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Frauen zurück auf die Barrikaden - Marxistische Aktion Tübingen

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<strong>Frauen</strong>, <strong>zurück</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Barrikaden</strong>!<br />

100 Jahre Internationaler <strong>Frauen</strong>tag<br />

Vorwort 2<br />

Entstehung der <strong>Frauen</strong>bewegung 5<br />

Proletarische <strong>Frauen</strong>bewegung 7<br />

Clara Zetkin<br />

Rosa Luxemburg<br />

Kommunistische <strong>Frauen</strong>bewegung 17<br />

Aleksandra Kollontai<br />

Mutige Antifaschistinnen<br />

und <strong>Frauen</strong> im Widerstand 20<br />

Dolores Ibarruri<br />

Lilo Herrmann<br />

Maryam Firouz<br />

Internationale <strong>Frauen</strong>kämpfe 26<br />

Tamara Bunke<br />

Elisabeth Käsemann<br />

Olga Benario<br />

Die “<br />

neuen <strong>Frauen</strong>bewegungen” 32<br />

Angela Davis<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>zurück</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Barrikaden</strong>! 44<br />

Aleka Papariga<br />

Quellen 46


2 Vorwort<br />

Vorwort<br />

“<br />

Wir erkennen gar keine besondere <strong>Frauen</strong>frage an...<br />

…wir erkennen keine besondere<br />

Arbeiterinnenfrage an!<br />

Wir erwarten unsere volle Emanzipation<br />

weder von der Zulassung der Frau zu<br />

dem, was man freies Gewerbe nennt,<br />

und von einem dem männlichen<br />

gleichen Unterricht – obgleich <strong>die</strong><br />

Forderung <strong>die</strong>ser beiden Rechte nur<br />

natürlich und gerecht ist – noch von<br />

der Gewährung politischer Rechte.<br />

[…] Die Emanzipation der Frau wie<br />

des ganzen Menschengeschlechtes<br />

wird ausschließlich das Werk der<br />

Emanzipation der Arbeit vom Kapital<br />

sein. Nur in der sozialistischen<br />

Gesellschaft werden <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> wie <strong>die</strong><br />

Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte<br />

gelangen.“ 1 [Clara Zetkin]<br />

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war<br />

der 8. März immer ein Datum des<br />

öffentlichen Kampfes von <strong>Frauen</strong> weltweit<br />

gegen patriar chale Herr schaftsverhältnisse,Kapita<br />

lis mus und Mili ta risierung,<br />

ein Kampf für inter nationale<br />

Frau en rechte und soziale Ge rechtig keit.<br />

Auf der sozialistischen <strong>Frauen</strong> konferenz<br />

im August 1910 wurde beschlossen,<br />

„als einheitliche internationale <strong>Aktion</strong><br />

einen alljährlichen <strong>Frauen</strong>tag“, einen<br />

gemeinsamen Kampftag der Arbeiter_<br />

innenbewegung zu begehen.<br />

Mit der Parole „Heraus mit dem<br />

<strong>Frauen</strong>wahlrecht!” gingen am ersten<br />

Internationalen <strong>Frauen</strong>tag, am 19. März<br />

1911, alleine in Deutschland mehr als<br />

eine Million <strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Straße und<br />

forderten für alle <strong>Frauen</strong> soziale und<br />

politische Gleichberechtigung.<br />

Die vorliegende Broschüre soll zum<br />

100. Internationalen <strong>Frauen</strong>tag <strong>die</strong><br />

verschiedenen Ansätze der <strong>Frauen</strong>bewegung,<br />

ihre Geschichte und ins­<br />

1 Clara Zetkin 1889, Rede <strong>auf</strong> dem Int. Arbeiterkongress<br />

in Paris, Ausgewählte Schriften, Bd. 1,<br />

S. 46<br />

besondere ihren not wendigen revolu<br />

tio nären Kern samt Perspek tiven<br />

<strong>auf</strong>zeigen.<br />

Der Kampf für <strong>Frauen</strong>rechte ist aus<br />

marxis tischer Perspek tive mit einem<br />

grundsätzlichen Kampf für den Umsturz<br />

der herrschenden kapitalistischen Verhält<br />

nisse verknüpft, ohne den eine vollständige<br />

Aufh ebung der Geschlechter<br />

ungleichheiten nicht möglich ist:<br />

Ein Kampf für <strong>die</strong> revo lutionäre Überwindung<br />

der Wurzel der Diskriminierung<br />

von <strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> im Ka pitalis mus in<br />

