

der Orientierung an zeitlosen Lebenslaufmustern h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er suchenden,<br />

die gesellschaftlichen Ansprüche <strong>und</strong> Widersprüche ausbalancierenden,<br />

prozessual im Verlauf e<strong>in</strong>er Biografie sich bildenden, erfahrungs<strong>und</strong><br />

subjetbezogenen religiösen Identität. Im religiösen Denken <strong>und</strong> Handeln<br />

der <strong>jungen</strong> Generation schlagen sich nachhaltige gesellschaftliche Wandlungsprozesse<br />

nieder. Es handelt sich dabei nicht um kurzfristige Moden, um<br />

etwas, das heute gilt <strong>und</strong> morgen überholt ist, sondern um langfristige Prozesse,<br />

deren Umkehr <strong>in</strong> der überschaubaren Zukunft höchst unwahrsche<strong>in</strong>lich<br />

ist.<br />

Wie sich die segmentierte <strong>und</strong> zersplitterte Alltagswelt kaum mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

umfassenden <strong>und</strong> <strong>in</strong> sich geschlossenen Identitätswurf <strong>in</strong>tegrieren lässt,<br />

neigen junge Erwachsene mehrheitlich zu e<strong>in</strong>em experimentellen Umgang<br />

mit unterschiedlichen Lebensdeutungsmustern <strong>und</strong> pflegen e<strong>in</strong>e offene, prozessuale,<br />

multiple, ausgehandelte, ereignis- <strong>und</strong> erfahrungsbezogene Interpretationspraxis<br />

der S<strong>in</strong>nsuche, die ständig um Anschlussfähigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kom-<br />

132


plexen Sozialwelt r<strong>in</strong>gen muss. Die Struktur der modernen Gesellschaft mutet<br />

dem Individuum zu, nach dem Verlust e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Weltsicht<br />

durch Selbstvergewisserung der eigenen Existenz e<strong>in</strong>e Form zu geben.<br />

Der eigene Identitätsentwurf wird von <strong>jungen</strong> Vätern <strong>und</strong> Müttern unter<br />

den gegenwärtigen Existenzbed<strong>in</strong>gungen vergänglicher, verletztlicher, zerstörbarer,<br />

segmentierter <strong>und</strong> widersprüchlicher erfahren als zu Zeiten kollektiv<br />

verb<strong>in</strong>dlicher <strong>und</strong> abgestützter Lebensregelungen. Ständige Selbstsuche<br />

<strong>und</strong> unbeschwerte Entlehnung weltanschaulicher Komponenten aus verschiedenen<br />

Religionstraditionen charakterisieren mehr oder weniger die Religiosität<br />

junger Erwachsener. Sie werden heute von früh auf mit e<strong>in</strong>er Vielzahl von<br />

durchaus unsteten <strong>und</strong> vergänglichen Selbstdarstellungsmustern konfrontiert<br />

<strong>und</strong> übernehmen diese gleichsam zusammengesetzt als Bauste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> ihre<br />

eigene Lebensentwürfe. Wer sich nicht festlegen kann <strong>und</strong> beweglich bleiben<br />

will, verhält sich auch flexibel im Blick auf se<strong>in</strong>e letzten Lebensrelevanzen.<br />

Mit dem Wort Spiritualität steht e<strong>in</strong> verbaler Platzhalter für e<strong>in</strong>e Vielfalt<br />

von religiösen Selbst- <strong>und</strong> Weltauslegungen zur Verfügung. Es akzentuiert<br />

den Erlebnischarakter von Religion <strong>und</strong> nicht wie <strong>in</strong> der herkömmlichen,<br />

christlichen Tradition die doktr<strong>in</strong>ale Orthodoxie. Spiritualität me<strong>in</strong>t die H<strong>in</strong>kehr<br />

zum <strong>in</strong>neren Weg, zur eigenen <strong>und</strong> damit universalen Mitte allen Se<strong>in</strong>s.<br />

Religiöse Texte, Symbole <strong>und</strong> Riten s<strong>in</strong>d nur <strong>in</strong>soweit von Belang, wie sie<br />

<strong>in</strong>nere Empf<strong>in</strong>dungen auszulösen vermögen, Betroffenheit, Ergriffenheit. Als<br />

entscheidend gilt nicht mehr die Botschaft, sondern die <strong>in</strong>nere Ergriffenheit,<br />

das religiöse Erleben. Für das heutige Verständnis von Spiritualität ist die<br />

Unmitttelbarkeit der Gotteserfahrung von em<strong>in</strong>enter Bedeutung. Gefühle<br />

werden als überzeugender wahrgenommen als theologische Argumentation.<br />

Wer sie hat, erkennt religiöse Wahrheit, die sich mit ke<strong>in</strong>er Gegenargumentation<br />

entkräften lässt.<br />

Spirituell se<strong>in</strong> bedeutet weniger e<strong>in</strong> festes verb<strong>in</strong>dliches Bekenntnis als<br />

sich e<strong>in</strong>zulassen auf das Abenteuer e<strong>in</strong>es lebenslangen Prozesses der Selbstf<strong>in</strong>dung.<br />

„Wenn nicht alles täuscht, kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation der religiösen<br />

Unbestimmtheit <strong>und</strong> Offenheit, der unh<strong>in</strong>tergehbaren Pluralität <strong>und</strong> Reflexivität<br />

nur noch das Suchen <strong>und</strong> Fragen, nicht mehr die Sicherheit des Habens<br />

<strong>und</strong> die Gewissheit von Antworten die wahrsche<strong>in</strong>lichere <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>e<br />

Haltung gegenüber dem Transzendenten“ (Ebertz 2005, 207) se<strong>in</strong>.<br />

Je weniger der E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er komplexen <strong>und</strong> dynamischen Welt Halt<br />

f<strong>in</strong>det, desto mehr wendet er sich dem Inneren zu, „der Vervollkommnung<br />

se<strong>in</strong>es Ich, Heimkehr als E<strong>in</strong>kehr“ (Gross 1999, 279). Er begibt sich auf <strong>in</strong>nere<br />

Feldzüge, steigert sich <strong>und</strong> sucht Vollendung. „Die Sehnsucht nach Identität,<br />

nach dem E<strong>in</strong>en, nach der Vere<strong>in</strong>igung, nach Gerechtigkeit endet <strong>in</strong> der<br />

Letztgewissheit e<strong>in</strong>er Sehnsucht.“ (Gross 1999, 284)<br />

In e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der Vertrautes, sche<strong>in</strong>bar Gesichertes, Stabiles <strong>in</strong><br />

Bewegung geraten ist, versuchen heute viele Menschen über die Pflege persönlicher<br />

Spiritualität <strong>in</strong>nere Kohärenz zu gew<strong>in</strong>nen. Es gibt „wenig auf der<br />

133


Welt, was man als solide <strong>und</strong> zuverlässig betrachten könnte, nichts, was an<br />

feste Kettfäden er<strong>in</strong>nern würde, <strong>in</strong> die man das Tuch des eigenen Lebensweges<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>verweben könnte“. (Baumann 1999, 48) Die wachsende Komplexität<br />

der Lebensverhältnisse führt zu e<strong>in</strong>er Fülle von Erlebnis- <strong>und</strong> Erfahrungsbezügen,<br />

die sich <strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Gesamtbild mehr fügen. Die Menschen müssen sich<br />

auf der gesellschaftlichen Bühne ohne fertige Drehbücher bewegen. Die<br />

gesellschaftlichen Freisetzungsprozesse bedeuten e<strong>in</strong>en objektiven Zugew<strong>in</strong>n<br />

an Lebensmöglichkeiten, aber auch die Forderung nach eigenwilliger Verknüpfung<br />

<strong>und</strong> Komb<strong>in</strong>ation multipler Realitäten. Im Zentrum der Anforderungen<br />

für e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende Lebensbewältigung steht nach He<strong>in</strong>er Keupp die<br />

Fähigkeit, e<strong>in</strong>e „<strong>in</strong>nere Lebenskohärenz“ schaffen zu können (2004, 19).<br />

Kohärenz wird von ihm nicht als <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>heit, Harmonie oder geschlossene<br />

Denkhaltung durch Übernahme vorgefertigter Identitätspakete verstanden,<br />

sondern im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er authentischen Verknüpfung sich sche<strong>in</strong>bar widersprüchlicher<br />

Lebensfragmente.<br />

Spiritualität ersche<strong>in</strong>t heute vielen Menschen als wichtige Ressource für<br />

Lebenssouveränität, um emotionale Lockerheit <strong>in</strong> Bezug auf die eigene Person<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Sie vermittelt das Gefühl, dass es Zusammenhang <strong>und</strong> S<strong>in</strong>n<br />

im Leben gibt <strong>und</strong> schenkt Vertrauen <strong>in</strong> sich selbst, die gestellten Aufgaben<br />

im Alltag bewältigen zu können, Probleme <strong>und</strong> Belastungen, die man erlebt,<br />

auszuhalten, <strong>und</strong> sie stellt gleichzeitig die notwendigen Kräfte zur Verfügung,<br />

mit Lebensproblemen <strong>und</strong> Krisen produktiv umgehen zu können. E<strong>in</strong><br />

positives Bild der eigenen Handlungsfähigkeit stellt sich e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Gefühl der<br />

Bewältigung von externen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternen Lebensbed<strong>in</strong>gungen, der Gewissheit<br />

der Lebenssteuerungsfähigkeit <strong>und</strong> Gestaltbarkeit des Lebens. Spiritualität<br />

charakterisiert e<strong>in</strong> Bestreben, den persönlichen Lebensverhältnissen e<strong>in</strong>en<br />

subjektiven S<strong>in</strong>n abzugew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> sie mit den eigenen Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen<br />

<strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e spirituelle Lebenshaltung wird als<br />

Voraussetzung erachtet für e<strong>in</strong>e souveräne Lebensbewältigung, schafft Vertrauen<br />

<strong>in</strong> die Kont<strong>in</strong>uität des Lebens <strong>und</strong> ermächtigt zu e<strong>in</strong>em Leben mit<br />

riskanten Chancen.<br />

134


9. <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche<br />

9.1 <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Kirchlichkeit<br />

Im Bereich der Religion nehmen die katholische <strong>und</strong> protestantische Kirche<br />

e<strong>in</strong>e herausragende Stellung e<strong>in</strong>. 78.9% der befragten <strong>jungen</strong> Väter <strong>und</strong> Mütter<br />

gehören e<strong>in</strong>er der beiden Grosskirchen an.<br />

Die grossen Volkskirchen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er doppelten Zielsetzung verpflichtet.<br />

Zum e<strong>in</strong>en geht es ihnen darum, über möglichst zahlreiche Mitglieder die<br />

notwendigen f<strong>in</strong>anziellen Mittel für den eigenen Bestand zu sichern, um sich<br />

als gesellschaftsgestaltende Kräfte gegenüber den Interessen <strong>in</strong> Wirtschaft,<br />

Politik usw. zu behaupten. Unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

besitzen nur f<strong>in</strong>anzkräftige Organisationen, die über e<strong>in</strong>en hoch<br />

professionellen Mitarbeiterstab verfügen, die Aussicht, sich auf gesamtgesellschaftlicher<br />

Ebene Gehör zu verschaffen. Mitglied e<strong>in</strong>er der beiden grossen<br />

Kirchen wird man <strong>in</strong> der Regel durch die K<strong>in</strong>dertaufe. Mitglied bleibt,<br />

wer se<strong>in</strong>e Kirchensteuern bezahlt.<br />

Als Volkskirchen b<strong>in</strong>den weder die katholische noch die protestantische<br />

Kirche die Mitgliedschaft an e<strong>in</strong>e persönliche christliche Glaubensüberzeugung.<br />

Ihr können Menschen aus sehr unterschiedlichen persönlichen Motiven<br />

angehören: aus Gründen der Tradition <strong>und</strong> Konvention, weil sie gerne e<strong>in</strong>zelne<br />

Dienstleistungen <strong>in</strong> Anspruch nehmen, die Kirchen als Orte der Bildung<br />

<strong>und</strong> Pflege religiöser Kultur <strong>und</strong> des sozialen Engagements schätzen<br />

oder ihr Wirken für bedeutend genug erachten, sie dafür mit ihrem Mitgliederbeitrag<br />

zu unterstützen. Wenn schon nicht für sich selbst, können die<br />

Kirchen als hilfreich <strong>und</strong> wichtig für andere angesehen werden, <strong>in</strong>dem sie<br />

wesentlich zur S<strong>in</strong>n- <strong>und</strong> Wertorientierung <strong>in</strong> unserer Gesellschaft beitragen.<br />

Zum anderen s<strong>in</strong>d die Kirchen von ihrem Selbstverständnis her Glaubensgeme<strong>in</strong>schaften.<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>in</strong> der Glaubenshaltung, geme<strong>in</strong>sam<br />

S<strong>in</strong>ndeutung, geme<strong>in</strong>sam geteilte Konzeptionen e<strong>in</strong>er guten Lebensführung<br />

stellen sich umso eher e<strong>in</strong>, je <strong>in</strong>tensiver die Kirchenmitglieder über die Teilnahme<br />

am kirchlichen Leben Kontakt untere<strong>in</strong>ander haben. Je dichter die<br />

Kontakte s<strong>in</strong>d, desto eher wird die Welt aus der geme<strong>in</strong>sam geteilten Perspektive<br />

gesehen, desto ausgeprägter ist die emotionale Verb<strong>und</strong>enheit mit<br />

der Kirche. In den gegenseitigen Beziehungen stabilisieren sich die Bilder,<br />

welche sich die Mitglieder von sich selbst <strong>und</strong> von anderen zurechtlegen. Das<br />

Individuum nimmt e<strong>in</strong>e von der Kirche vermittelte Identität an. Überzeugungsorganisationen<br />

zeichnen sich dadurch aus, dass sie die gesamte Lebensführung<br />

ihrer Mitglieder bestimmen.<br />

Wie eng Religiosität <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche zusammenhängen,<br />

zeigt sich <strong>in</strong> Umfragen immer wieder. Mit abnehmender Kirchgangshäu-<br />

135


figkeit geht <strong>in</strong>sbesondere e<strong>in</strong> Schw<strong>in</strong>den zentraler christlicher Glaubens<strong>in</strong>halte<br />

e<strong>in</strong>her. Dies zeigte sich auch <strong>in</strong> den beiden Sonderfall-Studien von 1989<br />

<strong>und</strong> 1999. „Der christlich-exklusive Typus religiöser Orientierung sche<strong>in</strong>t …<br />

deutlich an die Abstützung durch den regelmässigen Sonntagskirchgang<br />

geb<strong>und</strong>en.“ (Krüggeler 1993, 115f.)<br />

Um Auskunft über die Verb<strong>und</strong>enheit mit den Kirchen zu erhalten, wird<br />

bei Umfragen <strong>in</strong> der Regel nach der Teilnahme am Sonntagsgottesdienst<br />

gefragt. Nähe <strong>und</strong> Distanz zu den Kirchen wurde <strong>in</strong> unserer Befragung zusätzlich<br />

über die Frage nach der emotionalen B<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Erfahrung gebracht.<br />

Tabelle 25<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche<br />

Religiöse Orientierung kaum/überhaupt<br />

nicht<br />

etwas sehr/ziemlich<br />

Exklusive Christen 7.1% 19.7% 73.2%<br />

Synkretistische Christen 12.4% 34.5% 53.2%<br />

Neureligiöse 51.4% 38.1% 10.6%<br />

Transzendenzoffene 24.5% 48.1% 27.4%<br />

Religiöse Humanisten 39.1% 45.3% 15.5%<br />

Areligiöse 66.2% 31.2% 2.6%<br />

In Anbetracht des engen Zusammenhangs von religiöser Orientierung <strong>und</strong><br />

Kirchenb<strong>in</strong>dung muss davon ausgegangen werden, dass jene Milieus, die<br />

dem christlichen Glauben e<strong>in</strong>e besondere Stellung <strong>in</strong> der Lebensführung<br />

beimessen, sei es explizit oder vermischt mit anderen Lebensanschauungselementen,<br />

e<strong>in</strong>e überdurchschnittliche Verb<strong>und</strong>enheit mit den Kirchen an den<br />

Tag legen.<br />

Tabelle 26<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche<br />

<strong>Lebensstil</strong><br />

kaum/überhaupt<br />

nicht<br />

etwas sehr/ziemlich<br />

Erlebnistyp 28.7% 44.4% 27.0%<br />

Selbstverwirklichungstyp 43.6% 33.6% 22.8%<br />

Harmonietyp 14.4% 39.1% 46.5%<br />

Integrationstyp 7.7% 26.4% 65.9%<br />

Unterhaltungstyp 47.9% 37.5% 14.6%<br />

Explizite Glaubenshaltung ist unter den Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er pluralen Gesellschaft<br />

<strong>in</strong> hohem Masse angewiesen auf stützende soziale Beziehungsnetze.<br />

Christen lernen sich als Gleichges<strong>in</strong>nte im Spiegel ihrer Mitchristen <strong>und</strong><br />

Mitchrist<strong>in</strong>nen begreifen. Exklusive wie synktretistische Christen repräsentieren<br />

e<strong>in</strong>e religiöse Orientierung, die sich eng an den kirchlich verfassten<br />

136


Glauben <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Ausdrucksformen anlehnt. Ihr religiöses Erlegen <strong>und</strong><br />

Handeln bewegt sich <strong>in</strong> kirchlich vorgezeichneten Bahnen.<br />

Lebenststiltypen nach Kirchgang<br />

Schaubild 30<br />

60%<br />

50%<br />

52.2%<br />

41.6%<br />

48.2%<br />

51.4%<br />

46.9%<br />

44.8%<br />

40%<br />

30%<br />

33.2%<br />

27.6%<br />

23.3%<br />

35.2%<br />

31.0%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

3.9%<br />

10.7%<br />

Erlebnistyp<br />

1.6%<br />

8.6%<br />

In den vorliegenden Bef<strong>und</strong>en offenbaren sich die Kirchen <strong>in</strong> hohem Masse<br />

als milieugeb<strong>und</strong>ene Assoziationen (Ebertz 1997, 129). Die sonntäglichen<br />

Gottesdienstbesucher gehören zu 79.7% dem Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieu<br />

an. Selbst unter jenen Personen, die monatlich etwa e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Gottesdienst<br />

besuchen, machen die Angehörigen der beiden Milieus immer noch<br />

71.9% aus. Bei jenen, die nie zur Kirche gehen, ordnen sich lediglich 9.6%<br />

diesen beiden <strong>Lebensstil</strong>gruppen zu.<br />

Den Kirchen gelang es bis heute nicht, ihre enge Verflechtung, die sie mit<br />

der kle<strong>in</strong>bürgerlichen Lebenskultur im Laufe des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts e<strong>in</strong>gegan-<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

6.5%<br />

14.4%<br />

10.4%<br />

2.6%<br />

Harmonietyp Integrationstyp Unterhaltungstyp<br />

Jeden Sonntag 1-2 mal monatlich gelegentlich selten/nie<br />

Die gegenwärtige Gestalt der Kirchen entspricht den e<strong>in</strong>en kulturellen <strong>und</strong><br />

ästhetischen Vorlieben, aber auch Lebensgefühlen, wesentlich mehr als anderen.<br />

E<strong>in</strong>e besondere B<strong>in</strong>dung an die Kirchen bek<strong>und</strong>en die <strong>Lebensstil</strong>milieus<br />

mit der grössten Nähe zur Trivialkultur.<br />

Tabelle 27<br />

Trivialkultur<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche<br />

Ausprägung kaum/überhaupt nicht etwas sehr/ziemlich<br />

schwach 40.1% 34.8% 25.2%<br />

mittel 26.3% 36.9% 36.8%<br />

stark 12.5% 34.4% 53.1%<br />

137


gen s<strong>in</strong>d, zu durchbrechen. Die kirchlichen Orientierungen, Symbole, ihre<br />

Sprache <strong>und</strong> Verständigungsformen s<strong>in</strong>d mit den alltäglichen Erfahrungsweisen<br />

dieser Menschen eng verflochten.<br />

Der Relevanzverlust der Kirchen <strong>in</strong> Bezug auf die Lebensführung dürfte<br />

sich <strong>in</strong> nicht unerheblichem Masse durch Verschiebungen im sozialen Raum<br />

erklären – eben durch den Rückgang der kle<strong>in</strong>bürgerlichen Lebensform. Die<br />

Modernisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte haben zu e<strong>in</strong>er deutlichen<br />

Abnahme des kle<strong>in</strong>bürgerlichen Milieus geführt.<br />

Dem Integrations- (47.6%) <strong>und</strong> Harmoniemilieu (56.9%) gehören überdurchschnittlich<br />

viele Katholiken an, <strong>in</strong> den restlichen sozialen Milieus s<strong>in</strong>d<br />

die Protestanten im Blick auf ihren%-Anteil unter den <strong>jungen</strong> Eltern leicht<br />

übervertreten. R<strong>und</strong> zwei Drittel der Mitglieder von evangelischen Freikirchen<br />

fühlen sich im Integrationsmilieu zu Hause.<br />

9.2 Gegenläufige Weltsichten von Kirchennahen <strong>und</strong> Kirchenfernen<br />

Kirchennahe <strong>und</strong> Kirchenferne haben e<strong>in</strong>e je eigene Art der Wahrnehmung<br />

<strong>und</strong> Verarbeitung von Wirklichkeit, die ausgeprägt <strong>in</strong> ihren Wertepräferenzen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer Weltsicht zur Darstellung kommt. Die unterschiedlichen Wertepräferenzen<br />

von Kirchennahen <strong>und</strong> Kirchenfernen lassen sich an den Erziehungszielen<br />

der befragten <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> aufzeigen. Kirchennahen ist neben<br />

der Verantwortung vor Gott daran gelegen, stets hilfsbereit zu se<strong>in</strong>, das<br />

menschliche Zusammenleben zu fördern, <strong>in</strong> geordneten Verhältnissen zu<br />

leben <strong>und</strong> e<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben zu führen. Im Unterschied zu ihnen<br />

legen Kirchenferne Wert darauf, sich selbst im Leben zu verwirklichen, etwas<br />

vom Leben zu haben, das Leben zu geniessen, e<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches<br />

Leben zu führen.<br />

Tabelle 28<br />

Erziehungsziele junger <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Deutschschweiz<br />

Kirchgang<br />

jeden Sonntag nie<br />

Das menschliche Zusammenleben fördern 63.2% 59.0%<br />

Sich selbst im Leben verwirklichen können 26.9% 71.0%<br />

In geordneten Verhältnissen leben 55.2% 26.4%<br />

E<strong>in</strong>e gute gesellschaftliche Position erreichen 6.7% 12.5%<br />

Traditionen wahren 18.3% 13.3%<br />

Stets hilfsbereit se<strong>in</strong> 68.2% 41.3%<br />

E<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben führen 55.7% 29.4%<br />

Es im Leben zu etwas br<strong>in</strong>gen 22.1% 19.0%<br />

In Verantwortung vor Gott leben 89.1% 3.8%<br />

Etwas vom Leben haben, das Leben geniessen 25.5% 57.5%<br />

E<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches Leben führen 30.5% 48.6%<br />

138


Kirchennahe <strong>und</strong> Kirchenferne betrachten <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretieren die Welt auf<br />

unterschiedliche Weise. Für Kirchenferne trägt das Leben se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> sich<br />

selbst. Das Leben hat für sie nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn man ihm selber e<strong>in</strong>en<br />

S<strong>in</strong>n gibt. Wenig können sie der Aussage abgew<strong>in</strong>nen: „Ich muss dem Leben<br />

nicht durch eigene Anstrengung e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben. Lebenss<strong>in</strong>n gibt die Religion<br />

vor.“ Für Kirchennahe hat das Leben vorab nur dann Bedeutung, wenn<br />

es Ziele gibt, die über das persönliche Leben h<strong>in</strong>ausweisen.<br />

Tabelle 29<br />

Weltsicht junger <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Deutschschweiz<br />

Kirchgang<br />

jeden Sonntag nie<br />

Für mich trägt das Leben se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> sich selbst. 14.8% 78.8%<br />

Das Leben hat für mich nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n,<br />

wenn man ihm selber e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n gibt. 32.4% 72.8%<br />

Das Leben hat für mich nur Bedeutung, wenn es Ziele<br />

gibt, die über me<strong>in</strong> persönliches Leben h<strong>in</strong>ausweisen. 60.8% 24.0%<br />

Für das, was aus dem eigenen Leben wird,<br />

ist man vor allem selbst verantwortlich. 53.2% 73.3%<br />

Ich muss dem Leben nicht durch eigene Anstrengungen<br />

e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben. Lebenss<strong>in</strong>n gibt die Religion vor. 56.6% 1.9%<br />

Das Leben besteht vor allem dar<strong>in</strong>, die Aufgabe<br />

zu erfüllen, vor die man gestellt ist. 61.9% 45.2%<br />

In beiden Bevölkerungsgruppen herrscht e<strong>in</strong> gegenläufiger ver<strong>in</strong>nerlichter<br />

Code, der die <strong>in</strong>dividuelle Lebensführung steuert <strong>und</strong> für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>igermassen<br />

kohärente Lebensweise sorgt. Nähe <strong>und</strong> Distanz zu den Kirchen bilden e<strong>in</strong><br />

Kont<strong>in</strong>uum zwischen zwei Polen e<strong>in</strong>es Lebenshabitus. Die beiden Pole markieren<br />

e<strong>in</strong> unvermeidliches Spannungsverhältnis <strong>in</strong> der Lebensführung zwischen<br />

sozialer Ordnungslogik <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividueller Entfaltungslogik, zwischen<br />

Aussen- <strong>und</strong> Innenlenkung, heteronomem <strong>und</strong> autonomem <strong>Lebensstil</strong>, fremd<strong>und</strong><br />

selbstreferenzieller Lebensausrichtung.<br />

Den e<strong>in</strong>en Pol <strong>in</strong> Distanz zu den Kirchen charakterisiert e<strong>in</strong> Hang zur<br />

Selbstthematisierung <strong>und</strong> Selbststeuerung des Lebens, e<strong>in</strong> auf Selbstentfaltung<br />

ausgerichteter Umgang mit kollektiven Handlungszumutungen. Kollektiv<br />

b<strong>in</strong>dende Orientierungen verlieren für den E<strong>in</strong>zelnen die Qualität absoluter<br />

Gültigkeit. Sie werden befragt auf Nutzen <strong>und</strong> Passform zur eigenen <strong>in</strong>dividuellen<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> Lebenssituation. Dies führt zu e<strong>in</strong>er Verflüssigung<br />

<strong>und</strong> Destabilisierung von umfassenden <strong>und</strong> für alle gleich verb<strong>in</strong>dlichen<br />

Lebensentwürfen <strong>und</strong> Handlungsmustern. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung<br />

erhält gegenüber kollektiven Verb<strong>in</strong>dlichkeiten e<strong>in</strong> grösseres Gewicht.<br />

Das Leben wird weniger durch fremdbestimmte Handlungsvorgaben geleitet<br />

als durch <strong>in</strong>dividuelle Lebensaspirationen, <strong>Lebensstil</strong>- <strong>und</strong> Wertepräferenzen.<br />

Muster <strong>und</strong> Modelle der Lebensführung ziehen ihre Legitimation aus dem<br />

Anspruch auf e<strong>in</strong> eigenes Leben. Kollektive Lebensmuster werden nicht<br />

139


e<strong>in</strong>fach obsolet, sondern werden zu Grössen, die auf ihre <strong>in</strong>dividuelle Eignung<br />

h<strong>in</strong> befragt <strong>und</strong> nicht mehr unbesehen übernommen werden.<br />

Personen mit diesem Lebensdeutungscode neigen zu e<strong>in</strong>er ich-bezogenen<br />

existentiellen Anschauungsweise: So b<strong>in</strong> ich – wie kann die Welt für mich<br />

passend gemacht werden? E<strong>in</strong>e wesentliche Komponente dieses Lebensmodells<br />

besteht dar<strong>in</strong>, dem <strong>in</strong>nersten Kern der eigenen Selbstbestimmung nachzuspüren,<br />

besteht <strong>in</strong> Vervollkommnung des Ichs, <strong>in</strong> Selbstverwirklichung als<br />

ambitioniertem Ich-Projekt.<br />

Den anderen Pol <strong>in</strong> Nähe zu den Kirchen kennzeichnet e<strong>in</strong> <strong>in</strong>stitutionsgestütztes<br />

Verhaltenmuster im Umgang mit den gesellschaftlichen Herausforderungen.<br />

Das eigene Ich wird als Teil e<strong>in</strong>er umfassenden, stabilen, unh<strong>in</strong>terfragbaren<br />

Ordnung betrachtet, <strong>in</strong> der jede/jeder se<strong>in</strong>e festen Platz hat, sich <strong>in</strong><br />

der Regel fraglos zu Hause fühlen kann. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches <strong>und</strong> <strong>in</strong> sich stimmiges<br />

Weltbild vermittelt Sicherheit <strong>und</strong> Gewissheit, e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nstiftenden<br />

Lebenszusammenhang, e<strong>in</strong>e Verankerung der eigenen Existenz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

grossen Ganzen. Kennzeichnend für die Kirchennähe ist e<strong>in</strong>e Tendenz, sich<br />

die Welt als gegebene Ordnung vorzustellen, nach der sich das Ich def<strong>in</strong>iert.<br />

Man stellt sich die Ordnung der Welt als gegeben vor, zu der das Ich <strong>in</strong> Bezug<br />

gesetzt wird, e<strong>in</strong>e Ordnung von oben nach unten, von erlaubt <strong>und</strong> verboten,<br />

Schutz <strong>und</strong> Bedrohung.<br />

Nicht die Welt wird dem Ich zugeordnet, sondern das Ich der Welt. Wie<br />

das Leben auszusehen hat, bestimmen kollektiv übergreifende Vorgaben. Die<br />

Bewältigung erweiterter Optionsräume geschieht vorzugsweise durch Rückgriff<br />

auf überkommene Orientierungsmuster. Sicherheit <strong>und</strong> Orientierung<br />

werden tendenziell <strong>in</strong> unh<strong>in</strong>terfragbaren F<strong>und</strong>amenten gesucht.<br />

Das Wirklichkeitsmodell der Kirchennahen wird beherrscht von Polaritäten:<br />

gut <strong>und</strong> bös, harmlos <strong>und</strong> gefährlich, vertrauenserweckend <strong>und</strong> verdachterregend.<br />

Man sucht nicht das Neue, sondern das Altgewohnte. Die Sehnsucht<br />

nach Sicherheit, Anlehnung, Heimat ist ausgeprägt. Alles strebt nach<br />

Harmonie, die von Neuem, Unbekanntem, Konflikthaftem gestört werden<br />

könnte. Der Lebensphilosophie der Harmonie <strong>und</strong> Gemütlichkeit <strong>in</strong>härent ist<br />

e<strong>in</strong> latentes Misstrauen gegenüber der Welt jenseits des kle<strong>in</strong>en gewohnten<br />

Alltagsraumes, e<strong>in</strong>e Tendenz zum Konventionalismus.<br />

9.3 <strong>Lebensstil</strong> Konfessionsloser<br />

Die ausgeprägte Nähe des Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieus zur christlichen<br />

Weltauffassung <strong>und</strong> zu den Kirchen als deren öffentliche Vertreter <strong>in</strong> unserer<br />

Gesellschaft lässt vermuten, dass diese beiden <strong>Lebensstil</strong>gruppen wesentlich<br />

seltener unter den Konfessionslosen zu f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong> dürften. Als konfessionslos<br />

bezeichnen sich <strong>in</strong> unserer Befragung 9.7% der Eltern.<br />

140


Personen<br />

900'000<br />

800'000<br />

Konfessionslose 1960-2000<br />

Schaubild 31<br />

809'838<br />

700'000<br />

600'000<br />

500'000<br />

510'927<br />

400'000<br />

300'000<br />

200'000<br />

241'551<br />

100'000<br />

0<br />

28'849<br />

1960<br />

71'579<br />

1970 1980 1990 2000<br />

Quelle: BfS<br />

Ke<strong>in</strong>er Kirche mehr anzugehören ist auch <strong>in</strong> der Schweiz e<strong>in</strong> Phänomen der<br />

jüngeren Geschichte. Konfessionslose waren noch Ende der 50er Jahre des<br />

letzten Jahrh<strong>und</strong>erts zahlenmässig e<strong>in</strong>e bescheidene M<strong>in</strong>derheit der Schweizer<br />

Wohnbevölkerung. Diese liess sich – grob – je zur Hälfe <strong>in</strong> katholische<br />

<strong>und</strong> protestantische Christen aufteilen. So gehörten noch im Jahre 1960<br />

98.1% der Bevölkerung e<strong>in</strong>er der beiden Grosskirchen an. Bei diesen Mehrheitsverhältnissen<br />

konnte Konfessionslosigkeit höchstens Befremden hervorrufen.<br />

Jenseits der Kirchen situierte sich kaum jemand, schon gar nicht ausserhalb<br />

jeder Religionszugehörigkeit. Wer sich jenseits der Kirchen verstand,<br />

stand auch abseits der Gesellschaft.<br />

In den Statistiken der Volkszählungen wurden bis 1960 die Konfessionslosen<br />

neben den Protestanten, Katholiken, Christkatholiken <strong>und</strong> Israeliten der<br />

Gruppe “Andere <strong>und</strong> ohne Konfession” zugezählt. Zu ger<strong>in</strong>g erschien ihre<br />

Bedeutung, um eigens aufgeführt zu werden. In den Erhebungsformularen<br />

der Volkszählung kamen Personen ohne Religionszugehörigkeit nicht als<br />

eigenständige Gruppe vor. Erst <strong>in</strong> den Volkszählungen ab 1980 bot sich ihnen<br />

die Möglichkeit, durch Ankreuzen auszusagen, dass sie ke<strong>in</strong>er Kirche<br />

bzw. Konfession oder Religionsgeme<strong>in</strong>schaft angehören.<br />

Im Jahre 1900 machte die Personengruppe “Andere <strong>und</strong> ohne Konfession”<br />

nicht mehr als 0.2% der Wohnbevölkerung aus. Ihr Anteil stieg bis 1960<br />

auf 1.0%. Von diesen 1.0% bezeichneten sich zu dieser Zeit 52.8% als konfessionslos,<br />

<strong>in</strong>sgesamt 28'849 Personen (Dubach 1998).<br />

141


Seither nahm die Zahl der Personen ohne Konfession stetig zu (Schaubild<br />

31). Sie stieg <strong>in</strong>nerhalb von 40 Jahren um mehr als das 28-fache auf gut<br />

800'000 Personen. Nichts zeigt den religiösen Wandel <strong>in</strong> diesem Zeitraum so<br />

sehr wie der steile Anstieg der Zahl der Konfessionslosen.<br />

Die Selbstverständlichkeit schw<strong>in</strong>det, e<strong>in</strong>er Kirche anzugehören. Die Zunahme<br />

der Konfessionslosen lässt sich als Emanzipation von der umfassenden<br />

Regelung des Lebenszusammenhanges durch die Kirchen, vom exklusiven<br />

Anspruch der Kirchen auf Welt- <strong>und</strong> Lebensdeutung begreifen. Der gesellschaftliche<br />

Druck, Mitglied e<strong>in</strong>er Kirche zu se<strong>in</strong>, lässt deutlich nach. Die<br />

Herauslösung <strong>und</strong> Freisetzung aus traditionalen Lebensformen hat Raum für<br />

e<strong>in</strong>e Vielfalt von religiösen <strong>und</strong> weltanschaulichen Lebensentwürfen geschaffen.<br />

Ke<strong>in</strong>er Religion oder Konfession mehr anzugehören, ist e<strong>in</strong>e dieser Alternativen.<br />

Sie wird, so muss den Volkszählungsdaten entnommen werden,<br />

immer öfter gewählt.<br />

45%<br />

40%<br />

35%<br />

Religiöse Orientierungen<br />

nach Kirchenzugehörigkeit<br />

40.7%<br />

Schaubild 32<br />

30%<br />

25%<br />

25.3%<br />

26.5%<br />

20%<br />

18.6%<br />

19.0%<br />

17.8%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

14.5%<br />

4.8%<br />

3.5%<br />

8.0%<br />

9.7%<br />

11.5%<br />

0%<br />

Kirchenmitglieder<br />

Konfessionslose<br />

Exklusive Christen Synkretistische Christen Neureligiöse<br />

Transzendenzoffene Rel. Humanisten Areligiöse<br />

Unter Konfessionslosen wird nicht der Religion schlechth<strong>in</strong> der Rücken gekehrt.<br />

Sie wenden sich ab von der organisierten Form von Religiosität <strong>in</strong> den<br />

Kirchen. Religion besteht unter zahlreichen Konfessionslosen fort. Unzulässig<br />

ist von daher, Konfessionslosigkeit e<strong>in</strong>fach mit Religionslosigkeit gleichzusetzen.<br />

Beobachten lässt sich nicht so sehr e<strong>in</strong> Religionsverfall, sondern e<strong>in</strong><br />

Wandel <strong>in</strong> der Art <strong>und</strong> Weise, wie Religion erlebt <strong>und</strong> gelebt wird: selektiver,<br />

diffuser, <strong>in</strong> grösserer Distanz zu den Kirchen. Im Vergleich zu den Kirchen-<br />

142


mitgliedern neigen Konfessionslose überdurchschnittlich oft e<strong>in</strong>er neureligiösen<br />

Dase<strong>in</strong>s<strong>in</strong>terpretation zu oder verzichten gänzlich auf e<strong>in</strong>e transzendente<br />

Lebensf<strong>und</strong>ierung.<br />

Massgebend zur Zunahme der Konfessionslosen trug das allgeme<strong>in</strong> gestiegene<br />

Bildungsniveau bei. Das Bildungsniveau <strong>in</strong> der Personengruppe<br />

‚ke<strong>in</strong>e Kirchen- oder Religionszugehörigkeit’ ist deutlich höher (30.6%) als<br />

<strong>in</strong> der Gesamtbevölkerung (19.2%). Doppelt so hoch wie im Durchschnitt der<br />

Bevölkerung ist unter Konfessionslosen der Anteil Personen mit freiberuflicher<br />

Tätigkeit <strong>und</strong> be<strong>in</strong>ahe doppelt so häufig s<strong>in</strong>d Personen mit akademischen<br />

Berufen <strong>und</strong> Kaderpositionen. Fast e<strong>in</strong> Fünftel der Personen mit tertiärem<br />

Bildungsniveau, d.h. mit Bildungsabschluss an e<strong>in</strong>er höheren Fachschule,<br />

Fachhochschule oder Universität, verzichten auf die Zugehörigkeit zu<br />

e<strong>in</strong>er Religionsgeme<strong>in</strong>schaft. Dabei handelt es sich hauptsächlich um höher<br />

Gebildete im Dienstleistungssektor. Tiefer liegt der Wert vor allem im<br />

Landwirtschaftssektor (Bovay, Broquet 2004, 53ff.).<br />

Das höhere Bildungsniveau von Konfessionslosen hat zur Folge, dass unter<br />

ihnen weit überdurchschnittlich der <strong>Lebensstil</strong>typ ‚niveauvolle Selbstverwirklichung’<br />

vertreten ist.<br />

Tabelle 30<br />

Konfessionszugehörigke<strong>in</strong>istylichungstynietytionstytungstyp<br />

Erleb-<br />

Selbstverwirk-<br />

Harmo-<br />

Integra-<br />

Unterhal-<br />

Kirchenmitglieder 16.7% 22% 21.9% 21.6% 17.8%<br />

Konfessionslose 18.4% 49% 5.1% 7.1% 20.4%<br />

143


10 . Religiös überwölbtes <strong>Familien</strong>leben<br />

Neben der Zustimmung oder Ablehnung e<strong>in</strong>er religiösen Weltanschauung<br />

oder der organisatorischen <strong>und</strong> affektiven Anb<strong>in</strong>dung an die Kirche s<strong>in</strong>d<br />

nicht zuletzt die Auswirkungen auf das Alltagshandeln e<strong>in</strong> zentraler Aspekt<br />

jeder Religiosität. Es geht dabei um die Frage, <strong>in</strong>wieweit die befragten Väter<br />

<strong>und</strong> Mütter ihre religiösen Überzeugungen auf ihr Alltagsverhalten beziehen<br />

<strong>und</strong> ob die Kirchenb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf ihren Alltag hat. E<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />

zwischen beiden ist unter den Bed<strong>in</strong>gungen der gegenwärtigen Gesellschaft<br />

nicht mehr e<strong>in</strong>fach gegeben. Jede <strong>und</strong> jeder E<strong>in</strong>zelne sieht sich heute<br />

vor die Frage gestellt, wieweit für ihn e<strong>in</strong>e Rolle spielt, wenn es darum geht,<br />

welche politischen Entscheidungen er bei Abstimmungen trifft, nach welchen<br />

Vorstellungen er se<strong>in</strong> <strong>Familien</strong>leben gestaltet, wie er sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beruf<br />

verhält usw. E<strong>in</strong>e nahe liegende Verhaltensweise <strong>in</strong> dieser Situation könnte<br />

dar<strong>in</strong> bestehen, Religion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Teilbereich abzudrängen <strong>und</strong> davon abzusehen,<br />

das eigene Handeln auf religiöse Deutungsmuster zu beziehen, ihnen<br />

mit Indifferenz zu begegnen, ihnen also e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Wertigkeit im Vergleich<br />

zu anderem beizumessen. In den anderen Teilbreichen der Gesellschaft wie<br />

Freizeit, Familie, Staat, Wirtschaft, Politik usw., wird nach den dort geltenden<br />

Spiel- <strong>und</strong> Verhaltensregeln gehandelt. Im Folgenden wird der Zusammenhanges<br />

zwischen Religiosität <strong>und</strong> Lebensführung im Blick auf die Relevanz<br />

der Religion <strong>in</strong> der Gestaltung des <strong>Familien</strong>lebens erörtert.<br />

Die Erfassung des religiösen <strong>Familien</strong>klimas stützt sich auf e<strong>in</strong> von Richard<br />

Klaghofer <strong>und</strong> Fritz Oser entwickelten Befragungs<strong>in</strong>strument (Klaghofer,<br />

Oser 1987). Mit dem religiösen <strong>Familien</strong>klima me<strong>in</strong>en sie e<strong>in</strong> subjektives<br />

Erleben <strong>und</strong> Bewerten 1.) des religiösen Handelns <strong>in</strong> der Familie <strong>und</strong> 2.) des<br />

religiösen Diskurses. In ihrem theoretischen Konzept des religiösen <strong>Familien</strong>klimas<br />

fragten sie danach, <strong>in</strong> welchem Ausmass <strong>in</strong> der Familie<br />

a) religiöse Fähigkeiten unterstützt oder verh<strong>in</strong>dert werden<br />

b) familiäre Gegebenheiten religiös verarbeitet oder nicht religiös verarbeitet<br />

werden<br />

c) die Möglichkeit der Information über religiöse Inhalte unterstützt oder<br />

verh<strong>in</strong>dert werden<br />

d) die offene Diskussion über religiöse Fragen ermöglicht oder verh<strong>in</strong>dert<br />

wird.<br />

Die Faktorenanalyse reduziert die vier Aspekte des religiösen <strong>Familien</strong>klimas<br />

auf zwei Dimensionen: a) <strong>und</strong> b) sowie c) <strong>und</strong> d) fallen zusammen.<br />

Die erste Dimension bezieht sich auf das religiöse Handeln <strong>in</strong> der Familie<br />

<strong>und</strong> die zweite auf den religiösen Gespräch <strong>in</strong> der Familie.<br />

144


Die von uns verwendeten Statements zur religiösen Gestaltung des <strong>Familien</strong>lebens<br />

entstammen dem von Klaghofer <strong>und</strong> Oser getesteten Forschungs<strong>in</strong>strument:<br />

• Der geme<strong>in</strong>same Glaube kittet unsere Familie zusammen.<br />

• Das geme<strong>in</strong>same Gebet ist <strong>in</strong> unserer Familie nicht wegzudenken.<br />

• In unserer Familie ist die Religion e<strong>in</strong>e Hilfe zur Lebensgestaltung.<br />

Werden alle drei Statements zu e<strong>in</strong>er Skala zusammengefasst, ergeben sich<br />

die folgenden Werte:<br />

Tabelle 31<br />

Bedeutung der Religion für das <strong>Familien</strong>leben<br />

Hoch 25.9%<br />

Mittel 17.3%<br />

Tief 56.8%<br />

Neben der Bedeutung der Religion für das <strong>Familien</strong>leben wurden die <strong>jungen</strong><br />

Eltern auch danach gefragt, wie oft <strong>in</strong> ihrer Familie über religiöse Themen<br />

gesprochen wird.<br />

Wird der Religion <strong>in</strong> der Gestaltung des <strong>Familien</strong>lebens ke<strong>in</strong>e Bedeutung<br />

beigemessen, wird auch nicht über religiöse Fragen <strong>in</strong> der Familie gesprochen.<br />

Wer der Religion <strong>in</strong> der alltäglichen Lebensf<strong>in</strong>dung wenig Beachtung<br />

schenkt, den drängt es weder, an der religiösen Kommunikation <strong>in</strong> der Kirche<br />

teilzunehmen, noch religiöse Themen <strong>in</strong> der Familie zur Sprache zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Wer öfter am Sonntag <strong>in</strong> die Kirche geht, der spricht auch zu Hause öfters<br />

über religiöse Fragen:<br />

Tabelle 32<br />

Kirchgang<br />

Gespräch über Religion<br />

häufig ab <strong>und</strong> zu selten/nie<br />

Jeden Sonntag 89.3% 10.7% –<br />

1 bis 2 mal im Monat 44.0% 51.3% 4.7%<br />

Gelegentlich (an Festtagen) 15.3% 65.1% 19.6%<br />

Selten 10.5% 56.7% 32.8%<br />

Nie 9.4% 43.4% 48.1%<br />

Sagten <strong>in</strong> der Sonderfall-Studie von 1999 59.8% der Befragten aus, manchmal<br />

oder auch öfter mit ihren K<strong>in</strong>dern über religiös-spirituelle Themen zu<br />

sprechen <strong>und</strong> 54.4% mit dem eigenen (Ehe-)Partner (Campiche 2004),<br />

kommt <strong>in</strong> den von uns befragten <strong>Familien</strong> das Gespräch öfter auf religiöse<br />

Fragen (79% der befragten <strong>Familien</strong>). Dies mag daran liegen, dass wir es <strong>in</strong><br />

unserem Fall mit <strong>Familien</strong> zu tun haben mit Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern im<br />

Schulalter. Für die Mehrheit der <strong>jungen</strong> Eltern ist die religiöse Erziehung<br />

145


ihrer K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> grosses Anliegen. Geschätzt wird die Kirche als Vermittler<strong>in</strong><br />

von Werten wie Solidarität, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Respekt vor<br />

anderen. Die Religion steht für gesellschaftliche Werte, die <strong>in</strong> den übrigen<br />

Lebensbereichen unter die Räder zu kommen drohen.<br />

Zusammen mit der Aussage zur Thematisierung von Religion <strong>in</strong> der Familie<br />

ergibt sich der folgende Gesamt<strong>in</strong>dex <strong>in</strong> Bezug auf das religiöse <strong>Familien</strong>klima.<br />

Tabelle 33<br />

Religiöses <strong>Familien</strong>klima<br />

Hoch 22.4%<br />

Mittel 27.5%<br />

Niedrig 50.1%<br />

<strong>Familien</strong>religiosität nach <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

Schaubild 33<br />

80%<br />

70%<br />

61.9%<br />

69.7%<br />

73.5%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

42.1%<br />

36.8%<br />

35.7% 32.4%<br />

31.9%<br />

30%<br />

20%<br />

13.6%<br />

24.4%<br />

22.0%<br />

21.1%<br />

19.0%<br />

10%<br />

8.3%<br />

7.4%<br />

0%<br />

Erlebnistyp<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

Harmonietyp Integrationsstyp Unterhaltungstyp<br />

hoch mittel niedrig<br />

E<strong>in</strong> religiöses <strong>Familien</strong>klima trifft man überdurchschnittlich im Integrations-<br />

(42.1%) <strong>und</strong> im Harmoniemilieu (35.7%) an. Oder anders ausgedrückt,<br />

73.3% der Hauhalte mit e<strong>in</strong>em ausgeprägten religiösen <strong>Familien</strong>s<strong>in</strong>n gehören<br />

dem Integrations- oder Harmoniemilieu an.<br />

Die religiöse Bedeutung e<strong>in</strong>es <strong>Familien</strong>klimas für das Selbstverständnis<br />

der nachwachsenden Generation kann nicht hoch genug e<strong>in</strong>geschätzt werden.<br />

In Untersuchungen erweist sich die Familie immer wieder als wichtigste<br />

Institution zur Erhaltung <strong>und</strong> Reproduktion von Religiosität (Stolz 2004, 88).<br />

Wer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben nicht frühzeitig als K<strong>in</strong>d oder spätestens als Jugendli-<br />

146


cher mit Kirche, Religion <strong>und</strong> Glaube <strong>in</strong> Berührung kommt, hat kaum e<strong>in</strong>e<br />

Chance, <strong>in</strong> späteren Lebensjahren e<strong>in</strong> positives Verhältnis zu Kirche <strong>und</strong><br />

Religion zu entwickeln. Die Entwicklung persönlicher Religiosität hängt <strong>in</strong><br />

hohem Masse von der frühen Vermittlung durch vertraute, emotional bedeutsame<br />

Bezugspersonen ab.<br />

Die religionssoziologische Forschung ist sich e<strong>in</strong>ig, dass die Familie heute<br />

die wichtigste Sozialisations<strong>in</strong>stanz für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche <strong>und</strong> damit<br />

auch entscheidend für die Leitwerte der Lebensführung ist. E<strong>in</strong>e der Erkenntnisse<br />

aus der Shell-Studie ‚Jugend 2006’ lautet: „Traditionen, Normen, Gewohnheiten<br />

<strong>und</strong> Umgangsformen der <strong>Familien</strong> <strong>und</strong> Peergroups haben heute<br />

für Jugendliche zum grossen Teil die Werte stützende Funktion der Religion<br />

übernommen.“ (Gensicke 2006, 239) E<strong>in</strong>deutig auch der Bef<strong>und</strong> aus den<br />

Sonderfall-Studien zur Religiosität der Schweizer Wohnbevölkerung aus den<br />

Jahren 1989 <strong>und</strong> 1999. Anhand der Untersuchungsdaten unterzog Jörg Stolz<br />

mittlerweile vorliegende Theorien zum Zusammenhang von Sozialstruktur<br />

<strong>und</strong> Religion e<strong>in</strong>er empirischen Prüfung. Dabei stellte sich heraus, dass familiäre<br />

Herkunft <strong>und</strong> emotionale Verb<strong>und</strong>enheit mit e<strong>in</strong>er religiösen Gruppe die<br />

stärksten Effekte auf das religiöse Erleben, Deuten <strong>und</strong> Handeln ausüben<br />

(Stolz 2004, 53ff.). E<strong>in</strong>en deutlichen Zusammenhang zwischen Elternhaus<br />

<strong>und</strong> späterer Religiosität der K<strong>in</strong>der stellen auch Olaf Müller <strong>und</strong> Detlef<br />

Pollack <strong>in</strong> ihrem Kommentar zum <strong>in</strong>ternationalen Religionsmonitor 2008 der<br />

Bertelsmann Stiftung fest: „Die religiöse Sozialisation im K<strong>in</strong>desalter sche<strong>in</strong>t<br />

für die Frage, ob man auch im Erwachsenenalter e<strong>in</strong>e gewisse Nähe zur Religiosität<br />

aufweist, überhaupt von grosser Bedeutung zu se<strong>in</strong>.“(Müller, Pollack<br />

