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programm [Knochenbau und Sinneslust der Musik] - kunsthaus muerz

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ücken in die gegenwart 2008<br />

ein fest des <strong>kunsthaus</strong>es <strong>muerz</strong><br />

sonntag<br />

15. juni 2008<br />

11.00 uhr<br />

mürzzuschlag<br />

<strong>kunsthaus</strong> <strong>muerz</strong><br />

anton webern saal<br />

jess trio<br />

elisabeth kropfitsch<br />

stefan kropfitsch<br />

johannes kropfitsch<br />

mauricio kagel (*1931)<br />

klaviertrio 1985<br />

arnold schönberg (1874 - 1951)<br />

verklärte nacht<br />

fassung für klaviertrio


<strong>Knochenbau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinneslust</strong> <strong>der</strong> <strong>Musik</strong><br />

Das Jess-Trio-Wien spielt Mauricio Kagels Klaviertrio (1985) <strong>und</strong> Arnold<br />

Schönbergs „Verklärte Nacht“. Ein Gespräch über Struktur <strong>und</strong> Sinnlichkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Musik</strong>.<br />

„In unserem Programm stellen wir die strukturelle Form <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> dem<br />

sinnlichen Klang gegenüber“, erklärt Elisabeth Jess-Kropfitsch, Geigerin des<br />

Jess-Trio-Wien. Mit einem Bild macht sie den Gedanken greifbar. „Betrachtet<br />

man die <strong>Musik</strong> als ‚Körper’, könnte man sagen, Mauricio Kagels Klaviertrio ist<br />

das Skelett, <strong>der</strong> Aufbau, <strong>und</strong> Arnold Schönbergs Verklärte Nacht liefert die mit<br />

Fleisch ummantelten Töne.“ Mit einem Lächeln fügt die <strong>Musik</strong>erin hinzu:<br />

„Nicht umsonst geht es in Richard Dehmels Gedicht Verklärte Nacht um die<br />

<strong>Sinneslust</strong>.“<br />

Doch zunächst stellt das „Skelett“ das Jess-Trio vor knifflige Aufgaben. „Kagels<br />

Trio ist sehr schwer zu spielen. Es ist extrem durchsichtig, fast trocken, baut<br />

auf dem Rhythmus auf“, beschreibt die Geigerin die Herausfor<strong>der</strong>ung, die es<br />

zu meistern gilt. „Man muss das ganze Stück in kleinsten Einheiten denken.<br />

Der Puls ist die Sechzehntel-Note, es gibt keinen Schwerpunkt im Takt, keine<br />

Eins, die Töne sind nur aufeinan<strong>der</strong> bezogen.“ Das verlangt Elisabeth Jess-<br />

Kropfitsch <strong>und</strong> ihren Brü<strong>der</strong>n Stefan (Violoncello) <strong>und</strong> Johannes (Klavier)<br />

äußerste Präzision ab. Der geringste Fehler kann große Wirkung haben. „Spiele<br />

ich auch nur einen Ton nicht, sind meine Brü<strong>der</strong> erledigt, müssen warten, das<br />

Gefüge würde auseinan<strong>der</strong> fallen. Umgekehrt ist es natürlich genauso.“<br />

Mit dem Klaviertrio hat sich Mauricio Kagel 1985 einen langgehegten Wunsch<br />

erfüllt, wie <strong>der</strong> 1931 in Buenos Aires geborene Komponist anlässlich <strong>der</strong><br />

Uraufführung erzählte. „Das Klaviertrio ist ein Genre, vergleichbar mit <strong>der</strong><br />

Tradition des Streichquartetts, vor dem je<strong>der</strong> Komponist leise Ehrfurcht haben<br />

dürfte. Auch ich wartete geduldig, aber beruhigt, um meinen Obulus zu<br />

entrichten.“ Das Trio ist eng mit Kagels <strong>Musik</strong>epos über den Teufel La Trahison<br />

orale (Der mündliche Verrat) verb<strong>und</strong>en. „Von Anfang an schwebte mir eine<br />

Paraphrase meines <strong>Musik</strong>epos mit <strong>der</strong> klassischen Besetzung Geige, Violoncello<br />

<strong>und</strong> Klavier vor,“ schil<strong>der</strong>te Kagel 1985 den Entstehungsprozess. „Ich habe dies<br />

nun in Form eines dreisätzigen Werkes ausgearbeitet <strong>und</strong> dessen Ablauf mit<br />

dem Hauch eines Rondos umgeben.“ Entstanden sei ein vielstimmiges Gefüge<br />

von Charakterstücken. „Ausgeprägte Merkmale kommen immer wie<strong>der</strong> vor,<br />

verfolgen einan<strong>der</strong>, hören abrupt auf, steigen aus dem Hintergr<strong>und</strong> schnell<br />

zur Oberfläche <strong>und</strong> verschwinden wie<strong>der</strong>. Es ist dennoch absolute <strong>Musik</strong> im<br />

klassischen Sinne – die wahren Gründe des Absoluten verbergend.“<br />

Die absoluten Schwierigkeiten sind für die drei <strong>Musik</strong>er des Jess-Trio-Wien aber<br />

alles an<strong>der</strong>e als verborgen. Elisabeth Jess-Kropfitsch weiß, wovon sie spricht.<br />

„Wir wollten dieses Trio schon vor zwanzig Jahren einmal spielen. Damals<br />

sind wir daran gescheitert.“ Mit einem sympathischen Quäntchen Humor fügt<br />

die <strong>Musik</strong>erin hinzu: „Wir waren damals jünger, ungestümer, sind über den<br />

technischen Anfor<strong>der</strong>ungen in heftigen Streit geraten. Diesmal lassen wir in<br />

<strong>der</strong> Probenarbeit die Emotionen zunächst einmal beiseite. Zuerst muss das<br />

Werk perfekt zusammengefügt, müssen die vielen Anweisungen Kagels präzise<br />

umgesetzt werden. Es gibt sehr viele Pizzicati, geschlagene o<strong>der</strong> mit dem Holz<br />

des Bogens gespielte Noten.“ Die Klangqualität darf dabei aber nicht leiden.


