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BRENNPUNKT ARZNEI<br />
Jhrg. 17, Nr. 4 – Dezember 2012<br />
Pharmakotherapie<br />
Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis<br />
Hausärzte werden immer öfter mit<br />
neuen Thrombozytenaggregationshemmern konfrontiert<br />
Was bringen sie wirklich?<br />
Clopidogrel hat Konkurrenz bekommen: Von Herstellern und Kliniken werden für<br />
die Zeit nach einem Myokardinfarkt immer wieder die neuen Thrombozytenaggregationshemmer<br />
Prasugrel (Efient ® ) und Ticagrelor (Brilique ® ) empfohlen. Aber wie<br />
sinnvoll ist es wirklich, statt des Clopidogrel die neuen und wesentlich teureren<br />
Substanzen einzusetzen? Wir haben die vorliegenden Fakten ausgewertet und für<br />
Sie zusammengefasst – und festgestellt: Die Neuen sind zwar manchmal, aber<br />
nicht immer die bessere Alternative. Seite 4<br />
Wann Fentanylpflaster gefährlich werden<br />
Fentanylpflaster sind bequem anzuwenden. So mancher Schmerzpatient, der<br />
ein Opioid erhalten soll, hat das schon gehört und spricht seinen Arzt auf diese<br />
„sanfte Alternative“ an. Doch gerade zu Beginn einer Opioid-Behandlung sind<br />
die bequemen Pflaster problematisch und können sogar gefährlich werden. Außerdem<br />
nützen sie bei akuten Schmerzen zunächst gar nichts, weil die Wirkung<br />
verzögert eintritt. Wie Sie Fentanylpflaster sinnvoll einsetzen und wann Sie dem<br />
Patienten besser eine andere Applikationsform verorndnen, steht auf Seite 19<br />
Statt besserer Ergebnisse höhere Mortalität beobachtet<br />
Telemonitoring kann Arztkontakt<br />
nicht ersetzen<br />
Telemonitoring ist zweifellos eine moderne Überwachungsmethode und der Fortschrittsgläubige<br />
möchte darin gerne eine Verbesserung der Versorgung sehen.<br />
Doch dies ist bisher wohl eher ein Irrglaube. Eine Studie, in der die Patienten zum<br />
Teil konventionell, zum Teil per Telemonitoring überwacht wurden, brachte ein<br />
ernüchterndes Ergebnis: Die Mortalität war unter Telemonitoring höher als bei den<br />
konventionell überwachten Patienten. Offenbar kann auch die moderne Informationstechnik<br />
den direkten Kontakt mit dem Arzt nicht ersetzen. Seite 25<br />
Geisterschreiber führen uns in die Irre<br />
Wenn professorale Experten einen Artikel veröffentlichen, ist man durchaus<br />
geneigt, dessen Inhalt zu glauben und in die Praxis umzusetzen. Doch Vorsicht:<br />
So mancher dieser Beiträge ist gar nicht von dem Experten selbst verfasst – vor<br />
allem, wenn er ein Medikament besonders positiv heraushebt. Ein Gerichtsverfahren<br />
und weitere Fakten haben gezeigt, dass die Pharmaindustrie offenbar<br />
in erheblichem Umfang Ghostwriter einsetzt, um Ärzte zum Verordnen ihrer<br />
Produkte zu bringen. Seite 27<br />
Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen
Seite 2 KVH • aktuell Nr. 4 / 2012<br />
In eigener Sache – 20 Jahre KVH aktuell<br />
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,<br />
„… ab 01.01.1993 weht uns durch die Bonner Spargesetze insbesondere in der Pharmakotherapie ein<br />
scharfer Wind entgegen. ... Wir müssen uns deswegen alle auf die Prinzipien der rationalen und rationellen<br />
Pharmakotherapie rückbesinnen und diese streng beachten, wenn wir nicht mit unseren Honoraren einen<br />
Teil der Medikamente für unsere Patienten aus eigener Tasche bezahlen wollen. Die Broschüre ist die erste<br />
einer Serie von periodischen Informationen, die wir allen Kassenärzten in Hessen<br />
als Information und Unterstützung für die schwierige Arzneimitteltherapie<br />
in der täglichen Praxis zur Verfügung stellen.<br />
Der Bonner Sparkurs wird zu einschneidenden Veränderungen<br />
in der täglichen Sprechstunde führen,<br />
denn manches lieb gewordene und<br />
gewohnte Medikament bei Bagatellbeschwerden<br />
oder mit zweifelhafter Wirkung<br />
werden wir verweigern müssen. Aber wir<br />
müssen uns diesem Sparkurs beugen, damit<br />
wir die notwendigen therapeutischen Freiräume<br />
behalten, um lebensnotwendige Medizin<br />
ohne Regressdruck verordnen zu können ….“<br />
Dies stand im Editorial der Erstausgabe von KVH<br />
aktuell, die im November 1992 erschien. Vom<br />
kleinen, schlichten kartonierten DIN-A5 Heft ohne<br />
Grafiken oder Tabellen hat sich KVH aktuell in den<br />
letzten 20 Jahren zur vielgelesenen und anerkannten<br />
kritischen Therapieinformation in der heutigen Form<br />
entwickelt – das Bild zeigt den Werdegang des Hefts.<br />
Unverändert gilt das Motto „rationale und rationelle<br />
Pharmakotherapie in der Kassenpraxis“, mit dem Ärztinnen<br />
und Ärzten in zwischenzeitlich insgesamt 7 KVen<br />
und mit einer aktuellen Auflage von 27.000 gedruckten<br />
Exemplaren eine Hilfe zur kritischen Meinungsfindung bei<br />
der Arzneimitteltherapie gegeben wird.<br />
Nach wie vor ist KVH aktuell hundertprozentig frei von Pharmainteressen,<br />
die Redaktion besteht größtenteils aus engagierten niedergelassenen<br />
Ärztinnen und Ärzten. Unverändert ist das Ziel, wie im Editorial in November 1992 ausgeführt wird, dass<br />
mögliche Einsparvolumina bei den Arzneimittelkosten angestrebt werden müssen, damit die neuen, immer<br />
teureren und aufwändigeren Pharmakotherapien, wie beispielsweise in der Onkologie, in der Immunologie,<br />
in der Neurologie und Psychiatrie oder Antidiabetika zum Nutzen der Patienten verschrieben werden können.<br />
Hierbei ist aber unbedingt zu beachten, dass die praxisnahe, realistische und evidenzbasierte Therapie in<br />
jedem Fall den Vorrang bei einer Therapieentscheidung vor den gegebenenfalls teureren Therapiekosten hat.<br />
Dies hat für KVH aktuell immer gegolten und wird auch in Zukunft für unsere Zeitschrift von zentraler<br />
Bedeutung sein.<br />
Wir hoffen und wünschen uns, dass Sie uns weiterhin als kritischer Leser treu bleiben.<br />
Ihr Dr. med. Wolfgang LangHeinrich<br />
Hinweis zu KVH – Brennpunkt Arznei<br />
Die vorliegende Publikation „KVH – Brennpunkt Arznei“ ist ein Informationsangebot zur rationalen und rationellen Pharmakotherapie<br />
in der Praxis. Sie wird herausgegeben und mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der<br />
Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Die enthaltenen Beiträge geben die Auffassung der Verfasser bzw. der Redaktion<br />
wieder. Aufgrund der regionalen Unterschiede können nicht alle Inhalte auf die Gegebenheiten in Hamburg übertragen<br />
werden. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann keine Gewähr übernommen werden.
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 3<br />
Editorial 2<br />
Die neuen Thrombozytenaggretationshemmer<br />
Wie sollen Hausärzte da noch durchsteigen? 4<br />
Dr. med. Günther Egidi, Dr. med. Hans Wille<br />
Gerinnungshemmung: Update 2012, Teil 2 10<br />
Dr. med. Alexander Liesenfeld und Dr. med. Anja Kessler-Thönes<br />
Omega 3-Fettsäuren: Sinnlos oder sinnvoll? 15<br />
Dr. med. Christian Albrecht<br />
Plättchenhemmung in der Sekundärprophylaxe vaskulärer Erkrankungen<br />
Clopidogrel nicht viel besser als ASS 16<br />
Mehr Verordnungen von Psychopharmaka für Frauen 17<br />
Was bedeuten die Daten aus dem Arzneimittelreport der DAK?<br />
Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />
Unkritische Anwendung von Fentanylpflastern erhöht<br />
das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen 19<br />
Risikoprofil von Metamizol 22<br />
Sterben Patienten unter Telemonitoring früher? 25<br />
Von Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />
Wissenschaftliche Irreführung durch Publikationsplanung<br />
(Ghost management) und Ghostwriting 27<br />
Sicherer verordnen 30<br />
Dr. med. Günter Hopf<br />
Escitalopram: QT-Intervall-Verlängerung 30<br />
Venlafaxin: inadäquate ADH-Sekretion 30<br />
Diabetogene Arzneistoffe 30<br />
Isotretinoin: Kolitis und okuläre Probleme 31<br />
Statine: müde Muskeln 31<br />
Azithromycin: kardiales Risiko 32<br />
Ärztliche Meinungsführer: wissen sie, was sie tun? 32<br />
Erhöhtes Krebsrisiko bei Calcitonin-haltigen Nasensprays in der Menopause 32<br />
Flupirtin: Abhängigkeit und Lebertoxizität 33<br />
Übersicht zum rechtlichen Rahmen bei Off-Label-Use 33<br />
Neue Impfempfehlungen der STIKO 34<br />
STOPP: Eine weitere Checkliste für Verordnungen bei älteren Patienten 34<br />
Was hilft, wenn die Metformin-Monotherapie ausgereizt ist? 38<br />
Dr. med. Uwe Popert<br />
Hartenbach: „DIE CHOLESTERIN-LÜGE” 39<br />
… zum aktuellen Stand der Debatte um die Cholesterinsenkung<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Zwei Seiten, die Ihnen die Behandlung von Diabetikern erleichtern 42<br />
Impressum<br />
Verlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden<br />
Herausgeber und verantwortlich für die Inhalte: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15,<br />
60325 Frankfurt (www.kvhessen.de)<br />
Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.),<br />
Dr. med. Christian Albrecht, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med.<br />
Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld,<br />
Dr. med. Uwe Popert, Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Petra Bendrich, Dr. med. Jutta Witzke-Gross<br />
Fax Redaktion: 069 / 79502 501<br />
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;<br />
Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt<br />
Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen<br />
der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseignen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken<br />
sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass<br />
solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.<br />
Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was<br />
Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und<br />
Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und<br />
Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
Seite 4 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Kritische<br />
Analyse<br />
Die neuen Thrombozytenaggregationshemmer<br />
Wie sollen Hausärzte da noch<br />
durchsteigen?<br />
Dr. med. Günther Egidi, Dr. med Hans Wille<br />
Vorbemerkung: Mit Prasugrel (Efient ® ) und Ticagrelor (Brilique ® ) sind neue, deutlich<br />
teurere, nach Akutem Koronarsyndrom (ACS) einzusetzende Substanzen mit<br />
unterschiedlichen Anwendungsempfehlungen auf den Markt gekommen. Viele<br />
Hausärztinnen und Hausärzte sind bereits mit entsprechenden Klinikempfehlungen<br />
konfrontiert worden – und sind zunehmend verunsichert im Spagat zwischen dem<br />
Bedürfnis, ihren Patienten eine wirksame Therapie nicht vorzuenthalten – und den<br />
Einengungen durch die Richtgrößenvereinbarungen für Medikamente. Dieser Artikel<br />
versucht, die entscheidende Evidenz vorzustellen und so zusammenzufassen, dass<br />
sich daraus eine im vielseitigen hausärztlichen Alltag handhabbare Empfehlung<br />
ergibt. Der Artikel ist aufgeteilt in<br />
einen kurzen Überblick über pharmakologische Eigenschaften der verschiedenen<br />
Substanzen,<br />
eine Zusammenfassung bekannter sowie eine Darstellung neuer Informationen<br />
zu Clopidogrel sowie<br />
jeweils eine Darstellung der entscheidenden Zulassungsstudien für Prasugrel<br />
und Ticagrelor sowie die daraus zu ziehenden Konsequenzen.<br />
Kurzer pharmakologischer Überblick<br />
1 Dosierungen<br />
a) Clopidogrel: initial mit 300 (-600 I ) mg dosiert („loading-dose“),<br />
dann 75mg/d<br />
b) Prasugrel: initial 60 mg, dann 10 mg/d<br />
c) Ticagrelor: initial 180 mg, dann 2 x 90 mg/d<br />
2 klinischer Wirkeintritt<br />
a) Clopidogrel auch mit Loading frühestens nach (6-)12-24 Stunden (je nach<br />
Höhe der Loading-Dose)<br />
b) Prasugrel mit Loading Dose nach 2 bis 4 Stunden<br />
c) Ticagrelor bereits nach 2 Stunden<br />
Der unterschiedlich rasche klinische Wirkeintritt ist im Zusammenhang mit der<br />
Interpretation der Prasugrel-Zulassungsstudie TRITON-TIMI 38 von erheblicher<br />
Bedeutung.<br />
3 Interaktionen<br />
a) Prasugrel und Clopidogrel: nur wenige relevante Interaktionen (Eine klinische<br />
Bedeutung der viel diskutierten, möglichen Wirkabschwächung von<br />
Clopidogrel durch Protonenpumpenhemmer ist nicht belegt.)<br />
b) Ticagrelor: etliche! Ticagrelor ist Substrat von CYP3A4 + p-GP.<br />
4 Zulassungsstatus<br />
a) Clopidogrel ist in der Monotherapie zugelassen nach Infarkt, ischämischem<br />
Insult oder bei nachgewiesener pAVK sowie in Kombination mit<br />
ASS bei Akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebung (NSTEMI, instabile<br />
Angina) und bei STEMI-Patienten, die lysiert werden.<br />
b) Prasugrel ist zugelassen in Kombination mit ASS nur beim akuten<br />
I<br />
600 mg als Loading nicht zugelassen
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KVH • aktuell<br />
Seite 5<br />
Koronarsyndrom (alle Formen) mit PTCA-Versorgung.<br />
c) Ticagrelor ist zugelassen in Kombination mit ASS beim Akuten Koronarsyndrom<br />
(alle Formen), und zwar unabhängig von der weiteren Therapie<br />
(PTCA, Bypass, rein medikamentöse Behandlung).<br />
Bekanntes zu Clopidogrel<br />
Bislang ist die Verordnung von Clopidogrel als Monotherapie zu Lasten der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung nur gestattet [1] bei<br />
Symptomatischer pAVK (Gehstrecke unter 200 m) [2] und<br />
echter ASS-Unverträglichkeit (schwere Allergien, ASS-Asthma)<br />
Keine Indikationen zu Clopidogrel als Monotherapie sind<br />
Zustand nach Insult / TIA oder stabile KHK [3]<br />
Zustand nach Insult / TIA unter ASS [4]<br />
Übelkeit oder Ulcus unter ASS oder NSAR [5].<br />
Die Kombination mit ASS (duale Plättchenhemmung) ist indiziert<br />
nach koronarem Stent unabhängig von der Indikation für diesen Stent [6]<br />
nach akutem koronarem Syndrom [7]<br />
vermutlich auch nach Stenting anderer Gefäße (Carotis, Femoralis) –<br />
bislang hierfür keine Zulassung, Analogieschluss.<br />
Keine Indikationen für die Kombination von Clopidogrel mit ASS sind<br />
Zustand nach Insult / TIA [8]<br />
eine symptomatische pAVK<br />
eine chronisch stabile KHK [9]<br />
bei Vorhofflimmern statt Antikoagulation [10] oder ASS [11]<br />
Zur Dauer der dualen Plättchenhemmung existierten bislang folgende<br />
Empfehlungen:<br />
nach STEMI ohne Stent 8 bis maximal 28 Tage [12]<br />
nach NSTEMI ohne Stent 3 Monate. (Auch wenn viele Kardiologen in<br />
Anlehnung an Leitlinien ihrer europäischen Fachgesellschaft ESC eine<br />
9-monatige Gabe empfehlen, lässt sich aus der entscheidenden Studie [13]<br />
erkennen, dass sich die Vorteile der dualen Plättchenhemmung auf die<br />
ersten 3 Monate beziehen, während im weiteren Verlauf die Blutungskomplikationen<br />
dieser Behandlung deutlich zunehmen [14]).<br />
nach unbeschichtetem Stent („bare metall stent“ = BMS) 4 Wochen<br />
nach beschichtetem Stent („drug eluting stent“ = DES) 12 Monate. Aber<br />
beachten dazu die folgenden Absätze!<br />
Neues zu Clopidogrel<br />
Die Empfehlungen zur Dauer der dualen Plättchenhemmung bei beschichteten<br />
Stents (DES) sind neu zu formulieren. Relevant sind hier zwei aktuelle<br />
Studien:<br />
In der einen Studie [15] wurde bei 2701 Patienten mit DES, die ohne größere kardiovaskuläre<br />
Ereignisse oder Blutungen bereits 12 Monate Clopidogrel + ASS erhalten<br />
hatten, über weitere 19,2 Monate Clopidogrel + ASS oder ASS allein gegeben. Bei<br />
zwei relevanten Sammelendpunkten schnitt die duale Plättchenhemmung über 12<br />
Monate hinaus ungünstiger ab als eine Monotherapie mit ASS (Infarkt + Insult +<br />
Gesamtsterblichkeit 3,2% vs. 1,8%; Infarkt + Insult + kardiale Sterblichkeit 2,7%<br />
vs. 1,3%). Für schwere Blutungen wurden keine Unterschiede gefunden.<br />
In einer Grafik aus dieser ZEST/REAL-LATE-Studie [14] ergibt sich, wie nach einem<br />
Jahr die Kurve für Infarkt oder kardiale Sterblichkeit in der Kombinationsgruppe<br />
nach oben geht (siehe Grafik 1).<br />
In der zweiten, der PRODIGY-Studie [16], erhielten 2013 Patienten mit Indi-
Seite 6 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Grafik 1: Infarkt oder kardiale Sterblichkeit<br />
unter dualer Plättchenhemmung vs. ASS<br />
in ZEST/REAL-LATE.<br />
kation zur PTCA randomisiert einen „blanken“ oder einen mit Everolimus, Paclitaxel<br />
oder Zotarolimus beschichteten Stent. Im Anschluss bekamen sie randomisiert<br />
entweder 6 oder 24 Monate lang eine duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel +<br />
ASS, auf jeden Fall aber ASS. Die 24 Monate lang durchgeführte duale Plättchenhemmung<br />
blieb ohne jeden Vorteil, es traten aber mehr Blutungskomplikationen<br />
auf (siehe Grafiken 2 und 3).<br />
Sollen wir die von vielen Labors beworbenen in-vitro-Aggregationstests<br />
durchführen lassen?<br />
Unsere Patienten sprechen offensichtlich sehr unterschiedlich auf Clopidogrel an,<br />
wenn man die Aggregationshemmung im Labor misst. Es ist sogar durch Schnelltests<br />
möglich, die unter Clopidogrel ausgelöste Plättchenhemmung zu messen, um so genannte<br />
Non-Responder zu identifizieren. Dies sind je nach Test und Schwellenwerten<br />
bis zu 30% der Patienten unter ASS und bis zu 20% unter Clopidogrel. Bislang ist<br />
aber nicht belegt, dass diese Identifizierung als Non-Responder im Labor den Betroffenen<br />
etwas nützt: eine Dosiserhöhung von Clopidogrel bei Non-Respondern war in<br />
einem RCT [17] ohne Nutzen. Auch der klinische Nutzen von pharmakogenetischen<br />
Untersuchungen (CYP2C19- und ABCB1-Polymorphismen) für die Therapieführung<br />
von Clopidogrel ist bislang nicht belegt.<br />
Grafik 2: Infarktrate unter dualer<br />
Plättchenhemmung in PRODIGY.<br />
Grafik 3: Blutungsrate unter<br />
dualer Plättchenhemmung in PRODIGY.
