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BRENNPUNKT ARZNEI<br />

Jhrg. 17, Nr. 4 – Dezember 2012<br />

Pharmakotherapie<br />

Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis<br />

Hausärzte werden immer öfter mit<br />

neuen Thrombozytenaggregationshemmern konfrontiert<br />

Was bringen sie wirklich?<br />

Clopidogrel hat Konkurrenz bekommen: Von Herstellern und Kliniken werden für<br />

die Zeit nach einem Myokardinfarkt immer wieder die neuen Thrombozytenaggregationshemmer<br />

Prasugrel (Efient ® ) und Ticagrelor (Brilique ® ) empfohlen. Aber wie<br />

sinnvoll ist es wirklich, statt des Clopidogrel die neuen und wesentlich teureren<br />

Substanzen einzusetzen? Wir haben die vorliegenden Fakten ausgewertet und für<br />

Sie zusammengefasst – und festgestellt: Die Neuen sind zwar manchmal, aber<br />

nicht immer die bessere Alternative. Seite 4<br />

Wann Fentanylpflaster gefährlich werden<br />

Fentanylpflaster sind bequem anzuwenden. So mancher Schmerzpatient, der<br />

ein Opioid erhalten soll, hat das schon gehört und spricht seinen Arzt auf diese<br />

„sanfte Alternative“ an. Doch gerade zu Beginn einer Opioid-Behandlung sind<br />

die bequemen Pflaster problematisch und können sogar gefährlich werden. Außerdem<br />

nützen sie bei akuten Schmerzen zunächst gar nichts, weil die Wirkung<br />

verzögert eintritt. Wie Sie Fentanylpflaster sinnvoll einsetzen und wann Sie dem<br />

Patienten besser eine andere Applikationsform verorndnen, steht auf Seite 19<br />

Statt besserer Ergebnisse höhere Mortalität beobachtet<br />

Telemonitoring kann Arztkontakt<br />

nicht ersetzen<br />

Telemonitoring ist zweifellos eine moderne Überwachungsmethode und der Fortschrittsgläubige<br />

möchte darin gerne eine Verbesserung der Versorgung sehen.<br />

Doch dies ist bisher wohl eher ein Irrglaube. Eine Studie, in der die Patienten zum<br />

Teil konventionell, zum Teil per Telemonitoring überwacht wurden, brachte ein<br />

ernüchterndes Ergebnis: Die Mortalität war unter Telemonitoring höher als bei den<br />

konventionell überwachten Patienten. Offenbar kann auch die moderne Informationstechnik<br />

den direkten Kontakt mit dem Arzt nicht ersetzen. Seite 25<br />

Geisterschreiber führen uns in die Irre<br />

Wenn professorale Experten einen Artikel veröffentlichen, ist man durchaus<br />

geneigt, dessen Inhalt zu glauben und in die Praxis umzusetzen. Doch Vorsicht:<br />

So mancher dieser Beiträge ist gar nicht von dem Experten selbst verfasst – vor<br />

allem, wenn er ein Medikament besonders positiv heraushebt. Ein Gerichtsverfahren<br />

und weitere Fakten haben gezeigt, dass die Pharmaindustrie offenbar<br />

in erheblichem Umfang Ghostwriter einsetzt, um Ärzte zum Verordnen ihrer<br />

Produkte zu bringen. Seite 27<br />

Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen


Seite 2 KVH • aktuell Nr. 4 / 2012<br />

In eigener Sache – 20 Jahre KVH aktuell<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,<br />

„… ab 01.01.1993 weht uns durch die Bonner Spargesetze insbesondere in der Pharmakotherapie ein<br />

scharfer Wind entgegen. ... Wir müssen uns deswegen alle auf die Prinzipien der rationalen und rationellen<br />

Pharmakotherapie rückbesinnen und diese streng beachten, wenn wir nicht mit unseren Honoraren einen<br />

Teil der Medikamente für unsere Patienten aus eigener Tasche bezahlen wollen. Die Broschüre ist die erste<br />

einer Serie von periodischen Informationen, die wir allen Kassenärzten in Hessen<br />

als Information und Unterstützung für die schwierige Arzneimitteltherapie<br />

in der täglichen Praxis zur Verfügung stellen.<br />

Der Bonner Sparkurs wird zu einschneidenden Veränderungen<br />

in der täglichen Sprechstunde führen,<br />

denn manches lieb gewordene und<br />

gewohnte Medikament bei Bagatellbeschwerden<br />

oder mit zweifelhafter Wirkung<br />

werden wir verweigern müssen. Aber wir<br />

müssen uns diesem Sparkurs beugen, damit<br />

wir die notwendigen therapeutischen Freiräume<br />

behalten, um lebensnotwendige Medizin<br />

ohne Regressdruck verordnen zu können ….“<br />

Dies stand im Editorial der Erstausgabe von KVH<br />

aktuell, die im November 1992 erschien. Vom<br />

kleinen, schlichten kartonierten DIN-A5 Heft ohne<br />

Grafiken oder Tabellen hat sich KVH aktuell in den<br />

letzten 20 Jahren zur vielgelesenen und anerkannten<br />

kritischen Therapieinformation in der heutigen Form<br />

entwickelt – das Bild zeigt den Werdegang des Hefts.<br />

Unverändert gilt das Motto „rationale und rationelle<br />

Pharmakotherapie in der Kassenpraxis“, mit dem Ärztinnen<br />

und Ärzten in zwischenzeitlich insgesamt 7 KVen<br />

und mit einer aktuellen Auflage von 27.000 gedruckten<br />

Exemplaren eine Hilfe zur kritischen Meinungsfindung bei<br />

der Arzneimitteltherapie gegeben wird.<br />

Nach wie vor ist KVH aktuell hundertprozentig frei von Pharmainteressen,<br />

die Redaktion besteht größtenteils aus engagierten niedergelassenen<br />

Ärztinnen und Ärzten. Unverändert ist das Ziel, wie im Editorial in November 1992 ausgeführt wird, dass<br />

mögliche Einsparvolumina bei den Arzneimittelkosten angestrebt werden müssen, damit die neuen, immer<br />

teureren und aufwändigeren Pharmakotherapien, wie beispielsweise in der Onkologie, in der Immunologie,<br />

in der Neurologie und Psychiatrie oder Antidiabetika zum Nutzen der Patienten verschrieben werden können.<br />

Hierbei ist aber unbedingt zu beachten, dass die praxisnahe, realistische und evidenzbasierte Therapie in<br />

jedem Fall den Vorrang bei einer Therapieentscheidung vor den gegebenenfalls teureren Therapiekosten hat.<br />

Dies hat für KVH aktuell immer gegolten und wird auch in Zukunft für unsere Zeitschrift von zentraler<br />

Bedeutung sein.<br />

Wir hoffen und wünschen uns, dass Sie uns weiterhin als kritischer Leser treu bleiben.<br />

Ihr Dr. med. Wolfgang LangHeinrich<br />

Hinweis zu KVH – Brennpunkt Arznei<br />

Die vorliegende Publikation „KVH – Brennpunkt Arznei“ ist ein Informationsangebot zur rationalen und rationellen Pharmakotherapie<br />

in der Praxis. Sie wird herausgegeben und mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der<br />

Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Die enthaltenen Beiträge geben die Auffassung der Verfasser bzw. der Redaktion<br />

wieder. Aufgrund der regionalen Unterschiede können nicht alle Inhalte auf die Gegebenheiten in Hamburg übertragen<br />

werden. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann keine Gewähr übernommen werden.


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 3<br />

Editorial 2<br />

Die neuen Thrombozytenaggretationshemmer<br />

Wie sollen Hausärzte da noch durchsteigen? 4<br />

Dr. med. Günther Egidi, Dr. med. Hans Wille<br />

Gerinnungshemmung: Update 2012, Teil 2 10<br />

Dr. med. Alexander Liesenfeld und Dr. med. Anja Kessler-Thönes<br />

Omega 3-Fettsäuren: Sinnlos oder sinnvoll? 15<br />

Dr. med. Christian Albrecht<br />

Plättchenhemmung in der Sekundärprophylaxe vaskulärer Erkrankungen<br />

Clopidogrel nicht viel besser als ASS 16<br />

Mehr Verordnungen von Psychopharmaka für Frauen 17<br />

Was bedeuten die Daten aus dem Arzneimittelreport der DAK?<br />

Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />

Unkritische Anwendung von Fentanylpflastern erhöht<br />

das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen 19<br />

Risikoprofil von Metamizol 22<br />

Sterben Patienten unter Telemonitoring früher? 25<br />

Von Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />

Wissenschaftliche Irreführung durch Publikationsplanung<br />

(Ghost management) und Ghostwriting 27<br />

Sicherer verordnen 30<br />

Dr. med. Günter Hopf<br />

Escitalopram: QT-Intervall-Verlängerung 30<br />

Venlafaxin: inadäquate ADH-Sekretion 30<br />

Diabetogene Arzneistoffe 30<br />

Isotretinoin: Kolitis und okuläre Probleme 31<br />

Statine: müde Muskeln 31<br />

Azithromycin: kardiales Risiko 32<br />

Ärztliche Meinungsführer: wissen sie, was sie tun? 32<br />

Erhöhtes Krebsrisiko bei Calcitonin-haltigen Nasensprays in der Menopause 32<br />

Flupirtin: Abhängigkeit und Lebertoxizität 33<br />

Übersicht zum rechtlichen Rahmen bei Off-Label-Use 33<br />

Neue Impfempfehlungen der STIKO 34<br />

STOPP: Eine weitere Checkliste für Verordnungen bei älteren Patienten 34<br />

Was hilft, wenn die Metformin-Monotherapie ausgereizt ist? 38<br />

Dr. med. Uwe Popert<br />

Hartenbach: „DIE CHOLESTERIN-LÜGE” 39<br />

… zum aktuellen Stand der Debatte um die Cholesterinsenkung<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Zwei Seiten, die Ihnen die Behandlung von Diabetikern erleichtern 42<br />

Impressum<br />

Verlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden<br />

Herausgeber und verantwortlich für die Inhalte: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15,<br />

60325 Frankfurt (www.kvhessen.de)<br />

Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.),<br />

Dr. med. Christian Albrecht, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med.<br />

Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld,<br />

Dr. med. Uwe Popert, Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Petra Bendrich, Dr. med. Jutta Witzke-Gross<br />

Fax Redaktion: 069 / 79502 501<br />

Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;<br />

Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt<br />

Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen<br />

der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseignen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken<br />

sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass<br />

solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.<br />

Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was<br />

Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und<br />

Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und<br />

Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.


Seite 4 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Kritische<br />

Analyse<br />

Die neuen Thrombozytenaggregationshemmer<br />

Wie sollen Hausärzte da noch<br />

durchsteigen?<br />

Dr. med. Günther Egidi, Dr. med Hans Wille<br />

Vorbemerkung: Mit Prasugrel (Efient ® ) und Ticagrelor (Brilique ® ) sind neue, deutlich<br />

teurere, nach Akutem Koronarsyndrom (ACS) einzusetzende Substanzen mit<br />

unterschiedlichen Anwendungsempfehlungen auf den Markt gekommen. Viele<br />

Hausärztinnen und Hausärzte sind bereits mit entsprechenden Klinikempfehlungen<br />

konfrontiert worden – und sind zunehmend verunsichert im Spagat zwischen dem<br />

Bedürfnis, ihren Patienten eine wirksame Therapie nicht vorzuenthalten – und den<br />

Einengungen durch die Richtgrößenvereinbarungen für Medikamente. Dieser Artikel<br />

versucht, die entscheidende Evidenz vorzustellen und so zusammenzufassen, dass<br />

sich daraus eine im vielseitigen hausärztlichen Alltag handhabbare Empfehlung<br />

ergibt. Der Artikel ist aufgeteilt in<br />

einen kurzen Überblick über pharmakologische Eigenschaften der verschiedenen<br />

Substanzen,<br />

eine Zusammenfassung bekannter sowie eine Darstellung neuer Informationen<br />

zu Clopidogrel sowie<br />

jeweils eine Darstellung der entscheidenden Zulassungsstudien für Prasugrel<br />

und Ticagrelor sowie die daraus zu ziehenden Konsequenzen.<br />

Kurzer pharmakologischer Überblick<br />

1 Dosierungen<br />

a) Clopidogrel: initial mit 300 (-600 I ) mg dosiert („loading-dose“),<br />

dann 75mg/d<br />

b) Prasugrel: initial 60 mg, dann 10 mg/d<br />

c) Ticagrelor: initial 180 mg, dann 2 x 90 mg/d<br />

2 klinischer Wirkeintritt<br />

a) Clopidogrel auch mit Loading frühestens nach (6-)12-24 Stunden (je nach<br />

Höhe der Loading-Dose)<br />

b) Prasugrel mit Loading Dose nach 2 bis 4 Stunden<br />

c) Ticagrelor bereits nach 2 Stunden<br />

Der unterschiedlich rasche klinische Wirkeintritt ist im Zusammenhang mit der<br />

Interpretation der Prasugrel-Zulassungsstudie TRITON-TIMI 38 von erheblicher<br />

Bedeutung.<br />

3 Interaktionen<br />

a) Prasugrel und Clopidogrel: nur wenige relevante Interaktionen (Eine klinische<br />

Bedeutung der viel diskutierten, möglichen Wirkabschwächung von<br />

Clopidogrel durch Protonenpumpenhemmer ist nicht belegt.)<br />

b) Ticagrelor: etliche! Ticagrelor ist Substrat von CYP3A4 + p-GP.<br />

4 Zulassungsstatus<br />

a) Clopidogrel ist in der Monotherapie zugelassen nach Infarkt, ischämischem<br />

Insult oder bei nachgewiesener pAVK sowie in Kombination mit<br />

ASS bei Akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebung (NSTEMI, instabile<br />

Angina) und bei STEMI-Patienten, die lysiert werden.<br />

b) Prasugrel ist zugelassen in Kombination mit ASS nur beim akuten<br />

I<br />

600 mg als Loading nicht zugelassen


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 5<br />

Koronarsyndrom (alle Formen) mit PTCA-Versorgung.<br />

c) Ticagrelor ist zugelassen in Kombination mit ASS beim Akuten Koronarsyndrom<br />

(alle Formen), und zwar unabhängig von der weiteren Therapie<br />

(PTCA, Bypass, rein medikamentöse Behandlung).<br />

Bekanntes zu Clopidogrel<br />

Bislang ist die Verordnung von Clopidogrel als Monotherapie zu Lasten der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung nur gestattet [1] bei<br />

Symptomatischer pAVK (Gehstrecke unter 200 m) [2] und<br />

echter ASS-Unverträglichkeit (schwere Allergien, ASS-Asthma)<br />

Keine Indikationen zu Clopidogrel als Monotherapie sind<br />

Zustand nach Insult / TIA oder stabile KHK [3]<br />

Zustand nach Insult / TIA unter ASS [4]<br />

Übelkeit oder Ulcus unter ASS oder NSAR [5].<br />

Die Kombination mit ASS (duale Plättchenhemmung) ist indiziert<br />

nach koronarem Stent unabhängig von der Indikation für diesen Stent [6]<br />

nach akutem koronarem Syndrom [7]<br />

vermutlich auch nach Stenting anderer Gefäße (Carotis, Femoralis) –<br />

bislang hierfür keine Zulassung, Analogieschluss.<br />

Keine Indikationen für die Kombination von Clopidogrel mit ASS sind<br />

Zustand nach Insult / TIA [8]<br />

eine symptomatische pAVK<br />

eine chronisch stabile KHK [9]<br />

bei Vorhofflimmern statt Antikoagulation [10] oder ASS [11]<br />

Zur Dauer der dualen Plättchenhemmung existierten bislang folgende<br />

Empfehlungen:<br />

nach STEMI ohne Stent 8 bis maximal 28 Tage [12]<br />

nach NSTEMI ohne Stent 3 Monate. (Auch wenn viele Kardiologen in<br />

Anlehnung an Leitlinien ihrer europäischen Fachgesellschaft ESC eine<br />

9-monatige Gabe empfehlen, lässt sich aus der entscheidenden Studie [13]<br />

erkennen, dass sich die Vorteile der dualen Plättchenhemmung auf die<br />

ersten 3 Monate beziehen, während im weiteren Verlauf die Blutungskomplikationen<br />

dieser Behandlung deutlich zunehmen [14]).<br />

nach unbeschichtetem Stent („bare metall stent“ = BMS) 4 Wochen<br />

nach beschichtetem Stent („drug eluting stent“ = DES) 12 Monate. Aber<br />

beachten dazu die folgenden Absätze!<br />

Neues zu Clopidogrel<br />

Die Empfehlungen zur Dauer der dualen Plättchenhemmung bei beschichteten<br />

Stents (DES) sind neu zu formulieren. Relevant sind hier zwei aktuelle<br />

Studien:<br />

In der einen Studie [15] wurde bei 2701 Patienten mit DES, die ohne größere kardiovaskuläre<br />

Ereignisse oder Blutungen bereits 12 Monate Clopidogrel + ASS erhalten<br />

hatten, über weitere 19,2 Monate Clopidogrel + ASS oder ASS allein gegeben. Bei<br />

zwei relevanten Sammelendpunkten schnitt die duale Plättchenhemmung über 12<br />

Monate hinaus ungünstiger ab als eine Monotherapie mit ASS (Infarkt + Insult +<br />

Gesamtsterblichkeit 3,2% vs. 1,8%; Infarkt + Insult + kardiale Sterblichkeit 2,7%<br />

vs. 1,3%). Für schwere Blutungen wurden keine Unterschiede gefunden.<br />

In einer Grafik aus dieser ZEST/REAL-LATE-Studie [14] ergibt sich, wie nach einem<br />

Jahr die Kurve für Infarkt oder kardiale Sterblichkeit in der Kombinationsgruppe<br />

nach oben geht (siehe Grafik 1).<br />

In der zweiten, der PRODIGY-Studie [16], erhielten 2013 Patienten mit Indi-


Seite 6 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Grafik 1: Infarkt oder kardiale Sterblichkeit<br />

unter dualer Plättchenhemmung vs. ASS<br />

in ZEST/REAL-LATE.<br />

kation zur PTCA randomisiert einen „blanken“ oder einen mit Everolimus, Paclitaxel<br />

oder Zotarolimus beschichteten Stent. Im Anschluss bekamen sie randomisiert<br />

entweder 6 oder 24 Monate lang eine duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel +<br />

ASS, auf jeden Fall aber ASS. Die 24 Monate lang durchgeführte duale Plättchenhemmung<br />

blieb ohne jeden Vorteil, es traten aber mehr Blutungskomplikationen<br />

auf (siehe Grafiken 2 und 3).<br />

Sollen wir die von vielen Labors beworbenen in-vitro-Aggregationstests<br />

durchführen lassen?<br />

Unsere Patienten sprechen offensichtlich sehr unterschiedlich auf Clopidogrel an,<br />

wenn man die Aggregationshemmung im Labor misst. Es ist sogar durch Schnelltests<br />

möglich, die unter Clopidogrel ausgelöste Plättchenhemmung zu messen, um so genannte<br />

Non-Responder zu identifizieren. Dies sind je nach Test und Schwellenwerten<br />

bis zu 30% der Patienten unter ASS und bis zu 20% unter Clopidogrel. Bislang ist<br />

aber nicht belegt, dass diese Identifizierung als Non-Responder im Labor den Betroffenen<br />

etwas nützt: eine Dosiserhöhung von Clopidogrel bei Non-Respondern war in<br />

einem RCT [17] ohne Nutzen. Auch der klinische Nutzen von pharmakogenetischen<br />

Untersuchungen (CYP2C19- und ABCB1-Polymorphismen) für die Therapieführung<br />

von Clopidogrel ist bislang nicht belegt.<br />

Grafik 2: Infarktrate unter dualer<br />

Plättchenhemmung in PRODIGY.<br />

Grafik 3: Blutungsrate unter<br />

dualer Plättchenhemmung in PRODIGY.


