Lokaljournalismus – Der Spagat zwischen Nähe und Distanz
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<strong>Lokaljournalismus</strong> <strong>–</strong> <strong>Der</strong> <strong>Spagat</strong><br />
<strong>zwischen</strong> <strong>Nähe</strong> <strong>und</strong> <strong>Distanz</strong><br />
Eine der ersten Regeln, die man als Journalist lernt, lautet: <strong>Der</strong> erste Satz eines<br />
Textes muss richtig einschlagen. Damit man <strong>Nähe</strong> zum Leser erzeugen kann.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> habe ich einen ganzen Tag alle mögliche Fachliteratur <strong>und</strong><br />
Artikel von Kollegen durchsucht, um einen ersten Satz für meinen Vortrag zu<br />
finden. Vergeblich. Nur ein Zitat ist mir untergekommen, das ist aber nur<br />
ungefähr halb so gut wie der erste Satz, den ich leider nicht gef<strong>und</strong>en habe:<br />
Zitat: „Die gute alte Heimatzeitung von vorgestern <strong>und</strong> gestern, vielleicht sogar<br />
die von heute, gehörte einer abzuschließenden Vergangenheit an. Wir sind am<br />
Wendepunkt zu einem notwendigen Strukturwandel.“<br />
Mein Gott, werden Sie jetzt denken. Habe ich doch schon 100 Mal gehört, sagt<br />
doch zurzeit jeder wegen dieses blöden Internets.<br />
Richtig.<br />
Nur, dieses Zitat ist 45 Jahre alt. Peter Glotz hat es 1968 geschrieben, der<br />
spätere B<strong>und</strong>estagsabgeordnete <strong>und</strong> Vordenker der SPD. Das Buch, aus dem<br />
das Zitat stammt, heißt „<strong>Der</strong> missachtete Leser“, <strong>und</strong> für Glotz <strong>und</strong> seinen<br />
Mitautor Wolfgang Langenbucher war es seinerzeit der Versuch, den<br />
<strong>Lokaljournalismus</strong> neu zu erwecken.<br />
Also: Die Lokaljournalisten, die sich damals schön eingerichtet hatten <strong>zwischen</strong><br />
Bürgermeister, Vereinsvorstand <strong>und</strong> Pfarrer. Die Zeitungen, denen es gut ging,<br />
weil sie für Werbung der einzige Ansprechpartner waren <strong>und</strong> für Leser auch. Es<br />
gab damals das böse Wort von der Hofberichterstattung, von den Journalisten,<br />
die keine <strong>Nähe</strong> hatten zu Lesern, aber <strong>Nähe</strong> zu den örtlichen Eliten.<br />
In Ansätzen habe ich das selber noch erlebt. Mein Volontärsvater, ein<br />
preisgekrönter Journalist <strong>und</strong> Autor, pflegte bei kritischen Themen den<br />
Bürgermeister unserer Kleinstadt anzurufen <strong>und</strong> ihm ultimativ mitzuteilen, dass<br />
er entweder das soeben publik gewordene Problem sofort löse oder aber er,
der Lokalredakteur, werde darüber schreiben <strong>und</strong> es damit öffentlich machen.<br />
Meistens musste er dies nicht tun. Das war übrigens in den 1980ern, also im<br />
letzten Jahrtausend.<br />
Da, so meine ich, ist <strong>Nähe</strong> eine Gefahr für den Journalismus.<br />
45 Jahre ist die Klage über den „missachteten Leser“ her. 45 Jahre, in denen im<br />
<strong>Lokaljournalismus</strong> allerhand passiert ist.<br />
Zum Beispiel drucken wir in Farbe.<br />
Oder: Wir haben unsere Lokalredaktionen neu organisiert: Am Newsdesk mit<br />
Editors, Producers <strong>und</strong> Reporters.<br />
Oder: Wir machen auch in Online.<br />
Oder: Wir produzieren mit weniger Redakteuren mehr Seiten.<br />
Nur eins tun wir noch immer viel zu wenig: Reden über die Inhalte unserer<br />
Lokalblätter.<br />
Zu wenig über das Thema <strong>Nähe</strong>, zu wenig darüber, wie viel <strong>Distanz</strong> ein<br />
Journalist braucht zu den Eliten in seiner Region.<br />
Ich kenne viele Lokaljournalisten, die sind ganz selbstverständlich im Lions-Club<br />