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KVH • aktuell<br />
Seite 7<br />
Sollen wir den Clopidogrel-Nachfolger Prasugrel (Efient ® ) einsetzen?<br />
Der Nutzen dieser Substanz wurde in der großen TRITON-TIMI-38-Studie [18] geprüft.<br />
13.608 Patienten mit Akutem Koronarsyndrom und geplanter PTCA erhielten<br />
zusätzlich zu ASS entweder Prasugrel oder Clopidogrel. Nach durchschnittlich 14,5<br />
Monaten trat der primäre Sammelendpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt<br />
und Schlaganfall signifikant und relevant absolut um 2,2% (9,9 vs. 12,1%) seltener<br />
auf. Dieses positive Bild wurde getrübt durch häufigere Blutungsereignisse:<br />
bei nicht mit Bypass versorgten Patienten bei 2,4 vs. 1,8%, bei ACVB-Patienten<br />
bei 13,4 vs. 3,2%. Zu lebensbedrohlichen Blutungen kam es bei 1,4 vs. 0,9%, zu<br />
letalen bei 0,4 vs. 0,1%. Patienten über 75 Jahre und unter 60 kg Körpergewicht<br />
profitierten nicht, solche mit Schlaganfall in der Anamnese hatten mehr Schaden<br />
als Nutzen. Die TRITON-TIMI-38-Studie wurde wiederholt kritisiert [19]: nur 24%<br />
der Patienten erhielten Clopidogrel, das ja ohnehin bis zum Wirkeintritt länger<br />
braucht, kunstgerecht vor der koronaren Intervention – und zudem unterdosiert: ein<br />
unfairer Vergleich. Bei den Infarkten wurden rein enzymatische mitgezählt, bei den<br />
Blutungskomplikationen dagegen nicht diejenigen, die nach einer Bypass-OP aufgetreten<br />
waren. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />
(IQWIG) hat die entsprechenden Studiendaten nachgefordert und in einem Bericht<br />
[20] verarbeitet. Das Ergebnis: klinisch relevante Infarkte traten unter Prasugrel zwar<br />
seltener auf als unter Clopidogrel, aber bei Weitem nicht in solchem Unterschied<br />
wie in TRITON-TIMI-38 dargestellt. Die Zunahme schwerwiegender Blutungen unter<br />
Prasugrel war dagegen deutlich häufiger als in der Publikation angegeben (Details<br />
zeigt die Tabelle 1).<br />
Prasugrel ist längst<br />
nicht so gut, wie es<br />
die Studien-<br />
Interpreten<br />
suggerieren möchten<br />
TRITON-TIMI-38<br />
IQWiG-Nachanalyse<br />
Prasugrel Clopidogrel Prasugrel Clopidogrel<br />
Klinisch relevante Infarkte 6,3% 8,9% 1,4% 2,6%<br />
Schwerwiegende Blutungen 2,4% 1,8% 5,2% 3,5%<br />
Tabelle 1: Infarkte und Blutungen in TRITON-TIMI-38 und in einer genaueren Nachanalyse des IQWiG.<br />
Zusammenfassung:<br />
Prasugrel reduziert bei akutem koronarem Syndrom die Zahl relevanter Infarkte<br />
um gut 1%.<br />
Es erhöht die Zahl schwer wiegender Blutungen um gut 1,5%.<br />
Die Mortalität bleibt unbeeinflusst.<br />
In der Bilanz findet sich allenfalls eine Gleichwertigkeit zu Clopidogrel, das zudem<br />
inadäquat gegeben wurde.<br />
Die Substanz ist 6-fach teurer als Clopidogrel-Generika und in der Summe verzichtbar.<br />
Wenn von Prasugrel auf Clopidogrel umgestellt wird, ist keine Aufsättigungsdosis<br />
nötig – beide Substanzen sind irreversible Plättchenhemmer, die Wirkung<br />
hält 5 bis 7 Tage nach Absetzen an.<br />
Bedeutung<br />
für<br />
unsere<br />
Praxis<br />
Und wie ist es mit dem neuen Ticagrelor?<br />
Auch zu Ticagrelor hat das renommierte New England Journal mit PLATO [21] eine<br />
große Studie veröffentlicht. Darin erhielten 18.624 Patienten mit akutem koronarem<br />
Syndrom randomisiert entweder Ticagrelor oder Clopidogrel – unabhängig davon,<br />
wie sie weiter behandelt wurden (rein medikamentös, PTCA oder ACVB). Der primäre<br />
Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Infarkt oder Insult trat nach 12 Monaten bei<br />
1,9% weniger Patienten auf (9,8 vs. 11,7%). Unter Ticagrelor starben 1,4% weniger<br />
Patienten (4,5 vs. 5,9%). Schlaganfälle ereigneten sich unter Ticagrelor nicht
Seite 8 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
signifikant häufiger (1,5 vs. 1,3%). Der Blick auf die Kurve mit kardiovaskulärem<br />
Tod, Infarkt oder Schlaganfall zeigt einen kontinuierlich zunehmenden Vorteil von<br />
Ticagrelor (siehe Grafik 4).<br />
Etwas auffällig und unklar bleiben Unterschiede bei den Ergebnissen je nach Land<br />
(USA kein Vorteil, Ungarn und Türkei überproportionaler Vorteil für Ticagrelor);<br />
nach zusätzlichen statistischen Analysen werden sie als zufallsbedingt angesehen.<br />
Grafik 4: primärer Sammel endpunkt unter Ticagrelor versus Clopidogrel<br />
in PLATO<br />
Größere Blutungen traten unter beiden<br />
Substanzen mit 11,6 vs. 11,2% nicht<br />
signifikant unterschiedlich auf, alle zusammen<br />
(größere und kleinere relevante)<br />
waren unter Ticagrelor häufiger (16,1 vs.<br />
14,6%); fatale und intrakranielle waren<br />
ohne Häufigkeits-Unterschied.<br />
Luftnot war unter Ticagrelor erheblich<br />
häufiger (13,8 vs. 7,8%), meist aber nach<br />
einigen Wochen reversibel und zwang<br />
nur selten zum Absetzen (0,9 vs. 0,1%).<br />
Weiterhin fanden sich Pausen > 3 sec. im<br />
LZ-EKG (5,8 vs. 3,3%) und ein Anstieg<br />
von Kreatinin (11 vs. 9%) und Harnsäure<br />
(15,0 vs. 7,0%) unter Ticagrelor häufiger.<br />
Bedeutung<br />
für<br />
unsere<br />
Praxis<br />
Zusammenfassung:<br />
Ticagrelor scheint, über 12 Monate nach akutem koronarem Syndrom gegeben<br />
– unabhängig von der Art der gewählten Therapie – Vorteile gegenüber<br />
Clopidogrel zu bieten.<br />
Relevante Blutungen treten nicht häufiger auf.<br />
Es verteuert die Therapie um das 7-fache. Für Patienten mit instabiler Angina<br />
pectoris und NSTEMI sollen die Kosten als Praxisbesonderheiten anerkannt<br />
werden [22].<br />
Kreatinin und Harnsäure sollten vor und unter der Behandlung kontrolliert<br />
werden.<br />
In den ersten Wochen kann es zu Dyspnoe kommen, die aber meist reversibel ist.<br />
Wenn von Prasugrel oder Clopidogrel auf Ticagrelor umgestellt wird, sollten<br />
1 bis 3 Tage Pause eingelegt werden – die Wirkung der irreversiblen Plättchenhemmer<br />
hält an, diejenige von Ticagrelor setzt rasch ein.<br />
Interessenkonflikte: keine<br />
Literatur:<br />
1 https://www.g-ba.de/downloads/39-261-634/2008-02-21-AMR10-Clopidogrel-ASS_BAnz.pdf<br />
2 CAPRIE Steering Committee A randomised, blinded, trial of clopidogrel versus aspirin in patients at risk of<br />
ischaemic events (CAPRIE) Lancet 1996; 348: 1329–39<br />
3 Siehe CAPRIE-Studie<br />
4 Siehe CAPRIE-Studie<br />
5 Chan F, Ching Y, Hung L et al Clopidogrel versus Aspirin and Esomeprazole to Prevent Recurrent UlcerBleeding<br />
N Engl J Med 2005;352:238-44<br />
6 Mehta S, Yusuf S, Peters R et al. Effects of pre-treatment with clopidogrel and aspirine followed by long-termtherapy<br />
undergoing percutaneous intervention: the PCI-CURE study. Lancet 2001; 358: 527–33<br />
7 The Clopidogrel in unstable angina to prevent recurrent events trial investigators. CURE Effects of Clopidogrel<br />
in addition to aspirin in patients with acute coronary syndromes without ST-segment elevation N Engl J Med<br />
2001;345:494-502
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 9<br />
8 Diener HC, Bogousslavsky J, Brass L et al. Aspirin and clopidogrel compared with clopidogrel alone after<br />
recent ischaemic stroke or transient ischaemic attack in high-risk patients (MATCH): randomised, double-blind,<br />
placebo-controlled trial. Lancet 2004; 364: 331–37<br />
9 Bhatt D, Fox K, Hacke W et al. The CHARISMA investigators. Clopidogrel and Aspirin versus Aspirin Alone for<br />
the Prevention of Atherothrombotic Events N Engl J Med 2006;354:1706-17<br />
10 The ACTIVE Writing Group on behalf of the ACTIVE Investigators Clopidogrel plus aspirin versus oral anticoagulation<br />
for atrial fibrillation in the Atrial fibrillation Clopidogrel Trial with Irbesartan for prevention of Vascular<br />
Events (ACTIVE W): a randomised controlled trial. Lancet 2006; 367: 1903–12<br />
11 The ACTIVE Investigators Effect of Clopidogrel Added to Aspirin in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med<br />
2009; 360:2066-2078<br />
12 siehe CURE-Studie<br />
13 siehe CURE-Studie<br />
14 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Prasugrel plus ASS bei akutem Koronarsyndrom.<br />
Abschlussbericht A04-01B Version 1.0 vom 21.08.2009<br />
15 Park SJ, Park DW, Kim YH et al. Duration of Dual Antiplatelet Therapy after Implantation of Drug-Eluting Stents<br />
ZEST/REAL-LATE New Engl J Med 2010;362:1374-82<br />
16 Valgimigli M, Campo G, Monti M et al. Short- Versus Long-Term Duration of Dual-Antiplatelet Therapy After<br />
Coronary Stenting. PRODIGY-Trial. Circulation. 2012;125:2015-2026<br />
17 Price MJ, Berger PB, Teirstein PS et al.for the GRAVITAS Investigators: Standard- vs high-dose clopidogrel based<br />
on platelet function testing after percutaneous coronary intervention. JAMA 2011; 305:1097-105.<br />
18 Wiviott S, Braunwald E, Mc Cabe C et al. Prasugrel versus Clopidogrel in patients with acute coronary syndrome.<br />
TRITON-TIMI-38-study. N Engl J Med 2007;357:2001-15<br />
19 Siehe Nachdruck aus a-t 2009; 40 (Nr. 4): 34- 36 in KVH-aktuell 2/2010 S. 6-11 und Langheinrich W in KVH<br />
aktuell 2/2011 S. 25-26<br />
20 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Prasugrel bei akutem Koronarsyndrom.<br />
Abschlussbericht A09-02 Version 1.0 vom 11.7.2011; https://www.iqwig.de/download/A09-02_Kurzfassung_Abschlussbericht_Prasugrel_bei_akutem_Koronarsyndrom.pdf<br />
21 Wallentin L, Becker R, Budaj A et al. PLATO. Ticagrelor versus Clopidogrel in patients with acute coronary<br />
syndrome. NEJM 2009;361:1045-57<br />
22 siehe Blitz-Arzneitelegramm zu den Preisverhandlungen vom 2.7.2012<br />
<br />
Bitte beachten Sie zu diesem Thema auch unseren Beitrag auf Seite 16<br />
Zusammenfassende Übersicht<br />
Clopidogrel 75 mg (Loading-dose 300-600 mg)<br />
Monotherapie bei<br />
symptomatischer pAVK
Seite 10 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Für Sie<br />
gelesen<br />
Gerinnungshemmung: Update 2012<br />
Teil 2<br />
Dr. med. Alexander Liesenfeld und Dr. med. Anja Kessler-Thönes<br />
Die Gerinnungshemmung ist in der Praxis häufig, aber es häufen<br />
sich diesbezügliche Fragen auch außerhalb der Routinetherapie.<br />
Wir haben daher – nach den wichtigsten Empfehlungen der Fachgesellschaft<br />
AMERICAN COLLEGE OF CHEST PHYSICIANS (ACCP) im<br />
letzten Heft – einige weitere Empfehlungen zusammengestellt.<br />
Die im Text verwendeten Abkürzungen sind im Kasten auf Seite<br />
14 erklärt.<br />
Eingriff geplant: Kumarin absetzen?<br />
Bei allen Empfehlungen sollte hausärztlicherseits für jeden einzelnen Patienten<br />
das Risiko einer venösen Thromboembolie (VTE) dem Risiko der Blutungsgefahr<br />
gegenüber gestellt werden. Die Tabelle 1 zeigt die Risiken häufiger<br />
Interventionen [1].<br />
Ein Anliegen der Autoren ist es, Patienten mit hohem Thromboembolie-Risiko<br />
und relativ niedrigem Blutungsrisiko nicht durch Absetzen der VKA oder Bridging<br />
zu gefährden. Die Tabelle 2 zeigt daher einige Empfehlungen, in welchen<br />
Tabelle 1: Blutungs- und thromboembolisches Risiko verschiedener Interventionen<br />
(aus Nagler et al. [1])<br />
Thromboembolische<br />
Komplikationen<br />
Hohes Risiko Mittleres Risiko Niedriges Risiko<br />
Intrakranielle Operationen<br />
Operationen am Spinalkanal<br />
Operationen an der Orbita /<br />
hinteren Augenkammer<br />
Grosse Tumoreingriffe<br />
Herzchirurgische Eingriffe<br />
Schilddrüsenchirurgie<br />
Leber- und Pankreasresektionen<br />
Übrige Operationen<br />
Koloskopie, insbesondere bei<br />
Biopsie und Polypektomie<br />
ERCP mit Papillotomie<br />
Biopsien parenchymatöser<br />
Organe<br />
Reihen-Zahnextraktion,<br />
operative Zahnentfernung,<br />
kieferchirurgische Eingriffe<br />
Transurethrale Eingriffe<br />
Blutungskomplikationen<br />
Ösophago-Gastro-Duodenoskopie<br />
Endosonographie<br />
Hautbiopsien<br />
Dentalhygiene, parodontale<br />
Eingriffe<br />
konservierende Eingriffe<br />
Kronen und Brücken, Prothesen<br />
Wurzelbehandlungen<br />
Extraktion einzelner Zähne<br />
Hohes Risiko Mittleres Risiko Niedriges Risiko<br />
Endoprothetik<br />
Hüftnahe Frakturen und<br />
Trümmerfrakturen<br />
Grosse Beckeneingriffe<br />
Tumorchirurgie<br />
Operationen obere Extremitäten<br />
und übrige Eingriffe<br />
untere Extremitäten<br />
Grosse Operationen (>30<br />
min) der Viszeralchirurgie,<br />
Urologie, Gynäkologie<br />
Operationen von Lunge, T<br />
horaxwand, Mediastinum<br />
Varizenoperation<br />
Gefässchirurgische Eingriffe<br />
Kleine Operationen (
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 11<br />
Fällen die orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten gestoppt werden<br />
muss und wann nicht.<br />
In unserem hausärztlichen Alltag geschieht es oft, dass ein Patient vom<br />
Facharzt oder aus der Klinik mit der Empfehlung in die Sprechstunde kommt,<br />
dass für eine spezielle Untersuchung oder Intervention das Kumarin abzusetzen<br />
sei. Diese Anordnung sollte immer hinterfragt werden. Oft haben wir<br />
dann die schwierige Aufgabe, sowohl den Patienten als auch den Facharzt zu informieren<br />
und zu überzeugen, dass durch das Absetzen des Vitamin-K-Antagonisten<br />
(VKA) der Patient gefährdet ist. Es ist besser bei speziellen Eingriffen das Kumarin<br />
weiter zu geben (niedriger therapeutischer Bereich des INRs), um die relativ höhere<br />
Gefahr einer VTE-Komplikation zu vermeiden [1].<br />
Tabelle 2: Umstellung von VKA in Abhängigkeit von der geplanten Intervention.<br />
(aus Nagler et al. [1])<br />
Fachgebiet Intervention Management<br />
Viszeralchirurgie Alle Eingriffe VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />
Urologie<br />
Gastroenterologie<br />
Transurethrale Eingriffe<br />
Zystoskopie<br />
Retrograde Pyelographie<br />
Prostatabiopsie<br />
Zystostomieeinlage<br />
Alle anderen Eingriffe<br />
Obere Endoskopie mit/ohne Biopsie<br />
Endosonographie<br />
Evtl. Koloskopie ohne Biopsie<br />
Koloskopie mit Biopsieentnahme<br />
Polypektomie<br />
Mukosaresektion<br />
Bougierung oder Ballondilatation<br />
Varizenligatur oder -sklerotherapie<br />
PEG-Einlage<br />
ERCP mit Papillotomie<br />
Leberbiopsie<br />
VKA nicht stoppen<br />
VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />
VKA nicht stoppen<br />
Biopsie-Entnahme Hautbiopsien VKA nicht stoppen<br />
Zahneingriffe<br />
Alle anderen Eingriffe<br />
Biopsien parenchymatöser Organe<br />
Dentalhygiene<br />
Paradontale Eingriffe<br />
Konservierende Eingriffe<br />
Kronen und Brücken<br />
Prothesen<br />
Wurzelbehandlungen<br />
Extraktion einzelner Zähne<br />
Reihen-Zahnextraktion<br />
Schwierige operative Zahnentfernung<br />
Grössere kieferchirurgische Eingriffe<br />
VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />
VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />
VKA nicht stoppen<br />
VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />
VKA stoppen und überbrücken mit NMH
Seite 12 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Wissenswertes zum Vorhofflimmern<br />
Das New England Journal of Medicine berichtet von einer internationalen Studie,<br />
in der das subklinische Vorhofflimmern auch ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle<br />
widerspiegelt [2]. Dabei wurden im Zusammenhang mit einer Implantation<br />
eines Herzschrittmachers oder eines Kardioverter-Defibrillators über den Zeitraum<br />
von 2,5 Jahren die Aufzeichnungen bei 2600 Patienten (>65 Jahre) analysiert. In 10%<br />
aller Auslesungen fielen subklinische Phasen von Vorhofflimmern auf, die bei den<br />
betroffenen Patienten mit einem zweifach erhöhten Risiko eines Apoplexes oder<br />
Tabelle 3: Risiko-Scores für Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern [4]<br />
CHADS 2 Risikofaktoren<br />
Herzinsuffizienz in der Anamnese 1<br />
Hypertonie 1<br />
Alter ≥75 Jahre 1<br />
Diabetes mellitus 1<br />
Schlaganfall, TIA oder andere Embolie in der Anamnese 2<br />
CHA 2 DS 2 VASc Risikofaktoren<br />
Herzinsuffizienz oder linksventrikuläre Dysfunktion 1<br />
Hypertonie 1<br />
Alter ≥75 Jahre 2<br />
Alter 65–74 Jahre 1<br />
Diabetes mellitus 1<br />
Schlaganfall oder TIA 2<br />
Gefäßerkrankung (Myokardinfarkt, Katheterintervention oder koronarer Bypass in der Anamnese,<br />
periphere Arteriostenose, Aorten-Plaques)<br />
Weibliches Geschlecht 1<br />
HAS-BLED Risikofaktoren<br />
Hypertonie (systolischer Druck >160 mm Hg) 1<br />
Nierenprobleme (Dialyse, Transplantation, Serumkreatinin ≥200 μmol/L [2·6 mg/dL]) 1<br />
Leberprobleme (chronische Lebererkrankung; Bilirubin >2x über Obergrenze; AST, ALT oder ALP > 3× über<br />
Obergrenze<br />
Schlaganfall in der Anamnese 1<br />
Blutung in der Anamnese 1<br />
Labile INR-Einstellung 1<br />
Alter über 65 1<br />
Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern, NSAID oder anderen Entzündungshemmern 1<br />
Medikamente (ASS, Clopidogrel o.ä.) 1<br />
Alkoholabusus 1<br />
Punkte<br />
Punkte<br />
1<br />
Punkte<br />
Die Tabelle zeigt drei verschiedene Scores zur Risikoeinschätzung. Die Punktzahlen der vorliegenden Risikofaktoren werden addiert, daraus<br />
ergibt sich das Gesamtrisiko. In der Praxis empfehlen wir, den seit 10 Jahren bekannten CHADS 2 Score zu verwenden. Bei Patienten mit einem<br />
Score ≥ 2 sollte eine Antikoagulation wie bisher erfolgen. Bestehen Bedenken hinsichtlich der Antikoagulation bei niedrigeren Werten (0 oder 1)<br />
dient der erweiterte CHA 2DS 2VASc-Score der Differenzierung. Dieser neue Score gewichtet zusätzlich das Alter, das weibliche Geschlecht<br />
und vaskuläre Erkrankungen. Kritisch zu bemerken ist an dieser Stelle, dass dies im Alltag eine Verdopplung von antikoagulierten Patienten<br />
bedeuten würde. Das Arzneimitteltelegramm (at 9/2012, Seite 75) empfiehlt: „Wir halten den CHADS 2-Score weiter für ein einfaches und<br />
bewährtes Instrument, um Patienten mit klarer Indikation für orale Antikoagulanzien zu erkennen (Werte ≥ 2).“ Der HAS-BLED-Score hilft das<br />
Risiko einer Hirnblutung unter Antikoagulanzien abzuschätzen (siehe Beitrag).<br />
(AST=Aspartattransaminase; ALT=Alanintransaminase; ALP=Alkalische Phosphatase)<br />
1
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 13<br />
einer systemischen Embolisierung einhergingen. Die Empfehlungen sind in diesem<br />
Zusammenhang, ohne in Leitlinien verankert zu sein, dahingehend, dass asymptomatische<br />
Patienten mit einem hohen CHADS 2 -Score und gelegentlich (nachgewiesenen)<br />
auftretenden Phasen von Vorhofflimmern antikoaguliert werden sollten [2].<br />
Um das Risiko einer Hirnblutung unter Antikoagulantientherapie abzuschätzen,<br />
wurde 2010 von der European Society of Cardiology der HAS-BLED-Score herausgegeben.<br />
Dieser dient unter Addition von 9 Risikofaktoren der individuellen<br />
Kalkulation (siehe Tab. 3). Dieser Risikoscore sollte im hausärztlichen Alltag vor der<br />
Entscheidung, einem Patienten VKA zu geben, berücksichtigt werden.<br />
In einer retrospektiven schwedischen Studie zeigte sich, dass Frauen mit Vorhofflimmern<br />
ein größeres Risiko für einen Schlaganfall besitzen als Männer. Daher<br />
sollte im Prozess der Entscheidungsfindung für eine Antikoagulantientherapie unbedingt<br />
das Geschlecht des Patienten berücksichtigt werden. Der CHA 2 DS 2 -VASc<br />
Score wird diesem Punkt gerecht und lässt zusätzlich auch das Alter und vaskuläre<br />
Erkrankungen in diesen erweiterten Score mit einfließen [3,4]. Beachten Sie hierzu<br />
bitte auch die Tabelle 3.<br />
Hinweis<br />
für die<br />
Praxis<br />
Wichtige<br />
Informationen<br />
zu den neuen<br />
Thrombin-Inhibitoren<br />
finden Sie in<br />
KVH aktuell 4/2011<br />
auf den<br />
Seiten 10 bis 18.<br />
Autoimmunerkrankung: Lungenembolie-Risiko steigt<br />
Das Gesamtrisiko innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung einer Autoimmunerkrankung<br />
an einer Lungenembolie zu erkranken, liegt nach einer schwedischen<br />
Studie mit über 535.000 Teilnehmern und einem Beobachtungszeitraum<br />
von 44 Jahren bei 6.38 OR (!) [6] . Dabei sind Patienten mit einer ITP (idiopathisch<br />
thrombopenische Purpura), einer Polyarteritis nodosa, einer Polymyositis oder<br />
Dermatomyositis und auch eines systemischen Lupus erythematodes besonders<br />
gefährdet. Das Gesamtrisiko fällt im weiteren Verlauf in den ersten 5 Jahren auf<br />
1.53 und nach fünf bis zehn Jahren auf 1,15, nach zehn Jahren auf 1,04.<br />
Fazit: Im ersten Jahr nach einer stationären Behandlung wegen einer Autoimmunerkrankung,<br />
besteht ein hohes Risiko, eine Lungenembolie zu erleiden.<br />
Geschwollenes Bein:<br />
Ist es eine Venenthrombose?<br />
Klassische Situation: Freitag 14 Uhr. Der Laborfahrer<br />
hat gerade die Blutröhrchen abgeholt,<br />
ein Facharzt ist nicht mehr erreichbar. Eine<br />
junge Patientin kommt in die Praxis mit einer<br />
Schwellung des gesamten Unterschenkels nach<br />
Distorsion im Sprunggelenk vor 4 Tagen. Wie<br />
geht man vor? Hier empfehlen wir den Wells-<br />
Score.<br />
Entsprechend den aktuellen interdisziplinären<br />
S2-Leitlinien für Venenthrombose und Lungenembolie<br />
[5] kann mit dem Wells-Score die<br />
Wahrscheinlichkeit einer Beinvenenthrombose<br />
berechnet werden (Tabelle 4). Zwei und mehr<br />
Punkte sprechen für eine tiefe Beinvenenthrombose<br />
und erfordern eine weitere Abklärung.<br />
Tabelle 4: Der Wells-Score hilft bei der<br />
Diagnose einer tiefen Beinvenenthrombose<br />
Symptome<br />
Punkte<br />
Aktive Krebserkrankung 1<br />
Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine 1<br />
Bettruhe (>3 Tage); große Chirurgie (3 cm gegenüber Gegenseite 1<br />
Eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein 1<br />
Kollateralvenen 1<br />
Frühere, dokumentierte tiefe Venenthrombose 1<br />
Alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich<br />
wie tiefe Venenthrombose<br />
-2<br />
ASS und Test auf okkultes Blut im Stuhl<br />
In einer deutschen Studie zeichnete sich ab, dass es unter der Einnahme von ASS<br />
zu einer Sensitivitätssteigerung der Testergebnisse (immunologischer Stuhltest auf<br />
okkultes Blut) hinsichtlich Darmkrebses kam. Unter ASS-Einnahme kam es
Seite 14 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