der (doppelten) Ausbeutung der<br />

Arbeiterinnen durch <strong>die</strong> Kapitalistenklasse<br />

und damit im Privateigentum an<br />

den Produktionsmitteln begründet ist.<br />

Seit dem Beginn der <strong>Frauen</strong>bewegungen<br />

sind ei nige Kämpfe erfolgreich geführt<br />

worden – <strong>die</strong> Einführung des<br />

<strong>Frauen</strong>wahlrechts, <strong>die</strong> gesetzliche<br />

Gleich stel lung oder <strong>die</strong> Er rung enschaften<br />

der „sexuellen Revolution“<br />

in den 70er Jahren. Jedoch werden<br />

viele Kämpfe durch <strong>die</strong> Werbeindustrie<br />

vereinnahmt und verwertbar gemacht.<br />

Für den Großteil der <strong>Frauen</strong><br />

überall <strong>auf</strong> der Welt gilt weiterhin,<br />

dass Ausbeutung, Abhängigkeit und<br />

Zwang nicht überwunden, sondern<br />

nur in Vergessenheit geraten sind<br />

und das Ziel der Befreiung der<br />

Frau noch lange nicht erreicht ist.<br />

Um <strong>die</strong> aktuellen Formen und Möglichkeiten<br />

von <strong>Frauen</strong> kämpfen zu ver stehen,<br />

genügt es nicht, zu versuchen, den Status<br />

Quo der aktuellen Debatten darzulegen.<br />

Jeder Kampf, der seine eigene Geschichte<br />

verneint, ist bereits verloren.<br />

Deshalb muss auch <strong>die</strong> historische Entwick<br />

lung der Unterdrückung als Basis<br />

und Grund lage einbezogen werden.<br />

Clara Zetkin schildert den Zweck des<br />

Frau en tags in der von ihr her aus­


Vorwort 3<br />

gege benen Zeit schrift Gleichheit im<br />

Jahre 1914: „Sein Ziel ist <strong>Frauen</strong>recht<br />

als Menschenrecht, als Recht der<br />

Persönlichkeit, losgelöst von jedem<br />

sozialen Besitztitel. [...] Wir müssen<br />

Sorge tragen, daß der <strong>Frauen</strong>tag nicht<br />

nur eine glänzende Demonstration<br />

für <strong>die</strong> politische Gleichberechtigung<br />

des weiblichen Geschlechts, sondern<br />

darüber hinaus der Ausdruck einer<br />

Rebellion gegen den Kapitalismus,<br />

eine leidenschaftliche Kampfansage<br />

all den reaktionären Maßnahmen der<br />

besitzenden und ihrer willfährigen<br />

Dienerschaft, der Regierung ist.“ 2<br />

Auch heute ist <strong>die</strong>se Forderung aktuell:<br />

Weltweit leben <strong>Frauen</strong> in patriarchalen<br />

Herrschaftsverhältnissen und sind mit<br />

Un ter drückung und Aus beu tung konfrontiert.<br />

Mehrheitlich <strong>Frauen</strong> und<br />

Mädchen sind Opfer von Armut und<br />

Gewalt, wobei laut WHO Statistik 2001<br />

global Gewalt <strong>die</strong> Haupttodesursache<br />

für <strong>Frauen</strong> ist, noch vor Krebs, HIV<br />

und Herzinfarkt. In Deutschland<br />

ver<strong>die</strong>nen sie im Falle von geregelten<br />

Arbeitsverhältnissen durchschnittlich<br />

23% weniger als ihre männlichen<br />

Kollegen und sind überproportional<br />

häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt.<br />

