Texte von Arie Goral
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<strong>Texte</strong> <strong>von</strong> <strong>Arie</strong> <strong>Goral</strong><br />
aus: Der Storchenzug (1941/42)<br />
(...) Fliege, mein Herz; steig hoch,<br />
meine Seele!<br />
Auch ihr geschwind auf,<br />
Nicht zagt – Fort hier,<br />
Schwingt empor –<br />
Über den Felsendom hin,<br />
Über die Ewige Mauer,<br />
Fort <strong>von</strong> des Tempels Trümmerstatt.<br />
Doch bist auch mir Heimat –<br />
Weltherz du, wo sie wandeln und<br />
hasten,<br />
Deine Kinder <strong>von</strong> allen Völkern,<br />
Sich stoßen und drängen, hassen und<br />
lieben –<br />
Ich suchte in Gassen und Gängen<br />
Die Spur, irrte umher im Labyrinth,<br />
Lockend in immer dunklere Winkel,<br />
In die Fremde der Altstadt Bazare,<br />
Unter Gerümpel Schätze bergend –<br />
Höhlen wie Truhen gefüllt, sind’s<br />
Gaben<br />
Entdämmerter Zeiten unserer Ahnen?<br />
Und nimmer vergeß ich: Im Licht<br />
Dich, strahlend in Himmelsbrand Glut,<br />
Fürstin der Hügel und Kuppeln –<br />
Dann im Glanze des Abendgolds,<br />
Du Schöne, schweigsam so Stolze –<br />
Jerusalem, in den Fluten der<br />
Mondnacht,<br />
Auf und niederwellend wie nackt.<br />
aus: Um Mitternacht , 1943<br />
Leucht, Mond, schau:<br />
Dornenstrauss bind ich im Feld,<br />
Nicht Ranken vom Wein, kein<br />
Lorbeerlaub –<br />
Blaublumige, brennende Distelkron,<br />
Die ich fand, mir auf das Haupt.<br />
Seht, wie sie schmückt!<br />
Nun lacht nur und tanzt –<br />
Der Toten Geripp<br />
Und die Trommeln dazu,<br />
Kein Harfner säng so. (...)<br />
Des Maurers Kelle wirft Tod<br />
Und er baut ein gewaltiges Haus.<br />
Des Bauern Pflug furcht Tod<br />
Und er rillt ein durstiges Feld.<br />
Des Bergmanns Wagen karrt Tod<br />
Und er schürt vielfrassigen Brand.<br />
Des Schmiedes Hammer stählt Tod<br />
Und er härtet mordflammendes Erz.<br />
Hart knechtet zur Fron<br />
Alle der Stunde Gebot:<br />
Krieg! Krieg ist!<br />
Du gewaltige, uralte Stadt,<br />
Flamme am Zenith unserer Urwelt,<br />
Verflucht traumreich Versunkene<br />
Zum ewigen Tode und Leben –<br />
Armselig im Prunk und geschändet,<br />
Schorf und verdorrt, zerfallen<br />
Wie zeitenmüdes Gemäuer.<br />
(...)<br />
Glückliche Reise, ihr Störche,<br />
Grüßt mir das Land meiner Kindheit!<br />
Dort auch ist meine Heimat –<br />
Und es schlummert in jedem Tale das<br />
Herz und wandert<br />
Durch alle Wälder die Seele.
aus: Gericht und Rechenschaft ..., 1979<br />
Die vielfach beschworene ‚Bewältigung der Vergangenheit’ ist, soweit <strong>von</strong> einer<br />
solchen überhaupt die Rede sein kein, faktisch die Bewältigung unserer Gegenwart.<br />
Diese jüngste deutsche Vergangenheit wirkt in tausendfacher Form auf allen Ebenen<br />
des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens und alltäglichen<br />
Geschehens ein.<br />
aus: Ich bin Jude, also bin ich<br />
in: Henryk M. Broder, Michel R. Lang (Hrsg.), Fremd im eigenen Land. Juden in der<br />
Bundesrepublik, Frankfurt 1979, S. 212-213<br />
Wie wird man zu einer philosemitischen Kunstfigur, zu einem „Rennomierjuden“?<br />
Indem man sich nicht dort verweigert, wo man es tun müßte. Noch entscheidender ist,<br />
daß man es rechtzeitig wagt, ehe es (wieder einmal) zu spät ist. Ich will nicht <strong>von</strong> mir<br />
behaupten, daß ich es unbedingt immer rechtzeitig tat, aber ich tat es – und bekam es<br />
dann hart zu spüren. Ich darf hier nicht verschweigen, daß man in der Bundesrepublik<br />
auch als ein „linker Alibijude“ vereinnahmt werden kann, zumal wenn als Jude gegen<br />
den Staat Israel ist. Bei dieser Gelegenheit seit hinzugefügt: wenn ich mir auch immer<br />
bewußt blieb, gegen wen und was ich zu kämpfen habe: gegen Neonazismus,<br />
Antisemitismus und Faschismus, überhaupt gegen jede Reaktion, desto ungewisser<br />
wurde mir mehr und mehr, zu wem auf der Linken ich überhaupt gehöre, mit welcher<br />
Linken ich mich ALS JUDE noch identifizieren kann. Kritik an Israel seitens der<br />
Linken, warum nicht? Ablehnung <strong>von</strong> Begin, warum nicht? Ich bin auch gegen ihn.<br />
Aber es gibt auf der Linken einen „ideologiespezifischen Antijudaisraelismus“, der<br />
letztlich Israelhaß bewirkt. Ich habe es satt, immer wieder SOLIDARITÄT zu betonen<br />