zudem nicht wie befürchtet zu einer Steigerung der falsch-positiven Befunde [9].<br />
Fazit für die Praxis: ASS muss während des Tests auf okkultes Blut nicht<br />
abgesetzt werden!<br />
Weitere Empfehlungen des American College<br />
of Chest Physicians [7,8]<br />
1. Kritisch kranke Patienten:<br />
Für kritisch kranke Patienten wird die Gabe von niedermolekularem Heparin (LWMH)<br />
oder unfraktioniertem Heparin (UFH) als Thromboseprophylaxe empfohlen, nicht<br />
aber die routinemäßige Ultraschalluntersuchung der Beinvenen zum Ausschluss<br />
einer Thrombose (Evidenzgrad 2C – die Bedeutung der Evidenzgrade wurde im<br />
ersten Teil des Beitrags in Heft 3/2012 erläutert).<br />
2. Patienten mit soliden Tumoren:<br />
Patienten mit soliden Tumoren und zusätzlichen Risikofaktoren für eine venöse<br />
Thromboembolie (VTE) wird die Gabe von LWMH oder UFH empfohlen. Zusätzliche<br />
Risikofaktoren sind: VTE in der Anamnese, kurz zurückliegende Operation oder<br />
Trauma, aktives Malignom, Schwangerschaft, Östrogeneinnahme, fortgeschrittenes<br />
Alter, eingeschränkte Beweglichkeit, schweres Übergewicht oder bekannte<br />
Thrombophilie (Grad 2B).<br />
3. Hochrisiko-Patienten mit maligner Erkrankung:<br />
Für Hochrisiko-Patienten, die im Bereich des Abdomens am Tumor operiert werden<br />
und zusätzlich eine maligne Erkrankung in diesem Bereich haben, ohne erhöhtes<br />
Blutungsrisiko, wird die Gabe von niedermolekularem Heparin oder unfraktioniertem<br />
Heparin für die Dauer von vier Wochen und nicht kürzer empfohlen (Grad 1B).<br />
4. Allgemeinchirurgische Patienten:<br />
Patienten, die abdominell operiert werden und ein hohes Risiko für eine VTE bei<br />
gleichzeitig geringer Blutungsgefahr haben, sollten bei Kontraindikation für niedermolekulares<br />
(LMWH) oder unfraktioniertes Heparin (UFH) niedrig dosiert ASS<br />
erhalten (Grad 2C). Beachten Sie bitte hierzu auch den Beitrag aus KVH aktuell Nr. 3<br />
vom August 2012: ASS kann nach Antikoagulation vor Thromboembolie-Rezidiven<br />
schützen.<br />
5. Thoraxchirurgische Patienten:<br />
Thoraxchirurgischen Patienten mit hohem Risiko für eine VTE und ohne erhöhtes<br />
Blutungsrisiko sollten neben LMWH oder UFH (Grad 1B) auch eine Thromboseprophylaxe<br />
mit elastischen Kompressionsstrümpfen bekommen (Grad 2C).<br />
Interessenkonflikte: keine<br />
Die Abkürzungen:<br />
ACS = Akutes Coronar-Syndrom<br />
LMWH = Niedermolekulares Heparin<br />
NSAR = Nichtsteroidale Antirheumatika<br />
OR = Odds-Ratio<br />
PTT = Partielle Thrombopastinzeit<br />
UFH = Unfraktioniertes Heparin<br />
VKA = Vitamin-K-Antagonisten (Kumarine); hierzulande wird im Gegensatz zu den USA meist Phenproucoumon<br />
(Marcumar) und weniger Warfarin (Coumadin) verwendet.<br />
VKA-Patienten = Patienten, die ein Kumarin erhalten<br />
VTE = venöse Thromboembolie
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 15<br />
Für weitergehend Interessierte hier der Link zur Zusammenfassung der Originalarbeit:<br />
http://chestjournal.chestpubs.org/content/141/2_suppl/7S.full.html<br />
Literatur:<br />
1 Nagler M. et al.: Periinterventionelles Management der Antikoagulation und Antiaggregation: Schweiz Med<br />
Forum 2011;11(23–24):407–412<br />
2 Healey J S, Conolly S J, et al.: Subclinical atrial fibrillation and the risk of stroke. N Engl J Med 2012; Vol 366,<br />
Pages 120-129<br />
3 Friberg L, et al.: Assessment of female sex as a risk factor in atrial fibrillation in Sweden: Nationwide retrospective<br />
cohort study. BMJ 2012; 344:e3522<br />
4 The Lancet, Early Online Publication, 2 October 2012; doi:10.1016/S0140-6736(12)60986-6<br />
5 Bein- und Beckenvenenthrombose (TVT) Interdisziplinäre S2 – Leitlinie: Venenthrombose und Lungenembolie<br />
VASA 2005; 34:Suppl. 66 5-13<br />
6 Zöller B, Xinjun L, et al.: Risk of pulmonary embolism in patients with autoimmune disorders: a nationwide<br />
follow-up study from Sweden. The Lancet 2012; Volume 379, Issue 9812, Pages 244 – 249<br />
7 Gyatt GH et al: Executive Summary : Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th Edition:<br />
American College of Chest Physicians (ACCP) Evidance-Based Clinical Practice Guidelines Guidelines<br />
8 Holbrook A, Schulman S, Witt DM, et al. Evidence-based management of anticoagulant therapy: antithrombotic<br />
therapy and prevention of thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians evidence-based clinical<br />
practice guidelines. Chest. 2012;141(2)(suppl):e152S-e184S.<br />
9: Brenner H et al.: Low-Dose Aspirin Use and Performance of Immunochemical Fecal Occult Blood Tests: JAMA.<br />
2010; 304(22):2513-2520<br />
Im Internet findet man einige nützliche Instrumente zur Beurteilung des Thromboserisikos. Ein Risikorechner<br />
ist beispielsweise unter www.qthrombosis.org zu finden.<br />
Kalkulatoren, mit denen man die Wahrscheinlichkeit einer tiefen Beinvenenthrombose errechnet<br />
werden kann, findet man oft auf den Seiten von Laborpraxen; hier nur ein Beispiel:<br />
www.labor-enders.de/331.html.<br />
Omega-3-Fettsäuren:<br />
Sinnlos oder sinnvoll?<br />
Studien<br />
kritisch<br />
durchleuchtet<br />
Dr. med. Christian Albrecht<br />
Die ORIGIN-Studie [1] suggeriert wie schon andere Metaanalysen [2], dass Omega-<br />
3-Fettsäuren in der Lipidtherapie und Sekundärprävention der Arteriosklerose keinen<br />
evidenzbasierten Nutzen gegenüber Placebo haben. Es wäre aber falsch, deshalb<br />
der Omega-3-FS-Gabe (1 g/die) jedweden Nutzen für alle Herzpatienten abzusprechen:<br />
Es gibt eine besondere Gruppe, für die eine große (über 11.000 Patienten)<br />
randomisierte Studie [3] einen klaren Nutzen dieser Therapie belegen konnte: die<br />
Patienten, die einen frischen Herzinfarkt hatten. Für diese Herzinfarktpatienten<br />
konnte ein deutlicher 1-Jahres-Überlebensvorteil nachgewiesen werden, wenn sie<br />
1 g/die Omega-3-Fettsäuren nahmen (Evidenzgrad Ib).<br />
Wenn nun im Nachgang nach einer solchen Meilenstein-Studie immer wieder neue<br />
Studien veröffentlicht werden, die die Ineffektivität von Omega-3-FS „belegen“<br />
sollen, dann „gelingt“ dies nur, wenn man ausblendet, dass in diesen nachgereichten<br />
Studien ganz andere Patientenkollektive untersucht wurden – nämlich KEINE<br />
Patienten mit frischem Herzinfarkt: Man vergleicht sozusagen Äpfel mit Birnen. Mit<br />
anderen Worten: Es gibt KEINE Studie, die bei frischen Herzinfarktpatienten die<br />
Ergebnisse von GISSI widerlegt hat.<br />
Pathophysiologisch geht man davon aus, dass die Omega 3-FS einen Membran- und<br />
Herzrhythmus-stabilisierenden Effekt an der infarzierten Herzmuskelzelle haben,<br />
weil gerade der plötzlich Rhythmustod in der Studie drastisch reduziert wurde.
Seite 16 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Einen Vorteil in Bezug auf das Fortschreiten der Arteriosklerose insgesamt durch<br />
Modulation der Lipide hat GISSI zu keinem Zeitpunkt für die Patienten reklamiert<br />
und der konnte folgerichtig auch nie nachgewiesen werden, wie die jetzige ORIGIN-<br />
Studie wieder einmal zeigt [4].<br />
Möglicherweise ist das informative Wechselbad, dem Ärzte und Patienten in Sachen<br />
Omega-3-FS ausgesetzt sind, aber auch durch die Marketingstrategien der produzierenden<br />
Firmen mitverursacht: Vielleicht wollte man ja die Verkaufszahlen durch<br />
eine möglichst weite Indikationsstellung positiv beeinflussen und übersah dabei<br />
das Wesentliche: Zunächst danach zu schauen und ERST DANN anzupreisen, was<br />
Omega-3-FS können (Reduktion des plötzlichen Herztodes nach akutem Infarkt)<br />
und was nicht (günstige Beeinflussung des Lipidstatus und damit des Verlaufes<br />
arteriosklerotischer Erkrankungen allgemein).<br />
Interessenkonflikte: keine<br />
Literatur:<br />
1 N Engl J Med 2012; 367:319-328; DOI: 10.1056/NEJMoa1203859<br />
2 Kwak SM: Arch Intern Med 2012 April 9 (in press)<br />
3 GISSI: Lancet 1999; 354:447-55<br />
4 The ORIGIN Trial Investigators: N Engl J Med 2012; 367:319-328. DOI: 10.1056/NEJMoa1203858.<br />
Kurze<br />
Meldung<br />
Qualitätsinstitut untersucht Plättchenhemmung<br />
bei der Sekundärprophylaxe vaskulärer Erkrankungen<br />
Clopidogrel nicht viel besser als ASS<br />
Das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) hat<br />
anhand der vorliegenden Studien untersucht, ob das (teure) Clopidogrel besser ist<br />
als das preiswerte ASS. Hier das Fazit:<br />
„Die Langzeittherapie mit Clopidogrel (Monotherapie) hat im Vergleich zu einer<br />
Behandlung mit ASS bei Patienten mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit<br />
einen Zusatznutzen in Bezug auf die Reduktion des Risikos für vaskuläre/thromboembolische<br />
Ereignisse. Für eine Reduktion der Gesamtsterblichkeit liegt<br />
ein solcher Nachweis nicht vor. Für Patienten mit zerebrovaskulärer Erkrankung und<br />
Patienten mit koronarer Herzkrankheit (jeweils ohne gleichzeitiges Vorliegen einer<br />
symptomatischen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit), ist ein Zusatznutzen von<br />
Clopidogrel nicht nachgewiesen. Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass diese Aussagen<br />
für bestimmte Patientengruppen mit einem höheren Risiko für thromboembolische<br />
Ereignisse wie z.B. Patienten mit Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus oder Manifestation<br />
der Atherosklerose in mehr als einer Gefäßregion, anders zu werten sind.<br />
Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass bei Patienten, die unter einer Behandlung<br />
mit ASS eine Blutungskomplikation erlitten haben, eine Umstellung der Behandlung<br />
auf Clopidogrel zu einem patientenrelevanten Zusatznutzen führt. Bei Patienten mit<br />
vorausgegangener gastrointestinaler Blutung unter ASS liegen Hinweise dafür vor,<br />
dass die Behandlung mit niedrig dosiertem ASS bei zusätzlicher Gabe eines Protonenpumpenhemmers<br />
(Esomeprazol) einen höheren patientenrelevanten Nutzen hat<br />
als die Umstellung der Behandlung von ASS auf Clopidogrel.<br />
Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass bei Patienten, die unter einer Behandlung<br />
mit ASS ein vaskuläres Ereignis erleiden, eine Umstellung der Behandlung auf Clopidogrel<br />
zu einem patientenrelevanten Zusatznutzen führt.“<br />
Die ausführliche Beschreibung der Untersuchung und ihrer Ergebnisse finden Sie<br />
unter www.iqwig.de.<br />
red<br />
Bitte beachten Sie zu diesem Thema auch unseren Beitrag auf Seite 4.
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 17<br />
Mehr Verordnungen von<br />
Psychopharmaka für Frauen<br />
Was bedeuten die Daten aus dem Arzneimittelreport 2012?<br />
Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />
Für Sie<br />
gelesen<br />
Derzeit rauscht es mal wieder im Blätterwald: Nachdem Ende Juni 2012 die Barmer/<br />
GEK zum dritten Mal ihren Arzneimittelreport in der Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse<br />
auf der Basis der Daten aus dem Jahr 2011 ihrer fast 9,1 Millionen<br />
Versicherten veröffentlichte [1], werden die Ergebnisse von Krankenkassen und<br />
Ärzten unterschiedlich interpretiert.<br />
Die von der Arbeitsgruppe Arzneimittelversorgungsforschung im Zentrum für<br />
Sozialpolitik der Universität Bremen unter der Federführung von Prof. Dr. Gerd Glaeske<br />
dargestellten, je nach Geschlecht unterschiedlichen Verordnungshäufigkeiten<br />
führten mitunter zu polemischen und wenig differenziert betrachteten Überschriften:<br />
„Frauen erhalten häufiger Antidepressiva“ (aerzteblatt.de / POLITIK 26. Juni<br />
2012), „Barmer-GEK-Arzneimittelreport: Frauen erhalten häufiger Antidepressiva“<br />
(aerzteblatt.de / AKTUELL pp.11, Ausgabe Juli 2012, S 294), „Ärzte kritisieren Diskriminierung<br />
psychisch Kranker im Arzneimittelreport“ (aerzteblatt.de / ÄRZTESCHAFT<br />
05. Juli 2012), „Arzneimittelreport: Zu viele Psychopharmaka“ (Deutsches Ärzteblatt<br />
vom 09. Juli 2012), „Warum Frauen depressiv werden – und Männer nicht wirklich<br />
daran Schuld sind“ (Psychologie heute, September 2012 [2]).<br />
Zwar wurden auch Verbesserungen in der Therapie gesehen: so wurden die suchtmachenden<br />
Benzodiazepine 2011 weniger verordnet und statt dessen für Frauen<br />
gegenüber Männern vermehrt tri- und tetrazyklische Antidepressiva aber auch<br />
noch Hypnotika und Tranquilizer verordnet. Hier setzt die Kritik von Glaeske ein:<br />
„Arzneimittel sind oft die schnelle Lösung in der Praxis, aber man sollte genau<br />
überlegen, ob damit nicht auf Dauer mehr Schaden als Nutzen verbunden ist“<br />
und weiter werden von ihm weniger riskante pflanzliche Arzneimittel empfohlen,<br />
und gefordert, zunächst nur die Verwendung von Kleinpackungen und erst bei<br />
chronischen Fällen Grosspackungen anzuwenden. Und weiter: „Im Vergleich zu<br />
Männern“… sei bei Frauen festzustellen, „dass Tranquilizer, Antidepressiva und<br />
Schlafmittel ohne erkennbare therapeutische Indikation in einer Menge verordnet<br />
werden, die auf Dauer zu erheblichen unerwünschten Wirkungen führen kann“.<br />
Er beklagt Absetzprobleme bei langdauernder Antidepressiva-Behandlung, „die<br />
Betroffenen mögen oder können ihre Alltagsbelastung nicht mehr aushalten“ und<br />
beklagt ein erhöhtes Risiko, „auch bei Missbefindlichkeiten im Alltag Arzneimittel<br />
verordnet zu bekommen“.<br />
Hier widerspricht vehement der Präsident der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für<br />
Psychotherapie und Nervenheilkunde) Prof. Dr. Peter Falkai in einer gemeinsamen<br />
Stellungnahme mit dem Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) und dem<br />
Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP) den Schlussfolgerungen Glaeskes: „Bei<br />
Frauen treten Depressionen und Angststörungen weit häufiger auf als bei Männern,<br />
ebenso ist die Bereitschaft, sich mit psychischen Störungen in ärztliche Behandlung<br />
zu begeben, höher“ [3].<br />
Er beklagt die „wie in den vergangenen Jahren verbreiteten … Vorurteile, die<br />
der Stigmatisierung psychischer Störungen weiter Vorschub leisten und diesen den<br />
Status von ‚Missbefindlichkeit‘ einräumen.“<br />
Er berichtet, dass die aktuelle Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland<br />
(DEGS) des Robert-Koch-Instituts [4] zeigte, dass nahezu jeder vierte männliche und<br />
jede dritte weibliche Erwachsene im Erhebungsjahr unter voll ausgeprägten psychischen<br />
Störungen gelitten haben, am häufigsten unter Angst- und depressiven
Seite 18 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Störungen, gefolgt von Substanz- und somatoformen Störungen. Falkai fand im<br />
Barmer/GEK Arzneimittelreport keinerlei Hinweise für eine Überversorgung mit<br />
Psychopharmaka. Unter den 20 am häufigsten verordneten Präparaten fand sich<br />
nur ein einziges Psychopharmakon, unter den 20 umsatzstärksten Medikamenten<br />
fand sich lediglich eins, mit dem auch Angststörungen behandelt werden sowie<br />
zwei Medikamente zur Schizophreniebehandlung.<br />
Er stellt dar, dass grosse Aufklärungsbemühungen der vergangenen Jahre dazu<br />
geführt haben, wodurch vermehrt von betroffenen Patienten auch ärztliche Hilfe<br />
in Anspruch genommen wird und dass dadurch besonders bei den vielen chronischen<br />
psychischen Störungen, die mitunter auch eine Dauertherapie erforderlich<br />
machen können, somit den betroffenen Patienten ein selbstbestimmtes Leben mit<br />
verbesserter Lebensqualität erst ermöglicht wird.<br />
Durch Psychopharmakotherapie ausgelöste UAW einschliesslich Fehlgebrauch (z.B.<br />
willkürliche Dosierungsänderungen) und Beigebrauch (z.B. Alkohol, Analeptika<br />
usw.) können vorkommen, sie müssen erkannt und beseitigt werden und kommen<br />
ebenfalls bei der Therapie der grossen Volkskrankheiten (Diabetes, Hypertonie usw)<br />
vor. Insbesondere gilt es bei der Therapie mit Tranquilizern und Hypnotika, rechtzeitig<br />
Abhängigkeiten zu erkennen und zu vermeiden. Da der Report der Krankenkasse<br />
aber zeigt, dass diese beiden Stoffklassen meistens nur kurzfristig verordnet wurden<br />
und langdauernde Verordnungen die absolute Ausnahme waren, scheint mit den<br />
mitunter polemischen Vorwürfen an die Ärzteschaft eher ein gängiges Klischee<br />
der Diskriminierung der medikamentösen Psychotherapie (besonders bei Frauen)<br />
bedient worden zu sein, als dass die Durchführung einer sachgerechten Therapie<br />
von psychischen Störungen anzuzweifeln ist.<br />
Es ist ein Fakt, dass Frauen weit häufiger an Angststörungen und Depressionen<br />
leiden [2,3,4] und dass sie sich auch häufiger deswegen in ärztliche Behandlung<br />
begeben, während Männer fünfmal häufiger Missbrauch und Abhängigkeit von<br />
Alkohol zeigen. Das erklärt die erhöhte Zahl von Psychopharmaka-Verschreibungen<br />
bei Frauen.<br />
Im Übrigen erfolgt eine psychopharmakologische Behandlung leitlinienkonform,<br />
z.B. anhand der S3-Leitlinie Depressionen (DGPPN 2010), S3-Leitlinie Angststörungen<br />
(Dengler, Selbmann 2000). Nach dem World Health Report 2001 werden 50%<br />
aller Depressionen trotz aller Bemühungen um eine leitliniengerechte Psychomedikation<br />
überhaupt nicht behandelt.<br />
Bedeutung<br />
für<br />
unsere<br />
Praxis<br />
Bei Tri- und Tetrazyklika auf individuelle kardiovaskuläre Risiken achten<br />
Antidepressiva sollten besonders bei Frauen nach sachgerechter Diagnostik<br />
indikationsgerecht verordnet werden und auf ihre Risiken hin wohlüberlegt<br />
verschrieben werden (Suizidalität, UAW-Möglichkeiten, eventuelle Interaktionen<br />
mit anderen Stoffen, Missbrauchgefahr durch Suchtkranke usw.).<br />
Die Behandlung mit Tri- oder Tetrazyklika sollte im Lichte neuerer Ergebnisse<br />
besonders im Hinblick auf kardiovaskuläre Risiken individuell realistisch eingeschätzt<br />
werden. Derzeit werden diese Risiken je nach den Befunden des Einzelfalls<br />
auch für Ältere deutlich als weniger gravierend bewertet [5].<br />
Tranquilizer sollten wegen ihres Abhängigkeitspotentials weiterhin möglichst<br />
restriktiv und nur für eine kurze Zeitdauer verordnet werden.<br />
Es ist wichtig, die erwünschte therapeutische Wirkung ausreichend lange und<br />
aufmerksam zu überprüfen und angstauslösende Fremdeinflüsse zu erkennen<br />
und zu lindern, Beigebrauch (z.B. Alkohol, Koffein u.a.) bei der Therapie zu<br />
reduzieren und die Therapiedauer wenn erforderlich auch lange anhaltend zu<br />
planen und fortzuführen.<br />
Dabei sollte in der Regel eine begleitende empathische, möglichst fachkun-
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 19<br />
dige verbale unterstützende Therapie durchgeführt werden.<br />
Bei Männern gilt das Gleiche. Da Männer jedoch weniger spontan psychische<br />
Beschwerden dem Arzt gegenüber äußern, muss hier oftmals nachgefragt werden,<br />
um psychische Probleme aufzudecken. Bei Männern werden Missbrauch<br />
und Abhängigkeit im Umgang mit Alkohol vermehrt verdrängt. Das sollte auch<br />
im Zusammenhang mit der Psychopharmakotherapie bedacht werden.<br />
Interessenkonflikte: keine<br />
Literatur:<br />
1 Glaeske G, Schicktanz C: BARMER GEK Arzneimittelreport 2012, Juni 2012 in der Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse,<br />
Band 14, ISBN 978-3-943-74479-8, Asgard Verlagsservice GmbH, Schützenstrasse 4, 53721<br />
Siegburg; 223 S.<br />
2 Nuber U: Warum Frauen depressiv werden – und Männer nicht wirklich daran schuld sind. (in Psychologie,<br />
heute Sept.2012;9:38-43), Auszug aus: Ursula Nuber: Wer bin ich ohne dich? Warum Frauen depressiv werden<br />
– und wie sie zu sich selbst finden. Campus-Verlag Frankfurt am Main. August 2012, Gebunden, ca 249 Seiten<br />
19,99 €, ISBN 978-3-593-39555-5<br />
3 Stellungnahme Nr. 12 / 04.07.2012 der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde (DGPPN),<br />
des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP).<br />
http//www.dgppn.de/helpermenu/impressum.html oder über die Geschäftsstelle der DGPPN: Reinhardtstrasse<br />
27 B, 10117 Berlin, segretariat@dgppn.de<br />
4 Kurth BM: Erste Ergebnisse der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS). Bundesgesundheitsbl<br />
2012 DOI 10.1007/s00103-011-1504-5 Springer-Verlag 2012<br />
5 Ehrenthal K: Gibt es Qualitätsunterschiede moderner Antidepressiva ? KVH aktuell Pharmakotherapie 2012;<br />
17(1): 8-10<br />
Leiden Männer<br />
wirklich seltener<br />
an psychischen<br />
Problemen oder<br />
reden sie bloß<br />
seltener darüber?<br />
Unkritische Anwendung von<br />
Fentanylpflastern erhöht das Risiko für<br />
schwerwiegende Nebenwirkungen<br />
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (www.akdae.de)<br />
Fentanylpflaster sind in Deutschland zum stark wirksamen Opioid der ersten Wahl<br />
geworden. Bei Verordnung und Umgang werden jedoch Empfehlungen für eine<br />
sichere Anwendung nicht immer beachtet: So werden Fentanylpflaster häufig bei<br />
opioidnaiven Patienten eingesetzt, und durch die Verordnung von zu hohen Dosierungen<br />
bei Therapiebeginn können vor allem ältere und multimorbide Patienten<br />
gefährdet werden. Trotz Kontraindikation werden Fentanylpflaster auch bei akuten<br />
Schmerzen verordnet, und nur bei einem Viertel der Patienten liegen Erkrankungen<br />
vor, die z. B. wegen Schluckstörungen eine transdermale Schmerzmittelgabe erforderlich<br />
machen. Dies zeigt eine Untersuchung von Krankenversicherungsdaten aus<br />
den Jahren 2004 bis 2006 [1].<br />
Der<br />
Gastbeitrag<br />
Nachdruck mit<br />
freundlicher<br />
Genehmigung<br />
von Redaktion<br />
und Verlag<br />
des Deutschen<br />
Ärzteblatts<br />
aus: Deutsches<br />
Ärzteblatt, Jg. 109,<br />
Heft 14. April 2012,<br />
S. A-724<br />
Informationen zur Indikation und Verordnung von Fentanylpflastern<br />
Indikation für Erwachsene: Chronische Schmerzen, die nur mit Opioidanalgetika<br />
ausreichend behandelt werden können und einer längeren, kontinuierlichen<br />
Behandlung bedürfen.<br />
Entwicklung der Verordnungen: Seit dem Jahr 2000 steigen die Verordnungen<br />
stark wirksamer Opioide. Der Anstieg ist bei Fentanylpflastern besonders ausgeprägt:<br />
Im Jahr 2010 wurden mehr als 40% der stark wirksamen Opioide in Form<br />
von Fentanylpflastern verordnet [2].