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 7<br />

Sollen wir den Clopidogrel-Nachfolger Prasugrel (Efient ® ) einsetzen?<br />

Der Nutzen dieser Substanz wurde in der großen TRITON-TIMI-38-Studie [18] geprüft.<br />

13.608 Patienten mit Akutem Koronarsyndrom und geplanter PTCA erhielten<br />

zusätzlich zu ASS entweder Prasugrel oder Clopidogrel. Nach durchschnittlich 14,5<br />

Monaten trat der primäre Sammelendpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt<br />

und Schlaganfall signifikant und relevant absolut um 2,2% (9,9 vs. 12,1%) seltener<br />

auf. Dieses positive Bild wurde getrübt durch häufigere Blutungsereignisse:<br />

bei nicht mit Bypass versorgten Patienten bei 2,4 vs. 1,8%, bei ACVB-Patienten<br />

bei 13,4 vs. 3,2%. Zu lebensbedrohlichen Blutungen kam es bei 1,4 vs. 0,9%, zu<br />

letalen bei 0,4 vs. 0,1%. Patienten über 75 Jahre und unter 60 kg Körpergewicht<br />

profitierten nicht, solche mit Schlaganfall in der Anamnese hatten mehr Schaden<br />

als Nutzen. Die TRITON-TIMI-38-Studie wurde wiederholt kritisiert [19]: nur 24%<br />

der Patienten erhielten Clopidogrel, das ja ohnehin bis zum Wirkeintritt länger<br />

braucht, kunstgerecht vor der koronaren Intervention – und zudem unterdosiert: ein<br />

unfairer Vergleich. Bei den Infarkten wurden rein enzymatische mitgezählt, bei den<br />

Blutungskomplikationen dagegen nicht diejenigen, die nach einer Bypass-OP aufgetreten<br />

waren. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />

(IQWIG) hat die entsprechenden Studiendaten nachgefordert und in einem Bericht<br />

[20] verarbeitet. Das Ergebnis: klinisch relevante Infarkte traten unter Prasugrel zwar<br />

seltener auf als unter Clopidogrel, aber bei Weitem nicht in solchem Unterschied<br />

wie in TRITON-TIMI-38 dargestellt. Die Zunahme schwerwiegender Blutungen unter<br />

Prasugrel war dagegen deutlich häufiger als in der Publikation angegeben (Details<br />

zeigt die Tabelle 1).<br />

Prasugrel ist längst<br />

nicht so gut, wie es<br />

die Studien-<br />

Interpreten<br />

suggerieren möchten<br />

TRITON-TIMI-38<br />

IQWiG-Nachanalyse<br />

Prasugrel Clopidogrel Prasugrel Clopidogrel<br />

Klinisch relevante Infarkte 6,3% 8,9% 1,4% 2,6%<br />

Schwerwiegende Blutungen 2,4% 1,8% 5,2% 3,5%<br />

Tabelle 1: Infarkte und Blutungen in TRITON-TIMI-38 und in einer genaueren Nachanalyse des IQWiG.<br />

Zusammenfassung:<br />

Prasugrel reduziert bei akutem koronarem Syndrom die Zahl relevanter Infarkte<br />

um gut 1%.<br />

Es erhöht die Zahl schwer wiegender Blutungen um gut 1,5%.<br />

Die Mortalität bleibt unbeeinflusst.<br />

In der Bilanz findet sich allenfalls eine Gleichwertigkeit zu Clopidogrel, das zudem<br />

inadäquat gegeben wurde.<br />

Die Substanz ist 6-fach teurer als Clopidogrel-Generika und in der Summe verzichtbar.<br />

Wenn von Prasugrel auf Clopidogrel umgestellt wird, ist keine Aufsättigungsdosis<br />

nötig – beide Substanzen sind irreversible Plättchenhemmer, die Wirkung<br />

hält 5 bis 7 Tage nach Absetzen an.<br />

Bedeutung<br />

für<br />

unsere<br />

Praxis<br />

Und wie ist es mit dem neuen Ticagrelor?<br />

Auch zu Ticagrelor hat das renommierte New England Journal mit PLATO [21] eine<br />

große Studie veröffentlicht. Darin erhielten 18.624 Patienten mit akutem koronarem<br />

Syndrom randomisiert entweder Ticagrelor oder Clopidogrel – unabhängig davon,<br />

wie sie weiter behandelt wurden (rein medikamentös, PTCA oder ACVB). Der primäre<br />

Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Infarkt oder Insult trat nach 12 Monaten bei<br />

1,9% weniger Patienten auf (9,8 vs. 11,7%). Unter Ticagrelor starben 1,4% weniger<br />

Patienten (4,5 vs. 5,9%). Schlaganfälle ereigneten sich unter Ticagrelor nicht


Seite 8 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

signifikant häufiger (1,5 vs. 1,3%). Der Blick auf die Kurve mit kardiovaskulärem<br />

Tod, Infarkt oder Schlaganfall zeigt einen kontinuierlich zunehmenden Vorteil von<br />

Ticagrelor (siehe Grafik 4).<br />

Etwas auffällig und unklar bleiben Unterschiede bei den Ergebnissen je nach Land<br />

(USA kein Vorteil, Ungarn und Türkei überproportionaler Vorteil für Ticagrelor);<br />

nach zusätzlichen statistischen Analysen werden sie als zufallsbedingt angesehen.<br />

Grafik 4: primärer Sammel endpunkt unter Ticagrelor versus Clopidogrel<br />

in PLATO<br />

Größere Blutungen traten unter beiden<br />

Substanzen mit 11,6 vs. 11,2% nicht<br />

signifikant unterschiedlich auf, alle zusammen<br />

(größere und kleinere relevante)<br />

waren unter Ticagrelor häufiger (16,1 vs.<br />

14,6%); fatale und intrakranielle waren<br />

ohne Häufigkeits-Unterschied.<br />

Luftnot war unter Ticagrelor erheblich<br />

häufiger (13,8 vs. 7,8%), meist aber nach<br />

einigen Wochen reversibel und zwang<br />

nur selten zum Absetzen (0,9 vs. 0,1%).<br />

Weiterhin fanden sich Pausen > 3 sec. im<br />

LZ-EKG (5,8 vs. 3,3%) und ein Anstieg<br />

von Kreatinin (11 vs. 9%) und Harnsäure<br />

(15,0 vs. 7,0%) unter Ticagrelor häufiger.<br />

Bedeutung<br />

für<br />

unsere<br />

Praxis<br />

Zusammenfassung:<br />

Ticagrelor scheint, über 12 Monate nach akutem koronarem Syndrom gegeben<br />

– unabhängig von der Art der gewählten Therapie – Vorteile gegenüber<br />

Clopidogrel zu bieten.<br />

Relevante Blutungen treten nicht häufiger auf.<br />

Es verteuert die Therapie um das 7-fache. Für Patienten mit instabiler Angina<br />

pectoris und NSTEMI sollen die Kosten als Praxisbesonderheiten anerkannt<br />

werden [22].<br />

Kreatinin und Harnsäure sollten vor und unter der Behandlung kontrolliert<br />

werden.<br />

In den ersten Wochen kann es zu Dyspnoe kommen, die aber meist reversibel ist.<br />

Wenn von Prasugrel oder Clopidogrel auf Ticagrelor umgestellt wird, sollten<br />

1 bis 3 Tage Pause eingelegt werden – die Wirkung der irreversiblen Plättchenhemmer<br />

hält an, diejenige von Ticagrelor setzt rasch ein.<br />

Interessenkonflikte: keine<br />

Literatur:<br />

1 https://www.g-ba.de/downloads/39-261-634/2008-02-21-AMR10-Clopidogrel-ASS_BAnz.pdf<br />

2 CAPRIE Steering Committee A randomised, blinded, trial of clopidogrel versus aspirin in patients at risk of<br />

ischaemic events (CAPRIE) Lancet 1996; 348: 1329–39<br />

3 Siehe CAPRIE-Studie<br />

4 Siehe CAPRIE-Studie<br />

5 Chan F, Ching Y, Hung L et al Clopidogrel versus Aspirin and Esomeprazole to Prevent Recurrent UlcerBleeding<br />

N Engl J Med 2005;352:238-44<br />

6 Mehta S, Yusuf S, Peters R et al. Effects of pre-treatment with clopidogrel and aspirine followed by long-termtherapy<br />

undergoing percutaneous intervention: the PCI-CURE study. Lancet 2001; 358: 527–33<br />

7 The Clopidogrel in unstable angina to prevent recurrent events trial investigators. CURE Effects of Clopidogrel<br />

in addition to aspirin in patients with acute coronary syndromes without ST-segment elevation N Engl J Med<br />

2001;345:494-502


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 9<br />

8 Diener HC, Bogousslavsky J, Brass L et al. Aspirin and clopidogrel compared with clopidogrel alone after<br />

recent ischaemic stroke or transient ischaemic attack in high-risk patients (MATCH): randomised, double-blind,<br />

placebo-controlled trial. Lancet 2004; 364: 331–37<br />

9 Bhatt D, Fox K, Hacke W et al. The CHARISMA investigators. Clopidogrel and Aspirin versus Aspirin Alone for<br />

the Prevention of Atherothrombotic Events N Engl J Med 2006;354:1706-17<br />

10 The ACTIVE Writing Group on behalf of the ACTIVE Investigators Clopidogrel plus aspirin versus oral anticoagulation<br />

for atrial fibrillation in the Atrial fibrillation Clopidogrel Trial with Irbesartan for prevention of Vascular<br />

Events (ACTIVE W): a randomised controlled trial. Lancet 2006; 367: 1903–12<br />

11 The ACTIVE Investigators Effect of Clopidogrel Added to Aspirin in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med<br />

2009; 360:2066-2078<br />

12 siehe CURE-Studie<br />

13 siehe CURE-Studie<br />

14 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Prasugrel plus ASS bei akutem Koronarsyndrom.<br />

Abschlussbericht A04-01B Version 1.0 vom 21.08.2009<br />

15 Park SJ, Park DW, Kim YH et al. Duration of Dual Antiplatelet Therapy after Implantation of Drug-Eluting Stents<br />

ZEST/REAL-LATE New Engl J Med 2010;362:1374-82<br />

16 Valgimigli M, Campo G, Monti M et al. Short- Versus Long-Term Duration of Dual-Antiplatelet Therapy After<br />

Coronary Stenting. PRODIGY-Trial. Circulation. 2012;125:2015-2026<br />

17 Price MJ, Berger PB, Teirstein PS et al.for the GRAVITAS Investigators: Standard- vs high-dose clopidogrel based<br />

on platelet function testing after percutaneous coronary intervention. JAMA 2011; 305:1097-105.<br />

18 Wiviott S, Braunwald E, Mc Cabe C et al. Prasugrel versus Clopidogrel in patients with acute coronary syndrome.<br />

TRITON-TIMI-38-study. N Engl J Med 2007;357:2001-15<br />

19 Siehe Nachdruck aus a-t 2009; 40 (Nr. 4): 34- 36 in KVH-aktuell 2/2010 S. 6-11 und Langheinrich W in KVH<br />

aktuell 2/2011 S. 25-26<br />

20 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Prasugrel bei akutem Koronarsyndrom.<br />

Abschlussbericht A09-02 Version 1.0 vom 11.7.2011; https://www.iqwig.de/download/A09-02_Kurzfassung_Abschlussbericht_Prasugrel_bei_akutem_Koronarsyndrom.pdf<br />

21 Wallentin L, Becker R, Budaj A et al. PLATO. Ticagrelor versus Clopidogrel in patients with acute coronary<br />

syndrome. NEJM 2009;361:1045-57<br />

22 siehe Blitz-Arzneitelegramm zu den Preisverhandlungen vom 2.7.2012<br />

<br />

Bitte beachten Sie zu diesem Thema auch unseren Beitrag auf Seite 16<br />

Zusammenfassende Übersicht<br />

Clopidogrel 75 mg (Loading-dose 300-600 mg)<br />

Monotherapie bei<br />

symptomatischer pAVK


Seite 10 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Für Sie<br />

gelesen<br />

Gerinnungshemmung: Update 2012<br />

Teil 2<br />

Dr. med. Alexander Liesenfeld und Dr. med. Anja Kessler-Thönes<br />

Die Gerinnungshemmung ist in der Praxis häufig, aber es häufen<br />

sich diesbezügliche Fragen auch außerhalb der Routinetherapie.<br />

Wir haben daher – nach den wichtigsten Empfehlungen der Fachgesellschaft<br />

AMERICAN COLLEGE OF CHEST PHYSICIANS (ACCP) im<br />

letzten Heft – einige weitere Empfehlungen zusammengestellt.<br />

Die im Text verwendeten Abkürzungen sind im Kasten auf Seite<br />

14 erklärt.<br />

Eingriff geplant: Kumarin absetzen?<br />

Bei allen Empfehlungen sollte hausärztlicherseits für jeden einzelnen Patienten<br />

das Risiko einer venösen Thromboembolie (VTE) dem Risiko der Blutungsgefahr<br />

gegenüber gestellt werden. Die Tabelle 1 zeigt die Risiken häufiger<br />

Interventionen [1].<br />

Ein Anliegen der Autoren ist es, Patienten mit hohem Thromboembolie-Risiko<br />

und relativ niedrigem Blutungsrisiko nicht durch Absetzen der VKA oder Bridging<br />

zu gefährden. Die Tabelle 2 zeigt daher einige Empfehlungen, in welchen<br />

Tabelle 1: Blutungs- und thromboembolisches Risiko verschiedener Interventionen<br />

(aus Nagler et al. [1])<br />

Thromboembolische<br />

Komplikationen<br />

Hohes Risiko Mittleres Risiko Niedriges Risiko<br />

Intrakranielle Operationen<br />

Operationen am Spinalkanal<br />

Operationen an der Orbita /<br />

hinteren Augenkammer<br />

Grosse Tumoreingriffe<br />

Herzchirurgische Eingriffe<br />

Schilddrüsenchirurgie<br />

Leber- und Pankreasresektionen<br />

Übrige Operationen<br />

Koloskopie, insbesondere bei<br />

Biopsie und Polypektomie<br />

ERCP mit Papillotomie<br />

Biopsien parenchymatöser<br />

Organe<br />

Reihen-Zahnextraktion,<br />

operative Zahnentfernung,<br />

kieferchirurgische Eingriffe<br />

Transurethrale Eingriffe<br />

Blutungskomplikationen<br />

Ösophago-Gastro-Duodenoskopie<br />

Endosonographie<br />

Hautbiopsien<br />

Dentalhygiene, parodontale<br />

Eingriffe<br />

konservierende Eingriffe<br />

Kronen und Brücken, Prothesen<br />

Wurzelbehandlungen<br />

Extraktion einzelner Zähne<br />

Hohes Risiko Mittleres Risiko Niedriges Risiko<br />

Endoprothetik<br />

Hüftnahe Frakturen und<br />

Trümmerfrakturen<br />

Grosse Beckeneingriffe<br />

Tumorchirurgie<br />

Operationen obere Extremitäten<br />

und übrige Eingriffe<br />

untere Extremitäten<br />

Grosse Operationen (>30<br />

min) der Viszeralchirurgie,<br />

Urologie, Gynäkologie<br />

Operationen von Lunge, T<br />

horaxwand, Mediastinum<br />

Varizenoperation<br />

Gefässchirurgische Eingriffe<br />

Kleine Operationen (


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 11<br />

Fällen die orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten gestoppt werden<br />

muss und wann nicht.<br />

In unserem hausärztlichen Alltag geschieht es oft, dass ein Patient vom<br />

Facharzt oder aus der Klinik mit der Empfehlung in die Sprechstunde kommt,<br />

dass für eine spezielle Untersuchung oder Intervention das Kumarin abzusetzen<br />

sei. Diese Anordnung sollte immer hinterfragt werden. Oft haben wir<br />

dann die schwierige Aufgabe, sowohl den Patienten als auch den Facharzt zu informieren<br />

und zu überzeugen, dass durch das Absetzen des Vitamin-K-Antagonisten<br />

(VKA) der Patient gefährdet ist. Es ist besser bei speziellen Eingriffen das Kumarin<br />

weiter zu geben (niedriger therapeutischer Bereich des INRs), um die relativ höhere<br />

Gefahr einer VTE-Komplikation zu vermeiden [1].<br />

Tabelle 2: Umstellung von VKA in Abhängigkeit von der geplanten Intervention.<br />

(aus Nagler et al. [1])<br />

Fachgebiet Intervention Management<br />

Viszeralchirurgie Alle Eingriffe VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />

Urologie<br />

Gastroenterologie<br />

Transurethrale Eingriffe<br />

Zystoskopie<br />

Retrograde Pyelographie<br />

Prostatabiopsie<br />

Zystostomieeinlage<br />

Alle anderen Eingriffe<br />

Obere Endoskopie mit/ohne Biopsie<br />

Endosonographie<br />

Evtl. Koloskopie ohne Biopsie<br />

Koloskopie mit Biopsieentnahme<br />

Polypektomie<br />

Mukosaresektion<br />

Bougierung oder Ballondilatation<br />

Varizenligatur oder -sklerotherapie<br />

PEG-Einlage<br />

ERCP mit Papillotomie<br />

Leberbiopsie<br />

VKA nicht stoppen<br />

VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />

VKA nicht stoppen<br />

Biopsie-Entnahme Hautbiopsien VKA nicht stoppen<br />

Zahneingriffe<br />

Alle anderen Eingriffe<br />

Biopsien parenchymatöser Organe<br />

Dentalhygiene<br />

Paradontale Eingriffe<br />

Konservierende Eingriffe<br />

Kronen und Brücken<br />

Prothesen<br />

Wurzelbehandlungen<br />

Extraktion einzelner Zähne<br />

Reihen-Zahnextraktion<br />

Schwierige operative Zahnentfernung<br />

Grössere kieferchirurgische Eingriffe<br />

VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />

VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />

VKA nicht stoppen<br />

VKA stoppen und überbrücken mit NMH<br />

VKA stoppen und überbrücken mit NMH


Seite 12 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Wissenswertes zum Vorhofflimmern<br />

Das New England Journal of Medicine berichtet von einer internationalen Studie,<br />

in der das subklinische Vorhofflimmern auch ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle<br />

widerspiegelt [2]. Dabei wurden im Zusammenhang mit einer Implantation<br />

eines Herzschrittmachers oder eines Kardioverter-Defibrillators über den Zeitraum<br />

von 2,5 Jahren die Aufzeichnungen bei 2600 Patienten (>65 Jahre) analysiert. In 10%<br />

aller Auslesungen fielen subklinische Phasen von Vorhofflimmern auf, die bei den<br />

betroffenen Patienten mit einem zweifach erhöhten Risiko eines Apoplexes oder<br />

Tabelle 3: Risiko-Scores für Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern [4]<br />

CHADS 2 Risikofaktoren<br />

Herzinsuffizienz in der Anamnese 1<br />

Hypertonie 1<br />

Alter ≥75 Jahre 1<br />

Diabetes mellitus 1<br />

Schlaganfall, TIA oder andere Embolie in der Anamnese 2<br />

CHA 2 DS 2 VASc Risikofaktoren<br />

Herzinsuffizienz oder linksventrikuläre Dysfunktion 1<br />

Hypertonie 1<br />

Alter ≥75 Jahre 2<br />

Alter 65–74 Jahre 1<br />

Diabetes mellitus 1<br />

Schlaganfall oder TIA 2<br />

Gefäßerkrankung (Myokardinfarkt, Katheterintervention oder koronarer Bypass in der Anamnese,<br />

periphere Arteriostenose, Aorten-Plaques)<br />

Weibliches Geschlecht 1<br />

HAS-BLED Risikofaktoren<br />

Hypertonie (systolischer Druck >160 mm Hg) 1<br />

Nierenprobleme (Dialyse, Transplantation, Serumkreatinin ≥200 μmol/L [2·6 mg/dL]) 1<br />

Leberprobleme (chronische Lebererkrankung; Bilirubin >2x über Obergrenze; AST, ALT oder ALP > 3× über<br />

Obergrenze<br />

Schlaganfall in der Anamnese 1<br />

Blutung in der Anamnese 1<br />

Labile INR-Einstellung 1<br />

Alter über 65 1<br />

Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern, NSAID oder anderen Entzündungshemmern 1<br />

Medikamente (ASS, Clopidogrel o.ä.) 1<br />

Alkoholabusus 1<br />

Punkte<br />

Punkte<br />

1<br />

Punkte<br />

Die Tabelle zeigt drei verschiedene Scores zur Risikoeinschätzung. Die Punktzahlen der vorliegenden Risikofaktoren werden addiert, daraus<br />

ergibt sich das Gesamtrisiko. In der Praxis empfehlen wir, den seit 10 Jahren bekannten CHADS 2 Score zu verwenden. Bei Patienten mit einem<br />

Score ≥ 2 sollte eine Antikoagulation wie bisher erfolgen. Bestehen Bedenken hinsichtlich der Antikoagulation bei niedrigeren Werten (0 oder 1)<br />

dient der erweiterte CHA 2DS 2VASc-Score der Differenzierung. Dieser neue Score gewichtet zusätzlich das Alter, das weibliche Geschlecht<br />

und vaskuläre Erkrankungen. Kritisch zu bemerken ist an dieser Stelle, dass dies im Alltag eine Verdopplung von antikoagulierten Patienten<br />

bedeuten würde. Das Arzneimitteltelegramm (at 9/2012, Seite 75) empfiehlt: „Wir halten den CHADS 2-Score weiter für ein einfaches und<br />

bewährtes Instrument, um Patienten mit klarer Indikation für orale Antikoagulanzien zu erkennen (Werte ≥ 2).“ Der HAS-BLED-Score hilft das<br />

Risiko einer Hirnblutung unter Antikoagulanzien abzuschätzen (siehe Beitrag).<br />

(AST=Aspartattransaminase; ALT=Alanintransaminase; ALP=Alkalische Phosphatase)<br />

1


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 13<br />

einer systemischen Embolisierung einhergingen. Die Empfehlungen sind in diesem<br />

Zusammenhang, ohne in Leitlinien verankert zu sein, dahingehend, dass asymptomatische<br />

Patienten mit einem hohen CHADS 2 -Score und gelegentlich (nachgewiesenen)<br />

auftretenden Phasen von Vorhofflimmern antikoaguliert werden sollten [2].<br />

Um das Risiko einer Hirnblutung unter Antikoagulantientherapie abzuschätzen,<br />

wurde 2010 von der European Society of Cardiology der HAS-BLED-Score herausgegeben.<br />

Dieser dient unter Addition von 9 Risikofaktoren der individuellen<br />

Kalkulation (siehe Tab. 3). Dieser Risikoscore sollte im hausärztlichen Alltag vor der<br />

Entscheidung, einem Patienten VKA zu geben, berücksichtigt werden.<br />

In einer retrospektiven schwedischen Studie zeigte sich, dass Frauen mit Vorhofflimmern<br />

ein größeres Risiko für einen Schlaganfall besitzen als Männer. Daher<br />

sollte im Prozess der Entscheidungsfindung für eine Antikoagulantientherapie unbedingt<br />

das Geschlecht des Patienten berücksichtigt werden. Der CHA 2 DS 2 -VASc<br />

Score wird diesem Punkt gerecht und lässt zusätzlich auch das Alter und vaskuläre<br />

Erkrankungen in diesen erweiterten Score mit einfließen [3,4]. Beachten Sie hierzu<br />

bitte auch die Tabelle 3.<br />

Hinweis<br />

für die<br />

Praxis<br />

Wichtige<br />

Informationen<br />

zu den neuen<br />

Thrombin-Inhibitoren<br />

finden Sie in<br />

KVH aktuell 4/2011<br />

auf den<br />

Seiten 10 bis 18.<br />

Autoimmunerkrankung: Lungenembolie-Risiko steigt<br />

Das Gesamtrisiko innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung einer Autoimmunerkrankung<br />

an einer Lungenembolie zu erkranken, liegt nach einer schwedischen<br />

Studie mit über 535.000 Teilnehmern und einem Beobachtungszeitraum<br />

von 44 Jahren bei 6.38 OR (!) [6] . Dabei sind Patienten mit einer ITP (idiopathisch<br />

thrombopenische Purpura), einer Polyarteritis nodosa, einer Polymyositis oder<br />

Dermatomyositis und auch eines systemischen Lupus erythematodes besonders<br />

gefährdet. Das Gesamtrisiko fällt im weiteren Verlauf in den ersten 5 Jahren auf<br />

