Das Magazin der Musikschule Mannheim - Stadt Mannheim
Das Magazin der Musikschule Mannheim - Stadt Mannheim
Das Magazin der Musikschule Mannheim - Stadt Mannheim
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Pädagogik<br />
David Becker<br />
Pädagogik unter Strom<br />
David Becker<br />
Verwirrung und Chaos in <strong>der</strong><br />
Bildung<br />
Vor gut 50 Jahren entstand im Rock ’n’ Roll die Musikform, die<br />
wir heute Popmusik nennen und die unser Leben alltäglich umgibt.<br />
Popmusik hat sich über diesen Zeitraum gewissermaßen bewährt,<br />
so dass es immer mehr Institutionen gibt, an denen man<br />
eben diese Musikrichtung studieren kann. Die Popakademie in<br />
<strong>Mannheim</strong> ist eine dieser innovativen Einrichtungen und sie feiert<br />
dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen.<br />
Ich selbst habe dort 2007 den Bachelor Studiengang Popmusikdesign<br />
mit dem Hauptfach E-Gitarre abgeschlossen. Seitdem<br />
ist ein Teil meiner berufsmusikalischen Tätigkeit das Unterrichten<br />
an <strong>der</strong> <strong>Musikschule</strong> in den Fächern E-Gitarre und Bandcoaching.<br />
2011 bot die Popakademie zum ersten Mal ihre Masterstudiengänge<br />
an. <strong>Das</strong> Programm interessierte mich, so dass ich mich<br />
dafür entschied, weiter zu studieren. Der Studiengang heißt Populäre<br />
Musik mit <strong>der</strong> Fachrichtung Educating Artist. Kurz und<br />
knapp: Hier geht es um eine sehr spannende, alternative Lehrerausbildung,<br />
die ihrer Zeit voraus ist. Ich sammelte viele Erfahrungen,<br />
was Bildung betrifft, sowohl aus Schüler- als auch aus Lehrersicht.<br />
Unzählige Themen kommen auf. Um im Bereich Musik<br />
Foto: Thorsten Dirr<br />
zu bleiben hier einige Gedanken: Wie wichtig ist eigentlich Musikunterricht<br />
o<strong>der</strong> Musik? Was verbindet den Musikschüler und<br />
den Musiklehrer? Warum darf ich nicht ausschließlich mit E-Gitarre<br />
in die Abiturprüfung gehen? Warum G8? Warum fehlt überall<br />
die Zeit? Warum überhaupt Bildungskrise? Wie begegne ich<br />
den Regeln des Schulsystems? Was möchte ich selbst als Lehrer,<br />
was meine Schülerin o<strong>der</strong> mein Schüler von mir lernt?<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach Antworten mischt sich jüngst die Neurobiologie<br />
in die Pädagogik ein. Konstruktivistische Theorien als Inhalt<br />
<strong>der</strong> Lehrerausbildung reichen ihr die Hand und verlangen<br />
nach offenen und kreativen Unterrichtsstrukturen. Spannend zu<br />
beobachten ist, dass in den Schulen mit G8 und »teaching to the<br />
test« genau das Gegenteil passiert. Prof. Pongratz beschreibt<br />
2008, dass <strong>der</strong> neurobiologische Erkenntnisfortschritt guten<br />
Lehrern keine neuen Inhalte liefert. Darüber hinaus warnt er vor<br />
einem Bildungs-Kontrollregime.<br />
Welchen neuen Bildungskonzepten soll man nun vertrauen<br />
und welche besser ignorieren? Man weiß es nicht! Es entsteht<br />
mal wie<strong>der</strong>: Verwirrung und Chaos in <strong>der</strong> Bildung. Ein hoch interessantes<br />
aber auch extrem komplexes Thema, das im Grunde<br />
jeden etwas angeht. Doch müssten sich Eltern und Jugendliche<br />
letztlich erst einmal damit beschäftigen, um mitreden zu können.<br />
Aber diese Zeit haben o<strong>der</strong> nehmen sich die meisten (noch)<br />
nicht.<br />
Was können wir konkret tun? Lassen Sie uns endlich Angst im<br />
Unterricht bekämpfen und lassen Sie uns nicht den Mut verlieren,<br />
Neues auszuprobieren. Im musikalischen Bildungskontext<br />
hieße das für mich, den Bereich Popmusikunterricht nicht in externe<br />
Projekte und Privatunterricht zu verlagern!<br />
