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pua Dezember 1988 - Politik Unterricht Aktuell

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POLITIK<br />

UNTERRICHT<br />

AKTUELL<br />

<strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

Verband<br />

der<br />

<strong>Politik</strong>lehrer e.V.<br />

POLITIKUNTERRICHT<br />

NACH "DER WENDE" -<br />

WAS KOMMT DANACH?<br />

wer hat Konzepte für den <strong>Politik</strong>unterricht?<br />

wo steht die Opposition?<br />

wer sind die Schüler der "politiklosen Generation<br />

Jugend<br />

Schule<br />

<strong>Politik</strong><br />

Achtung:<br />

Nachdruck 2012 für Internetpublikation<br />

Adressen und organisatorische Sachinformationen<br />

sind bicht mehr gültig.<br />

Vgl. dazu das Impressum dieser Website.<br />

06.08.2012<br />

Gerhard Voigt, OStR i.R. (Vorsitzender)


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

VERBAND DER POLITIKLEHRER<br />

eingetragener Verein<br />

Editorial<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Mitglieder des Verbandes<br />

der <strong>Politik</strong>lehrer<br />

können sein:<br />

Lehrer, Studenten,<br />

arbeitslose Lehrer<br />

und in der Lehrerausbildung<br />

tätige<br />

Pädagogen mit der<br />

Fakultas <strong>Politik</strong><br />

oder in den Fächern<br />

der politischen<br />

Bildung.<br />

*<br />

Ziele sind die<br />

Förderung der politischen<br />

Bildung und<br />

des Faches <strong>Politik</strong><br />

in den Schulen und<br />

die Interessenvertretung<br />

der <strong>Politik</strong><br />

und Sozialkundelehrer.<br />

*<br />

Mitgliedsbeiträge:<br />

48.-- DM pro Jahr<br />

(für Einkommenslose:<br />

12.-- DM pro Jahr)<br />

*<br />

Bankverbindung:<br />

Bank für Gemeinwirtschaft<br />

Hannover<br />

BLZ 250 101 11<br />

Kto. 1517961900<br />

*<br />

Informationsmaterialien<br />

und<br />

Publikationen<br />

können beim<br />

Vorsitzenden<br />

angefordert werden!<br />

Die Jahresbilanz für das zurückliegende Jahr <strong>1988</strong><br />

ist etwas positiver als in den vorangegangenen<br />

Jahren: Die Verbandsarbeit beginnt sich zu stabilisieren,<br />

die letzte Jahreshauptversammlung konnte<br />

wieder einen kompletten Vorstand wählen und erstmals<br />

zeichnet sich -•in der politischen Sackgasse,<br />

in die sich konservative Landesregierungen allerseits<br />

in der BRD herein manöveriert haben•- eine<br />

erste Hoffnung ab, daß die "konservative Wende"<br />

doch ein absehbares Ende haben könnte, daß endlich<br />

auch der Wähler -•durch handfeste Enttäuschungen<br />

aufgeweckt•- merken wird, daß diese Ewiggestrigen<br />

keine zukunftsweisenden Konzepte anzubieten haben.<br />

Doch sollte das nicht zur Euphorie führen: viel<br />

politisch, bildungspolitische Arbeit liegt noch<br />

vor uns; und sind die Oppositionsparteien wirklich<br />

besser gerüstet, die vielfältigen Probleme der<br />

schulischen Erziehung, vor allem aber der politischen<br />

Bildung zu bewältigen? Da ist gerade auch<br />

unsere Aktivität gefragt und notwendig. Einige<br />

inhaltlich stärker akzentuierte Projekte und Vorhaben<br />

wurden auf unserer JHV diskutiert und beschlossen;<br />

sie werden in diesem Heft vorgestellt<br />

in der Hoffnung, Resonanz und Mitarbeit in der<br />

Kollegenschaft zu finden. Unser Hauptartikel soll<br />

mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zur heu-<br />

tigen Problematik der politischen Bildung Anregungen<br />

zu einer Neubesinnung auch auf die inhaltlichen<br />

Perspektiven der Verbandsarbeit führen.<br />

Für die Intensivierung der Verbandsarbeit wirken<br />

jetzt im Vorstand zusätzlich mit: als stellvertretender<br />

Vorsitzender Werner Fink, in jahrelanger,<br />

verdienstvoller Vorstands- und Vorsitzenderfunktion<br />

in der Verbandsarbeit bewährt, und, neu hinzugekommen,<br />

Uwe Bellersheim von der Bismarckschule<br />

Hannover. Wir wünschen beiden viel Erfolg bei den<br />

gemeinsamen Bemühungen und Aktivitäten!<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

Vorsitzender: StR Gerhard Voigt, Pettenkoferstraße 13, D 3014 Laatzen,<br />

Tel.: (0511-) 824630 [d.: Bismarckschule Hannover]<br />

Stellvertretender Vorsitzender: StR Werner Fink, Stolzestraße 21, D 3000<br />

Hannover 1, Tel.: (0511-) 813263<br />

Beisitzer: OStR Lothar Nettelmann, Schaumburger Straße 17, D 3007 Gehrden 1,<br />

Tel.: (05108-) 7916<br />

und: StR Uwe Bellersheim, Hermannstraße 1 [Groß Förste], 3207 Harsum 1,<br />

Tel.: (05127-) 5443<br />

Geschäftsführerin: Annegret Hupe-Hilbrich, Nelkenstraße 19, 3000 Hannover 1,<br />

Tel.: (0511-) 703205<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

2


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

Überlegungen zur Situation des <strong>Politik</strong>unterrichts <strong>1988</strong>:<br />

Offene Fragen - Unsicherheiten - Suche nach neuen Formen<br />

[I.]<br />

Neuartige <strong>Unterricht</strong>serfahrungen werden zunehmend zu einem Problem der<br />

<strong>Politik</strong>didaktik. <strong>Politik</strong>lehrer klagen über mangelnde Resonanz auf politische<br />

Problemstellungen; das "Betroffenheitsprinzip" greift nur noch selten,<br />

Konzepte des "schülerorientierten <strong>Unterricht</strong>es scheitern. Bei Schülern<br />

zeigt sich im gymnasialen Bereich oft unerwartet die Rückkehr zu sehr traditionellen<br />

Formen der Leistungsorientiertheit, die eine fortschrittliche<br />

Didaktik schon längst für obsolet erklärt hatte; offensichtlicher Konventionalismus<br />

konzentriert sich wieder auf die viel geschmähten "Sekundärtugenden"<br />

und bürgerlichen Werte. Und daneben unvermittelt biographische<br />

Brüche und Abstürze bei einer zunehmenden Zahl von Schülern, von denen sich<br />

Lehrer schlicht überfordert fühlen. Doch ist diese Schulwelt im traditionellen<br />

Sinne "wieder in Ordnung", wie vielleicht mancher älterer Kollege<br />

meinen könnte? Nein, die Jugend- und Adoleszenzproblematik ist unvermindert<br />

eine Aufgabe und Herausforderung für Schule und <strong>Politik</strong>unterricht; doch muß<br />

eine neue Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit erfolgen, um die neuen<br />

Ausdrucks- und Erscheinungsformen adäquat beschreiben zu können. Die <strong>Politik</strong>didaktik<br />

muß ihre Postulate und Fragestellungen vor dem Hintergrund neuartiger<br />

Erfahrungen überprüfen.<br />

Ehe diese "Beobachtungen" aber Anlaß zu einer solchen Revision politikdidaktischer<br />