1.53 und nach fünf bis zehn Jahren auf 1,15, nach zehn Jahren auf 1,04.<br />

Fazit: Im ersten Jahr nach einer stationären Behandlung wegen einer Autoimmunerkrankung,<br />

besteht ein hohes Risiko, eine Lungenembolie zu erleiden.<br />

Geschwollenes Bein:<br />

Ist es eine Venenthrombose?<br />

Klassische Situation: Freitag 14 Uhr. Der Laborfahrer<br />

hat gerade die Blutröhrchen abgeholt,<br />

ein Facharzt ist nicht mehr erreichbar. Eine<br />

junge Patientin kommt in die Praxis mit einer<br />

Schwellung des gesamten Unterschenkels nach<br />

Distorsion im Sprunggelenk vor 4 Tagen. Wie<br />

geht man vor? Hier empfehlen wir den Wells-<br />

Score.<br />

Entsprechend den aktuellen interdisziplinären<br />

S2-Leitlinien für Venenthrombose und Lungenembolie<br />

[5] kann mit dem Wells-Score die<br />

Wahrscheinlichkeit einer Beinvenenthrombose<br />

berechnet werden (Tabelle 4). Zwei und mehr<br />

Punkte sprechen für eine tiefe Beinvenenthrombose<br />

und erfordern eine weitere Abklärung.<br />

Tabelle 4: Der Wells-Score hilft bei der<br />

Diagnose einer tiefen Beinvenenthrombose<br />

Symptome<br />

Punkte<br />

Aktive Krebserkrankung 1<br />

Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine 1<br />

Bettruhe (>3 Tage); große Chirurgie (3 cm gegenüber Gegenseite 1<br />

Eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein 1<br />

Kollateralvenen 1<br />

Frühere, dokumentierte tiefe Venenthrombose 1<br />

Alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich<br />

wie tiefe Venenthrombose<br />

-2<br />

ASS und Test auf okkultes Blut im Stuhl<br />

In einer deutschen Studie zeichnete sich ab, dass es unter der Einnahme von ASS<br />

zu einer Sensitivitätssteigerung der Testergebnisse (immunologischer Stuhltest auf<br />

okkultes Blut) hinsichtlich Darmkrebses kam. Unter ASS-Einnahme kam es


Seite 14 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

zudem nicht wie befürchtet zu einer Steigerung der falsch-positiven Befunde [9].<br />

Fazit für die Praxis: ASS muss während des Tests auf okkultes Blut nicht<br />

abgesetzt werden!<br />

Weitere Empfehlungen des American College<br />

of Chest Physicians [7,8]<br />

1. Kritisch kranke Patienten:<br />

Für kritisch kranke Patienten wird die Gabe von niedermolekularem Heparin (LWMH)<br />

oder unfraktioniertem Heparin (UFH) als Thromboseprophylaxe empfohlen, nicht<br />

aber die routinemäßige Ultraschalluntersuchung der Beinvenen zum Ausschluss<br />

einer Thrombose (Evidenzgrad 2C – die Bedeutung der Evidenzgrade wurde im<br />

ersten Teil des Beitrags in Heft 3/2012 erläutert).<br />

2. Patienten mit soliden Tumoren:<br />

Patienten mit soliden Tumoren und zusätzlichen Risikofaktoren für eine venöse<br />

Thromboembolie (VTE) wird die Gabe von LWMH oder UFH empfohlen. Zusätzliche<br />

Risikofaktoren sind: VTE in der Anamnese, kurz zurückliegende Operation oder<br />

Trauma, aktives Malignom, Schwangerschaft, Östrogeneinnahme, fortgeschrittenes<br />

Alter, eingeschränkte Beweglichkeit, schweres Übergewicht oder bekannte<br />

Thrombophilie (Grad 2B).<br />

3. Hochrisiko-Patienten mit maligner Erkrankung:<br />

Für Hochrisiko-Patienten, die im Bereich des Abdomens am Tumor operiert werden<br />

und zusätzlich eine maligne Erkrankung in diesem Bereich haben, ohne erhöhtes<br />

Blutungsrisiko, wird die Gabe von niedermolekularem Heparin oder unfraktioniertem<br />

Heparin für die Dauer von vier Wochen und nicht kürzer empfohlen (Grad 1B).<br />

4. Allgemeinchirurgische Patienten:<br />

Patienten, die abdominell operiert werden und ein hohes Risiko für eine VTE bei<br />

gleichzeitig geringer Blutungsgefahr haben, sollten bei Kontraindikation für niedermolekulares<br />

(LMWH) oder unfraktioniertes Heparin (UFH) niedrig dosiert ASS<br />

erhalten (Grad 2C). Beachten Sie bitte hierzu auch den Beitrag aus KVH aktuell Nr. 3<br />

vom August 2012: ASS kann nach Antikoagulation vor Thromboembolie-Rezidiven<br />

schützen.<br />

5. Thoraxchirurgische Patienten:<br />

Thoraxchirurgischen Patienten mit hohem Risiko für eine VTE und ohne erhöhtes<br />

Blutungsrisiko sollten neben LMWH oder UFH (Grad 1B) auch eine Thromboseprophylaxe<br />

mit elastischen Kompressionsstrümpfen bekommen (Grad 2C).<br />

Interessenkonflikte: keine<br />

Die Abkürzungen:<br />

ACS = Akutes Coronar-Syndrom<br />

LMWH = Niedermolekulares Heparin<br />

NSAR = Nichtsteroidale Antirheumatika<br />

OR = Odds-Ratio<br />

PTT = Partielle Thrombopastinzeit<br />

UFH = Unfraktioniertes Heparin<br />

VKA = Vitamin-K-Antagonisten (Kumarine); hierzulande wird im Gegensatz zu den USA meist Phenproucoumon<br />

(Marcumar) und weniger Warfarin (Coumadin) verwendet.<br />

VKA-Patienten = Patienten, die ein Kumarin erhalten<br />

VTE = venöse Thromboembolie


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 15<br />

Für weitergehend Interessierte hier der Link zur Zusammenfassung der Originalarbeit:<br />

http://chestjournal.chestpubs.org/content/141/2_suppl/7S.full.html<br />

Literatur:<br />

1 Nagler M. et al.: Periinterventionelles Management der Antikoagulation und Antiaggregation: Schweiz Med<br />

Forum 2011;11(23–24):407–412<br />

2 Healey J S, Conolly S J, et al.: Subclinical atrial fibrillation and the risk of stroke. N Engl J Med 2012; Vol 366,<br />

Pages 120-129<br />

3 Friberg L, et al.: Assessment of female sex as a risk factor in atrial fibrillation in Sweden: Nationwide retrospective<br />

cohort study. BMJ 2012; 344:e3522<br />

4 The Lancet, Early Online Publication, 2 October 2012; doi:10.1016/S0140-6736(12)60986-6<br />

5 Bein- und Beckenvenenthrombose (TVT) Interdisziplinäre S2 – Leitlinie: Venenthrombose und Lungenembolie<br />

VASA 2005; 34:Suppl. 66 5-13<br />

6 Zöller B, Xinjun L, et al.: Risk of pulmonary embolism in patients with autoimmune disorders: a nationwide<br />

follow-up study from Sweden. The Lancet 2012; Volume 379, Issue 9812, Pages 244 – 249<br />

7 Gyatt GH et al: Executive Summary : Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th Edition:<br />

American College of Chest Physicians (ACCP) Evidance-Based Clinical Practice Guidelines Guidelines<br />

8 Holbrook A, Schulman S, Witt DM, et al. Evidence-based management of anticoagulant therapy: antithrombotic<br />

therapy and prevention of thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians evidence-based clinical<br />

practice guidelines. Chest. 2012;141(2)(suppl):e152S-e184S.<br />

9: Brenner H et al.: Low-Dose Aspirin Use and Performance of Immunochemical Fecal Occult Blood Tests: JAMA.<br />

2010; 304(22):2513-2520<br />

Im Internet findet man einige nützliche Instrumente zur Beurteilung des Thromboserisikos. Ein Risikorechner<br />

ist beispielsweise unter www.qthrombosis.org zu finden.<br />

Kalkulatoren, mit denen man die Wahrscheinlichkeit einer tiefen Beinvenenthrombose errechnet<br />

werden kann, findet man oft auf den Seiten von Laborpraxen; hier nur ein Beispiel:<br />

www.labor-enders.de/331.html.<br />

Omega-3-Fettsäuren:<br />

Sinnlos oder sinnvoll?<br />

Studien<br />

kritisch<br />

durchleuchtet<br />

Dr. med. Christian Albrecht<br />

Die ORIGIN-Studie [1] suggeriert wie schon andere Metaanalysen [2], dass Omega-<br />

3-Fettsäuren in der Lipidtherapie und Sekundärprävention der Arteriosklerose keinen<br />

evidenzbasierten Nutzen gegenüber Placebo haben. Es wäre aber falsch, deshalb<br />

der Omega-3-FS-Gabe (1 g/die) jedweden Nutzen für alle Herzpatienten abzusprechen:<br />

Es gibt eine besondere Gruppe, für die eine große (über 11.000 Patienten)<br />

randomisierte Studie [3] einen klaren Nutzen dieser Therapie belegen konnte: die<br />

Patienten, die einen frischen Herzinfarkt hatten. Für diese Herzinfarktpatienten<br />

konnte ein deutlicher 1-Jahres-Überlebensvorteil nachgewiesen werden, wenn sie<br />

1 g/die Omega-3-Fettsäuren nahmen (Evidenzgrad Ib).<br />

Wenn nun im Nachgang nach einer solchen Meilenstein-Studie immer wieder neue<br />

Studien veröffentlicht werden, die die Ineffektivität von Omega-3-FS „belegen“<br />

sollen, dann „gelingt“ dies nur, wenn man ausblendet, dass in diesen nachgereichten<br />

Studien ganz andere Patientenkollektive untersucht wurden – nämlich KEINE<br />

Patienten mit frischem Herzinfarkt: Man vergleicht sozusagen Äpfel mit Birnen. Mit<br />

anderen Worten: Es gibt KEINE Studie, die bei frischen Herzinfarktpatienten die<br />

Ergebnisse von GISSI widerlegt hat.<br />

Pathophysiologisch geht man davon aus, dass die Omega 3-FS einen Membran- und<br />

Herzrhythmus-stabilisierenden Effekt an der infarzierten Herzmuskelzelle haben,<br />

weil gerade der plötzlich Rhythmustod in der Studie drastisch reduziert wurde.


Seite 16 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Einen Vorteil in Bezug auf das Fortschreiten der Arteriosklerose insgesamt durch<br />

Modulation der Lipide hat GISSI zu keinem Zeitpunkt für die Patienten reklamiert<br />

und der konnte folgerichtig auch nie nachgewiesen werden, wie die jetzige ORIGIN-<br />

Studie wieder einmal zeigt [4].<br />

Möglicherweise ist das informative Wechselbad, dem Ärzte und Patienten in Sachen<br />

Omega-3-FS ausgesetzt sind, aber auch durch die Marketingstrategien der produzierenden<br />

Firmen mitverursacht: Vielleicht wollte man ja die Verkaufszahlen durch<br />

eine möglichst weite Indikationsstellung positiv beeinflussen und übersah dabei<br />

das Wesentliche: Zunächst danach zu schauen und ERST DANN anzupreisen, was<br />

Omega-3-FS können (Reduktion des plötzlichen Herztodes nach akutem Infarkt)<br />

und was nicht (günstige Beeinflussung des Lipidstatus und damit des Verlaufes<br />

arteriosklerotischer Erkrankungen allgemein).<br />

Interessenkonflikte: keine<br />

Literatur:<br />

1 N Engl J Med 2012; 367:319-328; DOI: 10.1056/NEJMoa1203859<br />

2 Kwak SM: Arch Intern Med 2012 April 9 (in press)<br />

3 GISSI: Lancet 1999; 354:447-55<br />

4 The ORIGIN Trial Investigators: N Engl J Med 2012; 367:319-328. DOI: 10.1056/NEJMoa1203858.<br />

Kurze<br />

Meldung<br />

Qualitätsinstitut untersucht Plättchenhemmung<br />

bei der Sekundärprophylaxe vaskulärer Erkrankungen<br />

Clopidogrel nicht viel besser als ASS<br />

Das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) hat<br />

anhand der vorliegenden Studien untersucht, ob das (teure) Clopidogrel besser ist<br />

als das preiswerte ASS. Hier das Fazit:<br />

„Die Langzeittherapie mit Clopidogrel (Monotherapie) hat im Vergleich zu einer<br />

Behandlung mit ASS bei Patienten mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit<br />

einen Zusatznutzen in Bezug auf die Reduktion des Risikos für vaskuläre/thromboembolische<br />

Ereignisse. Für eine Reduktion der Gesamtsterblichkeit liegt<br />

ein solcher Nachweis nicht vor. Für Patienten mit zerebrovaskulärer Erkrankung und<br />

Patienten mit koronarer Herzkrankheit (jeweils ohne gleichzeitiges Vorliegen einer<br />

symptomatischen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit), ist ein Zusatznutzen von<br />

Clopidogrel nicht nachgewiesen. Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass diese Aussagen<br />

für bestimmte Patientengruppen mit einem höheren Risiko für thromboembolische<br />

Ereignisse wie z.B. Patienten mit Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus oder Manifestation<br />

der Atherosklerose in mehr als einer Gefäßregion, anders zu werten sind.<br />

Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass bei Patienten, die unter einer Behandlung<br />

mit ASS eine Blutungskomplikation erlitten haben, eine Umstellung der Behandlung<br />

auf Clopidogrel zu einem patientenrelevanten Zusatznutzen führt. Bei Patienten mit<br />

vorausgegangener gastrointestinaler Blutung unter ASS liegen Hinweise dafür vor,<br />

dass die Behandlung mit niedrig dosiertem ASS bei zusätzlicher Gabe eines Protonenpumpenhemmers<br />

(Esomeprazol) einen höheren patientenrelevanten Nutzen hat<br />

als die Umstellung der Behandlung von ASS auf Clopidogrel.<br />

Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass bei Patienten, die unter einer Behandlung<br />

mit ASS ein vaskuläres Ereignis erleiden, eine Umstellung der Behandlung auf Clopidogrel<br />

zu einem patientenrelevanten Zusatznutzen führt.“<br />

Die ausführliche Beschreibung der Untersuchung und ihrer Ergebnisse finden Sie<br />

unter www.iqwig.de.<br />

red<br />

Bitte beachten Sie zu diesem Thema auch unseren Beitrag auf Seite 4.


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 17<br />

Mehr Verordnungen von<br />

Psychopharmaka für Frauen<br />

Was bedeuten die Daten aus dem Arzneimittelreport 2012?<br />

Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />

Für Sie<br />

gelesen<br />

Derzeit rauscht es mal wieder im Blätterwald: Nachdem Ende Juni 2012 die Barmer/<br />

GEK zum dritten Mal ihren Arzneimittelreport in der Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse<br />

auf der Basis der Daten aus dem Jahr 2011 ihrer fast 9,1 Millionen<br />

Versicherten veröffentlichte [1], werden die Ergebnisse von Krankenkassen und<br />

Ärzten unterschiedlich interpretiert.<br />

Die von der Arbeitsgruppe Arzneimittelversorgungsforschung im Zentrum für<br />

Sozialpolitik der Universität Bremen unter der Federführung von Prof. Dr. Gerd Glaeske<br />

dargestellten, je nach Geschlecht unterschiedlichen Verordnungshäufigkeiten<br />

führten mitunter zu polemischen und wenig differenziert betrachteten Überschriften:<br />

„Frauen erhalten häufiger Antidepressiva“ (aerzteblatt.de / POLITIK 26. Juni<br />

2012), „Barmer-GEK-Arzneimittelreport: Frauen erhalten häufiger Antidepressiva“<br />

(aerzteblatt.de / AKTUELL pp.11, Ausgabe Juli 2012, S 294), „Ärzte kritisieren Diskriminierung<br />

psychisch Kranker im Arzneimittelreport“ (aerzteblatt.de / ÄRZTESCHAFT<br />

05. Juli 2012), „Arzneimittelreport: Zu viele Psychopharmaka“ (Deutsches Ärzteblatt<br />

vom 09. Juli 2012), „Warum Frauen depressiv werden – und Männer nicht wirklich<br />

daran Schuld sind“ (Psychologie heute, September 2012 [2]).<br />

Zwar wurden auch Verbesserungen in der Therapie gesehen: so wurden die suchtmachenden<br />

Benzodiazepine 2011 weniger verordnet und statt dessen für Frauen<br />

gegenüber Männern vermehrt tri- und tetrazyklische Antidepressiva aber auch<br />

noch Hypnotika und Tranquilizer verordnet. Hier setzt die Kritik von Glaeske ein:<br />

„Arzneimittel sind oft die schnelle Lösung in der Praxis, aber man sollte genau<br />

überlegen, ob damit nicht auf Dauer mehr Schaden als Nutzen verbunden ist“<br />

und weiter werden von ihm weniger riskante pflanzliche Arzneimittel empfohlen,<br />

und gefordert, zunächst nur die Verwendung von Kleinpackungen und erst bei<br />

chronischen Fällen Grosspackungen anzuwenden. Und weiter: „Im Vergleich zu<br />

Männern“… sei bei Frauen festzustellen, „dass Tranquilizer, Antidepressiva und<br />

Schlafmittel ohne erkennbare therapeutische Indikation in einer Menge verordnet<br />

werden, die auf Dauer zu erheblichen unerwünschten Wirkungen führen kann“.<br />

Er beklagt Absetzprobleme bei langdauernder Antidepressiva-Behandlung, „die<br />

Betroffenen mögen oder können ihre Alltagsbelastung nicht mehr aushalten“ und<br />

beklagt ein erhöhtes Risiko, „auch bei Missbefindlichkeiten im Alltag Arzneimittel<br />

verordnet zu bekommen“.<br />

Hier widerspricht vehement der Präsident der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für<br />

Psychotherapie und Nervenheilkunde) Prof. Dr. Peter Falkai in einer gemeinsamen<br />

Stellungnahme mit dem Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) und dem<br />

Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP) den Schlussfolgerungen Glaeskes: „Bei<br />

Frauen treten Depressionen und Angststörungen weit häufiger auf als bei Männern,<br />

ebenso ist die Bereitschaft, sich mit psychischen Störungen in ärztliche Behandlung<br />

zu begeben, höher“ [3].<br />

Er beklagt die „wie in den vergangenen Jahren verbreiteten … Vorurteile, die<br />

der Stigmatisierung psychischer Störungen weiter Vorschub leisten und diesen den<br />

Status von ‚Missbefindlichkeit‘ einräumen.“<br />

Er berichtet, dass die aktuelle Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland<br />

(DEGS) des Robert-Koch-Instituts [4] zeigte, dass nahezu jeder vierte männliche und<br />

jede dritte weibliche Erwachsene im Erhebungsjahr unter voll ausgeprägten psychischen<br />

Störungen gelitten haben, am häufigsten unter Angst- und depressiven


Seite 18 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Störungen, gefolgt von Substanz- und somatoformen Störungen. Falkai fand im<br />

Barmer/GEK Arzneimittelreport keinerlei Hinweise für eine Überversorgung mit<br />

Psychopharmaka. Unter den 20 am häufigsten verordneten Präparaten fand sich<br />

nur ein einziges Psychopharmakon, unter den 20 umsatzstärksten Medikamenten<br />

fand sich lediglich eins, mit dem auch Angststörungen behandelt werden sowie<br />

zwei Medikamente zur Schizophreniebehandlung.<br />

Er stellt dar, dass grosse Aufklärungsbemühungen der vergangenen Jahre dazu<br />

geführt haben, wodurch vermehrt von betroffenen Patienten auch ärztliche Hilfe<br />

in Anspruch genommen wird und dass dadurch besonders bei den vielen chronischen<br />

psychischen Störungen, die mitunter auch eine Dauertherapie erforderlich<br />

machen können, somit den betroffenen Patienten ein selbstbestimmtes Leben mit<br />

verbesserter Lebensqualität erst ermöglicht wird.<br />

Durch Psychopharmakotherapie ausgelöste UAW einschliesslich Fehlgebrauch (z.B.<br />

willkürliche Dosierungsänderungen) und Beigebrauch (z.B. Alkohol, Analeptika<br />

usw.) können vorkommen, sie müssen erkannt und beseitigt werden und kommen<br />

ebenfalls bei der Therapie der grossen Volkskrankheiten (Diabetes, Hypertonie usw)<br />

vor. Insbesondere gilt es bei der Therapie mit Tranquilizern und Hypnotika, rechtzeitig<br />

Abhängigkeiten zu erkennen und zu vermeiden. Da der Report der Krankenkasse<br />

aber zeigt, dass diese beiden Stoffklassen meistens nur kurzfristig verordnet wurden<br />

und langdauernde Verordnungen die absolute Ausnahme waren, scheint mit den<br />

mitunter polemischen Vorwürfen an die Ärzteschaft eher ein gängiges Klischee<br />

der Diskriminierung der medikamentösen Psychotherapie (besonders bei Frauen)<br />

bedient worden zu sein, als dass die Durchführung einer sachgerechten Therapie<br />

von psychischen Störungen anzuzweifeln ist.<br />

Es ist ein Fakt, dass Frauen weit häufiger an Angststörungen und Depressionen<br />

leiden [2,3,4] und dass sie sich auch häufiger deswegen in ärztliche Behandlung<br />

begeben, während Männer fünfmal häufiger Missbrauch und Abhängigkeit von<br />

Alkohol zeigen. Das erklärt die erhöhte Zahl von Psychopharmaka-Verschreibungen<br />

bei Frauen.<br />

Im Übrigen erfolgt eine psychopharmakologische Behandlung leitlinienkonform,<br />

z.B. anhand der S3-Leitlinie Depressionen (DGPPN 2010), S3-Leitlinie Angststörungen<br />

(Dengler, Selbmann 2000). Nach dem World Health Report 2001 werden 50%<br />

aller Depressionen trotz aller Bemühungen um eine leitliniengerechte Psychomedikation<br />