Seite 20 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Praxis-Tipp<br />
Viele Patienten<br />
haben schon<br />
vom Pflaster<br />
gehört und<br />
möchten gerne<br />
gleich mit dieser<br />
„sanften<br />
Methode“ behandelt<br />
werden.<br />
Aber Vorsicht:<br />
Opioid-Pflaster<br />
sind als erste<br />
Maßnahme bei<br />
Schmerzen problematischer<br />
als<br />
andere Applikationsformen!<br />
Bei richtiger Anwendung sind Fentanylpflaster wirksame und sichere Schmerzmittel.<br />
Die britische und die US-amerikanische Arzneimittelbehörde warnen jedoch<br />
vor schweren Intoxikationen aufgrund von Anwendungsproblemen: durch falsche<br />
Dosierung, unzweckmäßigen Einsatz oder auch Unglücksfälle wie das Verschlucken<br />
von Pflastern durch Kinder [3, 4]. Die FDA weist darauf hin, dass Fentanylpflaster<br />
entsprechend der US-Zulassung nur bei opioidtoleranten Patienten eingesetzt<br />
werden sollen. Als opioidtolerant gilt ein Patient, der über mindestens eine Woche<br />
60 mg Morphin pro Tag oder mehr eingenommen hat (oder die Äquivalenzdosis<br />
eines anderen Opioids). In der deutschen Fachinformation wird bei opioidnaiven<br />
Patienten empfohlen, zunächst niedrig dosierte unretardierte Opioide (z. B. Morphin,<br />
Hydromorphon oder Oxycodon) einzusetzen, die Dosis langsam bis zu einer<br />
äquianalgetischen Dosis von 25 μg/h Fentanyl zu steigern und erst dann auf ein<br />
Pflaster umzustellen.<br />
Im deutschen Spontanmeldesystem liegen Berichte zu Überdosierungen durch Fentanylpflaster<br />
mit zum Teil schwerwiegenden Folgen vor. Darüber hinaus wurden<br />
unerwünschte Reaktionen gemeldet, die auf eine Überdosierung hindeuten könnten,<br />
wie Bewusstseinsstörungen, Somnolenz oder Atemdepression. Die AkdÄ hat<br />
daher mehrfach Hinweise für eine sichere Anwendung zur Verfügung gestellt und<br />
sieht eine Indikation für Fentanylpflaster vor allem bei Patienten mit Dauerschmerzen<br />
(mittelgradig bis schwer) und stabilem und gleichmäßigem Opioidbedarf [5-7]. Besonders<br />
angezeigt sind sie bei Patienten, die keine oralen Schmerzmittel einnehmen<br />
können, zum Beispiel bei einem Passagehindernis im Gastrointestinaltrakt oder bei<br />
therapieresistentem Erbrechen [8].<br />
Studie zur Anwendung von Fentanylpflastern in Deutschland<br />
Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) hat die<br />
Verordnungspraxis bei Fentanylpflastern untersucht [1]. Anhand von Krankenkassendaten<br />
wurden unter 14 Mio. Versicherten aus ganz Deutschland etwa 35.000<br />
Patienten identifiziert, die im Untersuchungszeitraum von zwei Jahren erstmalig ein<br />
Fentanylpflaster verordnet bekamen. Es zeigte sich, dass 84,5% der Erstanwender<br />
opioidnaiv waren, also zuvor kein stark wirksames Opioid eingenommen hatten.<br />
Nur bei etwa einem Drittel dieser Erstanwender lag eine Tumorerkrankung vor.<br />
Überraschend waren auch folgende Ergebnisse:<br />
Bei mehr als 25% der opioidnaiven Erstanwender waren Fentanylpflaster das<br />
erste Analgetikum, das überhaupt ärztlich verordnet wurde. Allerdings konnte<br />
die vorhergehende Einnahme rezeptfreier Analgetika in dieser Studie nicht erfasst<br />
werden.<br />
Bei mehr als 70% der opioidnaiven Patienten wurde initial ein Fentanylpflaster<br />
verordnet mit einer Abgaberate von mehr als 12 μg/h (niedrigste verfügbare<br />
Dosierung).<br />
Bei 72,5% der Patienten, die erstmalig ein Fentanylpflaster anwendeten, gab<br />
es bei den Diagnosen keine Hinweise auf mögliche Probleme bei einer oralen<br />
Einnahme.<br />
Bei etwa der Hälfte der Patienten wurden Fentanylpflaster nur ein einziges Mal<br />
verordnet.<br />
Fentanylpflaster werden nach dieser Studie somit oft als Analgetikum der ersten<br />
Wahl eingesetzt, obwohl andere Mittel eventuell besser geeignet wären. Der<br />
hohe Anteil von einmaligen Verordnungen spricht zudem dafür, dass sie – trotz<br />
Kontraindikation – auch bei akuten Schmerzen angewendet werden. Die zum<br />
Teil hohen Dosierungen, die bei opioidnaiven Patienten eingesetzt werden,
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 21<br />
gehen zudem mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />
einher. Die AkdÄ möchte daher an folgende Empfehlungen erinnern.<br />
Hinweise der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft<br />
(AkdÄ) zur Anwendung von Fentanylpflastern<br />
Stark wirksame Opioide sind indiziert, wenn Nichtopioidanalgetika, schwach<br />
wirkende Opioide oder deren Kombination nicht ausreichend wirksam sind<br />
(WHO-Stufenschema). Vor Anwendung eines Fentanylpflasters sollte geprüft<br />
werden, ob ein stark wirksames Opioid oder eher eine andere analgetische<br />
Therapie indiziert ist.<br />
Fentanylpflaster eignen sich vor allem für Patienten mit chronischen Schmerzen<br />
und stabilem Opioidbedarf, die ein orales Opioid nicht einnehmen können.<br />
Fentanylpflaster bilden ein Wirkstoffdepot in den oberen Hautschichten. Die<br />
Wirkung tritt erst mit einer Latenz von 12 bis 24 Stunden ein, daher ist die<br />
Verabreichung bei akuten Schmerzen nicht sinnvoll.<br />
Empfehlungen zur Ersteinstellung opioidnaiver Patienten mit einem Fentanylpflaster<br />
findet man in der Fachinformation (siehe oben).<br />
Wärmeeinwirkung (zum Beispiel Sonnenbestrahlung, Sauna, heißes Duschen)<br />
kann die Wirkstoffaufnahme verstärken und zur Überdosierung führen.<br />
Patienten sollten über Zeichen einer Überdosierung aufgeklärt werden: langsame<br />
oder flache Atmung, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Schwierigkeiten beim Denken,<br />
Sprechen oder Laufen.<br />
Patienten mit Intoxikationen sollten mindestens 24 Stunden überwacht werden,<br />
da nach Abziehen des Pflasters noch mehrere Stunden Wirkstoff aus dem Depot<br />
freigesetzt wird.<br />
Fentanylpflaster müssen sicher aufbewahrt und entsorgt werden, sie dürfen<br />
nicht in die Hände von Kindern gelangen.<br />
Da Fentanyl hauptsächlich über das Zytochrom-P450-(CYP)3A4 metabolisiert<br />
wird, kann die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Inhibitoren zur Plasmaspiegelerhöhung<br />
führen und wird nicht empfohlen (z. B. Ritonavir, Itraconazol,<br />
Fluconazol, Clarithromycin, Verapamil, Diltiazem, Amiodaron).<br />
Bei akuten<br />
Schmerzen sind<br />
Pflaster sinnlos<br />
Literatur:<br />
1 Garbe E, Jobski K, Schmid U: Utilisation of transdermal fentanyl in Germany from 2004 to 2006. Pharmacoepidemiol<br />
Drug Saf 2012; 21: 191–8<br />
2 Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2011. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2011<br />
3 Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, Commission on Human Medicines: Fentanyl patches:<br />
serious and fatal overdose from dosing errors, accidental exposure, and inappropriate use. Drug Safety Update<br />
2008; 2(2): 2–3<br />
4 FDA: Public Health Advisory: Important information for the safe use of fentanyl transdermal system:<br />
www.fda.gov/ 21. Dezember 2007. Internetquelle zuletzt geprüft: 3. Januar 2012<br />
5 Frobel AK, Läer S: Fentanylpfl aster – die richtige Anwendung. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2009; 36:<br />
37–40<br />
6 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie von Tumorschmerzen. 3. Aufl<br />
age. Arzneiverordnung in der Praxis (Therapieempfehlungen), Januar 2007; Band 34, Sonderheft 1<br />
7 Stammschulte T, Brune K: Probleme der Arzneimittelsicherheit bei der Anwendung von opioidhaltigen Pfl astern<br />
in der Schmerztherapie (Drug safety problems in association with the use of opioid containing patches for the<br />
management of pain). Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 870–3<br />
8 Schmerztherapie mit Opioiden. Arzneimittelbrief 2011; 45: 65–70
Seite 22 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Der<br />
Gastbeitrag<br />
Nachdruck mit<br />
freundlicher<br />
Genehmigung<br />
der KV Baden-<br />
Württemberg<br />
Aus: KVBW<br />
Verordnungsforum<br />
23; Juli 2012<br />
Synonyme für<br />
Metamizol:<br />
Novaminsulfon<br />
Dipyrone<br />
Risikoprofil von Metamizol<br />
Metamizol (zum Beispiel Novalgin ® , Novaminsulfon ratiopharm ® ) wird als potenter<br />
Wirkstoff in der Behandlung von Schmerzen unterschiedlicher Genese, als starkes<br />
Antipyretikum und als gutes Spasmolytikum geschätzt [1]. Gleichzeitig ist bekannt,<br />
dass unter Metamizol-Therapie schwerwiegende Nebenwirkungen wie Agranulozytose<br />
oder hypotensive Reaktionen auftreten können. Hauptsächlich aufgrund des<br />
Agranulozytose-Risikos wurde Metamizol in einigen Ländern vom Markt genommen<br />
oder nie zugelassen. In Deutschland hat die Zahl der Verordnungen von Metamizol<br />
in den vergangenen Jahren im ambulanten Bereich stetig zugenommen. Parallel<br />
dazu ist die Anzahl der Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />
(UAW) im deutschen Spontanmeldesystem (z. B. an die Arzneimittelkommission<br />
der deutschen Ärzteschaft, AkdÄ) gestiegen [2,4]. Diese Erkenntnisse stellen den<br />
Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit über Metamizol dar.<br />
Entwicklung der Verordnungszahlen in Deutschland<br />
und Baden-Württemberg<br />
Der starke Anstieg der Verordnungszahlen in den vergangenen Jahren lässt vermuten,<br />
dass Metamizol zunehmend auch bei Indikationen eingesetzt wird, für<br />
die der Wirkstoff nicht zugelassen ist. Ein Grund für diese Entwicklung könnte<br />
sein, dass Metamizol enthaltende Arzneimittel im Unterschied zu anderen Analgetika<br />
verschreibungspflichtig und damit erstattungsfähig sind. Weitere Gründe<br />
sind vermutlich die gute analgetische und antipyretische Wirksamkeit, niedrigere<br />
gastrointestinale Komplikationen sowie die Nennung in verschiedenen aktuellen<br />
Leitlinien [2,3,4].<br />
Zugelassene Indikationen Metamizol:<br />
Akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder<br />
Operationen<br />
Koliken<br />
Tumorschmerzen<br />
sonstige akute oder chronische starke Schmerzen,<br />
soweit andere therapeutische Maßnahmen<br />
nicht indiziert sind<br />
hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht<br />
anspricht.<br />
Die parenterale Anwendung ist nur indiziert, sofern<br />
eine enterale Applikation nicht infrage kommt.<br />
Nur starke Schmerzen dürfen mit Metamizol behandelt werden<br />
Metamizol darf nicht angewendet werden bei leichten oder mittelstarken Schmerzen<br />
oder zur Therapie von Fieber, wenn nicht vorher andere Antipyretika ohne<br />
ausreichende Wirksamkeit angewendet wurden<br />
[2].<br />
Die in den Spontanmeldungen zu unerwünschten<br />
Arzneimittelwirkungen aufgeführten<br />
Indikationen weisen darauf hin, dass<br />
Metamizol häufig auch bei leichten oder<br />
mittelstarken Schmerzen oder – trotz wirksamer<br />
Alternativen – als Erstlinientherapie bei<br />
Beschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen<br />
eingesetzt wird. Bei diesen Indikationen,<br />
die durch die Zulassung nicht abgedeckt sind<br />
(Off-Label-Use), ist das Nutzen-Risiko-Profil<br />
von Metamizol ungünstig und die Aufklärungspflichten<br />
des Arztes unterliegen den<br />
strengen Sorgfaltsanforderungen des Arzthaftungsrechts<br />
[3].<br />
UAW Agranulozytose<br />
Eine mögliche Nebenwirkung der Behandlung mit Metamizol ist die Entwicklung<br />
einer immunologisch bedingten Agranulozytose, die infolge von Infektionen oder<br />
Sepsis einen tödlichen Ausgang haben kann. Wie hoch das Risiko von Agranulozytosen<br />
durch Metamizol ist, lässt sich aufgrund der Seltenheit der Ereignisse schwer<br />
bestimmen. Die Angaben zur Häufigkeit variieren je nach Studie: von eins zu 1.000<br />
bis 3.000 Anwendern pro Jahr bis zu eins zu 20.000 Anwendern pro Jahr.
