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Denkmal und Denk mal! Predigt am „Tag des ... - von St. Ludwig

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<strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> <strong>und</strong> <strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>!<br />

<strong>Predigt</strong> <strong>am</strong> „Tag <strong>des</strong> offenen <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>s“ 12.9.2010<br />

Innenstadtkirche <strong>St</strong>. <strong>Ludwig</strong> Darmstadt<br />

Meine Schwestern , meine Brüder,<br />

wenn Sie diese Kirche betreten finden Sie rechts vom Hauptportal eine blau-weiße<br />

Kennzeichnung, die diese Kirche als <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> im Sinne der Haager Konvention ausweist.<br />

In der Haager Konvention erklärte die UNESCO 1954 dass „jede Schädigung <strong>von</strong><br />

Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine Schädigung <strong>des</strong> kulturellen Erbes<br />

der ganzen Menschheit bedeutet, weil je<strong>des</strong> Volk seinen Beitrag zur Kultur leistet“. 66<br />

Jahre nach der Zerstörung dieser Kirche durch englische Fliegerverbände bekennen wir,<br />

dass die Bombardierung der Kathedrale <strong>von</strong> Coventry <strong>am</strong> 14. November 1940 durch<br />

Verbände der deutschen Luftwaffe in diesem Sinne eine Schädigung <strong>des</strong> kulturellen<br />

Erbes der Menschheit bedeutete.<br />

Sowohl die wieder aufgebaute <strong>Ludwig</strong>skirche als auch die neuerrichtete Kathedrale <strong>von</strong><br />

Coventry sind durch die UNESCO als schützenswert ausgezeichnete <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirchen.<br />

Diese Kirche ist nicht nur eine <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirche in dem Sinne, dass sie an die politische<br />

Situation zurzeit Ihrer Errichtung erinnert. Sie ist nicht nur insofern eine<br />

<strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirche, als sie ein steinernes Dokument der Aufklärung darstellt. Sie ist nicht<br />

nur ein <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> klassizistischer Baukunst. Sie ist nicht nur insofern eine<br />

<strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirche, als dass sie in Anlehnung an das römische Pantheon an die tolerante<br />

römische Religionspolitik erinnerte. Sie ist nicht nur insofern eine <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirche als<br />

dass sie an die hier begrabenen katholischen Mitglieder <strong>des</strong> großherzoglichen Hauses<br />

erinnerte..<br />

Diese Kirche ist insbesondere dadurch ein <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>, dass sie als <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirche einen<br />

Beitrag zu einer städtischen Erinnerungskultur leistet, die unserem Gemeinwesen<br />

insofern einen Dienst leistet als sie Identität stiftende Kontinuitäten wahrnehmen hilft.<br />

Diese Kirche ist insbesondere dadurch <strong>und</strong> seitdem eine <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>kirche, dass sie <strong>und</strong><br />

nachdem sie in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 zerstört, mit der <strong>St</strong>adt in<br />

Fl<strong>am</strong>men stand, mit unzähligen Menschen unterging <strong>und</strong> nach dem Kriege als Symbol<br />

<strong>des</strong> Wiederaufbaus wiedererrichtet wurde. Als habe sich das geheimnisvolle Wort<br />

Christi, dass er den Tempel einreißen <strong>und</strong> wiederaufbauen würde an ihr erfüllt.<br />

Diese Kirche ist insbesondere dadurch ein <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> als dass sie als <strong>Denk</strong>-Mal-Kirche<br />

inmitten einer säkularisierten „<strong>St</strong>adt ohne Gott“ Raum zur An-Dacht, zur Nachdenklichkeit,<br />

zum Quer-<strong>Denk</strong>en, zum Voraus-<strong>Denk</strong>en <strong>und</strong> zum An-<strong>Denk</strong>en bietet.<br />

Heute <strong>am</strong> „Tag <strong>des</strong> offenen <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>s“ lädt die Innenstadtkirche <strong>St</strong>. <strong>Ludwig</strong><br />

Besucherinnen <strong>und</strong> Besucher ein dieses <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> zu begehen. Wir wollen mittels dieses<br />

<strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>es zum <strong>Denk</strong>en anregen. Also: <strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>! Mit Ausrufezeichen versehen. Ein<br />

<strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> setzt also <strong>Denk</strong>prozesse frei. Ein wirkliches <strong>Denk</strong>-Mal ist nicht ein steinernes<br />

<strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>, das das Erinnerte zementierte. Die Berliner Gruppe „Wir sind Helden“ forderte<br />

angesichts solcher <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong>bauten:


Komm <strong>mal</strong> ans Fenster komm her zu mir<br />

Siehst du da drüben gleich da hinterm Wellblechzaun<br />

Da drüben auf dem Platz vor Aldi<br />

haben sie unser Abbild in <strong>St</strong>ein gehaun<br />

Komm auf die <strong>St</strong>raße komm her zu mir<br />

Überall Blumen <strong>und</strong> Girlanden halb zerknüllt<br />

Sieht so aus als hätten die unser <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong><br />

heute Nacht schon ohne uns enthüllt<br />

Hol den Vorschlagh<strong>am</strong>mer<br />

Sie haben uns ein <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> gebaut<br />