überhaupt nicht behandelt.<br />

Bedeutung<br />

für<br />

unsere<br />

Praxis<br />

Bei Tri- und Tetrazyklika auf individuelle kardiovaskuläre Risiken achten<br />

Antidepressiva sollten besonders bei Frauen nach sachgerechter Diagnostik<br />

indikationsgerecht verordnet werden und auf ihre Risiken hin wohlüberlegt<br />

verschrieben werden (Suizidalität, UAW-Möglichkeiten, eventuelle Interaktionen<br />

mit anderen Stoffen, Missbrauchgefahr durch Suchtkranke usw.).<br />

Die Behandlung mit Tri- oder Tetrazyklika sollte im Lichte neuerer Ergebnisse<br />

besonders im Hinblick auf kardiovaskuläre Risiken individuell realistisch eingeschätzt<br />

werden. Derzeit werden diese Risiken je nach den Befunden des Einzelfalls<br />

auch für Ältere deutlich als weniger gravierend bewertet [5].<br />

Tranquilizer sollten wegen ihres Abhängigkeitspotentials weiterhin möglichst<br />

restriktiv und nur für eine kurze Zeitdauer verordnet werden.<br />

Es ist wichtig, die erwünschte therapeutische Wirkung ausreichend lange und<br />

aufmerksam zu überprüfen und angstauslösende Fremdeinflüsse zu erkennen<br />

und zu lindern, Beigebrauch (z.B. Alkohol, Koffein u.a.) bei der Therapie zu<br />

reduzieren und die Therapiedauer wenn erforderlich auch lange anhaltend zu<br />

planen und fortzuführen.<br />

Dabei sollte in der Regel eine begleitende empathische, möglichst fachkun-


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 19<br />

dige verbale unterstützende Therapie durchgeführt werden.<br />

Bei Männern gilt das Gleiche. Da Männer jedoch weniger spontan psychische<br />

Beschwerden dem Arzt gegenüber äußern, muss hier oftmals nachgefragt werden,<br />

um psychische Probleme aufzudecken. Bei Männern werden Missbrauch<br />

und Abhängigkeit im Umgang mit Alkohol vermehrt verdrängt. Das sollte auch<br />

im Zusammenhang mit der Psychopharmakotherapie bedacht werden.<br />

Interessenkonflikte: keine<br />

Literatur:<br />

1 Glaeske G, Schicktanz C: BARMER GEK Arzneimittelreport 2012, Juni 2012 in der Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse,<br />

Band 14, ISBN 978-3-943-74479-8, Asgard Verlagsservice GmbH, Schützenstrasse 4, 53721<br />

Siegburg; 223 S.<br />

2 Nuber U: Warum Frauen depressiv werden – und Männer nicht wirklich daran schuld sind. (in Psychologie,<br />

heute Sept.2012;9:38-43), Auszug aus: Ursula Nuber: Wer bin ich ohne dich? Warum Frauen depressiv werden<br />

– und wie sie zu sich selbst finden. Campus-Verlag Frankfurt am Main. August 2012, Gebunden, ca 249 Seiten<br />

19,99 €, ISBN 978-3-593-39555-5<br />

3 Stellungnahme Nr. 12 / 04.07.2012 der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde (DGPPN),<br />

des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP).<br />

http//www.dgppn.de/helpermenu/impressum.html oder über die Geschäftsstelle der DGPPN: Reinhardtstrasse<br />

27 B, 10117 Berlin, segretariat@dgppn.de<br />

4 Kurth BM: Erste Ergebnisse der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS). Bundesgesundheitsbl<br />

2012 DOI 10.1007/s00103-011-1504-5 Springer-Verlag 2012<br />

5 Ehrenthal K: Gibt es Qualitätsunterschiede moderner Antidepressiva ? KVH aktuell Pharmakotherapie 2012;<br />

17(1): 8-10<br />

Leiden Männer<br />

wirklich seltener<br />

an psychischen<br />

Problemen oder<br />

reden sie bloß<br />

seltener darüber?<br />

Unkritische Anwendung von<br />

Fentanylpflastern erhöht das Risiko für<br />

schwerwiegende Nebenwirkungen<br />

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (www.akdae.de)<br />

Fentanylpflaster sind in Deutschland zum stark wirksamen Opioid der ersten Wahl<br />

geworden. Bei Verordnung und Umgang werden jedoch Empfehlungen für eine<br />

sichere Anwendung nicht immer beachtet: So werden Fentanylpflaster häufig bei<br />

opioidnaiven Patienten eingesetzt, und durch die Verordnung von zu hohen Dosierungen<br />

bei Therapiebeginn können vor allem ältere und multimorbide Patienten<br />

gefährdet werden. Trotz Kontraindikation werden Fentanylpflaster auch bei akuten<br />

Schmerzen verordnet, und nur bei einem Viertel der Patienten liegen Erkrankungen<br />

vor, die z. B. wegen Schluckstörungen eine transdermale Schmerzmittelgabe erforderlich<br />

machen. Dies zeigt eine Untersuchung von Krankenversicherungsdaten aus<br />

den Jahren 2004 bis 2006 [1].<br />

Der<br />

Gastbeitrag<br />

Nachdruck mit<br />

freundlicher<br />

Genehmigung<br />

von Redaktion<br />

und Verlag<br />

des Deutschen<br />

Ärzteblatts<br />

aus: Deutsches<br />

Ärzteblatt, Jg. 109,<br />

Heft 14. April 2012,<br />

S. A-724<br />

Informationen zur Indikation und Verordnung von Fentanylpflastern<br />

Indikation für Erwachsene: Chronische Schmerzen, die nur mit Opioidanalgetika<br />

ausreichend behandelt werden können und einer längeren, kontinuierlichen<br />

Behandlung bedürfen.<br />

Entwicklung der Verordnungen: Seit dem Jahr 2000 steigen die Verordnungen<br />

stark wirksamer Opioide. Der Anstieg ist bei Fentanylpflastern besonders ausgeprägt:<br />

Im Jahr 2010 wurden mehr als 40% der stark wirksamen Opioide in Form<br />

von Fentanylpflastern verordnet [2].


Seite 20 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Praxis-Tipp<br />

Viele Patienten<br />

haben schon<br />

vom Pflaster<br />

gehört und<br />

möchten gerne<br />

gleich mit dieser<br />

„sanften<br />

Methode“ behandelt<br />

werden.<br />

Aber Vorsicht:<br />

Opioid-Pflaster<br />

sind als erste<br />

Maßnahme bei<br />

Schmerzen problematischer<br />

als<br />

andere Applikationsformen!<br />

Bei richtiger Anwendung sind Fentanylpflaster wirksame und sichere Schmerzmittel.<br />

Die britische und die US-amerikanische Arzneimittelbehörde warnen jedoch<br />

vor schweren Intoxikationen aufgrund von Anwendungsproblemen: durch falsche<br />

Dosierung, unzweckmäßigen Einsatz oder auch Unglücksfälle wie das Verschlucken<br />

von Pflastern durch Kinder [3, 4]. Die FDA weist darauf hin, dass Fentanylpflaster<br />

entsprechend der US-Zulassung nur bei opioidtoleranten Patienten eingesetzt<br />

werden sollen. Als opioidtolerant gilt ein Patient, der über mindestens eine Woche<br />

60 mg Morphin pro Tag oder mehr eingenommen hat (oder die Äquivalenzdosis<br />

eines anderen Opioids). In der deutschen Fachinformation wird bei opioidnaiven<br />

Patienten empfohlen, zunächst niedrig dosierte unretardierte Opioide (z. B. Morphin,<br />

Hydromorphon oder Oxycodon) einzusetzen, die Dosis langsam bis zu einer<br />

äquianalgetischen Dosis von 25 μg/h Fentanyl zu steigern und erst dann auf ein<br />

Pflaster umzustellen.<br />

Im deutschen Spontanmeldesystem liegen Berichte zu Überdosierungen durch Fentanylpflaster<br />

mit zum Teil schwerwiegenden Folgen vor. Darüber hinaus wurden<br />

unerwünschte Reaktionen gemeldet, die auf eine Überdosierung hindeuten könnten,<br />

wie Bewusstseinsstörungen, Somnolenz oder Atemdepression. Die AkdÄ hat<br />

daher mehrfach Hinweise für eine sichere Anwendung zur Verfügung gestellt und<br />

sieht eine Indikation für Fentanylpflaster vor allem bei Patienten mit Dauerschmerzen<br />

(mittelgradig bis schwer) und stabilem und gleichmäßigem Opioidbedarf [5-7]. Besonders<br />

angezeigt sind sie bei Patienten, die keine oralen Schmerzmittel einnehmen<br />

können, zum Beispiel bei einem Passagehindernis im Gastrointestinaltrakt oder bei<br />

therapieresistentem Erbrechen [8].<br />

Studie zur Anwendung von Fentanylpflastern in Deutschland<br />

Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) hat die<br />

Verordnungspraxis bei Fentanylpflastern untersucht [1]. Anhand von Krankenkassendaten<br />

wurden unter 14 Mio. Versicherten aus ganz Deutschland etwa 35.000<br />

Patienten identifiziert, die im Untersuchungszeitraum von zwei Jahren erstmalig ein<br />

Fentanylpflaster verordnet bekamen. Es zeigte sich, dass 84,5% der Erstanwender<br />

opioidnaiv waren, also zuvor kein stark wirksames Opioid eingenommen hatten.<br />

Nur bei etwa einem Drittel dieser Erstanwender lag eine Tumorerkrankung vor.<br />

Überraschend waren auch folgende Ergebnisse:<br />

Bei mehr als 25% der opioidnaiven Erstanwender waren Fentanylpflaster das<br />

erste Analgetikum, das überhaupt ärztlich verordnet wurde. Allerdings konnte<br />

die vorhergehende Einnahme rezeptfreier Analgetika in dieser Studie nicht erfasst<br />

werden.<br />

Bei mehr als 70% der opioidnaiven Patienten wurde initial ein Fentanylpflaster<br />

verordnet mit einer Abgaberate von mehr als 12 μg/h (niedrigste verfügbare<br />

Dosierung).<br />

Bei 72,5% der Patienten, die erstmalig ein Fentanylpflaster anwendeten, gab<br />

es bei den Diagnosen keine Hinweise auf mögliche Probleme bei einer oralen<br />

Einnahme.<br />

Bei etwa der Hälfte der Patienten wurden Fentanylpflaster nur ein einziges Mal<br />

verordnet.<br />

Fentanylpflaster werden nach dieser Studie somit oft als Analgetikum der ersten<br />

Wahl eingesetzt, obwohl andere Mittel eventuell besser geeignet wären. Der<br />

hohe Anteil von einmaligen Verordnungen spricht zudem dafür, dass sie – trotz<br />

Kontraindikation – auch bei akuten Schmerzen angewendet werden. Die zum<br />

Teil hohen Dosierungen, die bei opioidnaiven Patienten eingesetzt werden,


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 21<br />

gehen zudem mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

einher. Die AkdÄ möchte daher an folgende Empfehlungen erinnern.<br />

Hinweise der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft<br />

(AkdÄ) zur Anwendung von Fentanylpflastern<br />

Stark wirksame Opioide sind indiziert, wenn Nichtopioidanalgetika, schwach<br />

wirkende Opioide oder deren Kombination nicht ausreichend wirksam sind<br />

(WHO-Stufenschema). Vor Anwendung eines Fentanylpflasters sollte geprüft<br />

werden, ob ein stark wirksames Opioid oder eher eine andere analgetische<br />

Therapie indiziert ist.<br />

Fentanylpflaster eignen sich vor allem für Patienten mit chronischen Schmerzen<br />

und stabilem Opioidbedarf, die ein orales Opioid nicht einnehmen können.<br />

Fentanylpflaster bilden ein Wirkstoffdepot in den oberen Hautschichten. Die<br />

Wirkung tritt erst mit einer Latenz von 12 bis 24 Stunden ein, daher ist die<br />

Verabreichung bei akuten Schmerzen nicht sinnvoll.<br />

Empfehlungen zur Ersteinstellung opioidnaiver Patienten mit einem Fentanylpflaster<br />

findet man in der Fachinformation (siehe oben).<br />

Wärmeeinwirkung (zum Beispiel Sonnenbestrahlung, Sauna, heißes Duschen)<br />

kann die Wirkstoffaufnahme verstärken und zur Überdosierung führen.<br />

Patienten sollten über Zeichen einer Überdosierung aufgeklärt werden: langsame<br />

oder flache Atmung, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Schwierigkeiten beim Denken,<br />

Sprechen oder Laufen.<br />

Patienten mit Intoxikationen sollten mindestens 24 Stunden überwacht werden,<br />

da nach Abziehen des Pflasters noch mehrere Stunden Wirkstoff aus dem Depot<br />

freigesetzt wird.<br />

Fentanylpflaster müssen sicher aufbewahrt und entsorgt werden, sie dürfen<br />

nicht in die Hände von Kindern gelangen.<br />

Da Fentanyl hauptsächlich über das Zytochrom-P450-(CYP)3A4 metabolisiert<br />

wird, kann die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Inhibitoren zur Plasmaspiegelerhöhung<br />

führen und wird nicht empfohlen (z. B. Ritonavir, Itraconazol,<br />

Fluconazol, Clarithromycin, Verapamil, Diltiazem, Amiodaron).<br />

Bei akuten<br />

Schmerzen sind<br />

Pflaster sinnlos<br />

Literatur:<br />

1 Garbe E, Jobski K, Schmid U: Utilisation of transdermal fentanyl in Germany from 2004 to 2006. Pharmacoepidemiol<br />

Drug Saf 2012; 21: 191–8<br />

2 Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2011. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2011<br />

3 Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, Commission on Human Medicines: Fentanyl patches:<br />

serious and fatal overdose from dosing errors, accidental exposure, and inappropriate use. Drug Safety Update<br />

2008; 2(2): 2–3<br />

4 FDA: Public Health Advisory: Important information for the safe use of fentanyl transdermal system:<br />

www.fda.gov/ 21. Dezember 2007. Internetquelle zuletzt geprüft: 3. Januar 2012<br />

5 Frobel AK, Läer S: Fentanylpfl aster – die richtige Anwendung. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2009; 36:<br />

37–40<br />

6 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie von Tumorschmerzen. 3. Aufl<br />

age. Arzneiverordnung in der Praxis (Therapieempfehlungen), Januar 2007; Band 34, Sonderheft 1<br />

7 Stammschulte T, Brune K: Probleme der Arzneimittelsicherheit bei der Anwendung von opioidhaltigen Pfl astern<br />

in der Schmerztherapie (Drug safety problems in association with the use of opioid containing patches for the<br />

management of pain). Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 870–3<br />

8 Schmerztherapie mit Opioiden. Arzneimittelbrief 2011; 45: 65–70


Seite 22 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Der<br />

Gastbeitrag<br />

Nachdruck mit<br />

freundlicher<br />

Genehmigung<br />

der KV Baden-<br />

Württemberg<br />

Aus: KVBW<br />

Verordnungsforum<br />

23; Juli 2012<br />

Synonyme für<br />

Metamizol:<br />

Novaminsulfon<br />

Dipyrone<br />

Risikoprofil von Metamizol<br />

Metamizol (zum Beispiel Novalgin ® , Novaminsulfon ratiopharm ® ) wird als potenter<br />

Wirkstoff in der Behandlung von Schmerzen unterschiedlicher Genese, als starkes<br />

Antipyretikum und als gutes Spasmolytikum geschätzt [1]. Gleichzeitig ist bekannt,<br />

dass unter Metamizol-Therapie schwerwiegende Nebenwirkungen wie Agranulozytose<br />

oder hypotensive Reaktionen auftreten können. Hauptsächlich aufgrund des<br />

Agranulozytose-Risikos wurde Metamizol in einigen Ländern vom Markt genommen<br />

oder nie zugelassen. In Deutschland hat die Zahl der Verordnungen von Metamizol<br />

in den vergangenen Jahren im ambulanten Bereich stetig zugenommen. Parallel<br />

dazu ist die Anzahl der Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

(UAW) im deutschen Spontanmeldesystem (z. B. an die Arzneimittelkommission<br />

der deutschen Ärzteschaft, AkdÄ) gestiegen [2,4]. Diese Erkenntnisse stellen den<br />

Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit über Metamizol dar.<br />

Entwicklung der Verordnungszahlen in Deutschland<br />

und Baden-Württemberg<br />

Der starke Anstieg der Verordnungszahlen in den vergangenen Jahren lässt vermuten,<br />

dass Metamizol zunehmend auch bei Indikationen eingesetzt wird, für<br />

die der Wirkstoff nicht zugelassen ist. Ein Grund für diese Entwicklung könnte<br />

sein, dass Metamizol enthaltende Arzneimittel im Unterschied zu anderen Analgetika<br />

verschreibungspflichtig und damit erstattungsfähig sind. Weitere Gründe<br />

sind vermutlich die gute analgetische und antipyretische Wirksamkeit, niedrigere<br />

gastrointestinale Komplikationen sowie die Nennung in verschiedenen aktuellen<br />

Leitlinien [2,3,4].<br />

Zugelassene Indikationen Metamizol:<br />

Akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder<br />

Operationen<br />

Koliken<br />

Tumorschmerzen<br />

sonstige akute oder chronische starke Schmerzen,<br />

soweit andere therapeutische Maßnahmen<br />

nicht indiziert sind<br />

hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht<br />

anspricht.<br />

Die parenterale Anwendung ist nur indiziert, sofern<br />

eine enterale Applikation nicht infrage kommt.<br />

Nur starke Schmerzen dürfen mit Metamizol behandelt werden<br />

Metamizol darf nicht angewendet werden bei leichten oder mittelstarken Schmerzen<br />

oder zur Therapie von Fieber, wenn nicht vorher andere Antipyretika ohne<br />

ausreichende Wirksamkeit angewendet wurden<br />

[2].<br />

Die in den Spontanmeldungen zu unerwünschten<br />

Arzneimittelwirkungen aufgeführten<br />

Indikationen weisen darauf hin, dass<br />

Metamizol häufig auch bei leichten oder<br />

mittelstarken Schmerzen oder – trotz wirksamer<br />

Alternativen – als Erstlinientherapie bei<br />

Beschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen<br />

eingesetzt wird. Bei diesen Indikationen,<br />

die durch die Zulassung nicht abgedeckt sind<br />

(Off-Label-Use), ist das Nutzen-Risiko-Profil<br />

von Metamizol ungünstig und die Aufklärungspflichten<br />

des Arztes unterliegen den<br />

strengen Sorgfaltsanforderungen des Arzthaftungsrechts<br />

[3].<br />

UAW Agranulozytose<br />

Eine mögliche Nebenwirkung der Behandlung mit Metamizol ist die Entwicklung<br />

einer immunologisch bedingten Agranulozytose, die infolge von Infektionen oder<br />

Sepsis einen tödlichen Ausgang haben kann. Wie hoch das Risiko von Agranulozytosen<br />

durch Metamizol ist, lässt sich aufgrund der Seltenheit der Ereignisse schwer<br />

bestimmen. Die Angaben zur Häufigkeit variieren je nach Studie: von eins zu 1.000<br />

bis 3.000 Anwendern pro Jahr bis zu eins zu 20.000 Anwendern pro Jahr.


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 23<br />

Wird – wie bei der zuletzt genannten Häufigkeit geschehen – eine andere Bezugseinheit<br />

gewählt (Woche anstelle von Jahr), erhält man eine Häufigkeit von eins zu<br />

1,1 Millionen Anwender pro Woche – ein Rechentrick, der das Risiko deutlich kleiner<br />

erscheinen lässt [3,6].<br />

Definition Agranulozytose<br />

Die Agranulozytose ist eine ausgeprägte Neutropenie mit weniger als 500 neutrophilen Granulozyten<br />

pro μl Blut. Sie ist selten, die jährliche Inzidenz wird mit weniger als fünf Fällen pro Million Einwohner<br />

angegeben, wobei die Mehrzahl der Fälle arzneimittelbedingt ist. Die Letalität unter adäquater<br />

Therapie wird mit etwa fünf Prozent angegeben.<br />

Agranulozytosen sind in den meisten Fällen immunologisch vermittelte Reaktionen. Sie treten in<br />

der Regel etwa sieben Tage bis einige Wochen nach Einnahmebeginn auf, nach vorangegangener<br />

Exposition mit dem ursächlichen Arzneimittel kann sich eine Agranulozytose jedoch auch sehr rasch<br />

entwickeln. Die Art der Applikation (intravenös oder oral) beeinfl usst das Risiko vermutlich nicht [2,3].<br />

Empfehlungen für die Praxis<br />

Bei vorbestehenden Störungen des blutbildenden Systems darf Metamizol nicht<br />

angewendet werden. Das Blutbild – einschließlich Differenzialblutbild – sollte während<br />

der Behandlung regelmäßig kontrolliert werden. Patienten müssen über das<br />

Risiko und mögliche Warnsignale wie Fieber, Halsschmerzen und Entzündungen<br />

im Bereich der Mundschleimhäute (Stomatitis) aufgeklärt werden. Dabei sollte<br />

auch beachtet werden, dass Patienten nach einmaliger Verordnung Metamizol<br />

möglicherweise auch zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund anderer Beschwerden<br />

ohne nochmalige Rücksprache mit einem Arzt einnehmen oder an andere Familienmitglieder<br />

weitergeben [2,3].<br />

UAW Hypotensive Reaktionen<br />

Die (nicht allergisch bedingten) blutdrucksenkenden Eigenschaften von Metamizol<br />

sind seit Langem bekannt. Im Einzelfall kann es zu schweren hypotensiven


Seite 24 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Praxis-Tipp<br />

Metamizol ist<br />

in der<br />

Palliativ-<br />

Medizin<br />

sicherlich ein<br />

hervorragendes<br />

Schmerzmittel,<br />

sollte aber bei<br />

allen anderen<br />

Patienten nur<br />

mit Vorsicht<br />

eingesetzt<br />

werden.<br />

Reaktionen kommen. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />

(BfArM) liegen Meldungen von Todesfällen vor. Das Risiko für schwere hypotensive<br />

Reaktionen besteht insbesondere bei parenteraler Anwendung. Daher ist die<br />

parenterale Applikation nur zugelassen, wenn eine orale oder rektale Gabe nicht<br />

möglich ist. Bei hoher Dosierung, bei schneller Verabreichung, bei vorbestehender<br />

Hypotonie oder erhöhtem Risiko hierfür (zum Beispiel Hypovolämie, Schock) sowie<br />

bei hohem Fieber muss mit einem erhöhten Risiko für hypotensive Reaktionen<br />

gerechnet werden. Daher ist die parenterale Anwendung bei Patienten mit bestehender<br />

Hypotonie und instabiler Kreislaufsituation kontraindiziert. Tritt nach Anwendung<br />

von Metamizol eine hypotensive Reaktion auf, ist differenzialdiagnostisch<br />

auch an eine anaphylaktische oder anaphylaktoide Reaktion zu denken. Diese treten<br />

unter Metamizol selten auf (Inzidenz für anaphylaktoide Reaktionen nach i.v. Gabe<br />

1:5.000) und sind entsprechend aktueller Leitlinien zu behandeln [2,5].<br />

Empfehlungen für die Praxis<br />

Eine parenterale Anwendung von Metamizol muss unter ärztlicher Überwachung<br />

beim liegenden Patienten erfolgen. Die Applikation muss langsam durchgeführt<br />

werden (maximal 500 mg pro Minute). Eine Verabreichung als Kurzinfusion oder<br />