2007, 176)<br />

Den Wandel <strong>in</strong> der Ansprechbarkeit der Menschen auf religiöse S<strong>in</strong>nstiftung<br />

versuchen <strong>in</strong> der Religionssoziologie verbreitete theoretische Ansätze<br />

auf sehr unterschiedlicher Weise zu erklären. Welcher gängigen Makrotheorie<br />

zur Erklärung des religiösen Wandels auch immer der Vorzug gegeben<br />

wird, empirisch e<strong>in</strong>deutig lässt sich nachweisen, dass Personen, die religiös<br />

erzogen worden s<strong>in</strong>d, mit deutlich höherer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>in</strong> späteren<br />

Jahren von sich sagen, religiös zu se<strong>in</strong>. Auf religiöse Deutungsangebote reagieren<br />

nur Personen, die für religiöse Themen empfänglich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dies ist<br />

wiederum e<strong>in</strong>e Frage der religiösen Erziehung.<br />

Die Religiosität der Herkunftsfamilie wirkt sich umso nachhaltiger aus, je<br />

weniger Religion e<strong>in</strong>e kulturelle Abstützung erfordert. „Wenn Religion nicht<br />

durch gesellschaftliche Institutionen abstützt ist, kann alle<strong>in</strong> die religiöse<br />

Sozialisation <strong>in</strong> der Familie das Interesse an Religion wach halten.“ (Jagodz<strong>in</strong>ski<br />

2000, 60).<br />

147


III RITUALE IN JUNGEN FAMILIEN<br />

11. Nachfrage nach kirchlichen Ritualen<br />

11.1 Kirchliche Ritualpraxis <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

Neben der Welterklärung <strong>und</strong> Deutung des Lebens im Horizont e<strong>in</strong>er die<br />

Realitäten des Alltags umfassenden Wirklichkeit gehören Rituale zu den<br />

elementaren Formen e<strong>in</strong>er jeden Religion. Nach dem angelsächsischen Religionsphänomenologen<br />

N<strong>in</strong>ian Smart <strong>und</strong> dem Soziologen Franz Xaver<br />

Kaufmann muss Religion als mehrdimensionales Phänomen verstanden werden.<br />

(Smart 1973; Kaufmann 1999). Religion erfasst <strong>und</strong> bestimmt Smart als<br />

Phänomen, das e<strong>in</strong>e rituelle, mythologische, doktr<strong>in</strong>ale, ethische, soziale <strong>und</strong><br />

erfahrungsbezogene Dimension umfasst. Die Identifikation von Religion<br />

geschieht anhand dieser sechs Dimensionen. Nur e<strong>in</strong>e Konfiguration, welche<br />

e<strong>in</strong>e Mehrzahl dieser Dimensionen aufweist, erlaubt, von e<strong>in</strong>er ‚Religion’ zu<br />

sprechen. Als formale Merkmale von Religion müssen die Dimensionen nicht<br />

nur zugleich auftreten, sondern auch <strong>in</strong> mehrfacher Weise aufe<strong>in</strong>ander bezogen<br />

se<strong>in</strong>. Als e<strong>in</strong>zelne oder nur schwach verknüpfte Merkmale s<strong>in</strong>d sie auch<br />

Bestandteile vielfältiger anderer kultureller Ausdrucksformen.<br />

Wie Smart, zählt auch Kaufmann Rituale zu den prototypischen Merkmalen<br />

e<strong>in</strong>er Religion. Religion erbr<strong>in</strong>gt nach ihm spezifische Leistungen <strong>in</strong><br />

Problemfeldern, die für das menschliche Zusammenleben von zentraler Bedeutung<br />

s<strong>in</strong>d. Es s<strong>in</strong>d dies:<br />

1. Das Problem der Affektb<strong>in</strong>dung oder Angstbewältigung, wobei auch<br />

die Frage der Identitätsstiftung zu diesem Problemfeld gezählt werden<br />

kann.<br />

2. Das Problem der Handlungsführung im Ausseralltäglichen durch Magie<br />

<strong>und</strong> Rituale.<br />

3. Das Problem der Verarbeitung von Kont<strong>in</strong>genzerfahrungen, zu denen<br />

Leid, Tod, Unrecht <strong>und</strong> Schicksalsschläge zu rechnen s<strong>in</strong>d.<br />

4. Das Problem der Legitimation von Geme<strong>in</strong>schaftsbildung <strong>und</strong> sozialer<br />

Integration.<br />

5. Das Problem der Kosmisierung von Welt, d.h. der Begründung e<strong>in</strong>es<br />

Deutungshorizontes aus e<strong>in</strong>heitlichen Pr<strong>in</strong>zipien.<br />

6. Das Problem der Distanzierung von gegebenen Sozialverhältnissen,<br />

d.h. der Ermöglichung von Widerstand <strong>und</strong> Protest gegen e<strong>in</strong>en als<br />

ungerecht oder unmoralisch erfahrenen Gesellschaftszustand.<br />

Religion hat immer m<strong>in</strong>destens zwei Seiten. E<strong>in</strong>erseits den Glauben, der sich<br />

kognitiv-sprachlich fassen <strong>und</strong> ausdrücken lässt, <strong>und</strong> andererseits die Praxis<br />

148


im Ritus. Religion umfasst sowohl im rituellen Handeln gemachte Erfahrungen<br />

als auch Glaubensvorstellungen, auf die sich dieses Handeln beziehen.<br />

Religiosität lässt sich demnach nicht auf ihre <strong>in</strong>haltliche, kognitivpropositionale<br />

Dimension reduzieren.<br />

Von alters her gibt es e<strong>in</strong>e enge Beziehung zwischen Ritual <strong>und</strong> Religion.<br />

Alle Religionen zelebrieren heilige Feiern <strong>und</strong> Handlungen. Unter den von<br />

uns befragten <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Deutschschweiz haben wir es auch<br />

heute noch mit e<strong>in</strong>em verbreiteten Ritualbedürfnis zu tun. Es verweist darauf,<br />

dass „Menschen <strong>in</strong> rituellen Handlungen ihre Gefühlslagen auf symbolische<br />

Weise ausdrücken … sie kommunizieren dadurch mite<strong>in</strong>ander, vor allem auf<br />

der emotionalen Ebene … verm<strong>in</strong>dern dadurch geme<strong>in</strong>same Lebensangst,<br />

überw<strong>in</strong>den Schuldgefühle, wecken Lebensfreude <strong>und</strong> geben e<strong>in</strong>ander Hoffnung<br />

… sie treten im rituellen Handeln aus ihrem Alltagsbewusstse<strong>in</strong> heraus<br />

… wollen dem nicht verfügbaren Bereich näher kommen … sie versuchen im<br />

Ritual ihre empirischen Lebensgrenzen zu übersteigen, sie betreten e<strong>in</strong>e ‚andere<br />

Dimension’ ihres Dase<strong>in</strong>s“ (Grabner-Haider 1990, 30).<br />

Thomas Luckmann def<strong>in</strong>iert Riten als „Handlungsformen von Symbolen“<br />

(Luckmann 1999, 11). In Symbolen „wird etwas unmittelbar Gegebenes <strong>und</strong><br />

Erfahrenes <strong>in</strong> E<strong>in</strong>heit mit etwas anderem oder als H<strong>in</strong>weis auf etwas anderes,<br />

das nicht unmittelbar gegeben oder erfahren ist, erfasst“ (ebd.). Das Symbolisierte<br />

gehört e<strong>in</strong>em anderen Wirklichkeitsbereich an <strong>und</strong> ist nicht unmittelbar<br />

erfahrbar, wird aber im symbolisierenden Zeichen vergegenwärtigt <strong>und</strong> konstituiert<br />

so das Symbol. Rituale „s<strong>in</strong>d an e<strong>in</strong>em Anderen orientiert, aber an<br />

e<strong>in</strong>em Anderen, der – oder das – gr<strong>und</strong>sätzlich nicht unmittelbar erfahrbar ist<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em anderen als dem vom Handelnden bewohnten alltäglichen Wirklichkeitsbereich<br />

angehört“ (Luckmann 1985, 536).<br />

Im umgrenzten Raum <strong>und</strong> der begrenzten Zeit des Rituals s<strong>in</strong>d „gelebte<br />

<strong>und</strong> vorgestellte Welt e<strong>in</strong> <strong>und</strong> dasselbe, sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen System<br />

symbolischer Formen verschmolzen“ (Geertz 1987, 78). Die im Ritual erfahrene<br />

Realität ist für die Beteiligten <strong>in</strong>nerhalb des Rituals etwas gegenwärtig<br />

Evidentes. Das Ritual vermag als Handlungsform die Teilnehmer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

eigene Wirklichkeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zunehmen. Die Anerkennung e<strong>in</strong>er transzendenten<br />

Wirklichkeit, die das Ritual ausdrückt, rührt aus dem Vollzug des Rituals<br />

selbst.<br />

In dem Masse, wie Menschen sich <strong>in</strong>s Ritual h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begeben, es<br />

mitvollziehen, haben sie Anteil an der dar<strong>in</strong> vitalisierten Beziehung zur<br />

Transzendenz. Die Sehnsucht nach Sicherheit <strong>und</strong> Anerkennung <strong>und</strong> damit<br />

der nicht-zufälligen Notwendigkeit der eigenen Existenz gehört zu den tiefsten<br />

Sehnsüchten menschlichen Lebens. E<strong>in</strong>e wichtige Vollzugsform dieser<br />

Sehnsucht ist die Erfahrung e<strong>in</strong>er handlungsfähigen Wirklichkeit uns selbst<br />

gegenüber im Ritual.<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Zug von rituellen Symbolhandlungen besteht also dar<strong>in</strong>,<br />

dass sie über sich h<strong>in</strong>ausweisen auf e<strong>in</strong>e Wirklichkeit, die nicht unmittelbar<br />

149


zugänglich ist. Doch das Symbol ist nicht nur H<strong>in</strong>weis, sondern repräsentiert<br />

auch die andere Wirklichkeit, welche nicht zugänglich ist <strong>und</strong> macht sie gegenwärtig.<br />

Mit anderen Worten: Das <strong>in</strong> der symbolischen Handlungsform<br />

„Mitvergegenwärtigte gehört dem gleichen Wirklichkeitsbereich an wie der<br />

Bedeutungsträger selbst, nämlich dem Alltag“ (Luckmann 1985, 546).<br />

Wer mit sprachlichen Deutungen umgeht, ist auf das Abschreiten e<strong>in</strong>es<br />

Nache<strong>in</strong>ander im Nach-Denken angewiesen, während sich die „Ausdrucksform<br />

des Symbols“ (Soeffner 2004, 165) mit se<strong>in</strong>en zahlreichen Elementen,<br />

die sich sprachlich nicht fassen lassen, dem Betrachter ganz <strong>und</strong> im Nu erschliesst,<br />

ohne dass dieser sie denkend abschreiten muss. Als Brücke des<br />

Verstehens bietet das Symbol im Ritual die Möglichkeit der Verb<strong>in</strong>dung mit<br />

e<strong>in</strong>er transzendenten Wirklichkeit. Rituell-symbolische Handlungen als E<strong>in</strong>bruchstellen<br />

des Num<strong>in</strong>osen <strong>in</strong> die Alltagswirklichkeit bilden gleichsam<br />

Inseln <strong>in</strong> den <strong>in</strong>dividuellen <strong>und</strong> kollektiven Alltags- <strong>und</strong> Lebensabläufen.<br />

Die Nachfrage nach ritueller Begleitung durch die Kirchen stellt sich unter<br />

den befragten Müttern <strong>und</strong> Vätern wie folgt dar:<br />

Tabelle 34<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des 83.5%<br />

Wunsch nach kirchlicher Bestattung 71.4%<br />

Kirchliche Trauung 70.6%<br />

Kirchgang an Weihnachten 50.3%<br />

M<strong>in</strong>destens monatlicher Kirchgang 26.5%<br />

Die Ritualbedürftigkeit offenbart sich darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> der Tatsache, dass<br />

für mehr als die Hälfte der Kirchenmitglieder <strong>in</strong> der Schweiz die Riten bei<br />

Lebenswenden der hauptsächliche Gr<strong>und</strong> für die Kirchenmitgliedschaft s<strong>in</strong>d<br />

(Dubach 2005, 143). Sie erfreuen sich unter Protestanten <strong>und</strong> Katholiken<br />

gleichermassen grosser Nachfrage.<br />

Rituale vermögen Geme<strong>in</strong>samkeit ohne Übere<strong>in</strong>stimmung im Bekenntnis<br />

zu stiften. Der rituellen Angebote wegen wird die Zugehörigkeit zur Kirche<br />

aufrechterhalten <strong>und</strong> nicht des Bekenntnisses wegen. „Vom Propheten Mohammed<br />

wird berichtet, dass er geraten habe, fünf Mal am Tage zu beten, um<br />

e<strong>in</strong> guter Muslim zu se<strong>in</strong>. Was der Gläubige dabei denkt, so sagte er, ist Sache<br />

zwischen ihm <strong>und</strong> Allah.“ (Kertzer 1998, 384)<br />

In der Inanspruchnahme kirchlicher Amtshandlungen bei Lebenswenden<br />

äussert sich e<strong>in</strong>e eigenständige Form von Kirchenzugehörigkeit. An den<br />

Lebenswenden möchte man nicht auf die Begleitung durch die Kirchen verzichten.<br />

An den Stellen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>brüchen, die den Fluss des Lebens unterbrechen,<br />

an den schwierigen <strong>und</strong> bedrohlichen Übergängen des Lebens, wird<br />

Begleitung, Unterstützung <strong>und</strong> Stärkung <strong>in</strong> der Form von kirchlichen Ritualen<br />

erwartet. Es ist das Ausseralltägliche <strong>in</strong> der Lebensgeschichte, das Menschen<br />

<strong>in</strong> die Kirchen führt.<br />

150


Die Religion hat ihren herausragenden Ort an den Wendepunkten des familiären<br />

Lebenszyklus, an den „E<strong>in</strong>bruchstellen des Unbestimmbaren“<br />

(Drehsen 1994, 185; ferner Luhmann 1977, 9ff.). Die Menschen „kommen<br />

bei den genannten Gelegenheiten nicht nur ‚mal’, sondern ‚überhaupt’ zur<br />

Kirche“ (Matthes 1975, 110). Bezogen auf die <strong>in</strong>dividuelle Lebensgeschichte<br />

wird Religiosität relevant. Das kirchliche Teilnahmeverhalten konzentriert<br />

sich auf die so genannten Übergangsriten – „les rites de passage“ (Van Gennep<br />

1909).<br />

Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse <strong>in</strong> ihren kulturellen <strong>und</strong> sozialen<br />

Auswirkungen haben die Motivation für e<strong>in</strong>e Kirchenmitgliedschaft <strong>in</strong><br />

den Zusammenhang lebensgeschichtlicher Identität verschoben. In der ungebrochenen<br />

Nachfrage nach ritueller Begleitung zu den Lebenswenden offenbaren<br />

sich „f<strong>und</strong>amentale anthropologische Interessen an der Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong><br />

Konsistenz der je eigenen biografischen Identitätsgew<strong>in</strong>nung“ (Drehsen<br />

1994, 185). Die Motive für das Interesse an den Kirchen entspr<strong>in</strong>gen dem<br />

Interesse der Menschen an der S<strong>in</strong>ndeutung ihres zur eigenen Gestaltung<br />

freigesetzten <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit bedrohten Lebensentwurfs. Die kirchlichen<br />

Riten ermöglichen die rituell-symbolische Begehung riskanter Passagen<br />

im Lebenszyklus.<br />

Übergangsriten bieten <strong>in</strong> ambivalenten, häufig kritischen Situationen anlässlich<br />

entscheidender Wendepunkte <strong>und</strong> Schlüsselereignisse des Lebenslaufes<br />

Schutz, Begleitung <strong>und</strong> Deutung; sie markieren die Übergänge von e<strong>in</strong>em<br />

Status <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen <strong>und</strong> sichern sie sozial wie emotional ab; sie stellen<br />

dauerhafte, verlässliche Strukturen <strong>und</strong> Handlungsmuster bereit, sie überw<strong>in</strong>den<br />

Sprachlosigkeit mit den Mitteln symbolischer Kommunikation, schaffen<br />

S<strong>in</strong>n.<br />

Lebensübergänge s<strong>in</strong>d markante Punkte, <strong>in</strong> denen durch die Geburt e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des, durch die Wahl e<strong>in</strong>er neuen Partnerschaftsform, durch den Tod e<strong>in</strong>es<br />

Menschen zu gleicherrmassen chancen- wie risikoreichen Verschiebungen<br />

kommt. Rituale können helfen, e<strong>in</strong>en Lebensabschnitt bewusst zu beenden<br />

<strong>und</strong> damit Perspektiven zu schaffen für neue Lebenswege, Vertrauen aufzubauen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Wirklichkeit nach e<strong>in</strong>er Phase der Loslösung von bisherigen<br />

Normalitätsstrukturen. Sie schaffen Sicherheit <strong>in</strong> Grenzsituationen. Ihre<br />

höchst standardisierte, strukturierte <strong>und</strong> repetitive Form vermittelt e<strong>in</strong> Gefühl<br />

von Kont<strong>in</strong>uität. Von alten Gewohnheiten muss Abschied genommen <strong>und</strong><br />

Zuversicht gewonnen werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e veränderte Umwelt. Übergangsrituale<br />

markieren die Veränderung zwischen e<strong>in</strong>em Lebensabschnitt <strong>und</strong> dem nächsten<br />

<strong>und</strong> gewährleisten die Verarbeitung dieser Veränderung.<br />

Rituelle Handlungen anlässlich von Lebenspasssagen br<strong>in</strong>gen zunächst<br />

e<strong>in</strong>e Loslösung von e<strong>in</strong>em früheren sozialen Status zum Ausdruck „In der<br />

mittleren ‚Schwellenphase’ ist das rituelle Subjekt (der ‚Passierende’) von<br />

Ambiguität gekennzeichnet; es durchschreitet e<strong>in</strong>en kulturellen Bereich, der<br />

wenig oder ke<strong>in</strong>e Merkmale des vergangenen oder künftigen Zustandes auf-<br />

151


weist“ (Turner 1989, 94). Es wird deutlich, dass das rituelle Subjekt e<strong>in</strong>e Art<br />

soziales Zwischenstadium, auch ‚Lim<strong>in</strong>alität’ genannt, durchläuft. Schliesslich<br />

wird der Übergang <strong>in</strong> den neuen sozialen Status <strong>in</strong>szeniert. Das Ambivalente,<br />

das <strong>in</strong> der Zwischenphase liegt, wird <strong>in</strong> der Wiedere<strong>in</strong>gliederungsphase<br />

derart kanalisiert, dass nun nicht alles beim Alten bleibt, aber auch nicht alles<br />

anders wird, sondern das rituelle Subjet <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Andersse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gewiesen wird<br />

(Grtäb 2006, 76.<br />

Die Eigenschaften der Schwellenphase ( ‚Lim<strong>in</strong>alität’) s<strong>in</strong>d unbestimmt,<br />

da dieser Zustand durch das Netz der Regelungen, die normalerweise das<br />

soziale Leben ordnen <strong>und</strong> strukturieren, h<strong>in</strong>durchschlüpft. Personen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

dieser Phase zwischen dem vom Gesetz, von der Tradition, den Konventionen<br />

geregelten Lebenszusammenhängen. In dieser Phase öffnet sich für Momente<br />

das Tor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ausseralltägliche Wirklichkeit, die über e<strong>in</strong>e Vielfalt<br />

von Symbolen zum Ausdruck gebracht wird. Ähnliche Erfahrungen wie <strong>in</strong><br />

der Schwellenphase können im vom Alltag abgehobenen Zeiten wie zum<br />

Beispiel <strong>in</strong> der Weihnachtszeit, gemacht werden. Turner bezeichnet sie <strong>in</strong><br />

Anlehnung an das Drei-Phasen-Modell von Gennep als ‚lim<strong>in</strong>oide’ Zeiten<br />

(Vgl. dazu die Ausführungen <strong>in</strong> Kapitel 14).<br />

Die lebensgeschichtlichen Übergänge s<strong>in</strong>d biografische Ausnahmesituationen,<br />

<strong>in</strong> denen der Fluss des Lebens unterbrochen wird. Das Gleichmass des<br />

geregelten Alltags wird ausgesetzt. E<strong>in</strong>e bisherige lebensweltliche Ordnung<br />

wird an die Grenz ihrer selbst geführt. Für tiefgreifende Übergänge ist charakteristisch,<br />

dass sie Distanz schaffen sowohl zur Alltagswelt als auch zum<br />

Kont<strong>in</strong>uum der Lebensgeschichte. Diese Distanz ist Voraussetzung für lebensgeschichtliche<br />

Reflexion; <strong>in</strong> ihr wird Lebensgeschichte deutungsbedürftig<br />

<strong>und</strong> -fähig.<br />

In den nachfolgenden Ausführungen richtet sich das Augenmerk auf die<br />

Frage, über welche Kontextvariablen - die religiöse Semantik, die Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

oder der bevorzugte <strong>Lebensstil</strong> - die erstaunlich hohe Nachfrage der<br />

befragten Väter <strong>und</strong> Mütter nach kirchlichen Ritualen gesteuert wird.<br />

11.2 Religiöse Orientierung <strong>und</strong> Ritualpraxis<br />

Symbole <strong>und</strong> Rituale s<strong>in</strong>d wesentliche Bestandteile unserer Wirklichkeitskonstruktion,<br />

unserer Weltdeutung <strong>und</strong> des Umgangs der Menschen untere<strong>in</strong>ander.<br />

Rituale durchziehen das Leben, heute nicht weniger als <strong>in</strong> früheren<br />

Zeiten. Riten <strong>und</strong> Rituale waren <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> fester Bestanteil im Leben von<br />

Menschen, auch wenn sich ihre Formen <strong>und</strong> Inhalte im Laufe der Zeit gewandelt<br />

haben. Für die Entstehung <strong>und</strong> als Basis von Religion, Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> von Geme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d sie unerlässlich. Mit ihrer Hilfe gew<strong>in</strong>nen die<br />

Alltagsverhältnisse Tiefenstruktur. Rituale überhöhen das alltägliche S<strong>in</strong>nverständnis<br />

<strong>und</strong> verleihen ihm h<strong>in</strong>tergründige Bedeutsamkeit. Sie s<strong>in</strong>d tra-<br />

152


gende Elemente jeder Religion, <strong>in</strong>sofern sie <strong>in</strong> den eigenen Ritualen ihre<br />

religiös-weltanschauliche Vorstellungswelt repräsentiert <strong>und</strong> wach hält. Religionen<br />

vere<strong>in</strong>deutigen die Unbestimmtheit symbolisch-rituelle Repräsentationen<br />

<strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne.<br />

Als Überzeugungsgeme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d die christlichen Kirchen darauf<br />

angewiesen, ihre bekenntnishaften Bewusstse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halte <strong>in</strong> den von ihnen<br />

praktizierten Ritualen zu reproduzieren. Sie nehmen die den Ritualen eigenen<br />

Funktionen im S<strong>in</strong>ne ihres Selbstverständnisses <strong>in</strong> Dienst, <strong>in</strong>dem sie ihre<br />

symbolischen Kommunikationsformen im S<strong>in</strong>ne ihrer religiösen Orientierungen<br />

rahmen. In den Ritualen versichern sich die Beteiligten der Geme<strong>in</strong>samkeit<br />

<strong>in</strong> ihren Beziehungen untere<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> ihrer Identität auf e<strong>in</strong>er emotional-affektiven<br />

Gr<strong>und</strong>lage. Die Kirchen festigen so ihr kollektiv geteiltes<br />

symbolisches Wissen, ihre Erfahrungs-, Denk- <strong>und</strong> Er<strong>in</strong>nerungs<strong>in</strong>halte im<br />

Denken <strong>und</strong> Handeln ihrer Anhänger.<br />

Die Kirchen setzen im S<strong>in</strong>ne von Pierre Bourdieu vor allem auf Institutionalisierungsrituale<br />

(Bourdieu 1982a), die Differenzen <strong>und</strong> Grenzziehungen<br />

erzeugen, Dispositionen festlegen <strong>und</strong> Kompetenzen zuschreiben. Institutionalisierungsrituale<br />

machen den normativen Anspruch e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft<br />

deutlich, sie drücken die Erwartungshaltung <strong>und</strong> möglichen Sanktionen aus,<br />

mit denen die Mitglieder zu rechnen haben.<br />

Die Leistungen kirchlich-ritueller Handlungsvollzüge bestehen vorwiegend<br />

dar<strong>in</strong>, Geme<strong>in</strong>schaftshandeln zu ermöglichen, kollektives Wissen zu<br />

speichern, zu tradieren <strong>und</strong> kirchliche Intersubjektivität zu sichern. Sie verleihen<br />

dem argumentativ nicht Mitteilbaren, dem diskursiv nicht Ausdrückbaren<br />

e<strong>in</strong>e eigene Sprache. Rituale s<strong>in</strong>d im Kontext der grossen Kirchen<br />

Repräsentanten überhöhter oder als heilig dargestellten Ordnungen. Mit ihren<br />

Ritualen wollen die christlichen Kirchen vorzugsweise Bekenntniszusammenhang<br />

stiften, erhalten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Interpretation ihres Bekenntnisses<br />

<strong>in</strong> der christlich-kirchlichen Glaubensgeme<strong>in</strong>schaft gewährleisten. In<br />

der religiösen Praxis des wöchentlichen Geme<strong>in</strong>degottesdienstes kommt<br />

diese Strategie paradigmatisch zum Ausdruck. Doch ausgerechnet der Sonntagsgottesdienst<br />

gehört zu den rituellen Veranstaltungen <strong>in</strong> den Kirchen, die<br />

von ihren Mitgliedern den ger<strong>in</strong>gsten Zuspruch erfahren. Bevorzugt werden<br />

familienbezogene Rituale, die e<strong>in</strong>en grösseren Freiraum bieten für Eigen<strong>in</strong>terpretation.<br />

Rituale s<strong>in</strong>d stets für Menschen gedacht, also subjektgeb<strong>und</strong>en <strong>in</strong> ihrer<br />

Kommunikationsform, <strong>in</strong>sofern die Subjekte sich <strong>in</strong> den rituellen Handlungsvollzug<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begeben <strong>und</strong> sich ihres Selbst vergewissern. Jeder Ritus ist mit<br />

der Wahrnehmung der am Ritual beteiligten Menschen verknüpft. Der Zusammenhang<br />

zwischen Ritualvollzug <strong>und</strong> Deutung durch die beteiligten<br />

Menschen lässt sich an der Soziologie des Kunstwerks von Pierre Bourdieu<br />

plausibel machen. Nach ihm hat e<strong>in</strong> Kunstwerk e<strong>in</strong> sogenanntes „Emissionsniveau“,<br />

welches die Verstehenspotentiale me<strong>in</strong>t, womit e<strong>in</strong> Kunstwerk ob-<br />

153


jektiv ausgestattet ist. In Differenz <strong>und</strong> Distanz dazu steht das „Rezeptionsniveau“<br />

der beobachtenden Menschen, welche von historisch bed<strong>in</strong>gten sozialen<br />

Code, biografischen Gegebenheiten <strong>und</strong> Verhaltensweisen <strong>und</strong> Denkmustern<br />

abhängt (Bourdieu 1974).<br />

Der S<strong>in</strong>ngehalt von symbolischen Handlungen ist lebendig nur <strong>in</strong> der Relation<br />

zwischen den Symbolen <strong>und</strong> deren Adressaten, wie auch immer dieser<br />

S<strong>in</strong>ngehalt von Seiten der Kirchen <strong>in</strong>terpretiert wird. Dies bedeutet, dass<br />

jeder Teilnehmer e<strong>in</strong>es Rituals e<strong>in</strong>en Eigenbeitrag leisten muss, der dar<strong>in</strong><br />

besteht, dass er den rituellen Vollzug um die geme<strong>in</strong>ten S<strong>in</strong>ngehalte ergänzt.<br />

Dabei geht es von Seiten der Kirchen um die Frage, ob man sich mit Mehrdeutigkeiten<br />

versöhnen kann oder sich das Verlangen nach E<strong>in</strong>deutigkeit<br />

durchsetzt. Das Unsagbare im symbolischen Handeln ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>deutigkeit<br />

letztlich unbegreiflich <strong>und</strong> die Menschen erleben es von daher auf ihre je<br />

eigene Weise. Das Symbol im Ritual bietet sich dabei <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er spezifischen<br />

Art als Brücke des Verstehens an. Das Bild, das sich jeder Mensch von der<br />

im Symbol präsenten ausseralltäglichen Wirklichkeit macht, ist immer e<strong>in</strong><br />

Stück weit se<strong>in</strong>e eigene Schöpfung. Angesichts der oft komplexen Gestalt<br />

von rituellen Symbolisierungen nehmen Menschen deren Charakterika nur<br />

selektiv wahr <strong>und</strong> lesen vone<strong>in</strong>ander abweichende Bedeutungen aus den<br />

Symbolen heraus.<br />

In welchen Zusammenhang die religiöse Orientierung <strong>und</strong> die Nachfrage<br />

nach kirchlichen Ritualen stehen, geht aus der nachfolgenden Tabelle hervor.<br />

Die Angaben zum Ritualverhalten (Taufe, Trauung, Beerdigung, Gottesdienstbesuch<br />

an We<strong>in</strong>achten <strong>und</strong> m<strong>in</strong>destens monatlicher Kirchgang) werden<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Skala „kirchliche Ritualnachfrage“ zusammengefasst. Werden alle<br />

Fragen zum Ritualverhalten positiv beantwortet, wird der Wert 5 erreicht. 5–<br />

4 bedeutet hohe, 3–2 mittlere, 1–0 niedrige oder gar ke<strong>in</strong>e Nachfrage.<br />

E<strong>in</strong>e hohe Nachfrage nach kirchlichen Ritualen bek<strong>und</strong>en 37.9% der <strong>jungen</strong><br />

Mütter <strong>und</strong> Väter, e<strong>in</strong>e mittlere 44.4% <strong>und</strong> 17.7% e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge oder gar<br />

ke<strong>in</strong>e Nachfrage.<br />

Tabelle 35<br />

Religiöse<br />

Kirchliche Ritualnachfrage<br />

Orientierung<br />

niedrig mittel hoch<br />

Exklusive Christen 3.0% 22.8% 74.3%<br />

Synkretistische Christen 6.3% 36.9% 56.8%<br />

Neureligiöse 37.3% 50.6% 12.0%<br />

Transzendenzoffene 12.2% 46.9% 40.8%<br />

Religiöse Humanisten 17.5% 66.3% 16.3%<br />

Areligiöse 49.4% 43.0% 7.6%<br />

Die Codierung der kirchlichen Rituale wird von den befragten Vätern <strong>und</strong><br />

Müttern auf sehr unterschiedlichem weltanschaulichem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> vorgenommen.<br />

Etliche unter ihnen teilen die offiziell kirchlich-christliche Interpre-<br />

154


tation nicht. Sie nehmen für sich e<strong>in</strong>e andere Kodierung der ritualisierten<br />

Symbolik <strong>in</strong> Anspruch. Ihr Deutungshorizont weicht davon markant ab.<br />

Die stärkste Nachfrage nach ritueller Lebensbegleitung zeigen die exklusiven<br />

<strong>und</strong> synkretistischen Christen. Glaubensbekenntnis <strong>und</strong> rituelle Praxis<br />

gehören für sie zu den gr<strong>und</strong>legenden Bestandteilen ihrer Religiosität. Den<br />

H<strong>in</strong>weis <strong>in</strong> den Ritualen auf etwas anderes, das nicht unmittelbar gegeben<br />

noch erfahrbar ist, <strong>in</strong>terpretieren sie im Deutungshorizont des christlichen<br />

Glaubens. Die Korrelationskoeffizienten zwischen Ritualbedarf <strong>und</strong> den<br />

beiden Aussagen: „Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus Christus zu erkennen<br />

gegeben hat“ <strong>und</strong> „Die Auferstehung von Jesus Christus gibt me<strong>in</strong>em Tod<br />

e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n“, betragen r = .54 <strong>und</strong> r = .52.<br />

Im Verhalten der exklusiven <strong>und</strong> synkretistischen Christen wird die klassische<br />

Bestimmung des Rituals als Mittel zur Geme<strong>in</strong>schaftsstiftung sichtbar.<br />

Wann immer Menschen zusammenkommen - so die These von Emile Durkheim<br />

-, gibt es e<strong>in</strong>e natürliche Tendenz, ihre Handlungen aufe<strong>in</strong>ander abzustimmen,<br />

zu koord<strong>in</strong>ieren, zu standardisieren <strong>und</strong> zu wiederholen. Dies sei<br />

die ursprüngliche Form des Rituals. Geme<strong>in</strong>sames Handeln dieser Art erzeugt<br />

e<strong>in</strong> Gefühl der Teilnahme an etwas Über<strong>in</strong>dividuellem, etwas Transzendentem.<br />

Menschen geben ihre <strong>in</strong>dividuellen Identitäten teilweise auf, ihre<br />

Idenität wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gruppenidentität aufgehoben.<br />

Rituale tragen wesentlich zur sozialen Anb<strong>in</strong>dung bei. Mary Douglas<br />

drückt dies folgendermassen aus: „Soziale Rituale schaffen e<strong>in</strong>e Realität, die<br />

ohne sie nicht existieren würde. Es ist gut möglich, etwas zu kennen <strong>und</strong><br />

dann Worte dafür zu f<strong>in</strong>den. Aber es ist unmöglich, soziale Beziehungen<br />

ohne symbolische Akte aufrecht zu erhalten.“ (Zit. nach Kertzer 1998, 377)<br />

Daneben gibt es e<strong>in</strong>e beachtliche Nachfrage nach kirchlichen Ritualen unter<br />

den befragten Vätern <strong>und</strong> Müttern, denen die kirchlich-christlichen Deutungen<br />

<strong>und</strong> Interpretationen des Dase<strong>in</strong>s nicht zusagen. Im Vordergr<strong>und</strong> des<br />

Interesses steht das rituelle Angebot der Kirchen für die Ausgestaltung des<br />

eigenen Lebenslaufes <strong>und</strong> nicht deren Glaubens- <strong>und</strong> Wertvorstellungen.<br />

Kirchliche Rituale werden <strong>in</strong> Anspruch genommen, ohne gleichzeitig den<br />

Deutungen durch die Kirchen zuzustimmen. In der Teilnahme an kirchlichen<br />

Ritualen manifestiert sich für etliche Menschen e<strong>in</strong>e Religiosität jenseits<br />

kirchlicher Dogmatik <strong>und</strong> Moral. Die kirchlichen Rituale offerieren ihnen die<br />

Möglichkeit zu fühlen <strong>und</strong> zu spüren, was man persönlich glaubt. Das Attraktive<br />

an den Ritualen ist ihr Erlebniswert.<br />

In den kirchlichen Riten <strong>und</strong> Ritualen wird e<strong>in</strong>e religiös-ästhetische Performanz<br />

(Wulf, Zirfas 2004, 26ff.) praktiziert, die auch bei Personen Interesse<br />

f<strong>in</strong>det, die sich jenseits der moralischen <strong>und</strong> dogmatischen Auslegung<br />

kirchlicher Überlieferung bewegen. Hier sche<strong>in</strong>t für sie am ehesten erlebbar<br />

zu se<strong>in</strong>, was Religion leisten kann: nämlich Medium zu se<strong>in</strong> für den Grenzverkehr<br />

zwischen Immanenz <strong>und</strong> Transzendenz, für die Vergegenwärtigung<br />

des Jenseitigen, für die s<strong>in</strong>nliche Repräsentanz des den S<strong>in</strong>nen Entzogenen.<br />

155


Im Ritual kann man sich von dem ergreifen lassen, was begrifflich nicht zu<br />

fassen ist. Da rituelle Symbolik immer vieldeutig ist, f<strong>in</strong>den auch Personen,<br />

die e<strong>in</strong>e von der offiziell-kirchlichen Fassung abweichenden religiösen Lebensauffassung<br />

vertreten, Zugang zu kirchlichen Ritualen.<br />

Rituale helfen Transzendenzoffenen wie e<strong>in</strong> „Geländer“ über semantische<br />

Unsicherheiten <strong>in</strong> der religiösen Selbstverortung h<strong>in</strong>weg. Unsicherheiten <strong>und</strong><br />

Defizite im semantischen Bereich werden mit Sicherheiten im rituellen Bereich<br />

aufgefangen.<br />

Für die religiösen Humanisten <strong>und</strong> Areligiösen be<strong>in</strong>haltet die Nachfrage<br />

nach ritueller Lebensbegleitung die Hoffnung, dass das Ritual se<strong>in</strong>e Kraft aus<br />

sich heraus entfaltet. Der Ritualvollzug selbst trägt. Ist ke<strong>in</strong>e explizite religiöse<br />

Lebensdeutung mehr verfügbar, bleibt der Glaube an die Wirkkraft der<br />

Rituale.<br />

Ist die <strong>in</strong> Worte gefasste Begegnung mit Gott nicht möglich wie bei den<br />

religiösen Humanisten <strong>und</strong> Areligiösen, kann die Verb<strong>in</strong>dung über das Ritual<br />

vermittelt werden. Die Beziehung zur Transzendenz muss im Ritual vom<br />

Menschen nicht selbst hergestellt werden. Es handelt sich vielmehr um e<strong>in</strong>e<br />

vorgegebene, geschenkte Kommunikation, <strong>in</strong> die man sich e<strong>in</strong>beziehen lassen<br />

kann.<br />

Am offensichtlichsten klaffen das „Emissionsniveau“ <strong>und</strong> das „Rezeptionsniveau“<br />

<strong>in</strong> der Beanspruchung kirchlicher Rituale unter den Areligiösen<br />

ause<strong>in</strong>ander. Die re<strong>in</strong>e Form trägt hier. Der Ritualvollzug be<strong>in</strong>haltet vielleicht<br />

auch die Hoffnung, dass die eigene Gottesbeziehung wieder an Leben gew<strong>in</strong>nt<br />

<strong>und</strong> der Überhang des Rituals e<strong>in</strong>mal wieder e<strong>in</strong>e korrespondierende<br />

Erfahrung aus sich entlässt.<br />

11.3 <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> kirchlicher Ritualbedarf<br />

Geraume Zeit – bis <strong>in</strong> die 60er <strong>und</strong> 70er Jahre des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts – galt<br />

es <strong>in</strong> der Diskussion um die Bedeutung der Rituale für das menschliche Zusammenleben<br />

als ausgemacht, dass sie ihre Relevanz <strong>in</strong> der modernen Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong>gebüsst hätten. Für Rituale schien <strong>in</strong> der Moderne ke<strong>in</strong> Platz<br />

mehr zu se<strong>in</strong>, nicht nur wegen ihrer grossen Nähe zur Religion, die unter den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen der Moderne nicht als überlebensfähig galt, sondern auch, weil<br />

sie den modernen Zentralbegriffen der Reflexion <strong>und</strong> Rationalität entgegenzustehen<br />

schienen.<br />

Im Ritual sahen aufgeklärte Kreise im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert e<strong>in</strong> Ärgernis, das<br />

Vernunftwidrige schlechth<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Relikt menschlicher Unmündigkeit, e<strong>in</strong><br />

Zeichen jahrh<strong>und</strong>ertealten Priesterbetrugs, e<strong>in</strong> Ausdruck archaischer Dummheit,<br />

e<strong>in</strong>e Unterwerfung des Individuums unter die Macht der Irrationalität.<br />

Mit der Modernisierung der Gesellschaft, so die Erwartung, setze sich e<strong>in</strong><br />

wissenschaftliches Weltbild durch, das se<strong>in</strong>e Legitimierung <strong>und</strong> se<strong>in</strong> F<strong>und</strong>a-<br />

156


ment nicht mehr aus der Existenz übernatürlicher Mächte <strong>und</strong> Kräfte bezieht,<br />

sondern mit Hilfe der <strong>in</strong>strumentellen Vernunft die Kontrolle über e<strong>in</strong>e labile<br />

<strong>und</strong> unsichere Welt übernimmt. Die fortschreitende Rationalisierung der<br />

Lebenswelt entziehe den Ritualen ihre Existenzgr<strong>und</strong>lage. Die Ohnmacht des<br />

Menschen angesichts unkontrollierbarer Situationen sah die Aufklärung als<br />

etwas Vorläufiges an. Rituelles Verhalten verh<strong>in</strong>dere geradezu, das Mass an<br />

Kontrolle zu erreichen, das dem Menschen möglich wäre. Der Protest der<br />

Aufklärer gegen Rituale g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>her mit der Empfehlung, Mangel an Kontrolle<br />

durch zweckrationales Handeln zu beheben. Der Ritus wird abgelöst<br />

durch rationale Reflexion <strong>und</strong> technologische Geschicklichkeit, Abhängigkeit<br />

durch Mündigkeit. Wenn Rituale helfen sollten, Krisenlagen zu meistern, so<br />

gilt es nun, solche Situationen selbst durch reflektiert rationales Handeln <strong>und</strong><br />

nicht durch symbolische Ersatzhandlungen zu bewältigen. Rituale galten als<br />

immun gegen die Vernunft, als Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>er autonomen Selbstverwirklichung<br />

<strong>und</strong> wurden nicht selten <strong>in</strong> direkte Verb<strong>in</strong>dung gebracht mit<br />

neurotischen Zwangshandlungen.<br />

Im religiösen Bereich rückte mit der Aufklärung die <strong>in</strong>tellektuelle Dimension<br />

von Religion <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. So ist bei Jürgen Habermas im Anschluss<br />

an Max Webers Analyse der gesellschaftlichen Rationalisierung <strong>und</strong><br />

‚Entzauberung’ der Welt die Rede von der „Versprachlichung des Sakralen“.<br />

(Habermas 1981, 188 ff.) Zu e<strong>in</strong>em analogen Ergebnis gelangt Niklas Luhmann<br />

im Rahmen se<strong>in</strong>er systemtheoretischen Analysen: „Dogmatiken s<strong>in</strong>d<br />

Nachfolgee<strong>in</strong>richtungen für Rituale auf höherer Ebene, sie ermöglichen daher<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Entritualisierung der Religion.“ (Luhmann 1977, 86 f.)<br />

Nicht nur wurde lange Zeit die Bedeutung des Rituals im Rahmen der<br />

Symbolisierungs- <strong>und</strong> Konstruktionsprozesse der Wirklichkeit, ihrer Erhaltung,<br />

Vergewisserung <strong>und</strong> Veränderung weith<strong>in</strong> unterschätzt. Sie wurden als<br />

äusserliches, zwangshaftes, mechanisches, unh<strong>in</strong>terfragtes Verhalten<br />

gebrandmarkt, das den Beteiligten e<strong>in</strong>e vorgeformte Ordnung aufzw<strong>in</strong>gt. Die<br />

Rede über Rituale erschöpfte sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>seitigen Auslegung als starre,<br />

konservative, die etablierte Ordnung bestätigende, festgelegte <strong>und</strong> sich identisch<br />

reproduzierende Handlungen. Betont wurde e<strong>in</strong>seitig die E<strong>in</strong>übung <strong>in</strong><br />

bereits bestehende festgelegte Muster der Welt<strong>in</strong>terpretation <strong>und</strong> des gesellschaftlichen<br />

Zusammenlebens, exemplarisch zu beobachten <strong>in</strong> schriftlosen<br />

archaischen Gesellschaften. Im Ritual, so die Me<strong>in</strong>ung bis <strong>in</strong> die 70er Jahre<br />

des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts , unterwirft sich der E<strong>in</strong>zelne e<strong>in</strong>em fremden Willen,<br />

den er im Mithandeln für den eigenen hält.<br />

Die Qualifizierung von Ritualen als bloss vormoderne kulturelle Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />

der Unfreiheit gründete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unversöhnlichen Gegenüberstellung<br />

von ritueller Praxis <strong>und</strong> souveräner Autonomie des Subjektes, das<br />

nur dann frei <strong>und</strong> verantwortlich genannt werden kann, wenn es sich von der<br />

Fremdbestimmung durch die Zwänge ritueller Handlungen befreit. Die Sphäre<br />

der Unfreiheit <strong>und</strong> Heterogenität, der Abhängigkeit <strong>und</strong> des Zwangs <strong>in</strong><br />

157


ituellen Selbstvergewisserungen wurde als unvere<strong>in</strong>bar erachtet mit der<br />

Forderung nach freier, autonomer <strong>und</strong> verantwortlicher Selbstbegründung.<br />

Hier Autonomie <strong>und</strong> Freiheit, dort Zwang <strong>und</strong> Heteronomie.<br />

Zur Diskreditierung von Ritualen wesentlich beigetragen hat der Nationalsozialismus<br />

durch se<strong>in</strong>e augenfällig <strong>in</strong>szenierte rituelle Diszipl<strong>in</strong>ierung<br />

e<strong>in</strong>es ganzen Volkes. Sichtbar wurde dort die Ambivalenz von Ritualen. Gut<br />

<strong>in</strong>szenierten Ritualen ist e<strong>in</strong>e emotional zw<strong>in</strong>gende Ausstrahlung eigen. Sie<br />

<strong>in</strong>volvieren die ganze Persönlichkeit. Je stärker die emotionale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung,<br />

umso mehr wird der Rest des Universums ausgeblendet <strong>und</strong> umso grössere<br />

Autorität erhalten die Symbole im Ritual. „Das Ritual präsentiert e<strong>in</strong> Bild der<br />

Welt, das emotional so verb<strong>in</strong>dlich ist, dass es über jeder Diskussion steht.“<br />

(Kertzer 1998, 388)<br />

Die Brauchbarkeit von Ritualen für Unterdrücker beruht <strong>in</strong>sbesondere auf<br />

ihrer Fähigkeit, reflexive <strong>und</strong> diskursive Formen der Kommunikation wirksam<br />

<strong>und</strong> ohne Rückgriff auf sichtbare Gewalt auszuschalten. Indem die Beteiligten<br />

e<strong>in</strong>ander im Vollzug e<strong>in</strong>es Rituals ähnlich werden, wird oft <strong>in</strong>dividuelle<br />

Verantwortung ausgeblendet <strong>und</strong> werden Herrschaftsverhältnisse legitimiert.<br />

Heute werden Rituale im Bewusstse<strong>in</strong> der ihnen <strong>in</strong>newohnende destruktiven<br />

Potentialität, Menschen zu unterdrücken, sie gleichzuschalten sowie<br />

gesellschaftliche Machtverhältnisse zu stabilisieren <strong>und</strong> zu zementieren,<br />

nüchterner <strong>und</strong> von weniger Vorurteilen belastet beurteilt <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer Bedeutung<br />

für die Gesellschaft thematisiert.<br />

In jüngster Zeit erfahren vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der modernen Gesellschaftsentwicklung<br />

Rituale e<strong>in</strong>en erstaunlichen Zuspruch. „Die Wiederentdeckung<br />

des Rituals ist nicht zufällig.“ (Wulf, Zirfas 2004, 7) Der neu erwachte<br />

S<strong>in</strong>n für Rituale gründet <strong>in</strong> der Erkenntnis der späten Moderne, dass<br />

sich mit Hilfe <strong>in</strong>strumenteller Zweckrationalität <strong>und</strong> praktischer Vernunft die<br />

erhoffte bessere Welt nicht e<strong>in</strong>stellte. Modernes Bewusstse<strong>in</strong> wird nicht mehr<br />

geprägt vom Glauben an immerwährenden Fortschritt, sondern von der Erfahrung,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er risikoreichen <strong>und</strong> unsicheren Zeitepoche zu leben, <strong>in</strong> der es<br />

nicht mehr möglich ist, alles im Leben <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Gesellschaft im Griff zu<br />

haben. In den sozialwissenschaftlichen Gegenwartsbeschreibungen wird e<strong>in</strong><br />

Bild der Gesellschaft entworfen, <strong>in</strong> der es ke<strong>in</strong>e stabilen Identitätsgehäuse<br />

mehr gibt, verlässliche F<strong>und</strong>amente wegbrechen, sich Gefühle der Beheimatung<br />

nicht mehr e<strong>in</strong>stellen, nichts mehr mit Sicherheit wissen lässt, weniges<br />

mehr gibt, was man als zuverlässig betrachten könnte.<br />

Jedes gesicherte Gefüge, jeder verlässliche Ort <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ungefährdete<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsb<strong>in</strong>dung ist abhanden gekommen. Nichts ist unmöglich, geschweige<br />

denn unvorstellbar. Alles, was ist, ist bis auf weiteres. Ke<strong>in</strong>er kann<br />

langfristig auf se<strong>in</strong>en Arbeitsplatz, auf se<strong>in</strong>en Beruf, nicht e<strong>in</strong>mal auf se<strong>in</strong>e<br />

eigenen Fähigkeiten bauen. Wo Freisetzung aus gewachsenen Lebenszusammenhängen<br />

dauernd stattf<strong>in</strong>det <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e nomadenhafte Existenz moderne<br />

158


Zeitgenossen kennzeichnet, da wird der Umgang mit bedrohter <strong>und</strong> gebrochener<br />

Identität zur Lebensfrage. Unsichere Zeiten, e<strong>in</strong>e unübersichtliche<br />

Gegenwart, Pluralisierung <strong>und</strong> Relativierung von Werten <strong>und</strong> Wahrheiten<br />

geben die Basis ab für e<strong>in</strong> ungebrochenes Bedürfnis nach Ritualen.<br />

Je mehr unsere Gesellschaft e<strong>in</strong>e tiefgreifende Unübersichtlichkeit besche<strong>in</strong>igt<br />

<strong>und</strong> angelastet wird, je mehr Menschen aus überkommenen Lebenszusammenhängen<br />

herausgelöst werden <strong>und</strong> aufgefordert s<strong>in</strong>d, das Leben<br />

nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, desto nachhaltiger sche<strong>in</strong>t die Sehnsucht<br />

nach e<strong>in</strong>er alternativlosen Gewissheit für das eigene Leben zu wachsen.<br />

Rituale bieten sich hier als ‚Handlungen’ an, an denen man sich festhalten<br />

kann. Was Peter Berger über den Zusammenhang von Moderne <strong>und</strong> Sujektivität<br />

geschrieben hat, erfährt e<strong>in</strong>e weitere Dynamisierung: „Wenn die Antworten<br />

nicht objektiv durch se<strong>in</strong>e Gesellschaft gegeben s<strong>in</strong>d, muss er (der<br />

Mensch, A.D.) sich nach <strong>in</strong>nen wenden, zu se<strong>in</strong>er Subjektivität, um von dort<br />

an Sicherheit herauszuholen, was immer er erreichen kann.“ (1980, 19)<br />

Die eigene Subjektivität wird derart fragil <strong>und</strong> gefährdet erlebt, dass der<br />

Mensch von neuem nach e<strong>in</strong>er Sicherheit ausserhalb se<strong>in</strong>er selbst sucht, sie<br />

nicht mehr <strong>in</strong> bergenden Traditionen <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>schaften f<strong>in</strong>det <strong>und</strong> deshalb<br />

die angesprochene Sicherheit im Ritualvollzug entdeckt <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det. Die allgegenwärtigen<br />

Kont<strong>in</strong>genzerfahrungen lenken heute die Aufmerksamkeit<br />

wieder auf die identitätskonstitutiven Aspekte von Ritualen.<br />

Wie sich unter den Bed<strong>in</strong>gungen forcierter Modernisierung gegenwärtiges<br />

Zeiterleben <strong>und</strong> rituelle Symbolik zue<strong>in</strong>ander verhalten, dazu lassen sich<br />

E<strong>in</strong>sichten gew<strong>in</strong>nen aus dem Zusammenhang von <strong>Lebensstil</strong> <strong>und</strong> Ritualverhalten<br />

im Alltag der befragten <strong>jungen</strong> Mütter <strong>und</strong> Väter.<br />

Tabelle 36<br />

<strong>Lebensstil</strong><br />

Nachfrage nach kirchlichen Ritualen<br />

schwach gelegentlich stark<br />

Erlebnistyp 17.9% 49.7% 32.4%<br />

Selbstverwirklichungstyp 35.4% 40.5% 24.1%<br />

Harmonietyp 8.4% 40.0% 51.6%<br />

Integrationstyp 3.8% 30.3% 65.9%<br />

Unterhaltungstyp 17.1% 62.7% 20.2%<br />

Entsprechend der Mehrdeutigkeit von Symbolen zeigen sich die kirchlichen<br />

Rituale <strong>in</strong> ihrem Erfahrungswert anschlussfähig an traditional wie modern<br />

geprägte <strong>Lebensstil</strong>milieus. Je nach Lebenslage <strong>und</strong> Lebenshabitus variiert<br />

ihr Erlebniswert <strong>und</strong> dürfte unterschiedliche Bedeutungszuweisungen erfahren.<br />