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 23<br />
Wird – wie bei der zuletzt genannten Häufigkeit geschehen – eine andere Bezugseinheit<br />
gewählt (Woche anstelle von Jahr), erhält man eine Häufigkeit von eins zu<br />
1,1 Millionen Anwender pro Woche – ein Rechentrick, der das Risiko deutlich kleiner<br />
erscheinen lässt [3,6].<br />
Definition Agranulozytose<br />
Die Agranulozytose ist eine ausgeprägte Neutropenie mit weniger als 500 neutrophilen Granulozyten<br />
pro μl Blut. Sie ist selten, die jährliche Inzidenz wird mit weniger als fünf Fällen pro Million Einwohner<br />
angegeben, wobei die Mehrzahl der Fälle arzneimittelbedingt ist. Die Letalität unter adäquater<br />
Therapie wird mit etwa fünf Prozent angegeben.<br />
Agranulozytosen sind in den meisten Fällen immunologisch vermittelte Reaktionen. Sie treten in<br />
der Regel etwa sieben Tage bis einige Wochen nach Einnahmebeginn auf, nach vorangegangener<br />
Exposition mit dem ursächlichen Arzneimittel kann sich eine Agranulozytose jedoch auch sehr rasch<br />
entwickeln. Die Art der Applikation (intravenös oder oral) beeinfl usst das Risiko vermutlich nicht [2,3].<br />
Empfehlungen für die Praxis<br />
Bei vorbestehenden Störungen des blutbildenden Systems darf Metamizol nicht<br />
angewendet werden. Das Blutbild – einschließlich Differenzialblutbild – sollte während<br />
der Behandlung regelmäßig kontrolliert werden. Patienten müssen über das<br />
Risiko und mögliche Warnsignale wie Fieber, Halsschmerzen und Entzündungen<br />
im Bereich der Mundschleimhäute (Stomatitis) aufgeklärt werden. Dabei sollte<br />
auch beachtet werden, dass Patienten nach einmaliger Verordnung Metamizol<br />
möglicherweise auch zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund anderer Beschwerden<br />
ohne nochmalige Rücksprache mit einem Arzt einnehmen oder an andere Familienmitglieder<br />
weitergeben [2,3].<br />
UAW Hypotensive Reaktionen<br />
Die (nicht allergisch bedingten) blutdrucksenkenden Eigenschaften von Metamizol<br />
sind seit Langem bekannt. Im Einzelfall kann es zu schweren hypotensiven
Seite 24 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Praxis-Tipp<br />
Metamizol ist<br />
in der<br />
Palliativ-<br />
Medizin<br />
sicherlich ein<br />
hervorragendes<br />
Schmerzmittel,<br />
sollte aber bei<br />
allen anderen<br />
Patienten nur<br />
mit Vorsicht<br />
eingesetzt<br />
werden.<br />
Reaktionen kommen. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />
(BfArM) liegen Meldungen von Todesfällen vor. Das Risiko für schwere hypotensive<br />
Reaktionen besteht insbesondere bei parenteraler Anwendung. Daher ist die<br />
parenterale Applikation nur zugelassen, wenn eine orale oder rektale Gabe nicht<br />
möglich ist. Bei hoher Dosierung, bei schneller Verabreichung, bei vorbestehender<br />
Hypotonie oder erhöhtem Risiko hierfür (zum Beispiel Hypovolämie, Schock) sowie<br />
bei hohem Fieber muss mit einem erhöhten Risiko für hypotensive Reaktionen<br />
gerechnet werden. Daher ist die parenterale Anwendung bei Patienten mit bestehender<br />
Hypotonie und instabiler Kreislaufsituation kontraindiziert. Tritt nach Anwendung<br />
von Metamizol eine hypotensive Reaktion auf, ist differenzialdiagnostisch<br />
auch an eine anaphylaktische oder anaphylaktoide Reaktion zu denken. Diese treten<br />
unter Metamizol selten auf (Inzidenz für anaphylaktoide Reaktionen nach i.v. Gabe<br />
1:5.000) und sind entsprechend aktueller Leitlinien zu behandeln [2,5].<br />
Empfehlungen für die Praxis<br />
Eine parenterale Anwendung von Metamizol muss unter ärztlicher Überwachung<br />
beim liegenden Patienten erfolgen. Die Applikation muss langsam durchgeführt<br />
werden (maximal 500 mg pro Minute). Eine Verabreichung als Kurzinfusion oder<br />
Dauerinfusion ist daher zu bevorzugen. Auch nach der Applikation ist der Patient<br />
angemessen zu überwachen. Patienten, bei denen eine unkontrollierte Absenkung<br />
des Blutdrucks besonders vermieden werden muss, wie etwa bei schwerer koronarer<br />
Herzerkrankung oder zerebrovaskulärer Insuffizienz, sollten Metamizol nur unter<br />
sorgfältiger Überwachung des Blutdrucks erhalten [2].<br />
Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnungsweise<br />
Metamizol sollte nicht anstelle von anderen, nicht verordnungsfähigen analgetischen<br />
oder antipyretischen Wirkstoffen verordnet werden. Metamizol darf nicht<br />
angewendet werden bei leichten oder mittelstarken Schmerzen oder zur Therapie<br />
von Fieber, wenn nicht vorher andere Antipyretika ohne ausreichende Wirksamkeit<br />
angewendet wurden.<br />
Fazit<br />
Die Einnahme von Metamizol kann zu schweren, teilweise tödlichen, unerwünschten<br />
Arzneimittelwirkungen führen. Metamizol sollte daher nur innerhalb der zugelassenen<br />
Indikationen eingesetzt werden.<br />
In anderen Ländern wie USA, Schweden, Großbritannien ist Metamizol – vor allem<br />
aufgrund des Agranulozytose-Risikos – nicht im Handel.<br />
Literatur:<br />
1 Metamizol – Renaissance eines Analgetikums: PZ 32/2006<br />
2 Bulletin zur Arzneimittelsicherheit: Informationen aus BfArM und PEI; Ausgabe 3, September 2011<br />
3 Agranulozytose nach Metamizol – sehr selten, aber häufi ger als gedacht – Aus der UAW-Datenbank; Arzneimittelkommission<br />
der deutschen Ärzteschaft; Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 33, 19.8.2011<br />
4 Lebensbedrohliche hypotensive Reaktionen nach Metamizol – Aus der UAW-Datenbank;<br />
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft; Deutsches Ärzteblatt, Jg. 106, Heft 17, 24.4.2009<br />
5 Todesfalle Metamizol? Bremer Ärztejournal, Ausgabe 4/2011<br />
6 Agranulozytose: Verzerrungen. Deutsches Ärzteblatt; Jg. 108, Heft 48 2.12.2011
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 25<br />
Sterben Patienten<br />
unter Telemonitoring früher?<br />
Von Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />
Für Sie<br />
gelesen<br />
E-Health wird in der aktuellen gesundheitlichen Diskussion mit Vorschusslorbeeren<br />
bedacht, um Verordnungssicherheit und Qualitätskontrolle bei Risikopatienten zu<br />
verbessern und dabei Kosten zu reduzieren. Mehrfach wurden jedoch fundierte<br />
Untersuchungen zu Risikoaspekten für den Patienten sowohl bei stationärer als<br />
auch bei ambulanter Behandlung angemahnt [1,2].<br />
Studie<br />
An der Mayo-Klinik in Rochester/USA ist nun eine Arbeitsgruppe diesen Fragen<br />
nachgegangen [3, 5]. Es wurden aus insgesamt 513 älteren multimorbiden Patienten<br />
ohne wesentliche kognitive Defizite insgesamt 205 Patienten ausgewählt, von<br />
denen nach Randomisation 103 mit „usual care“ (Kontroll-Gruppe) und 102 durch<br />
telemetrische Betreuung versorgt wurden. Die Patienten waren über 60 Jahre alt,<br />
sie hatten einen „Elder Risk Assessment Index“ (ERA) >15. Dabei handelt es sich um<br />
einen Score mit maximal 32 Punkten, Patienten mit mehr als 16 Punkten hatten ein<br />
sehr hohes Hospitalisierungs-Risiko (> 2 Krankenhausbehandlungen in 2 Jahren) (4).<br />
Nach täglichen Messungen durch Module zur Überprüfung von Blutdruck, Blutzucker,<br />
Pulsoxymetrie und Peakflow und mit einer Real-Time-Videokonferenz sollten<br />
die Probanden aus der Telemetriegruppe täglich für 5 bis 10 Minuten mit einer<br />
Health-Website kommunizieren. Im Studienzentrum überprüfte das Health-Care-<br />
Team anhand der übermittelten Daten und der vorliegenden elektronischen Akte<br />
die Notwendigkeiten für aktuelle Massnahmen, die durch eine Krankenschwester<br />
veranlasst wurden: zum Beispiel direkte Anweisungen an den Patienten, oder Aufforderung,<br />
die Ambulanz zu verständigen. Sie informierte auch den behandelnden<br />
Arzt.<br />
Teilnehmer<br />
Aus den primär ausgewählten 513 über 60 Jahre alten, multimorbiden Patienten<br />
wurden Pflegeheimpatienten und solche mit grösseren kognitiven Defekte ausgeschlossen,<br />
ebenso solche, die sich den Umgang mit der Technik nicht zutrauten. Es<br />
verblieben 205 Patienten, die randomisiert in 2 Gruppen aufgeteilt wurden: 103<br />
„usual care“-Fälle (Kontroll-Gruppe) und 102 Telemetriefälle mit etwa gleichen<br />
klinischen Charakteristika.<br />
Das mittlere Alter betrug 80 Jahre, 46% waren Männer, 46% waren alleinlebend.<br />
Der mittlere ERA-Score betrug 17,7, der mittlere Barthel-Index war 94,4. Von ihnen<br />
litten 36% an einer Herzinsuffizienz, 42% an COPD, 38% an Diabetes und 20,5%<br />
hatten eine chronische Niereninsuffizienz.<br />
Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus Hospitalisierung und Besuch<br />
einer Notaufnahme innerhalb von 12 Monaten (per protocol-Analyse).<br />
Ergebnisse<br />
Von den 205 Patienten schieden 38 (=18,5%) vorzeitig aus (19 verstarben, 19 brachen<br />
die Studie ab), 26 aus der Telemonitoring-Gruppe, 12 aus der Kontroll-Gruppe.<br />
Von den 11.212 geplanten Telemonitoring-Visiten wurden 9.938 plangemäss<br />
durchgeführt (88,6%). Per Telefon wurden 3 942 Interventionen durchgeführt.<br />
In der Telemonitoring-Gruppe erreichten 63,7% den primären Endpunkt, in der<br />
Kontroll-Gruppe 57,3% (p=0,35).<br />
Somit war kein Nutzen hinsichtlich verminderten Hospitalisierungen in der<br />
Telemonitoring-Gruppe erkennbar. Auch war die Krankenhaus-Verweildauer
Seite 26 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Sterblichkeit war<br />
bei Telemonitoring<br />
erhöht<br />
Bedeutung<br />
für<br />
unsere<br />
Praxis<br />
Telemonitoring<br />
kann den Arzt nicht<br />
ersetzen!<br />
in der Zeit der Studie in der Telemonitoring-Gruppe nicht signifikant kürzer (4,1 vs.<br />
6,1 Tage, p=0,61).<br />
Die Sterblichkeit war in der Telemonitoring-Gruppe signifikant erhöht (14,7% vs.<br />
3,9%, p=0,008). Dieses Ergebnis konnte in der Studie von Takahashi et al. nicht<br />
erklärt werden [3]. Es sollte weiter beobachtet werden. In anderen Studien war dies<br />
nicht aufgefallen [6,7].<br />
In einer kürzlich veröffentlichten Studie [7] wurde bei 710 stabil eingestellten<br />
älteren Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA II und III zu gleichen Teilen, Durchschnittsalter<br />
66,9 +/-10,8 Jahre, etwa 80,5-82% männlich) Telemonitoring (354<br />
Fälle), verglichen mit „usual care“ (356 Fälle), keine Senkung der Mortalität bei den<br />
Fällen mit Telemonitoring gesehen.<br />
In einer Metaanalyse der Cochrane Collaboration 2011 mit Vergleichen strukturierter<br />
Telefon-Kontrollen (5613 Patienten) versus Telemonitoring-Programmen (2710<br />
Patienten) bei Patienten mit chronischem Herzschaden aller Altersstufen fanden<br />
sich folgende Ergebnisse: Die hergebrachte Telefon-Kontrolle reduzierte signifikant<br />
die Zahl der stationären Behanldungstage wegen Herzinsuffizienz (p
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 27<br />
Wissenschaftliche Irreführung<br />
durch Publikationsplanung (Ghost<br />
management) und Ghostwriting<br />
1500 Originaldokumente aus einem Rechtsstreit gegen den Arzneimittelhersteller<br />
Wyeth Pharmaceuticals weisen nach, dass die Firma in den 90er Jahren im großen<br />
Umfang Ghostwriting-Agenturen angeheuert hat, um ihre Arzneimittel Prempro ®<br />
und Premarin ® zur sogenannten Hormonersatz-Therapie (HRT) zu vermarkten.<br />
Adriane Fugh Berman von der Georgetown Universität Washington hat diesen<br />
Vorgang in dem frei zugänglichen Online-Journal PLoS Medicine sehr detailliert<br />
aufgearbeitet [1]. Demnach verdiente Wyeth bis 2002 über zwei Mrd. US-$ mit<br />
diesen Arzneimitteln, bis bekannt wurde, dass die HRT das Risiko für Brustkrebs<br />
und Thrombosen erhöht. In den USA haben daraufhin mehr als 10.000 betroffene<br />
Frauen gegen die Hersteller Wyeth und Pfizer geklagt. 8.000 „Fälle“ wurden zu<br />
einer Sammelklage in Arkansas zusammengefasst. Der verantwortliche Richter ordnete<br />
die Veröffentlichung aller Prozessunterlagen an. Hierdurch wurde öffentlich<br />
gemacht, dass zwischen 1997 und 2005 mindestens 50 wissenschaftliche Artikel<br />
zur HRT primär nicht von den aufgeführten Autoren verfasst wurden, sondern<br />
von Ghostwriting-Agenturen im Auftrag von Wyeth. Bei diesen Publikationen [1]<br />
handelte es sich überwiegend um Editorials, Briefe an den Herausgeber und Reviews<br />
– aber auch um klinische Studien wie die sogenannte Women’s HOPE-Studie<br />
[z.B. 8, 9]. Alle diese Artikel bewerteten den Nutzen zu positiv und verharmlosten<br />
die Risiken bzw. Schäden der HRT. Sie führten dadurch die Leser der Artikel in die<br />
Irre und verstießen gleichzeitig gegen ein Grundprinzip der ärztlichen Berufsethik:<br />
Patienten nicht zu schaden („Primum non nocere“).<br />
Laut Prozessunterlagen beauftragte Wyeth im Jahre 1997 die Firma DesignWrite<br />
Inc. damit, innerhalb von zwei Jahren über 30 Fachartikel zur HRT zu verfassen.<br />
Wie das ablief, zeigt ein gut dokumentierter Fall aus dem Jahre 2003. Die Agentur<br />
DesignWrite hatte einen 14-seitigen Artikel über die Therapie von Hitzewallungen<br />
an Dr. Gloria Bachman geschickt und sie gebeten, als Autorin zu fungieren („Guest<br />
author“). Dr. Bachman von der Robert Wood Johnson Medical School ist eine „Key<br />
opinion leader“ im Bereich der Gynäkologie. Die Wissenschaftlerin schlug eine kleine<br />
Veränderung im Manuskript vor und erklärte sich per E-Mail mit dem Inhalt und<br />
ihrer Autorschaft einverstanden. Der Artikel erschien daraufhin 2005 nach „Peer<br />
review“ im Journal of Reproductive Medicine unter ihrem Namen [2]. In diesem<br />
Review wird die HRT als Goldstandard der Therapie postmenopausaler Hitzewallungen<br />
bezeichnet. DesignWrite erhielt für diesen Artikel 25.000 US-$ von Wyeth.<br />
Der<br />
Gastbeitrag<br />
Nachdruck mit<br />
freundlicher<br />
Genehmigung<br />
der Redaktion des<br />
Arzneimittelbriefes<br />
Aus: A<strong>MB</strong> 2012,<br />
46, 59<br />
Zusammenfassung: Die medizinische Literatur, insbesondere sekundäre Quellen wie Reviews,<br />
Metaanalysen und Briefe an Herausgeber werden offensichtlich durch Ghost management und<br />
Ghostwriting stark von pharmazeutischen Unternehmen (pU) manipuliert und dadurch als Marketinginstrument<br />
verwendet. Professionelle Ghostwriting-Agenturen werden beauftragt, Artikel mit positivem<br />
Fazit zum Nutzen neuer Arzneimittel zu verfassen. Als (Gast)-Autoren werden dabei renommierte<br />
„Key opinion leaders“ genannt. Die finanzielle Abhängigkeit medizinischer Verlage bzw. Zeitschriften<br />
von Werbeanzeigen und Sonderdrucken pharmazeutischer Unternehmen sorgt dafür, dass diese<br />
Artikel dann häufig auch in führenden medizinischen Fachzeitschriften publiziert werden. Das wahre<br />
Ausmaß des Ghost management und Ghostwriting und der daraus resultierenden wissenschaftlichen<br />
Irreführung ist nicht klar. Alle an medizinischen Publikationen Beteiligte – Autoren, akademische<br />
Institutionen, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften, Verlage und vor allem pharmazeutische<br />
Unternehmen – sind deshalb aufgerufen, durch korrektes Verhalten ihren Beitrag zu leisten bei der<br />
Beseitigung dieser offensichtlich korrupten Praktiken.
Seite 28 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Beim Prozess konnte nachgewiesen werden, dass DesignWrite zwischen 1997 und<br />
2003 für Wyeth weitere 50 Originalartikel, über 50 Abstracts sowie Poster und<br />
Journal Supplements verfasst hat. Diese erschienen in renommierten Zeitschriften,<br />
darunter The American Journal of Obstetrics and Gynecology oder The International<br />
Journal of Cardiology. Die Herausgeber wurden nie über die wahre Urheberschaft<br />
der Artikel informiert.<br />
Der Leistungsnachweis von DesignWrite – nicht nur bei den beiden oben genannten<br />
Arzneimitteln zur HRT – ist „beeindruckend“ und konnte noch 2010 im Internet<br />
auf der Website der Firma nachgelesen werden [1]. Über einen Zeitraum von 12<br />
Jahren (1997-2009) plante, initiierte und/oder managte DesignWrite unter anderem<br />
Hunderte von Beratergremien („Advisory boards“), tausende Abstracts und Poster,<br />
etwa 500 Publikationen zu medizinischen Themen, mehr als 200 Satellitensymposien<br />
und mehr als 10.000 „Speakers’ bureau“-Programme. Heute gibt sich die Firma<br />
weniger auskunftsfreudig, vermutlich als Folge ihrer inzwischen publik gewordenen<br />
Aktivitäten und dem daraus resultierenden enormen Ausmaß der wissenschaftlichen<br />
Irreführung von Ärzten. Aber das Geschäft mit dem medizinischen Ghostwriting,<br />
einem wichtigen Bestandteil der Marketingstrategien von pU [vgl. 15], scheint nach<br />
wie vor sehr profitabel zu sein. Es gibt zwei internationale Fachgesellschaften für<br />
Publikationsplanungen mit jeweils über 1000 Mitgliedern: die „International Society<br />
for Medical Publication Professionals“ [ISMPP; 3] und „The International Publication<br />
Planning Association“ [TIPPA; 4]. Sergio Sismondo von der Queens Universität in<br />
Ontario/Kanada war zu Gast auf deren Jahrestagungen. Er berichtete auf der diesjährigen<br />
Generalversammlung der International Society of Drug Bulletins (ISDB) in<br />
Vancouver, Kanada, dass sich die Verleger der großen medizinischen Zeitschriften<br />
hier die Klinke in die Hand gaben, um für Veröffentlichungen in ihren Journals zu<br />
werben [5, 6]. So inserierten die „Annals of Internal Medicine“ im Kongressband der<br />
ISMPP: „Give your advertising dollar the greatest impact“ und das „New England<br />
Journal of Medicine“: „Location is everything, no matter what you’re selling“. Anscheinend<br />
sind also nicht nur die pU, sondern auch die großen Verlage Nutznießer<br />
des Ghostwriting. Diese finanzieren sich zu einem beträchtlichen Anteil mit den<br />
Anzeigen und Einnahmen für Sonderdrucke durch pU, profitieren aber auch von<br />
einer Steigerung des Impact-Faktors ihrer Zeitschriften durch Publikation großer,<br />
von pU gesponserter, häufig auch geschriebener Artikel [10,11].<br />
Ghostwriting ist generell sehr schwer nachzuweisen. Oft finden sich Hinweise<br />
im Kleingedruckten oder in den Aussagen bzw. im Stil der Publikation. Letztlich<br />
liefern aber nur Gerichtsprozesse klare Beweise. Mittlerweile wurde Ghostwriting<br />
unter anderem für Gabapentin, Rofecoxib und besonders in den Publikationen zu<br />
Antidepressiva (z.B. Paroxetin, Sertralin) nachgewiesen [12]. Zu Sertralin finden<br />
sich 85 Artikel in begutachteten Fachzeitschriften und zu Rofecoxib 96 Artikel. Es<br />
besteht der Verdacht, dass viele dieser Artikel nicht von den auf der Publikation<br />
angegebenen Autoren ursprünglich verfasst wurden und dass Ghostwriting in der<br />
medizinischen Literatur, vor allem bei den von der Industrie initiierten Studien, weit<br />
verbreitet ist [7,13,14].<br />
Von pU beauftragtes Ghostwriting ist jedoch nur eine Facette eines insgesamt für<br />
die Öffentlichkeit undurchsichtigen Publikationsplans – besonders vor und unmittelbar<br />
nach Zulassung eines neuen Arzneimittels. Hierunter versteht man den meist<br />
streng geheimen, sorgfältig geplanten und gesteuerten Informationsprozess bis<br />
zur Markteinführung eines neuen Arzneimittels, der auch als Ghost management<br />
bezeichnet wird [16,17]. Dieser Prozess wird von großen Teams, überwiegend mit<br />
Experten aus dem Bereich Marketing, bei den pU festgelegt. Die Publikationen<br />
zu einem neuen Arzneimittel beginnen in der Regel mit „Pre-Launch“-Veröffentlichungen.<br />
Sie verfolgen das Ziel, viele Monate vor der Markteinführung die
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 29<br />
Aufmerksamkeit auf einen neuen, angeblich „innovativen“ Wirkstoff zu lenken und<br />
dadurch Bedarf zu entfachen. Angesehene Wissenschaftler mit engen Kontakten<br />
zu pU (Key opinion leaders) berichten über ein bestimmtes Problem und deklarieren<br />
dringenden Handlungsbedarf (Zitat einer Werbeagentur: „Building your brand<br />
before its birth“). Für einige Arzneimittel sollen in der Vergangenheit bis zu 15%<br />
aller Werbeaufwendungen in dieser Pre-Launch-Phase ausgegeben worden sein. Im<br />
weiteren Verlauf werden dann vorwiegend Ergebnisse der Phase-II/-III-Studien zum<br />
neuen Arzneimittel publiziert und nach der Zulassung schließlich Sekundäranalysen,<br />
Metaanalysen und Reviews bestellt, die häufig von sehr gut bezahlten „fremden<br />
Federn“ verfasst werden. Alles in allem entsteht der Eindruck, dass viele medizinische<br />
Fachartikel heute mehr den Gesetzen der Werbung als denen der Wissenschaft<br />
gehorchen und deshalb auch ärztliche Entscheidungen über die medikamentöse<br />
Therapie häufiger auf Marketing- als auf Evidenz-basierter Medizin beruhen [12].<br />
Es wird sicher nicht ausreichen, an pU, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften<br />
und Autoren zu appellieren, das weiterhin intensiv praktizierte Ghost management<br />
oder Ghostwriting rasch zu beenden. Zwei im Jahr 2011 abgehaltene Workshops<br />
haben sich deshalb diesem wichtigen Thema gewidmet und verschiedene Gegenmittel<br />
gegen diese Art wissenschaftlicher Irreführung vorgeschlagen [18]. Hierzu<br />
zählen rechtliche Schritte sowie Sanktionen bei bewusster Täuschung gegen pU,<br />
aber auch „Ghost authors“ und „Guest authors“ – d.h. Autoren, die wesentliche<br />
Abschnitte einer Publikation verfassen, ohne genannt zu werden, oder aber ehrenhalber<br />
als Autoren auf der Publikation erscheinen, obwohl sie die heute geltenden<br />
Anforderungen an eine Autorschaft nicht erfüllen [19]. Darüber hinaus wurde eine<br />
gründliche Revision der aktuellen Empfehlungen des International Committee of<br />
Medical Journal Editors (ICMJE) diskutiert, die unter anderem vorsehen sollte, dass<br />
von pU beauftragte professionelle Verfasser medizinischer Artikel auch als Autoren<br />
genannt werden. Wenige medizinische Fachzeitschriften (z.B. Neurology) haben<br />
inzwischen begonnen, die Transparenz hinsichtlich der Autorenschaft zu verbessern<br />
und dadurch dem Ziel einer größeren Seriosität wissenschaftlicher Publikationen<br />
näherzukommen [20].<br />
Literatur<br />
1 Fugh-Berman, A.J.: PLos Med. 2010, 7, e1000335.<br />
2 Bachmann, G.A.: J. Reprod. Med. 2005, 50, 155.<br />
3 http://www.ismpp.org (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012)<br />
4 http://www.publicationplanningassociation.org (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012).<br />
5 Sismondo, S.: Managing Key Opinion Leaders and their Publications. ISDB General Assembly 2012. 24.-<br />
27.3.2012; Vancouver, Kanada.<br />
6 Sismondo, S., und Nicholson, S.H.: J. Pharm. Pharm. Sci. 2009, 12, 273.<br />
7 Sismondo, S.: PLoS Med. 2007, 4, e286.<br />
8 Lindsay, R., et al. (HOPE = Women‘s Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen): JAMA 2002, 287, 2668.<br />
9 Utian, W.H., et al. (HOPE = Women‘s Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen): Fertil. Steril. 2001, 75, 1065.<br />
10 Lundh, A., et al.: PLoS Med. 2010, 7, e1000354. Vgl. A<strong>MB</strong> 2010, 44, 83.<br />
11 A<strong>MB</strong> 2011, 45, 36.<br />
12. Spielmans, G.I., und Parry, P.I.: J. Bioeth. Inq. 2010, 7, 13.<br />
http://i.bnet.com/blogs/spielmans-parry-ebm-to-mbm-jbioethicinqu-2010.pdf (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012)<br />
13 Gøtzsche, P.C., et al.: PLoS Med. 2007, 4, e19.<br />
14 Wislar, J.S., et al.: BMJ 2011, 343, d6128.<br />
15 http://apps.who.int/medicinedocs/documents/s18659en/s18659en.pdf (Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012).<br />
16 Sismondo, S., und Doucet, M.: Bioethics 2010, 24, 273.<br />
17 Lieb, K., Klemperer, D., Ludwig, W.-D. (Hrsg.): Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten.<br />
Springer-Verlag, Heidelberg 2011. A<strong>MB</strong> 2012, 46, 16b.<br />
18 PloS Medicine Editors: PloS Med 2011, 8, e1001084.<br />
19 http://www.icmje.org/urm_full.pdf (Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012).<br />
20 Baskin, P.K., und Gross, R.A.: BMJ 2011, 343, d6223.<br />
Genehmigter Nachdruck aus Arzneimittelbrief 2012, 46, 59. Sie können den Arzneimittelbrief<br />
unter www.der-arzneimittelbrief.de oder Westkreuz-Verlag GmbH<br />
Berlin/Bonn Töpchiner Weg 198/200, 12309 Berlin, abonnieren.