oder im Rotary-Club. Die freuen sich sogar, dabei zu sein <strong>und</strong> am Sakko so eine<br />
goldene Nadel tragen zu dürfen, ein Abzeichen, das <strong>–</strong> egal, wo auf der Welt<br />
man ist - die Welt teilt in Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Nicht-Fre<strong>und</strong>e. Ist doch was Tolles so’n<br />
Klub. Und: Kommt ja nicht jeder rein. Muss man sogar eingeladen werden.<br />
Urteilen mag ich darüber nicht, schon weil es mich nichts angeht, welche<br />
Vorlieben die Kollegen pflegen. Aber ich persönlich habe solche Anfragen schon<br />
immer abgelehnt (Obgleich sie mir natürlich auch geschmeichelt haben) <strong>und</strong><br />
ich habe sie aus gutem Gr<strong>und</strong> abgelehnt:<br />
Denn ich bin mir sicher, dass die Mitgliedschaft in so einem auserlesenen Zirkel<br />
kein selbstloses Vergnügen ist. So etwas hat seinen Preis <strong>–</strong> <strong>und</strong> damit meine ich<br />
keinen materiellen. Als Journalist verliert man in solchen Klubs nicht weniger<br />
als seine Unschuld <strong>–</strong> Lions- <strong>und</strong> Rotary nehmen Sie da bitte mal nur als<br />
Blaupause. Denn überall, nicht nur dort gilt: Eine Hand wäscht die andere.<br />
Und dieses Prinzip hat im Journalismus einfach nichts verloren.<br />
2
Betrachten wir die <strong>Nähe</strong> zur politischen Elite, die bis heute viele Lokalzeitungen<br />
in unserem Land atmen. Die politische Agenda bestimmen dort noch immer die<br />
Rathäuser, mindestens jedenfalls durch die Tagesordnungen der Gemeindeoder<br />
Stadtratssitzungen.<br />
Themen, die auf der Tagesordnung nicht auftauchen, existieren auch nicht in<br />
der öffentlichen Wahrnehmung, die wiederum die Lokalzeitung ja immer noch<br />
federführend prägt.<br />
Und dann trifft man sich noch nach der Sitzung , Journalisten mit<br />
Kommunalpolitikern. Wie das der Schweizer Journalistik-Professor Stephan<br />
Ruß-Mohl findet, hat er vor zehn Jahren mal so formuliert. Zitat: „Schon das<br />
gemeinsame Biertrinken am Stammtisch im Anschluss an die Gemeinde- oder<br />
Stadtratssitzung lässt eben nicht nur Informationen sprudeln. Solche<br />
Vertrautheit korrumpiert auch.“<br />
Nur nebenbei gesagt, die klassische Ratsberichterstattung, die in solchen, nicht<br />
themenprägend tätigen Lokalredaktionen immer noch gepflegt wird,<br />
interessiert heutzutage auch keinen Leser mehr.<br />
Wobei ich mir sicher bin, dass die hier versammelten Kollegen, die Herren <strong>und</strong><br />
Damen Verleger <strong>und</strong> Geschäftsführer keinen Zweifel haben, dass diese<br />
Beschreibungen auf Sie nicht zutreffen. Ich versichere Ihnen hiermit kollektiv:<br />
Sie sind nicht gemeint!<br />
Die dargestellten, sehr einfachen <strong>und</strong> für Sie alle abwegigen Beispiele zeigen<br />
aus meiner Sicht immerhin: Die Hoffnung von Peter Glotz, dass es mit der<br />
„guten, alten Heimatzeitung“ doch jetzt mal ein Ende hat, ist nicht eingetreten.<br />
Die „gute, alte Heimatzeitung“, sie lebt <strong>–</strong> wirtschaftlich nicht mehr so gut wie<br />
früher, aber sie lebt.<br />
„Immer näher dran“, mit diesem Versprechen wirbt der Nordbayerische Kurier<br />
seit ein paar Jahren um Leser. Den Spruch hat eine Werbeagentur erf<strong>und</strong>en,<br />
ein Journalist käme nicht darauf. Denn wir würden fragen: <strong>Nähe</strong>r dran an wem?<br />
Und: Was glauben die Leser, an wem wir näher dran sein wollen?<br />
Früher haben die Leser das gewusst. <strong>Der</strong> Kurier ist nah dran am Bayreuther<br />