Verb<strong>in</strong>den sich die kirchlichen Rituale eher mit e<strong>in</strong>em wandlungsresistenten<br />

Milieu wie etwa im Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieu, dürften sie für die<br />

Beteiligten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e ordnungsstabilisierende Funktion haben. Un-<br />

159


100%<br />

89.1%<br />

88.1%<br />

90%<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

68.5%<br />

67.2%<br />

Nachfrage nach kirchlichen Ritualen<br />

nach <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

46.6%<br />

82.4%<br />

73.6%<br />

51.2%<br />

51.2%<br />

39.3%<br />

97.0% 98.3% 90.2%<br />

94.7%<br />

87.0%<br />

84.8% 81.7%<br />

80.8%<br />

61.0%<br />

43.1%<br />

73.2%<br />

88.1%<br />

86.8%<br />

58.5%<br />

Schaubild 34<br />

66.7%<br />

63.5%<br />

34.0%<br />

20%<br />

10%<br />

15.6%<br />

10.2%<br />

8.3%<br />

0%<br />

ter Angehörigen dieser beiden Milieus lässt sich e<strong>in</strong>e ausgeprägte Ritualvorliebe<br />

feststellen.<br />

Wenn auch weniger ausgeprägt, so ersche<strong>in</strong>en auch heute noch für e<strong>in</strong>e<br />

beachtliche Zahl von Personen <strong>in</strong> modernen <strong>Lebensstil</strong>milieus wie das Erlebnis-<br />

oder Selbstverwirklichungsmilieu rituelle Vollzüge zu bestimmten Zeiten<br />

<strong>und</strong> unter bestimmten Umständen unverzichtbar. In ihrem Verhalten<br />

anerkennen sie e<strong>in</strong>e Grenze der Selbstverfügbarkeit. Unverzichtbar ersche<strong>in</strong>en<br />

Rituale dem, der für sich erkannt hat, dass der Status e<strong>in</strong>es autonomen<br />

Subjektse<strong>in</strong>s sich nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en unverfügbaren Beziehungszusammenhang<br />

erlangen <strong>und</strong> erhalten lässt. Im Ritual situiert sich das Subjekt gegenüber der<br />

es bed<strong>in</strong>genden Wirklichkeit so, dass es sich jenseits dieser Situierung nicht<br />

als das verstehen kann, als was es sich versteht. Selbst dieses Selbstverständnis<br />

ist als solches nicht verfügbar.<br />

Gerade dort, wo es auf e<strong>in</strong>e souveräne Selbstbestimmung des Subjekts<br />

ankommt, sche<strong>in</strong>t also zugleich e<strong>in</strong> Ort zu liegen, der rituelle Inszenierungen<br />

nahe legt. Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich <strong>in</strong> der fortgeschrittenen<br />

Moderne rituelle Symbolik <strong>und</strong> das freie, souveräne Subjekt nicht mehr im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er traditionell aufklärerischen Perspektive gegenüberstehen, gleichsam<br />

als Alternativen, zwischen denen es zu wählen gilt. Das Subjekt <strong>in</strong>szeniert<br />

sich vielmehr selbst im Prozess, <strong>in</strong> dem es sich zum Transzendenten,<br />

den von ihm als unabhängig verstandenen Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>er selbst situiert<br />

<strong>und</strong> zwar derart, dass es als souveränes Subjekt eben diese Situation anerkennt.<br />

Rituale werden nicht als Beschneidung persönlicher Autonomie erfahren,<br />

sondern als Ermöglichung <strong>und</strong> Garant e<strong>in</strong>er selbstbestimmten Lebensführung.<br />

Erlebnistyp Selbstverwirklichungstyp<br />

Wichtigkeit der Taufe<br />

Kirchlich getraut<br />

Kirchgang an Weihnachten<br />

Harmonietyp Integrationstyp U/nterhaltungstyp<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des<br />

Wunsch nach kirchl. Bestattung<br />

M<strong>in</strong>. monatl. Kirchgang<br />

160


Der Modernitätsgrad e<strong>in</strong>es <strong>Lebensstil</strong>s m<strong>in</strong>dert aber auch die Nachfrage<br />

nach ritueller Lebensbegleitung durch die Kirchen. Die antirituelle Haltung<br />

der Aufklärung <strong>und</strong> die emanzipatorischen Bewegungen der 60er <strong>und</strong> 70er<br />

Jahre haben ihre Spuren h<strong>in</strong>terlassen. Für etliche Menschen s<strong>in</strong>d Rituale auch<br />

heute noch e<strong>in</strong> alter Zopf, die <strong>in</strong> frühen Stammesgesellschaften ihre Bedeutung<br />

gehabt haben mochten, aber <strong>in</strong> unserer modernen Gesellschaft obsolet<br />

geworden s<strong>in</strong>d.<br />

11.4 Verträglichkeit von Moderne <strong>und</strong> Ritualverhalten<br />

Die Nachfrage nach kirchlich-ritueller Begleitung ist ke<strong>in</strong> von anderen Lebensäusserungen<br />

abgeschottetes Phänomen. Ob jemand kirchliche Rituale <strong>in</strong><br />

Anspruch nimmt oder nicht, hängt, so zeigt die bisherige Analyse, sowohl<br />

vom <strong>Lebensstil</strong> ab wie auch von der religiösen Orientierung. Nicht nur die<br />

Zughörigkeit zum Integrations- (r = .31) <strong>und</strong> Harmoniemilieu ( r = .18) wirkt<br />

sich positiv auf das Ritualverhalten aus, auch die exklusive (r = .33) <strong>und</strong><br />

synkretistische (r = .25) Christlichkeit Am negativsten bee<strong>in</strong>flusst die Zugehörigkeit<br />

zu den Neureligiösen (r = -.35), zu den Areligiösen (r = –.26) <strong>und</strong><br />

zum anspruchsvollen Selbstverwirklichungstyp (r = –.30) das Ritualverhalten.<br />

Wie <strong>in</strong> Kapitel 8.2 gezeigt wurde, weisen die <strong>Lebensstil</strong>milieus unterschiedliche<br />

Nähe <strong>und</strong> Distanz zu den religiösen Orientierungen auf. Prägt <strong>in</strong><br />

hohem Masse e<strong>in</strong>e exklusive Christlichkeit Angehörige des Integrationstyps,<br />

neigt der anspruchsvolle Selbstverwirklichungstyp mehr als alle anderen zu<br />

e<strong>in</strong>er neureligiösen Dase<strong>in</strong>deutung.<br />

Die Frage ist nun, welchen E<strong>in</strong>fluss die <strong>Lebensstil</strong>typen <strong>und</strong> die religiösen<br />

Haltungen auf die kirchliche Ritualnachfrage ausüben, bere<strong>in</strong>igt von den<br />

gegenseitigen E<strong>in</strong>flüssen. Die statistische Methode der multiplen Regression<br />

erlaubt abzuschätzen, wie gross der Netto-E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>es Merkmals ist, wenn<br />

gleichzeitig der E<strong>in</strong>fluss aller anderen unterb<strong>und</strong>en wird:<br />

Tabelle 37<br />

Standardisierte multiple Regressionskoeffizienten für die Nachfrage nach kirchlichen<br />

Ritualen<br />

Neureligiöse –.41**<br />

Areligiöse –.33**<br />

Selbstverwirklichungstyp –.29**<br />

Religiöse Humanisten –.25**<br />

Unterhaltungstyp –.18**<br />

Tranzendenzoffene –.12**<br />

R 2 .39<br />

** Irrtumswahrsche<strong>in</strong>lichkeit


Um die religiösen E<strong>in</strong>stellungen bere<strong>in</strong>igt, verbleibt e<strong>in</strong> negativer E<strong>in</strong>fluss<br />

des Selbstverwirklichungs- <strong>und</strong> Unterhaltungsmilieus auf die Nachfrage nach<br />

kirchlichen Ritualen. Beide Milieus repräsentieren <strong>in</strong> ihrer selbstbestimmten<br />

<strong>und</strong> ich-verankerten Mentalität e<strong>in</strong>en zeitgenössischen <strong>Lebensstil</strong>typ. Wird<br />

die Weltsicht <strong>in</strong> ihrer selbst- <strong>und</strong> fremdreferenziellen Ausprägung mit der<br />

Ritualnachfrage <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gesetzt, bestätigt sich der beobachtete Sachverhalt.<br />

Je subjektbezogener die existenzielle Anschauungsweise, desto<br />

schwächer fällt die Nachfrage nach kirchlichen Ritualen aus: Offenk<strong>und</strong>ig<br />

üben kirchliche Rituale <strong>in</strong> den Augen der Befragten primär e<strong>in</strong>e stabilisierende,<br />

ordnende Funktion aus <strong>und</strong> sprechen nur e<strong>in</strong>geschränkt Menschen an, die<br />

ihr Leben selbst <strong>in</strong> die Hand nehmen, Menschen, die nicht e<strong>in</strong>fach gesellschaftlich<br />

übergeordnete Deutungs- <strong>und</strong> Handlungsmuster adaptieren, auch<br />

<strong>und</strong> gerade nicht die der christlichen Kirchen. Man will sich nicht <strong>in</strong> vorgegebenen<br />

S<strong>in</strong>nhorizonten e<strong>in</strong>gebettet wissen, sondern selbstreflexiv dem eigenen<br />

Leben e<strong>in</strong>e persönliche Ausrichtung geben. Der Selbstverwirklichungswie<br />

der Unterhaltungstyp sehen je auf ihre Weise e<strong>in</strong>en beschränkten Bedarf<br />

<strong>und</strong> Nutzen im aktuellen Ritualangebot der Kirchen – zum<strong>in</strong>dest so, wie es<br />

sprachlich <strong>und</strong> stilistisch kommuniziert wird.<br />

Tabelle 38<br />

Korrelation zwischen Weltsicht <strong>und</strong> Nachfrage nach kirchlichen Ritualen<br />

Selbstreferenzielle Weltsicht<br />

Das Leben hat nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n,<br />

wenn man ihm selber e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n gibt. -.11<br />

Für mich trägt das Leben se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> sich selbst. -.25<br />

Für das, was aus dem eigenen Leben wird,<br />

ist man vor allem selbst verantwortlich. -.12<br />

Fremdreferenzielle Weltsicht<br />

Ich muss dem Leben nicht durch eigene Anstrengungen<br />

e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben. Lebenss<strong>in</strong>n gibt die Religion vor. .29<br />

Das Leben besteht vor allem dar<strong>in</strong>,<br />

die Aufgaben zu erfüllen, vor die man gestellt ist. .05<br />

Das Leben hat für mich nur Bedeutung,<br />

wenn es Ziele gibt, die über me<strong>in</strong> persönliches<br />

Leben h<strong>in</strong>ausweisen. .05<br />

Wenn auch <strong>in</strong> bescheidenerem Masse, so besteht doch nach wie vor <strong>in</strong> den<br />

modernen <strong>Lebensstil</strong>milieus des anspruchsvollen Selbstverwirklichungstyps,<br />

des zeitoffenen Erlebnistyps <strong>und</strong> des des<strong>in</strong>teressiert-passiven Unterhaltungstyp<br />

e<strong>in</strong>e beachtliche Nachfrage nach kirchlichen Ritualen, wobei betont werden<br />

muss, dass es sich dabei vorab um e<strong>in</strong>e biografisch situationsbed<strong>in</strong>gte<br />

Nachfrage handelt. Es ist der lebensgeschichtliche Erfahrungshorizont mit<br />

se<strong>in</strong>en Umbrüchen <strong>und</strong> Übergängen, der den Anlass abgibt, das kirchliche<br />

162


Ritualangebot <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen. Die Schwellenerfahrung von Lebensübergängen<br />

löst e<strong>in</strong> Bedürfnis nach (religiöser) Selbstvergewisserung aus.<br />

Übergangsphasen bedeuten e<strong>in</strong>e Unterbrechung der Alltagsrout<strong>in</strong>e <strong>und</strong> somit<br />

e<strong>in</strong>e Konfrontation mit den offenen Möglichkeiten des Anderse<strong>in</strong>s: Jenseitserfahrung<br />

mitten im Diesseits. Im Ritualvollzug wird diese Erfahrung <strong>und</strong><br />

somit auch das Jenseits, das <strong>in</strong> ihr aufsche<strong>in</strong>t, symbolisiert <strong>und</strong> zeichenhaft<br />

gedeutet. ‚Lim<strong>in</strong>ale’ Lebensphasen wirken auch heute noch religionsproduktiv,<br />

auch <strong>in</strong> modernen <strong>Lebensstil</strong>milieus. Übergänge im Leben lassen Menschen<br />

die Erfahrung machen, dass das, was normalerweise so ist, wie es ist,<br />

nicht immer so se<strong>in</strong> muss. Sie schaffen Distanz zu den Alltagsrout<strong>in</strong>en <strong>und</strong><br />

eröffnen so e<strong>in</strong>en Raum, der die Ritualbeteiligten sich der Ganzheit ihres<br />

ansonsten fragmentierten Dase<strong>in</strong>s im Ritual vergewissern lässt. Rituale üben<br />

bei Lebensübergängen, ganz allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> ausseralltäglichen Lebenslagen,<br />

e<strong>in</strong>e stabilisierende Funktion aus, <strong>in</strong>dem sie die Alltagskonstruktion absichern<br />

<strong>und</strong> das Alltagsleben <strong>in</strong> Gang halten. Rituale tragen auf ihre je eigene<br />

Weise zur Etablierung des Alltags bei.<br />

Indem sich - bei allen Unterschieden - soziale Akteure <strong>und</strong> Angehörige<br />

unterschiedlichster Milieus biografischer <strong>und</strong> jahreszeitlicher kirchlicher<br />

Rituale bedienen, können sie als unersetzbares Element für den Aufbau, die<br />

Erhaltung <strong>und</strong> Wiederherstellung von Sicherheit <strong>und</strong> Stabilität im Alltag<br />

angesehen werden. „Wer se<strong>in</strong>en Alltag hervorbr<strong>in</strong>gen will, kann auf das<br />

Ritual nicht verzichten.“ (Streuten 1998, 220) Diese Sicherung <strong>und</strong> Stabilisierung<br />

des Alltags geschieht jedoch je nach <strong>Lebensstil</strong> auf je eigene Weise.<br />

Die Art der Wirkung von Ritualen, also deren ‚Kraft’, hängt von der Resonanz<br />

zwischen gelungenem performativem Geschehen <strong>und</strong> bewussten <strong>und</strong><br />

unbewussten Dispositionen der Akteure ab. Rituale stehen immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

sozial <strong>und</strong> subjektiv-biografisch geprägten Zusammenhang <strong>und</strong> variieren<br />

daher <strong>in</strong> ihrer lebenspraktischen Bedeutung. Ohne den Blick auf <strong>in</strong>dividuelle<br />

<strong>und</strong> soziale Lebenszusammenhänge kann die Wirksamkeit von Ritualen nicht<br />

begriffen werden.<br />

Die Nachfrage nach kirchlichen Ritualen von Personen mit unterschiedlichem<br />

Lebensh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> erklärt sich aus der potentiellen Multifunktionalität<br />

von rituellen Handlungsvollzügen. Ihre Mehrdeutigkeit kommt der Pluralität<br />

menschlicher Lebenslagen entgegen <strong>und</strong> erlaubt, das, was man braucht, aus<br />

ihnen zu schöpfen <strong>und</strong> transformierend <strong>in</strong> die je eigenen Lebensbezüge zu<br />

<strong>in</strong>tegrieren. Aus dem Blickw<strong>in</strong>kel der Milieutheorie stellen die kirchlichen<br />

Rituale Angebote dar, religiöse Bedürfnisse <strong>in</strong> unterschiedlichen Milieus zu<br />

befriedigen. Biografische Aspekte <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Milieubildungen tragen<br />

wesentlich dazu bei, <strong>in</strong> welcher Weise Rituale als Ressource für das eigene<br />

Leben <strong>in</strong> Anspruch genommen werden.<br />

Im traditionalen Segment der Bevölkerung, das sich als Teil e<strong>in</strong>er durch<br />

Gewohnheiten <strong>und</strong> Sitten geregelten Gesellschaft versteht, sich den Lebensvorgaben<br />

der Gesellschaft anpasst, Harmonie <strong>und</strong> soziale E<strong>in</strong>bettung schätzt,<br />

163


kommt überkommenen Ritualen die Funktion zu, Handlungs- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellungsmuster<br />

zu bekräftigen <strong>und</strong> ihnen unh<strong>in</strong>terfragbare Gültigkeit zuzusprechen.<br />

Durch die Teilnahme an Ritualen vergewissern sie sich der kollektiv<br />

für sie gültigen Wert- <strong>und</strong> Orientierungsmuster. Hier erleben <strong>und</strong> erfahren<br />

sie, nach welchen Lebenskonzepten <strong>und</strong> normativen Koord<strong>in</strong>aten sie sich im<br />

Alltag auszurichten haben.<br />

Im Ritual erkannte der französische Soziologe Emile Durkheim (1858–<br />

1917) e<strong>in</strong>e primäre Quelle der Ordnung für das menschliche Zusammenleben,<br />

e<strong>in</strong> ganz besonderer Typ kollektiver Ordnungsbildung. Anhand des<br />

Forschungsmaterials <strong>in</strong> ethnologischen Studien vermochte er aufzuzeigen,<br />

wie rituelle Vollzüge <strong>in</strong> archaischen Gesellschaften e<strong>in</strong>e Synchronisierung<br />

des sozialen Verhaltens bewirken <strong>und</strong> so e<strong>in</strong> wichtiges Verfahren zur sozialen<br />

Integration darstellen. Sie <strong>in</strong>stallieren e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tangible Ordnung für die<br />

Gesellschaftsmitglieder. Die Logik des Rituellen besteht dar<strong>in</strong>, sozialen Ordnungsmustern<br />

sakrale Qualität zu verleihen, wodurch ihr Konstruktionscharakter<br />

verdeckt wird. E<strong>in</strong>em bestehenden Lebenszusammenhang wird unh<strong>in</strong>terfragbare,<br />

unbezweifelbare Gültigkeit zugesprochen. Durch Rückgriff auf<br />

Rituale kann sozialer Des<strong>in</strong>tegration entgegengewirkt werden. Ihnen ist e<strong>in</strong>e<br />

herausragende Fähigkeit zur Herstellung sozialer Kohärenz eigen. Sie gewährleisten<br />

die Autorität des Sozialen gegenüber dem Individuum. Die Rituale<br />

sorgen für „e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Erfahrungs- <strong>und</strong> Handlungsraum, <strong>in</strong>nerhalb<br />

dessen man nichts falsch machen kann <strong>und</strong> <strong>in</strong> dem Problemlösungen<br />

im Rekurs auf bekannte Problemlösungen (wie wenig effektiv diese auch im<br />

E<strong>in</strong>zelnen se<strong>in</strong> mögen) bewältigt <strong>und</strong> damit <strong>in</strong> den Bereich der Normalität<br />

e<strong>in</strong>gegliedert werden“ (Soeffner 1989, 17). Sie repräsentieren kollektiven<br />

S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> schliessen die gefährliche Kluft zwischen subjektiv-persönlichem<br />

<strong>und</strong> kollektivem S<strong>in</strong>n, „sichern die Gruppendynamik e<strong>in</strong>er Gruppe gegen<br />

e<strong>in</strong>e unerwünschte Dynamisierung ab, die unkontrolliert mittel- oder langfristig<br />

zum Zerbrechen der Gruppe führen könnte“ (Kiss 1999, 181).<br />

Auf andere Weise kommen <strong>in</strong> modernen Lebensmilieus Rituale zum Zuge,<br />

nämlich als Konstruktionshilfe für den Identitätsaufbau <strong>und</strong> -erhalt. In<br />

Momenten, <strong>in</strong> denen sich die Identität aufzulösen droht, stützen sie Menschen<br />

<strong>in</strong> ihrem Bemühen um e<strong>in</strong>e eigenverantwortliche Selbstgestaltung ihrer Biografie<br />

– auch wenn diesen offizielle kirchliche Glaubens<strong>in</strong>halte längst fremd<br />

geworden s<strong>in</strong>d. Unter den gegenwärtigen Gesellschaftsbed<strong>in</strong>gungen ist es<br />

schwerer denn je, e<strong>in</strong>e tragfähige Identität zu entwickeln. Gel<strong>in</strong>gende Identitätsarbeit<br />

für Menschen <strong>in</strong> modernen <strong>Lebensstil</strong>milieus heisst, für sich selbst<br />

e<strong>in</strong>en authentischen Lebenss<strong>in</strong>n zu f<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong> Gefühl der <strong>in</strong>neren Lebenskohärenz<br />

zu entwickeln, die es erlaubt, mit der Vielfalt der umgehenden Lebensrealität<br />

produktiv umgehen zu können. Dazu s<strong>in</strong>d Fähigkeiten wie Initiative,<br />

Zähigkeit, Flexibilität, Frustrationstoleranz notwendig, ebenso e<strong>in</strong> hohes<br />

Vertrauen <strong>in</strong> sich selbst. Wer viele Ressourcen hat, hat gute Chancen zu bestehen.<br />

Zu diesen Ressourcen zählen bei manchen Rituale. Rituelle Vollzüge<br />

164


sollen Halt verleihen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die von Zygm<strong>und</strong> Baumann als<br />

„liquid modernity“ (2000) beschrieben wird, die ke<strong>in</strong>e Normalitäten <strong>und</strong><br />

alltäglichen Selbstverständlichkeiten mehr kennt, <strong>in</strong> der die Menschen nicht<br />

mehr auf fest etablierte Verhaltens- <strong>und</strong> Denkmuster zurückgreifen können.<br />

Die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche greifen unmittelbar <strong>in</strong> die Lebensgestaltung<br />

der Menschen e<strong>in</strong>. Die Ungewissheit der Flexibilität, die<br />

Gefahr zu scheitern, der Verlust von unstreitig akzeptierten Lebenskonzepten<br />

treiben die Menschen dazu, woanders nach Verwurzelung zu suchen. In rituellen<br />

Handlungsformen hoffen sie, der ‚ontologischen Bodenlosigkeit’<br />

(Keupp 2004a, 12) zu entr<strong>in</strong>nen, festen Boden unter die Füssen zu bekommen,<br />

<strong>in</strong> unsicherem Gelände e<strong>in</strong>en verlässlichen Bezugspunkt für ihre Lebensbewältigung,<br />

„e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Lebenskohärenz zu schaffen“ (Keupp 2002,<br />

17). Voraussetzung für die Gew<strong>in</strong>nung von Lebenssouveränität ist e<strong>in</strong> Gefühl<br />

des Vertrauens <strong>in</strong> die Kont<strong>in</strong>uität des Lebens, e<strong>in</strong> Urvertrauen zum Leben.<br />

Das spezifische religiöse Moment e<strong>in</strong>es Rituals liegt gerade <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ureigenen<br />

Beitrag zur Selbstf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es Menschen, dass er sich wahrnehmen<br />

kann als e<strong>in</strong>er, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transzendenten Wirklichkeit aufgehoben<br />

weiss, sich anerkannt weiss, der <strong>in</strong> sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>blicken, der ruhig werden kann,<br />

der weiss, wer er selbst ist, was ihn letztendlich im Leben trägt. Sich auf die<br />

Ambiguitäten der modernen Gesellschaft offen e<strong>in</strong>zulassen, ist für viele<br />

Menschen ohne ausreichende transzendentale Absicherung nicht möglich. Im<br />

Ritual eröffnet sich ihnen e<strong>in</strong> Raum für die Entwicklung von Urvertrauen <strong>in</strong>s<br />

Dase<strong>in</strong>, sich auf e<strong>in</strong>e Biografie e<strong>in</strong>zulassen, <strong>in</strong> der neue Lebensformen erprobt<br />

<strong>und</strong> eigener Lebenss<strong>in</strong>n entwickelt werden kann. „Rituale werden so<br />

zur Quelle von Empowerment“ (Keupp 2006, 11), um eigenständig <strong>und</strong> verantwortlich<br />

das eigene Lebensprojekt <strong>in</strong> die Hand zu nehmen.<br />

165


12. Geburtsritus Taufe<br />

12.1 Häufigkeit der K<strong>in</strong>dertaufe<br />

Das stärkste Bedürfnis nach e<strong>in</strong>em kirchlichen Ritual bek<strong>und</strong>en junge <strong>Familien</strong><br />

anlässlich der Geburt ihrer eigenen K<strong>in</strong>der. Das kirchliche Angebot der<br />

Taufe ist <strong>in</strong> die familiäre Lebenskultur ziemlich fraglos e<strong>in</strong>gebettet. In ausseralltäglichen<br />

Situationen wie die Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des weiss man, was zu<br />

tun ist, wie man sich normalerweise verhält. Die Taufe stellt e<strong>in</strong> Herzstück<br />

gelebter Kirchlichkeit unserer Zeit dar, e<strong>in</strong>e herausragende Schnittstelle zwischen<br />

christlicher Tradition <strong>und</strong> familiärem Leben. In der Taufe wird die<br />

Kirche zugänglich auch <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere für Menschen <strong>in</strong> Distanz zu ihr.<br />

Die Taufe, fest verb<strong>und</strong>en mit dem Lebenszyklus <strong>und</strong> dessen biografische<br />

Verarbeitung, wird von den <strong>jungen</strong> Eltern fast ausnahmslos als kulturelle<br />

Selbstverständlichkeit erlebt. Darauf beruht <strong>in</strong> hohem Masse die gesellschaftlich-öffentliche<br />

Relevanz der Kirchen. Ihren unbed<strong>in</strong>gten Verpflichtungscharakter<br />

hat zwar die Taufe heute weitgehend verloren. Geblieben aber ist e<strong>in</strong><br />

nachhaltiges Bedürfnis, die Ankunft e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> der Familie als e<strong>in</strong> Lebenshöhepunkt<br />

rituell mit der Taufe zu begehen.<br />

In der vorliegenden Untersuchung bestätigt sich der Bef<strong>und</strong> aus der Sonderfall-Studie<br />

von 1989 <strong>und</strong> 1999. Die K<strong>in</strong>der werden fast ausnahmslos getauft.<br />

96.4% der Schweizer Wohnbevölkerung bejahte 1999 die Frage, ob sie<br />

getauft seien. Zehn Jahre zuvor waren es noch 98%. In unserer Befragung<br />

sagten 83.5% der befragten Eltern, dass sie ihr K<strong>in</strong>d taufen liessen. Nicht nur<br />

feiern mehr als 8 von 10 <strong>Familien</strong> das Geschenk neuen Lebens <strong>in</strong> der Taufe,<br />

sie halten auch zu 61.9% die Taufe ihres K<strong>in</strong>des für sehr wichtig <strong>und</strong> zu<br />

weiteren 28.9% für wichtig.<br />

Öfter als <strong>in</strong> homogen protestantischen <strong>Familien</strong> (93.3%) werden <strong>in</strong> re<strong>in</strong><br />

katholischen <strong>Familien</strong> (98.9%) die K<strong>in</strong>der getauft. Dass die K<strong>in</strong>dertaufe unter<br />

Angehörigen von evangelischen Freikirchen nicht üblich ist, widerspiegelt<br />

sich <strong>in</strong> ihrer Antwort auf die Frage nach der Taufe ihrer K<strong>in</strong>der. 85.2% der<br />

freikirchlichen <strong>Familien</strong> verzichten auf die K<strong>in</strong>dertaufe.<br />

Die K<strong>in</strong>dertaufe ist sozusagen e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die Beziehung zwischen den<br />

Generationen, Bestandteil der familiären Tradition. Die Taufe ist <strong>in</strong> der<br />

Schweizer Gesellschaft derart stark verwurzelt, dass selbst über e<strong>in</strong> Drittel<br />

der konfessionslosen (Ehe-)Partner (37.7%) sich für die Taufe ihrer K<strong>in</strong>der<br />

entscheiden. Je konfessionell homogener die Paarbeziehung, desto höher fällt<br />

die ‚Vererbungsrate’ der Kirchenzugehörigkeit über die Taufe aus.<br />

26% der nicht getauften K<strong>in</strong>der stammen aus <strong>Familien</strong>, <strong>in</strong> denen beide Elternteile<br />

evangelischen Freikirchen angehören, 18.6% aus konfessionslosen<br />

<strong>Familien</strong>. 9% aus evangelisch-reformierten <strong>Familien</strong>, 11.8% bzw. 7.4% ge-<br />

166


hören <strong>Familien</strong> an, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong> protestantischer bzw. katholischer Elternteil<br />

mit e<strong>in</strong>em konfessionslosen Partner zusammenlebt. 2.3% leben <strong>in</strong> Haushalten,<br />

<strong>in</strong> denen beide Elternteile der katholischen Kirche angehören <strong>und</strong> 6.8%<br />

<strong>in</strong> Mischehen zwischen Protestanten <strong>und</strong> Katholiken.<br />

%<br />

16<br />

Konfessionslose nach Alter 1970 - 2000<br />

Schaubild 35<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Alter<br />

10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

1970 1980 1990 2000<br />

Bestätigt wird die hohe Nachfrage nach der Taufe <strong>in</strong> der Bevölkerung durch<br />

die Zahlen der Volkszählung 2000. Beträgt der Anteil der Konfessionslosen<br />

im ersten Lebensjahr 14.5%, verr<strong>in</strong>gert er sich bis zum 16. Lebensjahr, dem<br />

Jahr der religiösen Mündigkeit, auf 8.3%. Im Durchschnitt bezeichneten sich<br />

im Jahr 2000 11.1% der Schweizer Wohnbevölkerung als konfessionslos.<br />

Alle<strong>in</strong> schon die Zahlen der Volkszählung machen deutlich, welch hoher<br />

Stellenwert der Kirche <strong>in</strong> der religiösen Erziehung der K<strong>in</strong>der zugesprochen<br />

wird. Man möchte den eigenen K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e religiöse Erziehung durch die<br />

Kirchen nicht vorenthalten <strong>und</strong> lässt sie daher taufen. Darüber h<strong>in</strong>aus stehen<br />

die Kirchen <strong>in</strong> den Augen der <strong>jungen</strong> Eltern für gesellschaftliche Werte, die<br />

<strong>in</strong> den übrigen Lebensbereichen unter die Räder zu kommen drohen. Die<br />

K<strong>in</strong>der können später im Leben selbst entscheiden, ob sie weiterh<strong>in</strong> Mitglied<br />

der Kirche bleiben wollen.<br />

Die Praxis der K<strong>in</strong>dertaufe muss im Zusammenhang der symbolischrituellen<br />

Begehung e<strong>in</strong>es Übergangs im Lebenslauf gesehen werden. Die<br />

hohe Nachfrage nach der Taufe der eigenen K<strong>in</strong>der lässt sich erklären aus der<br />

Verunsicherung bei Übergängen des Lebens, wenn der sichere Gang der<br />

167


Gewohnheiten unterbrochen wird, wenn das, worauf man alltäglich oder<br />

doch durch h<strong>in</strong>länglich kont<strong>in</strong>uierliche Wiederholung sich <strong>in</strong>nerlich oder<br />

äusserlich e<strong>in</strong>gestellt hat, durch neue Lagen überholt wird oder - jedenfalls<br />

vorübergehend - nicht mehr gilt. Der geregelte Verlauf des bisherigen Alltagslebens<br />

wird unterbrochen, es machen sich Ohnmachtgefühle <strong>und</strong> Ängste<br />

breit. Rituale helfen, Situationen zu überbrücken, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>deutige Handlungsmuster<br />

fehlen. Sie dienen der Steuerung von Affekten <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung<br />

von Emotionen. Über den Ritualvollzug fangen sich die beteiligten Personen<br />

gleichsam selbst auf.<br />

E<strong>in</strong> Ritual wie die Taufe ermöglicht, das Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Handlungsvakuum<br />

weiter gehen zu lassen <strong>und</strong> überlässt die Eltern nicht sich selbst. Die<br />

Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des erfordert Neuanpassungen im Verhalten <strong>und</strong> der <strong>in</strong>neren<br />

E<strong>in</strong>stellungen, erzeugt neue Gefühle <strong>und</strong> verändert die Lebensperspektiven.<br />

Die vertraute Alltagswelt wird unterbrochen, die das Leben zuverlässig<br />

macht, <strong>in</strong> der alles passt <strong>und</strong> stimmt. Das potentiell Krisenhafte des Übergangs,<br />

ausgelöst durch die Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des, der e<strong>in</strong> Abschied von e<strong>in</strong>er<br />

bisherigen Lebensphase <strong>und</strong> den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue bedeutet, wird durch die<br />

Beteiligung <strong>und</strong> Mitwirkung am Ritual der Taufe begrenzt <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

wird das Unsicherheitspotential gebändigt.<br />

Was für die e<strong>in</strong>zelne Familie e<strong>in</strong>zigartig ist, die Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des, ist<br />

für die Gesellschaft der Normalfall. Immer wieder werden Menschen geboren.<br />

Für diese Fälle stellt die Gesellschaft mit ihren öffentlich-rechtlich anerkannten<br />

Kirchen Rituale bereit. Bei der Begrüssung e<strong>in</strong>es neuen Erdenbürgers<br />

haben die Kirchen quasi e<strong>in</strong> Ritenmonopol. Versuchen, Ersatzrituale im<br />

Umfeld der Geburt e<strong>in</strong>zurichten, war bis anh<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> nennenswerter Erfolg<br />

beschieden. Die Kirchen nehmen mit der Taufe e<strong>in</strong>e öffentliche Funktion<br />

wahr, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> unserer Gesellschaft das religiöses Bedürfnis befriedigen,<br />

e<strong>in</strong>en entscheidenden Lebenswendepunkt rituell zu begehen, symbolisch zu<br />

verarbeiten <strong>und</strong> abzusichern. Sie s<strong>in</strong>d es, die im Namen der Gesellschaft das<br />

neue Leben <strong>in</strong> unserer Welt willkommen heissen.<br />

12.2 Bedeutung der Taufe für die Eltern<br />

Die Taufe gibt der Lebenspassage, die gerade durchlaufen wird, e<strong>in</strong>e angemessene,<br />

gesellschaftlich anerkannte Form der Bewältigung. Die Kirchen<br />

bieten mit ihrem Ritualangebot für sehr viele Eltern immer noch den dafür<br />

adäquaten Rahmen. Die vielfältige Symbolik der Tauffeier (Begiessen mit<br />

Wasser, Kreuzzeichen, Taufkerze, Taufkleid, Salbung, Namennennung,<br />

Handauflegung) eröffnet den Beteiligten e<strong>in</strong>e Fülle von Bezügen, Deutungen<br />

<strong>und</strong> Wahrnehmungen.<br />

Im Verlaufe der Jahrh<strong>und</strong>erte hat die theologische Deutung der Taufe<br />

sehr unterschiedliche Akzentsetzungen erfahren - e<strong>in</strong> Mosaik aus vielen Be-<br />

168


deutungsaspekten. Die rituellen Taufsymbole weisen auf e<strong>in</strong>e Realität h<strong>in</strong>,<br />

die umfassender <strong>und</strong> grösser ist, als sie mit Deutungen je erfasst <strong>und</strong> ausgedrückt<br />

werden kann. Die Taufe gleicht e<strong>in</strong>em Diamanten, der <strong>in</strong> den unterschiedlichsten<br />

Farben funkelt, je nachdem, von welcher Seite aus man ihn<br />

betrachtet.<br />

Das Neue Testament deutet die Taufe <strong>in</strong> ihrem Kerngeschehen als Begräbnis<br />

des alten Menschen <strong>und</strong> als Auferstehung zu e<strong>in</strong>em neuen Leben mit<br />

Christus. Die Taufe ist Ende <strong>und</strong> Neuanfang zugleich. Der Täufl<strong>in</strong>g wird<br />

„begraben durch die Taufe <strong>in</strong> den Tod“, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuen Leben zu wandeln<br />

(Röm 6,2-4). Die urchristliche Taufe stand <strong>in</strong> direkter Kont<strong>in</strong>uität mit<br />

der johannäischen Busstaufe; sie war darüber h<strong>in</strong>aus entscheidend geprägt<br />

von der Erfahrung des Todes <strong>und</strong> der Auferstehung Jesu. Im Licht des gekreuzigten<br />

<strong>und</strong> auferstandenen Christus, den se<strong>in</strong>e Jünger nun als Erlöser <strong>und</strong><br />

Herr der Welt bezeugten, gewann die christliche Taufe ihre e<strong>in</strong>zigartige <strong>und</strong><br />

unverwechselbare Bedeutung. „Die christliche Taufe ist im Wirken Jesu von<br />

Nazareth, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Tod <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Auferstehung verwurzelt.“ (Taufe, Eucharistie<br />

<strong>und</strong> Amt: Konvergenzerklärung der Kommission für Glauben <strong>und</strong><br />

Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, 1982, 9)<br />

In möglicher Anspielung auf die jüdischen Re<strong>in</strong>igungsbäder spricht Paulus<br />

von der Taufe als „Bad der Wiedergeburt (Tit 3,5), durch das der Mensch<br />

von se<strong>in</strong>er Sünde „re<strong>in</strong>gewaschen“ (1 Kor 6,11) werde, als Befreiung von der<br />

Knechtschaft der Sünde (Röm 6), die den Sünder unentr<strong>in</strong>nbar <strong>in</strong> ihrer Gewalt<br />

hatte. Für den Hebräer war der Atem e<strong>in</strong> Kennzeichen des Lebens.<br />

Wenn jemand im Wasser untertaucht wird, atmet er nicht mehr, se<strong>in</strong> Zustand<br />

gleicht dem e<strong>in</strong>es Toten. Nach dem Auftauchen atmet der Getaufte wieder<br />

e<strong>in</strong> <strong>und</strong> beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong> neues Leben mit Christus. Wie Jesus starb <strong>und</strong> <strong>in</strong>s Grab<br />

gelegt wurde, so wird der Mensch bei der Taufe <strong>in</strong>s Wasser begraben. Schuld<br />

<strong>und</strong> Sünde werden mit ihm begraben. Wie Christus von den Toten auferstand,<br />

so steht er aus dem Wassergrab der Taufe zu e<strong>in</strong>em neuen Leben auf.<br />

Wie Jesus vom Tod zur Auferstehung gelangt ist, so aufersteht nun das getaufte<br />

K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> tritt <strong>in</strong> den Lebensraum Gottes e<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong> Leben hat sich unter<br />

dem E<strong>in</strong>fluss des Heiligen Geistes f<strong>und</strong>amental verändert. Man kann sagen,<br />

es sei e<strong>in</strong> neuer Mensch (2 Kor 5,17) <strong>und</strong> lebe nun <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft mit<br />

Christus. Der Vollzug der Taufe bezeichnet die sicht- <strong>und</strong> erlebbare Schwelle<br />

zwischen dem alten Se<strong>in</strong> des Menschen <strong>in</strong> der Sünde <strong>und</strong> dem neuen Se<strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>es Lebens <strong>in</strong> Christus. Das Wasser der Taufe tötet <strong>und</strong> schenkt Leben<br />

zugleich. Mit ihr erhält der Getaufte Anteil an Christi Auferstehung.<br />

In Anbetracht der Antworten, die von den <strong>jungen</strong> Eltern auf die Frage<br />

nach der Zustimmung zur Glaubensaussage: „Die Auferstehung von Jesus<br />

Christus gibt me<strong>in</strong>em Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n“, gegeben wurden, kann davon ausgegangen<br />

werden, dass der kircheneigene Deutungsaspekt bei der Mehrheit der<br />

befragten <strong>jungen</strong> Mütter <strong>und</strong> Väter heute kaum mehr ihre Wahrnehmung der<br />

Taufe bestimmt. Vorzugsweise im Kreise der exklusiven <strong>und</strong> der synkretisti-<br />

169


schen Christen wird die Taufe noch als Teilhabe an Christi Tod <strong>und</strong> Auferstehung,<br />

als Mitsterben mit Christus <strong>und</strong> als Mit-ihm-Auferstehen zu neuem<br />

Leben verstanden<br />

Tabelle 39<br />

Die Auferstehung von Jesus Christus gibt<br />

Religionstypen<br />

me<strong>in</strong>em Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />

trifft zu teils/teils trifft nicht zu<br />

Exklusive Christen 96.0% 3.0% 1.0%<br />

Synkretistische Christen 77.9% 19.9% 2.2%<br />

Neureligiöse 1.3% 9.0% 89.7%<br />

Transzendenzoffene 13.6% 39.9% 46.5%<br />

Religiöse Humanisten 7.2% 25.9% 66.9%<br />

Areligiöse – – 100.0%<br />

Aus der expliziten Nachfrage nach den Taufgründen <strong>in</strong> der Befragung (vgl.<br />

Fragebogen im Anhang, Frage 33) wird sichtbar, welche unterschiedlichen<br />

Bedeutungen die <strong>jungen</strong> Eltern heute der Taufe beimessen. Die Aussagen, zu<br />

denen die befragten Eltern Stellung nehmen konnten, stammen aus circa. 40<br />

explorativen Interviews <strong>und</strong> deren <strong>in</strong>haltsanalytischer Bearbeitung. Die dabei<br />

geäusserten Begründungen für die Taufe des K<strong>in</strong>des fassten die Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter des Teilprojektes Taufe <strong>in</strong> folgende vier Kategorien<br />

zusammen:<br />

1. Taufe als rélévateur der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung (Frage 33b,g,k)<br />

Mit dem Entscheid, ihr K<strong>in</strong>d taufen zu lassen, machen die Eltern e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Haltung ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber sichtbar. Exemplarisch wird hier<br />

das Verständnis der Taufe als Selbstverpflichtung der Eltern abgefragt:<br />

spezifisch christliche Erziehung, beschränkte Verfügungsgewalt gegenüber<br />

dem K<strong>in</strong>d, öffentlich bezeugte elterliche Verantwortung.<br />

2. Taufe als Möglichkeitsraum von Lebens- <strong>und</strong> Wirklichkeitsdeutung (Frage<br />

33d,h,j)<br />

Die religiöse Deutung der Taufe bezieht sich mit unterschiedlicher Intensität<br />

auf unterschiedliche elementare Lebenserfahrungen <strong>und</strong> -<br />

hoffnungen: Gottes Segen für das K<strong>in</strong>d, Schutz vor Schicksalsschlägen,<br />

Bedürfnis nach lebenszyklischer Strukturierung.<br />

3. Taufe als Konvention <strong>und</strong> Tradition (Frage 33a,c,e)<br />

Thematisiert wird hier die Taufe als schöner Brauch, blosse Formalität<br />

oder E<strong>in</strong>gangstor zum Himmel.<br />

4. Taufe als Resonanzraum für religiöse Deutung (F 33f,i,l)<br />

Zusammengefasst werden unter dieser Rubrik Aussagen darüber, <strong>in</strong>wieweit<br />

die Taufe fremdreferenziell durch den Bezug auf die Bibel <strong>und</strong> die<br />

170


kirchliche Tradition begründet wird oder ob man e<strong>in</strong>er eigenen persönlichen<br />

Interpretation den Vorzug gibt <strong>und</strong> ob bei dieser Gelegenheit e<strong>in</strong>e<br />

religiöse Selbstvergewisserung der Eltern stattf<strong>in</strong>det.<br />

Die folgenden Gründe veranlassten die <strong>jungen</strong> Eltern, ihre K<strong>in</strong>der taufen zu<br />

lassen, gegliedert nach den oben aufgeführten E<strong>in</strong>heiten:<br />

Tabelle 40<br />

Taufe als rélévateur der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung<br />

• Mit der Taufe zeigen Eltern, dass sie ihr K<strong>in</strong>d im christlichen<br />

Glauben erziehen wollen. 91.6%<br />

• Die Taufe drückt aus: Das K<strong>in</strong>d ist nicht e<strong>in</strong> Besitz der Eltern.<br />

Es ist ihnen anvertraut worden. 75.2%<br />

• Die Taufe ist für Eltern e<strong>in</strong>e Gelegenheit, um öffentlich zu<br />

zeigen: Ja, wir schauen zum K<strong>in</strong>d, nach bestem Wissen <strong>und</strong><br />

Gewissen. 34.7%<br />

Taufe als Möglichkeitsraum von Lebens- <strong>und</strong> Wirklichkeitsdeutung<br />

• Die Taufe drückt aus, dass das K<strong>in</strong>d unter Gottes Segen steht 88.8%<br />

• Die Taufe ist e<strong>in</strong> Markste<strong>in</strong> auf dem Lebensweg des K<strong>in</strong>des. 70.2%<br />

• E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte getauft se<strong>in</strong>, sonst müsste man sich e<strong>in</strong> Gewissen<br />

machen, wenn ihm etwas zustiesse. 18.3%<br />

Taufe als Konvention <strong>und</strong> Tradition<br />

• Die Taufe ist e<strong>in</strong> schöner Brauch, den man pflegen sollte. 76.1%<br />

• Die Taufe ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Formalität. 13.1%<br />

• Ohne Taufe kann man nicht <strong>in</strong> den Himmel kommen. 8.1%<br />

Taufe als Resonanzraum für religiöse Deutung<br />

• Bei der Taufe wird e<strong>in</strong>em der eigene Glaube wieder e<strong>in</strong>mal<br />

bewusst. 71.9%<br />

• Ich mache mir me<strong>in</strong>e eigenen Vorstellungen von der Taufe. 49.0%<br />

• Die Taufe ist <strong>in</strong> der Bibel <strong>und</strong> von der Kirche vorgegeben.<br />

Deshalb soll sie auch durchgeführt werden. 37.7%<br />

Mit Hilfe der statistischen Methode der Faktorenanalyse lässt sich ermitteln,<br />

wie weit sich die Aussagen zu den Taufgründen zu mehr oder weniger vone<strong>in</strong>ander<br />

unterscheidbaren E<strong>in</strong>stellungsdimensionen gruppieren lassen. Sie<br />

ermittelt drei latente Muster <strong>in</strong> den Aussagen. E<strong>in</strong>ige von ihnen lassen sich<br />

nicht e<strong>in</strong>deutig dem e<strong>in</strong>en oder anderen Begründungsmuster zuordnen. Sie<br />

zeichnet e<strong>in</strong>e zusätzliche Aff<strong>in</strong>ität zu anderen E<strong>in</strong>stellungsmustern aus, worunter<br />

die <strong>in</strong>nere Kohärenz des jeweiligen Deutungsmusters leidet. Die erste<br />

Aussage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dimension formt am stärksten die <strong>in</strong>haltliche Ausrichtung<br />

des betreffenden Begründungsmuster für die Taufe.<br />

171


Bedeutung der Taufe<br />

Die Taufe drückt aus, dass das K<strong>in</strong>d unter<br />

Gottes Segen steht.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Formalität.<br />

Mit der Taufe zeigen Eltern, dass sie ihr<br />

K<strong>in</strong>d im christlichen Glauben erziehen<br />

wollen.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong> Markste<strong>in</strong> auf dem<br />

Lebensweg des K<strong>in</strong>des.<br />

Die Taufe drückt aus: Das K<strong>in</strong>d ist nicht<br />

e<strong>in</strong> Besitz der Eltern. Es ist ihnen anvertraut<br />

worden.<br />

Bei der Taufe wird e<strong>in</strong>em der eigene<br />

Glaube wieder e<strong>in</strong>mal bewusst.<br />

E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte getauft se<strong>in</strong>, sonst müsste<br />

man sich e<strong>in</strong> Gewissen machen, wenn<br />

ihm etwas zustiesse.<br />

Ohne Taufe kann man nicht <strong>in</strong> den Himmel<br />

kommen.<br />

Die Taufe ist <strong>in</strong> der Bibel <strong>und</strong> von der<br />

Kirche vorgegeben. Deshalb soll sie auch<br />

durchgeführt werden.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong> schöner Brauch, den<br />

man pflegen sollte.<br />

Die Taufe ist für Eltern e<strong>in</strong>e Gelegenheit,<br />

um öffentlich zu zeigen: Ja, wir schauen<br />

zum K<strong>in</strong>d, nach bestem Wissen <strong>und</strong><br />

Gewissen.<br />

Ich mache mir me<strong>in</strong>e eigenen Vorstellungen<br />

von der Taufe.<br />

Segen<br />

Gottes für<br />

das K<strong>in</strong>d<br />

.72<br />

–.71<br />

.69<br />

.51<br />

.50<br />

.48<br />

.28<br />

–.41<br />

Schlüssel<br />

zum<br />

Himmel<br />

Faktorenladungen<br />

.31<br />

.79<br />

.78<br />

.73<br />

Tabelle 41<br />

Schöner<br />

Brauch<br />

.34<br />

.47<br />

.68<br />

.60<br />

.52<br />

Die Skalenwerte der Aussagen <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Deutungsmustern werden zu<br />

e<strong>in</strong>em Index addiert, der anschliessend <strong>in</strong> der Mitte unterteilt wird <strong>in</strong> die zwei<br />

Positionen „trifft zu“ oder „trifft nicht zu“. Die drei zentralen Begründungsmuster<br />

für die Taufe der eigenen K<strong>in</strong>der erreichen die folgenden Zustimmungswerte:<br />

Tabelle 42<br />

Taufe als Segen Gottes für das K<strong>in</strong>d 89.3%<br />

Taufe als Schlüssel zum Himmel 14.5%<br />

Taufe als schöner Brauch 51.1%<br />

172


Am meisten zur Klärung der Unterschiede im Blick auf die Taufgründe<br />

trägt die Motivkonstellation „Segen für das K<strong>in</strong>d“ bei. Die beiden Begründungsmuster<br />

„Segen Gottes für das K<strong>in</strong>d“ <strong>und</strong> „Taufe als Schlüssel zum<br />

Himmel“ stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er positiven Beziehung zue<strong>in</strong>ander (r. = .30)<br />

Im Vergleich zu den Protestanten neigen Katholiken, die ihre K<strong>in</strong>der taufen<br />

liessen, leicht stärker dem ersten <strong>und</strong> zweiten Begründungsmuster (Segen<br />

Gottes, Schlüssel zum Himmel) zu <strong>und</strong> weniger dem dritten (Schöner<br />

Brauch).<br />

Konfessionslose, die ihr K<strong>in</strong>d taufen liessen, lassen nicht sehr viel öfter<br />

als die Katholiken <strong>und</strong> Protestanten das Argument gelten, die Taufe sei e<strong>in</strong><br />

schöner Brauch (zu 50.9%). Ihre Motivation ist, Gottes Segen für ihr K<strong>in</strong>d zu<br />

erbitten (61.5%). Überhaupt lassen nur sehr wenige junge Eltern (4.3%) ihr<br />

K<strong>in</strong>d alle<strong>in</strong> aus dem Gr<strong>und</strong> taufen, weil es so Brauch ist. Für weitere 4.9%<br />

treffen ke<strong>in</strong>es der drei Motivmuster zu. Ausschlaggebend für die Taufe s<strong>in</strong>d<br />

für sie Gründe, die <strong>in</strong> der Befragung nicht angesprochen wurden.<br />

Die K<strong>in</strong>dertaufe wird von den <strong>jungen</strong> Müttern <strong>und</strong> Vätern vor allem als<br />

Geburtsritus wahrgenommen. Geburt <strong>und</strong> Taufe stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr engen<br />

zeitlichen Zusammenhang. Es kann damit zu Recht von der Taufe als dem<br />

Ritual der Geburt gesprochen werden. Die Taufe gehört „zur Feier der Geburt<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des“ (Gräb 2006, 103). Sie ist „Feier des Lebensbeg<strong>in</strong>ns“ (a.a.O.,<br />

95), „Feier des w<strong>und</strong>erbaren Geschenk neuen Lebens“ (a.a.O., 98).<br />