Paradigem werden, sollten sie selbst einmal kritisch befragt und<br />

infrage gestellt werden. Tatsache ist jedoch offensichtlich, daß die subjektive<br />

Befindlichkeit sich selbst als politisch "fortschrittlich" verstehender<br />

Kollegen deutliche Einbrüche erfahren hat und daß sie gerade in<br />

ihrem Kontakt zu den Schülern Akzeptanzverluste hinnehmen mußten.<br />

Fragen an den kritisch beobachtenden Lehrer:<br />

(1) Hat er sich selbst geändert, schlagen persönliche Frustrationen und die<br />

(nicht positiv verarbeitete?) Erfahrung des Älterwerdens auf seine Wahrnehmungsfähigkeit<br />

gegenüber dem Verhalten der Jugendlichen durch?<br />

(2) Hat er sich selbst zu sehr an den äußeren Ausdrucksformen des "Politischen"<br />

orientiert und sieht dadurch nicht den politischen Kern der Konflikte<br />

und Interessenlagen der nachrückenden Generation, die sich ihre<br />

eigenen Ausdrucksweisen und Symbolsprachen entwickelt? Ist der Vorwurf der<br />

"<strong>Politik</strong>unfähigkeit" schlicht ein Ausdruck der gestörten symbolischen Kommunikation?<br />

(Die auch in der Gegenrichtung ebenso gestört sein kann!)<br />

An der Hochschule zeigen sich Parallelen, wenn die häufigen professoralen<br />

Vorwürfe, die heutige Abiturientengeneration sei weniger gut auf das Studium<br />

vorbereitet als die vorhergegangenen Studentenjahrgänge (übrigens ein<br />

durch die Jahrhunderte laufender Dauervorwurf gegen die jeweils nachrückenden<br />

Generationen), kritisch unter die Lupe genommen werden. Meist stellt<br />

sich dann heraus, daß der eigentliche Vorwurf gar nicht konkreten Wissensdefiziten<br />

oder Lernfähigkeiten gilt (die ja schnell ausgeglichen werden<br />

könnten), sondern der sogenannten "Arbeitshaltung", d.h. dem offeren Ausdruck<br />

von Unlustgefühlen, von lässigen Sozial- und Kommunikationsformen,<br />

die als Unfähigkeit zu konzentriertem wissenschaftlichem Arbeiten interpretiert<br />

werden; die heutige Studentengeneration unterwirft sich nur noch bedingt<br />

den formalen Aufmerksamkeits- und Wissenschaftsritualen und wird daher<br />

nicht in ihren tatsächlichen Lernleistungen gewürdigt.<br />

;SW;<br />

Ist die Kritik von Lehrern an heutigen Schülern nicht häufig auch nur eine<br />

Kritik an unverstandenen oder falsch interpretierten Kommunikationsstilen,<br />

die so gar nicht zu unserem herkömmlichen Bild der "politischen" Auseinandersetzung<br />

passen?<br />

Diese Fragen sind zumindestens teilweise zu bejahen. Die komplizierten Kommunikationsverhältnisse<br />

und gestörten Erwartungshaltungen zwischen den Ge-<br />

3


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

nerationen hat W. Jaide in seinem neuen Buch -•über dessen Schlußfolgerungen<br />

durchaus kontroverse Beurteilungen möglich sind•- ausführlich ausgebreitet.<br />

Für uns <strong>Politik</strong>lehrer ist es dabei von Interesse, daß subjektive<br />

Wahrnehmungsperspektiven objektivistische Gesellschaftsmodelle überlageren<br />

[vgl. dazu u.a. auch Papcke] und Symbolsprachen Bewußtsein direkter prägen<br />

als "objektive Interessenlagen" [vgl. dazu Steinert et.al. oder Luhmann].<br />

Die Vielzahl der in der Gesellschaft möglichen Wahrnehmungsperspektiven<br />

-•zu denen Generationenerfahrungen beitragen•- prägen politisches Verhalten<br />

und begründen somit teilweise die soziale Realität.<br />

Im nächsten Heft: Sozialisationsinstanz Schule?<br />

"Jugendkulturen"<br />

Realitäten und Surrogate<br />

Konsequenzen für den <strong>Politik</strong>unterricht<br />

________________________________________________________________________________<br />

Marginalie<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

"Geographen leiden. Sie leiden an ihrem Gegenstand, der sich nicht verbindlich<br />

definieren läßt und obendrein nicht ihnen allein gehört. Geographen<br />

leiden an der Aufteilung der Wissenschaft, denn ihr Fach ist keine<br />

exakte Naturwissenschaft - und bei den Geisteswissenschaften nimmt man sie<br />

nicht ernst." LEUTZINGER, Geogr.Helv. 1984, S. 107<br />

"Im Fall der Sozialgeographie (i.w.S.) besteht das Problem darin, daß sie<br />

ebenfalls konstitutionell ( ) darauf festgelegt ist, in einer räumlichen<br />

Sprache über Soziales zu reden, und d.h. zum Beispiel: eine Struktur der<br />

physischen Welt zu benutzen, um Phänomene der sozialen Welt zu ordnen, also<br />

Phänomene in einer Welt, deren Charakteristikum gerade darin besteht, daß<br />

sie - im Gegensatz zu den Gegenständen der physischen Welt - überhaupt<br />

keine räumliche Existenz besitzen." [HARD 1987, S. 128]<br />

"Ein Problem der jüngeren Geographie ist sicherlich deren permanenter Anachronismus<br />

Wie wäre es stattdessen mit einer Alternative, die die<br />

Geographie einmal an sie "Spitze" der gesellschaftlichen Entwicklung<br />

brächte: der aktiven Mitarbeit an dem neuen Weltbild der Postmoderne, in<br />

Fortführung der Aufklärung, ohne dem Mystizismus oder der Esoterik anheimzufallen,<br />

sondern im Verfolgen eines Konzeptes der `Ökoregion'?" [BAHREN-<br />

BERG 1987, S. 157]<br />

4


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

-------------------------------------------------------------------------------<br />

Schulpolitik<br />

-------------------------------------------------------------------------------<br />

Diskussionspunkte für eine neue Schulpolitik in Niedersachsen<br />

In vielen Gesprächen mit Kollegen kristallisieren sich einige Leitlinien<br />

für schulpolitische Forderungen an eine neue niedersächsische Landesregierung<br />

heraus, die zunächst einmal in unserer Mitgliederschaft zur Diskussion<br />

gestellt werden sollen. Sinn soll es sein, nach einer gewissen internen<br />

Diskussionsphase mit diesen Forderungen in die Öffentlichkeit zu<br />

treten und z.B. eine größere Veranstaltung mit niedersächsischen Schul- und<br />

Bildungspolitikern durchzuführen. Ohne Zweifel müssen dafür auch neue Rahmenbedingungen<br />

gesetzt werden: die Bildungspolitik muß im Programm der Landesregierung<br />

wie im niedersächsischen Etat einen anderen, deutlich verbesserten<br />

Stellenwert einnehmen und, dies zugrunde gelegt, muß auch die Personal-<br />

und Einstellungspolitik grundlegend verbessert werden mit Arbeitszeitverkürzungen<br />

und Neueinstellungen. Dies sind allgemeine gewerkschaftliche<br />

Forderungen - wie im übrigen die eine oder die andere These des nachfolgenden<br />