Dauerinfusion ist daher zu bevorzugen. Auch nach der Applikation ist der Patient<br />

angemessen zu überwachen. Patienten, bei denen eine unkontrollierte Absenkung<br />

des Blutdrucks besonders vermieden werden muss, wie etwa bei schwerer koronarer<br />

Herzerkrankung oder zerebrovaskulärer Insuffizienz, sollten Metamizol nur unter<br />

sorgfältiger Überwachung des Blutdrucks erhalten [2].<br />

Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnungsweise<br />

Metamizol sollte nicht anstelle von anderen, nicht verordnungsfähigen analgetischen<br />

oder antipyretischen Wirkstoffen verordnet werden. Metamizol darf nicht<br />

angewendet werden bei leichten oder mittelstarken Schmerzen oder zur Therapie<br />

von Fieber, wenn nicht vorher andere Antipyretika ohne ausreichende Wirksamkeit<br />

angewendet wurden.<br />

Fazit<br />

Die Einnahme von Metamizol kann zu schweren, teilweise tödlichen, unerwünschten<br />

Arzneimittelwirkungen führen. Metamizol sollte daher nur innerhalb der zugelassenen<br />

Indikationen eingesetzt werden.<br />

In anderen Ländern wie USA, Schweden, Großbritannien ist Metamizol – vor allem<br />

aufgrund des Agranulozytose-Risikos – nicht im Handel.<br />

Literatur:<br />

1 Metamizol – Renaissance eines Analgetikums: PZ 32/2006<br />

2 Bulletin zur Arzneimittelsicherheit: Informationen aus BfArM und PEI; Ausgabe 3, September 2011<br />

3 Agranulozytose nach Metamizol – sehr selten, aber häufi ger als gedacht – Aus der UAW-Datenbank; Arzneimittelkommission<br />

der deutschen Ärzteschaft; Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 33, 19.8.2011<br />

4 Lebensbedrohliche hypotensive Reaktionen nach Metamizol – Aus der UAW-Datenbank;<br />

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft; Deutsches Ärzteblatt, Jg. 106, Heft 17, 24.4.2009<br />

5 Todesfalle Metamizol? Bremer Ärztejournal, Ausgabe 4/2011<br />

6 Agranulozytose: Verzerrungen. Deutsches Ärzteblatt; Jg. 108, Heft 48 2.12.2011


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 25<br />

Sterben Patienten<br />

unter Telemonitoring früher?<br />

Von Dr. med. Klaus Ehrenthal<br />

Für Sie<br />

gelesen<br />

E-Health wird in der aktuellen gesundheitlichen Diskussion mit Vorschusslorbeeren<br />

bedacht, um Verordnungssicherheit und Qualitätskontrolle bei Risikopatienten zu<br />

verbessern und dabei Kosten zu reduzieren. Mehrfach wurden jedoch fundierte<br />

Untersuchungen zu Risikoaspekten für den Patienten sowohl bei stationärer als<br />

auch bei ambulanter Behandlung angemahnt [1,2].<br />

Studie<br />

An der Mayo-Klinik in Rochester/USA ist nun eine Arbeitsgruppe diesen Fragen<br />

nachgegangen [3, 5]. Es wurden aus insgesamt 513 älteren multimorbiden Patienten<br />

ohne wesentliche kognitive Defizite insgesamt 205 Patienten ausgewählt, von<br />

denen nach Randomisation 103 mit „usual care“ (Kontroll-Gruppe) und 102 durch<br />

telemetrische Betreuung versorgt wurden. Die Patienten waren über 60 Jahre alt,<br />

sie hatten einen „Elder Risk Assessment Index“ (ERA) >15. Dabei handelt es sich um<br />

einen Score mit maximal 32 Punkten, Patienten mit mehr als 16 Punkten hatten ein<br />

sehr hohes Hospitalisierungs-Risiko (> 2 Krankenhausbehandlungen in 2 Jahren) (4).<br />

Nach täglichen Messungen durch Module zur Überprüfung von Blutdruck, Blutzucker,<br />

Pulsoxymetrie und Peakflow und mit einer Real-Time-Videokonferenz sollten<br />

die Probanden aus der Telemetriegruppe täglich für 5 bis 10 Minuten mit einer<br />

Health-Website kommunizieren. Im Studienzentrum überprüfte das Health-Care-<br />

Team anhand der übermittelten Daten und der vorliegenden elektronischen Akte<br />

die Notwendigkeiten für aktuelle Massnahmen, die durch eine Krankenschwester<br />

veranlasst wurden: zum Beispiel direkte Anweisungen an den Patienten, oder Aufforderung,<br />

die Ambulanz zu verständigen. Sie informierte auch den behandelnden<br />

Arzt.<br />

Teilnehmer<br />

Aus den primär ausgewählten 513 über 60 Jahre alten, multimorbiden Patienten<br />

wurden Pflegeheimpatienten und solche mit grösseren kognitiven Defekte ausgeschlossen,<br />

ebenso solche, die sich den Umgang mit der Technik nicht zutrauten. Es<br />

verblieben 205 Patienten, die randomisiert in 2 Gruppen aufgeteilt wurden: 103<br />

„usual care“-Fälle (Kontroll-Gruppe) und 102 Telemetriefälle mit etwa gleichen<br />

klinischen Charakteristika.<br />

Das mittlere Alter betrug 80 Jahre, 46% waren Männer, 46% waren alleinlebend.<br />

Der mittlere ERA-Score betrug 17,7, der mittlere Barthel-Index war 94,4. Von ihnen<br />

litten 36% an einer Herzinsuffizienz, 42% an COPD, 38% an Diabetes und 20,5%<br />

hatten eine chronische Niereninsuffizienz.<br />

Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus Hospitalisierung und Besuch<br />

einer Notaufnahme innerhalb von 12 Monaten (per protocol-Analyse).<br />

Ergebnisse<br />

Von den 205 Patienten schieden 38 (=18,5%) vorzeitig aus (19 verstarben, 19 brachen<br />

die Studie ab), 26 aus der Telemonitoring-Gruppe, 12 aus der Kontroll-Gruppe.<br />

Von den 11.212 geplanten Telemonitoring-Visiten wurden 9.938 plangemäss<br />

durchgeführt (88,6%). Per Telefon wurden 3 942 Interventionen durchgeführt.<br />

In der Telemonitoring-Gruppe erreichten 63,7% den primären Endpunkt, in der<br />

Kontroll-Gruppe 57,3% (p=0,35).<br />

Somit war kein Nutzen hinsichtlich verminderten Hospitalisierungen in der<br />

Telemonitoring-Gruppe erkennbar. Auch war die Krankenhaus-Verweildauer


Seite 26 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Sterblichkeit war<br />

bei Telemonitoring<br />

erhöht<br />

Bedeutung<br />

für<br />

unsere<br />

Praxis<br />

Telemonitoring<br />

kann den Arzt nicht<br />

ersetzen!<br />

in der Zeit der Studie in der Telemonitoring-Gruppe nicht signifikant kürzer (4,1 vs.<br />

6,1 Tage, p=0,61).<br />

Die Sterblichkeit war in der Telemonitoring-Gruppe signifikant erhöht (14,7% vs.<br />

3,9%, p=0,008). Dieses Ergebnis konnte in der Studie von Takahashi et al. nicht<br />

erklärt werden [3]. Es sollte weiter beobachtet werden. In anderen Studien war dies<br />

nicht aufgefallen [6,7].<br />

In einer kürzlich veröffentlichten Studie [7] wurde bei 710 stabil eingestellten<br />

älteren Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA II und III zu gleichen Teilen, Durchschnittsalter<br />

66,9 +/-10,8 Jahre, etwa 80,5-82% männlich) Telemonitoring (354<br />

Fälle), verglichen mit „usual care“ (356 Fälle), keine Senkung der Mortalität bei den<br />

Fällen mit Telemonitoring gesehen.<br />

In einer Metaanalyse der Cochrane Collaboration 2011 mit Vergleichen strukturierter<br />

Telefon-Kontrollen (5613 Patienten) versus Telemonitoring-Programmen (2710<br />

Patienten) bei Patienten mit chronischem Herzschaden aller Altersstufen fanden<br />

sich folgende Ergebnisse: Die hergebrachte Telefon-Kontrolle reduzierte signifikant<br />

die Zahl der stationären Behanldungstage wegen Herzinsuffizienz (p


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 27<br />

Wissenschaftliche Irreführung<br />

durch Publikationsplanung (Ghost<br />

management) und Ghostwriting<br />

1500 Originaldokumente aus einem Rechtsstreit gegen den Arzneimittelhersteller<br />

Wyeth Pharmaceuticals weisen nach, dass die Firma in den 90er Jahren im großen<br />

Umfang Ghostwriting-Agenturen angeheuert hat, um ihre Arzneimittel Prempro ®<br />

und Premarin ® zur sogenannten Hormonersatz-Therapie (HRT) zu vermarkten.<br />

Adriane Fugh Berman von der Georgetown Universität Washington hat diesen<br />

Vorgang in dem frei zugänglichen Online-Journal PLoS Medicine sehr detailliert<br />

aufgearbeitet [1]. Demnach verdiente Wyeth bis 2002 über zwei Mrd. US-$ mit<br />

diesen Arzneimitteln, bis bekannt wurde, dass die HRT das Risiko für Brustkrebs<br />

und Thrombosen erhöht. In den USA haben daraufhin mehr als 10.000 betroffene<br />

Frauen gegen die Hersteller Wyeth und Pfizer geklagt. 8.000 „Fälle“ wurden zu<br />

einer Sammelklage in Arkansas zusammengefasst. Der verantwortliche Richter ordnete<br />

die Veröffentlichung aller Prozessunterlagen an. Hierdurch wurde öffentlich<br />

gemacht, dass zwischen 1997 und 2005 mindestens 50 wissenschaftliche Artikel<br />

zur HRT primär nicht von den aufgeführten Autoren verfasst wurden, sondern<br />

von Ghostwriting-Agenturen im Auftrag von Wyeth. Bei diesen Publikationen [1]<br />

handelte es sich überwiegend um Editorials, Briefe an den Herausgeber und Reviews<br />

– aber auch um klinische Studien wie die sogenannte Women’s HOPE-Studie<br />

[z.B. 8, 9]. Alle diese Artikel bewerteten den Nutzen zu positiv und verharmlosten<br />

die Risiken bzw. Schäden der HRT. Sie führten dadurch die Leser der Artikel in die<br />

Irre und verstießen gleichzeitig gegen ein Grundprinzip der ärztlichen Berufsethik:<br />

Patienten nicht zu schaden („Primum non nocere“).<br />

Laut Prozessunterlagen beauftragte Wyeth im Jahre 1997 die Firma DesignWrite<br />

Inc. damit, innerhalb von zwei Jahren über 30 Fachartikel zur HRT zu verfassen.<br />

Wie das ablief, zeigt ein gut dokumentierter Fall aus dem Jahre 2003. Die Agentur<br />

DesignWrite hatte einen 14-seitigen Artikel über die Therapie von Hitzewallungen<br />

an Dr. Gloria Bachman geschickt und sie gebeten, als Autorin zu fungieren („Guest<br />

author“). Dr. Bachman von der Robert Wood Johnson Medical School ist eine „Key<br />

opinion leader“ im Bereich der Gynäkologie. Die Wissenschaftlerin schlug eine kleine<br />

Veränderung im Manuskript vor und erklärte sich per E-Mail mit dem Inhalt und<br />

ihrer Autorschaft einverstanden. Der Artikel erschien daraufhin 2005 nach „Peer<br />

review“ im Journal of Reproductive Medicine unter ihrem Namen [2]. In diesem<br />

Review wird die HRT als Goldstandard der Therapie postmenopausaler Hitzewallungen<br />

bezeichnet. DesignWrite erhielt für diesen Artikel 25.000 US-$ von Wyeth.<br />

Der<br />

Gastbeitrag<br />

Nachdruck mit<br />

freundlicher<br />

Genehmigung<br />

der Redaktion des<br />

Arzneimittelbriefes<br />

Aus: A<strong>MB</strong> 2012,<br />

46, 59<br />

Zusammenfassung: Die medizinische Literatur, insbesondere sekundäre Quellen wie Reviews,<br />

Metaanalysen und Briefe an Herausgeber werden offensichtlich durch Ghost management und<br />

Ghostwriting stark von pharmazeutischen Unternehmen (pU) manipuliert und dadurch als Marketinginstrument<br />

verwendet. Professionelle Ghostwriting-Agenturen werden beauftragt, Artikel mit positivem<br />

Fazit zum Nutzen neuer Arzneimittel zu verfassen. Als (Gast)-Autoren werden dabei renommierte<br />

„Key opinion leaders“ genannt. Die finanzielle Abhängigkeit medizinischer Verlage bzw. Zeitschriften<br />

von Werbeanzeigen und Sonderdrucken pharmazeutischer Unternehmen sorgt dafür, dass diese<br />

Artikel dann häufig auch in führenden medizinischen Fachzeitschriften publiziert werden. Das wahre<br />

Ausmaß des Ghost management und Ghostwriting und der daraus resultierenden wissenschaftlichen<br />

Irreführung ist nicht klar. Alle an medizinischen Publikationen Beteiligte – Autoren, akademische<br />

Institutionen, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften, Verlage und vor allem pharmazeutische<br />

Unternehmen – sind deshalb aufgerufen, durch korrektes Verhalten ihren Beitrag zu leisten bei der<br />

Beseitigung dieser offensichtlich korrupten Praktiken.


Seite 28 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Beim Prozess konnte nachgewiesen werden, dass DesignWrite zwischen 1997 und<br />

2003 für Wyeth weitere 50 Originalartikel, über 50 Abstracts sowie Poster und<br />

Journal Supplements verfasst hat. Diese erschienen in renommierten Zeitschriften,<br />

darunter The American Journal of Obstetrics and Gynecology oder The International<br />

Journal of Cardiology. Die Herausgeber wurden nie über die wahre Urheberschaft<br />

der Artikel informiert.<br />

Der Leistungsnachweis von DesignWrite – nicht nur bei den beiden oben genannten<br />

Arzneimitteln zur HRT – ist „beeindruckend“ und konnte noch 2010 im Internet<br />

auf der Website der Firma nachgelesen werden [1]. Über einen Zeitraum von 12<br />

Jahren (1997-2009) plante, initiierte und/oder managte DesignWrite unter anderem<br />

Hunderte von Beratergremien („Advisory boards“), tausende Abstracts und Poster,<br />

etwa 500 Publikationen zu medizinischen Themen, mehr als 200 Satellitensymposien<br />

und mehr als 10.000 „Speakers’ bureau“-Programme. Heute gibt sich die Firma<br />

weniger auskunftsfreudig, vermutlich als Folge ihrer inzwischen publik gewordenen<br />

Aktivitäten und dem daraus resultierenden enormen Ausmaß der wissenschaftlichen<br />

Irreführung von Ärzten. Aber das Geschäft mit dem medizinischen Ghostwriting,<br />

einem wichtigen Bestandteil der Marketingstrategien von pU [vgl. 15], scheint nach<br />

wie vor sehr profitabel zu sein. Es gibt zwei internationale Fachgesellschaften für<br />

Publikationsplanungen mit jeweils über 1000 Mitgliedern: die „International Society<br />

for Medical Publication Professionals“ [ISMPP; 3] und „The International Publication<br />

Planning Association“ [TIPPA; 4]. Sergio Sismondo von der Queens Universität in<br />

Ontario/Kanada war zu Gast auf deren Jahrestagungen. Er berichtete auf der diesjährigen<br />

Generalversammlung der International Society of Drug Bulletins (ISDB) in<br />

Vancouver, Kanada, dass sich die Verleger der großen medizinischen Zeitschriften<br />

hier die Klinke in die Hand gaben, um für Veröffentlichungen in ihren Journals zu<br />

werben [5, 6]. So inserierten die „Annals of Internal Medicine“ im Kongressband der<br />

ISMPP: „Give your advertising dollar the greatest impact“ und das „New England<br />

Journal of Medicine“: „Location is everything, no matter what you’re selling“. Anscheinend<br />

sind also nicht nur die pU, sondern auch die großen Verlage Nutznießer<br />

des Ghostwriting. Diese finanzieren sich zu einem beträchtlichen Anteil mit den<br />

Anzeigen und Einnahmen für Sonderdrucke durch pU, profitieren aber auch von<br />

einer Steigerung des Impact-Faktors ihrer Zeitschriften durch Publikation großer,<br />

von pU gesponserter, häufig auch geschriebener Artikel [10,11].<br />

Ghostwriting ist generell sehr schwer nachzuweisen. Oft finden sich Hinweise<br />

im Kleingedruckten oder in den Aussagen bzw. im Stil der Publikation. Letztlich<br />

liefern aber nur Gerichtsprozesse klare Beweise. Mittlerweile wurde Ghostwriting<br />

unter anderem für Gabapentin, Rofecoxib und besonders in den Publikationen zu<br />

Antidepressiva (z.B. Paroxetin, Sertralin) nachgewiesen [12]. Zu Sertralin finden<br />

sich 85 Artikel in begutachteten Fachzeitschriften und zu Rofecoxib 96 Artikel. Es<br />

besteht der Verdacht, dass viele dieser Artikel nicht von den auf der Publikation<br />

angegebenen Autoren ursprünglich verfasst wurden und dass Ghostwriting in der<br />

medizinischen Literatur, vor allem bei den von der Industrie initiierten Studien, weit<br />

verbreitet ist [7,13,14].<br />

Von pU beauftragtes Ghostwriting ist jedoch nur eine Facette eines insgesamt für<br />

die Öffentlichkeit undurchsichtigen Publikationsplans – besonders vor und unmittelbar<br />

nach Zulassung eines neuen Arzneimittels. Hierunter versteht man den meist<br />

streng geheimen, sorgfältig geplanten und gesteuerten Informationsprozess bis<br />

zur Markteinführung eines neuen Arzneimittels, der auch als Ghost management<br />

bezeichnet wird [16,17]. Dieser Prozess wird von großen Teams, überwiegend mit<br />

Experten aus dem Bereich Marketing, bei den pU festgelegt. Die Publikationen<br />

zu einem neuen Arzneimittel beginnen in der Regel mit „Pre-Launch“-Veröffentlichungen.<br />

Sie verfolgen das Ziel, viele Monate vor der Markteinführung die


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 29<br />

Aufmerksamkeit auf einen neuen, angeblich „innovativen“ Wirkstoff zu lenken und<br />

dadurch Bedarf zu entfachen. Angesehene Wissenschaftler mit engen Kontakten<br />

zu pU (Key opinion leaders) berichten über ein bestimmtes Problem und deklarieren<br />

dringenden Handlungsbedarf (Zitat einer Werbeagentur: „Building your brand<br />

before its birth“). Für einige Arzneimittel sollen in der Vergangenheit bis zu 15%<br />

aller Werbeaufwendungen in dieser Pre-Launch-Phase ausgegeben worden sein. Im<br />

weiteren Verlauf werden dann vorwiegend Ergebnisse der Phase-II/-III-Studien zum<br />

neuen Arzneimittel publiziert und nach der Zulassung schließlich Sekundäranalysen,<br />

Metaanalysen und Reviews bestellt, die häufig von sehr gut bezahlten „fremden<br />

Federn“ verfasst werden. Alles in allem entsteht der Eindruck, dass viele medizinische<br />

Fachartikel heute mehr den Gesetzen der Werbung als denen der Wissenschaft<br />

gehorchen und deshalb auch ärztliche Entscheidungen über die medikamentöse<br />

Therapie häufiger auf Marketing- als auf Evidenz-basierter Medizin beruhen [12].<br />

Es wird sicher nicht ausreichen, an pU, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften<br />

und Autoren zu appellieren, das weiterhin intensiv praktizierte Ghost management<br />

oder Ghostwriting rasch zu beenden. Zwei im Jahr 2011 abgehaltene Workshops<br />

haben sich deshalb diesem wichtigen Thema gewidmet und verschiedene Gegenmittel<br />

gegen diese Art wissenschaftlicher Irreführung vorgeschlagen [18]. Hierzu<br />

zählen rechtliche Schritte sowie Sanktionen bei bewusster Täuschung gegen pU,<br />

aber auch „Ghost authors“ und „Guest authors“ – d.h. Autoren, die wesentliche<br />

Abschnitte einer Publikation verfassen, ohne genannt zu werden, oder aber ehrenhalber<br />

als Autoren auf der Publikation erscheinen, obwohl sie die heute geltenden<br />

Anforderungen an eine Autorschaft nicht erfüllen [19]. Darüber hinaus wurde eine<br />

gründliche Revision der aktuellen Empfehlungen des International Committee of<br />

Medical Journal Editors (ICMJE) diskutiert, die unter anderem vorsehen sollte, dass<br />

von pU beauftragte professionelle Verfasser medizinischer Artikel auch als Autoren<br />

genannt werden. Wenige medizinische Fachzeitschriften (z.B. Neurology) haben<br />

inzwischen begonnen, die Transparenz hinsichtlich der Autorenschaft zu verbessern<br />

und dadurch dem Ziel einer größeren Seriosität wissenschaftlicher Publikationen<br />

näherzukommen [20].<br />

Literatur<br />

1 Fugh-Berman, A.J.: PLos Med. 2010, 7, e1000335.<br />

2 Bachmann, G.A.: J. Reprod. Med. 2005, 50, 155.<br />

3 http://www.ismpp.org (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012)<br />

4 http://www.publicationplanningassociation.org (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012).<br />

5 Sismondo, S.: Managing Key Opinion Leaders and their Publications. ISDB General Assembly 2012. 24.-<br />

27.3.2012; Vancouver, Kanada.<br />

6 Sismondo, S., und Nicholson, S.H.: J. Pharm. Pharm. Sci. 2009, 12, 273.<br />

7 Sismondo, S.: PLoS Med. 2007, 4, e286.<br />

8 Lindsay, R., et al. (HOPE = Women‘s Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen): JAMA 2002, 287, 2668.<br />

9 Utian, W.H., et al. (HOPE = Women‘s Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen): Fertil. Steril. 2001, 75, 1065.<br />

10 Lundh, A., et al.: PLoS Med. 2010, 7, e1000354. Vgl. A<strong>MB</strong> 2010, 44, 83.<br />

11 A<strong>MB</strong> 2011, 45, 36.<br />

12. Spielmans, G.I., und Parry, P.I.: J. Bioeth. Inq. 2010, 7, 13.<br />

http://i.bnet.com/blogs/spielmans-parry-ebm-to-mbm-jbioethicinqu-2010.pdf (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012)<br />

13 Gøtzsche, P.C., et al.: PLoS Med. 2007, 4, e19.<br />

14 Wislar, J.S., et al.: BMJ 2011, 343, d6128.<br />

15 http://apps.who.int/medicinedocs/documents/s18659en/s18659en.pdf (Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012).<br />

16 Sismondo, S., und Doucet, M.: Bioethics 2010, 24, 273.<br />

17 Lieb, K., Klemperer, D., Ludwig, W.-D. (Hrsg.): Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten.<br />

Springer-Verlag, Heidelberg 2011. A<strong>MB</strong> 2012, 46, 16b.<br />

18 PloS Medicine Editors: PloS Med 2011, 8, e1001084.<br />

19 http://www.icmje.org/urm_full.pdf (Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012).<br />

20 Baskin, P.K., und Gross, R.A.: BMJ 2011, 343, d6223.<br />

Genehmigter Nachdruck aus Arzneimittelbrief 2012, 46, 59. Sie können den Arzneimittelbrief<br />

unter www.der-arzneimittelbrief.de oder Westkreuz-Verlag GmbH<br />

Berlin/Bonn Töpchiner Weg 198/200, 12309 Berlin, abonnieren.