Durch ihren unmittelbaren Zusammenhang mit der Geburt markiert die<br />

Taufe den E<strong>in</strong>tritt e<strong>in</strong>es Menschen <strong>in</strong> die Menschenwelt, <strong>in</strong> die Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> verhilft ihm zu e<strong>in</strong>er sozialen Identität. Die Taufe kann als Passageritus<br />

an der Schwelle zum sozialen Se<strong>in</strong> begriffen werden. Die Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

ist der Anknüpfungspunkt dafür, das Ritualangebot der Kirche wahrzunehmen.<br />

Das K<strong>in</strong>d tritt aus der Geborgenheit des Mutterleibes <strong>in</strong> die Welt<br />

<strong>und</strong> beg<strong>in</strong>nt mit dem ersten Atemzug se<strong>in</strong> eigenständiges Leben. 28.2% der<br />

K<strong>in</strong>der werden während der ersten 3 Monate getauft, 50.2% zwischen dem 3.<br />

<strong>und</strong> 6. Monat <strong>und</strong> weitere 16.1% noch vor ihrem ersten Geburtstag. Lediglich<br />

5.4% der Eltern warteten mit der Taufe über das erste Lebensjahr h<strong>in</strong>aus zu.<br />

Selbst wenn die Eltern den Kontakt zur Kirche <strong>und</strong> ihrer Ortsgeme<strong>in</strong>de verloren<br />

haben, kommt es selten zu e<strong>in</strong>em Aufschub der Taufe.<br />

Tabelle 43<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der<br />

Alter des K<strong>in</strong>des bei der Taufe<br />

Kirche<br />

bis 6 Monaten 6-12 Monate später<br />

sehr/ziemlich verb<strong>und</strong>en 82.7% 14.0% 3.4%<br />

etwas verb<strong>und</strong>en 77.5% 17.1% 5.3%<br />

Kaum/nicht verb<strong>und</strong>en 73.4% 18.4% 8.2%<br />

Von den <strong>jungen</strong> Eltern dürfte die Taufe kaum mehr als verb<strong>in</strong>dlich betrachtet<br />

werden. Sie steht zur <strong>in</strong>dividuellen Disposition. Sie wissen, dass sie e<strong>in</strong>e<br />

kirchlich-rituelle Bejahung der Geburt ihres K<strong>in</strong>des auch unterlassen können,<br />

173


ohne das dies gesellschaftlich nachteilige Folgen für die Familie hat. Alternativen<br />

zum kirchlichen Angebot, wie heute z.B. bei der Bestattung, stehen<br />

kaum zur Verfügung. Die Taufe wird weniger deshalb begehrt, weil es üblich<br />

ist, sondern weil man sich bewusst den Segen Gottes wünscht für das Neugeborene.<br />

In der „Gestalt ihres e<strong>in</strong>maligen Vollzugs symbolisiert die Wassertaufe<br />

Gottes gnädige Zuwendung <strong>in</strong> Jesus Christus zu jedem e<strong>in</strong>zelnen Menschen“<br />

(Gräb 2006, 100). Der Blick der Eltern richtet sich <strong>in</strong> der volkskirchlichen<br />

Taufpraxis auf den Segen Gottes für die zukünftigen Lebensgeschichte des<br />

Neugeborenen.<br />

In den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> rückt die heilsgeschichtliche Bedeutung der Taufe -<br />

oder sie sche<strong>in</strong>t erst gar nicht mehr auf: Todes- <strong>und</strong> Lebensgeme<strong>in</strong>schaft mit<br />

Christus im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er radikalen Statusänderung des Getauften, e<strong>in</strong>er<br />

Gleichgestaltung mit dem auferweckten Gekreuzigten, womit e<strong>in</strong> neues Lebens<br />

begründet wird. In der Taufe wird nicht mehr so sehr das gesucht, was<br />

die Kirche dar<strong>in</strong> feiert, die im E<strong>in</strong>tauchen <strong>in</strong> das Wasser <strong>und</strong> im Auftauchen<br />

e<strong>in</strong> Abbild von Tod <strong>und</strong> Auferstehung Christi sieht. Die Inanspruchnahme<br />

der Taufe gehorcht Motiven, die weniger aus kirchlichen Verb<strong>in</strong>dlichkeiten<br />

entstehen, als aus Bedürftigkeiten, die sich aus der lebensgeschichtlichen<br />

Situation ergeben.<br />

Für das Ritual der Taufe zentral ist das Symbol des Wassers, das religionsgeschichtlich<br />

zu den Ursymbolen gehört. Es hat ke<strong>in</strong>e feststehende symbolische<br />

Bedeutung. Deutet die Kirche das Übergiessen des Täufl<strong>in</strong>gs als<br />

Re<strong>in</strong>igung, erkennen die <strong>jungen</strong> Eltern <strong>in</strong> ihm e<strong>in</strong> Symbol des Lebens. Wo<br />

ke<strong>in</strong> Wasser ist, ist Wüste, wächst nichts, grünt nicht, gibt es ke<strong>in</strong> Leben:<br />

Wasser als Symbol der Lebensfülle.<br />

In Internetauftritten lässt sich beobachten, dass Pfarreien bei der Vorstellung<br />

der Taufe nicht der Argumentation des Dogmatikers Helmut Hop<strong>in</strong>g<br />

folgen, der me<strong>in</strong>t, die Deutung der Taufe als Segensritual anlässlich der Geburt<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des laufe dem Mysterium der Taufe zuwider, handle es sich<br />

doch beim Taufritus nicht um die Deutung der Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des, sondern<br />

um „die gr<strong>und</strong>legende Feier der Initiation <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>en Leib Christi“ (Hop<strong>in</strong>g<br />

2004, 100). Das Mitsterben <strong>und</strong> Mitbegraben des Täufl<strong>in</strong>gs im „Wasserbad“<br />

der Taufe sei „e<strong>in</strong> mystischer Vorgang, der se<strong>in</strong>en künftigen Tod zeichenhaft<br />

vorwegnimmt. Der Täufl<strong>in</strong>g wird mit dem Tod Christi verb<strong>und</strong>en, erhält mit<br />

dem Geschenk des Gottesgeistes aber zugleich e<strong>in</strong> Unterpfand der künftigen<br />

Auferstehung.“ (a.a.O., 107) Im Gegenteil: In Korrespondenz zur Erwartungshaltung<br />

der <strong>jungen</strong> Eltern rücken Pfarreien die lebensgeschichtliche<br />

Bedeutung der Taufe für das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>, wenn sie von ihr als<br />

Versprechen der Treue <strong>und</strong> Liebeserklärung Gottes gegenüber e<strong>in</strong>em Menschen<br />

sprechen. So lässt sich auf der Homepage der Römisch-katholischen<br />

Kirche des Kantons Basel-Stadt nachlesen:<br />

174


„Die Kirchen taufen im Auftrag <strong>und</strong> Geist von Jesus Christus. Die Bibel bezeugt uns, dass Gott<br />

allen Menschen unabhängig von der Herkunft, liebt. In Jesus Christus zeigt er, dass er dem<br />

Menschen e<strong>in</strong> erfülltes Leben schenken will, e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er engen Beziehung zu Gottes<br />

Geist. In der Tauffeier wird das sichtbar gemacht. Sie ist e<strong>in</strong> Geschenk Gottes an das K<strong>in</strong>d. Gott<br />

ergreift die Initiative, er schenkt sich zuerst. Das K<strong>in</strong>d oder se<strong>in</strong>e Eltern antworten auf dieses<br />

Angebot <strong>und</strong> nehmen es an. In der Tauffeier wird das Mädchen oder der Junge mit se<strong>in</strong>em<br />

Namen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Biografie, die noch offensteht, vertrauensvoll <strong>in</strong> die Hand Gottes gelegt.<br />

Um zu leben, brauchen Menschen Orientierungshilfe <strong>und</strong> festen Boden unter den Füssen.<br />

Das Evangelium lädt dazu e<strong>in</strong>, diese Orientierung zu f<strong>in</strong>den. In e<strong>in</strong>em an Jesus Christus orientierten<br />

Leben steht die Liebe an erster Stelle. Die Eltern sagen stellvertretend für ihr K<strong>in</strong>d ja<br />

dazu, das Leben des K<strong>in</strong>des unter diesem neuen Horizont zu gestalten <strong>und</strong> das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diese<br />

Lebensorientierung e<strong>in</strong>zuführen.<br />

Die Menschen erhalten ihren Wert nicht durch ihre Leistung, sondern erfahren sich als angenommen<br />

von Gott. Die Taufe ist Zeichen für das Vertrauen von Gott <strong>in</strong> die Menschen: Dieses<br />

Vertrauen kann <strong>in</strong> schwierigen Lebenssituationen Mut machen <strong>und</strong> Kraft vermitteln.“ (www.rkkbs.ch/taufe.cfm,<br />

letzter Zugriff 8. Februar 2009)<br />

In der Website e<strong>in</strong>er evangelischen Pfarrei <strong>in</strong> Deutschland steht:<br />

„Gott sagt <strong>in</strong> der Taufe e<strong>in</strong>em Menschen: Ich, de<strong>in</strong> Gott, stehe zu dir <strong>und</strong> nehme dich an, weil du<br />

me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d bist – unabhängig davon, aus welcher Weltgegend oder welchen Verhältnissen du<br />

stammst, ob du männlich bist oder weiblich, krank oder ges<strong>und</strong>, welche Hautfarbe du hast oder<br />

welche Stärken <strong>und</strong> Schwächen. Die Taufe ist wie e<strong>in</strong>e Liebeserklärung <strong>und</strong> Treueversprechen<br />

Gottes gegenüber e<strong>in</strong>em Menschen.<br />

Dieses Versprechen kann durch nichts zerstört werden, auch nicht dadurch, dass Menschen<br />

sich <strong>in</strong> ihrem Leben falsch entscheiden oder Böses tun. Auch dann, wenn Menschen sich nur<br />

noch als Nummer erleben, als statistische Grösse oder als Rädchen im Getriebe, bleibt es dabei:<br />

Sie s<strong>in</strong>d von Gott, ihrem Schöpfer, gewollt <strong>und</strong> gehören zu ihm. Bei Gott behalten sie auch dann<br />

e<strong>in</strong>en Namen, wenn sie sich unter den Menschen ke<strong>in</strong>en Namen machen konnten.<br />

Wenn wir traurig s<strong>in</strong>d, wenn es uns schlecht geht, wenn wir Angst haben oder wenn uns<br />

vielleicht auch unser schlechtes Gewissen plagt, dann sieht die Welt <strong>und</strong> unser Leben sehr düster<br />

<strong>und</strong> grau aus. Wenn uns dann aber jemand <strong>in</strong> den Arm nimmt <strong>und</strong> sagt: Ich b<strong>in</strong> bei dir, du bist<br />

nicht alle<strong>in</strong>. Ich hab dich lieb. Dann kann es se<strong>in</strong>, dass all das Graue von uns abfällt. Wir fühlen<br />

uns <strong>in</strong> solch e<strong>in</strong>em Augenblick wie neu geboren. So ähnlich ist es auch mit der Taufe. Gott will,<br />

dass es immer wieder hell wird <strong>in</strong> unserem Leben.<br />

Deshalb ist der Tauftag e<strong>in</strong> fröhlicher Festtag für e<strong>in</strong>en Menschen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gewichtiger Tag<br />

für se<strong>in</strong>en weiteren Lebensweg. Immer wieder weisen Christen darauf h<strong>in</strong>, welchen Halt die<br />

Er<strong>in</strong>nerung an die Taufe, d.h. an das unverbrüchliche Versprechen Gottes geben kann: „Ich habe<br />

dich bei de<strong>in</strong>em Namen gerufen, du bist me<strong>in</strong>.“ (Jes 43,1) Es kann St<strong>und</strong>en im Leben e<strong>in</strong>es<br />

Menschen geben, <strong>in</strong> denen die Er<strong>in</strong>nerung an dieses Versprechen e<strong>in</strong>en Ausweg eröffnet <strong>und</strong><br />

neuen Boden unter die Füsse gibt.“ (www.evkirchebischofsheim.de/service/downloads/taufe/<br />

taufe.pdf, letzter Zugriff 8. Februar 2009))<br />

Die Motive der <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong>, ihr K<strong>in</strong>d taufen zu lassen, greifen die Kirchen<br />

also auf, <strong>in</strong>dem sie „Gottes vorbehaltlose Anerkennung, von der Jesus<br />

gezeigt hat, dass sie gerade den Verlorenen <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrem Lebensprojekt Gescheiterten<br />

gilt, als Gr<strong>und</strong> unserer Lebenszuversicht“ (Gräb 2000, 201) zur<br />

Sprache br<strong>in</strong>gen. Von den Kirchen wird die symbolisch-rituelle Bearbeitung<br />

e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Kont<strong>in</strong>genzen unwägbaren Lebens erwartet. Die Bedeutung<br />

der Taufe ist für die Eltern verknüpft mit der Sorge um die zukünftige Entwicklung<br />

des K<strong>in</strong>des, zu der die Möglichkeit des Scheiterns ebenso dazugehört<br />

wie Momente des gel<strong>in</strong>genden Lebens. Die Eltern br<strong>in</strong>gen auf die e<strong>in</strong>e<br />

175


oder andere Weise die Orientierung an der Lebensgeschichte <strong>und</strong> Identitätsproblematik<br />

ihres K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> die Taufpraxis e<strong>in</strong>. Ihnen stellt sich zwangsläufig<br />

die Frage, wor<strong>in</strong> denn bei aller Ambivalenz <strong>und</strong> Pluralität der Realitätserfahrung<br />

Lebensvertrauen <strong>und</strong> Handlungsfähigkeit begründet liegen. Es geht<br />

darum, <strong>in</strong> den komplexen <strong>und</strong> widersprüchlichen Realitäten der Lebenswelt<br />

e<strong>in</strong> Gefühl ontologischer Sicherheit zu gew<strong>in</strong>nen (Giddens 1991, 35 ff.) <strong>und</strong><br />

den E<strong>in</strong>bruch existentieller Angst zu verh<strong>in</strong>dern, die die <strong>in</strong>nere Kohärenz <strong>und</strong><br />

damit die Handlungsfähigkeit gefährdet. Gegen die fragmentierenden E<strong>in</strong>flüsse<br />

der Moderne mit ihrer charakteristischen Mischung aus Möglichkeiten<br />

<strong>und</strong> hohen Risiken muss e<strong>in</strong> Gefühl der Kohärenz aufrechterhalten werden.<br />

Die Taufe bietet den Eltern Anlass <strong>und</strong> Raum, um <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Gottes<br />

Segen für das K<strong>in</strong>d zu erbeten. „Der Segensakt ist die liturgische Darstellung<br />

der Zuwendung Gottes <strong>und</strong> ihrer Vermittlung an die Gesegneten.“ Durch ihn<br />

„werden die Gesegneten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e spezifische Beziehung zu Gott gestellt. Ihnen<br />

wird Lebensfülle zugesagt, <strong>und</strong> zwar im Modus der Verheissung.“ (Wagner-<br />

Rau 2000, 258f.) Der Täufl<strong>in</strong>g erfährt gr<strong>und</strong>legende Akzeptanz von Gott, die<br />

unabhängig ist davon, was <strong>in</strong> der Lebensgeschichte gel<strong>in</strong>gt oder missl<strong>in</strong>gt. Er<br />

wird se<strong>in</strong>er selbst sicher, gew<strong>in</strong>nt Vertrauen <strong>und</strong> Freiheit, se<strong>in</strong>e Lebensmöglichkeiten<br />

zu bejahen <strong>und</strong> produktiv zu gestalten, er erfährt, im Letzten nicht<br />

verloren, sondern angenommen zu se<strong>in</strong> trotz allem, was an Destruktivität <strong>und</strong><br />

Schuld das Leben unweigerlich mitbestimmt. Freiheit zum eigenen Leben<br />

entsteht dort, wo es sich auch mit se<strong>in</strong>en nicht gelungenen Anteilen letztlich<br />

akzeptiert weiss. Die anerkennende Zusage Gottes ermutigt Menschen, immer<br />

wieder von neuem anzufangen – auch <strong>und</strong> gerade dann, wenn das Gel<strong>in</strong>gen<br />

unsicher <strong>und</strong> ausweglos ersche<strong>in</strong>t.<br />

Eltern br<strong>in</strong>gen ihre K<strong>in</strong>der zur Taufe, weil sie die Erfahrung machen, dass<br />

die Konstitution von Freiheit <strong>und</strong> die Ermächtigung zur Selbständigkeit nicht<br />

vom Subjekt selbst zu leisten s<strong>in</strong>d. Die Arbeit an der eigenen Geschichte<br />

kann nur auf der Basis vorgreifender Anerkennung gel<strong>in</strong>gen. Bei aller gestalterischen<br />

Aktivität bleiben Menschen bedürftig, angewiesen <strong>und</strong> ausgerichtet<br />

auf die Anerkennung durch andere. Charles Taylor spricht vom „dialogischen<br />

Charakter menschlicher Existenz“ (Tayler 1993, 21).<br />

In früheren Zeiten war Anerkennung e<strong>in</strong> fester Bestandteil der gesellschaftlich<br />

abgeleiteten Identität, weil diese Identität auf unantastbaren gesellschaftlichen<br />

Normierungen beruhte. Demgegenüber geniesst heute die persönliche<br />

Identität, die sich unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

herausbildet, ke<strong>in</strong>e selbstverständliche Anerkennung. Die vormoderne<br />

Wechselbeziehung ist aufgebrochen, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>erseits überlieferte,<br />

allgeme<strong>in</strong> akzeptierten Normen dem E<strong>in</strong>zelnen vorgaben, was <strong>und</strong> wie er<br />

se<strong>in</strong> soll <strong>und</strong> ihm anderseits bei Erfüllung der gesellschaftlichen Erwartungen<br />

allgeme<strong>in</strong>e Anerkennung sicher war. „Die Individuen werden als Personen<br />

alle<strong>in</strong> dadurch konstituiert, dass sie sich aus der Perspektive zustimmender<br />

oder ermutigender Anderer auf sich selbst als Wesen zu beziehen lernen,<br />

176


Bedeutung der Taufe nach religiösen Typen<br />

Schaubild 36<br />

trifft nicht zu<br />

Mittelw erte<br />

trifft zu<br />

Mit der Taufe zeigen Eltern, dass sie ihr K<strong>in</strong>d im<br />

christlichen Glauben erziehen wollen.<br />

Die Taufe drückt aus, dass das K<strong>in</strong>d unter<br />

Gottes Segen steht.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong> schöner Brauch, den man<br />

pflegen sollte.<br />

Die Taufe drückt aus: Das K<strong>in</strong>d ist nicht e<strong>in</strong><br />

Besitz der Eltern. Es ist ihnen anvertraut worden.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong> Markste<strong>in</strong> auf dem Lebensweg<br />

des K<strong>in</strong>des.<br />

Bei der Taufe wird e<strong>in</strong>em der eigene Glaube<br />

wieder e<strong>in</strong>mal bewusst.<br />

Ich mache mir me<strong>in</strong>e eigenen Vorstellungen von<br />

der Taufe.<br />

Die Taufe ist <strong>in</strong> der Bibel <strong>und</strong> von der Kirche<br />

vorgegeben. Deshalb soll sie auch durchgeführt<br />

werden.<br />

Die Taufe ist für Eltern e<strong>in</strong>e Gelegenheit, um<br />

öffentlich zu zeigen: Ja, wir schauen zum K<strong>in</strong>d,<br />

nach bestem Wissen <strong>und</strong> Gewissen.<br />

E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte getauft se<strong>in</strong>, sonst müsste man<br />

sich e<strong>in</strong> Gewissen machen, wenn ihm etwas<br />

zustiesse.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Formalität.<br />

Ohne Taufe kann man nicht <strong>in</strong> den Himmel<br />

kommen.<br />

trifft nicht zu<br />

0.76<br />

0.65<br />

0.66<br />

0.78<br />

0.79<br />

0.63<br />

0.61<br />

0.36<br />

0.28<br />

0.61<br />

0.40<br />

0.29<br />

0.21<br />

0.15<br />

0.02<br />

0.98<br />

0.18<br />

0.37<br />

0.59<br />

0.83<br />

0.74<br />

1.23<br />

1.22<br />

1.15<br />

1.14<br />

1.30<br />

1.05<br />

1.09<br />

0.92<br />

0.74<br />

1.19<br />

1.51<br />

1.53<br />

1.68<br />

1.81<br />

1.55<br />

1.63<br />

1.37<br />

1.13<br />

1.06<br />

2.87<br />

2.81<br />

2.58<br />

2.28<br />

2.21<br />

1.94<br />

1.75<br />

1.92<br />

1.99<br />

2.79<br />

2.69<br />

2.54<br />

2.24<br />

2.09<br />

2.26<br />

2.23<br />

2.39<br />

2.20<br />

2.06<br />

2.46<br />

2.36<br />

2.13<br />

2.29<br />

1.92<br />

1.72<br />

1.51<br />

1.40<br />

2.09<br />

2.25<br />

1.87<br />

1.80<br />

1.63<br />

0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0<br />

Areligiöse Neureligiöse Rel. Humanisten<br />

Transzendenzoffene Synkretistische Christen Exlusive Christen<br />

177


Bedeutung der Taufe nach <strong>Lebensstil</strong><br />

Schaubild 37<br />

Mit der Taufe zeigen Eltern, dass sie ihr K<strong>in</strong>d im<br />

christlichen Glauben erziehen wollen.<br />

Die Taufe drückt aus, dass das K<strong>in</strong>d unter<br />

Gottes Segen steht.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong> schöner Brauch, den man<br />

pflegen sollte.<br />

Die Taufe drückt aus: Das K<strong>in</strong>d ist nicht e<strong>in</strong><br />

Besitz der Eltern. Es ist ihnen anvertraut worden.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong> Markste<strong>in</strong> auf dem Lebensweg<br />

des K<strong>in</strong>des.<br />

Bei der Taufe wird e<strong>in</strong>em der eigene Glaube<br />

wieder e<strong>in</strong>mal bewusst.<br />

Ich mache mir me<strong>in</strong>e eigenen Vorstellungen von<br />

der Taufe.<br />

Die Taufe ist <strong>in</strong> der Bibel <strong>und</strong> von der Kirche<br />

vorgegeben. Deshalb soll sie auch durchgeführt<br />

werden.<br />

Die Taufe ist für Eltern e<strong>in</strong>e Gelegenheit, um<br />

öffentlich zu zeigen: Ja, wir schauen zum K<strong>in</strong>d,<br />

nach bestem Wissen <strong>und</strong> Gewissen.<br />

E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte getauft se<strong>in</strong>, sonst müsste man<br />

sich e<strong>in</strong> Gewissen machen, wenn ihm etwas<br />

zustiesse.<br />

Die Taufe ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Formalität.<br />

Ohne Taufe kann man nicht <strong>in</strong> den Himmel<br />

kommen.<br />

2.30<br />

2.75<br />

2.77<br />

2.38<br />

2.47<br />

2.27<br />

2.67<br />

2.68<br />

2.23<br />

2.36<br />

2.32<br />

1.77<br />

2.31<br />

2.01<br />

2.35<br />

1.75<br />

2.35<br />

2.10<br />

2.16<br />

1.91<br />

1.75<br />

2.08<br />

2.22<br />

1.64<br />

1.84<br />

1.75<br />

2.01<br />

2.19<br />

1.71<br />

1.73<br />

1.33<br />

0.94<br />

1.16<br />

1.68<br />

1.56<br />

0.97<br />

1.32<br />

1.55<br />

0.66<br />

1.04<br />

1.07<br />

1.20<br />

1.25<br />

0.99<br />

1.08<br />

0.63<br />

0.64<br />

0.92<br />

0.30<br />

0.54<br />

0.78<br />

0.32<br />

0.48<br />

0.49<br />

0.74<br />

0.24<br />

0.37<br />

0.49<br />

0.02<br />

0.30<br />

0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0<br />

Erlebnistyp Selbstverwirklichungstyp Harmonietyp<br />

Integrationstyp<br />

Unterhaltungstyp<br />

178


denen bestimmte Eigenschaften <strong>und</strong> Fähigkeiten positiv zukommen. Der<br />

Umfang solcher Eigenschaften <strong>und</strong> damit der Grad der positiven Selbstbeziehung<br />

wächst mit jeder neuen Form von Anerkennung, die der e<strong>in</strong>zelne auf<br />

sich selbst als Subjekt beziehen kann.“ (Honneth 2003, 278 f.) Die Erfahrung<br />

der Anerkennung durch andere ist eng verb<strong>und</strong>en mit der evaluativen Haltung<br />

sich selbst gegenüber. Fehlt es an Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung im<br />

Leben, so kommen Prozesse der Subjektwerdung nicht <strong>in</strong> Gang oder sie verkümmern.<br />

Um sich auf se<strong>in</strong>e Fähigkeiten <strong>und</strong> Potentiale <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise beziehen zu<br />

können, die ihm e<strong>in</strong>e ungezwungene freie Verwirklichung se<strong>in</strong>er Persönlichkeit<br />

erlaubt, bedürfen menschliche Wesen der Erfahrung vorgreifender Anerkennung.<br />

Subjektwerdung vollzieht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Ine<strong>in</strong>andergreifen<br />

von Selbstf<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> Fremdzuschreibung, Selbstbehauptung <strong>und</strong> Anerkennung.<br />

Eltern wünschen sich im Ritual der Taufe, dass Gott dem K<strong>in</strong>d<br />

gewährt, was sie ihm letztendlich nicht zu geben vermögen – verlässliche<br />

unbed<strong>in</strong>gte Anerkennung, im Bewusstse<strong>in</strong> der Brüchigkeit sozialer Beziehungen<br />

im zukünftigen Lebenslauf des K<strong>in</strong>des.<br />

Dem K<strong>in</strong>d gegenüber fühlen sich die befragten <strong>jungen</strong> Eltern verpflichtet,<br />

<strong>in</strong> ihm die <strong>in</strong> der Taufe erfahrene Zuwendung Gottes wach zu halten, dass es<br />

Gottes Gnade <strong>und</strong> Barmherzigkeit gewiss se<strong>in</strong> kann <strong>in</strong> Situationen von Scheitern,<br />

von Schuld, Destruktivität, Trauer, von Krankheit <strong>und</strong> Tod, dass es sich<br />

mit se<strong>in</strong>en nicht gelungenen Anteilen letztlich von Gott akzeptiert weiss.<br />

Gottes Anerkennung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> der Taufe ist nicht etwas, was man hat,<br />

sondern e<strong>in</strong> immer wieder neu herzustellender Bezug. Den Eltern wird heute<br />

liebevolle Zuwendung <strong>und</strong> allseitige Förderung ihrer K<strong>in</strong>der abverlangt, der<br />

sie sich auch im Blick auf se<strong>in</strong>e religiöse Erziehung nicht entziehen wollen.<br />

Über alle fünf <strong>Lebensstil</strong>milieus h<strong>in</strong>weg <strong>und</strong> quer zu allen Religionstypen<br />

(vgl. Schaubilder 36 <strong>und</strong> 37) steht an vorderster Stelle die Selbstverpflichtung<br />

der Eltern: „Mit der Taufe zeigen Eltern, dass sie ihr K<strong>in</strong>d im christlichen<br />

Glauben erziehen wollen“ <strong>und</strong> die Bitte um Gottes Segen für das K<strong>in</strong>d:<br />

„Die Taufe drückt aus, dass das K<strong>in</strong>d unter Gottes Segen steht.“ Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus f<strong>in</strong>det bei den meisten <strong>Lebensstil</strong>typen die Aussage Erwähnung: „Die<br />

Taufe drückt aus: Das K<strong>in</strong>d ist nicht e<strong>in</strong> Besitz der Eltern. Es ist ihnen anvertraut<br />

worden“, das ebenfalls dem Deutungsmuster ‚Taufe als Segen Gottes<br />

für das K<strong>in</strong>d’ zugehört. Wo das unbegreifliche Geschenk des Lebens erfahren<br />

wird <strong>und</strong> das Glück, das es bedeuten kann, drängt menschliches Leben <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e religiöse Deutung, greifen die Menschen aus <strong>in</strong> die grosse Transzendenz,<br />

will die <strong>in</strong>dividuelle Lebensgeschichte immer auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en transzendenten<br />

Horizont e<strong>in</strong>gebettet se<strong>in</strong>.<br />

Weil die Feier neuen Lebens im Ausgriff aufs Unendliche gedeutet werden<br />

will, drängt es die Menschen <strong>in</strong> die Kirche. Implizit liegt das Religiöse <strong>in</strong><br />

der Schwellen- <strong>und</strong> Grenzerfahrung. „Sie ist Transzendenzerfahrung im S<strong>in</strong>ne<br />

des offenen, nicht festgelegten, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Folgen pr<strong>in</strong>zipiell unbestimmten<br />

179


Überschreitens des bisherigen Status e<strong>in</strong>er Lebensphase“ (Gräb 2006, 79),<br />

konfrontiert mit der gr<strong>und</strong>sätzlich offenen Möglichkeit des Anderswerdens,<br />

ist „Jenseitserfahrung mitten im Diesseits“ (ebd.). Die Taufe wird begehrt,<br />

weil die Kirche die religiöse Dimension <strong>in</strong> unserer Gesellschaft symbolisiert..<br />

Neben der religiösen Taufbegründung an erster Stelle nennen die befragten<br />

<strong>jungen</strong> Mütter <strong>und</strong> Väter unter den vier wichtigsten Motiven, ihr K<strong>in</strong>d<br />

taufen zu lassen, durchgängig, dass sie die Taufe als e<strong>in</strong>en schönen Brauch<br />

empf<strong>in</strong>den. Bei den Areligiösen, religiösen Humanisten <strong>und</strong> im Unterhaltungsmilieu<br />

nimmt diese Begründung, sich auf das Taufangebot der Kirche<br />

e<strong>in</strong>zulassen, den ersten Platz e<strong>in</strong>. Zusammen mit dem Bedürfnis, <strong>in</strong> der Taufe<br />

die elterliche Selbstverpflichtung gegenüber dem K<strong>in</strong>d öffentlich zu bek<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> dem Anspruch auf e<strong>in</strong>e eigene Deutung der Taufe, bildet die Wertschätzung<br />

der Taufe als schöner Brauch e<strong>in</strong> eigenständiges Begründungsmuster.<br />

In der Wertschätzung der Taufe als schönen Brauch widerspiegelt sich<br />

die zivilreligiöse Funktion der Kirchen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft, der volkskirchliche<br />

Charakter der Grosskirchen. Die Taufe ist <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

der e<strong>in</strong>zige Ritus, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>erseits der Neubeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Lebens <strong>und</strong> anderseits<br />

die schwierige <strong>und</strong> krisenanfällige Übergangssituation für die Eltern<br />

symbolisch zur Sprache gebracht <strong>und</strong> rituell begangen werden kann.<br />

Die ger<strong>in</strong>gste Zustimmung f<strong>in</strong>den unter den befragten Vätern <strong>und</strong> Müttern<br />

Deutungen, die bis <strong>in</strong> die Mitte des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts die Taufpraxis vorab<br />

<strong>in</strong> katholischen Gegenden massgeblich prägten: e<strong>in</strong>e Auslegung der Taufe als<br />

E<strong>in</strong>gangstor zum ewigen Heil. Das Deutungsmuster „Taufe als Schlüssel zum<br />

Himmel“ erschliesst sich über die drei Aussagen:<br />

• E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte getauft se<strong>in</strong>, sonst müsste man sich e<strong>in</strong> Gewissen<br />

machen, wenn ihm etwas zustiesse.<br />

• Ohne Taufe kann man nicht <strong>in</strong> den Himmel kommen.<br />

• Die Taufe ist <strong>in</strong> der Bibel <strong>und</strong> von der Kirche vorgegeben. Deshalb<br />

soll sie auch durchgeführt werden.<br />

Knapp gefasst besagt die Lehre des Konzils von Trient: Die Taufe tilgt die<br />

Folgen der Erbsünde, hebt die Sündenstrafen auf <strong>und</strong> prägt den Täufl<strong>in</strong>g mit<br />

dem Siegel der Gotteszugehörigkeit. Gemäss der katholischen Lehre gab es<br />

bis zum Zweiten Vatikanischen Konzils ausserhalb der Kirche ke<strong>in</strong> Heil. Die<br />

Taufe galt als heilsnotwendig. In se<strong>in</strong>er kultur- <strong>und</strong> mentalitätsgeschichtlichen<br />

Studie zur Praxis des Übergangsrituals <strong>in</strong> Leuk, Kanton Wallis, berichtet<br />

Roland Kuonen davon, wie der Pfarrer 1926 die Bevölkerung von Leuk<br />

mit recht drastischen Worten auf die Heilsnotwendigkeit der Taufe h<strong>in</strong>wies<br />

(Kuonen 2000, 57):<br />

„In de<strong>in</strong>en Armen liegt e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Heide, befleckt mit der Erbsünde, e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d Gottes, e<strong>in</strong>e tote<br />

Seele; da nimmst du natürliches Wasser, giessest es über das Haupt des K<strong>in</strong>des <strong>und</strong> sprichst<br />

dabei: ‚Ich taufe dich im Namen des Vaters <strong>und</strong> des Sohnes <strong>und</strong> des heiligen Geistes,’ – du hast<br />

die Schleuse geöffnet, <strong>und</strong> im gleichen Augenblick fliesst durch diesen sichtbaren Kanal die<br />

unsichtbare Gnade <strong>in</strong> die tote Seele des K<strong>in</strong>des <strong>und</strong> sie lebt auf <strong>und</strong> strahlt <strong>in</strong> göttlicher Gnaden-<br />

180


schöne <strong>und</strong> jauchzt selig empor als Gottes K<strong>in</strong>d: ‚Abba, Vater!’“ (Pfarrblatt von Leuk, Januar<br />

1926, 1. Jg., Nr. 1, Die hl. Sakramente)<br />

Niemand kann <strong>in</strong> den Himmel kommen, der nicht getauft ist. Daraus abgeleitet<br />

wurde die Pflicht für katholische Eltern, ihre K<strong>in</strong>der möglichst bald nach<br />

der Geburt zur Taufe zu br<strong>in</strong>gen. Bestand für K<strong>in</strong>der bei der Geburt Todesgefahr,<br />

oblag der Hebamme die Pflicht, es zu taufen. Erkannte die Mutter oder<br />

Hebamme, dass e<strong>in</strong>e Totgeburt zu erwarten war, wurde e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d bereits im<br />

Mutterleib getauft. Darum habe es, berichtet Kuonen, kaum ungetaufte Totgeburten<br />

gegeben. Solche Belege zeigen „e<strong>in</strong>drücklich, wie sehr man bis <strong>in</strong><br />

den 60er Jahren von der heilssichernden Wirkung des Taufsakramentes überzeugt<br />

war“ (Kuonen 2000, 60). E<strong>in</strong>e von Kuonen <strong>in</strong>terviewte Bewohner<strong>in</strong><br />

von Leuk erzählte von e<strong>in</strong>er Frau aus ihrem engsten Bekanntenkreis, die im<br />

zweiten Schwangerschaftsmonat ihr K<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong>e Fehlgeburt verlor. Die<br />

Hebamme schnitt die Frucht aus der Plazenta <strong>und</strong> nahm e<strong>in</strong>e ‚Nottaufe’ vor.<br />

Gemäss Aussagen der Frau hätte sich dies <strong>in</strong> ähnlicher Weise immer wieder<br />

abgespielt.<br />

Gegenstand von Betrachtungen im Pfarrblatt von Leuk war notwendigerweise<br />

immer wieder das Problem, was mit Neugeborenen geschehe, die starben,<br />

ohne vorher getauft worden zu se<strong>in</strong>. Die Antworten darauf fielen ambivalent<br />

aus. E<strong>in</strong>erseits wurde betont, dass mit dem Makel der Erbsünde Verstorbene<br />

„nie das Ziel erreichen, für das sie geschaffen s<strong>in</strong>d: nie die beseligende<br />

Anschauung Gottes“ (Pfarrblatt von Leuk, Juni 1941, 16 Jg., Nr. 6, zit.<br />

nach Kuonen 2000, 58). Die ungetauft sterbenden K<strong>in</strong>der bleiben also ausgeschlossen<br />

von der „übernatürlichen Glückseligkeit mit Gott“ (Pfarrblatt von<br />

Leuk, März 1954, 29. Jg., Nr. 3, zit. nach Kuonen 2000, 58). Andererseits<br />

wird beruhigend vermerkt, dass die unschuldigen K<strong>in</strong>der nicht der Strafe der<br />

Hölle verfallen. Sie f<strong>in</strong>den Aufnahme im sogenannten Limbus, e<strong>in</strong>em Ort, <strong>in</strong><br />

dem sie zwar Gott nie schauen, doch immerh<strong>in</strong> „e<strong>in</strong> gewisses natürliches<br />

Glück f<strong>in</strong>den ohne Schmerzen“ (Pfarrblatt von Leuk, Juni 1941, 16. Jg., Nr.<br />

6, zit. nach Kuonen 2000, 58). Beelendend muss es für Eltern zu jener Zeit<br />

gewesen se<strong>in</strong>, wenn ihr K<strong>in</strong>d ungetauft verstarb. Es galt, nicht nur den Tod<br />

des eigenen K<strong>in</strong>des zu verschmerzen, sondern auch noch mit der Gewissheit<br />

fertig zu werden, dass die Seele auf ewig vom Paradies ausgeschlossen sei.<br />

E<strong>in</strong>e quasi magische Vorstellung der Taufe wirkt unter den katholischen<br />

<strong>jungen</strong> Mütter <strong>und</strong> Vätern ausgeprägter nach als unter den Protestanten.<br />

12.3 Der soziale Charakter der Taufe<br />

Nach offiziell-kirchlicher Lehre bewirkt die Taufe die E<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> den<br />

Leib Christi, die universale Geme<strong>in</strong>schaft der Glaubenden. „Denn wir alle<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Geist <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>en Leib h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getauft“ (1 Kor 12,13). So bezeichnen<br />

die Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs <strong>und</strong> der<br />

181


Schweiz <strong>in</strong> den Vorbemerkungen zu ihrer Broschüre „Die Feier der K<strong>in</strong>dertaufe“<br />

die Taufe „als Sakrament der Gliedschaft <strong>in</strong> der Kirche“. Zugleich<br />

nennen sie die Taufe „das Sakrament, durch das die Menschen Glieder der<br />

Kirche werden – zu e<strong>in</strong>er Wohnung Gottes im Geist aufgebaut, e<strong>in</strong>e königliche<br />

Priesterschaft <strong>und</strong> e<strong>in</strong> heiliges Volk“ (Bischofskonferenzen Deutschlands,<br />

Österreichs <strong>und</strong> der Schweiz <strong>und</strong> der Bischöfe von Bozen-Rixen <strong>und</strong><br />

von Luxemburg 1971,10).<br />

Die gesamte biblische Taufsymbolik ist geprägt von e<strong>in</strong>er kommunalen<br />

Sicht. Über die persönliche <strong>und</strong> familiäre Dimension h<strong>in</strong>aus besitzt die Taufe<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>schaftsbildende Funktion <strong>und</strong> Bedeutung. Sie verb<strong>in</strong>det nicht nur<br />

den Menschen mit Gott, sondern stiftet zugleich e<strong>in</strong>e neue Geme<strong>in</strong>schaft<br />

unter den Menschen, die nunmehr als der ‚Leib Christi’ mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>en<br />

s<strong>in</strong>d. Vor allem der Apostel Paulus wird nicht müde, die <strong>jungen</strong> Christengeme<strong>in</strong>den<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Briefen immer wieder <strong>und</strong> mit Nachdruck darauf<br />

aufmerksam zu machen, dass ke<strong>in</strong> Rückzug <strong>in</strong> die Privatsphäre, ke<strong>in</strong>e Isolation<br />

von den anderen Gläubigen erlaubt sei. Vielmehr ist es e<strong>in</strong> zentrales Anliegen<br />

des Evangeliums, aus den auf Christus Getauften e<strong>in</strong>e neue Geme<strong>in</strong>schaft,<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>iges Volk, e<strong>in</strong>e neue Menschheit zu bilden, deren Mit- <strong>und</strong><br />

Füre<strong>in</strong>ander von E<strong>in</strong>heit, Gleichheit <strong>und</strong> Geschwisterlichkeit gekennzeichnet<br />

ist. Die Taufe stellt den Initiationsritus <strong>in</strong> die Kirche dar. Von daher erklären<br />

sich die Versuche, Taufen im Rahmen der gesamten christlichen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

an e<strong>in</strong>em Ort zu feiern.<br />

Auf die Frage, welche Zugehörigkeiten zu e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach bei der Taufe e<strong>in</strong>e wichtige Rollen spielen, antworteten die befragten<br />

<strong>jungen</strong> Eltern:<br />

Tabelle 41<br />

92.2% die Familie <strong>und</strong> andere Menschen, die dem K<strong>in</strong>d nahestehen<br />

28.5% die örtliche Kirchgeme<strong>in</strong>de/Pfarrei<br />

43.8% die christliche Kultur<br />

18.0% die weltweite christliche Kirche<br />

29.0% e<strong>in</strong>e bestimmte Konfession<br />

Katholiken <strong>und</strong> Protestanten fühlen sich im Rahmen der Taufe <strong>in</strong> unterschiedlichem<br />

Masse der christlichen Kultur zugehörig. Fühlen sich 39.1% der<br />

Protestanten ihr zugehörig, s<strong>in</strong>d es bei den Katholiken 49%. Auf katholischer<br />

Seite besteht e<strong>in</strong>e leicht stärkere konfessionelle B<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> e<strong>in</strong> stärkeres<br />

Zugehörigkeitsgefühl zur weltweiten Kirche. In Bezug auf die Verb<strong>und</strong>enheit<br />

mit der örtlichen Christengeme<strong>in</strong>de anlässlich der Taufe unterscheiden sich<br />

Katholiken <strong>und</strong> Protestanten kaum.<br />

Im Bewusstse<strong>in</strong> der <strong>jungen</strong> Eltern spielt der Aspekt der E<strong>in</strong>gliederung des<br />

K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> die Kirche als Leib Christi e<strong>in</strong>e nebensächliche Rolle. Die Taufe<br />

wird praktiziert als familiale Feier anlässlich der Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des, bei der<br />

es um die das ganze Leben bestimmende Identität geht, die dem K<strong>in</strong>d zuge-<br />

182


schrieben werden soll. Die volkskirchliche Taufpraxis hat heute e<strong>in</strong>e durch<br />

zwei Merkmale charakterisierte Gestalt angenommen. Sie ist zum e<strong>in</strong>en religiöse<br />

Symbolisierung e<strong>in</strong>er transzendent verankerten Identitätszuschreibung<br />

im Blick auf das Neugeborene. Zum andern fühlen sich Mutter <strong>und</strong> Vater,<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte angesprochen, <strong>in</strong> der Lebensgeschichte des Neugeborenen<br />

zur Entfaltung br<strong>in</strong>gen, was ihm fühlbar <strong>und</strong> sichtbar im Vollzug der<br />

Taufe widerfahren ist. Der Lebenszusammenhang e<strong>in</strong>er Geburt ist nicht die<br />

Kirche <strong>und</strong> ihre örtliche Christengeme<strong>in</strong>de, sondern der <strong>Familien</strong>- <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>eskreis.<br />

Das Verständnis der Taufe als Geburtsritus offenbart sich nachdrücklich<br />

bei den <strong>jungen</strong> Eltern <strong>in</strong> der Wahl der Familie als wichtigste Bezugsgruppe<br />

anlässlich der Taufe ihres K<strong>in</strong>des. Zu Beg<strong>in</strong>n des Lebens bedarf das K<strong>in</strong>d der<br />

besonderen Betreuung <strong>und</strong> Fürsorge durch die Eltern. Das K<strong>in</strong>d lebt <strong>in</strong> Teilhabe<br />

an se<strong>in</strong>en Eltern. Schon die kürzeste Zeitspanne, <strong>in</strong> der es diese Teilhabe<br />

entbehren muss, erlebt es als existenzgefährdend. Im täglichen Kontakt<br />

mit ihnen erlernt es gr<strong>und</strong>legende Verhaltensweisen, Motivationen <strong>und</strong><br />

Werthaltungen für se<strong>in</strong> späteres Leben, entwickelt durch Lernprozesse se<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>dividuellen Gewohnheiten des Erlebens, Fühlens, Denkens <strong>und</strong> Handelns.<br />

Die Wahrnehmungen, Erfahrungen <strong>und</strong> Handlungsweisen im Elternhaus<br />

prägen sich im Empf<strong>in</strong>dungs- <strong>und</strong> Gefühlsleben <strong>und</strong> im Gedächtnis des K<strong>in</strong>des<br />

e<strong>in</strong>.<br />

Ob Persönlichkeitseigenschaften wie Lernfähigkeit, Leistungsorientierung,<br />

Initiative, Autonomie <strong>und</strong> Liebesfähigkeit im K<strong>in</strong>d entwickelt werden<br />

können, hängt vordr<strong>in</strong>glich von der Stabilität <strong>und</strong> Konsistenz der frühk<strong>in</strong>dlichen<br />

Umwelt ab. Für e<strong>in</strong>e positive Entwicklung des K<strong>in</strong>des ist es unerlässlich,<br />

dass es <strong>in</strong>tensive, emotional befriedigende mitmenschliche Beziehungen<br />

<strong>in</strong> der Familie erlebt. Befriedigende Beziehungen drücken sich für das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d<br />

dar<strong>in</strong> aus, dass es emotionale Zuwendung erfährt <strong>und</strong> sich die Beziehungen<br />

als belastbar, tragfähig, stabil, <strong>in</strong> sich konsistent erweisen. Das Erlebnis<br />

befriedigender Beziehungen lässt sich auch als Erfahrung <strong>in</strong>tensiver,<br />

körpernaher Kommunikation umschreiben, die auf gegenseitigem Verstehen<br />

<strong>und</strong> symbolischer Verständigung beruht. Solche kommunikativen Erfahrungen<br />

ersche<strong>in</strong>en deshalb als gr<strong>und</strong>legende Voraussetzungen für die Entwicklung<br />

des K<strong>in</strong>des, weil die Selbst-Werdung des Menschen f<strong>und</strong>amental sozial<br />

vermittelt wird. Das Lernen des K<strong>in</strong>des erfolgt im wesentlichen <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der alltäglichen Umwelt, welche vom K<strong>in</strong>d unmittelbar erfahren<br />

wird.<br />

Im Zusammense<strong>in</strong> mit den Eltern erwirbt das K<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>stellungen, Werthaltungen,<br />

Motivationen <strong>und</strong> Verhaltensdispositionen, die se<strong>in</strong> Welt- <strong>und</strong><br />

Menschenverständnis <strong>und</strong> letztlich auch se<strong>in</strong>e Vorstellung von Gott bestimmen.<br />

Hier werden die Weichen für alle folgenden Lern- <strong>und</strong> Anpassungsprozesse<br />

gestellt. Durch die Identifikation mit se<strong>in</strong>en Eltern wird das K<strong>in</strong>d fähig,<br />

sich als sich selbst <strong>und</strong> mit sich selbst zu identifizieren, se<strong>in</strong>e eigene Identität<br />

183


zu f<strong>in</strong>den. Das K<strong>in</strong>d wird, was se<strong>in</strong>e Eltern <strong>in</strong> es h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelegt haben. Das ist<br />

ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>seitiger, mechanischer Prozess. Im Wechselspiel zwischen Identifizierung<br />

durch andere <strong>und</strong> Selbstidentifikation, zwischen objektiv zugewiesener<br />

<strong>und</strong> subjektiv angeeigneter Identität entwickelt sich se<strong>in</strong>e Persönlichkeit.<br />

Das K<strong>in</strong>d ver<strong>in</strong>nerlicht die Welt se<strong>in</strong>er Eltern nicht als e<strong>in</strong>e unter vielen<br />

möglichen Welten, sondern als die Welt schlechth<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>zig vorhandene<br />

<strong>und</strong> fassbare. Darum ist, was an Wirklichkeit <strong>in</strong> dieser Lebensphase ver<strong>in</strong>nerlicht<br />

wird, so viel fester im Bewusstse<strong>in</strong> verankert als Welten, die auf dem<br />

Wege über spätere Lernprozesse ver<strong>in</strong>nerlicht werden. „Die Welt der K<strong>in</strong>dheit<br />

ist dicht <strong>und</strong> zweifelsfrei wirklich. Das wäre <strong>in</strong> diesem Entwicklungsstadium<br />

des Bewusstse<strong>in</strong>s wohl gar nicht anders möglich … Sie ist <strong>und</strong> bleibt<br />

die ‚heimatliche Welt’, die wir noch <strong>in</strong> fernste Regionen des Lebens, wo wir<br />

ke<strong>in</strong>eswegs heimisch s<strong>in</strong>d, mit uns nehmen.“ (Berger, Luckmann 1970, 146).<br />

Es bedarf ernster Erschütterungen im Leben, bis die dichte Wirklichkeit, die<br />

<strong>in</strong> der frühen K<strong>in</strong>dheit ver<strong>in</strong>nerlicht worden ist, ause<strong>in</strong>anderfällt. Neues Wissen<br />

wird <strong>in</strong> der Regel nur dann lebensrelevant, wenn es sich <strong>in</strong> die ursprüngliche<br />

Welt e<strong>in</strong>fügen lässt.<br />

Das Elternhaus vermittelt dem K<strong>in</strong>d das, was man se<strong>in</strong>e Wirklichkeit<br />

nennen kann, e<strong>in</strong> elementares <strong>und</strong> f<strong>und</strong>amentales Gefühl <strong>und</strong> Verständnis,<br />

was die Welt ist <strong>und</strong> wer es <strong>in</strong> der Welt ist, wie die Welt ist <strong>und</strong> wie es angesichts<br />

dieser Welt denken, fühlen <strong>und</strong> agieren darf. Die Eltern, <strong>und</strong> nur sie,<br />

vermitteln die Wirklichkeitssicht, die als zwar flexibler, aber vorgegebener<br />

Lebenshorizont alles Denken, Fühlen <strong>und</strong> Verhalten des K<strong>in</strong>des bee<strong>in</strong>flusst.<br />

Mit kaum auszudenkender Sensibilität nimmt das K<strong>in</strong>d wahr, was die Eltern<br />

ihm, <strong>in</strong>dem sie da s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> mit ihm umgehen, als Wirklichkeit präsentieren.<br />

Zwar erschöpft sich die soziale Ökologie der k<strong>in</strong>dlichen Entwicklung<br />

nicht <strong>in</strong> der familialen Umwelt. Die Familie ist e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die weitere<br />

gesellschaftliche Umwelt <strong>und</strong> kann nicht ohne Bezug zu dieser Umwelt gedacht<br />

werden. Doch ist es die Familie, durch deren Vermittlungsleistungen<br />

diese weitere Umwelt für die Entwicklung des K<strong>in</strong>des relevant wird.<br />

Tabelle 42<br />

Soziale E<strong>in</strong>bettung der<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der Kirche<br />

Taufe<br />

sehr/ziemlich etwas kaum/ke<strong>in</strong>e<br />

<strong>Familien</strong>-/Fre<strong>und</strong>eskreis 90.2% 4.5% 92.2%<br />

Kirchgeme<strong>in</strong>de/Pfarrei 42.0% 6.4% 13.4%<br />

Christliche Kultur 55.7% 3.5% 27.5%<br />

Weltweite Kirche 24.6% 6.1% 11.5%<br />

Konfession 36.0% 8.1% 20.4%<br />

In welchem Milieu sich auch immer jemand bewegt <strong>und</strong> welche religiöse<br />

Orientierung er vertritt, die Taufe wird von ihm als <strong>Familien</strong>feier, als Ereignis<br />

im alltäglichen Lebenszusammenhang der Familie erlebt. Wie Tabelle 42<br />

zeigt, kann e<strong>in</strong> Bezug zur Geme<strong>in</strong>schaft der Gläubigen nur dort erwartet<br />

184


werden, wo sich <strong>in</strong> den <strong>Familien</strong> über Jahre e<strong>in</strong> Zugehörigkeitsgefühl zur<br />