Textes auch -, sie sind damit aber auch notwendige Voraussetzung dafür,<br />

die Situation der politischen Bildung in den Schulen und speziell des<br />

Faches <strong>Politik</strong> zu verbessern und aufzuwerten. Wir sehen keinen Sinn darin,<br />

schulpolitisch nicht mehr über den Tellerrand des eigenen Faches hinauszuschauen,<br />

sondern wir wollen eine neue Bildungspolitik in allen Bereichen<br />

unseres Erziehungswesens.<br />

1. Das Schulsystem ist unter der Zielsetzung einer fortschreitenden Integration<br />

der Schulformen weiter zu entwickeln. Alle Integrations- und Kooperationsansätze<br />

sind, auch standortabhängig unterschieden, zu fördern und<br />

zu unterstützen. Auch dort, wo zunächst die weitest entwickelte Intergrationsform<br />

der IGS nicht zu realisieren ist, können Schritte zu einem integrierenden<br />

System unternommen werden. Es ist anzustreben, die isolierte<br />

Hauptschule aufzugeben und in integrierte Systeme einzubeziehen. Das geschieht<br />

parallel zur allgemeinen Einführung eines zehnten Schuljahres. Die<br />

als Schulform und -standort isolierte Orientierungsstufe hat sich nicht<br />

bewährt; sie ist in integrierte Systeme einzubeziehen. Bei Gesamtschulen<br />

sollte sie, wie jetzt schon vorhanden, als Eingangsstufe bestehen, in den<br />

anderen Fällen sollte sie in eine neue sechsjährige Grundschule einbezogen<br />

werden, ohne dabei aber ihre eigenen orientierenden Aufgaben als Schulstufe<br />

zu verlieren.<br />

2. Ganztagsschulformen sind weiter zu entwickeln und standortspezifisch<br />

ausgestaltet flächendeckend für den Sek.I-Bereich anzubieten.<br />

3. Im Sek.I-Bereich ist die Arbeitsbelastung durch drastische Einschränkung<br />

der Pflichtstundenzahlen zu reduzieren. Ein breites Angebot im Wahlbereich<br />

soll den <strong>Unterricht</strong> in den Pflichtfächern ergänzen. Dafür müssen die fachlichen<br />

Anforderungen (z.B. in den RRL) überprüft und exemplarisch neu gewichtet<br />

werden. Schüler- und lebensbezogene <strong>Unterricht</strong>sstoffe sollen einen<br />

<strong>Unterricht</strong> ersetzen, der sich nur noch aus konventionellen Bildungsvorstellungen<br />

legitimiert. Der politischen Bildung kommt bei dieser Neubestimmung<br />

eine zentrale Aufgabe zu. In den kritischen Jahrgängen der 9. und 10. Klassenstufe<br />

soll die Schule zu einer polytechnischen Stufe fortentwickelt werden,<br />

in der praktische Lernangebote eine zentrale und auch berufsorientierende<br />

Rolle spielen. Die soll auch für das Gymnasium gelten.<br />

4. Die Fülle der derzeitigen Schulabschlüsse soll überprüft und reduziert<br />

werden. Alle Schullaufbahnen sollen ohne institutionalisierten Zeitverlust<br />

die Möglichkeit des Erwerbs jedes weiterführenden Schulabschlusses öffnen.<br />

Schulabschlüsse sollen dabei offener strukturiert und weniger an einem<br />

Pflichtkanon der Fächer orientiert sein, so daß auch Schulversuche und<br />

alternative Schullaufbahnen (auch in geeigneten Schulen des privaten Schul-<br />

5


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

wesens) ohne zusätzliche Erschwernisse die volle Abschlußvielfalt bis hin<br />

zur Studierfähigkeit eröffnen können. Ungleichwertige Übergangshürden zur<br />

Sek.II in den verschiedenen Schulformen müssen beseitigt werden. Das Abitur<br />

muß die einzige allgemeine Zugangsvoraussetzung für das Studium bleiben;<br />

Hochschuleingangsprüfungen sind abzulehnen. Das berührt jedoch nicht besondere,<br />

ggf. fachgebundene zusätzliche Hochschulzugangsmöglichkeiten z.B.<br />

über den zweiten Bildungsweg und über besondere abiturersetzende Prüfungen;<br />

diese Zugangswege sind zu erleichtern und zu fördern.<br />

5. Die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung ist zu fördern,<br />

u.a. durch flächendeckende Einführung des Berufsgrundbildungsjahres, durch<br />

berufliche und technische <strong>Unterricht</strong>sfächer im Sek.II-Bereich der allgemeinbildenden<br />

Schulen, die dafür mit den gut ausgestatteten Berufsschulen<br />

kooperieren, durch gegenseitige Information und didaktischen Austausch z.B.<br />

zur Einrichtung einer polytechnischen Stufe in den allgemeinbildenden<br />

Schulen. Das Berufsgrundbildungsjahr soll grundsätzlich in die Ausbildungsvergütung<br />

einbezogen werden; als Übergangsregelung soll der Zugang der Berufsschüler<br />

zu BAFÖG/NAFÖG ermöglicht werden. Die erprobte und bewährte<br />

besondere Förderung lernschwacher Schüler in den Berufschulen vor allem<br />

durch praktisch orientierte Ausbildungsgänge soll beibehalten und besonders<br />

gefördert werden.<br />

6. Die Schulverfassung ist in Richtung auf größere Unabhängigkeit und<br />

Selbstverantwortung der Schulen weiter zu entwickeln, wobei Konzepte der<br />

Stadtteil- und Bürgerschule möglich sein müssen. Die Selbstverantwortung<br />

darf jedoch nicht durch Orientierungslosigkeit konterkariert werden. Daher<br />

ist ein umfassendes und kompetentes Beratungs- und Fortbildungssystem zu<br />

entwickeln, das - bis auf deutlich eingeschränkte Fälle der Rechtsaufsicht<br />

- die bisherige Mittelinstanz und obere Schulbehörde ablöst. In diesem Bereich<br />

sind die Personalvertretungsrechte zu stärken und eine kontinuierliche<br />

Mitbestimmung in allen grundsätzlichen und personalpolitischen Fragen<br />

zu gewährleisten.<br />

7. Die Sek.II der allgemeinbildenden Schulen ist grundlegend zu reformieren,<br />

wobei viele Elemente der ursprünglichen Konzeption der Kursstufe<br />

wieder aufgegriffen werden können:<br />

* Die Klassenstufe 11 ist wieder auf ein strikt vorbereitendes Vorsemester<br />

zu reduzieren. Darauf folgen dann durchschnittlich vier Semester Kursstufe,<br />

was - auch bei einem Abiturtermin am Ende der Gesamtschulzeit - zu einer<br />

eventuellen Verkürzung der Schulzeit führen kann. Die Dauer des Besuchs der<br />

Sek.II sollte in gewissen Grenzen flexibel sein und vom Schüler selbst bestimmt<br />

werden können. Jahrgangswiederholungen mit "Kursverlusten" aus dem<br />

"ersten Durchgang" sollte es nicht geben; an diese Stelle tritt ein "credits"-System.<br />

* Die Pflichtauflagen werden reduziert. In den Mittelpunkt wird wieder die<br />

Verteilung der Kurse auf die Aufgabenfelder gestellt. Der Tendenz, Hauptund<br />