und zu beweisen, um dann bei erstbester Gelegenheit zu erfahren, daß man mich im<br />
Stich läßt, wenn ich ALS JUDE einmal Solidarität erwarte und verlange. Hier geht es<br />
aber mehr um den Renommierjuden als philosemitische Kunstfigur, die zu werden ich<br />
mich verweigerte.<br />
Es kam die Zeit der Diskussionen über Wiederaufrüstung, über<br />
Kriegsdienstverweigerung, die Zeit der Ostermärsche. Es war für mich<br />
selbstverständlich, daß ich aktiv mitmachte. Mit dem Geld der sogenannten<br />
Wiedergutmachung finanzierte ich alle nur möglichen Aktivitäten. Für eine kurze Zeit<br />
war ich materiell unabhängig. Ich mietete Räume für Ausstellungen engagierter Kunst,<br />
die keine andere Galerie damals auszustellen wagte. Meine „Antigalerie“ war ein<br />
Treffpunkt der jungen Linken. Ich schrieb Artikel – nicht nur über Kunst – in<br />
antifaschistischen Zeitungen. Es war die „Hochzeit“ der SRP, der DRP und dann der<br />
NPD. In den <strong>von</strong> mir eingerichteten Malstudios für Jugendliche entstanden<br />
großformatige Demonstrationsbilder, die auf Protestveranstaltungen und auch auf<br />
Umzügen der Gewerkschaften zum 1. Mai etwas völlig Neues waren. Wir stellten<br />
antifaschistische Flugblätter und Bildplakate her und gingen damit vor und in die<br />
Versammlungen der Neonazis und Neofaschisten. Die Herren Frey und Thadden<br />
kannten mich recht gut und fürchteten unser Kommen. Die Gruppe<br />
DEMOKRATISCHER WIDERSTAND war Motor vieler antifaschistischer Initiativen in<br />
jenen Jahren. Gruß an alle, die mitmachten!<br />
Ich war auf eine mir mögliche Weise glücklich: Ich meinte, es wäre mir gelungen, den<br />
„Weg zurück und wieder hin“ nach Deutschland als Weg in die Zukunft zu leben. Mit<br />
diesen Aktivitäten, die nicht resonanzlos blieben, bekam mein Judesein eine neue<br />
Perspektive, vielleicht auch eine neue Dimension und Qualität. Ich war Jude, ohne
daß es eine Rolle in der Begegnung mit Nichtjuden spielte, und zugleich war ich<br />
Deutscher, nämlich im Sinne eines geistigen, moralischen und politischen<br />
Engagements und damit auch in eigener Sache. Gleichzeitig begann, wenn auch<br />
zunächst <strong>von</strong> mir nicht besonders beachtet, etwas, das ich auch anfangs nicht ganz<br />
verstand. Menschen, die sich um mich, „den Juden aus Israel“, zunächst sehr<br />
bemühten, ja, mich hofierten, kannten mich nun nur noch per Distanz oder überhaupt<br />
nicht mehr. In der Behörde, für die ich damals arbeitete, wurde mir gesagt: „Herr<br />
<strong>Goral</strong>, wir wollen <strong>von</strong> Ihnen Kunsterziehung, aber keine Politik.“ Erklärte ich, warum<br />
ich nur so und nicht anders mit jungen Menschen zusammenarbeiten könne, hieß es:<br />
„Ja, Sie mit Ihren Erfahrungen, für uns sieht das aber anders aus.“<br />
Ich war wieder, auf eine neue, sehr subtile Weise „anders als sie“. Ich war wieder<br />
JUDE in Deutschland. So wurde aus der philosemitischen Kunstfigur nach und nach<br />
ein Außenseiter der Gesellschaft für Brüderlichkeit GmbH. Je weiter weg der<br />
Ausgangspunkt seit meiner Rückkehr lag, je normaler ich mich einbezogen wähnte in<br />
meine nichtjüdische Umwelt, desto deutlich bekam ich zu spüren, daß diese<br />
„Normalisierung“ <strong>von</strong> einer einseitigen Optik her gesehen war, nämlich allein <strong>von</strong><br />
meiner aus. Ich war christlich-jüdisch nicht mehr solvent, und, allein jüdisch<br />
betrachtet, nicht ganz koscher. Um mich herum wuchsen Nebelwände und<br />
Wattemauern. Wo sie nicht waren, schuf sie mein Mißtrauen.<br />
Oft bereute ich auf dem Weg meiner vierzig-jährigen "Heimsuchung", daß ich wieder<br />
nach Deutschland kam. War alles Tun sinnlos? Es war ein steter Kampf gegen<br />
Anpassung und Resignation. Wenn in dieser Zeit wieder eine braune<br />
Götzendämmerung gespenstisch durch Deutschland geistert, so frage ich mich, ob<br />
ich das alles nicht schon erlebt habe. Das déjà vu wird zum déjà vécu. Doch gilt es,<br />
nun als nahezu 85jähriger Rechenschaft zu geben, daß und wie man sich um ein<br />
sinnvolles Tun bemühte. Immer wieder stellt sich die Frage: Kein Weg als Jude und<br />
Deutscher? Immerhin: Ich ging diesen Weg.<br />
<strong>Arie</strong> <strong>Goral</strong>, März 1994