Seite 30 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Sicherer<br />

verordnen<br />

Dr. med.<br />

Günter Hopf<br />

Escitalopram: QT-Intervall-Verlängerung<br />

Eine dosisabhängige QT-Intervall-Verlängerung unter der Therapie des selektiven<br />

Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers Escitalopram (Cipralex ® ) hat zu der Empfehlung<br />

geführt, bei älteren Patienten 10 mg/d als Höchstdosis einzusetzen und eine<br />

Kombination mit anderen Arzneimitteln mit ähnlicher UAW als Kontraindikation<br />

aufzuführen. Auch hier hat der Hersteller mit einem Rote-Hand-Brief reagiert und<br />

auf erhöhte Vorsicht bei Patienten z.B. mit einer Torsade-de-Pointes-Tachykardie<br />

oder anderen Herzerkrankungen hingewiesen, wobei vor allem weibliche Patienten<br />

betroffen sein könnten.<br />

Eine erste einstweilige Entscheidung eines Landessozialgerichtes gegen einen<br />

Festbetrag von Escitalopram (u.a. wegen eines verbesserten Nebenwirkungsprofils)<br />

scheint in Bezug auf Verlängerungen des QT-Intervalls nicht nachvollziehbar: Auch<br />

unter dem Racemat Citalopram (Cipramil ® , viele Generika) ist diese UAW beschrieben.<br />

Man darf auf die Entscheidung in der Hauptsache gespannt sein.<br />

BFARM: Mitteilung 5. Dezember 2011<br />

Venlafaxin: inadäquate ADH-Sekretion<br />

Das zu den SSRI gehörende Venlafaxin (Trevilor ® , Generika) soll bei älteren Patienten<br />

als Antidepressivum der Wahl gelten. Gerade im Alter kann jedoch eine UAW dieser<br />

Substanzgruppe zu lebensbedrohlichen Zuständen führen: die Induktion eines<br />

Syndroms der inadäquaten ADH-Sekretion mit erheblicher Hyponatriämie (SIADH,<br />

Inzidenz bei Gabe eines SSRI in einer geriatrischen Population im Prozentbereich, in<br />

Einzelfällen erst Monate nach Therapiebeginn). In einem Fallbericht führte die Gabe<br />

von zu niedrig osmolarer Kochsalzlösung zu einer weiteren Verschlechterung bis hin<br />

zu einem generalisierten Krampfanfall, denn die Substitutionsflüssigkeit muss eine<br />

höhere Osmolarität als die Urinosmolarität besitzen. Erst die Gabe des Vasopressin-<br />

Antagonisten Tolvaptan (Samsca ® ) unter engmaschiger Elektrolytkontrolle führte<br />

zur Normalisierung.<br />

Quelle: Dtsch. Med. Wschr. 2012; 137: 1096-9<br />

Diabetogene Arzneistoffe<br />

Bei Störungen des Glukosestoffwechsels durch Medikamente (Typ-IIIe-Diabetes)<br />

stehen an erster Stelle Glukokortikoide. Meist bei oraler Gabe, abhängig von<br />

Dosis und Dauer, Normalisierung des Stoffwechsels nach Absetzen (evtl. auch erst<br />

nach Monaten), in einigen Fällen jedoch auch permanenter Diabetes.<br />

Immunsuppressiva wie Tacrolimus, Ciclosporin. Insbesondere nach Organtransplantation<br />

in Kombination mit Glukokortikoiden, 15 bis 30 % der Transplantierten<br />

haben nach einem Jahr Diabetes.<br />

Antihypertonika wie nicht-selektive Betablocker, Thiazide. Diabetes<br />

kann bei hohen Dosen auftreten, Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich, insbesondere<br />

bei Patienten mit metabolischem Syndrom oder Adipositas.<br />

Lipidsenker wie Statine, Nikotinsäure. Dosisabhängig, bei geringem kardiovaskulären<br />

Risiko Nutzen-Risiko-Abwägung einer Lipidsenkung.<br />

Atypische Neuroleptika wie Clozapin, Olanzapin. Insbesondere auf Gewichtszunahme<br />

(circa 5 kg) zurückzuführen, vorbeugende Empfehlungen für


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 31<br />

ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung erforderlich (gilt auch für<br />

Antidepressiva wie Amitryptilin oder Tranylcypromin).<br />

Hoch-aktive antiretrovirale Therapie (HAART). Alle 2 - 3 Monate Nüchternglukosewerte<br />

bestimmen, auf neuere Proteaseinhibitoren wie Atazanavir oder<br />

Darunavir oder andere nukleosidischeTranskriptase-Inhibitoren ausweichen, eine<br />

Koinfektion mit Hepatitis-C-Viren fördert eine Glukosetoleranzstörung.<br />

Auch unterschiedliche Arzneistoffe für eine Androgendeprivation wie GnRH-Analoga<br />

oder Antiandrogene zur Therapie eines Prostatakarzinoms, Interferon-a oder das<br />

Betazell-toxische Pentamidin zur Therapie einer Infektion mit Pneumocystis carinii<br />

können diabetogen wirken. Wenn die beschriebenen Änderungen des Lebensstils<br />

nicht ausreichen, kann Metformin die Insulinempfindlichkeit wieder verbessern.<br />

Sicherer<br />

verordnen<br />

Dr. med.<br />

Günter Hopf<br />

Quelle: Pharm. Ztg. 2012; 157:1574-9<br />

Isotretinoin: Kolitis und okuläre Probleme<br />

Die AkdÄ verweist aufgrund eines Fallberichtes auf das Auftreten chronisch entzündlicher<br />

Darmerkrankungen unter der oralen Therapie mit Isotretinoin (Generika).<br />

Typisch für die Schwierigkeit des Aufdeckens von Kausalzusammenhängen zwischen<br />

UAW und Arzneistoffen sind dazu zwei Fallkontrollstudien, von denen eine keinen<br />

Zusammenhang und die andere einen Zusammenhang nur mit dem Auftreten einer<br />

Kolitis ulzerosa vermuten lässt. Hinzu kommt, dass auch eine wiederholte Antibiotikagabe<br />

- bei Aknepatienten nicht ungewöhnlich - für eine Kolitis verantwortlich<br />

sein kann. Die AkdÄ empfiehlt eine Aufklärung der Patienten über die Symptome<br />

einer Kolitis ulzerosa vor Beginn einer Isotretinointherapie.<br />

Ähnlich schwierig zu beurteilen sind auftretende Sehstörungen unter Isotretinoin,<br />

denn die Grunderkrankung Akne kann selbst zu Sehstörungen führen. Nach einer<br />

Studie sind diese Sehstörungen, wie u.a. Konjunktivitis oder Hordeolum, jedoch<br />

unter Isotretinoineinnahme häufiger. Auch hier scheint derzeit bis zur Publikation<br />

sorgfältiger Studien nur eine Aufklärung der Patienten möglich, abgesehen von<br />

einer engen Indikationsstellung.<br />

Quellen: Dt. Ärztebl. 2012; 109(20): C 896; Ärztezeitung Nr. 85 vom 10.05.12, S. 10<br />

Statine: müde Muskeln<br />

Alle Statine können – vor allem in höherer Dosierung – Muskeln bis hin zu einer<br />

Rhabdomyolyse schädigen. Aber auch in niedriger Dosierung fiel zuerst bei Sportlern<br />

auf, dass nach einer Einnahme eines Statins Muskelschmerzen auftraten, die<br />

erst nach Absetzen des jeweiligen Statins wieder verschwanden. In einer neuen<br />

Studie konnte nun nachgewiesen werden, dass die Gabe von Statinen (untersucht<br />

wurden 40 mg Pravastatin und 20 mg Simvastatin/d über 6 Monate) bei circa 20 %<br />

der Studienteilnehmer zu Ermüdungserscheinungen führt, vor allem bei sportlichen<br />

Tätigkeiten. Weder ein Kreatininanstieg noch andere Hinweise auf eine Muskelschädigung<br />

konnten gefunden werden. Bei Frauen waren diese unerwünschten<br />

Wirkungen (UAW) ausgeprägter. Nachdem davon auszugehen ist, dass diese UAW<br />

bei allen Statinen auftreten können, könnte so manche Klage über ein „Fatigue-<br />

Syndrom“ in der Praxis auf die Einnahme eines Statins zurückzuführen sein. Ein<br />

Auslassversuch könnte sich lohnen, vor allem bei Patienten, bei denen Statine nur<br />

vorsorglich verordnet werden.<br />

Quelle: Arch. Intern. Med. 2012, www. archinternmed.com


Seite 32 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Sicherer<br />

verordnen<br />

Dr. med.<br />

Günter Hopf<br />

Azithromycin: kardiales Risiko<br />

Makrolide wie Clarithomycin oder Erythromycin können einen Herzstillstand hervorrufen.<br />

Von Azithromycin (Zithromax ® , Generika) war dies bisher noch nicht<br />

bekannt, möglicherweise weil dieses Antibiotikum nur kurzfristig über circa 5 Tage<br />

angewandt wird. In einer neuen großen Kohortenstudie (circa 3,4 Millionen Verordnungen)<br />

mit Ciprofloxacin und Amoxicillin als Vergleich fand sich ein kleines<br />

erhöhtes Risiko des Auftretens kardialer Todesfälle (47 zusätzliche Todesfälle pro<br />

einer Million Verordnungen), vor allem bei Patienten mit kardiovaskulärer Vorschädigung<br />

(245 zusätzliche Todesfälle). Die Verlängerung des QT-Intervalls scheint dafür<br />

ursächlich zu sein - eine UAW aller Makrolide.<br />

Quellen: www.nejm.org/doi/full/10.1056; www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation<br />

Ärztliche Meinungsführer:<br />

wissen sie, was sie tun?<br />

Es ist bekannt, dass ärztliche Meinungsführer, sog. „key opinion leaders“, das<br />

Verordnungsverhalten von Ärztinnen und Ärzten beeinflussen können. Ihr guter<br />

wissenschaftlicher Ruf und ihre Stellung im System lassen kaum Kritik an ihren<br />

Aussagen zu. Weniger bekannt ist, dass diese Meinungsführer von der pharmazeutischen<br />

Industrie genau beobachtet, wenn nicht beeinflusst und „geführt“<br />

werden. Spezielle Werbeagenturen kümmern sich um sie und sogar um mögliche<br />

zukünftige Meinungsführer durch Unterstützung ihrer Publikationen, Vorbereitung<br />

ihrer Vorträge und Hilfe in fast allen Lebenslagen (sogenanntes Mikromarketing). Ein<br />

kritischer Artikel weist auf die Kosten für dieses Engagement hin (zweitkostspieligste<br />

Maßnahme bei der Einführung eines neuen Arzneimittels). Sie können jedoch wieder<br />

ausgeglichen werden. Nach Schätzungen fließt eine doppelt so hohe Summe wie<br />

die der Ausgaben für Pharmavertreter wieder zurück, wenn ein Meinungsführer zu<br />

einem neuen Arzneimittel vorträgt.<br />

Nachdem das vollständige Risikopotential eines neuen Arzneistoffes bei Markteinführung<br />

noch nicht bekannt sein kann, birgt ein unkritisches Loben eines neuen<br />

Stoffes auch persönliche Risiken, z.B. bei schneller Marktrücknahme wegen auftretender<br />

schwerer UAW. Beispiele sind bekannt.<br />

Für Ärzte an der „Verordnungsfront“ gilt, dass die Aussagen eines Meinungsführers<br />

kritisch hinterfragt werden sollten. Insbesondere bei Empfehlungen außerhalb<br />

der zugelassenen Indikationsgebiete.<br />

Quelle: Prescr. Internat. 2012; 21: 163-5<br />

Erhöhtes Krebsrisiko bei Calcitoninhaltigen<br />

Nasensprays in der Menopause<br />

Die europäische Arzneimittelagentur EMA - angeschlossen hat sich auch die kanadische<br />

Arzneimittelbehörde – hat empfohlen, Calcitonin-haltige Nasensprays (Karil ® ,<br />

Generika) zur Therapie der Osteoporose in der Menopause vom Markt zu nehmen.<br />

Grund war ein bis zu 2,4 Prozent erhöhtes Risiko für maligne Erkrankungen bei<br />

nasaler Anwendung. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für die Behandlung einer Hyperkalzämie<br />

bei Tumorerkrankungen und bei Morbus Paget (Injektionslösungen) sei<br />

weiterhin positiv. Die Behandlungsdauer sollte sich jedoch in der letztgenannten<br />

Indikation auf 3 Monate bis maximal 6 Monate beschränken.<br />

Quellen: www.bfarm.de, www.hc-sc.gc.ca


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 33<br />

Flupirtin: Abhängigkeit und<br />

Lebertoxizität<br />

Bereits 1992 wurde in der damaligen Preisvergleichsliste zu Flupirtin (z.B. Katadolon<br />

® ) angemerkt, dass zur Frage einer Abhängigkeit von diesem Analgetikum noch<br />

länger dauernde Erfahrungen abzuwarten seien. 2009 publizierte die AkdÄ einen<br />

Fallbericht über eine langjährige Abhängigkeit von Flupirtin bei einer 33-jährigen<br />

Patientin, über 44 ähnliche Fälle sind der AkdÄ bekannt.<br />

2012 startete eine Werbekampagne zu Flupirtin bei Rückenschmerzen. Eine propagierte<br />

sogenannte Reanalyse ist nicht überprüfbar, da unveröffentlichte Studien<br />

berücksichtigt wurden. In Anbetracht des Abhängigkeitspotentials und insbesondere<br />

der Lebertoxizität von Flupirtin (bis hin zu tödlichem Leberversagen) sollte dieser<br />

in seiner Wirkung nur schlecht belegte Alt-Arzneistoff nur zurückhaltend, wenn<br />

überhaupt, verordnet werden – trotz Unterstützung durch die Deutsche Gesellschaft<br />

für Schmerztherapie (DGS).<br />

Sicherer<br />

verordnen<br />

Dr. med.<br />

Günter Hopf<br />

Quellen: www.akdae.de, arzneitelegramm 2012; 43(7): 61-2<br />

Übersicht zum rechtlichen Rahmen bei<br />

Off-Label-Use<br />

Vor allem in der Intensivtherapie Neugeborener beträgt der Anteil an Off-Label-<br />

Anwendungen eines Arzneistoffes über 90 %, bei Erwachsenen sollen in Kanada<br />

mehr als 10% der Verordnungen off label sein.<br />

Definitionen<br />

Off-Label-Use: Arzneimittel bereits zugelassen in Deutschland, Anwendung<br />

außerhalb der Zulassung für andere Indikationsgebiete, Dosierungen oder Patientengruppen.<br />

Unlicensed Use: Arzneimittel in Deutschland (noch) nicht zugelassen, Einzelimport<br />

für individuelle Patienten möglich (mit Genehmigung der gesetzlichen<br />

Krankenkasse).<br />

Compassionate Use: Arzneimittel in klinischer Prüfung oder mit Zulassungsantrag,<br />

aus humanen Erwägungen für lebensbedrohliche Erkrankungen eingesetzt,<br />

vom Hersteller kostenlos abzugeben.<br />

In der Praxis bestehen viele Unsicherheiten zu diesem Thema. In einer neuen Übersicht<br />

wird der rechtliche Rahmen beleuchtet.<br />

a) Nach dem Arzneimittelgesetz kann ein Arzt ein Arzneimittel off label verordnen.<br />

Er muss es, wenn es medizinischem Standard entspricht. Allerdings hat er eine<br />

intensivierte Pflicht zur Aufklärung auch über das mögliche Auftreten bisher<br />

noch unbekannter Risiken und zur Beobachtung des Behandlungsverlaufes. Nur<br />

in geringem Maß haben auch der „mündige Patient“ und der pharmazeutische<br />

Hersteller eine Eigenverantwortung.<br />

b) Ein Off-Label-Use ist grundsätzlich keine Leistung der GKV. Ausnahmen gelten<br />

unter engen Voraussetzungen (ausreichende Belege eines Nutzens, keine Therapiealternative,<br />

Zustimmung des Gemeinsamen Bundesausschusses, niedergelegt<br />

in den Arzneimittelrichtlinien) für schwerwiegende Erkrankungen. Bei<br />

lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen sind die<br />

Anforderungen an ausreichende Belege verringert – Hinweise mit niedrigerem<br />

Evidenzgrad können ausreichen.<br />

Quellen: Dtsch.med.Wschr. 2012; 137 (28/29): 1444, dto. 2012; 137 (30): 1519-23


Seite 34 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Kurze<br />

Meldung<br />

Neue Impfempfehlungen der STIKO<br />

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) hat ihre Impfempfehlungen<br />

aktualisiert.<br />

Bei der Meningokokken-Impfung wird auf die erweiterte Zulassung der 4-valenten<br />

Impfstoffe auf Kinder ab dem ersten Lebensjahr verwiesen und der zu impfende<br />

Personenkreis erweitert auf Reisende in Länder mit hohem Infektionsrisiko und auf<br />

Personen mit erhöhtem Risiko für diese Infektion. Auch bei der Mumps-Impfung<br />

wurde die Empfehlung erweitert auf Personen, die mit erkrankten Kindern zusammentreffen<br />

könnten und auf alle nach 1970 Geborenen mit unklarem Impfstatus.<br />

Für die Praxis sind die neuen Empfehlungen zu Nachholimpfungen für Personen<br />

mit unvollständigem oder unbekanntem Impfstatus von großem Interesse. Im<br />

Zweifelsfall rät die STIKO zum Nachimpfen, denn sie sieht praktisch kein Risiko durch<br />

„Überimpfen“. Deshalb rät die STIKO auch zur Verwendung von Kombinationsimpfstoffen.<br />

Nur sehr selten kann es nach Ansicht der STIKO zu lokalen, selbstlimitierten<br />

Unverträglichkeitsreaktionen an der betroffenen Extremität kommen (Arthus-Phänomen).<br />

Eine vorherige serologische Titerbestimmung wird aufgrund häufig unzureichender<br />

Sensitivität und Spezifität der Labortests nicht als notwendig erachtet.<br />

Einwilligungserklärungen in 15 Sprachen und weitere Informationen unter<br />

www.rki.de/impfen, eine englischsprachige Version der STIKO-Empfehlungen findet<br />

sich unter www.rki.de/en.<br />

Für Sie<br />

gelesen<br />

STOPP: Eine weitere Checkliste für<br />

Verordnungen bei älteren Patienten<br />

Dass bei älteren polymorbiden Patienten das Risiko von Arzneiverordnungen beträchtlich<br />

sein kann, ist seit langem bekannt. Um es in den Griff zu bekommen,<br />

wurden beispielsweise die Beers- und die PRISCUS-Listen zusammengestellt, über<br />

die wir bereits berichtet haben [1]. Daneben gibt es noch die sogenannte STOPP-<br />

Liste (Screening Tool of Older People’s potentially inappropriate Prescriptions). Sie<br />

wurde von 18 Experten im Delphi-Verfahren erstellt [2].<br />

Wir haben die STOPP-Liste übersetzt und möchten sie hier ohne weitere Anmerkungen<br />

vorstellen, bitten aber um Ihre Kommentare. Nach dieser Liste können die<br />

folgenden Verordnungen bei Patienten ab 65 problematisch werden und sollten<br />

kritisch überdacht werden:<br />

A Kardiovaskuläres System<br />

1 Dauerbehandlung mit Digoxin in einer Dosis über 125 µg pro Tag (erhöhtes<br />

Toxizitätsrisiko).<br />

2 Ein Schleifendiuretikum bei Knöchelödemen ohne Zeichen einer Herzinsuffizienz<br />

(keine Evidenz für Wirksamkeit, Kompressionsstrümpfe sind wirksamer).<br />

3 Schleifendiuretika als primäre Monotherapie bei Hypertonie (es gibt sicherere<br />

und effizientere Altenativen).<br />

4 Thiazide bei einer Gicht-Anamnese (Gefahr einer Gichtexazerbation).<br />

5 Nicht kardioselektive Betablocker bei COPD (Risiko von Bronchospasmen).<br />

6 Betablocker zusammen mit Verapamil (Risiko symptomatischer kardialer Reizleitungsstörungen).<br />

7 Diltiazem oder Verapamil bei Herzinsuffizienz NYHA III oder IV (Gefahr der<br />

Verschlechterung).<br />

8 Kalzium-Kanalblocker bei chronischer Verstopfung (Gefahr der Verschlechterung).<br />

9 Eine Kombination von ASS und einem Kumarin ohne H2-Blocker (außer


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 35<br />

Cimetidin wegen Interaktionen mit dem Kumarin) oder einem Protonenpumpenhemmer<br />