Nebenfächer zu unterscheiden, ist entgegenzuwirken.<br />

* Projektorientiertes Lernen, interdisziplinäre Kursfolgen und polyvalente<br />

Kursangebote sind gleichberechtigt anzuerkennen; die Schulen sind zu ermutigen,<br />

solche neuen Lernformen zu erproben und in die Praxis umzusetzen.<br />

Dabei sollten auch Prüfungsfächer und Leistungskurse mit polyvalenten und<br />

interdisziplinären Kurssequenzen möglich sein. Das traditionelle Fachsystem<br />

ist dabei kritisch zu werten und nach Möglichkeit in seiner Bedeutung zu<br />

reduzieren. RRL müssen in den Aufgabenfeldern aufeinander abgestimmt und<br />

ggf. integriert werden.<br />

* Praktische Fächer können an allen Schulen in die Abiturqualifikation mit<br />

einbezogen werden.<br />

6


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

* Über das "credits"-System können, nach inhaltlicher und rechtlicher Prüfung,<br />

auch außerhalb der Schule erworbene gleichwertige Qualifikationen in<br />

die Abiturqualifikation mit einbezogen werden, wodurch u.U. das Fremdsprachenangebot<br />

der Volkshochschulen besser genutzt werden könnte. Vorhandene<br />

berufliche Qualifikationen können mit berücksichtigt werden.<br />

* Muttersprachliche Kurs- und Prüfungsangebote für Schüler und Schülerinnen<br />

ausländischer Herkunft sind flächendeckend nach Bedarf einzurichten.<br />

8. Schulversuche und Laborschulen sind zu ermöglichen, zu fördern und<br />

einzurichten. Für eine wissenschaftliche Betreuung über längere Zeiträumne<br />

hin sind die personellen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen. Die<br />

Ergebnisse sind vom Land zu publizieren und den Schulen zur Kenntnis zu<br />

bringen. Bewährte Neuerungen sind in anderen Schulen zu genehmigen und zu<br />

fördern.<br />

9. Reformkommissionen für die einzelnen Schulstufen sollten als Dauereinrichtung<br />

geschaffen werden; sie sollten flexibel besetzt und aufgabenspezifisch<br />

reorganisierbar gestaltet sein; dabei sollte nur in Ausnahmefällen<br />

eine Fachseparation erfolgen. Diese Reformkommissionen begleiten Schulversuche,<br />

verfolgen ohne Aufsichtsfunktion Bewährung oder Probleme von RRL,<br />

Erlassen und - in ausgewählten Fällen - der <strong>Unterricht</strong>spraxis in den<br />

Schulen. Die Kommissionen erstellen Gutachten, Reformvorschläge, <strong>Unterricht</strong>svorschläge<br />

und initiieren bei Bedarf die Überarbeitung von RRL.<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

THESEN ZUR SCHULORGANISATION<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

Ein Diskussionspapier<br />

Da das "dreigliedrige Schulwesen" auf mittlere Sicht wohl nicht generell<br />

durch integrierte Gesamtschulen abgelöst werden kann, sollten vielfältige<br />

integrierende Schulsysteme auf der Grundlage der differenzierten örtlichen<br />

Bedingungen geschaffen werden. In der Diskussion um die organisatorische<br />

Anbindung der Orientierungsstufe sollte "der Spieß umgedreht werden", und<br />

eine Anbindung an die Grundschule gefordert werden - mit Ausnahme der Gesamtschulen<br />

mit integrierter Orientierungsstufe. Dabei können Grundelemente<br />

der Orientierungsstufe, die einst die Einführung mit begründet haben,<br />

durchaus beibehalten werden, so daß ein Stufencharakter erhalten bleibt:<br />

* Primat der Orientierungsfunktion, d.h. der Orientierung der Schüler über<br />

seine eigenen Lernfähigkeiten im Sinne einer positiv fördernden Motivierung,<br />

Orientierung der Eltern über curriculare Möglichkeiten und Förderchancen<br />

für ihre Kinder, Orientierung der Schule über individuelle und<br />

kollektive Lernbedürfnisse, um diese zur Grundlage der Strukturierung und<br />

Evaluierung der Lernangebote in den weiterführenden Schulen zu machen.<br />

* Einbeziehung von Lehrern aller bisherigen Schulformen im Fachunterricht<br />

der Orientierungsstufen.<br />

* Binnendifferenzierung in flexiblen Leistungs- und Neigungsprofilen.<br />

Orientierungsstufenunterricht richtet sich also nicht nach den Anforderungen<br />

des Sekundarbereichs, sondern gibt die Orientierungsdaten zur curricularen<br />

Gestaltung des weiterführenden Schulwesens. Die soziale Integration<br />

und schulische Kontinuität durch ein ausgeprägtes Klassenlehrer- und Team-<br />

Kleingruppen-System steht im Vordergrund der Bildungsziele in der "Basisschule".<br />

Hauptschule und Realschule werden organisatorisch zusammengeführt, auch<br />

wenn eine erstrebenswerte Integration der gymnasialen Bildung am konkreten<br />

Standort (noch) nicht möglich erscheint. Die traditionellen Unterschiede<br />

bleiben wenn es sinnvoll erscheint als positive Binnendifferenzierung erhalten.<br />

Das 10. Schuljahr ist generell Abschlußklasse. Es folgt i.d.R. das<br />

BGJ, alternativ dazu weiterführende schulische Berufsausbildung oder der<br />

7


Übergang in die gymnasiale Oberstufe.<br />

politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

Die Beschränkungen für die Errichtung weiterer Gesamtschulen wird aufgehoben.<br />

Gesamtschulen werden im Schulgesetz als Regelschulen verankert.<br />

Überall, wo die örtlichen Bedingungen es erlauben und eine Grundakzeptanz<br />

zu erreichen ist - die zum Erhalt der örtlichen Schule bei sinkenden<br />

Schülerzahlen wachsen wird -, werden Gesamtschulen entweder neu errichtet<br />

oder durch organisatorische Zusammenfassung vorhandener Schulen geschaffen.<br />

Bei geringen Schülerzahlen kann zur Wahrung des Elternwillens von erheblichen<br />

Minderheiten auf integrierende Zwischenformen wie Schulzentrum und<br />

KGS zurückgegriffen werden. Sekundar-Gesamtschulen werden dort errichtet,<br />

wo keine ausreichende Versorgung mit weiterführenden Schulangeboten möglich<br />

ist. Die schrittweise Integration des berufsbildenden Schulwesens ist<br />

möglich.<br />

Generell ist das Angebot des weiterführenden Schulwesens den örtlichen Bedingungen<br />

und Bedürfnissen anzupassen. Schematische Lösungen sollten vermieden<br />

werden. Die Möglichkeiten von Schulversuchen sollten sowohl in Hinblick<br />

auf die Schulorganisation, die innere Schulverfassung als auch in<br />

Hinblick auf die <strong>Unterricht</strong>sangebote erweitert werden. Die Schulverwaltung<br />

tritt dabei beratend und fördernd auf. Schulreformkommissionen als zentrale<br />

oder regionale permanente Einrichtungen mit besonderer Beteiligung betroffener<br />