Seite 30 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Sicherer<br />
verordnen<br />
Dr. med.<br />
Günter Hopf<br />
Escitalopram: QT-Intervall-Verlängerung<br />
Eine dosisabhängige QT-Intervall-Verlängerung unter der Therapie des selektiven<br />
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers Escitalopram (Cipralex ® ) hat zu der Empfehlung<br />
geführt, bei älteren Patienten 10 mg/d als Höchstdosis einzusetzen und eine<br />
Kombination mit anderen Arzneimitteln mit ähnlicher UAW als Kontraindikation<br />
aufzuführen. Auch hier hat der Hersteller mit einem Rote-Hand-Brief reagiert und<br />
auf erhöhte Vorsicht bei Patienten z.B. mit einer Torsade-de-Pointes-Tachykardie<br />
oder anderen Herzerkrankungen hingewiesen, wobei vor allem weibliche Patienten<br />
betroffen sein könnten.<br />
Eine erste einstweilige Entscheidung eines Landessozialgerichtes gegen einen<br />
Festbetrag von Escitalopram (u.a. wegen eines verbesserten Nebenwirkungsprofils)<br />
scheint in Bezug auf Verlängerungen des QT-Intervalls nicht nachvollziehbar: Auch<br />
unter dem Racemat Citalopram (Cipramil ® , viele Generika) ist diese UAW beschrieben.<br />
Man darf auf die Entscheidung in der Hauptsache gespannt sein.<br />
BFARM: Mitteilung 5. Dezember 2011<br />
Venlafaxin: inadäquate ADH-Sekretion<br />
Das zu den SSRI gehörende Venlafaxin (Trevilor ® , Generika) soll bei älteren Patienten<br />
als Antidepressivum der Wahl gelten. Gerade im Alter kann jedoch eine UAW dieser<br />
Substanzgruppe zu lebensbedrohlichen Zuständen führen: die Induktion eines<br />
Syndroms der inadäquaten ADH-Sekretion mit erheblicher Hyponatriämie (SIADH,<br />
Inzidenz bei Gabe eines SSRI in einer geriatrischen Population im Prozentbereich, in<br />
Einzelfällen erst Monate nach Therapiebeginn). In einem Fallbericht führte die Gabe<br />
von zu niedrig osmolarer Kochsalzlösung zu einer weiteren Verschlechterung bis hin<br />
zu einem generalisierten Krampfanfall, denn die Substitutionsflüssigkeit muss eine<br />
höhere Osmolarität als die Urinosmolarität besitzen. Erst die Gabe des Vasopressin-<br />
Antagonisten Tolvaptan (Samsca ® ) unter engmaschiger Elektrolytkontrolle führte<br />
zur Normalisierung.<br />
Quelle: Dtsch. Med. Wschr. 2012; 137: 1096-9<br />
Diabetogene Arzneistoffe<br />
Bei Störungen des Glukosestoffwechsels durch Medikamente (Typ-IIIe-Diabetes)<br />
stehen an erster Stelle Glukokortikoide. Meist bei oraler Gabe, abhängig von<br />
Dosis und Dauer, Normalisierung des Stoffwechsels nach Absetzen (evtl. auch erst<br />
nach Monaten), in einigen Fällen jedoch auch permanenter Diabetes.<br />
Immunsuppressiva wie Tacrolimus, Ciclosporin. Insbesondere nach Organtransplantation<br />
in Kombination mit Glukokortikoiden, 15 bis 30 % der Transplantierten<br />
haben nach einem Jahr Diabetes.<br />
Antihypertonika wie nicht-selektive Betablocker, Thiazide. Diabetes<br />
kann bei hohen Dosen auftreten, Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich, insbesondere<br />
bei Patienten mit metabolischem Syndrom oder Adipositas.<br />
Lipidsenker wie Statine, Nikotinsäure. Dosisabhängig, bei geringem kardiovaskulären<br />
Risiko Nutzen-Risiko-Abwägung einer Lipidsenkung.<br />
Atypische Neuroleptika wie Clozapin, Olanzapin. Insbesondere auf Gewichtszunahme<br />
(circa 5 kg) zurückzuführen, vorbeugende Empfehlungen für
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 31<br />
ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung erforderlich (gilt auch für<br />
Antidepressiva wie Amitryptilin oder Tranylcypromin).<br />
Hoch-aktive antiretrovirale Therapie (HAART). Alle 2 - 3 Monate Nüchternglukosewerte<br />
bestimmen, auf neuere Proteaseinhibitoren wie Atazanavir oder<br />
Darunavir oder andere nukleosidischeTranskriptase-Inhibitoren ausweichen, eine<br />
Koinfektion mit Hepatitis-C-Viren fördert eine Glukosetoleranzstörung.<br />
Auch unterschiedliche Arzneistoffe für eine Androgendeprivation wie GnRH-Analoga<br />
oder Antiandrogene zur Therapie eines Prostatakarzinoms, Interferon-a oder das<br />
Betazell-toxische Pentamidin zur Therapie einer Infektion mit Pneumocystis carinii<br />
können diabetogen wirken. Wenn die beschriebenen Änderungen des Lebensstils<br />
nicht ausreichen, kann Metformin die Insulinempfindlichkeit wieder verbessern.<br />
Sicherer<br />
verordnen<br />
Dr. med.<br />
Günter Hopf<br />
Quelle: Pharm. Ztg. 2012; 157:1574-9<br />
Isotretinoin: Kolitis und okuläre Probleme<br />
Die AkdÄ verweist aufgrund eines Fallberichtes auf das Auftreten chronisch entzündlicher<br />
Darmerkrankungen unter der oralen Therapie mit Isotretinoin (Generika).<br />
Typisch für die Schwierigkeit des Aufdeckens von Kausalzusammenhängen zwischen<br />
UAW und Arzneistoffen sind dazu zwei Fallkontrollstudien, von denen eine keinen<br />
Zusammenhang und die andere einen Zusammenhang nur mit dem Auftreten einer<br />
Kolitis ulzerosa vermuten lässt. Hinzu kommt, dass auch eine wiederholte Antibiotikagabe<br />
- bei Aknepatienten nicht ungewöhnlich - für eine Kolitis verantwortlich<br />
sein kann. Die AkdÄ empfiehlt eine Aufklärung der Patienten über die Symptome<br />
einer Kolitis ulzerosa vor Beginn einer Isotretinointherapie.<br />
Ähnlich schwierig zu beurteilen sind auftretende Sehstörungen unter Isotretinoin,<br />
denn die Grunderkrankung Akne kann selbst zu Sehstörungen führen. Nach einer<br />
Studie sind diese Sehstörungen, wie u.a. Konjunktivitis oder Hordeolum, jedoch<br />
unter Isotretinoineinnahme häufiger. Auch hier scheint derzeit bis zur Publikation<br />
sorgfältiger Studien nur eine Aufklärung der Patienten möglich, abgesehen von<br />
einer engen Indikationsstellung.<br />
Quellen: Dt. Ärztebl. 2012; 109(20): C 896; Ärztezeitung Nr. 85 vom 10.05.12, S. 10<br />
Statine: müde Muskeln<br />
Alle Statine können – vor allem in höherer Dosierung – Muskeln bis hin zu einer<br />
Rhabdomyolyse schädigen. Aber auch in niedriger Dosierung fiel zuerst bei Sportlern<br />
auf, dass nach einer Einnahme eines Statins Muskelschmerzen auftraten, die<br />
erst nach Absetzen des jeweiligen Statins wieder verschwanden. In einer neuen<br />
Studie konnte nun nachgewiesen werden, dass die Gabe von Statinen (untersucht<br />
wurden 40 mg Pravastatin und 20 mg Simvastatin/d über 6 Monate) bei circa 20 %<br />
der Studienteilnehmer zu Ermüdungserscheinungen führt, vor allem bei sportlichen<br />
Tätigkeiten. Weder ein Kreatininanstieg noch andere Hinweise auf eine Muskelschädigung<br />
konnten gefunden werden. Bei Frauen waren diese unerwünschten<br />
Wirkungen (UAW) ausgeprägter. Nachdem davon auszugehen ist, dass diese UAW<br />
bei allen Statinen auftreten können, könnte so manche Klage über ein „Fatigue-<br />
Syndrom“ in der Praxis auf die Einnahme eines Statins zurückzuführen sein. Ein<br />
Auslassversuch könnte sich lohnen, vor allem bei Patienten, bei denen Statine nur<br />
vorsorglich verordnet werden.<br />
Quelle: Arch. Intern. Med. 2012, www. archinternmed.com
Seite 32 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Sicherer<br />
verordnen<br />
Dr. med.<br />
Günter Hopf<br />
Azithromycin: kardiales Risiko<br />
Makrolide wie Clarithomycin oder Erythromycin können einen Herzstillstand hervorrufen.<br />
Von Azithromycin (Zithromax ® , Generika) war dies bisher noch nicht<br />
bekannt, möglicherweise weil dieses Antibiotikum nur kurzfristig über circa 5 Tage<br />
angewandt wird. In einer neuen großen Kohortenstudie (circa 3,4 Millionen Verordnungen)<br />
mit Ciprofloxacin und Amoxicillin als Vergleich fand sich ein kleines<br />
erhöhtes Risiko des Auftretens kardialer Todesfälle (47 zusätzliche Todesfälle pro<br />
einer Million Verordnungen), vor allem bei Patienten mit kardiovaskulärer Vorschädigung<br />
(245 zusätzliche Todesfälle). Die Verlängerung des QT-Intervalls scheint dafür<br />
ursächlich zu sein - eine UAW aller Makrolide.<br />
Quellen: www.nejm.org/doi/full/10.1056; www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation<br />
Ärztliche Meinungsführer:<br />
wissen sie, was sie tun?<br />
Es ist bekannt, dass ärztliche Meinungsführer, sog. „key opinion leaders“, das<br />
Verordnungsverhalten von Ärztinnen und Ärzten beeinflussen können. Ihr guter<br />
wissenschaftlicher Ruf und ihre Stellung im System lassen kaum Kritik an ihren<br />
Aussagen zu. Weniger bekannt ist, dass diese Meinungsführer von der pharmazeutischen<br />
Industrie genau beobachtet, wenn nicht beeinflusst und „geführt“<br />
werden. Spezielle Werbeagenturen kümmern sich um sie und sogar um mögliche<br />
zukünftige Meinungsführer durch Unterstützung ihrer Publikationen, Vorbereitung<br />
ihrer Vorträge und Hilfe in fast allen Lebenslagen (sogenanntes Mikromarketing). Ein<br />
kritischer Artikel weist auf die Kosten für dieses Engagement hin (zweitkostspieligste<br />
Maßnahme bei der Einführung eines neuen Arzneimittels). Sie können jedoch wieder<br />
ausgeglichen werden. Nach Schätzungen fließt eine doppelt so hohe Summe wie<br />
die der Ausgaben für Pharmavertreter wieder zurück, wenn ein Meinungsführer zu<br />
einem neuen Arzneimittel vorträgt.<br />
Nachdem das vollständige Risikopotential eines neuen Arzneistoffes bei Markteinführung<br />
noch nicht bekannt sein kann, birgt ein unkritisches Loben eines neuen<br />
Stoffes auch persönliche Risiken, z.B. bei schneller Marktrücknahme wegen auftretender<br />
schwerer UAW. Beispiele sind bekannt.<br />
Für Ärzte an der „Verordnungsfront“ gilt, dass die Aussagen eines Meinungsführers<br />
kritisch hinterfragt werden sollten. Insbesondere bei Empfehlungen außerhalb<br />
der zugelassenen Indikationsgebiete.<br />
Quelle: Prescr. Internat. 2012; 21: 163-5<br />
Erhöhtes Krebsrisiko bei Calcitoninhaltigen<br />
Nasensprays in der Menopause<br />
Die europäische Arzneimittelagentur EMA - angeschlossen hat sich auch die kanadische<br />
Arzneimittelbehörde – hat empfohlen, Calcitonin-haltige Nasensprays (Karil ® ,<br />
Generika) zur Therapie der Osteoporose in der Menopause vom Markt zu nehmen.<br />
Grund war ein bis zu 2,4 Prozent erhöhtes Risiko für maligne Erkrankungen bei<br />
nasaler Anwendung. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für die Behandlung einer Hyperkalzämie<br />
bei Tumorerkrankungen und bei Morbus Paget (Injektionslösungen) sei<br />
weiterhin positiv. Die Behandlungsdauer sollte sich jedoch in der letztgenannten<br />
Indikation auf 3 Monate bis maximal 6 Monate beschränken.<br />
Quellen: www.bfarm.de, www.hc-sc.gc.ca
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 33<br />
Flupirtin: Abhängigkeit und<br />
Lebertoxizität<br />
Bereits 1992 wurde in der damaligen Preisvergleichsliste zu Flupirtin (z.B. Katadolon<br />
® ) angemerkt, dass zur Frage einer Abhängigkeit von diesem Analgetikum noch<br />
länger dauernde Erfahrungen abzuwarten seien. 2009 publizierte die AkdÄ einen<br />
Fallbericht über eine langjährige Abhängigkeit von Flupirtin bei einer 33-jährigen<br />
Patientin, über 44 ähnliche Fälle sind der AkdÄ bekannt.<br />
2012 startete eine Werbekampagne zu Flupirtin bei Rückenschmerzen. Eine propagierte<br />
sogenannte Reanalyse ist nicht überprüfbar, da unveröffentlichte Studien<br />
berücksichtigt wurden. In Anbetracht des Abhängigkeitspotentials und insbesondere<br />
der Lebertoxizität von Flupirtin (bis hin zu tödlichem Leberversagen) sollte dieser<br />
in seiner Wirkung nur schlecht belegte Alt-Arzneistoff nur zurückhaltend, wenn<br />
überhaupt, verordnet werden – trotz Unterstützung durch die Deutsche Gesellschaft<br />
für Schmerztherapie (DGS).<br />
Sicherer<br />
verordnen<br />
Dr. med.<br />
Günter Hopf<br />
Quellen: www.akdae.de, arzneitelegramm 2012; 43(7): 61-2<br />
Übersicht zum rechtlichen Rahmen bei<br />
Off-Label-Use<br />
Vor allem in der Intensivtherapie Neugeborener beträgt der Anteil an Off-Label-<br />
Anwendungen eines Arzneistoffes über 90 %, bei Erwachsenen sollen in Kanada<br />
mehr als 10% der Verordnungen off label sein.<br />
Definitionen<br />
Off-Label-Use: Arzneimittel bereits zugelassen in Deutschland, Anwendung<br />
außerhalb der Zulassung für andere Indikationsgebiete, Dosierungen oder Patientengruppen.<br />
Unlicensed Use: Arzneimittel in Deutschland (noch) nicht zugelassen, Einzelimport<br />
für individuelle Patienten möglich (mit Genehmigung der gesetzlichen<br />
Krankenkasse).<br />
Compassionate Use: Arzneimittel in klinischer Prüfung oder mit Zulassungsantrag,<br />
aus humanen Erwägungen für lebensbedrohliche Erkrankungen eingesetzt,<br />
vom Hersteller kostenlos abzugeben.<br />
In der Praxis bestehen viele Unsicherheiten zu diesem Thema. In einer neuen Übersicht<br />
wird der rechtliche Rahmen beleuchtet.<br />
a) Nach dem Arzneimittelgesetz kann ein Arzt ein Arzneimittel off label verordnen.<br />
Er muss es, wenn es medizinischem Standard entspricht. Allerdings hat er eine<br />
intensivierte Pflicht zur Aufklärung auch über das mögliche Auftreten bisher<br />
noch unbekannter Risiken und zur Beobachtung des Behandlungsverlaufes. Nur<br />
in geringem Maß haben auch der „mündige Patient“ und der pharmazeutische<br />
Hersteller eine Eigenverantwortung.<br />
b) Ein Off-Label-Use ist grundsätzlich keine Leistung der GKV. Ausnahmen gelten<br />
unter engen Voraussetzungen (ausreichende Belege eines Nutzens, keine Therapiealternative,<br />
Zustimmung des Gemeinsamen Bundesausschusses, niedergelegt<br />
in den Arzneimittelrichtlinien) für schwerwiegende Erkrankungen. Bei<br />
lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen sind die<br />
Anforderungen an ausreichende Belege verringert – Hinweise mit niedrigerem<br />
Evidenzgrad können ausreichen.<br />
Quellen: Dtsch.med.Wschr. 2012; 137 (28/29): 1444, dto. 2012; 137 (30): 1519-23
Seite 34 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Kurze<br />
Meldung<br />
Neue Impfempfehlungen der STIKO<br />
Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) hat ihre Impfempfehlungen<br />
aktualisiert.<br />
Bei der Meningokokken-Impfung wird auf die erweiterte Zulassung der 4-valenten<br />
Impfstoffe auf Kinder ab dem ersten Lebensjahr verwiesen und der zu impfende<br />
Personenkreis erweitert auf Reisende in Länder mit hohem Infektionsrisiko und auf<br />
Personen mit erhöhtem Risiko für diese Infektion. Auch bei der Mumps-Impfung<br />
wurde die Empfehlung erweitert auf Personen, die mit erkrankten Kindern zusammentreffen<br />
könnten und auf alle nach 1970 Geborenen mit unklarem Impfstatus.<br />
Für die Praxis sind die neuen Empfehlungen zu Nachholimpfungen für Personen<br />
mit unvollständigem oder unbekanntem Impfstatus von großem Interesse. Im<br />
Zweifelsfall rät die STIKO zum Nachimpfen, denn sie sieht praktisch kein Risiko durch<br />
„Überimpfen“. Deshalb rät die STIKO auch zur Verwendung von Kombinationsimpfstoffen.<br />
Nur sehr selten kann es nach Ansicht der STIKO zu lokalen, selbstlimitierten<br />
Unverträglichkeitsreaktionen an der betroffenen Extremität kommen (Arthus-Phänomen).<br />
Eine vorherige serologische Titerbestimmung wird aufgrund häufig unzureichender<br />
Sensitivität und Spezifität der Labortests nicht als notwendig erachtet.<br />
Einwilligungserklärungen in 15 Sprachen und weitere Informationen unter<br />
www.rki.de/impfen, eine englischsprachige Version der STIKO-Empfehlungen findet<br />
sich unter www.rki.de/en.<br />
Für Sie<br />
gelesen<br />
STOPP: Eine weitere Checkliste für<br />
Verordnungen bei älteren Patienten<br />