„Auch ein Pizzicato kann man klangvoll o<strong>der</strong> lieblos gestalten. Allzu oft wird<br />

<strong>der</strong> Klanggestaltung in <strong>der</strong> zeitgenössischen <strong>Musik</strong> zu wenig Aufmerksamkeit<br />

gewidmet, was dem Publikum das Hören erschwert.“ Beim zweiten Anlauf<br />

sollen Emotionen jedenfalls nur in konstruktiver Weise am Konzertpodium<br />

zum Tragen kommen. Beschwingt meint Elisabeth Jess-Kropfitsch: „Ich hoffe,<br />

dass wir in <strong>der</strong> Zwischenzeit gereift sind <strong>und</strong> uns eine gelungene persönliche<br />

Erstaufführung gelingen wird.“<br />

Ist Kagels Klaviertrio für die drei <strong>Musik</strong>er eine Premiere, so begleitet Arnold<br />

Schönbergs Verklärte Nacht das Ensemble seit vielen Jahren. „Wir haben das Werk<br />

schon vor fünfzehn Jahren für die EMI aufgenommen, waren die ersten, die<br />

die Bearbeitung für Klaviertrio von Eduard Steuermann eingespielt haben. Wir<br />

waren damals bei Schönbergs Tochter Gertrude <strong>und</strong> haben von ihr die Noten<br />

bekommen“, erinnert sich Elisabeth Jess-Kropfitsch gerne zurück. Die Verklärte<br />

Nacht hat Schönberg 1899, von dem gleichnamigen Gedicht Richard Dehmels<br />

inspiriert, ursprünglich für Streichsextett komponiert. War die Uraufführung<br />

durch das erweiterte Rosé-Quartett am 18. März 1902 keineswegs ein Erfolg,<br />

zählt die Verklärte Nacht heute zu Schönbergs beliebtesten <strong>und</strong> meistgespielten<br />

Werken. Die Fassung für Klaviertrio hat Eduard Steuermann (1892-1964), <strong>der</strong><br />

in seiner Jugend bei Schönberg studiert hat, 1932 geschrieben. Sie besticht<br />

durch feinstrukturierte Durchhörbarkeit <strong>und</strong> klanglichen Reiz. Elisabeth Jess-<br />

Kropfitsch: „Die wichtigsten Themen <strong>der</strong> Verklärten Nacht sind Mann, Frau<br />

<strong>und</strong> Natur. In <strong>der</strong> Trio-Fassung wird jedes dieser Themen einem Instrument<br />

zugeordnet. Das Klavier zeichnet die Natur, man hört die Kröte, das Wasser,<br />

kann in den Klavierfiguren den Sternenhimmel entdecken. Der Mann ist das<br />

Cello, die Frau die Geige.“ Um dem Publikum das musikalische Geschehen<br />

leichter nachvollziehbar zu machen, wird das Jess-Trio vor dem Konzert sowohl<br />

Richard Dehmels Gedicht vorlesen, als auch die zentralen Stellen des Werkes<br />

vorspielen. „Am Anfang ist die Nacht“, sagt Elisabeth-Jess Kropfitsch poetisch.<br />

„Ein Akkord im Klavier – danach hört man jemanden gehen. Es ist die Frau, sie<br />

ist schwanger. Schönberg hat ihren schweren Schritt, das Innehalten, um Atem<br />

zu holen, perfekt in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> nachgezeichnet. Der Mann geht langsamen<br />

Schrittes neben <strong>der</strong> Frau einher.“<br />

Der erste Teil <strong>der</strong> Verklärten Nacht ist vom schlechten Gewissen <strong>der</strong> Frau<br />

beherrscht, die von einem an<strong>der</strong>en ein Kind erwartet. Ein Geständnis drängt<br />

sich in die <strong>Musik</strong>. „Als Abschluss des ersten Teils, in <strong>der</strong> tiefen Lage <strong>der</strong> Geige,<br />

erleichtert die Frau ihr Herz <strong>und</strong> gesteht ihre Schuld,“ kleidet die Geigerin das<br />

musikalische Geschehen in Worte. „Aus <strong>der</strong> Stille erhebt sich ein w<strong>und</strong>erschönes<br />

Cellosolo. Der Mann ergreift das Wort, er verzeiht. Dieses Verzeihungsmoment<br />

ist ganz zentral im Werk. Von da an än<strong>der</strong>t sich Schönbergs Klangrede, es<br />

geht ganz an<strong>der</strong>s weiter.“ Die Nacht wandelt sich zur „verklärten“ Nacht. Die<br />

<strong>Musik</strong>erin mit <strong>der</strong> Passion fürs Wan<strong>der</strong>n <strong>und</strong> einem großen Herz für H<strong>und</strong>e<br />

meint: „Schönbergs Verklärte Nacht ist Programmmusik, die leicht verständlich<br />

ist. Am Ende gibt es nur noch den Sternenhimmel. Die Harmonie ist vollkommen<br />

in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gerückt. Es gibt keinerlei Disharmonie mehr.“<br />

Petra Hai<strong>der</strong>er

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