Die ökonomische Ungleichheit zwischen<br />

den Ge schlech tern ist eine gesellschaftlich<br />

akzeptierte Tatsache, <strong>die</strong> das<br />

System zu seiner Aufrechterhaltung auch<br />

immer weiter repro duziert. Deshalb ist<br />

<strong>die</strong> Frage der Geschlechterverhältnisse<br />

nicht losgelöst von der kapitalistischen,<br />

hier archischen Gesell schafts struk tur<br />

zu den ken, <strong>die</strong> in aus gren zenden Kate<br />

gorien wie Ge sch lecht, sexueller<br />

Orientierung, Ethn izität, Nationalität,<br />

Behinderung und anderen funktioniert.<br />

Mit einem historischen Abriss<br />

möchten wir <strong>die</strong> Entstehung und<br />

Entwicklung der proletarischen und<br />

kommunistischen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

ab dem Ende des 19. Jahrhunderts,<br />

ihre Weiterentwicklung in den<br />

sozialistischen Staaten nachverfolgen<br />

und ihre Ziele und Erkenntnisse für <strong>die</strong><br />

heutigen revolutionären Be wegungen<br />

sichtbar machen. Wir – revolutionäre<br />

Linke der Gegenwart – können viel aus<br />

den geführten Kämpfen lernen.<br />

Unsere Aufgabe muss sein, <strong>die</strong> fortschrittlichen<br />

Debatten der <strong>Frauen</strong> bewegung<br />

von gestern und heute zu ver ­<br />

knüpfen und damit <strong>die</strong> revo lutionäre<br />

Über windung des kapitalistischen<br />

Systems und der ihm inhärenten Ausgrenzungs-<br />

und Diskriminierungs mechanismen<br />

voranzutreiben.<br />

2 In der Ausgabe von Die Gleichheit vom<br />

Januar 1914 appellierte Clara Zetkin an „<strong>die</strong><br />

dop pel te Ehren pflicht der Genossinnen, eifrig<br />

und um sich tig zum <strong>Frauen</strong>tag zu rüsten ...“.


4 Vorwort<br />

Mutige <strong>Frauen</strong> und Revolutionärinnen<br />

im Widerstand gegen den Faschismus<br />

in Europa und gegen diktatorische<br />

Regime in verschiedenen Teilen der<br />

Erde werden ebenso porträtiert wie<br />

entschiedene Kämpferinnen, <strong>die</strong> sich<br />

für <strong>die</strong> Überwindung des Kapitalismus,<br />

für den Umsturz des Patriarchats und<br />

den Aufbau revolutionärer Alternativen<br />

zu Krieg und Krise <strong>auf</strong> der ganzen<br />

Welt einsetzten und einsetzen. Unser<br />

Erinnern an <strong>die</strong> Kämpferinnen von<br />

gestern muss den Kämpfen von heute<br />

und morgen gewidmet sein!<br />

Zum hundertjährigen Jubiläum des<br />

Internationalen <strong>Frauen</strong>tags und im<br />

Gedenken an <strong>die</strong> zahlreichen mutigen<br />

und kämpferischen <strong>Frauen</strong> gilt:<br />

Euch gehört auch heute <strong>die</strong> Straße!<br />

Für Emanzipation<br />

und soziale Revolution!<br />

Für einen revolutionären<br />

Aufbauprozess!<br />

Für den Kommunismus!<br />

<strong>Marxistische</strong> <strong>Aktion</strong> <strong>Tübingen</strong><br />