Rathaus <strong>–</strong> ganz egal, welche Partei dort regiert <strong>–</strong> <strong>und</strong> ist nah dran am Hügel.<br />
3
Das, so wusste man, das war so eine Art Naturgesetz. <strong>Der</strong> Grüne Hügel in<br />
Bayreuth ist, das muss ich Ihnen erklären, eine Autorität, die irgendwo<br />
<strong>zwischen</strong> Rathaus <strong>und</strong> dem Herrgott steht. Oberbürgermeister wechseln, aber<br />
die Familie Wagner bleibt.<br />
Dieses Wissen um die <strong>Nähe</strong> der Zeitung zu den Eliten <strong>–</strong> Elite kommt bekanntlich<br />
von Auslese <strong>–</strong> hatte für viele Kurier-Leser auch etwas Schönes, oder nennen wir<br />
es: Beruhigendes. Man wusste, wer oben ist <strong>und</strong> entscheidet, <strong>und</strong> wer unten ist<br />
<strong>und</strong> sich gefälligst fügt. Das war in den 60er Jahren noch ganz passend, in den<br />
70er <strong>und</strong> 80ern auch noch, vielleicht sogar im ganzen vergangenen<br />
Jahrtausend. Aber heute, heute ist es das nicht mehr.<br />
Heute protestieren ja sogar h<strong>und</strong>erttausende Türken gegen ihren<br />
Regierungschef, obwohl der sie wirtschaftlich in die Neuzeit katapultiert hat.<br />
Sie fordern Freiheit <strong>und</strong> gesellschaftliche Beteiligung <strong>und</strong> das mit mehr Recht<br />
als die Demonstranten am Stuttgarter Bahnhof.<br />
Heute muss Lokalzeitung <strong>–</strong> auch in Stuttgart - anders funktionieren als<br />
gewohnt. Denn wenn wir das nicht schaffen, dann schaffen es andere: Den<br />
<strong>Spagat</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Nähe</strong> <strong>und</strong> <strong>Distanz</strong>.<br />
Ich kenne mich im bayerischen Oberland ganz gut aus. Dass es ausgerechnet an<br />
dem verschlafenen Tegernsee, wo das derzeit Aufregendste ist, dass Uli<br />
Hoeneß auf seine Haftstrafe wartet, dass es ausgerechnet dort ein ganz<br />
erfolgreiches lokales Nachrichten-Blog gibt, die „Tegernseer Stimme“,<br />
gegründet von einem Nicht-Journalisten, der einst Produktmanager bei<br />
Daimler-Benz war, das hängt ganz maßgeblich damit zusammen, dass das<br />
dortige Heimatblatt, die Tegernseer Zeitung schon seit Jahrzehnten versagt<br />
<strong>und</strong> seinem Demokratie-Auftrag der kritischen Berichterstattung nicht<br />
nachkommt.<br />
Zweifel an den örtlichen Eliten sind der Münchner-Merkur-Lokalausgabe seit<br />
jeher annähernd unbekannt. In der Zeit, in der ich das Blatt verfolgt habe,<br />
wurde Bussi-Bussi mit den Schönen <strong>und</strong> Reichen am Lago di Bonzo gepflegt.<br />
Ich gehe davon aus, dass es Sie nicht w<strong>und</strong>ert, dass die Online-Zeitung<br />
„Tegernseer Stimme“ das erste Medium war, dass von der Hausdurchsuchung<br />
bei Uli Hoeneß erfuhr <strong>und</strong> <strong>–</strong> als es keine amtliche Bestätigung bekam <strong>–</strong><br />
überregionale Medien für die Recherche ins Boot holte. In<strong>zwischen</strong> behauptet<br />
4
das Lokalblog, 35 Prozent der Haushalte in seinem Gebiet zu erreichen.<br />
Darüber wäre manche Lokalzeitung froh.<br />
Das mag ein krasses Beispiel sein, aber es macht deutlich, dass Lokalzeitungen,<br />
auch oder gerade wenn sie in etablierten Verlagen erscheinen, ein ganz neues<br />
Verständnis brauchen, von <strong>Nähe</strong> <strong>und</strong> von <strong>Distanz</strong>. Oder anders formuliert: Sie<br />
müssen, verdammt noch mal, endlich über die Themen schreiben, die den<br />
Leser interessieren <strong>und</strong> nicht die lokalen Eliten.<br />
Ich gebe zu, das ist schwer. Wer ist der Leser? Gibt es den Leser überhaupt?<br />