<strong>und</strong> jeder Vollidiot weiß dass das die Liebe versaut<br />

Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser <strong>St</strong>adt engagieren<br />

Die sollen Nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren.<br />

Komm auf die Beine komm her zu mir<br />

Es wird bald hell <strong>und</strong> wir haben nicht ewig Zeit<br />

Wenn uns jetzt hier wer erwischt<br />

sind wir für immer vereint in Beton <strong>und</strong> Seligkeit<br />

Hol den Vorschlagh<strong>am</strong>mer<br />

Sie haben uns ein <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> gebaut<br />

<strong>und</strong> jeder Vollidiot weiß dass das die Liebe versaut<br />

Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser <strong>St</strong>adt engagieren<br />

Die sollen Nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren<br />

Siehst du die Inschrift da unten bei den Schuhen<br />

Da steht in goldener Schrift wir sollen in Ewigkeit ruhen<br />

Ein wirkliches <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> ist im Gegensatz zu dieser Zementierung der Liebe, <strong>des</strong> <strong>Denk</strong>ens<br />

<strong>und</strong> Gedankens eine Auforderung zum Nach-, zum Quer-, zum An-, zum Weiter-, zum<br />

Voraus-<strong>Denk</strong>en <strong>und</strong> mittels dieser <strong>Denk</strong>bewegungen zur An-Dacht.<br />

<strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>! Eine Aufforderung zum Nach-<strong>Denk</strong>en. Als Handelnde verlieren wir schneller<br />

den Überblick über die Sinnhaftigkeit <strong>des</strong>sen, was wir tun. Wir verlieren den Überblick.<br />

Wir handeln schneller als wir denken, so dass es Zeiten <strong>des</strong> Nach-<strong>Denk</strong>ens braucht.<br />

Diese Kirche will ein solcher Raum der Nachdenklichkeit sein.<br />

<strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>! Eine Aufforderung zum Quer-<strong>Denk</strong>en. Wir handeln <strong>und</strong> funktionieren<br />

gewöhnlicher Weise linear. Was aber ist mit dem, was sich in uns quer zum linearen<br />

Alltag, also zu dem, was wir denken sollten <strong>und</strong> woran wir festhalten müssten zu Wort<br />

melden will. Diese Kirche will ein Raum sein, in der uns ermutigt quer zu denken.<br />

<strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>! Hier ist ein Raum <strong>des</strong> An-<strong>Denk</strong>ens. Nicht nur im Sinne <strong>des</strong> an einen Menschen,<br />

an Gott, an Vergangenes denken. Sondern <strong>des</strong> An-denkens gegen den Mainstre<strong>am</strong>. Gegen<br />

die platte Gewohnheit. Gegen Nützlichkeitserwägungen, gegen das Diktat der Ökonomie,<br />

gegen unsere Gewohnheiten, gegen den Tod. Sogar <strong>des</strong> Andenkens gegen Gott.<br />

<strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>! Möglicherweise haben wir uns vom <strong>Denk</strong>en verabschiedete. Möglicherweise<br />

glauben, leben, arbeiten wir gedankenlos. Möglicherweise haben wir unseren Intellekt


vernachlässigt. Wo hat das <strong>Denk</strong>en kirchlicherseits noch einen Raum? Dieser Raum<br />

heißt jeden <strong>Denk</strong>er – <strong>und</strong> d<strong>am</strong>it wir uns nicht falsch verstehen jeder Mensch ist <strong>Denk</strong>er<br />

– willkommen. Hier jedenfalls gölte es weiterzudenken als nur vom Heute auf das<br />

Morgen.<br />

Ein <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> lädt ein zum Voraus-<strong>Denk</strong>en. Habe ich Zukunft? Wie, für was, für wen sollte<br />

ich mich im Blick auf meine Zukunft entscheiden? Wohin führt unser Leben? Zielt es auf<br />

etwas, jemanden? Auf einen wie auch immer gearteten Himmel? Die Frage nach dem<br />

Woher? Gebiert die nach dem „Wohin“?<br />

<strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>! Dieser Raum lädt zur An-dacht ein. Kardinal Lehmann veröffentlichte vor<br />

Jahren ein Buch mit dem Titel „Es ist Zeit an Gott zu denken!“ Diese Kirche hält die<br />

Erinnerung an die, die hier an Gott dachten wach. Wie das <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> die Erinnerung an<br />

die An-Dacht Jakobs wach hält. Dieser Raum lädt wie das <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> in Bet-El ein Gott zu<br />

begegen. Mit allen unseren Kräften: also auch mit denen <strong>des</strong> <strong>Denk</strong>ens <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Gedankens. So flüstert das <strong><strong>Denk</strong><strong>mal</strong></strong> uns zu „<strong>Denk</strong> <strong>mal</strong>!“ Oder mit Rilke:<br />

Es wäre gut viel nachzudenken, um<br />

<strong>von</strong> so Verlornem etwas auszusagen,<br />

(...)

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