Kirche entfaltet hat.<br />

In se<strong>in</strong>er Untersuchung zur Taufpraxis <strong>in</strong> Vorarlberg (Österreich) stellt<br />

Markus Schwaigkofler fest, „dass Amtsträger <strong>in</strong> vorwiegendem Masse daran<br />

<strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d, Menschen zur Teilnahme am traditionellen Leben der Pfarrgeme<strong>in</strong>de<br />

zu bewegen, weil sie selbst ihre Identität damit verknüpfen. In der<br />

sichtbaren Teilnahme am Leben der Pfarrgeme<strong>in</strong>de zeigen sich für Amtsträger<br />

<strong>in</strong> hohem Masse die Erkennungszeichen christlicher Existenz.“<br />

(Schwaigkofler 2005, 294) Die faktische Taufpraxis wird deshalb von vielen<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Seelsorgern als Problem empf<strong>und</strong>en. Vor allem die<br />

Glaubenspraxis der Eltern macht den Taufspendern zu schaffen. So me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong><br />

Pfarrer <strong>in</strong> der Studie von Schwaigkofler: „E<strong>in</strong>es der grössten Probleme bei<br />

der K<strong>in</strong>dertaufe für mich ist, dass Eltern oft für ihr K<strong>in</strong>d den Segen Gottes<br />

erbitten, die Aufnahme <strong>in</strong> die christliche Geme<strong>in</strong>de jedoch kaum angestrebt<br />

wird.“ (Schwaigkofler 2005, 131) Oder e<strong>in</strong> anderer: „Eltern versprechen<br />

alles, halten wenig, was Sonntagsmesse anbelangt.“ (ebd.) Beklagt wird der<br />

fehlende Bezug zur Kirche im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er sichtbaren Teilnahme am religiösen<br />

Leben der Pfarrei.<br />

Für die kirchliche Taufpraxis charakteristisch ist e<strong>in</strong>e prekäre Zwischenlage<br />

im Grenzbereich von Kirche <strong>und</strong> gelebter Religion. Zwei Welten treffen<br />

<strong>in</strong> ihren Erwartungen aufe<strong>in</strong>ander, deren Vermittlung <strong>in</strong> der kirchlichen Praxis<br />

auf sehr unterschiedliche Weise geschieht, je nach kirchlichem Selbstverständnis<br />

der <strong>in</strong>volvierten Taufspender. Auf der e<strong>in</strong>en Seite stehen Eltern mit<br />

ihrem Wunsch nach der Taufe für ihr K<strong>in</strong>d. Von der Kirche erwarten sie,<br />

dass die Taufe jedem, der danach verlangt, auch zugänglich ist. Gleichzeitig<br />

ist wenig Bereitschaft vorhanden, sich selbst auf e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der eigenen religiösen Biografie e<strong>in</strong>zulassen, oft aus Mangel an e<strong>in</strong>er<br />

angemessenen Sprache für den persönlichen Glauben. Erst im Zusammenhang<br />

mit K<strong>in</strong>dern stellen sich verstärkt religiöse Fragen. Nach e<strong>in</strong>er oft längeren<br />

Zeit der Distanz <strong>und</strong> Entfremdung von der Kirche kommen Eltern bei<br />

der Geburt ihres K<strong>in</strong>des wieder mit ihr <strong>in</strong> Kontakt. Dazu kommt e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Scheu vorhandene Konflikte <strong>und</strong> Vorbehalte den Kirchen gegenüber anzusprechen.<br />

Auf der anderen Seite stehen Taufspender, die sich nicht klar darüber<br />

s<strong>in</strong>d, wie sie sich angesichts der theologisch-dogmatischen Deutungsvorgaben<br />

der Kirche den Eltern gegenüber verhalten sollen. Die e<strong>in</strong>en verfolgen<br />

das Ziel, Eltern erneut <strong>in</strong> das pfarreiliche Geme<strong>in</strong>deleben e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den<br />

durch regelmässigen Besuch der Sonntagsgottesdienste. Die Gottesdienstgeme<strong>in</strong>de<br />

soll selbst als Subjekt bei der Taufe auftreten, damit gewährleistet ist,<br />

dass die Kirche mit sich selbst identisch bleibt <strong>und</strong> nicht fremdgesteuert gesellschaftlichen<br />

Bedürfnissen gehorcht. Andere versuchen, <strong>in</strong> konsequenter<br />

Orientierung am kirchlichen Verkündigungsauftrag die Vieldeutigkeit des<br />

Taufgeschehens <strong>in</strong> E<strong>in</strong>deutigkeit zu überführen.<br />

185


In den vergangenen Jahren lassen sich zusehends Bemühungen beobachten,<br />

den Gr<strong>und</strong>s<strong>in</strong>n der Taufe aus dem familiären Lebenszusammenhang<br />

anlässlich der Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des zu erschliessen <strong>und</strong> so den Eltern e<strong>in</strong>e<br />

lebensgeschichtlich bedeutsame Interpretation aus dem Deutungshorizont des<br />

christlichen Glaubens zu eröffnen.<br />

Man muss sich gerade <strong>in</strong> kirchlichen Kreisen freimachen von der Illusion,<br />

die ‚Kirche’ wisse per se – kraft Offenbarung <strong>und</strong> ohne Bezug zur sozialen<br />

Kirchlichkeit wie die Taufe zu deuten sei. Das Evangelium lässt sich vom<br />

Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en sozialen <strong>und</strong> lebensgeschichtlichen Zusammenhängen<br />

nicht trennen, auch wenn es dar<strong>in</strong> nicht aufgeht. Alltägliche Lebenswirklichkeit<br />

<strong>und</strong> -erfahrung auf ihre Tiefendimensionen h<strong>in</strong> aufzuschlüsseln <strong>und</strong> den<br />

Menschen e<strong>in</strong>e Wirklichkeit zu eröffnen, <strong>in</strong> der er Bestand haben kann, anerkannt<br />

wird <strong>und</strong> erfährt, dass er se<strong>in</strong> darf <strong>und</strong> soll, kann nur, wer Wirklichkeit<br />

zur Sprache zu br<strong>in</strong>gen vermag. Kirchliche Verkündigung ist nicht ortlos,<br />

auch nicht zeitlos, sondern f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> Raum <strong>und</strong> Zeit, Geschichte <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

statt. Die Lebensnotwendigkeit ihrer Botschaft vermag die Kirche auf<br />

dem freien Markt der Weltdeutungen nur nachzuweisen, wenn sie imstande<br />

ist, den Menschen gel<strong>in</strong>gendes Leben <strong>und</strong> Hoffnung auf Lebenszuwachs zu<br />

eröffnen.<br />

Seelsorge, die die Menschen ernst nimmt <strong>und</strong> ihnen gerecht werden will,<br />

muss von ihrer Lebenswelt ausgehen, um dann zu sehen, wie von daher e<strong>in</strong>e<br />

biblisch <strong>in</strong>szenierte <strong>und</strong> theologisch reflektierte kirchliche Praxis entwickelt<br />

werden kann. In Zeiten, <strong>in</strong> denen gesellschaftlich Veränderungen sich <strong>in</strong> sehr<br />

schnellem Tempo vollziehen, bedarf es e<strong>in</strong>er besonders ausgeprägten Wahrnehmungsfähigkeit<br />

der Wirklichkeit. Wirklichkeitserfahrung ist e<strong>in</strong>e entscheidende<br />

<strong>und</strong> unerlässliche Voraussetzung, um e<strong>in</strong>e lebensförderliche Pastoral<br />

<strong>in</strong> der Kirche zu entwickeln. Die Lebenswirklichkeit der Menschen ist<br />

nicht bloss das Anwendungsfeld theologischer Wahrheiten. Sie ist vielmehr<br />

der eigentliche Boden, auf dem lebendige Theologie wachsen kann. Evangelium<br />

bedeutet immer: Lebenswelten transparent zu machen, sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en grösseren<br />

Heilskontext zu stellen, der aus ihr selbst heraus nicht plausibel ist.<br />

Zu e<strong>in</strong>er wirklichkeitsverb<strong>und</strong>enen Taufpraxis der K<strong>in</strong>der gehört unabd<strong>in</strong>gbar<br />

die Notwendigkeit h<strong>in</strong>zuhören auf das, was die Menschen von ihrem<br />

Leben, ihren Ängsten <strong>und</strong> Problemen, ihren Hoffnungen <strong>und</strong> ihrem Glauben<br />

erzählen <strong>und</strong> <strong>in</strong>s Gespräch br<strong>in</strong>gen wollen. Nur so kann die Kirche zur Hermeneut<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> Sprachhelfer<strong>in</strong> werden, die Alltags- <strong>und</strong> Grenzerfahrungen im<br />

Horizont der christlichen Botschaft s<strong>in</strong>nschaffend <strong>und</strong> mutmachend zu deuten<br />

weiss. „Im Strom der Zeit rettet man Ertr<strong>in</strong>kende nicht von nur e<strong>in</strong>gebildeten<br />

‚Ufern der Ewigkeit’ her, sondern nur, <strong>in</strong>dem man selbst tapfer mitten im<br />

Fluss schwimmt.“ (Rahner 1964, 224)<br />

Es ist e<strong>in</strong>e unverzichtbare Aufgabe des Taufspenders, der Sprachwelt <strong>und</strong><br />

der Identitätsbildung der Eltern Raum zu geben <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Beziehung herzustellen<br />

zur biblischen Verkündigung. Jede Deutung bedarf des unmittelbaren<br />

186


Handlungskontextes, auf den sich diese Deutung bezieht (Schibilsky 1998).<br />

Es geht um die elementare Frage, ob die Kirche glaubt, dass <strong>in</strong> Christus die<br />

ganze Wirklichkeit voller Verheissung ist, dass der eigentliche Aktionsraum<br />

der Christusverheissung der Alltag menschlichen Lebens <strong>und</strong> Zusammenlebens<br />

ist. Der Auftrag der Kirche ist es, dafür e<strong>in</strong>zustehen, dass Verheissung<br />

<strong>und</strong> Wirklichkeit beie<strong>in</strong>ander bleiben, dass die Wirklichkeit im Strahlungsbereich<br />

der Verheissung bleibt. Denn e<strong>in</strong>e Kirche, die der Versuchung nachgibt,<br />

sich defensiv gegen heutige Wirklichkeit zu verhalten, gerät <strong>in</strong> Widerspruch<br />

mit sich <strong>und</strong> ihrem Auftrag. Die <strong>in</strong>karnatorische Glaubensüberlieferung des<br />

Christentums ist gleichermassen gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass<br />

Gott der von ihm geschaffenen Welt gegenübersteht, also <strong>in</strong> ihr nicht aufgeht,<br />

wie auch von der Überzeugung, dass Gott <strong>in</strong> der Welt wirkt <strong>und</strong> durch se<strong>in</strong>en<br />

Geist das Leben der Menschen zu bestimmen vermag (Huber 2007, 73).<br />

Tragen die Kirchen <strong>in</strong> der theologischen Deutung der Taufe der biografischen<br />

Lebensphasen <strong>in</strong> <strong>Familien</strong> nicht Rechnung, fühlen sich junge Eltern <strong>in</strong><br />

ihrer lebensgeschichtlichen S<strong>in</strong>narbeit sich selbst überlassen.<br />

187


13. Die religiöse Dimension des Gute-Nacht-<br />

Rituals<br />

Das Zu-Bett-Gehen ist e<strong>in</strong> alltägliches Ritual <strong>in</strong> allen <strong>Familien</strong>. Es läuft Tag<br />

für Tag mehr oder weniger nach dem gleichen Schema ab. Rituale <strong>in</strong> der Zeit<br />

vor dem Zu-Bett-Gehen geben dem Tagesablauf Struktur. Sie gliedern die<br />

Zeit, machen den Ablauf der Zeit übersichtlich <strong>und</strong> konturenreich. Das Gute-<br />

Nacht-Ritual ist e<strong>in</strong>e Insel der Ruhe <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kehr im Strom der Zeit <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

der Hektik der alltäglichen Anforderungen, Verpflichtungen <strong>und</strong> Aufgaben,<br />

e<strong>in</strong> Haltepunkt im Laufe des Tages. Das Gute-Nacht-Ritual hebt e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Zeit aus dem Getriebe des Alltags heraus. Es unterbricht den Alltag<br />

<strong>und</strong> gibt dem Leben Erlebnistiefe, <strong>in</strong>dem es diesem Zeitabschnitt e<strong>in</strong>e herausgehobene<br />

Stellung verleiht <strong>und</strong> als besondere Zeit charakterisiert.<br />

Das Gute-Nacht-Ritual hilft dem K<strong>in</strong>d, sich auf e<strong>in</strong>en ruhigen Schlaf e<strong>in</strong>zustimmen,<br />

zur Ruhe zu kommen <strong>und</strong> sich für die Nacht von se<strong>in</strong>en Eltern zu<br />

verabschieden. Das K<strong>in</strong>d geniesst die Sicherheit, die ihm die immer wiederkehrenden,<br />

verlässlichen Abläufe <strong>und</strong> festen Gewohnheiten des Gute-Nacht-<br />

Rituals geben. So schläft es besser e<strong>in</strong>. Das Ritual vermittelt ihm Geborgenheit<br />

<strong>und</strong> die Gewissheit, dass alles <strong>in</strong> Ordnung ist, es die Dunkelheit der<br />

Nacht, die Gespenster <strong>und</strong> Monster unter se<strong>in</strong>em Bett nicht zu fürchten<br />

braucht, dass ihm die Zuwendung der Eltern sicher ist.<br />

Aus der Sicht e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des bedeutet das Schlafengehen e<strong>in</strong>e Trennung<br />

von se<strong>in</strong>en Eltern <strong>und</strong> von allem, was weiter im Haus vor sich geht, nachdem<br />

das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>s Bett gelegt wurde. Feste, unveränderliche Regeln vor dem E<strong>in</strong>schlafen<br />

geben Halt, schenken Geborgenheit <strong>und</strong> reduzieren Ängste. Gute-<br />

Nacht-Rituale <strong>in</strong> der Familie erzeugen Geme<strong>in</strong>samkeit <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Zusammengehörigkeitsgefühl.<br />

Über e<strong>in</strong> standardisiertes Verfahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schriftlichen<br />

Befragung lässt sich die Dramaturgie des Gute-Nacht-Rituals nicht adäquat<br />

erfassen. Mündliche Erzählungen oder Videoaufnahmen wären hierfür die<br />

geeigneteren Mittel. Die schriftliche Befragung muss sich darauf beschränken,<br />

die e<strong>in</strong>zelnen Bauste<strong>in</strong>e des Gute-Nacht-Rituals <strong>in</strong> Erfahrung zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Im Gegensatz zur Taufe als kirchlich geregeltem <strong>und</strong> <strong>in</strong>szeniertem Ritual<br />

liegt die Ausgestaltung des Gute-Nacht-Rituals bei den Eltern selbst. Sie<br />

bestimmen, nach welchen Regeln das Zu-Bett-Gehen ablaufen soll, welche<br />

Inhalte angesprochen werden <strong>und</strong> welche symbolischen Gesten sie wählen.<br />

Auf die Frage: „Wie hat sich das Ins-Bett-Gehen Ihres K<strong>in</strong>des gestern<br />

Abend abgespielt?“, kreuzten die <strong>jungen</strong> Väter <strong>und</strong> Mütter zu mehr als e<strong>in</strong>em<br />

Fünftel die nachfolgenden Antwortmöglichkeiten an:<br />

188


Tabelle 43<br />

87.9% Gute-Nacht-Kuss-Geben<br />

56.0% Noch über den Tag sprechen<br />

40.3% Geschichte aus e<strong>in</strong>em Buch vorlesen oder erzählen (ohne religiösen<br />

Inhalt)<br />

37.3% Gebet sprechen<br />

25.2% Das K<strong>in</strong>d las selber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch<br />

24.7% „I ghöre es Glöggli“ s<strong>in</strong>gen<br />

21.4% Kassette/CD hören<br />

Mädchen <strong>und</strong> Knaben erleben im Grossen <strong>und</strong> Ganzen denselben Ablauf des<br />

Ins-Bett-Gehens. Jüngere K<strong>in</strong>der (mit Jahrgang 1999) hören im Vergleich zu<br />

den älteren (mit Jahrgang 1996) öfter das Lied „I ghöre es Glöggli“ (32.7%<br />

zu 17.9%), oder es wird ihnen aus e<strong>in</strong>em Buch vorgelesen (53.6% zu 29.5%).<br />

Markant öfter als die jüngeren lesen die älteren K<strong>in</strong>der selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch<br />

(40.2% zu 7.1%) oder hören e<strong>in</strong>e Kassette/CD (24.3% zu 18.2%).<br />

R<strong>und</strong> 7 bis 8 von 10 K<strong>in</strong>dern erleben mehr oder weniger explizit e<strong>in</strong>en religiösen<br />

Bezug beim Ins-Bett-Gehen. 37.3% der Eltern sprechen e<strong>in</strong> Gebet<br />

mit den K<strong>in</strong>dern, weitere 24.7% s<strong>in</strong>gen mit ihnen das Lied „I ghöre es<br />

Glöggli“. Mit den Worten „Dr lieb Gott im Himmel wird ou bi mir si“ kl<strong>in</strong>gt<br />

die erste Strophe dieses Liedes aus. Die zweite <strong>und</strong> dritte Strophe lauten:<br />

Und alli wo müed si<br />

händ Friede <strong>und</strong> Rueh.<br />

Dr lieb Gott im Himmel<br />

laht Böses nid zueh.<br />

I gohne is Bettli,<br />

eu allne Guet Nacht.<br />

Dr lieb Gott im Himmel<br />

<strong>und</strong> s’Aengeli wacht.<br />

.<br />

De Tag isch vergange<br />

es tunklet ja scho,<br />

Du lieb Gott im Himmel,<br />

ich bi ja so froh.<br />

Ich wott nöd elei si,<br />

doch du bisch bi mir,<br />

<strong>und</strong> Mueter <strong>und</strong> Vater,<br />

die wached mit Dir<br />

Zum immer wiederkehrenden Ablauf des E<strong>in</strong>schlaf-Rituals gehören neben<br />

dem Lied „I ghöre es Glöggli“ zahlreiche andere Lieder. 17.2% der befragten<br />

Eltern sagen, dass sie auch andere Lieder s<strong>in</strong>gen, etliche davon mit religiösem<br />

Inhalt. Kaum e<strong>in</strong>es spricht nicht von e<strong>in</strong>er friedlichen heilen Welt, von<br />

e<strong>in</strong>em leuchtenden Firmament über dieser Welt, der Sehnsucht nach dem<br />

Paradies, von guten Geistern <strong>und</strong> beschützenden Engeln. Ausgesprochen<br />

gerne s<strong>in</strong>gen junge Eltern mit ihren K<strong>in</strong>dern folgende Lieder:<br />

• Der Mond ist aufgegangen<br />

• Guten Abend, gute Nacht<br />

• La le lu<br />

• Oh Du goldigs Sünneli<br />

• Schlaf, Ch<strong>in</strong>dli, schlaf<br />

• Weißt Du, wie viel Sternle<strong>in</strong> stehen<br />

189


Unter der Rubrik „Andere nämlich: ….“ konnten zusätzliche Ritualelemente<br />

genannt werden, die nicht auf der vorgelegten Liste aufgeführt waren. 13.6%<br />

der Befragten benutzten diese Möglichkeit. Erwähnt wird z.B., dass man<br />

„den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Kreuz auf die Stirn macht, sie fest umarmt, sanft massiert,<br />

den Segen mit Weihwasser gibt, mit ihnen kuschelt oder ihnen sagt, dass man<br />

sie lieb hat“.<br />

Dem Gute-Nacht-Ritual werden von den <strong>jungen</strong> Eltern die folgenden Bedeutungen<br />

zugeschrieben, geordnet nach Wichtigkeit:<br />

Tabelle 44<br />

Mittelwert<br />

Die Zeit vor dem Schlafen ist e<strong>in</strong>e Zeit, …<br />

0 = niedrigster<br />

3 = höchster Wert<br />

<strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der Nähe, Liebe <strong>und</strong> Zärtlichkeit erleben. 2.65<br />

<strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der ruhig werden <strong>und</strong> zu sich kommen<br />

2.49<br />

können.<br />

<strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der Halt <strong>und</strong> Geborgenheit im Leben erfahren.<br />

2.45<br />

<strong>in</strong> der wir spüren, dass wir als Familie alle unter e<strong>in</strong> Dach gehören. 2.38<br />

<strong>in</strong> der wir dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>dern etwas Wertvolles weitergeben<br />

2.37<br />

(Geschichten, Lieder etc.).<br />

die wichtig ist für das E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Durchschlafen unseres K<strong>in</strong>des/unserer<br />

K<strong>in</strong>der.<br />

2.32<br />

<strong>in</strong> der wir mite<strong>in</strong>ander etwas erleben, was uns als Familie gut tut. 2.12<br />

<strong>in</strong> der wir Ungutes vom Tag bere<strong>in</strong>igen. 2.04<br />

<strong>in</strong> der wir unserem K<strong>in</strong>d/unsern K<strong>in</strong>dern als Eltern noch das geben<br />

2.03<br />

können, was tagsüber zu kurz gekommen ist.<br />

<strong>in</strong> der D<strong>in</strong>ge zur Sprache kommen, die im Alltag untergehen. 1.98<br />

<strong>in</strong> der alles se<strong>in</strong>e schöne Ordnung hat. 1.93<br />

<strong>in</strong> der wir über die „grossen Fragen“ reden können. 1.76<br />

<strong>in</strong> der wir spüren, dass wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em grossen Ganzen aufgehoben<br />

1.66<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

<strong>in</strong> der wir an Grosseltern <strong>und</strong> an Menschen, denken, die zu uns<br />

1.59<br />

gehören.<br />

<strong>in</strong> der wir spüren, dass es etwas gibt, das über uns steht. 1.58<br />

<strong>in</strong> der wir Gott für das Gute danken, das der Tag gebracht hat. 1.55<br />

<strong>in</strong> der wir etwas erleben, das sich schwer <strong>in</strong> Worte fassen lässt. 1.54<br />

<strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der zu Gott beten lernen. 1.52<br />

<strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der auf Gott zu sprechen kommen. 1.44<br />

<strong>in</strong> der wir dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>der von Gott <strong>und</strong> von Jesus Christus<br />

erzählen.<br />

1.25<br />

Die vielfältigen Bedeutungen des Gute-Nacht-Ritual für die <strong>jungen</strong> Eltern<br />

lassen sich zu drei f<strong>und</strong>amentalen Deutungsmustern zusammenfassen:<br />

• Bezug zu Gott<br />

• Familiäre Geborgenheit <strong>und</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

• Kommunikative Verarbeitung des Alltags<br />

190


Den Bezug des Gute-Nacht-Rituals zu Gott bilden die fünf Aussagen:<br />

• Gott für das Gute danken, das der Tag gebracht hat<br />

• Das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der zu Gott beten lernen<br />

• Mit dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>dern auf Gott zu sprechen kommen<br />

• Dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>dern von Gott <strong>und</strong> von Jesus Christus erzählen<br />

• Spüren, dass es etwas gibt, das über uns steht<br />

Die Dimension „Familiäre Geborgenheit <strong>und</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung“ wird ebenfalls aus<br />

fünf Aussagen gebildet:<br />

• Mite<strong>in</strong>ander etwas erleben, was uns als Familie gut tut<br />

• Das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der Halt <strong>und</strong> Geborgenheit erfahren lassen<br />

• Spüren, dass wir als Familie alle unter e<strong>in</strong> Dach gehören<br />

• Das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der werden ruhig <strong>und</strong> können zu sich selbst<br />

kommen<br />

• Dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>dern etwas Wertvolles weitergeben (Geschichten,<br />

Lieder etc.)<br />

Der Ritualaspekt „Kommunikative Verarbeitung des Alltags“ setzt sich aus<br />

drei Statements zusammen:<br />

• D<strong>in</strong>ge zur Sprache br<strong>in</strong>gen, die im Alltag untergehen<br />

• Über „grosse Fragen“ reden können<br />

• Ungutes vom Tag bere<strong>in</strong>igen<br />

Durch Zweiteilung der Skalen ergeben sich die folgenden Werte:<br />

Tabelle 45<br />

tendenziell<br />

Gute-Nacht-Ritual<br />

ja<br />

ne<strong>in</strong><br />

Bezug zu Gott 47.5% 52.5<br />

Familiäre Geborgenheit <strong>und</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung 90.8% 9.2%<br />

Kommunikative Verarbeitung des Alltags 71.9% 28.1%<br />

68.2% sagen zum<strong>in</strong>dest bei e<strong>in</strong>er Aussage, <strong>in</strong> der auf Gott Bezug genommen<br />

wird, dass sie zutrifft oder eher zutrifft. Sie halten es für s<strong>in</strong>nvoll, vor dem<br />

Zu-Bett-Gehen der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e „höhere Instanz“ anzurufen, die über die<br />

Kraft <strong>und</strong> den E<strong>in</strong>fluss der Eltern h<strong>in</strong>aus den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Gefühl von Schutz<br />

191


<strong>und</strong> Vertrauen vermitteln kann. Man baut nicht nur auf die eigenen Kräfte,<br />

sondern tritt mit der Quelle des Lebens selbst <strong>in</strong> Beziehung, mit e<strong>in</strong>em Leben,<br />

das durch den Tod nicht vernichtet werden kann. E<strong>in</strong> Stück Himmel im<br />

Herzen wird gepflegt. Im Transzendenzbezug f<strong>in</strong>det das K<strong>in</strong>d Halt, Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Geborgenheit. Er hilft dem K<strong>in</strong>d, loszulassen <strong>und</strong> sich vertrauensvoll<br />

<strong>in</strong> den Schlaf fallen zu lassen.<br />

Wie bei der Taufe zählen auch die Abläufe r<strong>und</strong> um das Zu-Bett-Gehen<br />

des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des <strong>in</strong> der Familie zu den Übergangsritualen. Markiert die Taufe<br />

e<strong>in</strong>e Schwelle <strong>in</strong> der Biografie, gestaltet das Gute-Nacht-Ritual den Übergang<br />

vom Tag <strong>in</strong> die Nacht. Mit se<strong>in</strong>er Hilfe lernen K<strong>in</strong>der, angstfrei vom Tag <strong>in</strong><br />

die Nacht, vom Wachen <strong>in</strong> den Schlaf h<strong>in</strong>überzugleiten. Nicht von blosser<br />

Gewohnheit, sondern von e<strong>in</strong>em Ritual kann gesprochen werden, wenn das<br />

Zu-Bette-Gehen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besonderen Weise zelebriert wird <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e emotionale Bedeutung erlangt (Baslé, Maar 1999, 19). Das Gute-Nacht-<br />

Ritual bildet für alle Beteiligten e<strong>in</strong>e emotional dichte Zeit <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gt auf<br />

se<strong>in</strong>e Weise Struktur <strong>und</strong> Ordnung <strong>in</strong> den Ablauf e<strong>in</strong>es Tages.<br />

Das Zu-Bett-Gehen des K<strong>in</strong>des ist mit symbolischen Gebeten <strong>und</strong> emotionalen<br />

Bedeutungen verb<strong>und</strong>en, die über das re<strong>in</strong> Funktionale von Regeln<br />

<strong>und</strong> Gewohnheiten h<strong>in</strong>ausgehen, die der Strukturierung <strong>und</strong> Organisation des<br />

Alltags dienen <strong>und</strong> leicht <strong>in</strong> Worte zu fassen s<strong>in</strong>d. Es prägt <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gt <strong>Familien</strong>identität<br />

zum Ausdruck, baut <strong>Familien</strong>geme<strong>in</strong>schaft auf, belebt <strong>und</strong> fördert<br />

sie. Als <strong>Familien</strong>ritual vermittelt das Zu-Bett-Gehen des K<strong>in</strong>des das Bild, das<br />

die Familie von sich hat, das Gefühl von Geborgenheit <strong>und</strong> Zugehörigkeit. In<br />

der rituellen Symbolik, deren Bedeutung oft nur der Familie bekannt ist,<br />

verständigen sich Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>d ohne grosse Worte.<br />

Neben der Verlässlichkeit, mit der <strong>Familien</strong>rituale dem Alltag Struktur<br />

<strong>und</strong> Rhythmus verleihen, bieten sie vielfältige Möglichkeiten, das Mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> der Familie durch Wiederholung, Regelmässigkeit <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität zu<br />

festigen <strong>und</strong> zu vertiefen. Die ersten Informationen, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d über die<br />

Welt <strong>und</strong> den eigenen Platz <strong>in</strong> ihr erhält, bekommt es durch Rituale <strong>in</strong> der<br />

Familie:<br />

„Jeder, der mit K<strong>in</strong>dern zu tun hat oder sich an se<strong>in</strong>e eigene K<strong>in</strong>dheit er<strong>in</strong>nert, weiss, wie<br />

sehr vor allem kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der es lieben, immer wieder den gleichen Spruch, das gleiche Lied, die<br />

gleiche Geschichte mit dem immer gleichen Wortlaut zu hören. Sie freuen sich darüber, dass sie<br />

schon vorher wissen, was passiert <strong>und</strong> dass genau das dann auch e<strong>in</strong>tritt. Sie brauchen die Wiederholung,<br />

den immer gleichen Ablauf, um die Erfahrung machen zu können, dass etwas für sie<br />

vorhersehbar <strong>und</strong> überschaubar ist. Das gibt ihnen Sicherheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt, <strong>in</strong> der alles für sie<br />

neu <strong>und</strong> unbegreiflich ist. Wenn K<strong>in</strong>der grösser s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> nicht mehr jeden Abend die gleiche<br />

Geschichte hören wollen, brauchen sie andere verlässliche Angelpunkte im Alltag, um sich<br />

sicher <strong>und</strong> geborgen fühlen zu können. Durch die Regelmässigkeit geme<strong>in</strong>sam verbrachter Zeit<br />

bekommt das K<strong>in</strong>d die Bestätigung, dass es e<strong>in</strong>en sicheren Platz <strong>in</strong> der Familie hat <strong>und</strong> dazugehört.“<br />

(Baslé, Maar, 1999, 39)<br />

Rituale s<strong>in</strong>d nicht nur für K<strong>in</strong>der von Bedeutung, sondern auch für Eltern.<br />

Sie erleichtern die Organisation des <strong>Familien</strong>alltags, da nicht jeden Tag neu<br />

192


entschieden werden muss, wann was passiert. Rituale s<strong>in</strong>d im Zusammenleben<br />

unerlässlich. Neben ihrer blossen Unerlässlichkeit gibt es jedoch die<br />

Möglichkeit, <strong>Familien</strong>rituale bewusst positiv zu gestalten, um der Familie<br />

Stabilität <strong>und</strong> e<strong>in</strong> angenehmes Klima zu verleihen: „Ohne Rituale <strong>in</strong> der Familie<br />

wäre unser Alltag anstrengend <strong>und</strong> trostlos. Sie geben unserem Leben<br />

Gestalt <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Bollwerk nach aussen <strong>und</strong> <strong>in</strong>nen. Neben der Gefahr, zum<br />

bloss verordneten Reglement zu werden, bieten sie vielfältige Anregungen,<br />

unser <strong>Familien</strong>leben kreativ zu formen, d.h. die Weise unseres Mite<strong>in</strong>anders<br />

durch Wiederholung, Regelmässigkeit <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität zu festigen <strong>und</strong> zu<br />

vertiefen.“ (Jons, 1997, 13)<br />

Gute-Nacht-Ritual - Bezug zu Gott<br />

nach Religionstypen<br />

Schaubild 38<br />

90%<br />

85.1%<br />

80%<br />

70%<br />

71.0%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

39.8%<br />

30%<br />

20%<br />

21.4%<br />

27.9%<br />

10%<br />

3.9%<br />

0%<br />

Exklusive<br />

Christen<br />

Synkretistische<br />

Christen<br />

Transzendenzoffene<br />

Neureligiöse<br />

Religiöse<br />

Humanisten<br />

Areligiös<br />

e<br />

Zum Ritual wird der Übergang vom Tag <strong>in</strong> die Nacht durch die dabei praktizierte<br />

Symbolik. Rituale s<strong>in</strong>d „symbolische Rout<strong>in</strong>en des Alltags“ (Hauschild<br />

1993, 28). Sie zeigen etwas ausserhalb der Alltagsnormalität an <strong>und</strong> machen<br />

das, was nicht alltagsweltlich präsent ist, benennbar <strong>und</strong> begreifbar. Unbemerkt<br />

<strong>und</strong> unausgesprochen verweist die Art, wie K<strong>in</strong>der <strong>in</strong>s Bett gebracht<br />

werden, auf das, was Alltag <strong>und</strong> Schlaf zusammenhält, was aus dem eigenen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em anderen Ich e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>sames macht. Im Gute-Nacht-Ritual, <strong>in</strong><br />

der Schwellenerfahrung zwischen Tag <strong>und</strong> Nacht berühren sich Alltag <strong>und</strong><br />

Transzendenz auf besondere Weise. Hier erlebt es das K<strong>in</strong>d als ausgesprochen<br />

entlastend, die Aufmerksamkeit auf se<strong>in</strong> Ich im Ritual reduzieren zu<br />

dürfen zugunsten der Steuerung durch die rituelle Handlungssymbolik. Das<br />

Gute-Nacht-Ritual erreicht <strong>in</strong>sofern religiöse Qualität, als nicht nur anthropo-<br />

193


logische Gr<strong>und</strong>bedürfnisse befriedigt werden, sondern es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Symbolik<br />

für die Teilnehmenden von e<strong>in</strong>er ‚göttlichen’ Wirklichkeit kündet, sie spürbar<br />

<strong>und</strong> präsent macht.<br />

Werte wie Vertrauen <strong>in</strong>s Leben, Geborgenheit, familiäres Zusammengehörigkeitsgefühl,<br />

gegenseitige Wertschätzung <strong>und</strong> Anteilnahme werden im<br />

Gute-Nacht-Ritual religiös überhöht, für ‚heilig’ erklärt <strong>und</strong> ihnen absolute<br />

Geltung zugesprochen. Schwanken die Werte „familiäre Geborgenheit <strong>und</strong><br />

E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung“ <strong>und</strong> „kommunikative Verarbeitung des Alltags“ nach religiösen<br />

Orientierungstypen <strong>und</strong> <strong>Lebensstil</strong> nur ger<strong>in</strong>gfügig, erweisen sich die exklusiven<br />

<strong>und</strong> synkretistischen Christen wie auch die Angehörigen des Integrations-<br />

<strong>und</strong> Harmoniemilieus auf e<strong>in</strong>e solche religiöse Überhöhung als ausgesprochen<br />

angewiesen. Sie entziehen damit die im Ritual erfahrenen Lebenswerte<br />

der Relativierung durch die moderne Gesellschaft.<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

Gute-Nacht-Ritual - Bezug zu Gott<br />

nach <strong>Lebensstil</strong>typen<br />

61.3%<br />

73.5%<br />

Schaubild 39<br />

50%<br />

40%<br />

41.1%<br />

30%<br />

29.6%<br />

26.0%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Erlebnistyp<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

Harmonietyp Integrationstyp Unterhaltungstyp<br />

E<strong>in</strong> zentrales Element <strong>in</strong> den Gute-Nacht-Ritualen bildet die ritualisierte<br />

Interaktion zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>d. In ihnen bearbeiten die Beteiligten<br />

Differenzerfahrungen, erzeugen soziale Ordnungen <strong>und</strong> schaffen Zugehörigkeit,<br />

<strong>in</strong>dem sie die Möglichkeit bieten, sich im geme<strong>in</strong>samen Handeln zu<br />

begegnen, mite<strong>in</strong>ander zu kommunizieren <strong>und</strong> zu <strong>in</strong>teragieren. Gute-Nacht-<br />

Rituale vermitteln emotionale Sicherheit <strong>und</strong> durch ihre stereotype Wiederholung<br />

soziale Verlässlichkeit. Im Übergang vom Tag <strong>in</strong> die Nacht verbr<strong>in</strong>gen<br />

Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e besondere Zeit, die sich vom alltäglichen Leben<br />

194


abhebt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der die K<strong>in</strong>der vieles erleben <strong>und</strong> lernen, was ihnen sonst nicht<br />

zugänglich ist. Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der vergewissern sich jeden Abend gegenseitig,<br />

dass sie zue<strong>in</strong>ander gehören. Sie nehmen sich Zeit füre<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> für Gespräche<br />

über die Angelegenheiten der Familie.<br />

195


14 . Die Feier des Weihnachtsfestes<br />

14.1 Gr<strong>und</strong>elemente der Weihnachtsfeier<br />

Neben der Taufe als lebensgeschichtliches Passageritual <strong>und</strong> dem Zu-Bett-<br />

Gehen des K<strong>in</strong>des als familiäres Alltagsritual richtet sich nun die Aufmerksamkeit<br />

auf das gesellschaftlich wohl herausragendste jährlich wiederkehrende<br />

Feierritual: auf Weihnachten.<br />

E<strong>in</strong>en derart prom<strong>in</strong>enten Platz im Jahreslauf nimmt das Weihnachtsfest<br />

erst <strong>in</strong> jüngster Zeit e<strong>in</strong>. Die meisten der heutigen Weihnachtsbräuche haben<br />

sich erst <strong>in</strong> der bürgerlichen Moderne entfaltet. Ihre Ursprünge reichen zurück<br />

<strong>in</strong> das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> stehen <strong>in</strong> Zusammenhang mit der Entwicklung<br />

der bürgerlichen Familie. Weihnachten ist e<strong>in</strong> christliches Fest der Moderne.<br />

Es ist <strong>in</strong> unseren Breitengraden das christliche Hauptfest schlechth<strong>in</strong><br />

geworden.<br />

Das Weihnachtsfest gestaltet sich nach den Ergebnissen unserer Untersuchung<br />

r<strong>und</strong> um drei Gr<strong>und</strong>elemente. In welchem gesellschaftliche Milieu<br />

Weihnachten auch immer begangen wird, ob man sich als Christ versteht<br />

oder nicht, zu Weihnachten gehören e<strong>in</strong> gutes Essen (95.5%), e<strong>in</strong> Tannenbaum<br />

(94%) <strong>und</strong> gegenseitige Geschenke (92.5%). Wegen der besonderen<br />

Bedeutung des Anlasses wird <strong>in</strong> vielen <strong>Familien</strong> die Stube festlich dekoriert,<br />

geschmückt <strong>und</strong> hergerichtet. Lieder werden gesungen (72.3%), <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Krippe steht unter dem Christbaum (66.1%). Musik hören zählt für die meisten<br />

zum Standardprogramm am Weihnachtsfest (52.2%). K<strong>in</strong>der spielen auf<br />

ihren Musik<strong>in</strong>strumenten (42%).<br />

Dennoch zeigen sich zwischen den e<strong>in</strong>zelnen <strong>Lebensstil</strong>milieus Unterschiede.<br />

Deutlich weniger hoch im Kurs stehen im Unterhaltungsmilieu, bei<br />

der Weihnachtsfeier Lieder zu s<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>e Krippe mit Krippenfiguren unter<br />

den Christbaum zu stellen, den K<strong>in</strong>dern beim Musizieren zuzuhören, ihre<br />

Verse anzuhören oder sich an e<strong>in</strong>er Theateraufführung von ihnen zu erfreuen.<br />

Mehr als <strong>in</strong> anderen Haushalten läuft der Fernsehapparat. Die Weihnachtsgeschichte<br />

aus der Bibel vorgelesen oder erzählt wird am häufigsten unter den<br />

Angehörigen des Integrations- (48.8%) <strong>und</strong> des Selbstverwirklichungsmilieus<br />

(31.5%). Seltener zur Bibel greifen <strong>Familien</strong>, die sich dem Harmonie-<br />

(22.3%), dem Erlebnis- (20.1%) oder Unterhaltungsmilieu (14.5%) zuordnen<br />

lassen.<br />

Mit dem geme<strong>in</strong>samen Essen <strong>und</strong> den gegenseitigen Geschenken vergewissern<br />

sich die <strong>Familien</strong> ihrer zentralen Bedeutung füre<strong>in</strong>ander. Weihnachten<br />

<strong>und</strong> Familie gehören untrennbar zusammen. Weihnachten ist das Fest der<br />

Liebe. Auch wenn viele die Erfahrung von Trennung <strong>und</strong> Scheidung gemacht<br />

196


haben, <strong>Familien</strong> patchworkartig zusammengesetzt s<strong>in</strong>d, hält Weihnachten die<br />

Sehnsucht nach dauerhafter Beziehung <strong>in</strong> der Familie wach.<br />

Die Familie versammelt sich um den Weihnachtsbaum. Der mit Kerzen<br />

geschmückte Lichterbaum ist heute zentrales Element der familiären Weihnachtsfeier.<br />

Bis <strong>in</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>ert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> war er nur <strong>in</strong> der bürgerlichen<br />

Oberschicht zu f<strong>in</strong>den. Er galt zunächst als protestantisch, bis er auch von<br />

den Katholiken allmählich übernommen wurde. Der geschmückte Tannenbaum<br />

wurde nicht zuletzt dadurch populär, dass der preussische König im<br />

Krieg 1870/71 gegen Frankreich Weihnachtsbäume <strong>in</strong> den Unterständen <strong>und</strong><br />

Lazaretten aufstellen liess. Danach verbreitete sich der Weihnachtsbaum<br />

weiter <strong>und</strong> erhielt die heute als selbstverständlich empf<strong>und</strong>ene zentrale Rolle<br />

im Zermoniell der häuslichen <strong>Familien</strong>feier: K<strong>in</strong>der stehen vor der verschlossenen<br />

Tür, die Kerzen am Baum werden angezündet, die Tür wird geöffnet,<br />

geme<strong>in</strong>sam wird gesungen, geme<strong>in</strong>sam werden die Geschenke geöffnet,<br />

geme<strong>in</strong>sam wird gegessen.<br />

In den meisten <strong>Familien</strong> fehlt die Krippe unter dem Christbaum nicht. Im<br />

Mittelpunkt der weihnachtlichen Religiosität steht die Krippe <strong>und</strong> nicht das<br />

Kreuz. Weihnachten steht für e<strong>in</strong>en neuen Anfang, die Geburt, die Neuschöpfung.<br />

Gott kommt zur Welt, der Unsterbliche wird sterblich, der Ewige zeitlich.<br />

Zur Welt ist er gekommen, um den Menschen zu Gott kommen zu lassen.<br />

Er kommt <strong>und</strong> schafft Heil. „Der Heiland ist geboren“, sagen die Leute.<br />

Gott ereignet sich mitten <strong>in</strong> der Welt. „Auf diese Weise ist die ‚Inkarnation’<br />

ke<strong>in</strong> merkwürdig überaltetes Wort aus der Welt e<strong>in</strong>er überkommenen Metaphysik.<br />

Auf diese Weise ist <strong>und</strong> bleibt die Inkarnation die Gr<strong>und</strong>figur des<br />

Christentums, von den Anfängen bis heute. Inkarnation heisst: Gott kommt<br />

zur Welt. Gott kommt sogar als Mensch zur Welt. Im Menschenwort. Im<br />

Menschentun. In uns.“ (Morgenroth 2003, 50)<br />

Wie Weihnachten gefeiert wird, was dabei geschieht, liegt den befragten<br />

Eltern sehr am Herzen. Etwas höhere Bedeutung als dies tatsächlich der Fall<br />

ist, würden sie der Krippe unter dem Tannenbaum, der Dekoration der Wohnung<br />

<strong>und</strong> dem Lieders<strong>in</strong>gen beimessen, weniger dem Essen <strong>und</strong> dem Geschenke-Austauschen.<br />

Über die Hälfte der befragten Eltern möchte auf die<br />

folgenden Gestaltungselemente der Weihnachtsfeier nicht verzichten:<br />

Tabelle 46<br />

87.7% Tannenbaum<br />

69.1% Krippe mit Krippenfiguren<br />

64.4% Dekoration der Wohnung<br />

62.9% Lieder s<strong>in</strong>gen<br />

62.1% Essen<br />

Demonstrativ wird am Heiligen Abend Wert auf e<strong>in</strong>e dekorative Ausgestaltung<br />

der Wohnung gelegt. Die Krippe ist da sozusagen e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>iaturausgabe<br />

dessen, was man selbst gerne darstellen möchte. Über die Krippe wölbt<br />

197


sich der Weihnachtsbaum <strong>und</strong> verkörpert immergrüne Natur. An se<strong>in</strong>en<br />

Zweigen glänzen Kugeln <strong>und</strong> Kerzen, die das Firmament <strong>in</strong> die Wohnung<br />

zaubern. Draussen ist es dunkel <strong>und</strong> kalt. Je w<strong>in</strong>terlicher es draussen ist,<br />

umso schöner f<strong>in</strong>det man es dr<strong>in</strong>nen. Für e<strong>in</strong>en Abend wird das Urbild des<br />

Hauses lebendig, der Traum von Geborgenheit wahr. „Fest steht, dem Haus<br />

steht <strong>in</strong> unseren Köpfen die Unbehaustheit gegenüber, die Wüste, das<br />

Nichts.“ (Morgenroth 2003, 109f.)<br />

40.1% messen der Weihnachtsgeschichte im weihnachtlichen Festzeremoniell<br />

grosse Bedeutung bei. In den Liedern, die gesungen werden (62.0%),<br />

kommen die weihnachtlichen Symbole zur Sprache. Gottes Taten werden<br />

besungen, dass er zur Welt gekommen <strong>und</strong> mit ihm Gottesreich, dass das<br />

grosse Friedensreich angebrochen ist.<br />

An Weihnachten wird etwas von dem spürbar, was Viktor Turner <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Ritualtheorie „Communitas“ nannte. Communitas entwickelt sich zwischen<br />

den Menschen, die mite<strong>in</strong>ander Weihnachten feiern. Turner unterscheidet<br />

zwischen zwei e<strong>in</strong>ander kontrastierenden Gesellschaftsmodellen, die<br />

<strong>in</strong> dialektischer Beziehung zue<strong>in</strong>ander stehen. Das e<strong>in</strong>e ist das „Modell von<br />

Gesellschaft als e<strong>in</strong>er Struktur rechtlicher Positionen, Ämtern, Status <strong>und</strong><br />

Rollen“ (Turner 1989, 169). Das andere ist das Modell von Gesellschaft als<br />

Begegnung zwischen Menschen, „die, obwohl sie sich <strong>in</strong> ihren körperlichen<br />

<strong>und</strong> geistigen Talenten unterscheiden, dennoch im H<strong>in</strong>blick auf ihr geme<strong>in</strong>sames<br />

Menschse<strong>in</strong> als gleich betrachtet werden. Das erste Modell ist das<br />

Modell e<strong>in</strong>es differenzierten, kulturell strukturierten, segmentierten <strong>und</strong> oft<br />

hierarchischen Systems <strong>in</strong>stitutionalisierter Positionen. Das zweite stellt Gesellschaft<br />

als e<strong>in</strong> <strong>und</strong>ifferenziertes, homogenes Ganzes dar, <strong>in</strong> dem sich die<br />

E<strong>in</strong>zelnen als ganze Menschen gegenüberstehen – nicht <strong>in</strong> Status <strong>und</strong> Rollen<br />

‚segmentiert’.“ (ebd.) Communitas br<strong>in</strong>gt die Geme<strong>in</strong>schaft als unstrukturierte<br />

E<strong>in</strong>heit jenseits ihrer Differenzierungen <strong>und</strong> Widersprüche <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung.<br />

Sie bezeichnet e<strong>in</strong>en Zustand unmittelbarer, totaler, spontaner <strong>und</strong> egalitärer<br />

„Konfrontation menschlicher Identitäten“ (a.a.O.,129), „e<strong>in</strong> Zustand, der den<br />

normalen, durch die Rollen, Statuspositionen <strong>und</strong> Hierarchien der Sozialstruktur<br />

vermittelten Interaktionen zwischen den Menschen dialektisch entgegengesetzt<br />

ist“ (a.a.O., 204). Communitas lässt unter den Beteiligten e<strong>in</strong><br />

starkes Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl entstehen.<br />

Weihnachten als Erfahrung von Communitas repräsentiert das Andere der<br />

durchstrukturierten Alltagswelt, setzt Distanz zu den Rout<strong>in</strong>en des Alltags.<br />

An Weihnachten wird e<strong>in</strong>e Schwelle überschritten <strong>in</strong>s Jenseits der Gesellschaft,<br />

<strong>in</strong>s Jenseits derjenigen Strukturen, die die Alltagswelt bestimmen.<br />

Weihnachten unterbricht den durch Arbeit <strong>und</strong> Beruf, durch sozialen Status,<br />

durch festgelegte Rollen <strong>und</strong> Funktionen geformten Alltag.<br />

Communitas unter Menschen kommt dann zum Vorsche<strong>in</strong>, wenn die<br />

normale Sozialstruktur <strong>und</strong> normale Verhaltensweisen vorübergehend ausser<br />

Kraft gesetzt s<strong>in</strong>d. Weihnachten führt Menschen zeitweise über den Status<br />

198


<strong>und</strong> die Funktionen, die sie <strong>in</strong> der Gesellschaft ausfüllen, h<strong>in</strong>aus. Auf vielfältige<br />

Weise kann „die Erfahrung der Unterbrechung der Alltagsrealität gemacht<br />

werden, können Individuen sich <strong>in</strong> Gegenwelten entführen lassen <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong> symbolische Ordnungen geraten, die sie der Ganzheit ihres ansonsten<br />

permanent zerteilten Dase<strong>in</strong>s vergewissern“ (Gräb 2006, 77). Bei Weihnachten<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong>e Zeite<strong>in</strong>heit im Jahresablauf, <strong>in</strong> der „Verhalten <strong>und</strong><br />

Symbolik vorübergehend von den das öffentliche Leben der Inhaber von<br />

Strukturpositionen bestimmenden Normen <strong>und</strong> Werten befreit“ (Turner 1989,<br />

159) s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Form spontaner unmittelbarer Beziehungen zwischen Ich<br />

<strong>und</strong> Du vorherrscht. In diesem S<strong>in</strong>ne ist Weihnachten e<strong>in</strong>e „Zeit ausserhalb<br />

der Zeit“ (a.a.O., 204)<br />

Fasst man Weihnachten als „e<strong>in</strong>e Zeit <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Ort des Rückzugs von<br />

normalen sozialen Handlungsweisen“ auf, kann man <strong>in</strong> ihr „e<strong>in</strong>e Zeit möglicher<br />

Überprüfung der zentralen Werte <strong>und</strong> Axiome der Kultur“ (a.a.O., 160)<br />

sehen. Ohne Erfahrung <strong>und</strong> „Anerkennung e<strong>in</strong>er essentiellen <strong>und</strong> generellen<br />

menschlichen Beziehung“ (a.a.O., 96), gäbe es Familie nicht. Weihnachten<br />

eröffnet Raum <strong>und</strong> Zeit für die meditative Reflexion gr<strong>und</strong>legender Werte<br />

<strong>und</strong> Verhaltensweisen im menschlichen Zusammenleben, die Möglichkeit,<br />

überall all das, was als selbstverständliche, alltägliche Struktur ersche<strong>in</strong>t,<br />

nachzudenken. Weihnachten kann „die Erfahrung machen lassen, dass das,<br />

was normalerweise so ist, wie es ist, nicht immer so se<strong>in</strong> <strong>und</strong> bleiben muss.<br />

Vieles, wenn nicht alles, wäre auch anders möglich.“ (Graf 2006, 75) Denn:<br />

„Wer sich sonst nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en ökonomischen, politischen, familiären, beruflichen<br />

Funktionen erlebt, kann hier potentiell die Erfahrung der Freiheit zum<br />

Andersse<strong>in</strong> bzw. Anderswerden machen. Die D<strong>in</strong>ge des Lebens geraten <strong>in</strong><br />

Fluss.“ (ebd.)<br />

Die Erfahrung, dass es Alternativen zu den bestehenden privaten <strong>und</strong> sozialen<br />

