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Probleme der Lyrik - Ernst Michael Lange

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dichtenden Auskünfte über die 'Lichtung des Seins' etc. angeschlossen sind). Über Tugendhats<br />

Kritik seines Lehrers Heidegger hinaus und mit ihrer Hilfe habe ich gezeigt, dass <strong>der</strong> existierende<br />

Begriff, dem <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Unverborgenheit noch am nächsten kommt, <strong>der</strong> Begriff des Sinns als<br />

des Korrelats von Verstehen und Bedeutungserklärung ist 11 (gemäß dem Grundsatz des einzigen<br />

noch denkenden Philosophen nach Benn, demzufolge die Bedeutung das ist, was eine Erklärung<br />

<strong>der</strong> Bedeutung erklärt.) Heidegger ist selbst eine Art Expressionist o<strong>der</strong> Expressivist und damit<br />

Benn näher, als dieser sehen konnte.<br />

Noch treffen<strong>der</strong> ist eine möglicher Weise auch auf Heidegger gemünzte Provokation Benns, die<br />

ihm selbst als so 'extravagant' erschien, dass er – das lyrische Ich – sich diesen Eindruck „nur mit<br />

Vorsicht ein(gesteht)“, dass es nämlich so aussehe,<br />

„als möchten auch die Philosophen von heute in ihrem Grunde dichten. Sie fühlen, dass es<br />

mit dem diskursiven systematischen Denken im Augenblick zu Ende ist, das Bewusstsein<br />

trägt im Augenblick nur etwas, das in Bruchstücken denkt, die Betrachtungen von<br />

fünfhun<strong>der</strong>t Seiten über die Wahrheit, so treffend einige Sätze sein mögen, werden<br />

aufgewogen von einem dreistrophigen Gedicht – dies leise Erdbeben fühlen die Philosophen,<br />

aber das Verhältnis zum Wort ist bei ihnen gestört o<strong>der</strong> nie lebendig gewesen, darum wurden<br />

sie Philosophen, aber im Grund möchten sie dichten – alles möchte dichten.“ (GW 4, 1092)<br />

Benn hat nicht wissen können, dass etwa zu <strong>der</strong> Zeit, als er sich in einen großen historischanthropologischen<br />

Aufbruch verwickelt glaubte, <strong>der</strong> nach seinem Urteil einzig noch denkende<br />

Philosoph seine Stellung zur Philosophie tatsächlich mit dem Diktum zusammengefasst haben<br />

wollte: „Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten.“ 12 Nun verwendet das Diktum den<br />

Konjunktiv II und <strong>der</strong> ist sehr interpretationsbedürftig. Nach meiner Einsicht hat Wittgenstein zwar<br />

persönlich dichten können wollen, wie Benn wohl gegenüber Heidegger vermutet, aber sachlich für<br />

die Philosophie zwar einen dichterischen Aspekt eingeräumt, aber sie im Kern als reflexive<br />

begriffliche o<strong>der</strong> Sinn-Klärung verstanden. Der dichterische Aspekt dieser Sinnklärung ergibt sich<br />

daraus, dass sie immer wie<strong>der</strong> auf Situationen führt, in denen eine Entscheidung getroffen und also<br />

etwas gewollt werden muss. In dieser Hinsicht fungiert <strong>der</strong> Philosoph dann als 'Sprachschöpfer'<br />

(Sprach-Festleger) und ist darin dem Dichter ähnlich. Wenn das im Groben richtig ist, dann muss<br />

Benns weiter führen<strong>der</strong> Eindruck und die darin liegende Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Philosophie<br />

zurückgewiesen werden. Meine Aufnahme <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung steckt in <strong>der</strong> jetzt zu beginnenden<br />

Diskussion von <strong>Probleme</strong> <strong>der</strong> <strong>Lyrik</strong> und wird die Form annehmen, dass ich zeigen werde, dass<br />

entgegen Benns Behauptung die Philosophie nachweisen kann, dass sie ein umfassen<strong>der</strong>es<br />

Verhältnis zum Wort haben kann als nach Benn die <strong>Lyrik</strong> hat, insofern sie <strong>der</strong>en Verfahrensweisen<br />

noch verständlich machen kann, wohingegen Benn gegen die aufzubietenden Klärungen <strong>der</strong><br />

Philosophie allenfalls historizistische Erklärungen <strong>der</strong> Obsoletheit von Philosophie überhaupt zu<br />

Gebote stünden. Und damit genug <strong>der</strong> Vorrede.<br />

II.<br />

Für Benn war <strong>Lyrik</strong> nachdrücklich Wort-Kunst. Er nahm damit sicher ein Diktum Mallarmés auf –<br />

ein Gedicht entstehe nicht aus Gefühlen, son<strong>der</strong>n aus Worten. (GW 4, 1073) Aber er radikalisierte<br />

das so nachdrücklich, dass er in einer Ausführung zur Krise <strong>der</strong> Sprache sogar behauptet hat: „Nur<br />

<strong>der</strong> <strong>Lyrik</strong>er, <strong>der</strong> wahrhaft große lyrische Dichter weiß, was das Wort wirklich ist.“ (GW 7, 1719; im<br />

Original gesperrt) Nun muss man sicher beachten, dass Benn sich im Kontext vom 'albernen<br />

11 Nachlesbar im Text über Tugendhats Wahrheitsbegriff-Buch (Aufsatz) hier auf www.emlange.de in Sinn und Zeit .<br />

12 Wittgenstein: Nachlass, Ms. 115, 30 (14. Dez. 1933); vgl. Ms 146, 50. - Ich habe W.s Diktum zu einem extremen<br />

Bezugspunkt meiner Deutung seiner Philosophie-Konzeption gemacht – im Anhang II zu Das verstandene Leben<br />

und in Kap. 4 von Wittgensteins Revolution. (beides auf www.emlange.de<br />

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