Marktforschung könnte uns helfen, ist aber teuer <strong>und</strong> ändert noch nichts an<br />
der Einstellung in den Redaktionen. Was also tun?<br />
Nun, als erstes muss die Redaktion geöffnet werden. Schaffen Sie <strong>Nähe</strong> zum<br />
Leser, in dem sie ihn teilhaben lassen an den Prozessen in der Redaktion. Seien<br />
Sie stark in Facebook, dieser virtuelle Stammtisch liefert ihnen mehr Wissen<br />
über die Bedürfnisse <strong>und</strong> Interessen ihrer Leser als irgendeine eigene Initiative<br />
der Zeitung dies könnte.<br />
Die Bedingung: Sie müssen Facebook ernst nehmen <strong>und</strong> nicht nur als<br />
Linkschleuder für Ihre Artikel nutzen. Sie müssen mit den Nutzern dort<br />
kommunizieren, sie um ihre Meinung fragen <strong>und</strong> sich selber auch an den<br />
Diskussionen beteiligen. Sie werden sich w<strong>und</strong>ern, wie viele Ideen sie<br />
bekommen <strong>und</strong> wie viele Fehler sie vermeiden können. Dass nicht alle<br />
Facebook-Fre<strong>und</strong>e wirklich ihre Fre<strong>und</strong>e sind, ist klar. Aber gerade das macht<br />
die Debatten ja so reizvoll.<br />
Auf der Fahrt nach Berlin habe ich als Beifahrer, mit dem iPad auf den Knien,<br />
eine St<strong>und</strong>e lang in Facebook mit den Lesern diskutiert. Unmittelbarer geht es<br />
kaum, <strong>und</strong> wichtig war es auch. Es ging um unsere Bezahlinhalte <strong>und</strong> das<br />
Verständnis, warum wir für welches Thema Geld verlangen. Dieses Verständnis<br />
ist, ganz nebenbei, bei unseren Lesern sehr schwach ausgeprägt.<br />
Lassen Sie die Menschen teilhaben an den Prozessen in der Redaktion.<br />
Informieren Sie sie über Ihre Konferenzen, über Ihre Themenplanung <strong>und</strong> auch<br />
darüber, was so richtig schief gegangen ist.<br />
Damit wird <strong>Nähe</strong> zur Chance.<br />
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Wir beim Nordbayerischen Kurier besuchen in Bayreuth keine<br />
Parteiversammlung mehr, außer wir wissen <strong>–</strong> <strong>und</strong> das recherchieren wir vorher<br />
<strong>–</strong> es gibt irgendwelche Randale. Und natürlich geht auch der Stadtrats-<br />
Korrespondent unter Umständen zum Parteitreffen, aber nur um Stimmungen<br />
aufzunehmen <strong>und</strong> Kontakte zu pflegen.<br />
Wir gehen auch nicht auf Vereinsversammlungen, weil wir der Überzeugung<br />
sind, dass es dort <strong>–</strong> von wenigen Ausnahmen abgesehen <strong>–</strong> kaum<br />
Berichtenswertes für die Zeitung gibt. Die Protokoll-Artikel über die<br />
Versammlungen werden geschrieben von altgedienten freien Mitarbeitern<br />
oder von den Vereinen selber, <strong>und</strong> wir packen sie in unsere wöchentliche<br />
Beilage „Mein Verein“, also nicht mehr in die Tageszeitung..<br />
Darüber waren am Anfang manche Menschen zornig, vor allem<br />
Vereinsvorstände <strong>und</strong> Bürgermeister, <strong>und</strong> sie behaupteten, wir würden die<br />
<strong>Nähe</strong> zu den Menschen verlieren. Völliger Quatsch. Jetzt, eineinhalb Jahre<br />
später ist „Mein Verein“ ein etabliertes Produkt unserer Zeitung, hoch<br />
anerkannt bei seiner Zielgruppe. Und die Vereinsberichterstattung, die wir nun<br />
in der Tageszeitung haben, Reportagen über Ehrenamtliche zum Beispiel, die<br />
schafft wirklich <strong>Nähe</strong> zum Leser.<br />
So toll, wie ich Ihnen das hier erzähle, läuft es natürlich nicht wirklich beim<br />
Nordbayerischen Kurier. Wir üben noch, <strong>und</strong> wir machen vieles falsch. Meine<br />
Haupterkenntnis nach zwei Jahren Chefredakteur in Bayreuth ist, dass das<br />