Lehrkräfte (ggf. aber auch Eltern und Schüler) sollen diese Versuche<br />

dokumentieren, beratend begleiten, innovativ anregen und in Zusammenarbeit<br />

mit den örtlichen Hochschulen überprüfen.<br />

Die Entscheidungsspielräume der einzelnen Schulen sind wesentlich zu erhöhen;<br />

dabei ist die Kompetenz der Konferenz zu stärken. Die dienstrechtliche<br />

Struktur aller Schulen ist zu vereinheitlichen. Die Eingriffs- und<br />

Kontrollbefugnis der Mittelinstanz ist kritisch zu überprüfen, auf Rechtsschutzbelange<br />

von Schülern, Eltern und Lehrern zu beschränken und grundsätzlich<br />

zu reorganisieren. Hierarchische Strukturen der Verwaltung sind<br />

zugunsten von Mitbestimmungsrechten abzubauen. Gremienkontrolle geht vor<br />

Verwaltungsvollzug.<br />

Schritte zur stärkeren Berufsorientierung der weiterführenen Schulen auch<br />

im Gymnasialbereich sind vorzubereiten. Dabei kann eine "Polytechnische<br />

Stufe" in Klasse 9/10 zum einen als Abschluß des allgemeinbildenden Schulwesens<br />

im Übergang zur Berufsausbildung (BGJ) dienen - im Vordergrund steht<br />

dabei der Praxisbezug. Zum anderen wird die (berufs- und bildungsgang-)orientierende<br />

Funktion dieser Stufe auch für den "traditionellen Gymnasiasten"<br />

im Übergang zur Sek.II realisiert und verstärkt, was seine Selbständigkeit<br />

und Wahlkompetenz erhöht. Die "Gelenkfunktion" der Klassenstufe 9/10 im<br />

Individualcurriculum ist bisher noch nicht hinreichend berücksichtigt worden.<br />

Die unterrichtlichen Schwierigkeiten in dieser Altersstufe in allen<br />

Schulformen sollten tiefere Eingriffe in das <strong>Unterricht</strong>sangebot rechtfertigen<br />

und auch die Eliminierung traditioneller Bildungsstoffe in diesem Zeitraum<br />

möglich machen. Einige Vorstellungen zur Binnenorganisation einer<br />

"Polytechnischen Stufe" sollen im Folgenden zur Diskussion gestellt werden:<br />

1. Das stufengerechte <strong>Unterricht</strong>sangebot umfaßt alle Schultypen; die Differenzierungen<br />

ergeben sich aus der unterschiedlichen Gewichtung der<br />

Praxis-, Orientierungs- und Fortbildungsanteile.<br />

2. Drei grundsätzlich zu unterscheidende <strong>Unterricht</strong>stypen stehen nebeneinander:<br />

Projekte. Zentrale Lernfelder werden nicht mehr auf Fachcurricula<br />

sondern auf Lebens- und Erfahrungssituationen bezogen und mit problembezogenen<br />

Anteilen in selbständigen Arbeitsformen interdisziplinär, ggf.<br />

in team-teaching oder in anderen Kooperationsformen, angeboten. Diese<br />

Projekte werden entweder in geringer Zahl nebeneinander mit vierteljährlichem<br />

Wechsel oder vollständig epochal angeboten, um eine optimale Arbeitskontinuität<br />

zu erreichen. Zehn Wochenstunden Projektunterricht un-<br />

8


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

terstreichen die Bedeutung dieses <strong>Unterricht</strong>sblockes.<br />

3. Die Klassen 9 und 10 gelten als Einheit, zwischen denen keine Versetzung<br />

stattfindet. Bei ungenügenden Leistungen für einen bestimmten angestrebten<br />

Abschlußtyp (z.B. Übergang in die gymnasiale Oberstufe) oder beim<br />

Wunsch, gezielt Defizite aufzuarbeiten, bevor der Übergang in die Berufsausbildung<br />

stattfindet, kann der Schulbesuch in der "Polytechnischen<br />

Stufe" um ein Jahr verlängert werden, ohne daß dies im üblichen Sinne<br />

als "Sitzenbleiben" gilt.<br />

4. Der Übergang in die gymnasiale Oberstufe erfolgt bei hinreichend qualifizierten<br />

Leistungen in der Mehrzahl der Projekte, bei denen Wissenserwerb,<br />

formalisierte Leistungsüberprüfungen (Ergebnisvorlagen), Erwerb<br />

von Arbeitsfähigkeiten (Methodenlernen) und Arbeitsintensität gleichermaßen<br />

in die Beurteilung eingehen. Bestimmte Einzelqualifikationen können<br />

darüber hinaus verlangt werden, wie: Fertigkeiten in den grundlegenden<br />

Kulturtechniken (die entweder mit dem Abschlußzeugnis der Klasse 8<br />

oder dem erfolgreichen Abschluß von Trainingskursen nachgewiesen werden)<br />

und Fremdsprachenkenntnissen aus dem "FS"-Bereich, wobei bestimmte Defizite<br />

durch Aufbaukurse oder Fremdsprachenneuanfang in der Sek.II noch<br />

ausgeglichen werden können. Neben dem Notenbild spielt das von den Fachlehrern<br />

in Zusammenarbeit mit dem Klassenlehrer zu formulierende Leistungsgutachten<br />

eine entscheidungsstützende Rolle.<br />

5. Individualisierung der Lernmöglichkeiten in der "Polytechnischen Stufe"<br />

bedeutet keineswegs Verstärkung der Auslese sondern optimale Förderung<br />

der Schüleranlagen und -fähigkeiten, um einen möglichst problemlosen<br />

Übergang in die Berufsbildung bzw. die gymnasiale Oberstufe zu gewährleisten.<br />

Durch intensive persönliche Betreuung und Beratung ist zu<br />

sichern, daß der Schüler diesen fördernden Charakter auch subjektiv<br />

wahrnimmt und dadurch zu einer für ihn positiven und erfolgsversprechenden<br />

Laufbahnwahl motiviert wird. Die übermäßige Intellektualisierung des<br />

<strong>Unterricht</strong>s in dieser Stufe muß auch im Gymnasialbereich vermieden werden;<br />

die praktische Selbsttätigkeit steht im Vordergrund wie das eigenverantwortliche<br />

Aufarbeiten erkannter Defizite. Die intensive Beteiligung<br />

der Schüler bzw. Schülervertretung an allen Entscheidungen für<br />

diese Stufe (Projektangebote, Kurse, Stundenpläne, Leistungsdefinitionen)<br />

ist für den Stufenerfolg ausschlaggebend und führt zur Erörterung<br />

der Schulverfassungsprobleme.<br />

Arbeitsfelder:<br />

ATW (Arbeit, Technik, Wirtschaft), z.B. mit Angeboten wie: Betriebspraktikum;<br />

Elektrizitäts-/Elektronik-Praktikum; Handwerkliche Fertigung; Formgebung<br />

und Funktion; Arbeitnehmer und Verbraucher: Rollen in der Industriegesellschaft;<br />

Ökologie-Praktikum [mit einem hohen Maß an außerschulischer<br />

Erkundung und an praktischer Arbeit prägen dieses Arbeitsfeld].<br />

KS (künstlerische und soziale Praxis), z.B. mit Angeboten wie: Sozialpraktikum<br />

(u.U. mit Erste-Hilfe-Kurs o.ä.); küstlerische Projekte (Musik,<br />

Tanz, Theater, Gestaltung); Hunger und Überfluß (vgl. Film "September–<br />

weizen"); Nachbarschaft und Kommunalpolitik; Kommunikation und Selbstfindung<br />