Die Popakademie entlässt ab diesem Sommer die ersten Educating<br />
Artists. <strong>Mannheim</strong> sollte ein Interesse daran haben, die<br />
Absolventen hier zu behalten und einen deutlich größeren Bereich<br />
für Popmusik in die <strong>Musikschule</strong> zu integrieren. Es gibt so<br />
viele Fragen an die Popmusik, mit <strong>der</strong> sich Jugendliche identifizieren<br />
und über die sie mehr wissen wollen. Und da fängt Musikunterricht<br />
an, spannend zu werden. Die Pädagogik steht unter<br />
Strom, heute wie damals. Bei mir war das als E-Gitarrenlehrer sowieso<br />
schon immer <strong>der</strong> Fall.<br />
In diesem Sinne möchte ich in den folgenden Abschnitten<br />
keine neuen Bildungskonzepte – wie schon erwähnt: man weiß<br />
nicht, ob sie wirklich gut sind – vorstellen, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Perspektive<br />
des Musikers und Lehrers für mich wichtige musikalische<br />
Erlebnisse erzählen und ein paar Tipps und Anregungen<br />
geben.<br />
Gitarrenunterricht<br />
Gitarrenunterricht? Wie gut ist DAS denn! Aber wo? Und außerdem:<br />
Gitarre ist ja nicht gleich Gitarre. Kennen Sie die Unterschiede?<br />
Ganz grob zusammengefasst: Es gibt Konzertgitarren,<br />
Westerngitarren und elektrische Gitarren und man kann Klassik,<br />
Jazz und Pop studieren. Alle diese Bereiche fächern sich wie<strong>der</strong>um<br />
in unzählige und stetig wachsende Subkategorien auf. Wenn<br />
Sie also ihr Kind zum Gitarrenunterricht anmelden, so stellt sich<br />
zwangsläufig die Frage: Zu welchem und mit welcher Gitarre?<br />
Die Antwort ist erschreckend einfach: Lassen Sie Ihr Kind entscheiden!<br />
Wenn es beim Anblick einer E-Gitarre leuchtende<br />
Augen bekommt, warum sollte es dann zuerst einmal zwei Jahre<br />
Konzertgitarrenunterricht bekommen? Abgesehen davon: Es<br />
sind zwei völlig (!) unterschiedliche Instrumente. So mache ich<br />
die Erfahrung, dass Konzertgitarristen, die dann zur E-Gitarre<br />
wechseln, im Einstieg oft mehr Probleme haben, als Neueinsteiger,<br />
eben weil sich basale Techniken, wie z.B. die Handhaltung,<br />
unterscheiden. Und genauso sollte ein Kind, das gerne Konzertgitarre<br />
lernen möchte, nicht zum Klavierunterricht angemeldet<br />
werden.<br />
WOW-Erlebnisse in <strong>der</strong> Jugend<br />
Als ich die Grundschule besuchte, waren gerade die Prinzen angesagt<br />
und ich wünschte mir zu Weihnachten alle bis dahin essentiellen<br />
drei Alben. Mit dem Song »Mein Fahrrad« konnte ich<br />
mich problemlos identifizieren und »Küssen verboten«, das<br />
musste auch einfach mal ausgesprochen werden. Unser erster<br />
CD-Player war ein Diskman von aiwa, <strong>der</strong> an eine Gesangsanlage<br />
im Hobbyraum angeschlossen war. Drumherum versammelt:<br />
Neben meinen CDs ein Stones Album meines Vaters und ein<br />
Chris Rea Album meiner Mutter. Diese Alben interessierten<br />
mich anfangs eher weniger, doch eines Tages legte ich die Stones<br />
auf. Erster Titel: Start me up! Ich weiß noch heute, dass es in diesem<br />
Moment Klick machte und mir klar wurde: WOW, DAS ist<br />
Sound und die Prinzen sind Kin<strong>der</strong>garten! Zwei Jahre später<br />
nutzte Microsoft den Song bei ihrer Werbekampagne zur Einführung<br />
von Windows 95. Es ist bis heute einer meiner Lieblings-Gitarrensounds,<br />
<strong>der</strong> wirklich eingeschlagen ist. Immer wenn ich ihn<br />
höre, möchte ich sofort Gitarre spielen.<br />
In <strong>der</strong> 5. Klasse im Gymnasium verän<strong>der</strong>te sich einiges. Ich kaufte<br />
mir im CD-Laden unserer Kleinstadt die erste CD von meinem<br />
eigenen Ersparten. Kauf-Tipp meines Vaters: Fireball von Deep<br />
Purple. Der Verkäufer im CD-Laden sah mich verwirrt an und<br />