Zuständen geben könnte, h<strong>in</strong>terlässt e<strong>in</strong>e bleibende Spur <strong>in</strong> der Er<strong>in</strong>nerung<br />

der Beteiligten an Weihnachtsfeiern. Sie stellt zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Potential<br />

dar, das E<strong>in</strong>zelne motivierten könnte, an den alltäglichen Verhältnissen etwas<br />

zu ändern.<br />

14.2 Gegengift gegen erodierende <strong>Familien</strong>bande<br />

In den Kirchen wird oft <strong>und</strong> gerne Kritik am Weihnachtsfest <strong>in</strong> der heutigen<br />

Gestalt geübt. Sie lässt sich im Wesentlichen auf Schlagworte wie Profanisierung,<br />

Kommerzialisierung, Hektik <strong>und</strong> Stress reduzieren. Das Weihnachtsfest<br />

sei entchristlicht <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em <strong>Familien</strong>fest für jedermann geworden. Der<br />

theologische Gehalt gehe dabei über weite Strecken verloren. Stattdessen<br />

nähmen Kitsch <strong>und</strong> Sentimentalität zu. Für die Kaufhäuser ist Weihnachten<br />

zum Kommerzereignis des Jahres geworden.<br />

199


E<strong>in</strong>e solche E<strong>in</strong>schätzung wird der Vorstellungswelt heutiger <strong>Familien</strong><br />

nicht gerecht. Die Antworten der <strong>jungen</strong> Eltern auf die Frage, was ihnen bei<br />

der Weihnachtsfeier wichtig ist, bündeln sich zu drei E<strong>in</strong>stellungsdimensionen.<br />

Die erste versammelt Aussagen, die sich explizit auf e<strong>in</strong>e religiöschristliche<br />

Deutung des Weihnachtsfestes beziehen <strong>und</strong> es als Fest der Liebe<br />

verstehen.<br />

Tabelle 47<br />

Bei der Weihnachtsfeier ist den <strong>jungen</strong> Eltern wichtig…<br />

trifft zu trifft eher zu<br />

…dass die Feier etwas mit Gott zu tun hat. 43.4% 30.5%<br />

…dass an die Geburt Jesu gedacht wird. 42.9% 31.2%<br />

…dass sie Weihnachten als Fest der Liebe<br />

feiern können. 64.2% 24.8%<br />

Tabelle 48<br />

tendenziell<br />

Bedeutung des Weihnachtsfestes<br />

ja<br />

ne<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong> religiöses Fest 80.2% 19.7%<br />

E<strong>in</strong>e alltagsenthobene Zeit 91.1% 8.9%<br />

E<strong>in</strong> Fest für die K<strong>in</strong>der 99.2% 0.8%<br />

80.2% der <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> tendieren dazu, Weihnachten als religiöses Ereignis<br />

zu betrachten. Erhöht sich unter den exklusiven <strong>und</strong> synkretistischen<br />

Christen dieser Anteil auf 97.5% bzw. 97.8%, reduziert er sich unter den<br />

Areligiösen auf 40.3%. Erwartungsgemäss sprechen der Harmonie- <strong>und</strong> Integrationstyp<br />

dem Weihnachtsfest am stärksten e<strong>in</strong>en religiösen Erlebniswert<br />

zu:<br />

Tabelle 49<br />

Weihnachten als religiöses Fest<br />

Erlebnistyp 79.7%<br />

Selbstverwirklichungstyp 71.1%<br />

Harmonietyp 91.9%<br />

Integrationstyp 71.8%<br />

Unterhaltungstyp 63.0%<br />

Bei aller Skepsis gegenüber zeitgenössischen Ansprüchen des Weihnachtsfestes<br />

bewahrt Weihnachten als herausragendes Fest im Jahreslauf se<strong>in</strong>en<br />

religiösen Charakter.<br />

Öffentliches Christse<strong>in</strong> ist vor allem e<strong>in</strong> festliches Christse<strong>in</strong> an Weihnachten.<br />

Im schweizerischen Kulturraum s<strong>in</strong>d christliche Symbole nach wie<br />

vor äusserst lebendig, um zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde zu vermitteln. An<br />

Weihnachten f<strong>in</strong>det <strong>in</strong>nerhalb <strong>und</strong> ausserhalb der Kirchenmauern e<strong>in</strong>e sym-<br />

200


olische Kommunikation statt, die religiösen Charakter hat. Spuren der<br />

Transzendenz werden an Weihnachten sichtbar, das Unverfügbare im Verfügbaren.<br />

Die religiöse Deutung des Weihnachtsfestes <strong>und</strong> dessen Wahrnehmung<br />

als Fest der Liebe verb<strong>in</strong>den sich zu e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen E<strong>in</strong>stellungsdimension.<br />

<strong>Familien</strong><strong>in</strong>timität erfährt an Weihnachten ihre religiöse Weihe. Ehe <strong>und</strong><br />

Familie erlebten <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten umfangreiche Veränderungen.<br />

Als F<strong>und</strong>ament für die moderne Familie ist nur noch die Liebe geblieben, die<br />

idealisiert wird <strong>und</strong> mit nahezu unerfüllbaren Sehnsüchten e<strong>in</strong>hergeht. „Die<br />

Menschen heiraten um der Liebe willen <strong>und</strong> lassen sich um der Liebe willen<br />

wieder scheiden. Die Partnerschaft wird austauschbar praktiziert, nicht um<br />

die Last der Liebe endlich abzustreifen, sondern weil das Gesetz der erfüllten<br />

Liebe es verlangt.“ (Beck, Beck-Gernsheim 1990, 20)<br />

Der Zusammenhalt <strong>in</strong> der Familie beruht im Wesentlichen auf der emotionalen<br />

B<strong>in</strong>dung untere<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> nicht mehr auf ökonomischen Erfordernissen.<br />

Die strukturelle Ausdifferenzierung der Gesellschaft hat zu e<strong>in</strong>er<br />

Spezialisierung der Familie auf die Pflege der Intimbeziehungen <strong>und</strong> der<br />

Sorge um die K<strong>in</strong>der geführt. „Es ist der Erfahrungszusammenhang von<br />

Intimität <strong>und</strong> Privatheit, der sich im Kontext von Familie nunmehr stabilisiert<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig aus den übrigen, tendenziell anonymer werdenden Gesellschaftsbereichen<br />

verschw<strong>in</strong>det.“ (Kaufmann 1988, 404) Erfolgreiches <strong>Familien</strong>leben<br />

wird abhängig von der gegenseitigen Liebe der Partner. Die Familie<br />

wird als Raum zur Befriedigung emotionaler <strong>und</strong> seelischer Bedürfnisse nach<br />

persönlicher Wärme, Zärtlichkeit <strong>und</strong> Zuwendung betrachtet. „Je mehr andere<br />

Bezüge der Stabilität entfallen, desto mehr richten wir unser Bedürfnis,<br />

unserem Leben S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Verankerung zu geben, auf die Zweierbeziehung.<br />

Immer mehr richten wir unsere Hoffnung jetzt auf e<strong>in</strong>en anderen Menschen,<br />

diesen Mann, diese Frau: er oder sie soll uns Stabilität gewähren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Welt, die immer schneller dreht.“ (Beck-Gernsheim 1986, 214)<br />

Wie die e<strong>in</strong>en von Gott sprechen, so reden heutzutage manche von Liebe<br />

<strong>und</strong> Familie. „Der irdische Glaube der religionslosen, sche<strong>in</strong>bar rationalen<br />

Gegenwartsmenschen ist das Du, die Suche nach der Liebe im anderen.“<br />

(Beck, Beck-Gernsheim 1990, 21) Der Bezug auf Gott wird ersetzt durch die<br />

„irdische Religion der Liebe“ (a.a.O., 222ff.), e<strong>in</strong> Phänomen, das Ulrich Beck<br />

<strong>und</strong> Elisabeth Beck-Gernsheim als „Nach-Religion“ bezeichnen. An die<br />

Stelle des Gottesglaubens tritt der „Liebesglaube“, die „Liebesliebe“ als e<strong>in</strong>e<br />

kirchenlose, priesterlose, traditionslose „Nachreligion“. Religion wie die<br />

Liebe „öffnen die Normalität auf e<strong>in</strong>en anderen Zustand h<strong>in</strong>. Die Bedeutungspanzer<br />

der Welt werden aufgebrochen, Wirklichkeiten anders <strong>und</strong> neu<br />

erstürmt. … Die Liebenden sehen anders <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d daher anders, werden<br />

anders, erschliessen e<strong>in</strong>ander andere Wirklichkeiten.“ Die moderne Liebe<br />

hat ihren Gr<strong>und</strong> <strong>in</strong> sich selbst, also <strong>in</strong> den Individuen, die sie leben. Ihre Unabhängigkeit<br />

„prädest<strong>in</strong>iert sie zu e<strong>in</strong>er traditionslosen, traditionsunabhängi-<br />

201


gen, nachtraditionalen ‚Religion’, die deswegen gar nicht also solche bewusst<br />

wird, weil sie aus dem <strong>in</strong>nersten Wunschzentrum der Individuen aufsteigt,<br />

deren ureigenstes, unwiderstehliche Bestreben ist“ (a.a.O., 231ff.). Die Sehnsucht<br />

der Liebe gedeiht <strong>in</strong> Milieus des Zweifels <strong>und</strong> der Fragwürdigkeit, das<br />

die Moderne erzeugt. Wenn nichts sicher ist, dann jagen die Menschen irrealen<br />

Träumen der Liebe nach.<br />

An Weihnachten f<strong>in</strong>det für manche e<strong>in</strong>e solche „Nach-Religion“ ihren<br />

Ausdruck. Von ihr wird nun all das erwartet, erhofft, erfleht, was <strong>in</strong> den<br />

Wirkbereich der Religion fällt. Liebe wird zum Inhalt <strong>und</strong> zur Form e<strong>in</strong>es<br />

Glaubens, der solche Liebe zur Gnade <strong>und</strong> sogar Erlösung hochstilisiert.<br />

Neben der ersten Dimension der religiösen Deutung von Weihnachten bilden<br />

die folgenden vier Aussagen zusammen e<strong>in</strong>e zweite Dimension <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>schätzung<br />

von Weihnachten: die Erfahrung von Weihnachten als e<strong>in</strong>er ausseralltäglichen,<br />

der Alltagsrout<strong>in</strong>e enthobenen Zeit:<br />

Tabelle 50<br />

Bei der Weihnachtsfeier ist den <strong>jungen</strong> Eltern wichtig…<br />

trifft zu trifft eher zu<br />

…dass mit der Feier e<strong>in</strong>e <strong>Familien</strong>tradition gewahrt wird. 48.5% 28.1%<br />

…dass wir den Alltag h<strong>in</strong>ter <strong>und</strong> lassen können. 33.3% 36.5%<br />

…dass wir den K<strong>in</strong>dern schöne Er<strong>in</strong>nerungen<br />

mitgeben können. 79.9% 17.9%<br />

…dass wir e<strong>in</strong>e gute Stimmung haben. 77.7% 19.3%<br />

Mit e<strong>in</strong>er Zustimmung von 91.1% zu diesen Aussagen schwankt die Quote<br />

unter den <strong>Lebensstil</strong>milieus wie auch nach der religiösen E<strong>in</strong>stellung nur sehr<br />

ger<strong>in</strong>g <strong>und</strong> fällt bei ke<strong>in</strong>er Gruppierung unter 85%.<br />

An Weihnachten wird der Dauerablauf des Alltags vorübergehend angehalten.<br />

Die Menschen treten aus dem kont<strong>in</strong>uierlichen Fluss ihrer gewöhnlichen<br />

Handlungen heraus, um sich der konstitutiven Elemente des Alltagslebens<br />

zu vergewissern. In der Feier von Weihnachten geschieht etwas, was<br />

nicht alle Tage geschieht. Die Weihnachtszeit hebt sich erkennbar von der<br />

übrigen Zeit ab. Alle daran Beteiligten dokumentieren durch ihr Verhalten,<br />

dass diese Zeit e<strong>in</strong>e spezielle Bedeutung für das weitere Leben hat. Auf das,<br />

was im Festritual als gültig erklärt worden ist, können sich die Beteiligten <strong>in</strong><br />

zukünftigen alltäglichen Interaktionen ohne nochmalige Legitimation beziehen.<br />

Weihnachten versetzt die <strong>jungen</strong> Eltern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt ausserhalb des Alltags,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt des Nicht-Alltags. Feste wie Weihnachten s<strong>in</strong>d nicht von<br />

dieser Welt. Irgendwie ist alles verzaubert. E<strong>in</strong> Hauch von Ewigkeit schw<strong>in</strong>gt<br />

im Weihnachtsfest mit. Das Erlebnis von Weihnachten wird als wertvoll<br />

genug erachtet, um als <strong>Familien</strong>tradition bewahrt zu werden.<br />

E<strong>in</strong> frohes Fest wünschen sich die Menschen gegenseitig an Weihnachten.<br />

An Festen bes<strong>in</strong>nen sich die Menschen darauf, was das Leben lebenswert<br />

202


macht. Feste s<strong>in</strong>d „<strong>in</strong>stitutionalisierte Auszeiten“ (Morgenroth 2003, 28) vom<br />

Alltag, „<strong>in</strong> denen Menschen sich auf das bes<strong>in</strong>nen, was ihnen wichtig ist, was<br />

ihre Kultur ausmacht, was ihnen heilig ist“ (a.a.O., 27). Für jedermann wird<br />

spürbar: Es gibt mehr als nur das normale Leben. Feste schaffen Abstand<br />

zum Alltag. Die Menschen „treten heraus aus der Welt, <strong>in</strong> der sie leben <strong>und</strong><br />

schauen sie sich an. Sie erleben ihre Freiheit. Sie bes<strong>in</strong>nen sich aufs Ganze.<br />

Auf das Leben“ (ebd.).<br />

Abseits von den Verpflichtungen <strong>und</strong> Rout<strong>in</strong>en des Alltags gehört an<br />

Weihnachten den K<strong>in</strong>dern die volle Aufmerksamkeit. Sie stehen im Mittelpunkt<br />

der Familie. Zwischen der Deutung des Weihnachtsfestes als besondere<br />

Zeit im Jahr <strong>und</strong> als Fest für die K<strong>in</strong>der besteht e<strong>in</strong> enger Zusammenhang<br />

(r = .39). Mit ke<strong>in</strong>em anderen Anliegen hängt der Wunsch nach e<strong>in</strong>er guten<br />

Stimmung an Weihnachten so stark zusammen wie mit dem Bedürfnis, den<br />

K<strong>in</strong>dern Freude zu bereiten. Weihnachten ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>derfest. Mit K<strong>in</strong>dern<br />

Weihnachten zu feiern, ist am schönsten. Die Aussagen, die zusammen diese<br />

dritte Begründung abgeben, das Weihnachtsfest als wichtig zu betrachten,<br />

erhielten die folgenden Zustimmungswerte:<br />

Tabelle 51<br />

Bei der Weihnachtsfeier ist den <strong>jungen</strong> Eltern wichtig…<br />

trifft zu trifft eher zu<br />

…dass die K<strong>in</strong>der Freude haben. 95.3% 4.3%<br />

…dass man die Feier geniessen konnte. 88.2% 10.6%<br />

…dass die Familie zusammen se<strong>in</strong> konnte. 91.6% 7.1%<br />

In der festlichen Inszenierung familiärer Verb<strong>und</strong>enheit wirkt Weihnachten<br />

wie e<strong>in</strong> Gegengift gegen die Erosion des familiären Zusammenhalts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaft, <strong>in</strong> der die sozialen Bezüge der Familie zunehmend an Wert <strong>und</strong><br />

Wirklichkeit verlieren. Zu Ende gedacht führt die Moderne nach Ulrich Beck<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e familien- <strong>und</strong> ehelose Gesellschaft: „Jeder muss selbständig, frei für<br />

die Erfordernisse des Marktes se<strong>in</strong>, um se<strong>in</strong>e ökonomische Existenz zu sichern.<br />

Das Marktsubjekt ist <strong>in</strong> letzter Konsequenz das alle<strong>in</strong>stehende, nicht<br />

partnerschafs-, ehe- oder familien’beh<strong>in</strong>derte’ Individuum. Entsprechend ist<br />

die durchgesetzte Marktgesellschaft auch e<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>derlose Gesellschaft – es<br />

sei denn, die K<strong>in</strong>der wachsen bei mobilen, alle<strong>in</strong>erziehenden Vätern <strong>und</strong><br />

Müttern auf.“ (Beck 1986, 191) So ersche<strong>in</strong>t am Horizont der Entwicklung<br />

die „vollmobile S<strong>in</strong>gle-Gesellschaft“ (a.a.O., 199), deren Gr<strong>und</strong>figur die<br />

„Existenzform des Alle<strong>in</strong>stehenden“ (a.a.O., 200) ist.<br />

Wie auch beim Gute-Nacht-Ritual bestätigen sich an Weihnachten die<br />

Beteiligten gegenseitig: Dies s<strong>in</strong>d wir, dies wollen wir auch <strong>in</strong> Zukunft se<strong>in</strong>,<br />

das soll für unsere Familie gelten. Weihnachten dient der Erzeugung e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Vorstellung von familiärer Normalität. Was als Norm oder als<br />

Wert gelten soll, kann dabei von Familie zu Familie unterschiedlich se<strong>in</strong>. In<br />

den rituellen Praktiken von Weihnachten werden elementare alltagsprakti-<br />

203


sche Relevanzen, also das, was letztendlich faktisch das Alltagsleben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Familie ausmacht, Geltung verschafft.<br />

14.3 Stimmung an Weihnachten<br />

Manche beschleicht e<strong>in</strong> mulmiges Gefühl ob der hohen Erwartungen, die sich<br />

mit dem Weihnachtsfest verb<strong>in</strong>den. Enttäuschung kann sich breit machen <strong>und</strong><br />

zu Ause<strong>in</strong>andersetzungen Anlass geben. Die oft geäusserte Vermutung, dass<br />

Weihnachten <strong>in</strong> vielen <strong>Familien</strong> e<strong>in</strong> Konfliktherd darstellt, bestätigte sich <strong>in</strong><br />

unserer Untersuchung nicht. Fast ausnahmslos können die Befragten davon<br />

berichten, e<strong>in</strong> konfliktfreies Weihnachtsfest erlebt zu haben. Von grösseren<br />

Konflikten berichten lediglich 1.9%, <strong>und</strong> 3.6% me<strong>in</strong>ten, dass das Fest nicht<br />

ganz ohne Konflikte verlief.<br />

Überraschend hoch liegt der Anteil der Personen, die die Stimmung an<br />

der Weihnachtsfeier als friedlich erlebt haben. Ke<strong>in</strong>e andere Bezeichnung<br />

trifft so sehr auf die Erlebnisqualität von Weihnachten zu. Neben der friedlichen<br />

Stimmung im Kreise der Familie geniessen die <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> das<br />

gemütliche Beisammense<strong>in</strong>. Aufgefordert zu beschreiben, wie sie das Weihnachtsfest<br />

erlebt haben, wurden von den Befragten die folgenden Eigenschaften<br />

genannt (entlang e<strong>in</strong>er Skala von 3 bis 0, Mittelwerte):<br />

Tabelle 52<br />

Erlebnisqualität von Weihnachten<br />

friedlich 2.82 ruhig 1.56<br />

gemütlich 2.64 religiös 1.33<br />

feierlich 2.38 betriebsam 1.33<br />

lustig 2.35 förmlich 0.55<br />

locker 2.33 konfliktreich 0.27<br />

bes<strong>in</strong>nlich 2.18<br />

Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verb<strong>in</strong>den sich mit Weihnachten<br />

positive Assoziationen. Weihnachten zeichnet sich durch ausgesprochen<br />

hohe emotionale Dichte aus. Der Erlebniswert von Weihnachten kann <strong>in</strong><br />

der <strong>Familien</strong>tradition nicht hoch genug e<strong>in</strong>geschätzt werden. Für Augenblicke<br />

wird Wirklichkeit, was als Sehnsucht im Alltag lebendig ist. Weihnachten<br />

hält <strong>in</strong> den Herzen e<strong>in</strong>e Hoffnung auf e<strong>in</strong>e heile Welt wach, die <strong>in</strong> der<br />

Bibel als Reich Gottes <strong>in</strong> Gleichnissen <strong>und</strong> Bildern beschrieben wird: <strong>in</strong> der<br />

Geste des barmherzigen Samariters oder <strong>in</strong> der Geschichte, wie Jesus sich<br />

dem Aussenseiter Zacchäus zuwendet, wie er Gelähmten auf die Be<strong>in</strong>e hilft,<br />

<strong>in</strong> der Speisung der Fünftausend, dem Gleichnis vom Senfkorn, vom Schatz<br />

im Acker, vom verlorenen Sohn, vom Unkraut <strong>und</strong> dem Weizen.<br />

Nur ger<strong>in</strong>gfügig variiert die Erlebnisqualität von Weihnachten nach <strong>Lebensstil</strong>milieu:<br />

Durchgängig die schwächsten Zustimmungswerte erreichen<br />

204


die Erlebniswerte im anspruchsvollen Selbstverwirklichungsmilieu. Bis heute<br />

hat die Aufklärung, der die Rituale als suspekte Relikte e<strong>in</strong>er Zeit menschlicher<br />

Unmündigkeit galten, <strong>in</strong> diesem Milieu ihre Spuren h<strong>in</strong>terlassen.<br />

Erlebnisqualität von Weihnachten<br />

nach <strong>Lebensstil</strong>typ<br />

Schaubild 40<br />

( 0 = niedrig; 3 = hoch)<br />

Mittelwerte<br />

3<br />

2.5<br />

2<br />

1.5<br />

1<br />

0.5<br />

0<br />

friedlich<br />

bes<strong>in</strong>nlich<br />

lustig<br />

förmlich<br />

ruhig<br />

konflicktreich<br />

gemütlich<br />

religiös<br />

betriebsam<br />

Erlebnistyp Selbstverwirklichungstyp Harmonietyp<br />

Integrationstyp<br />

Unterhaltungstyp<br />

locker<br />

feierlich<br />

Anders als der Integrationstyp empf<strong>in</strong>den Angehörige des Erlebnismilieus<br />

Weihnachten eher als lustig <strong>und</strong> locker. Es br<strong>in</strong>gt Abwechslung <strong>in</strong> den Alltag.<br />

Mehr als alle anderen charakterisieren der Integrations- <strong>und</strong> Harmonietyp<br />

Weihnachten als bes<strong>in</strong>nlich, feierlich <strong>und</strong> religiös. Diese drei Erlebniswerte<br />

hängen untere<strong>in</strong>ander stärker zusammen als mit anderen. Sie markieren den<br />

Unterschied <strong>in</strong> der Art, wie Christen <strong>und</strong> Nicht-Christen das Weihnachtsfest<br />

erleben (Schaubild 41). Sobald Religion <strong>in</strong>s Spiel kommt, erhält Weihnachten<br />

e<strong>in</strong>en bes<strong>in</strong>nlichen <strong>und</strong> feierlichen Charakter.<br />

Doch welchem <strong>Lebensstil</strong>milieu man auch immer angehört, ob man sich<br />

als Christ versteht oder nicht, auf e<strong>in</strong>er Skala von 1 bis 7 bezeichnen die<br />

Befragten ihre Weihnachtsfeier im Jahre 2004 als e<strong>in</strong>e gelungene Feier mit<br />

Werten zwischen 6 <strong>und</strong> 7.<br />

205


Erlebnisqualität von Weihnachten<br />

nach Christlichkeit<br />

Schaubild 41<br />

( 0 = niedrig; 3 = hoch)<br />

3<br />

Mittelw erte<br />

2.5<br />

2<br />

1.5<br />

1<br />

0.5<br />

0<br />

friedlich<br />

bes<strong>in</strong>nlich<br />

lustig<br />

förmlich<br />

ruhig<br />

konflicktreich<br />

gemütlich<br />

religiös<br />

betriebsam<br />

locker<br />

feierlich<br />

niedrige Christlichkeit<br />

ausgeprägte Christlichkeit<br />

14.4 Besuch der Mitternachtsmesse<br />

Neben der rituellen Begleitung bei Lebenswenden durch die Kirchen gehört<br />

der Besuch der Mitternachtsmesse an Weihnachten zu den religiösen Standardaktivitäten<br />

zahlreicher Kirchenmitglieder. Ke<strong>in</strong> Gottesdienst erhält grösseren<br />

Zuspruch als die Christmette an Weihnachten. Der Gottesdienst macht<br />

es möglich, für e<strong>in</strong>e Weile e<strong>in</strong>e ganz andere, e<strong>in</strong>e heilige Atmosphäre e<strong>in</strong>zuatmen.<br />

Die Hälfte der befragten Mütter <strong>und</strong> Väter (50.3%) geben an, im Jahre<br />

2004 an e<strong>in</strong>em Weihnachtsgottesdienst teilgenommen zu haben. In den Kirchen<br />

feiern <strong>in</strong> den Weihnachtstagen r<strong>und</strong> sechs Mal mehr junge Eltern geme<strong>in</strong>sam<br />

Gottesdienst als üblicherweise an den Sonntagen. 57.9% schätzen<br />

den weihnachtlichen Gottesdienstbesuch als sehr wichtig e<strong>in</strong> <strong>und</strong> weitere<br />

38.0% als eher wichtig. Gegen ihre <strong>in</strong>nere Überzeugung machten sich nur<br />

sehr wenige junge Väter <strong>und</strong> Mütter auf den Weg zur Kirche.<br />

Anders als der regelmässige Kirchgang an Sonntagen vermag der jährliche<br />

Gottesdienstbesuch an Weihnachten se<strong>in</strong>e Relevanz als Teil e<strong>in</strong>es familiären<br />

Festrituals zu wahren. Der Wochenrhythmus als Wechsel von Arbeit<br />

<strong>und</strong> Musse hat se<strong>in</strong>en Rückhalt <strong>in</strong> der familiären Organisation der Zeit weitgehend<br />

verloren. Durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten droht das kulturelle<br />

Zeitmuster von Sonn- <strong>und</strong> Werktagen aufgelöst zu werden, gr<strong>und</strong>ge-<br />

206


legt im biblischen Schöpfungsbericht: „Und Gott vollendete an sieben Tagen<br />

se<strong>in</strong>e Werke, die er machte, <strong>und</strong> ruhte am siebenten Tage von allen se<strong>in</strong>en<br />

Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag <strong>und</strong> heiligte<br />

ihn, weil er an ihm ruhte von allen se<strong>in</strong>en Werken, die Gott geschaffen<br />

<strong>und</strong> gemacht hatte.“ (Gen 2,2f.)<br />

Gottesdienstbesuch an Weihnachten<br />

Schaubild 42<br />

80%<br />

73.2%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

46.6%<br />

39.3%<br />

61.0%<br />

34.0%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Erlebnistyp<br />

Selbstverwirklichungstyp<br />

Harmonietyp Integrationstyp Unterhaltungstyp<br />

Der Gottesdienstbesuch zu Weihnachten variiert lebensstilspezifisch. Die<br />

stärkste Anziehungskraft übt er verständlicherweise auf die Angehörigen des<br />

Harmonie- <strong>und</strong> Integrationsmilieus aus. Beiden Milieus gehören überdurchschnittlich<br />

viele Personen an, die auch während des ganzen Jahres jeden<br />

Sonntag den Gottesdienst besuchen. Wird Weihnachten als ausgesprochen<br />

religiöses Fest verstanden, steigt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>es Gottesdienstbesuches<br />

am 24. oder 25. Dezember.<br />

Doppelt so oft wie die befragten Protestant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Protestanten<br />

(33.2%) g<strong>in</strong>gen Katholik<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Katholiken an Weihnachten zur Kirche<br />

(67.4%). Selbst etliche Menschen, die den Kirchen nicht angehören, legen<br />

Wert auf den Gottesdienstbesuch an Weihnachten. Jeder siebte Konfessionslose<br />

besuchte 2004 an Weihnachten e<strong>in</strong>en Gottesdienst.<br />

207


15. Resümee: Wechselwirkung zwischen <strong>Lebensstil</strong>,<br />

Religiosität <strong>und</strong> Ritualbedürfnis<br />

Zum ersten Mal <strong>in</strong> der Schweiz thematisiert e<strong>in</strong>e Repräsentativbefragung die<br />

Wechselbeziehungen zwischen <strong>Lebensstil</strong>, Religiosität <strong>und</strong> Ritualbedürfnis<br />

<strong>in</strong> <strong>Familien</strong> mit Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern. Im Zentrum der Befragung stand die lebensweltliche<br />

Verankerung der familiären Religiosität <strong>in</strong> ihren zwei zentralen<br />

Ausdrucksformen: Glaubenshaltung <strong>und</strong> Ritualpraxis. Die Auswertung der<br />

Repräsentativbefragung gibt Aufschluss darüber, wie Glaubensüberzeugungen,<br />

die Nachfrage nach religiösen Ritualen <strong>und</strong> Lebensmilieu mite<strong>in</strong>ander<br />

zusammenhängen:<br />

Von kirchlich geformter zu lebensstilgeprägter Religiosität<br />

Die meisten <strong>jungen</strong> Eltern verstehen sich selber als religiös, ohne sich mehrheitlich<br />

die kirchlich-<strong>in</strong>stitutionellen religiösen Inhalte zueigen zu machen. In<br />

der Studie zeigt sich e<strong>in</strong>e augenfällige Entflechtung zwischen offiziellkirchlicher<br />

auf der e<strong>in</strong>en <strong>und</strong> persönlicher <strong>in</strong> der Alltagsrealität gelebter Religiosität<br />

auf der andern Seite.<br />

Die Art <strong>und</strong> Weise religiösen Erlebens, Deutens <strong>und</strong> Handelns wird<br />

massgebend vom Lebensumfeld geprägt, <strong>in</strong> dem man sich bewegt, von den<br />

dort geltenden habituellen Mustern der Lebensführung. Die religiöse Verständigung<br />

unter den <strong>jungen</strong> Mütter <strong>und</strong> Vätern geschieht über das <strong>Lebensstil</strong>milieu,<br />

dem man persönlich angehört <strong>und</strong> immer weniger über die Mitgliedschaft<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der beiden grossen Konfessionskirchen. Die Suche nach<br />

handlungsleitender <strong>und</strong> stabilisierender religiöser Lebensf<strong>und</strong>ierung führt je<br />

nach <strong>Lebensstil</strong> zu unterschiedlichen Resultaten. Religiosität konstituiert sich<br />

als persönlicher, lebenskontextbezogener Entwurf <strong>in</strong> Kommunikation unter<br />

Personen mit ähnlichem <strong>Lebensstil</strong>muster.<br />

Milieutypische Religiosität jenseits <strong>in</strong>dividuell-religiöser Wahl<br />

Malise Ruthvens Buchtitel „Der göttliche Supermarkt. Auf der Suche nach<br />

der Seele Amerikas“ (1991) fasst griffig die gängige Vorstellung zusammen,<br />

die Menschen <strong>in</strong> der gegenwärtigen Gesellschaft würden autonom <strong>und</strong><br />

selbstbestimmt ihre Wahl aus e<strong>in</strong>em breiten Angebot von religiösen Weltanschauungen<br />

treffen. Religion wird analog zum Konsumsmarkt als private,<br />

<strong>in</strong>dividuelle Wahlangelegenheit betrachtet.<br />

Wie tief im zeitgenössischen Bewusstse<strong>in</strong> diese Vorstellung auch immer<br />

verankert se<strong>in</strong> mag, als Schlüssel zum Verständnis gelebter Religiosität <strong>in</strong> der<br />

heutigen Gesellschaft eignet sie sich nicht. Die religiöse Weltsicht ist eng<br />

verknüpft mit sozialen <strong>Lebensstil</strong>en <strong>und</strong> dem für sie charakteristischen Le-<br />

208


enskonzept, das deren Angehörige weder wählen noch bewusst als solches<br />

wahrnehmen. <strong>Lebensstil</strong>e strukturieren den Zugang zur Wirklichkeit <strong>und</strong><br />

deren Interpretation. Religion muss mit dem lebensimmanenten Selbstkonzept<br />

kompatibel se<strong>in</strong>, will sie plausibel ersche<strong>in</strong>en. Der Glaube ist nicht etwas,<br />

das der E<strong>in</strong>zelne aus e<strong>in</strong>em Angebot von religiösen Welt- <strong>und</strong> Lebensdeutungen<br />

auswählt, sondern Teil sozialisierter Verstehensmuster, die e<strong>in</strong><br />

Feld von Prämissen abgeben, an die e<strong>in</strong> Glaube anknüpfen kann <strong>und</strong> als passend<br />

empf<strong>und</strong>en wird. Religiosität ist <strong>in</strong> der Regel nicht das Produkt <strong>in</strong>dividueller<br />

Entscheidung, sondern vielfach e<strong>in</strong>e Folge der Anpassung an die<br />

soziale Umwelt.<br />

Die persönliche Religion ist e<strong>in</strong>e vom Habitus, wie Bourdieu sagen würde,<br />

<strong>in</strong>sofern abgesetzte Grösse, als sie bewusst als nichtimmanent markiert wird.<br />

Sie bezeichnet das, was bewusst geglaubt wird, was jedoch erst auf der Basis<br />

des Lebenskonzeptes bzw. Habitus entstehen kann. Geleitet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er religiösen<br />

Biographie wird der Mensch von se<strong>in</strong>em <strong>Lebensstil</strong>konzept, das Produkt<br />

se<strong>in</strong>er Sozialisation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Lebensstil</strong>milieu ist<br />

Die persönliche Glaubenshaltung basiert auf <strong>Lebensstil</strong> spezifischen Prägungen,<br />

die die Wahrnehmung, Interpretation <strong>und</strong> Weltsicht e<strong>in</strong>er Person<br />

steuern. Der E<strong>in</strong>zelne wird se<strong>in</strong>e soziale Herkunft <strong>und</strong> E<strong>in</strong>bettung niemals<br />

los. Gelebte Religiosität gründet <strong>in</strong> unbewussten Standards manifester <strong>Lebensstil</strong>typen.<br />

E<strong>in</strong>geschlossen im lebensstiltypischen Wirklichkeitsmodell s<strong>in</strong>d viele<br />

Aspekte der menschlichen Existenz, auch die Art der Religiosität. Sie ist <strong>in</strong><br />

die Aprioris der Alltagserkenntnis e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en, mit denen sich Subjekte <strong>in</strong><br />

ihrem Ambiente orientieren.<br />

Für die meisten Menschen stellt ihr Transzendenzbezug e<strong>in</strong>e Art Lebensh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

dar, der dann <strong>und</strong> wann aktualisiert wird, aber ansonsten ausgeblendet<br />

bleibt. Im Vordergr<strong>und</strong> des Lebens stehen Familie, Beruf, Fre<strong>und</strong>e,<br />

Freizeit, nicht aber Religion <strong>und</strong> Kirche. Anders als bei der Frage, wen man<br />

heiratet oder ob man überhaupt heiratet, ob <strong>und</strong> wie viele K<strong>in</strong>der man haben<br />

will, welchen Beruf man ergreift oder was man kauft, besteht <strong>in</strong> religiöser<br />

H<strong>in</strong>sicht ke<strong>in</strong> Entscheidungszwang. Man denkt <strong>und</strong> handelt vielfach so, wie<br />

es im persönlichen sozialen Umfeld üblich ist.<br />

Religiöser Glaube als konstitutives Milieuzeichen e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheit<br />

13,5% der <strong>Familien</strong> ordnen sich e<strong>in</strong>em <strong>Lebensstil</strong>milieu zu, <strong>in</strong> dem religiöses<br />

Erleben, Deuten <strong>und</strong> Handeln zentrale Bedeutung als kollektive Basismotivation<br />

der Lebensführung zukommt. Bildete bis Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts der<br />

Gegensatz katholisch-protestantisch e<strong>in</strong> zentrales Charakteristikum der Milieustruktur<br />

<strong>in</strong> der Schweiz, grenzt sich unter dem Druck verschärfter Modernisierungsprozesse<br />

e<strong>in</strong> Milieu mit explizit religiöser Existenzform von anderen<br />

sozialen Milieus ab.<br />

209


Der religiöse <strong>Lebensstil</strong>typ gruppiert vorzugsweise Angehörige des Intergrations-<br />

<strong>und</strong> Harmoniemilieus, die der Religion lebensstrukturierende<br />

Relevanz beimessen. Dieser <strong>Lebensstil</strong>typ hält fest an e<strong>in</strong>em geschlossenen<br />

System von Religion, Gesellschaft <strong>und</strong> Individuum – <strong>in</strong> Opposition zur Moderne,<br />

<strong>in</strong> der sich die e<strong>in</strong>zelnen gesellschaftlichen Teilsysteme wie Recht,<br />

Wirtschaft, Mediz<strong>in</strong>, Wissenschaft aus der Vorherrschaft der Religion gelöst<br />

haben <strong>und</strong> sich nach eigenen Spiel- <strong>und</strong> Verhaltensregeln gestalten. Der Religion<br />

kommt e<strong>in</strong>e zentrale Rolle für die <strong>in</strong>dividuelle <strong>und</strong> kollektive Identitätsbildung<br />

zu. Sie überwölbt wie e<strong>in</strong> Baldach<strong>in</strong> die gesamte Lebensführung.<br />

Ohne alltagsweltliche Veranlassung ke<strong>in</strong>e Nachfrage nach kirchlichen Ritualen<br />

Wir haben es mit e<strong>in</strong>em weit verbreiteten Ritualbedürfnis <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong><br />

zu tun. Die höchste Wertschätzung <strong>in</strong> Bezug auf die kirchlich angebotenen<br />

Rituale erfährt die Taufe des eigenen K<strong>in</strong>des (83.5%), gefolgt vom Wunsch<br />

nach e<strong>in</strong>er kirchlichen Bestattung (71.4%) <strong>und</strong> der Trauung <strong>in</strong> der Kirche<br />

(70.6%). Demgegenüber gehört die regelmässige Teilnahme am Kollektivritual<br />

Sonntagsgottesdienst nicht zu den bevorzugten Aktivitäten an Wochenenden.<br />

Nicht mehr der Wochenrhythmus bestimmt die Beziehung zur Kirche,<br />

sondern der lebensgeschichtliche Rhythmus. Vorzugsweise wird nicht Beziehung<br />

zur Kirche im Geme<strong>in</strong>schaftserlebnis des sonntäglichen Gottesdienstes<br />

gesucht, sondern an Knotenpunkten <strong>und</strong> Übergangsphasen des Lebens. Die<br />

geme<strong>in</strong>schaftsbildende Funktion von kirchlichen Ritualen tritt h<strong>in</strong>ter ihre<br />

Biografie sichernde Funktion zurück. Fehlt es an konkreten Anlässen im<br />

Leben, drängt sich der Gang zur Kirche nicht auf.<br />

Ritualpraxis als Ausdruck <strong>in</strong>nengeleiteter Religiosität<br />

Gesprochen wird heute von e<strong>in</strong>em „Megatrend Religion“ (Reg<strong>in</strong>a Polak),<br />

e<strong>in</strong>em „Trend zur Respiritualisierung“ (Matthias Horx, Paul M. Zulehner),<br />

von e<strong>in</strong>er „Renaissance der Religion“ (Hans Joas). Im letzten Viertel des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts glauben renommierte Zeitdiagnostiker beobachten zu können,<br />

dass sich die Entwicklung <strong>in</strong> Richtung Säkularisierung umgekehrt hat: „Gott<br />

ist wieder da!“ (Samuel P. Hunt<strong>in</strong>gton) Zum<strong>in</strong>dest für die Schweiz lässt sich<br />

e<strong>in</strong> Trend h<strong>in</strong> zur Religion empirisch nicht belegen. Dass dennoch so häufig<br />

von e<strong>in</strong>er Renaissance der Religion gesprochen wird, drückt vielmehr das<br />

Erstaunen über die anhaltende Transzendenzoffenheit der Menschen aus, das<br />

der gängigen Annahme e<strong>in</strong>es steten Bedeutungsverlustes der Religion als<br />

Folge der Modernisierungsprozesse widerspricht.<br />

Beobachten lässt sich allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Wende von religiöser Aussenstabilisierung<br />

durch die kirchlichen Institutionen zu <strong>in</strong>nengeleiteter Religiosität.<br />

Diese Innenorientierung offenbart die fortdauernde Nachfrage nach religiö-<br />

210


sen Ritualen. Die gegenwärtige Gesellschaft, die ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> gültigen<br />

<strong>und</strong> verlässlichen Gr<strong>und</strong>lagen mehr kennt, ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>samen geteilten<br />

Weltsichten <strong>und</strong> sozialen Ordnungen <strong>und</strong> die Menschen aus traditionalen<br />

Lebenszusammenhängen entlässt, provoziert <strong>in</strong> der Suche nach e<strong>in</strong>er kohärenten<br />

Identität e<strong>in</strong>e aus der eigenen Innenwelt entworfene Form von Religiosität.<br />

Was man selbst erfahren hat, gilt als Kriterium religiöser Wahrheit.<br />

Religion will erlebt se<strong>in</strong><br />

An Bedeutung zugenommen hat auf dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> veränderter Gesellschaftsbed<strong>in</strong>gungen<br />

der Erlebniswert von Religion. Religiöse Rituale s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong>sofern belangvoll, als sie bestimmte Wirkungen hervorrufen: Ergriffenheit,<br />

Betroffenheit, Geborgenheit, Selbstgewissheit, Kohärenzerfahrung, persönliche<br />

Rechtfertigung, Selbstbestätigung, die vom E<strong>in</strong>zelnen als heilsam, befreiend,<br />

tröstend. belebend, stärkend empf<strong>und</strong>en werden. Rituale werden von<br />

den <strong>jungen</strong> Vätern <strong>und</strong> Müttern als Gelegenheit erfahren, mit der Welt Gottes<br />

<strong>in</strong> Kontakt zu treten. Sie ermöglichen, strukturieren <strong>und</strong> entängstigen den<br />

Zugang zur Transzendenz. Im Ritual sche<strong>in</strong>t am ehesten erlebbar zu se<strong>in</strong>, was<br />

Religion leisten kann, die Vergegenwärtigung des Unbed<strong>in</strong>gten im Bed<strong>in</strong>gten,<br />

was e<strong>in</strong>en unausweichlich angeht, die s<strong>in</strong>nliche Repräsentanz des den<br />

S<strong>in</strong>nen Enthobenen.<br />

Die Nachfrage nach kirchlichen Ritualen liegt deutlich höher (67.3%) als<br />

die Zustimmung zu zentral christlichen Glaubensaussagen (46.4%). Bedeutend<br />

schwächer ausgeprägt als das Bedürfnis nach ritueller Begleitung bei<br />

Lebenswenden durch die Kirchen ist die Orientierung der <strong>jungen</strong> Generation<br />

an christlichen Glaubens<strong>in</strong>halten. In den kirchlichen Ritualen manifestiert<br />

sich e<strong>in</strong>e Religiosität jenseits von Bekenntnis <strong>und</strong> Moral. Man möchte den<br />

Bezug zur Transzendenz fühlen, die Deutung wird demgegenüber als sek<strong>und</strong>är<br />

empf<strong>und</strong>en. Im Ritual kann man sich von dem ergreifen lassen, was begrifflich<br />

nicht zu fassen ist.<br />

Rituale helfen zahlreichen Menschen über semantische Unsicherheiten <strong>in</strong><br />

der religiösen Selbstverortung h<strong>in</strong>weg. Unsicherheiten <strong>und</strong> Defizite im semantischen<br />

Bereich werden im rituellen Bereich aufgefangen. Die Nachfrage<br />

nach ritueller Lebensbegleitung durch die Kirchen be<strong>in</strong>haltet die Hoffnung,<br />

dass bei aller religiösen Sprachlosigkeit das Ritual se<strong>in</strong>e Kraft entfaltet. Ist<br />

ke<strong>in</strong>e explizite religiöse Lebensdeutung mehr verfügbar, bleibt der Glaube an<br />

die Wirkkraft der Rituale.<br />

Rituale erweisen sich als anschlussfähiger an unterschiedliche <strong>Lebensstil</strong>e<br />

als christlich-religiöse Inhalte <strong>und</strong> Dase<strong>in</strong>s<strong>in</strong>terpretationen. Ihre Symbolik<br />

lässt Rum für e<strong>in</strong>e breite Palette von Deutungen. Empf<strong>in</strong>den die e<strong>in</strong>en Rituale<br />

als existentielle Sicherheit <strong>in</strong> ewigen Wahrheiten, unh<strong>in</strong>terfragbaren Werten<br />

<strong>und</strong> Ordnungen, erfahren sie andere mit starker Betonung <strong>in</strong>dividueller Auto-<br />

211


nomie als Identitätssicherung <strong>und</strong> transzendentale Verankerung ihres lebensweltlichen<br />

Entwurfs.<br />

Das Dilemma der Grosskirchen<br />

In der Deutung der rituellen Symbolik durch die <strong>jungen</strong> Mütter <strong>und</strong> Väter<br />

spiegelt sich <strong>in</strong>nerkirchliche Pluralität. Viele von ihnen nehmen kirchliche<br />

Rituale <strong>in</strong> Anspruch, die ansonsten ke<strong>in</strong>e Beziehung zum kirchlichen Leben<br />

haben <strong>und</strong> die kirchenamtlichen Ritual<strong>in</strong>terpretationen nicht teilen. Sie identifizieren<br />

sich nicht, kaum oder nur teilweise mit theologisch-dogmatischen<br />

Deutungen <strong>und</strong> Aussagen, die von kirchlichen Autoritäten gemacht werden.<br />

Ihre Motivation Weihnachten zu feiern oder ihr K<strong>in</strong>d taufen zu lassen ist e<strong>in</strong>e<br />

andere, als sie es von der kirchlichen Lehre her zu se<strong>in</strong> hätte. Die Teilnahme<br />

an kirchlichen Ritualen entspr<strong>in</strong>gt dem Lebensalltag, der sich immer wieder<br />

dem persönlichen Zugriff entw<strong>in</strong>det <strong>und</strong> nach religiöser Bearbeitung verlangt.<br />

In den grossen Volkskirchen versammeln sich Menschen mit sehr unterschiedlichen<br />

Lebenskonzepten <strong>und</strong> Fixpunkten sozialer Identität. Die Kirchen<br />

halten ihre Aussengrenze relativ offen, lassen aufgr<strong>und</strong> der K<strong>in</strong>dertaufe be<strong>in</strong>ahe<br />

jeden <strong>und</strong> jede als Mitglied zu, b<strong>in</strong>den die Mitgliedschaft nicht an e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>sam geteilte <strong>und</strong> gelebte Glaubensüberzeugung. Setzen religiöse Bewegungen<br />

<strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen auf emotionale Vergeme<strong>in</strong>schaftung, auf Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

<strong>in</strong> Wertvorstellungen <strong>und</strong> hohe Identifikation der Mitglieder mit<br />

ihren Zielen <strong>und</strong> Überzeugungen, kennzeichnet religiöse Heterogenität die<br />

Volkskirchen.<br />

Auf den Punkt br<strong>in</strong>gt der Soziologe Roland Hitzler das Dilemma der<br />

grossen Kirchen: „Ihnen stehen zwei strategische Optionen offen. Zum e<strong>in</strong>en<br />

können sie sich auf ihre Glaubenswahrheit konzentrieren; das heisst, sie können<br />

sich (wieder) darauf bes<strong>in</strong>nen, Hüter<strong>in</strong>nen ihres jeweiligen dogmatischen<br />

Kernbestandes zu se<strong>in</strong>. Zum anderen können sie ihre organisatorischen Möglichkeiten<br />

nutzen <strong>und</strong> ihre über Jahrh<strong>und</strong>erte gewachsenen, hoch professionellen<br />

Kompetenzen zum Management von S<strong>in</strong>nfragen <strong>und</strong> zur Lösung von<br />

Lebensproblemen betonen.“ (Hitzler, 1996, 272) Die erste Strategie führt, zu<br />

Ende gedacht, zu e<strong>in</strong>er Gettoisierung der Kirchen. Sie dürften dann nur noch<br />

für relativ wenige Menschen attraktiv se<strong>in</strong>. Die zweite Strategie birgt die<br />

Gefahr, das zu verlieren, was man die ‚corporate identity’ der Kirchen nennen<br />

könnte.<br />

Die Kirchen drohen den Anschluss an die modernen <strong>Lebensstil</strong>milieus zu<br />

verlieren<br />

E<strong>in</strong>e grosse Verb<strong>und</strong>enheit mit dem kirchlich verfassten Christentum <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e hohe Nachfrage nach kirchlich-ritueller Lebensbegleitung besteht nach<br />

212


wie vor bei Angehörigen von traditionalen <strong>Lebensstil</strong>milieus, deren Lebensleitidee<br />

auf soziale Integration <strong>und</strong> Harmonie ausgerichtet ist. Die kirchlichen<br />

Symbole, Sprache <strong>und</strong> Ästhetik der Kirchen s<strong>in</strong>d mit der alltäglichen Lebensweise<br />

dieser Menschen eng verflochten. Die sonntäglichen Gottesdienstbesucher<br />

gehören zu 80% dem Integrations- <strong>und</strong> Harmoniemilieu an. Bei<br />

jenen, die nie zur Kirche gehen, ordnen sich lediglich 10% den beiden Stilgruppen<br />

zu.<br />

Nicht alle Menschen f<strong>in</strong>den heute gleichermassen Zugang zur christlichen<br />

Weltdeutung <strong>und</strong> zur Welt der Kirchen. Der <strong>Lebensstil</strong> bestimmt <strong>in</strong> erheblichem<br />

Masse das jeweilige Verhältnis zum kirchlich verfassten Christentum<br />

mit se<strong>in</strong>en Ritualen. Diese religiöse Milieuverengung verweist auf Defizite<br />

an lebensrelevanter Kommunikation <strong>in</strong> den grossen christlichen Kirchen. Sie<br />

haben erhebliche Kommunikationsprobleme mit den modernen <strong>Lebensstil</strong>milieus<br />

mit ihrem Hang zu eigenverantwortlicher Lebensführung, zum Selbstausdruck,<br />

zur Selbstvergewisserung <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em auf Selbstentfaltung ausgerichteten<br />

Umgang mit der Welt. Gesucht wird von Angehörigen dieser <strong>Lebensstil</strong>milieus<br />

der persönliche Selbstentwurf <strong>in</strong> der unüberschaubaren Fülle<br />

der Möglichkeiten, <strong>in</strong> der Suche nach e<strong>in</strong>em unabschliessbar gesteigerten<br />

Erleben des Lebens.<br />

Mit ihrer Semantik <strong>und</strong> Ästhetik erreichen die Kirchen die Menschen <strong>in</strong><br />

diesen Milieus kaum mehr. Selten sieht jemand von Angehörigen dieser<br />

Milieus den Bedarf oder Nutzen des aktuellen Leistungsangebots der Kirchen,<br />

zum<strong>in</strong>dest so, wie es semantisch <strong>und</strong> stilistisch kommuniziert wird. Die<br />

Kirchen s<strong>in</strong>d von ihrem aktuellen Leben so weit entfernt, dass sie <strong>in</strong> ihnen<br />

kaum lebensrelevante Bedeutung zu erkennen vermögen. Christliche Glaubens<strong>in</strong>halte<br />

werden <strong>in</strong> diesen <strong>Lebensstil</strong>milieus tendenziell ersetzt durch<br />

esoterisches Gedankengut.<br />

Wollen die Kirchen ihre kommunikative Anschlussfähigkeit an die modernen<br />

<strong>Lebensstil</strong>milieus nicht verlieren <strong>und</strong> musealer Stagnation verfallen,<br />

bedarf es besonderer Anstrengungen <strong>in</strong> der Vermittlung von kirchlichem<br />

Glauben <strong>und</strong> zeitgenössischer Lebenskultur. Gefordert ist e<strong>in</strong> Kirchenverständnis,<br />

das sich dem Test neuer Erfahrungen aussetzt <strong>und</strong> die Nähe zur<br />