[in allen diesen KS-Projekten wird versucht, unter starker Berücksichtigung<br />

der abilen emotionalen Befindlichkeit dieser Altersstufe zur<br />

Selbstfindung in der konkreten gesellschaftlichen Situation aufzuzeigen;<br />

Grundeinsichten der politischen Bildung werden dabei im Praxisbezug ver–<br />

mittelt].- Es ist offensichtlich und soll hier nicht im einzelnen belegt<br />

werden, daß die meisten traditionellen Schulfächer hier gefordert sind,<br />

den fachlichen Hintergrund der Projekte zu strukturieren (in ATW z.B.<br />

in starkem Maße auch die Naturwissenschaften), daß aber neue Fachquali–<br />

fikationen auf Lehrerseite entwickelt werden müssen (angewandte Wissen–<br />

schaften, Kommunikationswissenschaften, technologische Qualifikationen:<br />

ob hier nicht auch für die allgemeinbildenden Schulen eine engere Koope–<br />

ration mit dem berufsbildenden Schulwesen sinnvoll wäre?).<br />

Basisunterricht und Fremdsprachenkurse. Dieser <strong>Unterricht</strong> läuft das<br />

Schuljahr über in traditioneller Form durch, reduziert sich aber in der<br />

Stundezahl auf das unbedingt Erforderliche. Die mit je drei Wochen-<br />

9


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

stunden ausgestatteten Fremdsprachen konzentrieren sich auf die anwendungsbezogene<br />

Beherrschung der Sprache und schließen mit besonderen<br />

Stufenzertifikaten an Stelle der bisherigen Semesterzensuren. Die Anzahl<br />

der durchzuführenden Fremdsprachen soll sich zwar im Prinzip an den bisherigen<br />

Regelungen in Hinblick auf die angestrebten Abschlüsse orientieren,<br />

abweichende Individualcurricula sollten auf der Basis eines<br />

durchgängigen "Credits-Systems" leichter möglich sein, um z.B. tiefgreifende<br />

Motivationseinbrüche flexibel überbrücken zu können. Diese<br />

Stufenzertifikate oder "Credits", die ggf. auch extern erworben werden<br />

können (Ausland, Sprachschulen, Volkshochschulen) treten in den Fremdsprachenauflagen<br />

an die Stelle der herkömmlichen Belegverpflichtungen.<br />

Weiterer Basisunterricht wird mit zwei Wochenstunden im Bereich Religion<br />

/ Werte und Normen/Ethik / Philosophie belegt. Dazu kommen Klassenlehrer-<br />

und Betreuungsstunden zur Schullaufbahnberatung und persönlichen<br />

Begleitung der Schülerperson. Unter Umständen kann dies mit einem Teilaspekt<br />

der Politischen Bildung verknüpft werden (Sozialberatung, Gesundheitserziehung,<br />

Drogenaufklärung etc.).<br />

Sport/Leibeserziehung wird ebenfalls diesem <strong>Unterricht</strong>styp zugeordnet.<br />

Auch hier steht der Erwerb von Leistungsscheinen (z.B. Schwimmzertifikate,<br />

Bundesjugendspiele, bis hin zu Trainer-Scheinen) im Vordergrund.<br />

Allgemeine, versetzungsrelevante Sportzensuren werden nicht erteilt. Für<br />

daran interessierte Schüler kann an Stelle des leistungsorientierten<br />

Sportes auch ein Angebot eines eher spielerischen Bewegungsunterrichtes<br />

(Mannschaftsspiele, freie Gymnastik, Tanz, Wandern etc.) treten.<br />

Training. Leistungsdefizite sollen in dieser Stufe gezielt in differenzierten<br />

Kursangeboten und Förderunterricht behoben werden. Je nach der<br />

Leistungssituation der Schüler sollen Trainingskurse angeboten werden<br />

für Rechnen, Rechtschreibung, deutsche Sprachbeherrschung, Deutsch für<br />

Ausländer, Rethorik, Informatik. Individuelle Förderprogramme bei spezifischen<br />

Lernbehinderungen gehören in diesen Bereich. Ist das Stundenkontingent<br />

durch diese Grundtrainingsangebote, die mit Erfolgszertifikaten<br />

abgeschlossen werden können, nicht ausgeschöpft, so können wahlfreie<br />

Ergänzungsangebote wahrgenommen werden: Fremdsprachenqualifikation (Korrespondenz,<br />

technische Sprachen), Schreibmaschine und EDV, kaufmännisches<br />

Rechnen, technisches Zeichnen und andere berufsbezogene Lernmöglichkeiten.<br />

Dies soll grundsätzlich auch im gymnasialen Bereich möglich<br />

sein. Die individuellen Wahlprofile ersetzen schließlich die schematische<br />

Trennung nach Schulformen.<br />

"WEG": Wissenschaftsorientierte Ergänzungsangebote im Gymnasialbereich, die<br />

stärker hochschulorientiert sind. Hier können die traditionellen Schulfächer<br />

in begrenzten Kursangeboten schon in Hinblick auf die Sek.II vor<br />

bereitet und auch gezielt Defizite im Grundbildungsbereich aufgearbeitet<br />

werden. Die besondere Begabtenförderung findet in diesem Bereich statt.<br />

In jedem Halbjahr findet eine intensive fachliche Beratung jedes Schülers<br />

statt, in deren Rahmen ein individuelles "Trainingsprogramm" zusammengestellt<br />

wird. Die Erfolge im "Trainingsblock" geben sichere Hinweise<br />

auf die weitere Schullaufbahnqualifikation. Eine abschließende Beurteilung<br />

dieser Qualifikation ist in einem vom Klassenlehrer auf der<br />

Grundlage der Versetzungskonferenzbeschlüsse zusammengestellten Gutachten<br />

am Ende der Klasse 10 als Teil des Sek.I-Abschlusses vorzulegen.<br />

Die Klassen 9 und 10 gelten als Einheit, zwischen denen keine Versetzung<br />

stattfindet. Bei ungenügenden Leistungen für einen bestimmten angestrebten<br />

Abschlußtyp (z.B. Übergang in die gymnasiale Oberstufe) oder beim<br />

Wunsch, gezielt Defizite aufzuarbeiten, bevor der Übergang in die Berufsausbildung<br />

stattfindet, kann der Schulbesuch in der "Polytechnischen<br />

Stufe" um ein Jahr verlängert werden, ohne daß dies im üblichen Sinne<br />

als "Sitzenbleiben" gilt.<br />

10


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

ÜBERSICHT: STRUKTURREFORM DES ALLGEMEINBILDENDEN SCHULWESENS<br />

| universitäres < Uni-Zwischepüfung/Abitur<br />

13: IGS | Sekundar- | Berufs- | weiter- | gymnasiale | "Uni-Colleg" ==== < Abitur<br />

| KGS | Gesamt- | schule | führende | Oberstufe: |<br />

12: . | Schule | | Berufs- | Kursstufe | Abiturvorbereitung<br />

| . | . | | ausbildung| . .<br />

11: . | . | BGJ | | Einführungsstufe Orientierung<br />

< Sek.-I Abschlüsse<br />

10: . | . |Beratung, Gutachten<br />

| . | . |"Polytechnische Stufe" [differenziert]<br />

9: . | . |Befähigungszertifikate<br />

8: . | . | Integrierende Systeme fachliche Grundbildung<br />

| . | . | HS/RS | Gymnasium Leistungsdifferenzierung<br />

7: . | . | |<br />

6: . |<br />

| | Integrierte Orientierungsstufe [binnendifferenzier]<br />

5: . | Grundbildung, Allgemein-wissen, Orientierung<br />

-<br />

4: . | allgemeine Kulturtechniken<br />

| . | .<br />

3: . | "Basisschule": | keine | spielerisches, soziales<br />

| . | Grundschule und | Versetzung | Lernen; sprachliche<br />

2: . | Orientierungsstufe | keine | Früherziehung; künst-<br />

| . | | Leistungsnoten | lerische und motorische<br />

1: . | | | Entwicklung<br />

Gerhard Voigt: Leicht aktualisierte Fassung eines Arbeitspapieres für den<br />

"Emder Arbeitskreis" aus dem Jahr 1985. Vgl. zu den grundsätzlichen Fragen<br />

auch die vom VERBAND DER POLITIKLEHRER e.V., Hannover, vorgelegten Reform<br />

Bürger in Hannover: politisch aktiv oder apathisch?<br />

---------------------------------------------------------------------------<br />