Schwierigste an diesem Wandlungsprozess ist, die Kollegen in den Redaktionen<br />
dafür zu begeistern <strong>und</strong> fortzubilden, sie mitzunehmen. Wer mag schon gerne<br />
Veränderungen? Das ist sicher auch ein Gr<strong>und</strong>, warum seit Peter Glotz so wenig<br />
passiert ist.<br />
Immerhin, die Bayreuther CSU hasst mich <strong>–</strong> ja, diesen Begriff kann ich mit Fug<br />
<strong>und</strong> Recht benutzen. Dieses Gefühl hängt daran, dass die maßgeblichen Herren<br />
der Partei der irrigen Meinung sind, die Zeitung sei schuld an der Abwahl des<br />
OB. Was es da alles an kruden Attacken gab <strong>und</strong> gibt, habe ich immer wieder<br />
auf meinem Ankommen-Blog auf der Kurier-Internetseite dokumentiert. Mich<br />
stört diese Ablehnung auch nicht, zum Einen, weil die CSU-Funktionäre uns<br />
weiterhin lesen, um nichts zu verpassen, <strong>und</strong> weil mich die anderen Parteien<br />
<strong>und</strong> auch die Verwaltungsspitze im Rathaus auch nicht mögen. Manchmal tun<br />
sie zwar anders, aber das glaube ich ihnen dann nicht.<br />
6
Als neulich Engin, der Promi-Wirt von Bayreuth, r<strong>und</strong>en Geburtstag feierte, hat<br />
er die gesamte politische Klasse in seine Kneipe eingeladen - <strong>und</strong> von unserer<br />
Zeitung niemanden. Im ersten Moment, das gebe ich zu, war ich in meiner<br />
Eitelkeit gekränkt. Ich hätte nämlich zu gerne selber die Party abgesagt. Aber<br />
eigentlich zeigt dieses Verhalten nur: Wir als Kurier gehören nicht mehr zu den<br />
Bussi-Bussi-Kreisen in Bayreuth. Und das ist gut so.<br />
Das betrifft auch den schon erwähnten Grünen Hügel. Gerade weil wir<br />
Katharina <strong>und</strong> Eva Wagner nicht mehr nach dem M<strong>und</strong> schreiben, weil wir die<br />
Abläufe dort kritisch <strong>und</strong> kompetent hinterfragen, weil uns die räumliche <strong>Nähe</strong><br />
durchaus auch zum Vorteil gereicht, sind wir in<strong>zwischen</strong> bei den Festspielleuten<br />
akzeptiert. Sie reden mit uns, nicht immer gerne, aber sie tun’s.<br />
Und ich kann Ihnen versichern, dass wir insgesamt besser Bescheid wissen als<br />
früher. Denn bei allen politischen Diskussionen, auch bei allen sonstigen<br />
Debatten profitieren wir davon, dass wir <strong>Distanz</strong> zu den Eliten haben. Wir sind<br />
glaubwürdig in unserer Unabhängigkeit. Und da es bei jedem Konflikt<br />
jemanden gibt, der ein persönliches Interesse daran hat, diesen in die<br />
Öffentlichkeit zu bringen, ist unser Informantennetz breiter gefächert denn je.<br />
In meinem früheren Job hatte ich dies immer wieder erlebt. Die Recherchen<br />
über eine vom Landkreis durchgeführte Konversion einer ehemaligen US-<br />
Kaserne waren mühevoll, weil die Verträge nicht mal den engsten<br />
Parteifre<strong>und</strong>en des Landrats bekannt waren. Und der tat auch alles, um zu<br />
verhindern, dass herauskam, dass er insgesamt 15 Millionen Euro Steuergelder<br />
versemmelt hatte. Irgendwie steckten alle Parteien mit drin, aber in allen<br />
Parteien gab es auch Leute, die sich ihrer Verantwortung der Öffentlichkeit<br />
gegenüber bewusst waren. Es wurde viel geschrieben, viel dementiert. Am<br />
Ende bestätigten sich alle Recherchen. Das Geld war zwar weg, aber die Leser<br />
der Zeitung wussten warum <strong>und</strong> zogen bei der nächsten Wahl die<br />
Konsequenzen.<br />
Ich könnte Ihnen zum Thema <strong>Nähe</strong> <strong>und</strong> <strong>Distanz</strong> jetzt noch von dem großartigen<br />
Kollegen Ekkehard Rüger erzählen, der seit bald 20 Jahren als Alleinredakteur<br />