Selbstwahrnehmung der Menschen sucht. Damit eröffnen sie sich die Chance,<br />

mit ihren Ritualen <strong>und</strong> deren Deutung für junge <strong>Familien</strong> auch <strong>in</strong> Zukunft<br />

von lebenspraktischer Bedeutung zu se<strong>in</strong>. Dies umso mehr, je mehr sie sich<br />

uneigennützig <strong>in</strong> den Dienst der heute so prekär gewordenen Identitätsf<strong>in</strong>dung<br />

stellen <strong>und</strong> sich als e<strong>in</strong>en Ort verstehen, an dem sich <strong>in</strong> der Symbolik<br />

ihrer Rituale Gr<strong>und</strong>ierung des eigenen Lebens im Unbed<strong>in</strong>gten ereignet <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der Dase<strong>in</strong>srisiken allgegenwärtig s<strong>in</strong>d.<br />

213


Ke<strong>in</strong> Ende der Religion<br />

Die unaufhaltsam voranschreitende Modernisierung führt nicht, wie von der<br />

Aufklärung erhofft <strong>und</strong> prognostiziert, zu e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Zerfall der<br />

Religiosität <strong>in</strong> <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong>. Religion hat zweifellos ihren unmittelbaren<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Gestaltung der Gesellschaft weitgehend e<strong>in</strong>gebüsst. Sie hat<br />

ihre gesellschafts<strong>in</strong>tegrative Kraft verloren <strong>und</strong> bildet nicht mehr ihr Leitsystem.<br />

Das schliesst nicht aus, dass Religion für die Menschen e<strong>in</strong>e relevante<br />

Grösse <strong>in</strong> ihrem Leben geblieben ist. Sie wird nach wie vor <strong>in</strong> Krisenlagen<br />

der persönlichen Lebensgeschichte gebraucht. Die Generation der heutigen<br />

Mütter <strong>und</strong> Väter ist – anders als vor noch wenigen Jahrzehnten von vielen<br />

befürchtet – nicht areligiös geworden, sondern bek<strong>und</strong>et nach wie vor e<strong>in</strong><br />

ausgeprägtes Bedürfnis nach transzendenter Verankerung des eigenen Lebens<br />

wie das ihrer K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> religiösen Ritualen.<br />

Die moderne Gesellschaft entmachtet <strong>und</strong> ermächtigt Religion zugleich.<br />

Die Grosskirchen verlieren an Macht <strong>und</strong> E<strong>in</strong>fluss, doch sieht sich jeder E<strong>in</strong>zelne<br />

im <strong>in</strong>terpersonalen Diskurs zur religiösen Selbstverortung herausgefordert<br />

<strong>und</strong> ermächtigt.<br />

214


Religiositätsprofile nach <strong>Lebensstil</strong>e<br />

Zeitoffener Erlebnistyp<br />

Religiositätsprofil<br />

Schaubild 43<br />

-11.1%<br />

Exklusive Christen<br />

Religiöse Orientierung<br />

Synkretistische Christen<br />

2.7%<br />

Transzendenzgläubige<br />

1.9%<br />

-2.6%<br />

Neureligiöse<br />

Religiöse Humanisten<br />

9.1%<br />

-10.5%<br />

Areligiöse<br />

Kirchgang m<strong>in</strong>d.<br />

monatlich<br />

Im<br />

-4.1%<br />

Weihnachtsgottesdienst<br />

Rituale<br />

K<strong>in</strong>d getauft<br />

4.6%<br />

-3.4%<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des sehr<br />

wichtig<br />

-1.7%<br />

Kirchlich getraut<br />

-8.5%<br />

-3.7%<br />

Kirchl. Beerdigung<br />

erwünscht<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der<br />

Kirche<br />

Konfessionslos<br />

Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

0.7%<br />

-8.4%<br />

Religiöse Familie<br />

Lebensführung<br />

-8.6%<br />

Gespräch über Religion <strong>in</strong><br />

Familie<br />

-10.9%<br />

-2.9%<br />

Lebenss<strong>in</strong>n durch<br />

Religion<br />

In Verantwortung vor Gott<br />

leben<br />

-15% -10% -5% 0% 5% 10%<br />

Abw eichungen vom Gesamtw ert<br />

215


Anspruchsvoller Selbstverwirklichungstyp<br />

Religiositätsprofil<br />

Schaubild 44<br />

-7.8%<br />

Exklusive Christen<br />

Religiöse Orientierung<br />

-5.5% Synkretistische Christen<br />

-4.5% Transzendenzgläubige<br />

Neureligiöse<br />

15.1%<br />

-0.9% Religiöse Humanisten<br />

Areligiöse<br />

3.5%<br />

-14.9%<br />

-11.4%<br />

Kirchgang m<strong>in</strong>d.<br />

monatlich<br />

Im<br />

Weihnachtsgottesdienst<br />

Rituale<br />

-10.9%<br />

K<strong>in</strong>d getauft<br />

-18.5%<br />

-19.0%<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des sehr<br />

wichtig<br />

Kirchlich getraut<br />

-19.7%<br />

Kirchl. Beerdigung<br />

erwünscht<br />

-12.7%<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der<br />

Kirche<br />

Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

Konfessionslos<br />

9.3%<br />

-15.3%<br />

-6.7%<br />

Religiöse Familie<br />

Gespräch über Religion<br />

<strong>in</strong> Familie<br />

Lebensführung<br />

-7.3%<br />

Lebenss<strong>in</strong>n durch<br />

Religion<br />

-13.7%<br />

In Verantwortung vor Gott<br />

leben<br />

-20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20%<br />

Abw eichungen vom Gesamtw ert<br />

216


Konventioneller Harmonietyp<br />

Religiositätsprofil<br />

Schaubild 45<br />

-1.2% Exklusive Christen<br />

Religiöse Orientierung<br />

Synkretistische Christen<br />

9.5%<br />

Transzendenzgläubige<br />

2.1%<br />

-6.3%<br />

Neureligiöse<br />

Religiöse Humanisten<br />

0.4%<br />

-4.6%<br />

Areligiöse<br />

Kirchgang m<strong>in</strong>d.<br />

monatlich<br />

Im<br />

Weihnachtsgottesdienst<br />

9.0%<br />

10.3%<br />

Rituale<br />

K<strong>in</strong>d getauft<br />

10.2%<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des sehr<br />

wichtig<br />

20.6%<br />

Kirchlich getraut<br />

10.6%<br />

Kirchl. Beerdigung<br />

erwünscht<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der<br />

Kirche<br />

11.0%<br />

13.9%<br />

Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

-7.0%<br />

Konfessionslos<br />

Religiöse Familie<br />

Lebensführung<br />

17.4%<br />

Gespräch über Religion<br />

<strong>in</strong> Familie<br />

Lebenss<strong>in</strong>n durch<br />

Religion<br />

4.7%<br />

6.0%<br />

In Verantwortung vor Gott<br />

leben<br />

14.4%<br />

-10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% 25%<br />

Abeichung vom Gesamtw ert<br />

217


Ehrenamtlich engagierter Integrationstyp<br />

Religiositätsprofil<br />

Schaubild 46<br />

Religiöse Orientierung<br />

Exklusive Christen<br />

28.1%<br />

Synkretistische Christen<br />

4.4%<br />

-5.2% Transzendenzgläubige<br />

-13.9%<br />

Neureligiöse<br />

-7.7% Religiöse Humanisten<br />

-5.7% Areligiöse<br />

Kirchgang m<strong>in</strong>d.<br />

monatlich<br />

Im<br />

Weihnachtsgottesdienst<br />

Rituale<br />

22.5%<br />

33.4%<br />

-2.8%<br />

K<strong>in</strong>d getauft<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des sehr<br />

wichtig<br />

7.5%<br />

Kirchlich getraut<br />

16.8%<br />

Kirchl. Beerdigung<br />

erwünscht<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der<br />

Kirche<br />

-6.1% Konfessionslos<br />

Religiöse Familie<br />

Gespräch über Religion <strong>in</strong><br />

Familie<br />

19.3%<br />

Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

30.4%<br />

Lebensführung<br />

23.2%<br />

26.6%<br />

Lebenss<strong>in</strong>n durch<br />

Religion<br />

12.5%<br />

In Verantwortung vor Gott<br />

leben<br />

27.8%<br />

-20% -10% 0% 10% 20% 30% 40%<br />

Abw eichung vom Gesamtw ert<br />

218


De<strong>in</strong>teressiert-passiver Unterhaltungstyp<br />

Religiositätsprofil<br />

Schaubild 47<br />

-8.8%<br />

Exklusive Christen<br />

Religiöse Orientierung<br />

-10.1%<br />

Synkretistische Christen<br />

Transzendenzgläubige<br />

7.1%<br />

Neureligiöse<br />

5.0%<br />

Religiöse Humanisten<br />

0.9%<br />

Areligiöse<br />

5.9%<br />

-16.8%<br />

-16.7%<br />

Kirchgang m<strong>in</strong>d.<br />

monatlich<br />

Im<br />

Weihnachtsgottesdienst<br />

Rituale<br />

K<strong>in</strong>d getauft<br />

2.3%<br />

-8.5%<br />

Taufe des K<strong>in</strong>des sehr<br />

wichtig<br />

-3.5% Kirchlich getraut<br />

-7.4%<br />

Kirchl. Beerdigung<br />

erwünscht<br />

-20.9%<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der<br />

Kirche<br />

Kirchenb<strong>in</strong>dung<br />

Konfessionslos<br />

1.1%<br />

-16.2%<br />

Religiöse Familie<br />

Lebensführung<br />

-16.8%<br />

Gespräch über Religion<br />

<strong>in</strong> Familie<br />

-7.7%<br />

Lebenss<strong>in</strong>n durch<br />

Religion<br />

-18.3%<br />

In Verantwortung vor Gott<br />

leben<br />

-25% -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10%<br />

Abw eichung vom Gesamtw ert<br />

219


8er-Modell der <strong>Lebensstil</strong>e<br />

Innengeleiteter Selbstverwirklichungstyp<br />

Schaubild 48<br />

-0.46<br />

Heimatfilme<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

0.53<br />

-0.36<br />

Shows/Quiz<br />

Techno/House<br />

Musikgeschmack<br />

0.42<br />

Jazz<br />

0.66<br />

Klassik<br />

0.55<br />

-0.7<br />

Schlager<br />

-0.64<br />

Volksmusik<br />

Sport treiben<br />

Freizeitaktivitäten<br />

0.5<br />

Musische Tätigkeiten<br />

0.39<br />

Yoga/Meditation<br />

1.51<br />

Private Weiterbildung<br />

0.88<br />

Internet nutzen<br />

0.51<br />

Computer nutzen<br />

0.46<br />

Tonträger hören<br />

0.39<br />

-0.3Zeitschriften lesen<br />

Bücher lesen<br />

0.64<br />

-0.8 -0.4 0 0.4 0.8 1.2 1.6<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

220


Ambitionslos-sozialdistanzierter<br />

Unterhaltungstyp<br />

Schaubild 49<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

-0.51<br />

Kunst/Kultursendungen<br />

Musikgeschmack<br />

-0.38<br />

Jazz<br />

-0.38<br />

Klassik<br />

Freizeitaktivitäten -0.58<br />

musische Tätigkeiten<br />

-0.37<br />

Besuch religiöser<br />

Anlässe<br />

-0.48<br />

Spiele im <strong>Familien</strong>kreis<br />

-0.32<br />

Besuch von<br />

Fre<strong>und</strong>en/Bekannten<br />

-0.37<br />

Videos/DVDs anschauen<br />

-0.72<br />

Tonträger hören<br />

Erziehungsziele<br />

-0.41<br />

Bücher lesen<br />

-0.78<br />

Zusammenleben fördern<br />

-0.34<br />

Selbstverwirklichung<br />

-0.41<br />

Geordnete Verhältnisse<br />

-0.38<br />

Hilfsbereitschaft<br />

-0.54<br />

Verantwortung vor Gott<br />

-0.8 -0.7 -0.6 -0.5 -0.4 -0.3 -0.2 -0.1 0<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

221


Zurückhaltend-konventioneller<br />

Unterhaltungstyp<br />

Schaubild 50<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

0.79<br />

Actionfilme<br />

0.86<br />

Krimis<br />

0.41<br />

-0.81<br />

-0.66<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

Politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

Spielfilme<br />

0.42<br />

-0.32<br />

Sportsendungen<br />

-1.23<br />

-1.14<br />

Jazz<br />

Klassik<br />

Musikgeschmack<br />

Volksmusik<br />

0.4<br />

-0.44<br />

Oper-/Konzertbesuch<br />

Freizeitaktivitäten<br />

-0.3<br />

-0.41<br />

Sport treiben<br />

Heimwerken<br />

-0.65<br />

-0.69<br />

-0.36<br />

Musische Tätigkeiten<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

Beteiligung an Politik<br />

-0.54<br />

Yoga/Meditation<br />

-0.85<br />

Private Weiterbildung<br />

-1.33<br />

-1.26<br />

Internet nutzen<br />

Computer nutzen<br />

Videos/DVDs anschauen<br />

0.31<br />

Tonträger hören<br />

0.44<br />

Geordnete Verhältnisse<br />

Pflichtbewusstse<strong>in</strong><br />

0.33<br />

0.31<br />

Erziehungsziele<br />

Erfolg<br />

0.37<br />

-1.5 -1 -0.5 0 0.5 1<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

222


Konventioneller Harmonietyp<br />

Schaubild 51<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

0.69<br />

Heimatfilme<br />

0.96<br />

-0.42 Kunst-/Kultursendungen<br />

Sportsendungen<br />

0.66<br />

Shows/Quiz<br />

0.78<br />

-0.44<br />

Jazz<br />

Musikgeschmack<br />

-0.54<br />

Klassik<br />

Schlager<br />

1.19<br />

Volksmusik<br />

1.09<br />

Sportveranstaltungen besuchen<br />

0.41 Freizeitaktivitäten<br />

Spiele im <strong>Familien</strong>kreis<br />

0.34<br />

-0.36<br />

Faulenzen<br />

Private -0.31 Weiterbildung<br />

-0.41<br />

Internet nutzen<br />

-0.31Computer nutzen<br />

Tonträger hören<br />

0.32<br />

-0.58<br />

Bücher lesen<br />

Geordnete Verhältnisse<br />

0.46<br />

Erziehungsziele<br />

Gesellschaftlicher Aufstieg<br />

0.36<br />

Traditionen wahren<br />

0.42<br />

Hilfsbereitschaft<br />

0.34<br />

Pflichtbewusstse<strong>in</strong><br />

0.48<br />

Erfolg<br />

0.42<br />

-0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

223


Religiöser Integrationstyp<br />

Schaubild 52<br />

-0.68<br />

-0.65<br />

Actionsfilme<br />

Krimis<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

-0.52<br />

Kunst/Kultursendungen<br />

-0.38<br />

Nachrichten<br />

-0.5<br />

Spielfilme<br />

-0.37<br />

-0.3 Sportsendungen<br />

Techno/House<br />

Musikgeschmack<br />

-0.55<br />

-0.48<br />

Punk/Heavy Metal<br />

Pop/Rock<br />

Schlager<br />

0.4<br />

Volksmusik<br />

0.7<br />

-0.34 K<strong>in</strong>o-/Discobesuch<br />

Freizeitaktivitäten<br />

-0.35<br />

Sportveranstaltungen besuchen<br />

-0.31<br />

Sport treiben<br />

Besuch religiöser Anlässe<br />

0.97<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

0.59<br />

-0.34<br />

Restaurantbesuch<br />

-0.63<br />

Yoga/Medidation<br />

-0.32<br />

-0.39<br />

Computer nutzen<br />

Tonträger hören<br />

-0.6<br />

Selbstverwirklichung<br />

-0.33 Gesellschaftlicher Aufstieg<br />

Erziehungsziele<br />

Verantwortung vor Gott<br />

0.84<br />

-0.64<br />

-0.6<br />

Genuss<br />

Abwechslung<br />

-0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

224


Expressiver Erlebnistyp<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

<strong>Familien</strong>serien<br />

0.45<br />

Schaubild 53<br />

Actionfilme<br />

1.15<br />

Krimis<br />

0.76<br />

-0.34<br />

Heimatfilme<br />

Spielfilme<br />

0.56<br />

Techno/House<br />

Musikgeschmack<br />

Punk/Heavy Metal<br />

Pop/Rock<br />

0.52<br />

0.81<br />

0.79<br />

-0.39<br />

Schlager<br />

-0.59<br />

Volksmusik<br />

-0.35 musische Tätigkeiten<br />

Freizeitaktivitäten<br />

-0.42<br />

Besuch religiöser<br />

Anlässe<br />

-0.4 Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

Restaurantbesuch<br />

0.46<br />

-0.45<br />

Yoga/Meditation<br />

Internet nutzen<br />

0.64<br />

Computer nutzen<br />

0.62<br />

Videos/DVDs anschauen<br />

0.47<br />

-0.4<br />

Bücher lesen<br />

-0.43 Verantwortung vor Gott<br />

Erziehungsziele<br />

-0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

225


Gesellschaftsoffener Integrationstyp<br />

Schaubild 54<br />

-0.49<br />

Actionfilme<br />

Fernsehgewonheiten<br />

Kunst-/Kultursendungen<br />

0.58<br />

Politische Magaz<strong>in</strong>e<br />

1<br />

Nachrichten<br />

0.45<br />

Sportsendungen<br />

0.56<br />

Musikgeschmack<br />

Jazz<br />

0.42<br />

Klassik<br />

0.5<br />

Oper-/Konzertbesuch<br />

0.3<br />

Freizeitaktivitäten<br />

Sportveranstaltungen<br />

besuchen<br />

0.49<br />

Sport treiben<br />

0.4<br />

Musische Tätigkeiten<br />

0.32<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

0.64<br />

Beteililgung an Politik<br />

0.65<br />

Ausflüge machen<br />

0.36<br />

Spiele im <strong>Familien</strong>kreis<br />

0.35<br />

Private Weiterbildung<br />

0.46<br />

Zeitschriften lesen<br />

0.36<br />

-0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

226


Musisch-unkonventioneller Niveautyp<br />

Schaubild 55<br />

-0.69<br />

Actionfilme<br />

Fernsehgewohnheiten<br />

-0.68<br />

Heimatfilme<br />

Kunst/Kultursendungen<br />

0.8<br />

-0.82<br />

Sportsendungen<br />

-0.97<br />

Shows/Quiz<br />

Musikgeschmack<br />

Jazz<br />

0.8<br />

Klassik<br />

0.79<br />

-1.06<br />

Schlager<br />

-0.8<br />

Volksmusik<br />

Freizeitaktivitäten<br />

Oper-/Konzertbesuch<br />

0.46<br />

-0.61 Sportveranstaltungen besuchen<br />

Musische Tätigkeiten<br />

0.81<br />

-0.48 Besuch religiöser Anlässe<br />

Private Weiterbildung<br />

0.36<br />

Bücher lesen<br />

0.66<br />

-0.65<br />

Geordnete Verhältnisse<br />

Erziehungsziele<br />

-0.5 Gesellschaftlicher Aufstieg<br />

-0.43 Traditionen wahren<br />

-0.34<br />

Hilfsbereitschaft<br />

-0.62<br />

Pflichtbewusstse<strong>in</strong><br />

-0.53<br />

Erfolg<br />

-0.45 Verantwortung vor Gott<br />

-1.2 -0.9 -0.6 -0.3 0 0.3 0.6 0.9<br />

Mittelw ertabw eichungen über 0.30 E<strong>in</strong>heiten<br />

227


Repräsentativität der Befragung<br />

1. Zielgruppe<br />

Die Befragung zu „Rituale <strong>und</strong> Ritualisierungen <strong>in</strong> <strong>Familien</strong>“ fand im Herbst<br />

2005 statt. Befragt wurden junge Eltern mit K<strong>in</strong>dern im Vorschul- <strong>und</strong><br />

Schulalter der Jahrgänge 1996 <strong>und</strong> 1999. Lebten zufällig K<strong>in</strong>der beider Jahrgänge<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Familie, wurden die Eltern gebeten, beim Ausfüllen des Fragebogens<br />

e<strong>in</strong>es der beiden K<strong>in</strong>der vor Augen zu haben.<br />

Aus Kostengründen wurde e<strong>in</strong>er schriftlichen Befragung der Vorzug gegeben.<br />

Sie beschränkte sich auf junge <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Deutschschweiz, e<strong>in</strong>geschlossen<br />

das Oberwallis <strong>und</strong> den deutschsprachigen Teil des Kantons<br />

Freiburg. Die zusätzliche Befragung von <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der Westschweiz<br />

<strong>und</strong> im Tess<strong>in</strong> hätte e<strong>in</strong>en beachtlichen Mehraufwand an Zeit <strong>und</strong> Arbeit<br />

erfordert, deshalb wurde darauf verzichtet.<br />

Da der Fragebogen lediglich <strong>in</strong> deutscher Sprache zur Verfügung stand,<br />

konnte er nur von Eltern mit ausreichenden Deutschkenntnissen ausgefüllt<br />

werden, was das Fehlen von Daten zu fremdsprachigen ausländischen <strong>Familien</strong><br />

erklärt. Die vorhandenen zeitlichen <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziellen Ressourcen liessen<br />

e<strong>in</strong>e Übersetzung des Fragebogens <strong>in</strong> mehreren Sprachen nicht zu.<br />

Das Kernanliegen der Befragung bestand dar<strong>in</strong>, E<strong>in</strong>sichten zu gew<strong>in</strong>nen<br />

<strong>in</strong> den komplexen Zusammenhang von religiösen familiären Ritualen <strong>und</strong><br />

deren alltagsweltliche E<strong>in</strong>bettung. Im Zentrum des Interesses standen die drei<br />

familiären Rituale: Taufe, Gute-Nacht-Ritual <strong>und</strong> Weihnachtsfeier. Die Konzentration<br />

der Befragung auf diese drei Rituale legte nahe, von vornhere<strong>in</strong><br />

auf die Befragung von <strong>Familien</strong> aus Ländern mit mehrheitlich islamischer<br />

Wohnbevölkerung zu verzichten. Dadurch wurde <strong>in</strong> Kauf genommen, dass<br />

auch <strong>Familien</strong>, die der orthodoxen Kirche angehören, ke<strong>in</strong>e Fragebogen erhielten.<br />

2. Auswahl der befragten <strong>Familien</strong><br />

Das Ziel war, mit der Befragung r<strong>und</strong> 3200 <strong>Familien</strong> anzusprechen, <strong>in</strong> der<br />

Erwartung, dass r<strong>und</strong> 40% von ihnen den Fragebogen ausfüllten. Bei repräsentativen<br />

Bevölkerungsquerschnitten muss <strong>in</strong> der Regel bei schriftlichen<br />

Befragungen mit e<strong>in</strong>er sehr bescheidenen Rücklaufquote gerechnet werden.<br />

Die Aktualität der Befragungsthematik <strong>in</strong> der Zielgruppe liess auf e<strong>in</strong>e überdurchschnittliche<br />

Rücklaufquote hoffen, gestützt auf e<strong>in</strong>e Erhebung unter<br />

<strong>jungen</strong> Eltern im Jahre 1984, die <strong>in</strong> diesem Jahr ihr K<strong>in</strong>d taufen liessen. Damals<br />

betrug der Rücklauf der Fragebogen 51,6% (SPI 1989,33).<br />

228


R<strong>und</strong> 10 Geburten jährlich auf 1000 E<strong>in</strong>wohner registriert das B<strong>und</strong>esamt<br />

für Statistik für die Schweiz. Um die erforderliche Quote von 3’200 <strong>Familien</strong><br />

für die Befragung zu erreichen, mussten demnach die politischen Geme<strong>in</strong>den,<br />

<strong>in</strong> denen die Befragung durchgeführt werden sollte, r<strong>und</strong> 160’000 E<strong>in</strong>wohner<br />

zählen. Die Verteilung dieser E<strong>in</strong>wohner nach Region <strong>und</strong> <strong>in</strong>nerhalb jeder<br />

Region nach Geme<strong>in</strong>degrössenklassen bildete den Schlüssel für die Auswahl<br />

der Geme<strong>in</strong>den.<br />

Zuerst musste also festgestellt werden, wie sich die Wohnbevölkerung auf<br />

die fünf Deutschschweizer Regionen Ostschweiz, Zürich, Zentralschweiz,<br />

Nordwestschweiz, Bern/Deutsch-Freiburg/Oberwallis prozentual aufteilte. In<br />

e<strong>in</strong>em zweiten Arbeitsschritt galt es, <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Regionen die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />

nach sechs Grössene<strong>in</strong>heiten aufzuschlüsseln: bis 2000/2001–<br />

5000/5001–10’000/10’001–30’000/30'001–70'000/über 70'000 E<strong>in</strong>wohner.<br />

Damit wurde gewährleistet, dass sich die unterschiedliche Geburtenhäufigkeit<br />

zwischen Stadt <strong>und</strong> Land <strong>in</strong> der Stichprobe widerspiegelt.<br />

In den jeweiligen Bevölkerungskategorien wurden so viele Geme<strong>in</strong>den<br />

ausgewählt, dass sie zusammen die ermittelte E<strong>in</strong>wohnerzahl ergaben. So<br />

hatten z.B. die für die Befragung ausgewählten Geme<strong>in</strong>den der Region Ostschweiz<br />

bis 2000 E<strong>in</strong>wohnern <strong>in</strong>sgesamt 5900 Personen zu zählen. Die Adressen<br />

der <strong>Familien</strong> mit K<strong>in</strong>dern der Jahrgänge 1996 <strong>und</strong> 1999 wurden über<br />

die E<strong>in</strong>wohnerkontrolle ermittelt. Lehnte e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de ab, die gewünschten<br />

Adressen zur Verfügung zu stellen, wurde e<strong>in</strong>e andere Geme<strong>in</strong>de der betreffenden<br />

Grössenkategorie ausgewählt. Um die Proportionalitäten der Stichprobe<br />

e<strong>in</strong>zuhalten, wurden aus den zur Verfügung gestellten Adressen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>igen Geme<strong>in</strong>den die zu befragenden <strong>Familien</strong> mittels e<strong>in</strong>er systematischen<br />

Zufallsauswahl ermittelt. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde bei der Auswahl der Geme<strong>in</strong>den<br />

darauf geachtet, dass Geme<strong>in</strong>den mit unterschiedlicher konfessionelle<br />

Zusammensetzung der Bevölkerung <strong>in</strong> die Stichprobe aufgenommen<br />

wurden. Aufgr<strong>und</strong> dieses Auswahlverfahrens gelangten 77 Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> die<br />

Stichprobe.<br />

3. Repräsentativität der Befragung<br />

Insgesamt 3243 Haushalte erhielten e<strong>in</strong>en Fragebogen. 41,4% schickten ihn<br />

ausgefüllt zurück, e<strong>in</strong>e weit überdurchschnittliche Rücklaufquote für e<strong>in</strong>e<br />

schriftliche Befragung. Dies ergab 1344 verwertbare Fragebogen. Je nach<br />

Region schwankte die Rücklaufquote zwischen 35,8% aus der Nordwestschweiz<br />

<strong>und</strong> 47,7% aus der Region Zürich, 46,6% aus Geme<strong>in</strong>den zwischen<br />

2500 <strong>und</strong> 5000 E<strong>in</strong>wohnern <strong>und</strong> 34,8% aus Geme<strong>in</strong>den mit über 70’000<br />

E<strong>in</strong>wohnern.<br />

229


Tabelle 53<br />

Verschickte Fragebogegen<br />

Ausgefüllte Fragebo-<br />

Differenz<br />

Region<br />

absolut <strong>in</strong> % absolut <strong>in</strong> % <strong>in</strong> %<br />

Bern 654 20.2 298 22.2 +2.0<br />

Nordwestschweiz 731 22.5 262 19.5 –3.0<br />

Ostschweiz 676 20.7 296 22.0 +1.3<br />

Zentralschweiz 444 13.7 212 15.8 +2.1<br />

Zürich 738 22.7 276 20.5 –2.2<br />

Insgesamt 3243 100.0 1344 100.0 –<br />

Tabelle 54<br />

Verschickte Fragebogebogen<br />

Ausgefüllte Frage-<br />

Differenz<br />

Geme<strong>in</strong>degrösse<br />

E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />

absolut <strong>in</strong> % absolut <strong>in</strong> % <strong>in</strong> %<br />

über 70'000 468 14.4 165 12.3 –2.1<br />

30’001–70’000 103 3.2 46 3.4 +0.2<br />

10’001–30’000 741 22.8 291 21.7 –1.1<br />

5001–10’000 529 16.3 215 16.0 –0.3<br />

2501–5000 913 28.2 399 29.7 +1.5<br />

bis 2500 489 15.1 228 17.0 +1.9<br />

Insgesamt 3243 100.0 1344 100.0 –<br />

In 83.3% der <strong>Familien</strong> erachteten es die Mütter als ihre Aufgabe, den Fragebogen<br />

auszufüllen. Nach dem Religionsmonitor Schweiz 2008 der Bertelsmann<br />

Stiftung halten Frauen ganz allgeme<strong>in</strong> Religiosität für im Leben wichtiger<br />

als die Männer (38.6% gegenüber 27.8%). Öfter als Männer (16.8%)<br />

verstehen sich Frauen (29.3%) als hoch religiös. In den multivariaten Analysen<br />

der Sonderfall-Studie von 1999 zeigte sich ebenfalls, dass „die Frauen<br />

sich signifikant durch höhere <strong>in</strong>stitutionelle Religiosität von den Männern<br />

unterscheiden“ (Stolz 2004, 84). Der Kirchgang der Mütter erwies sich als<br />

der wichtigste Erklärungsfaktor erhöhter Religiosität im Erwachsenenalter<br />

(Dubach, Fuchs 2005, 146). Die Pflege der expressiven Religiosität <strong>in</strong> der<br />

Familie wird von den Männern gerne an ihre Partner<strong>in</strong>nen delegiert. Sie<br />

kümmern sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um die religiöse Erziehung ihrer K<strong>in</strong>der, beantworten<br />

ihre religiösen Fragen, erzählen biblische Geschichten, verarbeiten<br />

zentrale Lebensthemen wie Liebe, Verlust, Tod, sehen sich mit ihren K<strong>in</strong>dern<br />

christliche Bilderbücher an, gestalten religiöse Feste, beten beim Zubettbr<strong>in</strong>gen<br />

mit ihren K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> sorgen für die Atmosphäre e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

<strong>Familien</strong>religiosität. (Kle<strong>in</strong> 2007)<br />

Die Mütter repräsentieren <strong>in</strong> hohem Masse den religiösen Stil <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Familie. Der Ehe- oder Lebenspartner teilt <strong>in</strong> der Regel deren religiöses<br />

Selbstverständnis. Ehe- oder Lebenspartner können demnach gegenseitig<br />

füre<strong>in</strong>ander sprechen. In der Sonderfallstudie von 1999 sagten 73.5% der<br />

230


Befragten von sich, dass sie <strong>in</strong> religiöser H<strong>in</strong>sicht die gleiche Me<strong>in</strong>ung vertreten<br />

wie ihr Partner oder ihre Partner<strong>in</strong>. 82.1% der (Ehe-)Partner, die jeden<br />

Sonntag <strong>in</strong> die Kirche gehen, werden von ihrer Lebenspartner<strong>in</strong> oder Lebenspartner<br />

begleitet; bei jenen, die nie e<strong>in</strong>en Gottesdienst besuchen, bleiben <strong>in</strong><br />

95.6% der Fälle beide zu Hause.<br />

Lebenspartner pflegen nicht nur tendenziell e<strong>in</strong> aufe<strong>in</strong>ander abgestimmtes<br />

religiöses Erleben, Deuten <strong>und</strong> Handeln. Michael Vester vermutet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

<strong>Lebensstil</strong>studien, dass das Zusammense<strong>in</strong> der Geschlechter <strong>in</strong> den Haushalten<br />

mit typologisch ähnlichen Gr<strong>und</strong>haltungen zusammen hängt (Vester<br />

2001, 247). Die gleiche Feststellung machen Andreas Klocke <strong>und</strong> Detlev<br />

Lück <strong>in</strong> ihrer Datenanalyse des Allbus 1998 <strong>und</strong> des Sozioökonomischen<br />

Panel (S0EP) von 1998 <strong>in</strong> Deutschland. „Die Analyse zeigt im Wesentlichen,<br />

dass <strong>Familien</strong>mitglieder tendenziell gleiche <strong>Lebensstil</strong>e pflegen … Besonders<br />

stark ist die Entsprechung zwischen den Partnern“ (Klocke, Lück 2001, 45).<br />

Den Gr<strong>und</strong> dafür vermuten sie e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>facheren <strong>und</strong> harmonischeren<br />

geme<strong>in</strong>samen Lebensführung <strong>und</strong> andererseits <strong>in</strong> der leichteren geme<strong>in</strong>samen<br />

Lebensplanung. Insgesamt, so das Resümee ihrer Untersuchung,<br />

„werden von den Paaren … ganz überwiegend identische <strong>Lebensstil</strong>e gelebt“<br />

(a.a.O., 47).<br />

Lediglich Vermutungen lassen sich <strong>in</strong> Bezug auf die Frage anstellen, <strong>in</strong>wieweit<br />

die befragten <strong>Familien</strong> e<strong>in</strong> Abbild der <strong>Familien</strong> mit K<strong>in</strong>dern der<br />

Jahrgänge 1996 <strong>und</strong> 1999 <strong>in</strong> der Gesamtbevölkerung darstellen. Für e<strong>in</strong>en<br />

Datenvergleich bietet sich der Schweizer Haushalt-Panel (SHP) aus dem<br />

Erhebungsjahr 2005 an. Mit se<strong>in</strong>er Hilfe lassen sich zum<strong>in</strong>dest Annäherungswerte<br />

eruieren zwischen Haushalten <strong>in</strong> ähnlicher Lebenslage. Die Datenbasis<br />

des Haushalt-Panel erlaubt die Selektion von Haushalten, <strong>in</strong> denen<br />

K<strong>in</strong>der unter 18 Jahren wohnen <strong>und</strong> ihren Wohnsitz <strong>in</strong> der Deutschschweiz<br />

haben. Während <strong>in</strong> der vorliegenden Studie auch <strong>Familien</strong> aus den deutschsprachigen<br />

Regionen der Kantone Freiburg <strong>und</strong> Wallis erfasst wurden, fehlen<br />

sie <strong>in</strong> den Daten aus dem Haushalt-Panel. E<strong>in</strong> Blick auf die nachfolgenden<br />

Tabellen macht deutlich, dass die Haushalte <strong>in</strong> beiden Erhebungen annähernd<br />

ähnliche Merkmalsverteilungen aufweisen, sowohl <strong>in</strong> Bezug auf die Religionszugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> den sonntäglichen Kirchgang wie auch h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihrer sozialen Schicht.<br />

Tabelle 55<br />

Frauen<br />

Männer<br />

Religionszugehörigkeit Haushalt- Ritualstudie<br />

Panel studie<br />

Haushalt- Ritual-<br />

Panel<br />

Evangelisch-reformiert 35.0% 35.9% 31.0% 31.6%<br />

Evangelische Freikirche – 5.4% – 4.8%<br />

Römisch-katholisch 40.8% 43.5% 42.2% 45.7%<br />

Christkatholisch 5.2% 1.6% 5.2% 1.8%<br />

Andere rel. Geme<strong>in</strong>schaft 4.9% 4.7% 6.3% 5.0%<br />

Ke<strong>in</strong>e 14.0% 8.9% 14.7% 11.2%<br />

231


Tabelle 56<br />

Kirchgang<br />

Haushalt-Panel<br />

Ritualstudie<br />

Frauen<br />

83.3% Frauen<br />

Jeden Sonntag 12.9% 8.6%<br />

1–2 mal monatlich 13.5% 17.9%<br />

Gelegentlich (Festtage) 39.0% 42.9%<br />

Selten (<strong>Familien</strong>anlässe) 29.7% 22.4%<br />

Nie 5.0% 8.2%<br />

Nach den Ergebnissen der Volkszählung 2000 bezeichnen sich 0.18% der<br />

Bevölkerung als Mitglieder der Christkatholischen Kirche. Im Haushalt-<br />

Panel s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong> den selektionierten Haushalten 5.2%. Muss davon ausgegangen<br />

werden, dass <strong>in</strong> den Daten des Haushalt-Panels die Christkatholiken<br />

übervertreten s<strong>in</strong>d, haben sich Angehörige der Freikirchen öfter als andere an<br />

der Ritualbefragung beteiligt, weniger jene, die ke<strong>in</strong>er Religionsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

angehören. Im Haushalt-Panel wurde nicht explizit nach der Zugehörigkeit zu<br />

e<strong>in</strong>er Freikirche gefragt. Die eher bescheidenen Disproportionalitäten <strong>in</strong> der<br />

Religionszugehörigkeit wirken sich kaum auf das Kirchgangverhalten aus.<br />

Tendenziell besuchen die Referenzpersonen <strong>in</strong> der Ritualstudie etwas weniger<br />

oft den sonntäglichen Gottesdienst. Den Kirchen wohlges<strong>in</strong>nte Mütter<br />

<strong>und</strong> Väter fühlten sich angesichts der Befragungsthematik nicht stärker motiviert,<br />

den ihnen zugeschickten Fragebogen auszufüllen. Der Sonntagsgottesdienstbesuch<br />

der <strong>jungen</strong> Eltern entspricht <strong>in</strong> etwa den Gottesdienstbesuch-<br />

Gewohnheiten der heutigen Elterngeneration <strong>in</strong> der Deutschschweiz.<br />

Tabelle 57<br />

<strong>Familien</strong>e<strong>in</strong>kommen Haushalt-Panel Ritualstudie<br />

Unter Fr. 4000.– 8.2% 10.6%<br />

Fr. 4001.– bis Fr. 6000.– 24.4% 35.5%<br />

Fr. 6001.– bis Fr. 8000.– 29.7% 26.3%<br />

Fr. 8001.– bis Fr. 10'000.– 17.2% 14.0%<br />

Fr. 10'001.– bis 15'000.– 15.3% 10.9%<br />

Über Fr. 15'000.– 5.2% 2.7%<br />

Tabelle 58<br />

Frauen<br />

Männer<br />

Schulabschluss<br />

Haush.-<br />

Panel<br />

Ritualstudie<br />

Haush.-<br />

Panel<br />

Ritualstudie<br />

Ke<strong>in</strong>er 3.3% 0.3% 6.7% 0.4%<br />

Obligatorische, berufsvorbereitende<br />

Schule, Anlehre<br />

24.6% 10.6% 13.3% 7.0%<br />

Berufslehre, Vollzeit-<br />

Berufschule<br />

37.9% 52.6% 40.9% 37.0%<br />

Matura 14.1% 5.3% 8.2% 2.7%<br />

Höhere Berufs-, Fachausbildung, 8.2% 21.9% 16.5% 36.6%<br />

Universität, Hochschule 11.9% 9.4% 14.3% 16.3%<br />

232


Tabelle59<br />

Berufsgruppen: Männer (nach ISCO-88)<br />

Haushalt- Ritualstudie<br />

Panel<br />

Führungskräfte <strong>in</strong> Verwaltung <strong>und</strong> Wirtschaft 10.0% 12.6%<br />

Intellektuelle <strong>und</strong> wissenschaftliche Berufe 21.9% 20.2%<br />

Techniker <strong>und</strong> gleichrangige nichttechnische Berufe 19.7% 22.3%<br />

Bürokräfte 7.4% 6.9%<br />

Dienstleistungsberufe 4.8% 4.8%<br />

Landwirtschaft 6.7% 8.0%<br />

Handwerk 16.0% 18.7%<br />

Masch<strong>in</strong>enbediener, -montierer 5.6% 5.0%<br />

Hilfskräfte 6.0% 1.5%<br />

Die Beobachtung, dass Personen <strong>in</strong> tiefen sozialen Schichten weniger geneigt<br />

s<strong>in</strong>d, sich an schriftlichen Befragungen zu beteiligen, widerspiegelt sich <strong>in</strong><br />

der Rücklaufquote der Ritualerhebung. Die Daten des Haushalt-Panels wurden<br />

mit computergestützten Telefon<strong>in</strong>terviews erhoben.<br />

Aus dem Vergleich mit den Haushalten im Schweizer Haushalt-Panel ergibt<br />

sich, dass die Ergebnisse der vorliegenden Ritualstudie im Grossen <strong>und</strong><br />

Ganzen repräsentativ se<strong>in</strong> dürften für die heutigen <strong>jungen</strong> <strong>Familien</strong> <strong>in</strong> der<br />

Deutschschweiz mit K<strong>in</strong>dern im Vor- <strong>und</strong> Schulalter.<br />

233


Fragebogen mit L<strong>in</strong>earauszählung<br />

234


Befragung <strong>Familien</strong>rituale<br />

Wir danken Ihnen vielmals für die Bereitschaft zum Ausfüllen des Fragebogens<br />

über Rituale <strong>in</strong> Ihrer Familie. Wir werden Ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Teil<br />

Fragen zu Gute-Nacht-Ritualen, Weihnachten <strong>und</strong> Taufe stellen. In e<strong>in</strong>em<br />

zweiten Teil <strong>in</strong>teressieren wir uns allgeme<strong>in</strong> für Ihre Wertvorstellungen <strong>und</strong><br />

Lebensgewohnheiten.<br />

Unsere Fragen, sofern nicht anders angegeben, beziehen sich immer auf<br />

Ihr K<strong>in</strong>d, das im Jahr 1996 oder 1999 zur Welt gekommen ist. Es ist für<br />

uns wichtig, dass Sie beim Ausfüllen des Fragebogens e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

K<strong>in</strong>d vor Augen haben – auch wenn Sie zwei K<strong>in</strong>der mit den entsprechenden<br />

Jahrgängen haben. Geben Sie uns deshalb bitte zuerst Alter<br />

<strong>und</strong> Geschlecht des K<strong>in</strong>des an, für das Sie die Fragen beantworten wollen.<br />

Alter des K<strong>in</strong>des: 54.5% 1996 45.5% 1999<br />

Geschlecht: 51.1% männlich 48.9% weiblich<br />

E<strong>in</strong> tägliches Ritual <strong>in</strong> <strong>Familien</strong> ist das Zubettgehen der K<strong>in</strong>der. Wir<br />

stellen Ihnen zuerst e<strong>in</strong>ige Fragen dazu.<br />

1. Wie hat sich das Ins-Bett-Gehen Ihres K<strong>in</strong>des gestern Abend abgespielt?<br />

Es kam vor (Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d möglich):<br />

24.8% “I ghöre es Glöggli” s<strong>in</strong>gen<br />

17.2% Anderes Lied s<strong>in</strong>gen<br />

Nämlich: ………………………………………………<br />

8.6% Fernseh schauen<br />

21.5% Kassette/CD hören<br />

37.4% Gebet sprechen<br />

5.6% Frieden machen<br />

.3% Geschichte aus e<strong>in</strong>em Buch vorlesen oder erzählen<br />

(ohne religiösen Inhalt)<br />

6.8% Geschichte aus e<strong>in</strong>em Buch vorlesen oder erzählen<br />

(mit religiösem Inhalt)<br />

5.6% Selber erf<strong>und</strong>ene Geschichte erzählen (ohne religiösen Inhalt)<br />

1.1% Selber erf<strong>und</strong>ene Geschichte erzählen (mit religiösem Inhalt)<br />

25.3% Das K<strong>in</strong>d las selber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch<br />

13.8% Das K<strong>in</strong>d beschäftigte sich noch für sich alle<strong>in</strong><br />

235


7.8% Zimmer aufräumen<br />

88.2% Gute-Nacht-Kuss geben<br />

56.1% Noch über den Tag sprechen<br />

13.7% Anderes, nämlich: ………………………….……………<br />

0.1% Kann ich nicht sagen<br />

2. Wie stark bestimmte Ihr K<strong>in</strong>d, was beim Ins-Bett-Gehen geschah?<br />

14.7% Stark<br />

55.0% Mittel<br />

20.8% Schwach<br />

8.8% Gar nicht<br />

0.6% Weiss nicht<br />

3. Wer brachte gestern Abend Ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>s Bett?<br />

(Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d möglich)<br />

81.3% Mutter des K<strong>in</strong>des<br />

46.5% Vater des K<strong>in</strong>des<br />

1.3% Partner der Mutter<br />

0.1% Partner<strong>in</strong> des Vaters<br />

0.9% Grosseltern<br />

0.2% Babysitter/-<strong>in</strong><br />

2.5% Geschwister<br />

0.9% Andere: …………………………………….<br />

5.1% Unser K<strong>in</strong>d g<strong>in</strong>g ohne Begleitung <strong>in</strong>s Bett<br />

0.1% Ich weiss nicht<br />

4. Wie lange dauerte das Ins-Bett-Gehen Ihres K<strong>in</strong>des?<br />

Es dauerte 19.51 M<strong>in</strong>uten (Mittelwert)<br />

Kann ich nicht sagen 6.2%<br />

5. Wann war Ihr K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>geschlafen?<br />

Dies war ungefähr um<br />

20 bis 21 Uhr 52.7%<br />

21 bis 22 Uhr 37.4%<br />

Kann ich nicht sagen 4.5%<br />

236


6. Inwieweit treffen die folgenden Eigenschaften auf das gestrige Ins-<br />

Bett-Gehen des K<strong>in</strong>des zu? Bitte antworten Sie anhand der Skala mit<br />

den 5 Abstufungen von „trifft nicht zu“ bis „trifft zu“.<br />

trifft nicht zu<br />

trifft zu<br />

a Geregelt 1.5% 2.1% 7.5% 20.3% 68.5% 4<br />

b Andächtig 38.0% 19.9% 26.5% 10.0% 5.6%<br />

c Konfliktreich 63.1% 18.3% 10.0% 5.2% 3.3%<br />

d Locker 3.0% 6.4% 18.1% 30.9% 41.5%<br />

e Fröhlich 2.1% 4.6% 18.5% 32.4% 42.3%<br />

f Zärtlich 2.0% 2.1% 11.0% 27.3% 57.6%<br />

g Distanziert 90.3% 5.6% 1.7% 1.2% 1.2%<br />

h Religiös 42.9% 15.3% 22.3% 11.6% 7.9%<br />

i Langfädig 62.9% 16.8% 11.6% 5.9% 2.8%<br />

k Alltäglich 4.7% 4.8% 15.7% 23.9% 50.9%<br />

7. Denken Sie nun allgeme<strong>in</strong> ans Ins-Bett-Gehen Ihres K<strong>in</strong>des/Ihrer<br />

K<strong>in</strong>der. Wie zutreffend s<strong>in</strong>d die folgenden Aussagen? Diese Zeit vor<br />

dem Schlafen ist <strong>in</strong> unserer Familie e<strong>in</strong>e Zeit, …<br />

a die wichtig ist für das E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Durchschlafen<br />

unseres K<strong>in</strong>des/unserer K<strong>in</strong>der.<br />

b <strong>in</strong> der D<strong>in</strong>ge zur Sprache kommen, die im<br />

Alltag untergehen.<br />

c <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der Nähe, Liebe <strong>und</strong><br />

Zärtlichkeit erleben.<br />

d <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der auf Gott zu sprechen<br />

kommen.<br />

trifft zu<br />

trifft<br />

eher zu<br />

trifft eher<br />

nicht zu<br />

trifft<br />

nicht zu<br />

4.9% 11.8% 29.9% 53.5%<br />

5.5% 22.8% 39.3% 32.4%<br />

.6% 2.5% 27.3% 67.7%<br />

22.3% 30.2% 28.2% 19.2%<br />

e <strong>in</strong> der alles se<strong>in</strong>e schöne Ordnung hat. 5.0% 3 18.6% 55.2% 21.2%<br />

f <strong>in</strong> der wir spüren, dass wir als Familie alle unter<br />

e<strong>in</strong> Dach gehören.<br />

2.9% 9.2% 34.5% 53.4%<br />

g <strong>in</strong> der wir Gott für das Gute danken, das der<br />

Tag gebracht hat.<br />

24.5% 24.7% 21.6% 29.2%<br />

h <strong>in</strong> der wir spüren, dass es etwas gibt, das über<br />

uns steht.<br />

19.1% 27.6% 29.5% 23.8%<br />

i <strong>in</strong> der wir Ungutes vom Tag bere<strong>in</strong>igen. 8.0% 16.0% 39.4% 36.6%<br />

j <strong>in</strong> der wir über die „grossen Fragen“ reden<br />

können.<br />

9.4% 29.5% 37.1% 24.0%<br />

k <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der zu Gott beten lernen. 26.3% 22.7% 23.9% 27.0%<br />

l <strong>in</strong> der wir spüren, dass wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em grossen<br />

Ganzen aufgehoben s<strong>in</strong>d.<br />

14.3% 27.0% 36.6% 22.0%<br />

m<strong>in</strong> der wir mite<strong>in</strong>ander etwas erleben, was uns<br />

als Familie gut tut.<br />

4.5% 15.2% 43.7% 36.6%<br />

237


n <strong>in</strong> der wir dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>dern etwas Wertvolles<br />

weitergeben (Geschichten, Lieder usw.).<br />

o <strong>in</strong> der wir etwas erleben, das sich schwer <strong>in</strong><br />

Worte fassen lässt.<br />

p <strong>in</strong> der wir an Grosseltern <strong>und</strong> an Menschen<br />

denken, die zu uns gehören.<br />

q <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der Halt <strong>und</strong> Geborgenheit<br />

im Leben erfahren.<br />

r <strong>in</strong> der wir dem K<strong>in</strong>d/den K<strong>in</strong>dern von Gott <strong>und</strong><br />

von Jesus Christus erzählen.<br />

s <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d/die K<strong>in</strong>der ruhig werden <strong>und</strong> zu<br />

sich kommen können.<br />

t <strong>in</strong> der wir unserem K<strong>in</strong>d/unsern K<strong>in</strong>dern als<br />

Eltern noch das geben können, was tagsüber zu<br />

kurz gekommen ist.<br />

2.4% 11.5% 32.8% 53.3%<br />

15.8% 34.9% 28.9% 20.4%<br />

14.9% 33.1% 30.2% 21.7%<br />

1.8% 7.1% 35.9% 55.2%<br />

28.5% 33.4% 23.0% 15.0%<br />

1.1% 4.3% 39.2% 55.4%<br />

6.7% 19.5% 37.4% 36.3%<br />

Wir kommen nun zur letzten Frage zu den Gute-Nacht-Ritualen<br />

8. Bitte tragen Sie <strong>in</strong> der folgenden Skala e<strong>in</strong>, wie stark sich das Ins-<br />

Bett-Gehen <strong>in</strong> Ihrer heutigen Familie vom Ins-Bett-Gehen <strong>in</strong> Ihrer<br />

Herkunftsfamilie unterscheidet. (Kreuzen Sie bitte nur e<strong>in</strong>en Wert<br />

an.)<br />

1 2 3 4 5 6 7<br />

9.9% 23.8% 18.9% 16.5% 13.1% 10.2% 7.5%<br />

Unterscheidet sich<br />

Unterscheidet sich<br />

überhaupt nicht<br />

sehr stark<br />

Wir kommen nun zu e<strong>in</strong>igen Fragen zu Weihnachten. Denken Sie dabei<br />

bitte an das zurückliegende Weihnachtsfest 2004.<br />

9. Manche <strong>Familien</strong> feiern Weihnachten mehrere Male. Wie oft haben<br />

Sie Weihnachten 2004 mit <strong>Familien</strong>angehörigen gefeiert?<br />

1 bis 2 mal 70.4%<br />

3 bis 4 mal 27.4%<br />

10. An wie vielen von diesen Weihnachtsfeiern waren Grosselternteile<br />

Ihrer K<strong>in</strong>der anwesend?<br />

An ke<strong>in</strong>er Feier 2.3%<br />

An 1 Feier 37.5%<br />

An 2 Feiern 42.4%<br />

An 3 Feiern 6.8%<br />

238


Falls Sie mehrere Male gefeiert haben, denken Sie bitte bei der Beantwortung<br />

aller folgenden Fragen an die Feier, die für Sie die wichtigste<br />

war.<br />

11. Wann hat diese Feier stattgef<strong>und</strong>en?<br />

Am 24. Dezember 73.1%<br />

Am 25. Dezember 14.7%<br />

12. Zu welcher Tageszeit hat diese Feier stattgef<strong>und</strong>en? (Mehrfachnennungen<br />

s<strong>in</strong>d möglich)<br />

3.5% Vormittags<br />

18.9% Nachmittags<br />

77.6% Abends<br />

13. Bei wem hat diese Feier stattgef<strong>und</strong>en?<br />

74.7% Bei uns zu Hause<br />

14.9% Bei me<strong>in</strong>en Eltern<br />

10.4% Bei jemand anderem, nämlich<br />

………………………………………………<br />

14. Wie viele Personen – mit Ihnen e<strong>in</strong>berechnet – haben an dieser Feier<br />

teilgenommen?<br />

Erwachsene (über 16-jährig) K<strong>in</strong>der (bis 16-jährig)<br />

1-2 29.3% 1 7.8%<br />

3-4 26.3% 2 36.7%<br />

5-6 20.4% 3 27.4%<br />

7-8 12.6% 4 13.8%<br />

über 8 11.4% über 4 14.4%<br />

15. Wer hat an dieser Feier teilgenommen? Bitte geben Sie <strong>in</strong> den entsprechenden<br />

Feldern Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der an.<br />

Unsere Familie (z. B. Ehemann, Sohn + Tochter, usw.):<br />

ICH + …<br />

Verwandte von mir (z. B. Mutter, Schwester, Bruder + Partner<strong>in</strong> + 2 Töchter, usw.):<br />