Planung eines Kurses für die Sek. II, der an vielen Gymnasien parallel angeboten<br />

werden könnte.<br />

Der Versuch, Schüler/innen für eine Teilnahme an der politischen Gestaltung<br />

unserer Gesellschaft zu interessieren, mißlingt mal wieder - Intention des<br />

Kurses "Demokratie" ist gescheitert! Wer kennt dieses Fazit nicht? Hier<br />

soll nun keine weitere Ursachenanalyse vorgelegt werden. Wir suchen aber<br />

Kollegen und Kolleginnen, die LAUNELUST haben, einen<br />

NEUEN inhaltlichen und<br />

methodischen Zugang zum angesprochenen Themenkomplex zu entwickeln. Vorgeschlagen<br />

wird, ausgehend von früheren auf Kommunalpolitik bezogenen Konzepten<br />

unter dem oben genannten vorläufigen Arbeitstitel folgendes Vorhaben zu<br />

realisieren:<br />

a. Erarbeitung konkreter ausgewählter kommunalpolitischer Problemstellungen<br />

Hannovers (Reader für Schüler/innen),<br />

b. Zusammenstellung von Lösungsvorschlägen und bereits gefällten Entscheidungen<br />

(Reader für Schüler/innen),<br />

c. Bereitstellung (Verweise) von Material, welches den Zugriff zu theoretischen<br />

Reflexionen eröffnet,<br />

d. Organisation einer Veranstaltungsreihe, die parallel zum Kursverlauf<br />

stattfinden sollte.<br />

Wenn wir jetzt anfangen zu planen, gehen wir davon aus, daß die Kurse 1990<br />

vielleicht angeboten werden können. Verbindungen sollen aufgenommen werden<br />

mit der Landeszentrale für politische Bildung, den Ausbildungsseminaren<br />

(Stichwort: Examensarbeiten, die dann praktischen Wert hätten) und Seminarveranstaltungen<br />

an der Universität Hannover, die sich mit entsprechenden<br />

Problemstellungen beschäftigen.<br />

Nun kommt natürlich die "Gretchenfrage":<br />

wer macht mit in der Vorbereitungsgruppe? Meldet Euch bitte bei unserer<br />

Geschäftsstelle oder bei Werner Fink, Tel.: 0511-813263.<br />

W.F.<br />

11


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

---------------------------------------------------------------------------<br />

Jahreshauptversammlung <strong>1988</strong><br />

---------------------------------------------------------------------------<br />

Protokoll der Mitgliederversammlung vom 7.12.<strong>1988</strong><br />

im "Haus der Jugend", Maschstraße, Hannover<br />

von 19.00 bis 21.00 Uhr<br />

1. Es wurde festgestellt, daß die Mitgliederversammlung satzungsgemäß einberufen<br />

wurde; die Beschlußfähigkeit wurde erklärt. Die Tagesordnung<br />

wird genehmigt.<br />

2. Der Vorsitzende gab einen Rechenschaftsbericht ab, die Geschäftsführerin<br />

informierte über Mitgliederstand und Finanzlage des Verbandes.<br />

3. Zur Vorstandswahl:<br />

- der bisherige Vorstand stellte sich erneut zur Wahl,<br />

- der Vorschlag, zusätzlich Werner Fink und Uwe Bellersheim in den Vorstand<br />

zu wählen, wurde angenommen,<br />

- einstimmig gewählt wurden wie folgt:<br />

Gerhard Voigt als Vorsitzender<br />

Werner Fink als stellvertretender Vorsitzender<br />

Lothar Nettelmann und Uwe Bellersheim als Beisitzer<br />

Annegret Hupe-Hilbrich als Geschäftsführerin<br />

4.a. Für die weitere Verbandsarbeit wurden folgende allgemeine Strategien<br />

entwickelt und als notwendig erachtet:<br />

- Die Forcierung einer gezielten Mitgliederwerbung, z.B. auch an den<br />

Studienseminaren;<br />

- eindeutigere politische Stellungnahmen zu Fragen der (Schul-)<strong>Politik</strong>;<br />

- eine verstärkte, vor allem auch personelle Rahmenrichtlinienbegleitung;<br />

- Verbands - Zusammentreffen künftig mehr themengebunden bzw. -zentriert<br />

zu organisieren.<br />

4.b. Für die konkrete Arbeit im Jahr 1989 wurde einstimmig beschlossen:<br />

- vorrangig ein Didaktik-Methodik-Seminar (= Wochenendseminar) konzeptionell<br />

vorzubereiten mit dem Ziel, Lehrer (wie Schüler) u.a. für eine<br />

längst (wieder) notwendige Auseinandersetzung mit Theorie- und Praxisproblemen<br />

des Faches <strong>Politik</strong> zu motivieren;<br />

- mittelfristig an die Planung eines "Ausländersymposiums" (z.B. in Zusammenarbeit<br />

mit der Heimvolkshochschule Hustedt) heranzugehen;<br />

- langfristig zwei weiterführende Projekte (a) zur Kommunalpolitik und<br />

(b) aus dem Medienbereich zu präzisieren und als mögliche Veranstaltungsschwerpunkte<br />

für das darauffolgende Geschäftsjahr vorzubereiten.<br />

Hannover, 7.12.<strong>1988</strong><br />

(Geschäftsführerin)<br />

gez.: A. Hupe-Hilbrich<br />

12


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

____________________________________________________________________________<br />

Jahresprogramm 1989:<br />

----------------------------------------------------------------------------<br />