(hohes Risiko einer gastrointestinalen Blutung).<br />

10 Dipyridamol als Monotherapie zur kardiovaskulären Sekundärprävention (keine<br />

Evidenz für Wirksamkeit).<br />

11 ASS bei Ulkus-Anamnese ohne H2-Antagonist oder Protonenpumpenhemmer<br />

(Blutungsrisiko).<br />

12 ASS in einer Dosis über 150 mg pro Tag (erhöhtes Blutungsrisiko, keine Evidenz<br />

für erhöhte Wirksamkeit).<br />

13 ASS ohne koronare, zerebrale oder peripher-arterielle Symptome oder arteriellen<br />

Verschluss in der Anamnese (nicht indiziert).<br />

14 ASS gegen Schwindel, der keine eindeutige zerebrovaskuläre Ursache hat (nicht<br />

indiziert).<br />

15 Ein Kumarin bei einer ersten unkomplizierten Venenthrombose länger als sechs<br />

Monate (kein gesicherter zusätzlicher Nutzen).<br />

16 Ein Kumarin bei einer ersten unkomplizierten Lungenembolie länger als zwölf<br />

Monate (kein gesicherter Nutzen).<br />

17 ASS, Clopidogrel, Dipyridamol oder ein Kumarin bei einer Gerinnungsstörung<br />

(hohes Blutungsrisiko).<br />

Stopp!<br />

Diese Verordnungen<br />

sollten bei älteren<br />

Patienten möglichst<br />

vermieden werden.<br />

B Gehirn und Psyche<br />

1 Trizyklische Antidepressiva bei Demenz (kognitive Leistung kann sich weiter<br />

verschlechtern).<br />

2 Trizyklische Antidepressiva bei gleichzeitigem Glaukom (Gefahr der Exazerbation).<br />

3 Trizyklische Antidepressiva bei gleichzeitigen kardialen Reizleitungsstörungen<br />

(pro-arrhythmischer Effekt).<br />

4 Trizyklische Antidepressiva bei gleichzeitiger Obstipation (Gefahr der Verschlechterung).<br />

5 Trizyklische Antidepressiva zusammen mit einem Opiat oder Kalziumkanalblocker<br />

(Risiko einer schweren Obstipation).<br />

6 Trizyklische Antidepressiva bei Prostataadenom oder anamnestischem Harnverhalt<br />

(Ischurie-Risiko).<br />

7 Über einen Monat langwirksame Benzodiazepine wie Chlordiazepoxid, Fluazepam,<br />

Nitrazepam, Chlorazepat oder Benzodiazepine mit langwirksamen Metaboliten<br />

wie beispielsweise Diazepam (Gefahr einer prolongierten Sedation, von<br />

Verwirrtheit, Gleichgewichtsstörungen, Stürzen).<br />

8 Über einen Monat Neuroleptika als Langzeit-Hypnotika (Gefahr von Verwirrtheit,<br />

Hypotonie, extrapyramidalen Nebenwirkungen, Stürzen).<br />

9 Über einen Monat Neuroleptika bei Parkinsonismus (hohe Wahrscheinlichkeit,<br />

dass sich extrapyramidale Symptome verschlechtern).<br />

10 Phenothiazine bei Epileptikern (kann die Krampfschwelle senken).<br />

11 Anticholinergika, um extrapyramidale Nebenwirkungen eines Neuroleptikums<br />

zu behandeln (Gefahr anticholinerger Toxizität).<br />

Sagen Sie uns Ihre Meinung!<br />

Wie denken Sie über diese Liste bzw. deren einzelne Punkte? Ist sie praxistauglich? Haben Sie Anregungen<br />

oder Kritik? Wir möchten diese ganz offen diskutieren und bitten um Ihre Zuschrift an:<br />

Redaktion KVH aktuell, KV Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt<br />

Fax: 069 / 79502 501; e-Mail: info@kvhessen.de


Seite 36 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Stopp!<br />

Diese Verordnungen<br />

sollten bei älteren<br />

Patienten möglichst<br />

vermieden werden.<br />

12 Ein SSRI bei einer klinisch signifikanten Hyponatriämie in der Anamnese.<br />

13 Länger als eine Woche Antihistaminika der ersten Generation wie Diphenhydramin,<br />

Chlorpheniramin, Cyclizin oder Promethazin (Gefahr der Sedierung und<br />

anticholinerger Nebenwirkungen).<br />

C Magen und Darm<br />

1 Diphenoxylat, Loperamid oder Kodeinphosphat zur Behandlung einer Diarrhoe<br />

mit unbekannter Ursache (Gefahr einer Diagnoseverschleppung, kann aus<br />

einem toxischen Megakolon eine entzündliche Darmerkrankung machen oder<br />

die Abheilung einer nicht erkannten Gastroenteritis verzögern).<br />

2 Diphenoxylat, Loperamid oder Kodeinphosphat zur Behandlung einer<br />

schweren Gastroenteritis, beispielsweise mit blutiger Diarrhoe, Fieber<br />

oder schwerer systemischer Toxizität (Gefahr einer Exazerbation oder<br />

Verschleppung einer Entzündung).<br />

3 Prochlorperazin oder Metoclopramid bei Parkinson (Gefahr eines Parkinsonschubs).<br />

4 Protonenpumpenhemmer bei peptischem Ulkus länger als acht Wochen<br />

in voller therapeutischer Dosis (früher Absetzen oder Dosis reduzieren).<br />

5 Anticholinerge Spasmolytika bei chronischer Obstipation (kann Obstipationsschübe<br />

auslösen).<br />

D Atemwege<br />

1 Theophyllin als Monotherapie bei COPD (Nebenwirkungsgefahr durch schmalen<br />

therapeutischen Bereich – bessere Alternativen verfügbar).<br />

2 In der Dauertherapie der mäßiger bis schweren COPD systemische statt inhalierbarer<br />

Kortikoide verordnen (unnötige Gefahr von Nebenwirkungen systemischer<br />

Steroide).<br />

3 Ipratropiumbromid bei Patienten mit Glaukom (Gefahr der Exazerbation).<br />

E Bewegungsapparat<br />

1 NSAR bei peptischem Ulkus oder Magenblutung in der Anamnese, es sei denn,<br />

es wird gleichzeitig ein H2-Antagonist, ein Protonenpumpenblocker oder Misoprostol<br />

gegeben (Gefahr eines Ulkus-Rezidivs).<br />

2 NSAR bei moderater bis schwerer Hypertonie (> 160/100 mmHg) (Gefahr der<br />

Exazerbation).<br />

3 NSAR bei gleichzeitiger Herzinsuffizienz (Herzfunktion kann sich verschlechtern).<br />

4 Länger als 3 Monate NSAR wegen leichter Gelenkbeschwerden bei Osteoarthritis<br />

(nichtsteroidale Analgetika sind meist ebenso wirksam und daher zu bevorzugen).<br />

5 Ein Kumarin und NSAR zusammen geben (gastrointestinales Blutungsrisiko!)<br />

6 NSAR bei Patienten mit chronischem Nierenversagen (GFR 20 bis 50 ml/min)<br />

(Gefahr der Verschlechterung der Nierenfunktion).<br />

7 Steroide länger als drei Monate als Monotherapie bei rheumatoider Arthritis<br />

und Osteoarthritis (Gefahr von systemischen Steroid-Nebenwirkungen).<br />

8 Längere NSAR-Verordnung oder Colchicin wegen Gicht, wenn keine Kontraindikation<br />

für Allopurinol vorliegt (Allopurinol ist bei Gicht das Mittel der ersten<br />

Wahl).<br />

F Urogenitalsystem<br />

1 Anticholinergika zur Inkontinenzbehandlung an Demente verordnen (Verwirrtheit<br />

kann verstärkt werden, es kann zu Agitiertheit kommen).<br />

2 Anticholinergika bei chronischem Glaukom (Risiko der akuten Exazerbation).


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 37<br />

3 Anticholinergika bei chronischer Verstopfung (Gefahr der Exazerbation).<br />

4 Anticholinergika bei chronischem Prostatismus (Gefahr der Urinretention).5<br />

Alphablocker bei Männern mit häufiger Inkontinenz (Gefahr einer höheren Miktionsfrequenz<br />

und Verschlechterung der Inkontinenz).<br />

6 Alphablocker bei Patienten mit Langzeit-Blasenkatheter (länger als als zwei<br />

Monate) (nicht indiziert!).<br />

G Endokrines System<br />

1 Glibenclamid oder Chlorpropamid bei Typ-II-Diabetes (Gefahr einer längeren<br />

Hypoglykämie).<br />

2 Betablocker bei Diabetikern mit häufigeren Hypoglykämien (mehr als eine pro<br />

Monat) (es besteht die Gefahr, dass die hypoglykämischen Symptome<br />

maskiert werden).<br />

3 Östrogene bei Brustkrebs oder Venenthrombose in der Anamnese<br />

(Rezidivgefahr).<br />

4 Östrogene ohne Progesteron bei nicht hysterektomierten Frauen (Gefahr<br />

eines Endometriumkarzinoms).<br />

Stopp!<br />

Diese Verordnungen<br />

sollten bei älteren<br />

Patienten möglichst<br />

vermieden werden.<br />

H Medikamente bei Sturzgefährdeten<br />

(Faustregel für erhöhte Sturzgefahr: Ein Sturz in den zurückliegenden<br />

drei Monaten)<br />

1 Benzodiazepine (beeinträchtigen Aufmerksamkeit und Gleichgewichtssinn).<br />

2 Neuroleptika (können Gang-Dyspraxie und Parkinsonismus verursachen).<br />

3 Antihistaminika der ersten Generation (sedierend, können die Wahrnehmung<br />

beeinträchtigen).<br />

4 Blutdrucksenkende Vasodilatatoren bei Patienten mit orthostatischer Hypotonie<br />

(Blutdruckabfall > 20 mm Hg) (Gefahr von Synkopen und Stürzen).<br />

5 Längere Opiatverordnung bei Patienten mit mehreren Stürzen in der Anamnese<br />

(Gefahr von Schläfrigkeit, orthostatischer Hypotonie, Schwindel).<br />

I Schmerzmittel<br />

1 Langzeitverordnung von starken Opiaten wie Morphin oder Fentanyl als primäre<br />

Therapie bei leichten bis moderaten Schmerzen (widerspricht den WHO-<br />

Leitlinien).<br />

2 Länger als zwei Wochen Opiate für Patienten mit chronischer Verstopfung ohne<br />

ein begleitendes Laxans zu verordnen (Risiko der schweren Obstipation).<br />

3 Langzeitverordnung von Opiaten bei Dementen, solange dies nicht aus palliativen<br />

Gründen oder wegen stärkerer chronischer Schmerzen nötig ist (Gefahr<br />

der kognitiven Verschlechterung).<br />

J Substanzen aus der gleichen Klasse<br />

Gleichzeitige Verordnung von zwei Substanzen aus der gleichen Klasse, wie beispielsweise<br />

zwei Opiate, NSAR, SSRI, Schleifendiuretika oder ACE-Hemmer ist im<br />

Prinzip nicht sinnvoll. Hiervon gibt es allerdings Ausnahmen, wie beispielsweise<br />

die gleichzeitige Nutzung eines kurz- und langwirksamen Betamimetikums bei<br />

Asthmatikern oder COPD-Patienten sowie die Gabe eines zusätzlichen Opiates, um<br />

Durchbruchschmerzen zu kupieren.<br />

Literatur:<br />

1 Ehrenthal, K.: KVH aktuell Nr. 2/2011, S. 20.<br />

2 Gallagher, P., Ryan, C., Byrne, S., Kennedy, J. & : STOPP (Screening Tool of Older Person’s Prescriptions) and<br />

START (Screening Tool to Alert doctors to Right Treatment). Consensus validation. Int. J. Clin. Pharmacol. Ther.<br />

46, 72–83 (2008).


Seite 38 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Beiträge<br />

der<br />

Redaktion<br />

Bedeutung<br />

für<br />

unsere<br />

Praxis<br />

Was hilft, wenn die Metformin-<br />

Monotherapie ausgereizt ist?<br />

Dr. med. Uwe Popert<br />

Der zusätzlich zu einer Metformin-Behandlung erfolgende HbA1c-senkende Effekt<br />

einer Therapie mit Basalinsulin gegenüber einem DPP-4-Hemmer wurde in einer<br />

multinationalen randomisierten Studie verglichen [1]. 515 Patienten mit einer nicht<br />

mehr ausreichenden Metformin-Monotherapie wurden über 26 Wochen hinweg<br />

entweder mit Sitagliptin oder mit Insulin Glargin behandelt.<br />

Primärer Endpunkt war die HbA1c-Differenz. Ausgehend von einem Baseline-<br />

HbA1c von 8,5% senkte Insulin Glargin durchschnittlich um -1,72% gegenüber<br />

-1,13% bei Sitagliptin (Differenz -0,59%, 95% CI -0.77 bis -0,42). Entsprechend<br />

erreichten mehr Patienten mit Insulin Glargin das vorgegebene HbA1c-Ziel von 7%<br />

bzw. 6,5%, allerdings um den Preis von etwas vermehrten schweren Hypoglykämien<br />

(n=3 gegenüber n=1 unter dem DPP-4-Hemmer). Unter Sitagliptin sank das<br />

durchschnittliche Körpergewicht um 1,08 kg; bei den Insulinbehandelten stieg es<br />

leicht um 0,44 kg.<br />

Die Autoren um Pablo Aschner folgern daraus, dass bei nicht ausreichend mit<br />

Metformin behandelbarem Diabetes Typ 2 Insulin Glargin effektiver als Sitagliptin<br />

ist – bei insgesamt niedrigem Risiko von Hypoglykämien.<br />

Die Autoren des begleitenden Editorials [2] verweisen darauf, dass es verlässlichere<br />

Langzeit-Daten dazu bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse, Lebensqualität<br />

und Kosten-Nutzen wohl erst mit der auf 7 Jahre Dauer angelegten ORIGIN-Studie<br />

(Outcome Reduction with an Initial Glargine Intervention) geben wird.<br />

Ist Metformin ausgereizt, eher mit Insulin kombinieren<br />

als mit den neuen Antidiabetika<br />

Eigentlich bringt diese in der Presse viel beachtete Studie nicht viel Neues:<br />

Es gibt weiterhin nur gute Studien-Belege für den Nutzen einer antidiabetischen<br />

Therapie mit Metformin und Insulin (und in geringerem Maße auch für<br />

Sulfonylharnstoffe) [3].<br />

Der Blutzucker-senkende Effekt von Sitagliptin ist begrenzt.<br />

Der Blutzucker-senkende Effekt von Langzeit-Insulinen ist stärker und deswegen<br />

sind diese im Praxisalltag praktikabler.<br />

bei niedrigen HbA1c-Zielen sind Unterzuckerungen ein beachtenswertes Risiko [4].<br />

Insulin-Glargin hat gegenüber den NPH-Insulinen keine entscheidenden Vorteile,<br />

deswegen sollten NPH-Insuline leitliniengerecht bevorzugt werden [5,6].<br />

Interessenkonflikte: keine<br />

Literatur:<br />

1 Aschner P, Chan J, Owens DR, et al. EASIE investigators. Insulin glargine versus sitagliptin in insulin-naive<br />

patients with type 2 diabetes mellitus uncontrolled on metformin (EASIE): a multicentre, randomised open-label<br />

trial. Lancet. 2012 Jun 16;379(9833):2262-9<br />

2 Diamant M. Choosing a blood-glucose-lowering agent after metformin. Lancet. 2012 Jun 16;379(9833):2220-1.<br />

3 Holman RR, Paul SK, Bethel MA, et al. 10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl<br />

J Med. 2008 Oct 9;359(15):1577-89.<br />

4 Institute for Quality and Efficiency in Health Care: Executive Summaries [Internet]. Cologne, Germany: Institute<br />

for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG); Benefit assessment of long-term blood glucose lowering to<br />

near-normal levels in patients with type 2 diabetes mellitus: Executive summary of final report A05-07, Version<br />

1.0. 2005-. 2011 Jun 06.<br />

5 Institute for Quality and Efficiency in Health Care: Executive Summaries [Internet]. Cologne, Germany: Institute<br />

for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG); Long-acting insulin analogues in the treatment of diabetes<br />

mellitus type 2: Executive summary of final report A05-03, Version 1.1. 2005-. 2009 Feb 26.<br />

6 Waugh N, Cummins E, Royle P, et al. Newer agents for blood glucose control in type 2 diabetes: systematic<br />

review and economic evaluation. Health Technol Assess. 2010 Jul;14(36):1-248. doi: 10.3310/hta14360.


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 39<br />

Hartenbach: „DIE CHOLESTERIN-LÜGE”<br />

… zum aktuellen Stand der Debatte um die Cholesterinsenkung<br />

Unter meinen Patienten sorgt Prof. HARTENBACHs Buch „Die Cholesterin-Lüge”<br />

für einige Verwirrung. Nachdem ich das Buch selbst gelesen habe und mich einige<br />

Aussagen durchaus nachdenklich gestimmt haben, bitte ich um Ihre Einschätzung.<br />

Dr. med. A. KANSY (Facharzt für Allgemeinmedizin)<br />

Wie der Buchtitel „Die Cholesterin-Lüge. Das Märchen vom bösen Cholesterin”<br />

nahelegt, ist Walter HARTENBACH ein Gegner der Cholesterinsenkung, und zwar<br />

jedweder Art. Eine Buchbesprechung ist im a-t unüblich und soll auch hier nicht<br />

folgen. Da uns in den vergangenen Jahren aber immer wieder Anfragen zu dem<br />

Bestseller, der 2012 in 32. Auflage erschienen ist, [1] erreichten, erscheint es uns<br />

angebracht, vor dem Hintergrund der Hartenbachschen Position den aktuellen Stand<br />

der Debatte zur Cholesterinsenkung zu beleuchten: Hartenbach gründet sein Veto<br />

nämlich auf einen veralteten Diskussionsstand und simplifiziert die Kontroverse<br />

bisweilen bis zur Unkenntlichkeit.<br />

Vor etwa 20 Jahren wurde um die bevölkerungsweite Cholesterinsenkung, die<br />

sowohl in den USA als auch in Europa in Leitlinien [2,3] empfohlen wurde, eine intensive<br />

kontroverse Diskussion geführt. Einer ihrer Exponenten in Deutschland warbeispielsweise<br />

der 2002 verstorbene Düsseldorfer Diabetologe Michael BERGER. [4]<br />

Mit Recht verwiesen die damaligen Kritiker der Primärprävention mit Lipidsenkern<br />

auf die bedenklichen Ergebnisse aus Studien und Metaanalysen. Die Senkung der<br />

koronaren Sterblichkeit, die mit den vor der Statin-Ära verfügbaren Therapieoptionen<br />

erreicht wurde, wurde durch einen Anstieg der nichtvaskulären Sterblichkeit<br />

mehr als wettgemacht. [5] Aus dieser Diskussion Ende der 1980er, Anfang der<br />

1990er Jahre zieht HARTENBACH seine Argumentation, wenn man bei der unbekümmerten<br />

Mischung aus Behauptungen und Zitaten überhaupt von Argumentation<br />

sprechen will. Den Fortgang der Erkenntnis und der Debatte nimmt der Autor<br />

jedenfalls nicht mehr zur Kenntnis. Von den großen Statinstudien, die seit Mitte<br />

der 1990er Jahre publiziert wurden, finden nur noch die 4S I -Studie (1994) [6] und<br />

die WOSCOP I -Studie (1995) [7] Beachtung, werden aber ohne viel Federlesens als<br />

„von der Industrie gefälschte Statistiken” erledigt.<br />

Dabei markiert die 4S-Studie, eine zwar vom Hersteller MSD gesponserte, aber<br />

methodisch gut durchgeführte Studie zur Sekundärprävention mit dem CSEHemmer<br />

Simvastatin (ZOCOR, Generika), einen Wendepunkt in der Geschichte der medikamentösen<br />

Cholesterinsenkung. Erstmals wurde hier der mortalitätssenkende Nutzen<br />

eines Lipidsenkers überzeugend belegt. Das Ergebnis der 4S-Studie blieb zudem<br />

nicht isoliert, sondern wurde 1998 durch die LIPID II -Studie [8] mit Pravastatin (PRA-<br />

VASIN, Generika) und 2002 durch die unabhängig von der Industrie durchgeführte<br />

HPS II -Studie [9] wiederum mit Simvastatin bestätigt. Beide Studien belegen ebenfalls<br />

einen Überlebensvorteil unter den Statinen. Gemeinsam bilden vor allem diese drei<br />

Studien, an denen ausschließlich oder überwiegend Patienten mit manifester atherosklerotischer<br />

Erkrankung wie Herzinfarkt teilgenommen haben, die Evidenzbasis<br />

für Statine in der Sekundärprävention dieser Erkrankungen, die hier inzwischen zur<br />

Standardtherapie gehören – im Übrigen auch bei „normalen” Cholesterinwerten<br />

(a-t 2002; 33: 83-4).<br />

Dies bedeutet nicht, dass es heute keine Kontroverse um die Cholesterinsenkung<br />

mehr gäbe. So ist ein Nutzen cholesterinsenkender Diäten – anders als es vielfach<br />

proklamiert wird – bis heute nicht zweifelsfrei belegt (vgl. a-t 2010; 41: 19-23).<br />

Strittig ist vor allem auch die Frage, ob die Senkung des LDL einen validen Surrogatparameter<br />

für die Minderung klinischer Ereignisse wie Herzinfarkte darstellt. Aus<br />

der Tatsache, dass Statine sowohl das Cholesterin senken als auch Herzinfarkte<br />

Der<br />

Gastbeitrag<br />

Nachdruck aus<br />

arznei-telegramm<br />

8/2012<br />

(a-t 2012; 43: 67-69)<br />

mit freundlicher<br />

Genehmigung der<br />

Redaktion und des<br />

Verlages des arzneitelegramm.<br />

I<br />

4S = Scandinavian Simvastatin Survival Study WOSCOP = West of Scotland Coronary Prevention


Seite 40 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

und Sterblichkeit mindern, kann nicht geschlossen werden, dass Cholesterinsenkung<br />

mit welchen Mitteln auch immer, einen klinischen Nutzen hat. Statine haben neben<br />

der Senkung des Cholesterins weitere gefäßaktive Wirkungen. Welche pharmakologischen<br />

Effekte für den klinischen Nutzen entscheidend sind, ist dabei nicht<br />

hinreichend geklärt. Umgekehrt wissen wir aus den Studien mit Clofibrat (außer<br />

Handel: REGELAN) oder dem gar nicht erst zur Marktreife gelangten Torcetrapib,<br />

dass mit bestimmten Lipidsenkern Morbidität und Mortalität trotz Cholesterinsenkung<br />

gesteigert werden. Es ist daher zu fordern, dass Lipidsenker, so zum Beispiel<br />

auch Ezetimib (EZETROL, in: INEGY), in kontrollierten Langzeitstudien auf ihren klinischen<br />