für die Westdeutsche Zeitung die Kleinstadt Burscheid betreut. Alleinredakteur!<br />
Da wird <strong>Nähe</strong> fast zum Überlebensargument. Nicht so bei Fre<strong>und</strong> Rüger. 2005<br />
berichtete er über „Lustreisen“ des aus Stadträten bestehenden Aufsichtsrats<br />
der Burscheider Stadtwerke nach Norwegen. Bezahlt hatte Eon-Ruhrgas. Es gab<br />
7
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, Strafbefehle, Anklagen. Im Durchschnitt<br />
musste jeder beteiligte Stadtrat 6000 Euro bezahlen <strong>–</strong> auch der<br />
Aufsichtsratsvorsitzende, der der Ehemann der Anzeigenberaterin der Zeitung<br />
ist.<br />
Und Rüger? <strong>Der</strong> lebt noch, er bekam einen Wächterpreis <strong>und</strong> arbeitet sogar<br />
weiterhin in Burscheid. Warum? Weil er seriös <strong>und</strong> umfassend recherchiert <strong>und</strong><br />
berichtet hat, weil er nicht mit Häme <strong>und</strong> Hinrichtungsjournalismus den<br />
Voyeurismus der Masse bedient hat, weil er einfach den <strong>Spagat</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Nähe</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Distanz</strong> beherrscht.<br />
Das ist es, worum es bei diesem Thema gehen muss, um seriösen, ehrlichen<br />
Journalismus. Wer sich an die Regeln hält, wer Offenheit auch lebt <strong>und</strong> nicht<br />
nur fordert, kann auch mit meinem Körperumfang <strong>und</strong> der altersbedingten<br />
Unbeweglichkeit diesen <strong>Spagat</strong> noch schaffen.<br />
Natürlich nur, wenn Sie hier im Saal - <strong>und</strong> da meine ich die Verleger <strong>und</strong><br />
Geschäftsführer - Ihre Rolle auch richtig verstehen <strong>und</strong> uns Lokaljournalisten<br />
einfach mal machen lassen. Erfreuen Sie sich Ihrer Mitgliedschaft bei Lions <strong>und</strong><br />
Rotary, aber wenden Sie dieses Vergnügen nicht gegen Ihre Redaktion.<br />
Widerstehen Sie der Versuchung, Kritik an der Zeitung <strong>und</strong> an deren<br />
Reportern, ja auch Kündigungen von Abonnenten, persönlich zu nehmen.<br />
Wenn Ihr Blatt glaubwürdig sein will, dann sind solche Reaktionen<br />
unvermeidlich. Seien Sie sich gewiss: Wenn Sie es schaffen, dass Ihre Zeitung<br />
relevant ist <strong>–</strong> <strong>und</strong> dazu gehört natürlich auch, dass Ihre Journalisten genug Zeit<br />
haben, Qualität zu liefern, soll heißen: dass sie die Redaktion nicht tot gespart<br />
haben <strong>–</strong> dann kommen die Leser schon wieder.<br />
So jetzt bin ich fast am Ende <strong>und</strong> stolz darauf, nicht einmal Hans-Joachim<br />
Friedrichs berühmten Satz zitiert zu haben, nämlich den, dass man es sich als<br />
Journalist auch mit einer guten Sache nicht gemein machen darf. Dieser Satz ist<br />
nämlich Quatsch.<br />
Lassen Sie mich also noch Christian Jakubetz, Niederbayer, Blogger <strong>und</strong><br />
Journalismuskritiker, zitieren. Ich bin nämlich sehr froh, wenigstens einen<br />
Schlusssatz gef<strong>und</strong>en zu haben.<br />
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Jakubetz also hat vor ein paar Jahren gesagt: „Man müsste <strong>Lokaljournalismus</strong><br />
vom Stigma des Minderwertigen befreien. Man müsste begreifen, dass es in<br />
einer globalisierten Welt zu den ganz wenigen Möglichkeiten eines<br />
Alleinstellungsmerkmals gehört, kompetent über Lokales zu berichten.“<br />
Recht hat er!<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
© Joachim Braun, Bayreuth<br />
11.06.13; Vortrag bei der Jahrestagung des Verband Lokalpresse in Berlin<br />
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