sagte, er müsse das Album bestellen. ZweiWochen später war es<br />
dann auch da. Ich hörte es regelmäßig vor <strong>der</strong> Schule, nach <strong>der</strong><br />
Schule und überhaupt, ich absorbierte es regelrecht. <strong>Das</strong> Album<br />
wurde mein Lehrmeister, denn ich versuchte alle Songs mit <strong>der</strong><br />
Gitarre o<strong>der</strong> dem Klavier nachzuspielen. Zu diesem Zeitpunkt<br />
ahnte ich noch nicht, dass ich gute zehn Jahre später zusammen<br />
mit Jon Lord sein berühmtes Concerto for Group and Orchestra<br />
aufführen würde. Er lobte sogar mein Gitarrenspiel: »You are a<br />
very good improviser!« 1997 sah ich DP das erste Mal live. Ich<br />
hatte bis dahin die Band gründlich studiert und wusste alles über<br />
ihren Sound und ihre Besetzung. <strong>Das</strong> Konzert war eine Erfüllung,<br />
doch schon vor dem Konzert ereignete sich etwas Großes! Ich<br />
betrachtete die Instrumente auf <strong>der</strong> Bühne. Links Ian Paice’s<br />
Drumset, rechts die schwarze Hammond C3 von Jon Lord mit<br />
zwei weißen Leslies, <strong>der</strong>en Schallhörner im slow-Modus rotierten.<br />
Sozusagen die Ruhe vor dem Sturm. Dann betrat ein Techniker<br />
die Bühne und spielte auf <strong>der</strong> Orgel einen Powerchord. Die<br />
ganze Arena flippte aus, jubelte und ich mit ihnen. WOW! Was<br />
war da passiert? Der Sound <strong>der</strong> Hammond durchfuhr meinen<br />
Körper und seither lässt er mich auch nicht mehr los.<br />
Bei mir war es immer <strong>der</strong> Sound von Instrumenten, <strong>der</strong> mich begeistert<br />
hat. Eher spät und zufällig entdeckte ich Hendrix auf<br />
einem »Best of 60s«-Sampler meiner Eltern. Darauf auch: Stop!<br />
In the Name of Love von den Supremes und Dylans Like a Rolling<br />
Stone. Diese drei und vor allem Hey Joe von Hendrix liefen in<br />
Dauerschleife. <strong>Das</strong> Solo von Hey Joe startet mit einem Bending.<br />
WOW, da geht die Sonne auf. Ähnliches habe ich mit Brian May<br />
von Queen erlebt. Auf einer Liveaufnahme Mitte <strong>der</strong> 80-er steigt<br />
auch er mit einem Bending beim Song One Vision nach dem<br />
Intro in ein kleines Solo ein. Man kann diesen Moment nicht beschreiben.<br />
Es ist wahrscheinlich, wie auch <strong>der</strong> Titel des Live Albums:<br />
Magic!<br />
Gitarre – ein kompliziertes<br />
Instrument<br />
Als ich bei einer Lindenberg Vernissage den Musikmanager Alex<br />
Grob wie<strong>der</strong> traf, plau<strong>der</strong>ten wir ein wenig. Dann fragte er mich,<br />
welches Instrument ich spiele. Ich antwortete: Gitarre. – Aha,<br />
eher <strong>der</strong> komplizierte Typ! – Warum das? – Sonst hätten Sie sich<br />
doch sicher ein einfacheres Instrument ausgesucht!<br />
Ich hatte mir bis dahin noch wenig Gedanken zum Thema »Wie<br />
wirken sich Musikinstrumente auf unsere Persönlichkeit aus?«<br />
gemacht. Gibt es typische Züge unter Gitarristen, Pianisten o<strong>der</strong><br />
Kontrafagottisten? Was mir aber völlig abhanden gekommen war<br />
und mir in diesem Gespräch neu bewusst wurde: Gitarre ist ein<br />
kompliziertes Instrument! Und das sollten Eltern wie Schüler<br />
wissen. Bei einem Klavier kann nahezu je<strong>der</strong> eine Taste herunterdrücken<br />
und es erklingt, richtig, ein Klavier. Bei <strong>der</strong> Gitarre muss<br />
man schon beim Anschlag einer Leersaite ungefähr wissen, wie<br />
man sie anschlägt, die an<strong>der</strong>en Saiten abdämpft, gar nicht davon<br />
zu sprechen, was ein gegriffener Ton mit <strong>der</strong> linken Hand bedeutet.<br />
Der Sound, den <strong>der</strong> junge Schüler dem Instrument nun ent-<br />
Pädagogik<br />
30 31