Nutzen hin geprüft werden, bevor sie breit verordnet werden (a-t 2008; 39:<br />

19-21). In diesen Kontext gehört auch die nach wie vor strittige Frage der optimalen<br />

Strategie einer Statintherapie, nämlich als fixe Dosis („fire and forget”) [10] oder<br />

Titration auf einen LDL-Zielwert hin, wie in vielen Leitlinien empfohlen. Während<br />

der Nutzen einer Statintherapie in fixer Standarddosierung gut durch randomisierte<br />

Langzeitstudien untermauert ist, gilt dies für die Titrierung auf bestimmte LDL-Werte<br />

hin nicht (a-t 2011; 42: 28-9). [11]<br />

Ein nach wie vor kontroverses Thema ist auch die Primärprävention atherosklerotischer<br />

Erkrankung mit Statinen (vgl. a-t 2004; 35: 56-60). [12,13] Sowohl die<br />

Studienlage als auch die Therapieentscheidungen in der Praxis sind hier mit deutlich<br />

größeren Unsicherheiten behaftet als in der Sekundärprävention. Gleichwohl hat<br />

sich auch hier der Kenntnisstand gegenüber der Zeit von vor 20 Jahren erheblich<br />

erweitert. In mehr als zehn randomisierten Interventionsstudien mit klinischen Endpunkten<br />

wurden Statine in der Primärprävention inzwischen geprüft. Konsistent<br />

werden schwere koronare Ereignisse wie Herzinfarkte gemindert. Der absolute Nutzen<br />

ist jedoch gering: Nach einer Metaanalyse [14] ergibt sich pro Jahr eine Number<br />

needed to treat (NNT) von rund 400, im Vergleich zu einer NNT von 60 bis 170 pro<br />

Jahr in den drei wichtigsten Sekundärpräventionsstudien. [6,8,9] Dabei dürfte dies<br />

noch eine Überschätzung darstellen, da in einigen Primärpräventionsstudien bei<br />

mehr als 10% der Patienten bereits eine Gefäßerkrankung bestand. Mit Ausnahme<br />

der umstrittenen JUPITER II -Studie (a-t 2008; 39: 119-21) [15] lässt sich zudem in<br />

keiner der großen Einzelstudien zur Primärprävention eine signifikante Minderung<br />

der Gesamtsterblichkeit erkennen. Nach mehreren inzwischen veröffentlichten<br />

Metaanalysen sinkt die Gesamtsterblichkeit relativ um rund 10% bis 15% – überwiegend,<br />

aber nicht durchgehend signifikant. [14,16-19] Selbst wenn man von<br />

einer signifikanten Minderung ausgeht, ist der Effekt jedoch sehr klein: Die NNT’s<br />

liegen zwischen 650 und 700 pro Jahr, [14,18] wenn Patienten mit vorbestehenden<br />

Gefäßerkrankungen gänzlich ausgeschlossen werden, sogar bei 1.100 bis 1.400<br />

pro Jahr [17,19] (Sekundärprävention: 160 bis 280/Jahr). Dem stehen die Risiken<br />

einer Statintherapie gegenüber, die in der Primärprävention prinzipiell nicht geringer<br />

sind als in der Sekundärprävention (vgl. a-t 2012; 43: 31-2). Das Gros der Daten in<br />

Primärpräventionsstudien bezieht sich auf Männer im mittleren Lebensalter. [18]<br />

Frauen scheinen nach neueren Studien allerdings ähnlich zu profitieren wie Männer.<br />

[15,20] Für den Beginn einer Primärprävention im hohen Lebensalter fehlen jedoch<br />

nach wie vor hinreichende Daten: Die Ergebnisse für über 65-Jährige sollen sich<br />

nach Metaanalysen zwar nicht von denen bei Jüngeren unterscheiden, [14,18] für<br />

über 70 Jährige ohne manifeste Gefäßerkrankungen, die nach der PROSPER III -Studie<br />

von einem Statin keinen Nutzen haben, [21] gibt es unseres Wissens aber keine<br />

neueren gesonderten Auswertungen.<br />

Angesichts dieser Datenlage ist es nachvollziehbar, dass sich einige Experten nach<br />

wie vor gegen eine Primärprävention mit Statinen aussprechen, darunter auch das<br />

unabhängige kanadische Arzneimittelbulletin „Therapeutics Letter”. [22] Es gibt<br />

aber inzwischen auch viele kritische Experten, die die Primärprävention mit<br />

II<br />

III<br />

HPS = Heart Protection Study, JUPITER = Justification for the Use of Statins in Prevention: an Intervention Trial<br />

Evaluating Rosuvastatin, LIPID = Long-term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease<br />

PROSPER = Prospective Study of Pravastatin in the Elderly at Risk


Nr. 4 / 2012<br />

KVH • aktuell<br />

Seite 41<br />

Statinen in bestimmten Situationen befürworten. [23] Dabei besteht eine breite<br />

Übereinstimmung darüber, dass nicht ein Laborwert behandelt werden soll, sondern<br />

dass sich die Entscheidung für oder gegen eine medikamentöse Prävention an der<br />

Höhe des kardiovaskulären Gesamtrisikos orientieren soll.<br />

Über die Behandlungsschwelle selbst wiederum gibt es keinen allgemeinen<br />

Konsens. Die Diskussion wird derzeit durch eine aktuell publizierte Metaanalyse der<br />

CTT IV -Collaborators [19] neu angefacht, nach deren Ergebnissen koronare Ereignisse<br />

bei Patienten ohne vorbestehende Gefäßerkrankungen nicht nur bei einem kardiovaskulären<br />

10-Jahres-Risiko von unter 20%, sondern auch schon bei einem unter<br />

10% signifikant gemindert werden. Die NNT’s sind aber hoch (303 bzw. 1.250/Jahr).<br />

Eine klare Minderung der Gesamtsterblichkeit der primärpräventiv behandelten<br />

Patienten ergibt sich zudem nur in der Gesamtgruppe einschließlich derjenigen mit<br />

deutlich höherem Risiko. [19] Leitlinienempfehlungen variieren: Das britische NICE V<br />

empfiehlt als Behandlungsschwelle ein kardiovaskuläres Risiko von 20% in zehn<br />

Jahren. [24] Nach der Leitlinie der europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC)<br />

kommt eine medikamentöse Therapie jedoch schon bei einem 10-Jahres-Risiko von<br />

über 10% in Betracht. [25] Bei einer solchen Behandlungsschwelle, wie sie ähnlich<br />

auch den CTTAutoren vorschwebt,[19] wären nach britischen Daten mehr als 80%<br />

der über 50-jährigen Männer und mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Frauen<br />

Kandidaten für eine Statintherapie. [26] Die Umsetzung eines solchen Konzepts<br />

würde demnach bedeuten, dass breite Bevölkerungsschichten ab einem bestimmten<br />

Alter automatisch zu Patienten würden und beträchtliche finanzielle Ressourcen<br />

für die Behandlung praktisch gesunder Menschen aufgebracht werden müssten.<br />

Nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses erstattet die GKV die<br />

Verordnung von Statinen in der Primärprävention erst ab einem Risiko von über<br />

20% in zehn Jahren.[27] Neuseeländische Leitlinien sind noch konservativer: Hier<br />

wird nach wie vor eine medikamentöse Primärprävention erst ab einem Risiko von<br />

30% in zehn Jahren empfohlen. [28]<br />

Die Ermittlung des Risikos ist ebenfalls nicht unproblematisch. In der Praxis hat<br />

sich die Verwendung von Risikokalkulatoren wie PROCAM VI [29] oder arriba VI [30]<br />

durchgesetzt. Unter pragmatischen Gesichtspunkten erscheint uns dies eine vertretbare<br />

Lösung. Angesichts der unzureichenden Validierung aller verfügbarer Risikokalkulatoren<br />

muss dabei aber berücksichtigt werden, dass die jeweils ermittelten<br />

Werte auch bei präzisen Zahlenangaben nur eine grobe Schätzung darstellen. Wir<br />

ziehen unter den verschiedenen Kalkulatoren den unter Beteiligung von Hausärzten<br />

in Deutschland entwickelten Risikorechner arriba vor, unter anderem deshalb,<br />

weil er gleichzeitig ein Beratungskonzept anbietet, das Ärzte unterstützen soll, die<br />

besonders in der Primärprävention schwierige Entscheidung gemeinsam mit den<br />

Patienten zu finden.<br />

Das HARTENBACH-Buch „Die Cholesterinlüge” ist veraltet und klammert<br />

wesentliche Erkenntnisse aus.<br />

In der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen mindern<br />

Statine in mehreren Studien sowohl nichttödliche kardiovaskuläre<br />

Komplikationen als auch die Sterblichkeit. Statine gehören bei diesen<br />

Patienten heute zur Standardtherapie.<br />

Auch in der Primärprävention gibt es mittlerweile eine Reihe von Studien,<br />

in denen konsistent eine Minderung der Herzinfarktrate durch<br />

Statine dokumentiert wird. Der Nutzen ist bei geringem kardiovaskulären<br />

Ausgangsrisiko jedoch entsprechend klein. Die Gesamtsterblichkeit<br />

dürfte bei diesen Patienten erst bei hohem Risiko gemindert sein.<br />

arriba liefert<br />

eine zuverlässige<br />

Entscheidungs-<br />

Grundlage<br />

IV<br />

V<br />

VI<br />

CTT = Cholesterol Treatment Trialists<br />

NICE = National Institute for Health and Clinical Excellence<br />

arriba = Akronym für die 6 Schritte der Entscheidungsfindung in der kardiovaskulären Prävention (www.arribahausarzt.de/arriba/index.html),<br />

PROCAM = Prospective Cardiovascular Münster Study


Seite 42 KVH • aktuell<br />

Nr. 4 / 2012<br />

Statine sollten daher in der Primärprävention nur bei hohem kardiovaskulären<br />

Risiko von über 20% in zehn Jahren in Betracht gezogen und<br />

die Entscheidung für oder gegen eine Therapie gemeinsam mit den<br />

Patienten getroffen werden.<br />

Literatur (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)<br />

1 HARTENBACH, W.: Die Cholesterin-Lüge. Das Märchen vom bösen Cholesterin, 32. Aufl., Herbig Verlagsbuchhandlung<br />

GmbH, München 2012<br />

2 Consensus Conference: JAMA 1985; 253: 2080-86<br />

3 Study Group, European Atherosclerosis Society: Eur. Heart. J. 1987; 8: 77-88<br />

4 BERGER, M.: Dt. Ärztebl. 1991; 88: A-45-7<br />

M 5 MULDOON, M.F. et al.: BMJ 1990; 301: 309-14<br />

R 6 Scandinavian Simvastatin Survival Study Group: Lancet 1994; 344: 1383-9<br />

R 7 SHEPHERD, J. et al.: N. Engl. J. Med. 1995; 333: 1301-7<br />

R 8 The Long-Term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease (LIPID) Study Group: N. Engl. J. Med. 1998;<br />

339: 1349-57<br />

R 9 Heart Protection Study Collaborative Group: Lancet 2002; 360: 7-22<br />

10 DONNER-BANZHOFF, N., SÖNNICHSEN, A.: BMJ 2008; 336: 288-9<br />

11 HAYWARD, R.A., KRUMHOLZ, H.M.: Circ. Cardiovasc. Qual. Outcomes 2012; 5: 2-5<br />

12 BLAHA, M.J. et al.: JAMA 2012; 307: 1489-90<br />

13 REDBERG, R.F., KATZ, M.H.: JAMA 2012; 307: 1491-2<br />

M 14 BRUGTS, J.J. et al.: BMJ 2009; 338: b2376<br />

R 15 RIDKER, P.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 2195-207<br />

M 16 MILLS, E.J. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2008; 52: 1769-81<br />

M 17 RAY, K.K. et al.: Arch. Intern. Med. 2010; 170: 1024-31<br />

M 18 TAYLOR, F. et al.: Statins for the primary prevention of cardiovascular disease. The Cochrane Database of Systematic<br />

Reviews, Stand Sept. 2007<br />

M 19 Cholesterol Treatment Trialists’ Collaborators: Lancet 2012; 380: 581-90<br />

R 20 NAKAMURA, H. et al.: Lancet 2006; 368: 1155-63<br />

R 21 SHEPHERD, J. et al.: Lancet 2002; 360: 1623-30<br />

22 Therapeutics Letter, März-April 2010 http://www.ti.ubc.ca/sites/ti.ubc.ca/files/77.pdf<br />

23 DONNER-BANZHOFF, N., SÖNNICHSEN, A.: BMJ 2008; 337: a2576<br />

24 NICE: Lipid modification. Cardiovascular risk assessment and the modification of blood lipids for the primary<br />

and secondary prevention of cardiovascular disease, März 2010;<br />

http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/11982/40689/40689.pdf<br />

25 GRAHAM, I. et al.: Eur. Heart J. 2007; 28: 2375-414<br />

26 EBRAHIM, S., CASAS, J.P.: Lancet 2012; 380: 545-7<br />

27 G-BA: Arzneimittel-Richtlinie, Anlage III, Stand Okt. 2011 http://www.g-ba.de/downloads/83-691-269/AM-RL-<br />

III-Verordnungseinschränkung-2011-10-01.pdf<br />

28 New Zealand Guidelines Group: Primary Care Handbook 2012; zu finden über:<br />

http://www.nzgg.org.nz/search?clinical_area_id=24<br />

29 http://www.assmann-stiftung.de<br />

30 http://www.arriba-hausarzt.de<br />

(Weitere Informationen und die Möglichkeit des Abonnements unter www.arznei-telegramm.de)<br />

Zwei Seiten, die Ihnen<br />

die Behandlung von Diabetikern erleichtern<br />

Bei chronisch Kranken kommt es sehr darauf an, dass der Patient sein Krankheitsbild versteht und<br />

aktiv an der Behandlung mitarbeitet. Ganz besonders gilt dies beim Diabetiker. Entsprechen hoch<br />

ist der Gesprächs- und Beratungsaufwand. Einer Erleichterung und Unterstützun in der Praxis stellen<br />

die von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin erstellten Informationsblätter<br />

für Patienten dar. Auf den beiden folgenden Seiten finden Sie zum Kopieren entsprechende<br />

Informationen zum Diabetes.


Informationen für Patienten<br />

Leben mit Diabetes<br />

Warum?<br />

Eine Zuckerkrankheit erhöht das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall auf etwa das Doppelte. Natürlich<br />

ist Diabetes nicht gleich Diabetes – Patienten, bei denen seit 2 Jahren eine geringe Erhöhung des Blutzuckers<br />

festgestellt wurde, haben ein viel geringeres Risiko als solche mit 20-jähriger Zuckerkrankheit<br />

und stark erhöhten Blutzucker-Werten. Und für die jungen schlanken so genannten Typ-1-Diabetiker,<br />

deren Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr herstellt, gelten andere Maßstäbe als für die viel<br />

größere Zahl meist übergewichtiger Typ-2-Diabetiker, an die wir uns<br />

hier wenden.<br />

Das Medikament Metformin kann bei übergewichtigen Diabetikern<br />

das Risiko für einen Herzinfarkt um ein gutes Drittel senken und verursacht<br />

keine Unterzuckerungen (siehe gesonderte Information). Wir<br />

verordnen Metformin allen übergewichtigen Diabetikern, die ihren Zucker nicht<br />

durch Gewichtsabnahme und Bewegung allein normalisieren können und die es vertragen.<br />

Für alle anderen Zucker-senkenden Medikamente inklusive Insulin hat die große englische UKPD-Studie<br />

(eine Untersuchung an 4000 Diabetikern) gezeigt, dass eine intensive Blutzucker-Senkung allein nichts<br />

Wesentliches am Herz-Kreislauf-Risiko ändert. Mit diesen Medikamenten kann man die Häufigkeit von<br />

Laser-Operationen an der Augen-Netzhaut senken – davon soll hier nicht weiter die Rede sein.<br />

Wie?<br />

Besonders bei älteren Zuckerkranken ist Hauptziel einer Blutzucker-Senkung, Diabetes-Beschwerden<br />

wie Durst, Abgeschlagenheit und vermehrte Anfälligkeit gegen Infekte abzumildern.<br />

Den Erfolg einer Blutzucker-Senkung kann man am besten mit dem Langzeit-Zucker-Wert HbA1c<br />

messen. Das HbA1c gibt an, wie hoch der Blutzucker in den letzten 12 Wochen lag.<br />

Allgemeine HbA1c-Ziele für alle Diabetiker sind nicht sinnvoll. Vielmehr sollten die Zielsetzungen<br />

individuell zwischen Arzt und Patient vereinbart werden. Ein 40-jähriger Typ-II-Diabetiker würde<br />

eher von einer „schärferen“ HbA1c-Senkung profitieren als eine Frau, die mit 75 Jahren zur Diabetikerin<br />

geworden ist. Ein Mensch, der sehr unregelmäßig isst, hat vielleicht ein größeres Risiko für<br />

Unterzuckerungen. Und bei sehr alten Menschen ist man meist davon überzeugt, dass sie durch eine<br />

Normalisierung der Blutzucker-Werte eher Schaden erleiden, als dass sie davon profitieren.<br />

Weil Diabetiker ein erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten haben, werden Sie sich nach unserer<br />

Beratung über Ihr persönliches Risiko vielleicht auch eher für eine Behandlung mit ASSund einen Cholesterin-Senker<br />

entscheiden, als dies ein Mensch ohne Diabetes tun würde. In diese Risiko-Berechnung<br />

gehen Ihre letzten HbA1c-Werte auch mit ein.<br />

Bei vielen Diabetikern ist als zusätzliches Risiko auch der Blutdruck erhöht. Werte dauerhaft über<br />

140/90 bezeichnet man als Bluthochdruck. Einige Untersuchungen haben auch gezeigt, dass eine<br />

Senkung des Blutdrucks unter 140/90 besser vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützt als die Senkung<br />

des Blutzuckers. Für eine medikamentöse Blutdruck-Senkung wird man sich bei sehr stark erhöhten<br />

Blutdruckwerten oder bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren entscheiden.<br />

Wirksamer als jedes Medikament ist aber der Effekt von regelmäßiger körperlicher Bewegung. Ausdauersportarten<br />

wie Joggen, Walken, Radfahren und Schwimmen senken Blutzucker und Blutdruck<br />

so stark wie ein Medikament. Darüber hinaus wird das Risiko von Herzinfarkt und Schlaganfall noch<br />

stärker gesenkt, als dies Medikamente können.<br />

Man sollte bei der Bewegung ins Schwitzen kommen und der Herzschlag muss beschleunigt sein,<br />

damit es etwas bringt. (siehe gesonderte DEGAM-Information zur Bewegung).<br />

Bei Diabetes-Diät denken viele Menschen an die Diät-Abteilung im Supermarkt. Kaufen Sie dort<br />

nicht – es ist nur unnötig teuer. Letztlich heißt Diabetes-Diät nichts anderes als gesundes Essen.<br />

Weitere Informationen und Quellenangaben finden Sie in der Langfassung der<br />

DEGAM-Leitlinie „Kardiovaskuläre Prävention“ im Internet unter www.degam.de<br />

Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin<br />

©: Günther Egidi , Huchtinger Heerstr. 41, 28259 Bremen<br />

Die Erstellung der Information erfolgte unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte.<br />

Arzt für Allgemeinmedizin und Mitglied der DEGAM AG Leitlinien Version vom 22.09.2008


Informationen<br />

für Patienten<br />

XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden<br />

PVSt Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 68689<br />

Deutsche Gesellschaft für<br />

Allgemein- und Familienmedizin<br />

©: Günther Egidi , Huchtinger Heerstr. 41, 28259 Bremen,<br />

Die Erstellung der Information erfolgte<br />

unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte.<br />

Diese Information wurde überreicht von<br />

PH863453V<br />

Wenn ein Mitglied einer Familie Typ-2-Diabetiker ist, braucht man ihm keine andere Ernährung zu empfehlen als<br />

den anderen Familien-Mitgliedern, die auch gesund bleiben wollen.<br />

Meistens sind Diabetiker auch übergewichtig. In diesem Fall bedeutet Diät vor allem: fettes Essen vermeiden und<br />

abnehmen. Das meist noch genügend im Körper vorhandene Insulin wirkt dann besser, und der Zuckerspiegel sinkt.<br />

Ihr Bewegungsprogramm wird Ihnen zusätzlich beim Abnehmen helfen. Zuckerstoffe (Kohlenhydrate), die nur<br />

langsam vom Körper aufgenommen werden (faserreiche Gemüse, Milch oder Vollkorn-Produkte), führen weniger<br />

zu schädlichen Zucker-Anstiegen im Blut als Weißbrot, Süßigkeiten oder Obstsäfte.<br />

Welche Risiken?<br />

Eine zu ehrgeizige Zucker-Senkung kann mit erheblichen Nebenwirkungen (Unterzuckerung, Gewichtszunahme)<br />

verbunden sein. Darum müssen die Ziele einer Blutzucker-Senkung und die möglichen Risiken bei jedem einzelnen<br />

Patienten gut gegeneinander abgewogen werden. Für Diabetiker gilt besonders: vor Beginn eines Trainings-Programms<br />

mit dem Hausarzt besprechen, wie intensiv das Training sein darf – damit beim Trainieren nichts passiert.<br />

Welche Empfehlungen?<br />

Im Rahmen des Vorsorge-Programms (Disease Management Programm = DMP) Diabetes finanzieren die Krankenkassen<br />

Schulungen für Diabetiker.<br />

Die Arzthelferinnen meiner Praxis sind darin ausgebildet, Patienten über alle Fragen der Zuckerkrankheit zu unterrichten.<br />

Sie lernen, welche Komplikationen ein Diabetes haben kann,<br />

wie man selbst den Zucker durch Urin-Proben kontrollieren kann,<br />

wie die Ernährung bei Diabetes aussehen sollte,<br />

und bei Patienten, die Insulin benötigen<br />

wie man Insulin spritzt und<br />

wie man den Blutzucker bestimmt, wenn Insulin notwendig ist.<br />

Die Krankenkassen bieten auch persönliche Ernährungsberatungen und Bewegungs-Programme an, oder sie<br />

unterstützen diese.<br />

Was tun?<br />

Persönliche Ziele<br />

Ich möchte mich mehr bewegen, indem ich<br />

Ich möchte in Wochen kg abnehmen.<br />

Ich möchte einen Zielwert des HbA1c von % bis zum erreichen.

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