Verwandte me<strong>in</strong>es (Ehe-)Partners (z. B. Mutter, Schwester, usw.):<br />

Andere Personen (z. B. Fre<strong>und</strong><strong>in</strong> + Partner, Nachbar<strong>in</strong>, usw.):<br />

239


16. Kreuzen Sie bitte an, welche der folgenden Bestandteile bei dieser<br />

Weihnachtsfeier vorgekommen s<strong>in</strong>d. (Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d möglich)<br />

96.9% Tannenbaum<br />

83.8% Dekoration der Wohnung<br />

68.2% Krippe mit Krippenfiguren<br />

98.4% Essen<br />

74.5% Lieder s<strong>in</strong>gen<br />

43.9% Musik<strong>in</strong>strument spielen der K<strong>in</strong>der<br />

6.3% Theater aufführen oder Verse aufsagen der K<strong>in</strong>der<br />

53.8% Musik hören<br />

29.8% Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorlesen oder erzählen<br />

16.0% Andere Geschichte (nicht aus der Bibel) vorlesen oder erzählen<br />

95.2% Geschenke austauschen<br />

9.8% Fernsehen<br />

40.9% Geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> oder mehrere Spiele spielen<br />

17. Kreuzen Sie nun bitte an, wie wichtig für Sie diese Bestandteile bei<br />

dieser Weihnachtsfeier waren.<br />

wichtig wichtig wichtig<br />

a Tannenbaum 88.1% 9.2% 2.8%<br />

b Dekoration der Wohnung 63.2% 29.9% 6.9%<br />

c Krippe mit Krippenfiguren 60.1% 24.1% 15.8%<br />

d Essen 64.1% 32.5% 3.3%<br />

e Lieder s<strong>in</strong>gen 55.9% 32.4% 11.7%<br />

f Musik<strong>in</strong>strument spielen der K<strong>in</strong>der 39.0% 35.3% 25.6%<br />

g Theater aufführen oder Verse aufsagen der K<strong>in</strong>der 13.8% 34.3% 52.1%<br />

h Musik hören 25.7% 47.3% 27.0%<br />

i Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorlesen oder<br />

erzählen<br />

32.3% 36.2% 31.5%<br />

j Andere Geschichte (nicht aus der Bibel) vorlesen<br />

oder erzählen<br />

15.3% 38.5% 46.3%<br />

sehr<br />

weniger<br />

nicht<br />

k Geschenke austauschen 45.2% 45.8% 9.0%<br />

l Fernsehen 1.3% 8.5% 90.2%<br />

m Geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> oder mehrere Spiele spielen 32.5% 2 40.9% 26.6%<br />

240


18. Bitte vergleichen Sie nun diese Weihnachtsfeier mit früheren Weihnachtsfeiern.<br />

gleich eher gleich eher anders ganz anders<br />

a War diese Feier etwa gleich oder<br />

ganz anders gestaltet als die<br />

Weihnachtsfeiern <strong>in</strong> den Jahren<br />

vorher?<br />

b War diese Feier etwa gleich oder<br />

ganz anders gestaltet als die<br />

Weihnachtsfeiern <strong>in</strong> Ihrer K<strong>in</strong>dheit?<br />

55.6% 36.0% 4.8% 3.5%<br />

22.7% 50.8% 17.2% 9.2%<br />

19. Was war Ihnen bei dieser Weihnachtsfeier wichtig?<br />

Mir war wichtig, …<br />

a … dass wir die Feier geniessen konnten.<br />

trifft zu<br />

trifft eher<br />

zu<br />

trifft eher<br />

nicht zu<br />

trifft<br />

nicht zu<br />

88.2% 10.6% 0.7% 0.5%<br />

b … dass die K<strong>in</strong>der Freude hatten. 95.3% 4.3% 0.2% 0,2%<br />

c … dass die Familie beisammen se<strong>in</strong><br />

konnte.<br />

d … dass an die Geburt Jesu gedacht<br />

wurde.<br />

e … dass wir den Alltag h<strong>in</strong>ter uns lassen<br />

konnten.<br />

f … dass mit der Feier e<strong>in</strong>e <strong>Familien</strong>tradition<br />

bewahrt wurde.<br />

91.6% 7.1% 0.7% 0.6%<br />

42.8% 31.2% 16.3% 9.6%<br />

33.2% 36.5% 22.4% 7.3%<br />

48.6% 28.2% 16.0% 7.3%<br />

g … dass wir e<strong>in</strong>e gute Stimmung hatten. 77.7% 19.4% 2.2% 0.8%<br />

h … dass wir Weihnachten als Fest der<br />

Liebe feiern konnten.<br />

i … dass es nicht nur um Geschenke<br />

g<strong>in</strong>g.<br />

j … dass wir den K<strong>in</strong>dern schöne Er<strong>in</strong>nerungen<br />

mitgeben konnten.<br />

k … dass die Feier etwas mit Gott zu tun<br />

hatte.<br />

64.2% 24.7% 7.5% 3.6%<br />

62.0% 31.9% 4.5% 1.5%<br />

79.9% 17.9% 1.5% 0.8%<br />

43.5% 30.4% 15.5% 10.6%<br />

241


20.Wie würden Sie die Stimmung an dieser Feier beschreiben? Bitte<br />

geben Sie bei der nachfolgenden Liste an, wie stark die jeweiligen<br />

Bschreibungen auf die Feier zutreffen.<br />

trifft zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft nicht zu<br />

a Friedlich 83.2% 15.9% 0.8% 0.1%<br />

b Bes<strong>in</strong>nlich 41.9% 37.2% 17.7% 3.2%<br />

c Lustig 48.3% 40.0% 9.9% 1.8%<br />

d Förmlich 3.1% 8.4% 29.0% 59.5%<br />

e Ruhig 16.7% 39.9% 32.3% 14.1%<br />

f Konfliktreich 1.9% 3.6% 14.4% 80.2%<br />

g Gemütlich 67.2% 29.8% 2.4% 0.5%<br />

h Religiös 10.1% 34.2% 34.1% 21.6%<br />

i Betriebsam 11.9% 31.4% 33.9% 22.8%<br />

j Locker 42.9% 48.7% 6.9% 1.5%<br />

k Feierlich 50.8% 38.4% 8.9% 1.8%<br />

21. Würden Sie diese Weihnachtsfeier – alles <strong>in</strong> allem – als e<strong>in</strong>e gelungene<br />

Feier bezeichnen? Bitte geben Sie als Antwort e<strong>in</strong>e Zahl zwischen<br />

1 <strong>und</strong> 7 an, von „nicht gelungen“ bis „sehr gelungen“.<br />

1 2 3 4 5 6 7<br />

0.5% 1.4% 1.2% 3.0% 12.3% 42.4% 39.2%<br />

Nicht gelungen<br />

Sehr gelungen<br />

Zum Schluss des Weihnachtsteils noch zwei Fragen zum Gottesdienstbesuch<br />

<strong>in</strong> den Weihnachtstagen um den 24. <strong>und</strong> 25. Dezember 2004.<br />

22. Haben Sie <strong>in</strong> den Weihnachtstagen 2004 e<strong>in</strong>en Gottesdienst besucht?<br />

50.3% Ja<br />

49.7% Ne<strong>in</strong><br />

23. Wenn Ja: Wie wichtig war Ihnen der Gottesdienstbesuch?<br />

52.9% Sehr wichtig<br />

35.5% Eher wichtig<br />

6.1% Eher nicht wichtig<br />

3.0% Nicht wichtig<br />

242


Die folgenden Fragen beziehen sich auf das Ritual der Taufe. Sofern<br />

nicht anders angegeben, beziehen sich unsere Fragen immer auf Ihr<br />

K<strong>in</strong>d mit Jahrgang 1996 oder 1999, das Sie auf Seite 1 bezeichnet haben.<br />

24. Haben Sie Ihr K<strong>in</strong>d taufen lassen?<br />

83.6% Ja<br />

16.4% Ne<strong>in</strong><br />

25. Falls ne<strong>in</strong>: Was war der Gr<strong>und</strong>, warum Sie es nicht oder noch nicht<br />

haben taufen lassen? Bitte nur e<strong>in</strong>e Antwort ankreuzen.<br />

10.9% Für mich hat die Taufe ke<strong>in</strong>e Bedeutung.<br />

61.6% Das K<strong>in</strong>d soll später e<strong>in</strong>mal selber entscheiden, was es will.<br />

8.5% Es ist e<strong>in</strong>fach noch nicht der richtige Moment gekommen.<br />

19.0% Andere Gründe.<br />

Falls Sie Ihr K<strong>in</strong>d NICHT taufen liessen: Gehen Sie jetzt bitte zu Frage<br />

33 "Wichtigkeit der Taufe"<br />

26. Falls ja: Welchen E<strong>in</strong>druck hat die Taufe Ihres K<strong>in</strong>des bei Ihnen<br />

h<strong>in</strong>terlassen?<br />

72.8% E<strong>in</strong>en guten<br />

23.3% E<strong>in</strong>en ziemlich guten<br />

2.2% E<strong>in</strong>en eher schlechten<br />

0.6% E<strong>in</strong>en schlechten<br />

1.1% Ich kann mich nicht mehr er<strong>in</strong>nern.<br />

27. Wie alt war Ihr K<strong>in</strong>d, als es getauft wurde?<br />

28.8% Jünger als 3 Monate<br />

50.2% Älter als 3 Monate bis <strong>und</strong> mit 6 Monate<br />

16.1% Älter als 6 Monate bis <strong>und</strong> mit 1 Jahr<br />

2.0% Älter als e<strong>in</strong> Jahr bis <strong>und</strong> mit 1,5 Jahre<br />

0.9% Älter als 1,5 Jahre bis <strong>und</strong> mit 2 Jahre<br />

1.2% Älter als 2 Jahre bis <strong>und</strong> mit 4 Jahre<br />

1.3% Älter als 4 Jahre<br />

28. Wann e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d getauft wird, hängt von unterschiedlichen Gründen<br />

ab. Wie war das bei Ihnen?<br />

trifft zu<br />

a Wir warteten, bis wir soweit waren, dass wir das Fest wirklich geniessen<br />

konnten.<br />

40.6%<br />

b Die Grosseltern haben darauf gedrängt, dass wir nicht zu lange warten. 5.8%<br />

c Es war noch schwierig, e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> zu f<strong>in</strong>den, an dem auch die Gotten <strong>und</strong><br />

Götti frei waren.<br />

12.5%<br />

243


d Wir haben uns das gar nicht so genau überlegt. E<strong>in</strong>mal nahmen wir die Sache<br />

e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> die Hand, <strong>und</strong> dann ergab sich e<strong>in</strong> Term<strong>in</strong> für die Taufe.<br />

57.7%<br />

e Die Taufe sollte möglichst rasch nach der Geburt stattf<strong>in</strong>den. 20.5%<br />

f Wir mussten uns nach den Möglichkeiten der Kirchgeme<strong>in</strong>de / Pfarrei richten. 30.0%<br />

g Me<strong>in</strong> Partner / me<strong>in</strong>e Partner<strong>in</strong> <strong>und</strong> ich mussten uns zuerst e<strong>in</strong>ig werden, ob<br />

wir das K<strong>in</strong>d überhaupt taufen wollten. 6.1%<br />

h Wir wollten warten, bis das K<strong>in</strong>d auch selber etwas von der Taufe mitbekommt.<br />

4.7%<br />

29. Kreuzen Sie bitte an, was Ihnen allgeme<strong>in</strong> bei der Taufe e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

wichtig ist. (Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d möglich)<br />

51.5% a Die Taufkerze<br />

27.6% b Dass noch andere K<strong>in</strong>der am Gottesdienst teilnehmen<br />

77.6% c Der Segen<br />

57.8% d Die feierliche Stimmung<br />

63.1% e Dass die Taufe nicht nach e<strong>in</strong>em Schema verläuft, sondern persönlich<br />

gestaltet wird<br />

38.4% f Der Taufspruch<br />

35.8% g dass wir auch etwas dazu beitragen können<br />

43.6% h Dass unser K<strong>in</strong>d im Mittelpunkt ist<br />

(<strong>in</strong> % der Ja-Antworten auf Frage 24)<br />

30. Kreuzen Sie nun bitte an, was bei der Taufe Ihres K<strong>in</strong>des vorkam.(Mehrfachnennungen<br />

s<strong>in</strong>d möglich)<br />

87.3% a Die Taufkerze<br />

72.7% b Dass noch andere K<strong>in</strong>der am Gottesdienst teilgenommen haben<br />

94.9% c Der Segen<br />

84.2% d Die feierliche Stimmung<br />

60.5% e Dass die Taufe nicht nach e<strong>in</strong>em Schema verlief, sondern persönlich<br />

gestaltet war<br />

73.6% f Der Taufspruch<br />

45.5% g Dass wir auch etwas dazu beitragen konnten<br />

63.3% h Dass unser K<strong>in</strong>d im Mittelpunkt war<br />

(<strong>in</strong> % der Ja-Antworten auf Frage 24)<br />

31. Wie wichtig ist für Sie persönlich die Taufe Ihres K<strong>in</strong>des?<br />

2.6% Sehr wichtig<br />

6.6% Eher wichtig<br />

28.9% Eher nicht wichtig<br />

61.3% Nicht wichtig (<strong>in</strong> % der Ja-Antworten auf Frage 24)<br />

244


32. Die Taufe ist oft e<strong>in</strong>er der ersten öffentlichen 'Auftritte' e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des.<br />

Dabei wird sichtbar, dass das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft lebt. Bitte<br />

kreuzen Sie diejenigen Zugehörigkeiten an, die Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach<br />

bei der Taufe e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen. (Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d<br />

möglich)<br />

95.0% Die Familie <strong>und</strong> andere Menschen, die dem K<strong>in</strong>d nahe stehen<br />

29.6% Die örtliche Kirchgeme<strong>in</strong>de/Pfarrei<br />

45.3% Die christliche Kultur<br />

18.8% Die weltweite christliche Kirche<br />

29.9% E<strong>in</strong>e bestimmte Konfession (z.B. römisch-katholisch oder reformiert)<br />

Wir kommen nun zur letzten Frage <strong>in</strong> Bezug auf die Taufe.<br />

33. Die Taufe hat unterschiedliche Bedeutungen. Wir <strong>in</strong>teressieren uns<br />

für Ihre Sicht der D<strong>in</strong>ge.<br />

a Die Taufe ist e<strong>in</strong> schöner Brauch,<br />

den man pflegen sollte.<br />

b Mit der Taufe zeigen Eltern, dass sie<br />

ihr K<strong>in</strong>d im christlichen Glauben<br />

erziehen wollen.<br />

c Ohne Taufe kann man nicht <strong>in</strong> den<br />

Himmel kommen.<br />

d Die Taufe drückt aus, dass das K<strong>in</strong>d<br />

unter Gottes Segen steht.<br />

trifft zu<br />

trifft<br />

eher zu<br />

trifft eher<br />

nicht zu<br />

trifft nicht<br />

zu<br />

41.2% 26.9% 15.5% 16.4%<br />

63.0% 24.0% 6.6% 6.4%<br />

2.9% 4.3% 11.9% 80.9%<br />

56.6% 25.4% 7.3% 10.7%<br />

e Die Taufe ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Formalität. 7.1% 11.0% 23.3% 58.6%<br />

f Die Taufe ist <strong>in</strong> der Bibel <strong>und</strong> von<br />

der Kirche vorgegeben. Deshalb soll 12.9% 21.6% 25.1% 40.4%<br />

sie auch durchgeführt werden.<br />

g Die Taufe drückt aus: Das K<strong>in</strong>d ist<br />

nicht e<strong>in</strong> Besitz der Eltern. Es ist 40.7% 30.4% 12.6% 16.3%<br />

ihnen anvertraut worden.<br />

h E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sollte getauft se<strong>in</strong>, sonst<br />

müsste man sich e<strong>in</strong> Gewissen machen,<br />

6.3% 9.6% 17.7% 66.4%<br />

wenn ihm etwas zustiesse.<br />

i Ich mache mir me<strong>in</strong>e eigenen Vorstellungen<br />

von der Taufe.<br />

21.5% 23.3% 24.5% 30.6%<br />

j Die Taufe ist e<strong>in</strong> Markste<strong>in</strong> auf dem<br />

Lebensweg des K<strong>in</strong>des.<br />

31.6% 31.9% 18.5% 18.0%<br />

k Die Taufe ist für Eltern e<strong>in</strong>e Gelegenheit,<br />

um öffentlich zu zeigen: Ja,<br />

wir schauen zum K<strong>in</strong>d, nach bestem<br />

16.0% 16.0% 23.2% 44.8%<br />

Wissen <strong>und</strong> Gewissen.<br />

l Bei der Taufe wird e<strong>in</strong>em der eigene<br />

Glaube wieder e<strong>in</strong>mal bewusst.<br />

31.3% 36.1% 14.7% 17.9%<br />

245


Im zweiten Teil des Fragebogens <strong>in</strong>teressieren wir uns für Ihre Wertvorstellungen<br />

<strong>und</strong> Lebensgewohnheiten. Zuerst stellen wir Ihnen e<strong>in</strong>ige<br />

Fragen über Ihre E<strong>in</strong>stellungen.<br />

34. Inwieweit stimmen Sie folgenden Aussagen zu? Bitte antworten Sie<br />

anhand der Skala mit den 5 Abstufungen von „trifft zu“ bis „trifft<br />

nicht zu“.<br />

a Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong>e höhere Macht im<br />

Leben.<br />

b Es gibt e<strong>in</strong>en Gott, der sich <strong>in</strong> Jesus zu<br />

erkennen gegeben hat.<br />

trifft zu<br />

trifft nicht zu<br />

69.5% 15.4% 7.8% 2.5% 4.7%<br />

46.3% 17.8% 18.4% 9.0% 8.4%<br />

c Nach dem Tod ist alles endgültig aus. 5.3% 6.1% 15.0% 14.7% 58.9%<br />

d Auf die Frage, ob es ausserhalb dieser Welt<br />

etwas gibt, bekommt man doch ke<strong>in</strong>e Antwort.<br />

14.2% 13.5% 25.5% 15.6% 31.1%<br />

e Die Auferstehung von Jesus Christus gibt<br />

me<strong>in</strong>em Tod e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

27.5% 12.1% 17.8% 11.8% 30.8%<br />

f Der Tod ist der Übergang zu e<strong>in</strong>er anderen<br />

Existenz.<br />

40.3% 19.4% 21.8% 7.6% 10.9%<br />

g Es gibt e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnation (Wiedergeburt)<br />

der Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Leben.<br />

16.9% 14.2% 26.8% 14.8% 27.3%<br />

h Die höhere Macht: Das ist der ewige Kreislauf<br />

zwischen Mensch, Natur <strong>und</strong> Kosmos.<br />

29.2% 22.8% 21.5% 9.9% 16.6%<br />

i Was man Gott nennt, ist nichts anderes als<br />

das Wertvolle im Menschen.<br />

12.9% 19.9% 28.2% 11.9% 27.1%<br />

j Für mich trägt das Leben se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> sich<br />

selbst.<br />

25.3% 27.6% 22.5% 9.5% 15.1%<br />

k Das Leben hat nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn<br />

man ihm selber e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n gibt.<br />

36.1% 28.0% 14.6% 7.9% 13.5%<br />

l Das Leben hat für mich nur Bedeutung,<br />

wenn es Ziele gibt, die über me<strong>in</strong> persönliches<br />

15.9% 21.2% 27.3% 16.4% 19.2%<br />

Leben h<strong>in</strong>ausweisen.<br />

m Für das, was aus dem eigenen Leben wird,<br />

ist man vor allem selbst verantwortlich.<br />

34.5% 36.5% 19.5% 6.0% 3.5%<br />

n Ich muss dem Leben nicht durch eigene<br />

Anstrengung e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben. Lebenss<strong>in</strong>n 6.0% 8.4% 15.9% 21.2% 48.6%<br />

gibt die Religion vor.<br />

o Das Leben besteht vor allem dar<strong>in</strong>, die<br />

Aufgaben zu erfüllen, vor die man gestellt 22.4% 30.3% 26.1% 13.1% 8.1%<br />

ist.<br />

p Das geme<strong>in</strong>same Gebet ist <strong>in</strong> unserer Familie<br />

nicht weg zu denken.<br />

15.9% 12.0% 13.8% 15.7% 42.5%<br />

q Der geme<strong>in</strong>same Glaube kittet unsere<br />

Familie zusammen.<br />

13.9% 13.5% 17.2% 17.8% 37.7%<br />

r In unserer Familie ist die Religion e<strong>in</strong>e Hilfe<br />

zur Lebensgestaltung.<br />

15.1% 12.6% 18.9% 18.3% 35.1%<br />

246


35. Wie häufig sprechen Sie über religiöse Fragen <strong>in</strong> der Familie?<br />

8.8% Sehr häufig<br />

17.2% Häufig<br />

54.3% Ab <strong>und</strong> zu<br />

18.8% Selten<br />

1.8% Nie<br />

36. Wie stark stimmen sie <strong>in</strong> Bezug auf die religiöse Erziehung Ihres<br />

K<strong>in</strong>des/Ihrer K<strong>in</strong>der mit Ihrem (Ehe-) Partner übere<strong>in</strong>?<br />

23.9% Stimmen voll <strong>und</strong> ganz übere<strong>in</strong><br />

62.0% Stimmen im grossen <strong>und</strong> ganzen übere<strong>in</strong><br />

8.3% Stimmen eher nicht übere<strong>in</strong><br />

2.1% Stimme überhaupt nicht übere<strong>in</strong><br />

3.8% Kann ich nicht sagen<br />

5.4% Lebe ohne festen Partner/feste Partner<strong>in</strong> (von allen Befragten)<br />

37. Welcher Kirche oder Religion gehören Sie derzeit an?<br />

a Sie selbst<br />

b Gegenwärtige(r)<br />

(Ehe-)Partner(<strong>in</strong>)<br />

Evangelisch-reformierte Kirche 34.4% 33.3%<br />

Evangelische Freikirche 5.3% 4.8%<br />

Römisch-katholische Kirche 44.6% 44.8%<br />

Christkatholische Kirche 1.8% 1.7%<br />

Christlich-orthodoxe Kirchen 0.7% 0.9%<br />

Jüdische Glaubensgeme<strong>in</strong>schaft 0.2% 0.2%<br />

Islamische Glaubensgeme<strong>in</strong>schaft 1.1% 1.6%<br />

Andere Religionsgeme<strong>in</strong>schaft 2.3% 2.5%<br />

Ke<strong>in</strong>e 9.7% 10.3%<br />

38. Das Gefühl der Verb<strong>und</strong>enheit mit e<strong>in</strong>er Kirche bzw. Religionsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

kann ja verschieden stark se<strong>in</strong>. Wie ist – re<strong>in</strong> gefühlsmässig<br />

– Ihre persönliche Verb<strong>und</strong>enheit mit Ihrer Kirche bzw. Religionsgeme<strong>in</strong>schaft?<br />

sehr verb<strong>und</strong>en<br />

ziemlich<br />

verb<strong>und</strong>en<br />

etwas verb<strong>und</strong>en<br />

kaum verb<strong>und</strong>en<br />

überhaupt nicht<br />

verb<strong>und</strong>en<br />

9.8% 26.1% 35.7% 16.8% 11.7%<br />

247


39. Wie häufig nehmen Sie am Gottesdienst teil?<br />

jeden<br />

Sonntag<br />

e<strong>in</strong>- bis zweimal<br />

im Monat<br />

gelegentlich, an Festtagen,<br />

<strong>Familien</strong>anlässen<br />

selten<br />

nie<br />

8.6% 17.9% 42.9% 22.4% 8.2%<br />

40. Haben Sie sich kirchlich trauen lassen?<br />

70.6% Ja<br />

29.4% Ne<strong>in</strong><br />

41. Wünschen Sie sich e<strong>in</strong>e kirchliche Beerdigung?<br />

71.4% Ja<br />

9.9% Ne<strong>in</strong><br />

18.7% Egal<br />

42. Geben Sie bitte an, wie wichtig Ihnen die aufgeführten Werte <strong>und</strong><br />

Ziele im späteren Leben Ihres K<strong>in</strong>des/Ihrer K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d?<br />

sehr<br />

eher<br />

eher nicht<br />

nicht<br />

wichtig wichtig wichtig wichtig<br />

a E<strong>in</strong> anregendes <strong>und</strong> abwechslungsreiches<br />

Leben führen<br />

45.3% 41.0% 12.4% 1.4%<br />

b Etwas vom Leben haben / das Leben<br />

geniessen<br />

48.9% 43.2% 7.4% 0.5%<br />

c In Verantwortung vor Gott leben 29.0% 34.7% 24.5% 11.8%<br />

d Es im Leben zu etwas br<strong>in</strong>gen 20.1% 49.8% 26.7% 3.3%<br />

e E<strong>in</strong> pflichtbewusstes Leben führen 41.7% 44.9% 11.7% 1.7%<br />

f Stets hilfsbereit se<strong>in</strong> 54.2% 41.8% 3.5% 0.5%<br />

g Traditionen wahren 15.1% 45.0% 32.3% 7.5%<br />

h E<strong>in</strong>e gute gesellschaftliche Position<br />

erreichen<br />

9.4% 34.7% 45.5% 10.5%<br />

i In geordneten Verhältnissen leben 41.5% 46.2% 100.2% 2.1%<br />

j Sich selbst im Leben verwirklichen<br />

können<br />

60.8% 32.0% 6.0% 1.2%<br />

k Das menschliche Zusammenleben<br />

fördern<br />

64.4% 31.9% 3.4% 0.3%<br />

248


Die folgenden Fragen beziehen sich auf Ihre Lebensgewohnheiten.<br />

43. Geben Sie bitte zu jeder Tätigkeit auf dieser Liste an, wie oft Sie<br />

diese <strong>in</strong> Ihrer Freizeit machen.<br />

täglich<br />

m<strong>in</strong>d.1x<br />

die<br />

Woche<br />

m<strong>in</strong>d.1x<br />

im<br />

Monat<br />

a Bücher lesen 31.6% 31.8% 13.8% 20.4% 2.4%<br />

b Zeitschriften lesen 42.4% 36.9% 10.5% 9.2% 1.1%<br />

c Schallplatten / CDs / Kassetten<br />

hören<br />

29.8% 41.7% 14.2% 12.9% 1.4%<br />

d Videokassetten/DVDs anschauen<br />

0.9% 13.7% 26.5% 47.7% 11.2%<br />

e Sich mit dem Computer<br />

beschäftigen<br />

30.9% 34.1% 12.1% 13.1% 9.8%<br />

f Das Internet oder spezielle<br />

Onl<strong>in</strong>e-Dienste nutzen<br />

23.9% 33.9% 14.5% 13.1% 14.6%<br />

g Sich privat weiterbilden 8.5% 20.9% 23.1% 41.7% 5.8%<br />

h E<strong>in</strong>fach nichts tun, faulenzen 5.7% 29.5% 16.6% 36.1% 12.1%<br />

i Spazieren gehen, Wandern 16.8% 50.0% 23.0% 9.7% 0.6%<br />

j Yoga, Meditation, autogenes<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Körpererfahrung<br />

5.4% 17.3% 8.2% 23.5% 45.6%<br />

k Essen oder tr<strong>in</strong>ken gehen<br />

(Café, Kneipe, Restaurant)<br />

1.3% 17.4% 33.2% 45.0% 3.1%<br />

l Gegenseitige Besuche von<br />

Nachbarn, Fre<strong>und</strong>en oder 5.1% 48.0% 36.7% 9.8% 0.4%<br />

Bekannten<br />

m Gegenseitige Besuche von<br />

<strong>Familien</strong>angehörigen oder 4.7% 40.4% 41.9% 12.6% 0.5%<br />

Verwandten<br />

n Karten- <strong>und</strong> Gesellschaftsspiele<br />

im <strong>Familien</strong>kreis<br />

5.1% 40.7% 32.8% 18.3% 3.2%<br />

o Ausflüge oder kurze Reisen<br />

machen<br />

0.8% 20.1% 54.6% 23.9% 0.6%<br />

p Beteiligung <strong>in</strong> Parteien, <strong>in</strong> der<br />

Kommunalpolitik, Bürger<strong>in</strong>itiativen<br />

0.2% 2.5% 5.3% 24.1% 67.9%<br />

q Ehrenamtliche Tätigkeiten <strong>in</strong><br />

Vere<strong>in</strong>en, Verbänden oder 2.9% 17.5% 22.5% 24.5% 32.6%<br />

sozialen Diensten<br />

r Kirchgang, Besuch von<br />

religiösen Veranstaltungen<br />

0.5% 10.2% 19.7% 51.0% 18.7%<br />

s Künstlerische <strong>und</strong> musische<br />

Tätigkeiten (Malerei, Musizieren,<br />

Fotografie, Theater,<br />

Tanz)<br />

5.2% 18.1% 15.9% 39.8% 21.0%<br />

seltener<br />

nie<br />

249


t Basteln / Reparieren am Haus,<br />

<strong>in</strong> der Wohnung, am Auto; 14.7% 49.7% 24.2% 10.2% 1.3%<br />

Gartenarbeit<br />

u Aktive sportliche Betätigung 12.1% 52.9% 13.0% 17.1% 5.0%<br />

v Besuch von Sportveranstaltungen<br />

0.2% 8.0% 13.6% 46.3% 31.9%<br />

w K<strong>in</strong>obesuch, Besuch von<br />

Pop- oder Jazzkonzerten, 0.2% 1.4% 18.1% 66.3% 14.1%<br />

Tanzveranstaltung / Disco<br />

x Besuch von Veranstaltungen<br />

wie Oper, klassische Konzerte,<br />

Theater, Ausstellungen<br />

0.2% 0.6% 12.5% 68.3% 18.4%<br />

44. Wir nennen Ihnen im Folgenden verschiedene Musikarten. Bitte beurteilen<br />

Sie jeweils anhand der Liste, wie gern Sie diese Musik hören.<br />

sehr<br />

gern<br />

gern weder<br />

noch<br />

ungern sehr<br />

ungern<br />

a Volksmusik, Blas- <strong>und</strong> Marschmusik 5.1% 19.2% 21.2% 26.9% 27.6%<br />

b Schlagermusik 12.2% 27.9% 21.9% 22.8% 15.3%<br />

c Pop- <strong>und</strong> Rockmusik 41.6% 42.5% 9.4% 4.1% 2.3%<br />

d Klassische Musik 20.6% 40.4% 19.6% 13.0% 6.4%<br />

e Jazz 9.3% 26.6% 25.4% 23.3% 15.4%<br />

f Punk, Heavy Metal 2.6% 7.0% 14.1% 25.5% 50.8%<br />

g Techno, House 2.2% 9.6% 14.2% 24.2% 49.8%<br />

45. Im Folgenden s<strong>in</strong>d verschiedene Fernsehsendungen aufgeführt. Wie<br />

stark <strong>in</strong>teressieren Sie sich für die jeweiligen Sendungen?<br />

Mich <strong>in</strong>teressieren … sehr stark stark mittel wenig gar nicht<br />

a Fernsehshows, Quizsendungen 4.9% 13.8% 37.6% 25.6% 18.1%<br />

b Sportsendungen 5.1% 12.9% 27.1% 28.1% 26.8%<br />

c Spielfilme 14.8% 39.3% 37.3% 6.4% 2.2%<br />

d Nachrichten 42.0% 36.8% 17.6% 1.7% 1.9%<br />

e Politische Magaz<strong>in</strong>e 7.7% 19.4% 34.6% 24.2% 14.2%<br />

f Kunst- <strong>und</strong> Kultursendungen 6.2% 15.1% 29.0% 29.7% 20.0%<br />

g Heimatfilme 4.5% 9.7% 24.3% 32.6% 28.8%<br />

h Krimis, Krimiserien 10.6% 22.2% 32.5% 20.0% 14.6%<br />

i Actionfilme 6.5% 15..5% 24.8% 25.5% 27.7%<br />

j <strong>Familien</strong>- <strong>und</strong> Unterhaltungsserien<br />

11.4% 25.8% 31.6% 18.1% 13.1%<br />

250


Zum Schluss benötigen wir noch e<strong>in</strong> paar Angaben zu Ihrer Person.<br />

46. Geschlecht<br />

83.3% Weiblich<br />

15.3% Männlich<br />

47. Wie alt s<strong>in</strong>d Sie?<br />

Ø 38.7 Jahre<br />

48. Nennen Sie mir bitte Ihren Zivilstand?<br />

3.7% Ledig<br />

85.9% Verheiratet<br />

8.2% Geschieden / getrennt<br />

1.7% Geschieden <strong>und</strong> wieder verheiratet<br />

0.5% Verwitwet<br />

49.Wenn ledig, getrennt, geschieden oder verwitwet: Leben Sie mit e<strong>in</strong>em/e<strong>in</strong>er<br />

Partner(<strong>in</strong>) im gleichen Haushalt?<br />

48.3% Ja<br />

51.7% Ne<strong>in</strong><br />

50. Nationalität<br />

a Sie selbst<br />

b Gegenwärtige(r)<br />

(Ehe-)Partner(<strong>in</strong>)<br />

Schweizer(<strong>in</strong>) 88.6% 86.6%<br />

Ausländer(<strong>in</strong>) 10.0% 12.1%<br />

Beides 1.4% 1.3%<br />

51. Wo haben Sie den grössten Teil Ihrer K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendzeit verbracht?<br />

a Sie selbst b Gegenwärtige(r)<br />

(Ehe-)Partner(<strong>in</strong>)<br />

In der Schweiz 88.5% 85.8%<br />

Im Ausland 11.2% 13.9%<br />

Beides 0.3% 0.3%<br />

52. Zuletzt besuchte <strong>und</strong> abgeschlossene Schule<br />

Abgeschlossene Schule<br />

Sie selbst<br />

Gegenwärtige(r)<br />

(Ehe-)Partner(<strong>in</strong>)<br />

Ke<strong>in</strong>e 0.3% 0.4%<br />

Obligatorische Schule (Primar-, Real-, Sek<strong>und</strong>ar-, Bezirks-,<br />

Orientierungsschule, Pro-, Untergymnasium,<br />

5.8% 7.7%<br />

Sonderschule)<br />

Diplommittelschule (bis 2 Jahre), Verkehrsschule, Sozialjahr,Vorkurs<br />

für Pflegeberufe (1 oder 2 Jahre), berufsvorbereitende<br />

Schule, Anlehre (mit Anlehrvertrag)<br />

3.0% 1.4%<br />

251


Berufslehre oder Vollzeit-Berufsschule (z.B. Handelsschule,<br />

Lehrwerkstätte)<br />

49.8% 40.0%<br />

Maturitätsschule, Berufsmatura, Diplommittelschule (3<br />

Jahre)<br />

5.1% 2.7%<br />

Lehrkräfte-Sem<strong>in</strong>arien (z.B. K<strong>in</strong>dergarten, Primarschule),<br />

Musiklehrkräfte, Turn- <strong>und</strong> Sportlehrkräfte<br />

7.4% 2.4%<br />

Höhere Fach- <strong>und</strong> Berufsausbildung (z.B. eidg. Fachausweis,<br />

eidg. Fach- oder Meisterdiplom, Höhere Kaufmännische<br />

10.5% 19.0%<br />

Gesamtschule HKG, Technikerschule TS)<br />

Höhere Fachschule (z.B. HTL, HWV, HFG, HFS) bei<br />

Vollzeit-ausbildung mit M<strong>in</strong>destdauer von 3 Jahren<br />

3.6% 6.7%<br />

(<strong>in</strong>klusive Nachdiplom<br />

Universität, Hochschule (<strong>in</strong>klusive Nachdiplom) 3.2% 14.4%<br />

53. Welchen Beruf üben Sie gegenwärtig aus?<br />

(Tragen Sie nach Möglichkeit die genaue Bezeichnung Ihrer beruflichen Tätigkeit e<strong>in</strong>,<br />

z.B. Metallschleifer, Verkäufer<strong>in</strong> Textilwaren, Büroangestellter, F<strong>in</strong>anzdirektor<strong>in</strong>,<br />

Gerichtsschreiber, Primarlehrer, Hausfrau/Hausmann)<br />

Sie Selbst: …………………………………<br />

Gegenwärtige(r)<br />

(Ehe)Partner(<strong>in</strong>): ………………………….<br />

54. Erwerbsleben: Gegenwärtige Situation<br />

(Als erwerbstätig gilt: bezahlte Arbeit; unbezahlte Arbeit im <strong>Familien</strong>betrieb; wenn<br />

Sie gegenwärtig krank oder im bezahlten Mutterschaftsurlaub oder im Militärdienst,<br />

ansonsten jedoch erwerbstätig s<strong>in</strong>d)<br />

Sie selbst Gegenwärtige(r)<br />

(Ehe)Partner(<strong>in</strong>)<br />

18.6% 67.3% a Vollzeit erwerbstätig<br />

47.5% 12.6% b Teilzeit erwerbstätig … St<strong>und</strong>en pro Woche<br />

0.8% 0.9% d Arbeitslos<br />

22.2% 4.9% e Nicht erwerbstätig<br />

1.8% 0.7% h In Ausbildung (Schule, Studium, Lehre)<br />

0.6% 0.5% i Rentner/-<strong>in</strong>, pensioniert (Alters-, Invalidenrente usw.)<br />

( <strong>in</strong> % aller Befragten)<br />

Die folgende Frage richtet sich nur an Erwerbstätige.<br />

Falls Sie nicht erwerbstätig s<strong>in</strong>d, füllen Sie bitte nur die Angaben zu<br />

Ihrem/Ihrer gegenwärtigen (Ehe)Partner(<strong>in</strong>) aus.<br />

55. Welches ist Ihre gegenwärtige berufliche Stellung?<br />

Berufliche Stellung<br />

Sie Gegenwärtige(r)<br />

selbst Ehe)Partner(<strong>in</strong>)<br />

Selbständig ohne Angestellte 10.0% 10.3%<br />

Selbständig mit Angestellten 4.0% 10.8%<br />

Mitarbeiter/-<strong>in</strong> im Betrieb e<strong>in</strong>es/e<strong>in</strong>er <strong>Familien</strong>angehörigen 6.0% 2.8%<br />

252


Arbeitnehmer/-<strong>in</strong>: als Direktor/-<strong>in</strong>, Prokurist/-<strong>in</strong>, Chefbeamter/Chefbeamt<strong>in</strong><br />

3.2% 8.0%<br />

Arbeitnehmer/-<strong>in</strong>: im mittleren <strong>und</strong> unteren Kader, z.B. als<br />

Bürochef/-<strong>in</strong>, Dienstchef/-<strong>in</strong>, Filialleiter/-<strong>in</strong>,<br />

10.0% 20.5%<br />

Werkstättenchef/-<strong>in</strong>, Vorarbeiter/-<strong>in</strong>, Polier/-<strong>in</strong> etc.<br />

Arbeitnehmer/-<strong>in</strong> als Angestellte/-r, Arbeiter/-<strong>in</strong>, Praktikant/-<strong>in</strong><br />

27.9% 25.2%<br />

andere Stellung, 4.6% 3.3%<br />

56. Wenn Sie alles zusammenrechnen, wie hoch ist das monatliche Netto-<br />

E<strong>in</strong>kommen, das Sie zusammen für Ihre Familie zur Verfügung haben?<br />

10.6% unter 4000 Fr. 14.0% 8000–10'000 Fr<br />

35.5% 4000–6000 Fr. 10.9% 10'000–15'000 Fr.<br />

26.3% 6000–8000 Fr. 2.7% über 15'000 Fr.<br />

57. Wie viele Personen leben ständig <strong>in</strong> Ihrem Haushalt, Sie selbst mit<br />

e<strong>in</strong>geschlossen?<br />

Ø 4.4% Personen<br />

58. Wie viele K<strong>in</strong>der leben <strong>in</strong> Ihrem Haushalt?<br />

Ø 2.4 K<strong>in</strong>der<br />

59. Alter der K<strong>in</strong>der ?<br />

a……… Jahre alt<br />

b……… Jahre alt<br />

c……… Jahre alt<br />

d……… Jahre alt<br />

e……… Jahre alt<br />

f……… Jahre alt<br />

60. Wie wohnen Sie?<br />

52.3% In e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>familienhaus<br />

34.5% In e<strong>in</strong>em Mehrfamilienhaus mit 2–6 Wohnungen<br />

13.2% In e<strong>in</strong>em Block/Hochhaus mit mehr als 6 Wohnungen<br />

Vielen Dank, dass Sie sich zum Ausfüllen des Fragebogens Zeit genommen<br />

haben!<br />

253


Literatur<br />

Baslé Brigitte, Maar Nele 1999, Alte Rituale – neue Rituale, Freiburg<br />

Baumann Zygmunt 1993, Wir s<strong>in</strong>d wie Landstreicher, <strong>in</strong>: Süddeutsche Zeitung<br />

vom 16./17.11<br />

Baumann Zygmunt 1999, Das Unbehagen <strong>in</strong> der Postmoderne, Hamburg<br />

Baumann Zygmunt 2000, Liquid Modernity, Cambridge<br />

Beck Ulrich 1983, Jenseits von Stand <strong>und</strong> Klasse?, <strong>in</strong>: Kreckel R. (Hg.),<br />

Soziale Ungleichheiten, Sonderband 2 der Sozialen Welt, Gött<strong>in</strong>gen, 35–74<br />

Beck Ulrich 1986, Risikogesellschaft. Auf dem Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Moderne,<br />

Frankfurt a. M.<br />

Beck Ulrich 1993, Die Erf<strong>in</strong>dung des Politischen. Zu e<strong>in</strong>er Theorie reflexiver<br />

Modernisierung, Frankfurt a. M.<br />

Beck Ulrich 1995, eigenes Leben. Skizzen zu e<strong>in</strong>er biographischen Gesellschaftsanalyse,<br />

<strong>in</strong>: Beck U., Vossenkuhl W., Erdmann Ziegler U., eigenes<br />

Leben. Ausflüge <strong>in</strong> die unbekannte Gesellschaft, <strong>in</strong> der wir leben, München,<br />

9–15<br />

Beck Ulrich 1997a, Die une<strong>in</strong>deutige Sozialstruktur: Was heisst Armut, was<br />

Reichtum <strong>in</strong> der ‚Selbstkultur’? <strong>in</strong>: Beck U./Sopp P. (Hg.), Individualisierung<br />

<strong>und</strong> Integration. Neue Konfliktl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> neuer Integrationsmodus?, Opladen,<br />

183–197<br />

Beck Ulrich 1997b, Ursprung als Utopie – Politische Freiheit als S<strong>in</strong>nquelle<br />

der Moderne, <strong>in</strong>: ders. (Hg.), K<strong>in</strong>der der Freiheit, Frankfurt a. M., 382–401<br />

Beck Ulrich/Beck-Gernsheim Elisabeth 1990, Das ganz normale Chaos der<br />

Liebe, Frankfurt a. M.<br />

Beck Ulrich/Beck-Gernsheim Elisabeth 1993, Nicht Autonomie, sondern<br />

Bastelbiographie. Anmerkungen zur Individualisierungsdiskussion am Beispiel<br />

des Aufsatzes von Günter Burkhart, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Soziologie 22,<br />

178–187<br />

254


Beck, Ulrich/ Beck-Gernsheim Elisabeth 1994, Individualisierung <strong>in</strong> modernen<br />

Gesellschaften - Perspektiven <strong>und</strong> Kontroversen e<strong>in</strong>er subjektorientierten<br />

Soziologie. <strong>in</strong>: dies. (Hg) Riskante Freiheiten. Frankfurt a. M.,10–39<br />

Beck-Gernsheim Elisabeth 1986, Von der Liebe zur Beziehung? Veränderungen<br />

im Verhältnis von Mann <strong>und</strong> Frau <strong>in</strong> der <strong>in</strong>dividualisierten Gesellschaft,<br />

<strong>in</strong>: Soziale Welt, Sonderband 4, Gött<strong>in</strong>gen, 209–233<br />

Benjam<strong>in</strong> Jessica 1990, Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Fem<strong>in</strong>ismus<br />

<strong>und</strong> das Problem der Macht, Basel–Frankfurt a. M.<br />

Berger Peter L., Luckmann Thomas 1970, Die gesellschaftliche Konstruktion<br />

der Wirklichkeit E<strong>in</strong>e Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M.<br />

Berger Peter L., Berger Brigitte, Kellner Hausfried 1975, Das Unbehagen <strong>in</strong><br />

der Modernität, Frankfurt a. M.–New York<br />

Berger Peter L. 1980, Der Zwang zur Häresie, Frankfurt a. M.<br />

Berger Peter L. 1994, Sehnsucht nach S<strong>in</strong>n. Glauben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit der<br />

Leichtgläubigkeit, Frankfurt a. M.<br />

Berger Peter A., 1987: Klassen <strong>und</strong> Klassifikationen. Zur „neuen Unübersichtlichkeit“<br />

<strong>in</strong> der soziologischen Ungleichheitsdiskussion, <strong>in</strong>: Kölner Zeitschrift<br />

für Soziologie <strong>und</strong> Sozialpsychologie, 39, 59–85<br />

Berk<strong>in</strong>g Helmut, Neckel Sighard 1990, Die Politik der <strong>Lebensstil</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Berl<strong>in</strong>er Bezirk. Zu e<strong>in</strong>igen Formen nachtraditionaler Vergeme<strong>in</strong>schaftung,<br />

<strong>in</strong>: Berger P. A., Hradil (Hg.), Lebenslagen, Lebensläufe, <strong>Lebensstil</strong>e, Soziale<br />

Welt, Sonderband 7, Gött<strong>in</strong>gen 481–500<br />

Blasius Jörg, Georg Werner 1992,Clusteranalyse <strong>und</strong> Korrespondenzanalyse<br />

<strong>in</strong> der <strong>Lebensstil</strong>forschung – e<strong>in</strong> Vergleich am Beispiel Wohnungsre<strong>in</strong>richtung,<br />

<strong>in</strong>: ZA-Informationen 30, 112–133<br />

Boch<strong>in</strong>ger Christoph 1994, „New Age“ <strong>und</strong> moderne Religion. Religionswissenschaftliche<br />

Analysen, Gütersloh<br />

Bohnsack Ralf, Nohl Arnd-Michael 2001, Jugendkulturen <strong>und</strong> Aktionismus.<br />

E<strong>in</strong>e rekonstruktive empirische Analyse am Beispiel des Breakdance, <strong>in</strong>:<br />

Merkens Hans, Z<strong>in</strong>necker Jürgen (Hg.), Jahrbuch Jugendforschung, Opladen,<br />

17–37<br />

255


Bourdieu Pierre, Passeron Jean Claude 1971, Die Illusion der Chancengleichheit,<br />

Stuttgart.<br />

Bourdieu Pierre 1974, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.<br />

M.<br />

Bourdieu Pierre 1979, Entwurf e<strong>in</strong>er Theorie der Praxis auf der ethnologischen<br />

Gr<strong>und</strong>lage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a. M.<br />

Bourdieu Pierre 1982, Die fe<strong>in</strong>en Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen<br />

Urteilskraft, Frankfurt a. M.<br />

Bourdieu Pierre 1982a, Les rites comme actes d’<strong>in</strong>stitution, <strong>in</strong>: Actes de la<br />

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Bourdieu Pierre 1985, Sozialer Raum <strong>und</strong> Klassen. Leçon sur la leçon,<br />

Frankfurt a. M.<br />

Bourdieu Pierre 1987, Die fe<strong>in</strong>en Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen<br />

Urteilskraft, Frankfurt a. M.<br />

Bourdieu Pierre 1997, E<strong>in</strong>e sanfte Gewalt. Pierre Bourdieu im Gespräch mit<br />

Irene Döll<strong>in</strong>g <strong>und</strong><br />

256


Margareta Ste<strong>in</strong>rücke, <strong>in</strong>: Döll<strong>in</strong>g I., Krais B.(Hg.), E<strong>in</strong> alltägliches Spiel.<br />

Geschlechterkonstruktion <strong>in</strong> der sozialen Praxis. Frankfurt a. M., 218–230<br />

Bourdieu Pierre 2000, Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens,<br />

Konstanz<br />

Bovay Claude, Broquet Raphaël 2004, Eidgenössische Volkszählung 2000.<br />

Religionslandschaft <strong>in</strong> der Schweiz, Neuchâtel<br />

Braun Michael, Eil<strong>in</strong>ghoff Carmen, Gabler Siegfried, Wiedenbeck Michael<br />

1992, Methodenbericht zur ‚Allgeme<strong>in</strong>en Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften’<br />

(ALLBUS) 1992, ZUMA-Arbeitsbericht Nr. 93/01<br />

Brock Ditmar 1998, Individualisierung <strong>und</strong> die Zugehörigkeit von Ressourcen,<br />

<strong>in</strong>: Berger P. A., Vester M. (Hg.), Alte Ungleichheiten – Neue Spaltungen,<br />

Opladen, 89–107<br />

Buchmann Marlis, Eisner Manuel 1999, Freizeit als Element des <strong>Lebensstil</strong><br />

<strong>und</strong> Mittel kultureller Dist<strong>in</strong>ktion, 1900–1996, <strong>in</strong>: Honegger C., Hradil St.,<br />

Traxler F. (Hg.), Grenzenlose Gesellschaft? Verhandlungen des 29. Kongresses<br />

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Gesellschaft für Soziologie, des 11. Kongresses der Schweizerischen<br />

Gesellschaft für Soziologie <strong>in</strong> Freiburg i. Br., Opladen, 590–607<br />

B<strong>und</strong>esamt für Statistik 1999, Beg<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Auflösung der ersten Lebensgeme<strong>in</strong>schaften<br />

<strong>in</strong> der Schweiz. DEMOS. Informationen aus der Demographie<br />

Nr. 4, Neuchâtel<br />

Burkart Günter 1997, Lebensphasen – Liebesphasen. Vom Paar zur Ehe, zum<br />

S<strong>in</strong>gle <strong>und</strong> zurück?, Opladen<br />

Buth Sven, Johannsen Harald 1999, Determ<strong>in</strong>ieren soziale Strukturen <strong>Lebensstil</strong>e?<br />

E<strong>in</strong> Beitrag zur empirischen Auflösung der Entstrukturierungsdebatte,<br />

<strong>in</strong>: Honegger C., Hradil St., Traxler F. (Hg.), Grenzenlose Gesellschaft?<br />

Verhandlungen des 29. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für<br />

Soziologie, des 16. Kongresses der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie,<br />

des 11. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie <strong>in</strong><br />

Freiburg i. Br., Opladen, 576–591<br />

Drehsen Volker 1994, Wie religionsfähig ist die Volkskirche? Sozialisationstheoretische<br />

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