Arbeitsschwerpunkte im ersten Halbjahr:<br />

1. Rahmenrichtliniengutachten<br />

2. Vorbereitung der Veranstaltungen im Herbst<br />

3. Aktionen zur Mitgliederwerbung,<br />

- Anzeigen<br />

- Informationsblatt über die Verbandsarbeit<br />

- Zielgruppenanschreiben<br />

4. Veröffentlichungen nach Manuskriptfertigstellung:<br />

- Berichtheft "Probleme ausländischer Schüler in<br />

weiterführenden Schulen (z.B. Türken im Gymnasium)"<br />

- Zweiter Teil der "Überlegungen" des Emder Arbeitskreises<br />

zu den Themen: Schulabschlüsse, berufliche Bildung<br />

Beide Hefte gehen den Mitgliedern des Verbandes als Informationsmaterial<br />

zu<br />

Arbeitsschwerpunkte im zweiten Halbjahr:<br />

1. Wochenendseminar zur Ausländerpädagogik<br />

(wir bemühen uns darum, als Mitveranstalter GEW und DGB<br />

zu gewinnen, um zu einem Gespräch zwischen Kollegen, Fachleuten<br />

und Betroffenen sowohl aus dem allgemeinbildenden Schulwesen als<br />

auch aus der beruflichen Bildung zu kommen). Als Arbeitsmaterial<br />

wird u.a. das oben genannte Berichtsheft verwendet<br />

2. Abendveranstaltung zur Schulpolitik des Landes Niedersachsen im<br />

Vorfeld der nächsten Landtagswahlen: Forderungen des Verbandes<br />

und Diskussion mit den Kultuspolitikern<br />

3. Vorbereitung von zwei Seminaren im kommenden Jahr:<br />

- politische Bildung und Kommunalpolitik (Werner Fink)<br />

- Medien und politische Bildung (Annegret Hupe-Hilbrich)<br />

Vgl. Aufsätze im Heft. Mitarbeit ist sehr erwünscht.<br />

________________________________________________________________________________<br />

Marginalie<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

Als <strong>Politik</strong>lehrer beobachten wir mit Sorge Meldungen, die den Zustand des<br />

politischen Bewußtseins in der bundesdeutschen Öffentlichkeit<br />

kennzeichnen; dabei wundern uns Entgleisungen vor allem konservativer<br />

Spitzenpolitiker nicht mehr; sie dennoch aufzuspießen, sollte in einer<br />

Publikation des Verbandes der <strong>Politik</strong>lehrer möglich sein. Die Versuche in<br />

Berlin, das auf private Initiative hin errichtete Denkmal am Landwehrkanal,<br />

dem Ort, wo die Leichen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von<br />

Freischärlern ins Wasser geworfen wurden, wieder zu beseitigen, hat<br />

kürzlich den Gipfel der Peinlichkeit erreicht. Daraufhin hat sich der<br />

Verband der <strong>Politik</strong>lehrer mit folgendem Leserbrief an die Öffentlichkeit<br />

gewandt:<br />

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren - trotz ihrer Eingebundenheit in<br />

die damaligen Zeitumstände und ihrer politischen Fehler und<br />

Fehleinschätzungen - moralisch integre <strong>Politik</strong>er, derer man sich auch heute<br />

mehr als vieler anderer <strong>Politik</strong>er ihrer Zeit als Vorbilder erinnern sollte,<br />

auch wenn wir heute vielleicht zu anderen gesellschaftlichen<br />

Zielvorstellungen gelangen als diese beiden aufrechten Sozialisten. Ihre<br />

feige Ermordung ist ein erinnernswertes Menetekel für den daraus<br />

erwachsenden rechtsradikalen Ungeist, der zum totalen Zusammenbruch der<br />

politischen Kultur und Moral in Deutschland führte. Eines Denkmals braucht<br />

13


politik unterricht aktuell – <strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

sich Berlin wahrlich nicht zu schämen. Dem Herrenzynismus, der heute aus<br />

der Auffassung spricht -"Auch eine solche Ermordung rechtfertigt eine<br />

solche Ehrung nicht": Originalton berliner CDU!- ist im polemischen<br />

Umkehrschluß entgegenzuhalten, daß die heutige berliner CDU-Spitze nicht<br />

wegen ihrer Nichtermordung nicht gedenkenswert ist, sondern aus ihrem<br />

eigenen Charakter heraus dem Vergessen im geschichtslosen Nebel der<br />

Bigotterie und Bedeutungslosigkeit anheimfallen wird!<br />

gv<br />

____________________________________________________________________________<br />

Marginalie<br />

----------------------------------------------------------------------------<br />

Der Weltfrieden scheint <strong>1988</strong> ja etwas sicherer geworden zu sein. Genügend<br />

Konfliktherde sind jedoch noch vorhanden und bedrohen die weitere<br />

friedliche Entwicklung. Interessant ist es dabei, die Wertungen und<br />

Stellungnahmen in der bundesdeutschen <strong>Politik</strong> und Publizistik zu beobachten<br />

- auch in ihrer Maßstabslosigkeit und beängstigenden Bündnistreue zu den<br />

USA. Um dort einmal polemisch gegenzuhalten, hielt ich den Anlaß des<br />

virulent werdenden Konfliktes zwischen den USA und Libyen für geeignet und<br />

habe als Vorsitzender des Verbandes folgenden Leserbrief verschickt.<br />

Die in Ihrer Titelgeschichte mitgeteilten Einzelheiten des - man muß es<br />

schon so nennen - Krieges zwischen den USA und Libyen zeigt sehr deutlich<br />

die Maßstabslosigkeit und Irrationalität unseres Großmachtsystemes. Eine<br />

Großmacht wie die USA bildet sich ein, weltweit die Maßstäbe setzen zu dürfen,<br />

was politische Moral ist und was bekämpfenswerter Terrorismus. Weltpolizist<br />

nach Wildwestmanier von eigenen Gnaden? So abstoßend jede Art von<br />

militärischer Gewalt und Terror ist - Gaddafis Engagement für Revolution<br />

und Panarabismus ist als Wertvorstellung wenigstens noch nachvollziehbar;<br />

er hat für sein Land sicher mehr Positives bewirkt als Ronald Reagan für<br />

die USA (wenn wir von den irrationalen Komponenten einmal absehen). Auch<br />

Schaden, Staatsterror und persönliches Leid hat die <strong>Politik</strong> der USA in weit<br />

größerem Maße über die Welt gebracht (Nicaragua, Grenada, Bomben auf Tripolis,<br />

Raketen auf den iranischen Airbus, Unterstützung von Mord- und Folterregimen<br />

weltweit), als alle von Gaddafi unterstützen Terroristen. Mir<br />

ist ein (pardon) "gefährlicher Spinner" wie Gaddafi nun mal persönlich doch<br />

sehr viel sympathischer als ein großmauliger Machtzyniker wie Ronald Reagan<br />

(wobei mein <strong>Politik</strong>ideal darin bestehen würde, beide Arten von Aggressionspolitik<br />

zurückzudrängen und überflüssig zu machen).<br />

Gerhard Voigt<br />

Vorsitzender des Verbandes der <strong>Politik</strong>lehrer e.V., Hannover<br />

____________________________________________________________________________<br />

Marginalie<br />

----------------------------------------------------------------------------<br />

Albrecht beklagt sich über den Niedergang der politischen Kultur. Nun,<br />

denke ich, das ist doch die Meldung des Jahres <strong>1988</strong>: ein erster Schritt zur<br />

Selbsterkenntnis in einem Land, in dem das Roulett der Affären ein Hasselmann<br />

- aber er ist ein ehrenwerter Mann - durch ein Celler Loch verschwindet<br />

(oder wie war das noch?)! Aber, nein, da nimmt kein Mauss einen Rath<br />

an: es war doch ganz anders gemeint: die bösen Verfolgungen durch die linke<br />

Pressemafia Ach so, na eben, so ist's<br />

gv<br />

Impressum:<br />

POLITIK UNTERRICHT AKTUELL:<br />

<strong>Dezember</strong> <strong>1988</strong><br />

Mitteilungen des Verbandes der <strong>Politik</strong>lehrer e.V. erscheint in unregelmäßiger<br />

Folge kostenlos für Mitglieder des Verbandes<br />

verantwortlich für den Inhalt: Gerhard Voigt<br />

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