Dass bei älteren polymorbiden Patienten das Risiko von Arzneiverordnungen beträchtlich<br />
sein kann, ist seit langem bekannt. Um es in den Griff zu bekommen,<br />
wurden beispielsweise die Beers- und die PRISCUS-Listen zusammengestellt, über<br />
die wir bereits berichtet haben [1]. Daneben gibt es noch die sogenannte STOPP-<br />
Liste (Screening Tool of Older People’s potentially inappropriate Prescriptions). Sie<br />
wurde von 18 Experten im Delphi-Verfahren erstellt [2].<br />
Wir haben die STOPP-Liste übersetzt und möchten sie hier ohne weitere Anmerkungen<br />
vorstellen, bitten aber um Ihre Kommentare. Nach dieser Liste können die<br />
folgenden Verordnungen bei Patienten ab 65 problematisch werden und sollten<br />
kritisch überdacht werden:<br />
A Kardiovaskuläres System<br />
1 Dauerbehandlung mit Digoxin in einer Dosis über 125 µg pro Tag (erhöhtes<br />
Toxizitätsrisiko).<br />
2 Ein Schleifendiuretikum bei Knöchelödemen ohne Zeichen einer Herzinsuffizienz<br />
(keine Evidenz für Wirksamkeit, Kompressionsstrümpfe sind wirksamer).<br />
3 Schleifendiuretika als primäre Monotherapie bei Hypertonie (es gibt sicherere<br />
und effizientere Altenativen).<br />
4 Thiazide bei einer Gicht-Anamnese (Gefahr einer Gichtexazerbation).<br />
5 Nicht kardioselektive Betablocker bei COPD (Risiko von Bronchospasmen).<br />
6 Betablocker zusammen mit Verapamil (Risiko symptomatischer kardialer Reizleitungsstörungen).<br />
7 Diltiazem oder Verapamil bei Herzinsuffizienz NYHA III oder IV (Gefahr der<br />
Verschlechterung).<br />
8 Kalzium-Kanalblocker bei chronischer Verstopfung (Gefahr der Verschlechterung).<br />
9 Eine Kombination von ASS und einem Kumarin ohne H2-Blocker (außer
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 35<br />
Cimetidin wegen Interaktionen mit dem Kumarin) oder einem Protonenpumpenhemmer<br />
(hohes Risiko einer gastrointestinalen Blutung).<br />
10 Dipyridamol als Monotherapie zur kardiovaskulären Sekundärprävention (keine<br />
Evidenz für Wirksamkeit).<br />
11 ASS bei Ulkus-Anamnese ohne H2-Antagonist oder Protonenpumpenhemmer<br />
(Blutungsrisiko).<br />
12 ASS in einer Dosis über 150 mg pro Tag (erhöhtes Blutungsrisiko, keine Evidenz<br />
für erhöhte Wirksamkeit).<br />
13 ASS ohne koronare, zerebrale oder peripher-arterielle Symptome oder arteriellen<br />
Verschluss in der Anamnese (nicht indiziert).<br />
14 ASS gegen Schwindel, der keine eindeutige zerebrovaskuläre Ursache hat (nicht<br />
indiziert).<br />
15 Ein Kumarin bei einer ersten unkomplizierten Venenthrombose länger als sechs<br />
Monate (kein gesicherter zusätzlicher Nutzen).<br />
16 Ein Kumarin bei einer ersten unkomplizierten Lungenembolie länger als zwölf<br />
Monate (kein gesicherter Nutzen).<br />
17 ASS, Clopidogrel, Dipyridamol oder ein Kumarin bei einer Gerinnungsstörung<br />
(hohes Blutungsrisiko).<br />
Stopp!<br />
Diese Verordnungen<br />
sollten bei älteren<br />
Patienten möglichst<br />
vermieden werden.<br />
B Gehirn und Psyche<br />
1 Trizyklische Antidepressiva bei Demenz (kognitive Leistung kann sich weiter<br />
verschlechtern).<br />
2 Trizyklische Antidepressiva bei gleichzeitigem Glaukom (Gefahr der Exazerbation).<br />
3 Trizyklische Antidepressiva bei gleichzeitigen kardialen Reizleitungsstörungen<br />
(pro-arrhythmischer Effekt).<br />
4 Trizyklische Antidepressiva bei gleichzeitiger Obstipation (Gefahr der Verschlechterung).<br />
5 Trizyklische Antidepressiva zusammen mit einem Opiat oder Kalziumkanalblocker<br />
(Risiko einer schweren Obstipation).<br />
6 Trizyklische Antidepressiva bei Prostataadenom oder anamnestischem Harnverhalt<br />
(Ischurie-Risiko).<br />
7 Über einen Monat langwirksame Benzodiazepine wie Chlordiazepoxid, Fluazepam,<br />
Nitrazepam, Chlorazepat oder Benzodiazepine mit langwirksamen Metaboliten<br />
wie beispielsweise Diazepam (Gefahr einer prolongierten Sedation, von<br />
Verwirrtheit, Gleichgewichtsstörungen, Stürzen).<br />
8 Über einen Monat Neuroleptika als Langzeit-Hypnotika (Gefahr von Verwirrtheit,<br />
Hypotonie, extrapyramidalen Nebenwirkungen, Stürzen).<br />
9 Über einen Monat Neuroleptika bei Parkinsonismus (hohe Wahrscheinlichkeit,<br />
dass sich extrapyramidale Symptome verschlechtern).<br />
10 Phenothiazine bei Epileptikern (kann die Krampfschwelle senken).<br />
11 Anticholinergika, um extrapyramidale Nebenwirkungen eines Neuroleptikums<br />
zu behandeln (Gefahr anticholinerger Toxizität).<br />
Sagen Sie uns Ihre Meinung!<br />
Wie denken Sie über diese Liste bzw. deren einzelne Punkte? Ist sie praxistauglich? Haben Sie Anregungen<br />
oder Kritik? Wir möchten diese ganz offen diskutieren und bitten um Ihre Zuschrift an:<br />
Redaktion KVH aktuell, KV Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt<br />
Fax: 069 / 79502 501; e-Mail: info@kvhessen.de
Seite 36 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Stopp!<br />
Diese Verordnungen<br />
sollten bei älteren<br />
Patienten möglichst<br />
vermieden werden.<br />
12 Ein SSRI bei einer klinisch signifikanten Hyponatriämie in der Anamnese.<br />
13 Länger als eine Woche Antihistaminika der ersten Generation wie Diphenhydramin,<br />
Chlorpheniramin, Cyclizin oder Promethazin (Gefahr der Sedierung und<br />
anticholinerger Nebenwirkungen).<br />
C Magen und Darm<br />
1 Diphenoxylat, Loperamid oder Kodeinphosphat zur Behandlung einer Diarrhoe<br />
mit unbekannter Ursache (Gefahr einer Diagnoseverschleppung, kann aus<br />
einem toxischen Megakolon eine entzündliche Darmerkrankung machen oder<br />
die Abheilung einer nicht erkannten Gastroenteritis verzögern).<br />
2 Diphenoxylat, Loperamid oder Kodeinphosphat zur Behandlung einer<br />
schweren Gastroenteritis, beispielsweise mit blutiger Diarrhoe, Fieber<br />
oder schwerer systemischer Toxizität (Gefahr einer Exazerbation oder<br />
Verschleppung einer Entzündung).<br />
3 Prochlorperazin oder Metoclopramid bei Parkinson (Gefahr eines Parkinsonschubs).<br />
4 Protonenpumpenhemmer bei peptischem Ulkus länger als acht Wochen<br />
in voller therapeutischer Dosis (früher Absetzen oder Dosis reduzieren).<br />
5 Anticholinerge Spasmolytika bei chronischer Obstipation (kann Obstipationsschübe<br />
auslösen).<br />
D Atemwege<br />
1 Theophyllin als Monotherapie bei COPD (Nebenwirkungsgefahr durch schmalen<br />
therapeutischen Bereich – bessere Alternativen verfügbar).<br />
2 In der Dauertherapie der mäßiger bis schweren COPD systemische statt inhalierbarer<br />
Kortikoide verordnen (unnötige Gefahr von Nebenwirkungen systemischer<br />
Steroide).<br />
3 Ipratropiumbromid bei Patienten mit Glaukom (Gefahr der Exazerbation).<br />
E Bewegungsapparat<br />
1 NSAR bei peptischem Ulkus oder Magenblutung in der Anamnese, es sei denn,<br />
es wird gleichzeitig ein H2-Antagonist, ein Protonenpumpenblocker oder Misoprostol<br />
gegeben (Gefahr eines Ulkus-Rezidivs).<br />
2 NSAR bei moderater bis schwerer Hypertonie (> 160/100 mmHg) (Gefahr der<br />
Exazerbation).<br />
3 NSAR bei gleichzeitiger Herzinsuffizienz (Herzfunktion kann sich verschlechtern).<br />
4 Länger als 3 Monate NSAR wegen leichter Gelenkbeschwerden bei Osteoarthritis<br />
(nichtsteroidale Analgetika sind meist ebenso wirksam und daher zu bevorzugen).<br />
5 Ein Kumarin und NSAR zusammen geben (gastrointestinales Blutungsrisiko!)<br />
6 NSAR bei Patienten mit chronischem Nierenversagen (GFR 20 bis 50 ml/min)<br />
(Gefahr der Verschlechterung der Nierenfunktion).<br />
7 Steroide länger als drei Monate als Monotherapie bei rheumatoider Arthritis<br />
und Osteoarthritis (Gefahr von systemischen Steroid-Nebenwirkungen).<br />
8 Längere NSAR-Verordnung oder Colchicin wegen Gicht, wenn keine Kontraindikation<br />
für Allopurinol vorliegt (Allopurinol ist bei Gicht das Mittel der ersten<br />
Wahl).<br />
F Urogenitalsystem<br />
1 Anticholinergika zur Inkontinenzbehandlung an Demente verordnen (Verwirrtheit<br />
kann verstärkt werden, es kann zu Agitiertheit kommen).<br />
2 Anticholinergika bei chronischem Glaukom (Risiko der akuten Exazerbation).
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 37<br />
3 Anticholinergika bei chronischer Verstopfung (Gefahr der Exazerbation).<br />
4 Anticholinergika bei chronischem Prostatismus (Gefahr der Urinretention).5<br />
Alphablocker bei Männern mit häufiger Inkontinenz (Gefahr einer höheren Miktionsfrequenz<br />
und Verschlechterung der Inkontinenz).<br />
6 Alphablocker bei Patienten mit Langzeit-Blasenkatheter (länger als als zwei<br />
Monate) (nicht indiziert!).<br />
G Endokrines System<br />
1 Glibenclamid oder Chlorpropamid bei Typ-II-Diabetes (Gefahr einer längeren<br />
Hypoglykämie).<br />
2 Betablocker bei Diabetikern mit häufigeren Hypoglykämien (mehr als eine pro<br />
Monat) (es besteht die Gefahr, dass die hypoglykämischen Symptome<br />
maskiert werden).<br />
3 Östrogene bei Brustkrebs oder Venenthrombose in der Anamnese<br />
(Rezidivgefahr).<br />
4 Östrogene ohne Progesteron bei nicht hysterektomierten Frauen (Gefahr<br />
eines Endometriumkarzinoms).<br />
Stopp!<br />
Diese Verordnungen<br />
sollten bei älteren<br />
Patienten möglichst<br />
vermieden werden.<br />
H Medikamente bei Sturzgefährdeten<br />
(Faustregel für erhöhte Sturzgefahr: Ein Sturz in den zurückliegenden<br />
drei Monaten)<br />
1 Benzodiazepine (beeinträchtigen Aufmerksamkeit und Gleichgewichtssinn).<br />
2 Neuroleptika (können Gang-Dyspraxie und Parkinsonismus verursachen).<br />
3 Antihistaminika der ersten Generation (sedierend, können die Wahrnehmung<br />
beeinträchtigen).<br />
4 Blutdrucksenkende Vasodilatatoren bei Patienten mit orthostatischer Hypotonie<br />
(Blutdruckabfall > 20 mm Hg) (Gefahr von Synkopen und Stürzen).<br />
5 Längere Opiatverordnung bei Patienten mit mehreren Stürzen in der Anamnese<br />
(Gefahr von Schläfrigkeit, orthostatischer Hypotonie, Schwindel).<br />
I Schmerzmittel<br />
1 Langzeitverordnung von starken Opiaten wie Morphin oder Fentanyl als primäre<br />
Therapie bei leichten bis moderaten Schmerzen (widerspricht den WHO-<br />
Leitlinien).<br />
2 Länger als zwei Wochen Opiate für Patienten mit chronischer Verstopfung ohne<br />
ein begleitendes Laxans zu verordnen (Risiko der schweren Obstipation).<br />
3 Langzeitverordnung von Opiaten bei Dementen, solange dies nicht aus palliativen<br />
Gründen oder wegen stärkerer chronischer Schmerzen nötig ist (Gefahr<br />
der kognitiven Verschlechterung).<br />
J Substanzen aus der gleichen Klasse<br />
Gleichzeitige Verordnung von zwei Substanzen aus der gleichen Klasse, wie beispielsweise<br />
zwei Opiate, NSAR, SSRI, Schleifendiuretika oder ACE-Hemmer ist im<br />
Prinzip nicht sinnvoll. Hiervon gibt es allerdings Ausnahmen, wie beispielsweise<br />
die gleichzeitige Nutzung eines kurz- und langwirksamen Betamimetikums bei<br />
Asthmatikern oder COPD-Patienten sowie die Gabe eines zusätzlichen Opiates, um<br />
Durchbruchschmerzen zu kupieren.<br />
Literatur:<br />
1 Ehrenthal, K.: KVH aktuell Nr. 2/2011, S. 20.<br />
2 Gallagher, P., Ryan, C., Byrne, S., Kennedy, J. & : STOPP (Screening Tool of Older Person’s Prescriptions) and<br />
START (Screening Tool to Alert doctors to Right Treatment). Consensus validation. Int. J. Clin. Pharmacol. Ther.<br />
46, 72–83 (2008).
Seite 38 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Beiträge<br />
der<br />
Redaktion<br />
Bedeutung<br />
für<br />
unsere<br />
Praxis<br />
Was hilft, wenn die Metformin-<br />
Monotherapie ausgereizt ist?<br />
Dr. med. Uwe Popert<br />
Der zusätzlich zu einer Metformin-Behandlung erfolgende HbA1c-senkende Effekt<br />
einer Therapie mit Basalinsulin gegenüber einem DPP-4-Hemmer wurde in einer<br />
multinationalen randomisierten Studie verglichen [1]. 515 Patienten mit einer nicht<br />
mehr ausreichenden Metformin-Monotherapie wurden über 26 Wochen hinweg<br />
entweder mit Sitagliptin oder mit Insulin Glargin behandelt.<br />
Primärer Endpunkt war die HbA1c-Differenz. Ausgehend von einem Baseline-<br />
HbA1c von 8,5% senkte Insulin Glargin durchschnittlich um -1,72% gegenüber<br />
-1,13% bei Sitagliptin (Differenz -0,59%, 95% CI -0.77 bis -0,42). Entsprechend<br />
erreichten mehr Patienten mit Insulin Glargin das vorgegebene HbA1c-Ziel von 7%<br />
bzw. 6,5%, allerdings um den Preis von etwas vermehrten schweren Hypoglykämien<br />
(n=3 gegenüber n=1 unter dem DPP-4-Hemmer). Unter Sitagliptin sank das<br />
durchschnittliche Körpergewicht um 1,08 kg; bei den Insulinbehandelten stieg es<br />
leicht um 0,44 kg.<br />
Die Autoren um Pablo Aschner folgern daraus, dass bei nicht ausreichend mit<br />
Metformin behandelbarem Diabetes Typ 2 Insulin Glargin effektiver als Sitagliptin<br />
ist – bei insgesamt niedrigem Risiko von Hypoglykämien.<br />
Die Autoren des begleitenden Editorials [2] verweisen darauf, dass es verlässlichere<br />
Langzeit-Daten dazu bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse, Lebensqualität<br />
und Kosten-Nutzen wohl erst mit der auf 7 Jahre Dauer angelegten ORIGIN-Studie<br />
(Outcome Reduction with an Initial Glargine Intervention) geben wird.<br />
Ist Metformin ausgereizt, eher mit Insulin kombinieren<br />
als mit den neuen Antidiabetika<br />
Eigentlich bringt diese in der Presse viel beachtete Studie nicht viel Neues:<br />
Es gibt weiterhin nur gute Studien-Belege für den Nutzen einer antidiabetischen<br />
Therapie mit Metformin und Insulin (und in geringerem Maße auch für<br />
Sulfonylharnstoffe) [3].<br />
Der Blutzucker-senkende Effekt von Sitagliptin ist begrenzt.<br />
Der Blutzucker-senkende Effekt von Langzeit-Insulinen ist stärker und deswegen<br />
sind diese im Praxisalltag praktikabler.<br />
bei niedrigen HbA1c-Zielen sind Unterzuckerungen ein beachtenswertes Risiko [4].<br />
Insulin-Glargin hat gegenüber den NPH-Insulinen keine entscheidenden Vorteile,<br />
deswegen sollten NPH-Insuline leitliniengerecht bevorzugt werden [5,6].<br />
Interessenkonflikte: keine<br />
Literatur:<br />
1 Aschner P, Chan J, Owens DR, et al. EASIE investigators. Insulin glargine versus sitagliptin in insulin-naive<br />
patients with type 2 diabetes mellitus uncontrolled on metformin (EASIE): a multicentre, randomised open-label<br />
trial. Lancet. 2012 Jun 16;379(9833):2262-9<br />
2 Diamant M. Choosing a blood-glucose-lowering agent after metformin. Lancet. 2012 Jun 16;379(9833):2220-1.<br />
3 Holman RR, Paul SK, Bethel MA, et al. 10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl<br />
J Med. 2008 Oct 9;359(15):1577-89.<br />
4 Institute for Quality and Efficiency in Health Care: Executive Summaries [Internet]. Cologne, Germany: Institute<br />
for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG); Benefit assessment of long-term blood glucose lowering to<br />
near-normal levels in patients with type 2 diabetes mellitus: Executive summary of final report A05-07, Version<br />
1.0. 2005-. 2011 Jun 06.<br />
5 Institute for Quality and Efficiency in Health Care: Executive Summaries [Internet]. Cologne, Germany: Institute<br />
for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG); Long-acting insulin analogues in the treatment of diabetes<br />
mellitus type 2: Executive summary of final report A05-03, Version 1.1. 2005-. 2009 Feb 26.<br />
6 Waugh N, Cummins E, Royle P, et al. Newer agents for blood glucose control in type 2 diabetes: systematic<br />
review and economic evaluation. Health Technol Assess. 2010 Jul;14(36):1-248. doi: 10.3310/hta14360.
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 39<br />
Hartenbach: „DIE CHOLESTERIN-LÜGE”<br />
… zum aktuellen Stand der Debatte um die Cholesterinsenkung<br />
Unter meinen Patienten sorgt Prof. HARTENBACHs Buch „Die Cholesterin-Lüge”<br />
für einige Verwirrung. Nachdem ich das Buch selbst gelesen habe und mich einige<br />
Aussagen durchaus nachdenklich gestimmt haben, bitte ich um Ihre Einschätzung.<br />
Dr. med. A. KANSY (Facharzt für Allgemeinmedizin)<br />
Wie der Buchtitel „Die Cholesterin-Lüge. Das Märchen vom bösen Cholesterin”<br />
nahelegt, ist Walter HARTENBACH ein Gegner der Cholesterinsenkung, und zwar<br />
jedweder Art. Eine Buchbesprechung ist im a-t unüblich und soll auch hier nicht<br />
folgen. Da uns in den vergangenen Jahren aber immer wieder Anfragen zu dem<br />
Bestseller, der 2012 in 32. Auflage erschienen ist, [1] erreichten, erscheint es uns<br />
angebracht, vor dem Hintergrund der Hartenbachschen Position den aktuellen Stand<br />
der Debatte zur Cholesterinsenkung zu beleuchten: Hartenbach gründet sein Veto<br />
nämlich auf einen veralteten Diskussionsstand und simplifiziert die Kontroverse<br />
bisweilen bis zur Unkenntlichkeit.<br />
Vor etwa 20 Jahren wurde um die bevölkerungsweite Cholesterinsenkung, die<br />
sowohl in den USA als auch in Europa in Leitlinien [2,3] empfohlen wurde, eine intensive<br />
kontroverse Diskussion geführt. Einer ihrer Exponenten in Deutschland warbeispielsweise<br />
der 2002 verstorbene Düsseldorfer Diabetologe Michael BERGER. [4]<br />
Mit Recht verwiesen die damaligen Kritiker der Primärprävention mit Lipidsenkern<br />
auf die bedenklichen Ergebnisse aus Studien und Metaanalysen. Die Senkung der<br />
koronaren Sterblichkeit, die mit den vor der Statin-Ära verfügbaren Therapieoptionen<br />
erreicht wurde, wurde durch einen Anstieg der nichtvaskulären Sterblichkeit<br />
mehr als wettgemacht. [5] Aus dieser Diskussion Ende der 1980er, Anfang der<br />
1990er Jahre zieht HARTENBACH seine Argumentation, wenn man bei der unbekümmerten<br />
Mischung aus Behauptungen und Zitaten überhaupt von Argumentation<br />
sprechen will. Den Fortgang der Erkenntnis und der Debatte nimmt der Autor<br />
jedenfalls nicht mehr zur Kenntnis. Von den großen Statinstudien, die seit Mitte<br />
der 1990er Jahre publiziert wurden, finden nur noch die 4S I -Studie (1994) [6] und<br />
die WOSCOP I -Studie (1995) [7] Beachtung, werden aber ohne viel Federlesens als<br />
„von der Industrie gefälschte Statistiken” erledigt.<br />
Dabei markiert die 4S-Studie, eine zwar vom Hersteller MSD gesponserte, aber<br />
methodisch gut durchgeführte Studie zur Sekundärprävention mit dem CSEHemmer<br />
Simvastatin (ZOCOR, Generika), einen Wendepunkt in der Geschichte der medikamentösen<br />
Cholesterinsenkung. Erstmals wurde hier der mortalitätssenkende Nutzen<br />
eines Lipidsenkers überzeugend belegt. Das Ergebnis der 4S-Studie blieb zudem<br />
nicht isoliert, sondern wurde 1998 durch die LIPID II -Studie [8] mit Pravastatin (PRA-<br />
VASIN, Generika) und 2002 durch die unabhängig von der Industrie durchgeführte<br />
HPS II -Studie [9] wiederum mit Simvastatin bestätigt. Beide Studien belegen ebenfalls<br />
einen Überlebensvorteil unter den Statinen. Gemeinsam bilden vor allem diese drei<br />
Studien, an denen ausschließlich oder überwiegend Patienten mit manifester atherosklerotischer<br />
Erkrankung wie Herzinfarkt teilgenommen haben, die Evidenzbasis<br />
für Statine in der Sekundärprävention dieser Erkrankungen, die hier inzwischen zur<br />
Standardtherapie gehören – im Übrigen auch bei „normalen” Cholesterinwerten<br />
(a-t 2002; 33: 83-4).<br />
Dies bedeutet nicht, dass es heute keine Kontroverse um die Cholesterinsenkung<br />
mehr gäbe. So ist ein Nutzen cholesterinsenkender Diäten – anders als es vielfach<br />
proklamiert wird – bis heute nicht zweifelsfrei belegt (vgl. a-t 2010; 41: 19-23).<br />
Strittig ist vor allem auch die Frage, ob die Senkung des LDL einen validen Surrogatparameter<br />
für die Minderung klinischer Ereignisse wie Herzinfarkte darstellt. Aus<br />
der Tatsache, dass Statine sowohl das Cholesterin senken als auch Herzinfarkte<br />
Der<br />
Gastbeitrag<br />
Nachdruck aus<br />
arznei-telegramm<br />
8/2012<br />
(a-t 2012; 43: 67-69)<br />
mit freundlicher<br />
Genehmigung der<br />
Redaktion und des<br />
Verlages des arzneitelegramm.<br />
I<br />
4S = Scandinavian Simvastatin Survival Study WOSCOP = West of Scotland Coronary Prevention
Seite 40 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
und Sterblichkeit mindern, kann nicht geschlossen werden, dass Cholesterinsenkung<br />
mit welchen Mitteln auch immer, einen klinischen Nutzen hat. Statine haben neben<br />
der Senkung des Cholesterins weitere gefäßaktive Wirkungen. Welche pharmakologischen<br />
Effekte für den klinischen Nutzen entscheidend sind, ist dabei nicht<br />
hinreichend geklärt. Umgekehrt wissen wir aus den Studien mit Clofibrat (außer<br />
Handel: REGELAN) oder dem gar nicht erst zur Marktreife gelangten Torcetrapib,<br />
dass mit bestimmten Lipidsenkern Morbidität und Mortalität trotz Cholesterinsenkung<br />
gesteigert werden. Es ist daher zu fordern, dass Lipidsenker, so zum Beispiel<br />
auch Ezetimib (EZETROL, in: INEGY), in kontrollierten Langzeitstudien auf ihren klinischen<br />
Nutzen hin geprüft werden, bevor sie breit verordnet werden (a-t 2008; 39:<br />
19-21). In diesen Kontext gehört auch die nach wie vor strittige Frage der optimalen<br />
Strategie einer Statintherapie, nämlich als fixe Dosis („fire and forget”) [10] oder<br />
Titration auf einen LDL-Zielwert hin, wie in vielen Leitlinien empfohlen. Während<br />
der Nutzen einer Statintherapie in fixer Standarddosierung gut durch randomisierte<br />
Langzeitstudien untermauert ist, gilt dies für die Titrierung auf bestimmte LDL-Werte<br />
hin nicht (a-t 2011; 42: 28-9). [11]<br />
Ein nach wie vor kontroverses Thema ist auch die Primärprävention atherosklerotischer<br />
Erkrankung mit Statinen (vgl. a-t 2004; 35: 56-60). [12,13] Sowohl die<br />
Studienlage als auch die Therapieentscheidungen in der Praxis sind hier mit deutlich<br />
größeren Unsicherheiten behaftet als in der Sekundärprävention. Gleichwohl hat<br />
sich auch hier der Kenntnisstand gegenüber der Zeit von vor 20 Jahren erheblich<br />
erweitert. In mehr als zehn randomisierten Interventionsstudien mit klinischen Endpunkten<br />
wurden Statine in der Primärprävention inzwischen geprüft. Konsistent<br />
werden schwere koronare Ereignisse wie Herzinfarkte gemindert. Der absolute Nutzen<br />
ist jedoch gering: Nach einer Metaanalyse [14] ergibt sich pro Jahr eine Number<br />
needed to treat (NNT) von rund 400, im Vergleich zu einer NNT von 60 bis 170 pro<br />
Jahr in den drei wichtigsten Sekundärpräventionsstudien. [6,8,9] Dabei dürfte dies<br />
noch eine Überschätzung darstellen, da in einigen Primärpräventionsstudien bei<br />
mehr als 10% der Patienten bereits eine Gefäßerkrankung bestand. Mit Ausnahme<br />
der umstrittenen JUPITER II -Studie (a-t 2008; 39: 119-21) [15] lässt sich zudem in<br />
keiner der großen Einzelstudien zur Primärprävention eine signifikante Minderung<br />
der Gesamtsterblichkeit erkennen. Nach mehreren inzwischen veröffentlichten<br />
Metaanalysen sinkt die Gesamtsterblichkeit relativ um rund 10% bis 15% – überwiegend,<br />
aber nicht durchgehend signifikant. [14,16-19] Selbst wenn man von<br />
einer signifikanten Minderung ausgeht, ist der Effekt jedoch sehr klein: Die NNT’s<br />
liegen zwischen 650 und 700 pro Jahr, [14,18] wenn Patienten mit vorbestehenden<br />
Gefäßerkrankungen gänzlich ausgeschlossen werden, sogar bei 1.100 bis 1.400<br />
pro Jahr [17,19] (Sekundärprävention: 160 bis 280/Jahr). Dem stehen die Risiken<br />
einer Statintherapie gegenüber, die in der Primärprävention prinzipiell nicht geringer<br />
sind als in der Sekundärprävention (vgl. a-t 2012; 43: 31-2). Das Gros der Daten in<br />
Primärpräventionsstudien bezieht sich auf Männer im mittleren Lebensalter. [18]<br />
Frauen scheinen nach neueren Studien allerdings ähnlich zu profitieren wie Männer.<br />
[15,20] Für den Beginn einer Primärprävention im hohen Lebensalter fehlen jedoch<br />
nach wie vor hinreichende Daten: Die Ergebnisse für über 65-Jährige sollen sich<br />
nach Metaanalysen zwar nicht von denen bei Jüngeren unterscheiden, [14,18] für<br />
über 70 Jährige ohne manifeste Gefäßerkrankungen, die nach der PROSPER III -Studie<br />
von einem Statin keinen Nutzen haben, [21] gibt es unseres Wissens aber keine<br />
neueren gesonderten Auswertungen.<br />
Angesichts dieser Datenlage ist es nachvollziehbar, dass sich einige Experten nach<br />
wie vor gegen eine Primärprävention mit Statinen aussprechen, darunter auch das<br />
unabhängige kanadische Arzneimittelbulletin „Therapeutics Letter”. [22] Es gibt<br />
aber inzwischen auch viele kritische Experten, die die Primärprävention mit<br />
II<br />
III<br />
HPS = Heart Protection Study, JUPITER = Justification for the Use of Statins in Prevention: an Intervention Trial<br />
Evaluating Rosuvastatin, LIPID = Long-term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease<br />
PROSPER = Prospective Study of Pravastatin in the Elderly at Risk
Nr. 4 / 2012<br />
KVH • aktuell<br />
Seite 41<br />
Statinen in bestimmten Situationen befürworten. [23] Dabei besteht eine breite<br />
Übereinstimmung darüber, dass nicht ein Laborwert behandelt werden soll, sondern<br />
dass sich die Entscheidung für oder gegen eine medikamentöse Prävention an der<br />
Höhe des kardiovaskulären Gesamtrisikos orientieren soll.<br />
Über die Behandlungsschwelle selbst wiederum gibt es keinen allgemeinen<br />
Konsens. Die Diskussion wird derzeit durch eine aktuell publizierte Metaanalyse der<br />
CTT IV -Collaborators [19] neu angefacht, nach deren Ergebnissen koronare Ereignisse<br />
bei Patienten ohne vorbestehende Gefäßerkrankungen nicht nur bei einem kardiovaskulären<br />
10-Jahres-Risiko von unter 20%, sondern auch schon bei einem unter<br />
10% signifikant gemindert werden. Die NNT’s sind aber hoch (303 bzw. 1.250/Jahr).<br />
Eine klare Minderung der Gesamtsterblichkeit der primärpräventiv behandelten<br />
Patienten ergibt sich zudem nur in der Gesamtgruppe einschließlich derjenigen mit<br />
deutlich höherem Risiko. [19] Leitlinienempfehlungen variieren: Das britische NICE V<br />
empfiehlt als Behandlungsschwelle ein kardiovaskuläres Risiko von 20% in zehn<br />
Jahren. [24] Nach der Leitlinie der europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC)<br />
kommt eine medikamentöse Therapie jedoch schon bei einem 10-Jahres-Risiko von<br />
über 10% in Betracht. [25] Bei einer solchen Behandlungsschwelle, wie sie ähnlich<br />
auch den CTTAutoren vorschwebt,[19] wären nach britischen Daten mehr als 80%<br />
der über 50-jährigen Männer und mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Frauen<br />
Kandidaten für eine Statintherapie. [26] Die Umsetzung eines solchen Konzepts<br />
würde demnach bedeuten, dass breite Bevölkerungsschichten ab einem bestimmten<br />
Alter automatisch zu Patienten würden und beträchtliche finanzielle Ressourcen<br />
für die Behandlung praktisch gesunder Menschen aufgebracht werden müssten.<br />
Nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses erstattet die GKV die<br />
Verordnung von Statinen in der Primärprävention erst ab einem Risiko von über<br />
20% in zehn Jahren.[27] Neuseeländische Leitlinien sind noch konservativer: Hier<br />
wird nach wie vor eine medikamentöse Primärprävention erst ab einem Risiko von<br />
30% in zehn Jahren empfohlen. [28]<br />
Die Ermittlung des Risikos ist ebenfalls nicht unproblematisch. In der Praxis hat<br />
sich die Verwendung von Risikokalkulatoren wie PROCAM VI [29] oder arriba VI [30]<br />
durchgesetzt. Unter pragmatischen Gesichtspunkten erscheint uns dies eine vertretbare<br />
Lösung. Angesichts der unzureichenden Validierung aller verfügbarer Risikokalkulatoren<br />
muss dabei aber berücksichtigt werden, dass die jeweils ermittelten<br />
Werte auch bei präzisen Zahlenangaben nur eine grobe Schätzung darstellen. Wir<br />
ziehen unter den verschiedenen Kalkulatoren den unter Beteiligung von Hausärzten<br />
in Deutschland entwickelten Risikorechner arriba vor, unter anderem deshalb,<br />
weil er gleichzeitig ein Beratungskonzept anbietet, das Ärzte unterstützen soll, die<br />
besonders in der Primärprävention schwierige Entscheidung gemeinsam mit den<br />
Patienten zu finden.<br />
Das HARTENBACH-Buch „Die Cholesterinlüge” ist veraltet und klammert<br />
wesentliche Erkenntnisse aus.<br />
In der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen mindern<br />
Statine in mehreren Studien sowohl nichttödliche kardiovaskuläre<br />
Komplikationen als auch die Sterblichkeit. Statine gehören bei diesen<br />
Patienten heute zur Standardtherapie.<br />
Auch in der Primärprävention gibt es mittlerweile eine Reihe von Studien,<br />
in denen konsistent eine Minderung der Herzinfarktrate durch<br />
Statine dokumentiert wird. Der Nutzen ist bei geringem kardiovaskulären<br />
Ausgangsrisiko jedoch entsprechend klein. Die Gesamtsterblichkeit<br />
dürfte bei diesen Patienten erst bei hohem Risiko gemindert sein.<br />
arriba liefert<br />
eine zuverlässige<br />
Entscheidungs-<br />
Grundlage<br />
IV<br />
V<br />
VI<br />
CTT = Cholesterol Treatment Trialists<br />
NICE = National Institute for Health and Clinical Excellence<br />
arriba = Akronym für die 6 Schritte der Entscheidungsfindung in der kardiovaskulären Prävention (www.arribahausarzt.de/arriba/index.html),<br />
PROCAM = Prospective Cardiovascular Münster Study
Seite 42 KVH • aktuell<br />
Nr. 4 / 2012<br />
Statine sollten daher in der Primärprävention nur bei hohem kardiovaskulären<br />
Risiko von über 20% in zehn Jahren in Betracht gezogen und<br />
die Entscheidung für oder gegen eine Therapie gemeinsam mit den<br />
Patienten getroffen werden.<br />
Literatur (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)<br />
1 HARTENBACH, W.: Die Cholesterin-Lüge. Das Märchen vom bösen Cholesterin, 32. Aufl., Herbig Verlagsbuchhandlung<br />
GmbH, München 2012<br />
2 Consensus Conference: JAMA 1985; 253: 2080-86<br />
3 Study Group, European Atherosclerosis Society: Eur. Heart. J. 1987; 8: 77-88<br />
4 BERGER, M.: Dt. Ärztebl. 1991; 88: A-45-7<br />
M 5 MULDOON, M.F. et al.: BMJ 1990; 301: 309-14<br />
R 6 Scandinavian Simvastatin Survival Study Group: Lancet 1994; 344: 1383-9<br />
R 7 SHEPHERD, J. et al.: N. Engl. J. Med. 1995; 333: 1301-7<br />
R 8 The Long-Term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease (LIPID) Study Group: N. Engl. J. Med. 1998;<br />
339: 1349-57<br />
R 9 Heart Protection Study Collaborative Group: Lancet 2002; 360: 7-22<br />
10 DONNER-BANZHOFF, N., SÖNNICHSEN, A.: BMJ 2008; 336: 288-9<br />
11 HAYWARD, R.A., KRUMHOLZ, H.M.: Circ. Cardiovasc. Qual. Outcomes 2012; 5: 2-5<br />
12 BLAHA, M.J. et al.: JAMA 2012; 307: 1489-90<br />
13 REDBERG, R.F., KATZ, M.H.: JAMA 2012; 307: 1491-2<br />
M 14 BRUGTS, J.J. et al.: BMJ 2009; 338: b2376<br />
R 15 RIDKER, P.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 2195-207<br />
M 16 MILLS, E.J. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2008; 52: 1769-81<br />
M 17 RAY, K.K. et al.: Arch. Intern. Med. 2010; 170: 1024-31<br />
M 18 TAYLOR, F. et al.: Statins for the primary prevention of cardiovascular disease. The Cochrane Database of Systematic<br />
Reviews, Stand Sept. 2007<br />
M 19 Cholesterol Treatment Trialists’ Collaborators: Lancet 2012; 380: 581-90<br />
R 20 NAKAMURA, H. et al.: Lancet 2006; 368: 1155-63<br />
R 21 SHEPHERD, J. et al.: Lancet 2002; 360: 1623-30<br />
22 Therapeutics Letter, März-April 2010 http://www.ti.ubc.ca/sites/ti.ubc.ca/files/77.pdf<br />
23 DONNER-BANZHOFF, N., SÖNNICHSEN, A.: BMJ 2008; 337: a2576<br />
24 NICE: Lipid modification. Cardiovascular risk assessment and the modification of blood lipids for the primary<br />
and secondary prevention of cardiovascular disease, März 2010;<br />
http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/11982/40689/40689.pdf<br />
25 GRAHAM, I. et al.: Eur. Heart J. 2007; 28: 2375-414<br />
26 EBRAHIM, S., CASAS, J.P.: Lancet 2012; 380: 545-7<br />
27 G-BA: Arzneimittel-Richtlinie, Anlage III, Stand Okt. 2011 http://www.g-ba.de/downloads/83-691-269/AM-RL-<br />
III-Verordnungseinschränkung-2011-10-01.pdf<br />
28 New Zealand Guidelines Group: Primary Care Handbook 2012; zu finden über:<br />
http://www.nzgg.org.nz/search?clinical_area_id=24<br />
29 http://www.assmann-stiftung.de<br />
30 http://www.arriba-hausarzt.de<br />
(Weitere Informationen und die Möglichkeit des Abonnements unter www.arznei-telegramm.de)<br />
Zwei Seiten, die Ihnen<br />
die Behandlung von Diabetikern erleichtern<br />
Bei chronisch Kranken kommt es sehr darauf an, dass der Patient sein Krankheitsbild versteht und<br />
aktiv an der Behandlung mitarbeitet. Ganz besonders gilt dies beim Diabetiker. Entsprechen hoch<br />
ist der Gesprächs- und Beratungsaufwand. Einer Erleichterung und Unterstützun in der Praxis stellen<br />
die von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin erstellten Informationsblätter<br />
für Patienten dar. Auf den beiden folgenden Seiten finden Sie zum Kopieren entsprechende<br />
Informationen zum Diabetes.
Informationen für Patienten<br />
Leben mit Diabetes<br />
Warum?<br />
Eine Zuckerkrankheit erhöht das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall auf etwa das Doppelte. Natürlich<br />
ist Diabetes nicht gleich Diabetes – Patienten, bei denen seit 2 Jahren eine geringe Erhöhung des Blutzuckers<br />
festgestellt wurde, haben ein viel geringeres Risiko als solche mit 20-jähriger Zuckerkrankheit<br />
und stark erhöhten Blutzucker-Werten. Und für die jungen schlanken so genannten Typ-1-Diabetiker,<br />
deren Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr herstellt, gelten andere Maßstäbe als für die viel<br />
größere Zahl meist übergewichtiger Typ-2-Diabetiker, an die wir uns<br />
hier wenden.<br />
Das Medikament Metformin kann bei übergewichtigen Diabetikern<br />
das Risiko für einen Herzinfarkt um ein gutes Drittel senken und verursacht<br />
keine Unterzuckerungen (siehe gesonderte Information). Wir<br />
verordnen Metformin allen übergewichtigen Diabetikern, die ihren Zucker nicht<br />
durch Gewichtsabnahme und Bewegung allein normalisieren können und die es vertragen.<br />
Für alle anderen Zucker-senkenden Medikamente inklusive Insulin hat die große englische UKPD-Studie<br />
(eine Untersuchung an 4000 Diabetikern) gezeigt, dass eine intensive Blutzucker-Senkung allein nichts<br />
Wesentliches am Herz-Kreislauf-Risiko ändert. Mit diesen Medikamenten kann man die Häufigkeit von<br />
Laser-Operationen an der Augen-Netzhaut senken – davon soll hier nicht weiter die Rede sein.<br />
Wie?<br />
Besonders bei älteren Zuckerkranken ist Hauptziel einer Blutzucker-Senkung, Diabetes-Beschwerden<br />
wie Durst, Abgeschlagenheit und vermehrte Anfälligkeit gegen Infekte abzumildern.<br />
Den Erfolg einer Blutzucker-Senkung kann man am besten mit dem Langzeit-Zucker-Wert HbA1c<br />
messen. Das HbA1c gibt an, wie hoch der Blutzucker in den letzten 12 Wochen lag.<br />
Allgemeine HbA1c-Ziele für alle Diabetiker sind nicht sinnvoll. Vielmehr sollten die Zielsetzungen<br />
individuell zwischen Arzt und Patient vereinbart werden. Ein 40-jähriger Typ-II-Diabetiker würde<br />
eher von einer „schärferen“ HbA1c-Senkung profitieren als eine Frau, die mit 75 Jahren zur Diabetikerin<br />
geworden ist. Ein Mensch, der sehr unregelmäßig isst, hat vielleicht ein größeres Risiko für<br />
Unterzuckerungen. Und bei sehr alten Menschen ist man meist davon überzeugt, dass sie durch eine<br />
Normalisierung der Blutzucker-Werte eher Schaden erleiden, als dass sie davon profitieren.<br />
Weil Diabetiker ein erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten haben, werden Sie sich nach unserer<br />
Beratung über Ihr persönliches Risiko vielleicht auch eher für eine Behandlung mit ASSund einen Cholesterin-Senker<br />
entscheiden, als dies ein Mensch ohne Diabetes tun würde. In diese Risiko-Berechnung<br />
gehen Ihre letzten HbA1c-Werte auch mit ein.<br />
Bei vielen Diabetikern ist als zusätzliches Risiko auch der Blutdruck erhöht. Werte dauerhaft über<br />
140/90 bezeichnet man als Bluthochdruck. Einige Untersuchungen haben auch gezeigt, dass eine<br />
Senkung des Blutdrucks unter 140/90 besser vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützt als die Senkung<br />
des Blutzuckers. Für eine medikamentöse Blutdruck-Senkung wird man sich bei sehr stark erhöhten<br />
Blutdruckwerten oder bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren entscheiden.<br />
Wirksamer als jedes Medikament ist aber der Effekt von regelmäßiger körperlicher Bewegung. Ausdauersportarten<br />
wie Joggen, Walken, Radfahren und Schwimmen senken Blutzucker und Blutdruck<br />
so stark wie ein Medikament. Darüber hinaus wird das Risiko von Herzinfarkt und Schlaganfall noch<br />
stärker gesenkt, als dies Medikamente können.<br />
Man sollte bei der Bewegung ins Schwitzen kommen und der Herzschlag muss beschleunigt sein,<br />
damit es etwas bringt. (siehe gesonderte DEGAM-Information zur Bewegung).<br />
Bei Diabetes-Diät denken viele Menschen an die Diät-Abteilung im Supermarkt. Kaufen Sie dort<br />
nicht – es ist nur unnötig teuer. Letztlich heißt Diabetes-Diät nichts anderes als gesundes Essen.<br />
Weitere Informationen und Quellenangaben finden Sie in der Langfassung der<br />
DEGAM-Leitlinie „Kardiovaskuläre Prävention“ im Internet unter www.degam.de<br />
Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin<br />
©: Günther Egidi , Huchtinger Heerstr. 41, 28259 Bremen<br />
Die Erstellung der Information erfolgte unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte.<br />
Arzt für Allgemeinmedizin und Mitglied der DEGAM AG Leitlinien Version vom 22.09.2008
Informationen<br />
für Patienten<br />
XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden<br />
PVSt Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 68689<br />
Deutsche Gesellschaft für<br />
Allgemein- und Familienmedizin<br />
©: Günther Egidi , Huchtinger Heerstr. 41, 28259 Bremen,<br />
Die Erstellung der Information erfolgte<br />
unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte.<br />
Diese Information wurde überreicht von<br />
PH863453V<br />
Wenn ein Mitglied einer Familie Typ-2-Diabetiker ist, braucht man ihm keine andere Ernährung zu empfehlen als<br />
den anderen Familien-Mitgliedern, die auch gesund bleiben wollen.<br />
Meistens sind Diabetiker auch übergewichtig. In diesem Fall bedeutet Diät vor allem: fettes Essen vermeiden und<br />
abnehmen. Das meist noch genügend im Körper vorhandene Insulin wirkt dann besser, und der Zuckerspiegel sinkt.<br />
Ihr Bewegungsprogramm wird Ihnen zusätzlich beim Abnehmen helfen. Zuckerstoffe (Kohlenhydrate), die nur<br />
langsam vom Körper aufgenommen werden (faserreiche Gemüse, Milch oder Vollkorn-Produkte), führen weniger<br />
zu schädlichen Zucker-Anstiegen im Blut als Weißbrot, Süßigkeiten oder Obstsäfte.<br />
Welche Risiken?<br />
Eine zu ehrgeizige Zucker-Senkung kann mit erheblichen Nebenwirkungen (Unterzuckerung, Gewichtszunahme)<br />
verbunden sein. Darum müssen die Ziele einer Blutzucker-Senkung und die möglichen Risiken bei jedem einzelnen<br />
Patienten gut gegeneinander abgewogen werden. Für Diabetiker gilt besonders: vor Beginn eines Trainings-Programms<br />
mit dem Hausarzt besprechen, wie intensiv das Training sein darf – damit beim Trainieren nichts passiert.<br />
Welche Empfehlungen?<br />
Im Rahmen des Vorsorge-Programms (Disease Management Programm = DMP) Diabetes finanzieren die Krankenkassen<br />
Schulungen für Diabetiker.<br />
Die Arzthelferinnen meiner Praxis sind darin ausgebildet, Patienten über alle Fragen der Zuckerkrankheit zu unterrichten.<br />
Sie lernen, welche Komplikationen ein Diabetes haben kann,<br />
wie man selbst den Zucker durch Urin-Proben kontrollieren kann,<br />
wie die Ernährung bei Diabetes aussehen sollte,<br />
und bei Patienten, die Insulin benötigen<br />
wie man Insulin spritzt und<br />
wie man den Blutzucker bestimmt, wenn Insulin notwendig ist.<br />
Die Krankenkassen bieten auch persönliche Ernährungsberatungen und Bewegungs-Programme an, oder sie<br />
unterstützen diese.<br />
Was tun?<br />
Persönliche Ziele<br />
Ich möchte mich mehr bewegen, indem ich<br />
Ich möchte in Wochen kg abnehmen.<br />
Ich möchte einen Zielwert des HbA1c von % bis zum erreichen.