März 2011


Der französische Vertreter des Frühsozialismus<br />

Charles Fourier war es,<br />

der als erster formulierte, dass <strong>die</strong><br />

Stellung der Frau ein Indikator für <strong>die</strong><br />

gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse<br />

sei, er „spricht es zuerst aus, dass in<br />

einer gegebenen Gesellschaft der<br />

Grad der weiblichen Emanzipation<br />

das natürliche Maß der allgemeinen<br />

Emanzipation ist.“ 3<br />

Die 1884 veröffentlichte Schrift Der<br />

Ursprung der Familie, des Privateigentums<br />

und des Staates von Friedrich<br />

Engels (1820-1895) untersucht <strong>die</strong><br />

Stellung der Frau in der Gesellschaft<br />

und damit ihre Unter drückung von<br />

einem materialistischen Standpunkt<br />

aus. Er entwickelt darin eine Erklärung<br />

über <strong>die</strong> Entstehung der Familienverhältnisse,<br />

<strong>die</strong> Ur sachen der Bildung<br />

des Pri vat eigentums und <strong>die</strong> Teilung<br />

der Ge sell schaft in anta gonistische<br />

Klassen.<br />

Friedrich Engels beleuchtet in seinem<br />

Werk 4 <strong>die</strong> Ent wicklung der Familie<br />

und den or ganischen Zusammenhang<br />

ihrer Formen – von der traditionellen<br />

Art des Zusammenlebens in (gleichwer<br />

tigen) Gruppen ehen 5 bis zur Entsteh<br />

ung des Privat eigentums und der<br />

sich damit immer weiter festigenden<br />

monogamen und patriarchalisch ausgerichteten<br />

Familienstrukturen. Diese<br />

bilden einen neuen gesellschaftlichen<br />

Organismus, in dem der Mann – als<br />

Patriarch – Frau, Kinder und eine An­<br />

3 Engels, Friedrich: Herrn Eugen Dührings Umwäl<br />

zung der Wissen schaft. In: MEW 20, S. 242<br />

4 Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie,<br />

des Privateigentums und des Staates, MEW<br />

Band 21, 21, S. 25-173<br />

5 Innerhalb von Gruppenehen, also Ver bindungen<br />

von Schwestern, <strong>die</strong> jeweils ihre Män ner<br />

ge meinsam hatten, oder von Brü dern, <strong>die</strong> mit<br />

ge meinsamen <strong>Frauen</strong> zu sammen waren, war<br />

das so genannte Mutterrecht, <strong>die</strong> An erkennung<br />

der weib li chen Erb linie durch <strong>die</strong> Mutter schaft<br />

als nach weisbare Abstammungslinie, verankert.<br />

Entstehung der Fr auenunterdrückung 5<br />

Die Entstehung der <strong>Frauen</strong>unterdrückung<br />

zahl Sklaven unter sich hat; mit dem<br />

Recht <strong>auf</strong> Gewaltausübung und Entscheidung<br />

über alle Belange der Untergebenen<br />

innerhalb <strong>die</strong>ser Familie. Die<br />

Frau untersteht ab <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

dem Mann, weil sie erstmals ökonomisch<br />

von ihm abhängig ist. Friedrich<br />

Engels begründet den Über gang zu<br />

monogamen Strukturen durch <strong>die</strong> entstandene<br />

Möglich keit zur Vererbung<br />

des Eigentums und damit ein hergehend<br />

<strong>die</strong> erzwungene Ver einzelung<br />

und sexuelle Treue von <strong>Frauen</strong>, um <strong>die</strong><br />

leib liche Vater schaft zu ga ran tieren.<br />

Die Entwicklung der Familie ist Wegweiser<br />

für das Verständnis der Entwick<br />

lungs schritte der Gesellschaft in<br />

Ab hängig keit von der Veränderung<br />

der Pro duktions weise. Mit dem Sieg<br />

des Privat eigentums entstand, so<br />

Engels, eine Gesellschaft, in der „<strong>die</strong><br />

Fami lienordnung ganz von der Eigentumsordnung<br />

beherrscht wird und in<br />

der sich nun […] Klassengegensätze<br />

und Klassen kämpfe frei entfalten“. 6<br />

Da <strong>die</strong> Haushaltsführung keinen Profit<br />

erzeugt, wurde sie in einem langen<br />

historischen Prozess im Vergleich zur<br />

Lohnarbeit zu einer minder bewerteten<br />

und minderwertigen Ar beit<br />

er klärt. Sie wurde <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frau ab gewälzt<br />

und in den nicht öffent lichen<br />

Be reich ver schoben, was <strong>die</strong> Frau ­<br />

en ge sell schaft lich zu ei ner iso lierten<br />

Tätigkeit degra<strong>die</strong>rte. Es kann<br />

im Kapitalismus also produktive Arbeit<br />

von re pro duktiver Ar beit unterschieden<br />

werden, wobei letztere den<br />

<strong>Frauen</strong> zufällt, ganz dem Privaten zuge<br />

schrie ben und nicht entlohnt wird.<br />

Aus <strong>die</strong> sem Zusammenhang erklärt<br />

sich <strong>die</strong> öko no mische Ab häng igkeit der<br />

Frau von ihr em Mann.<br />

6 MEW, Band 21, S.28


6 Entstehung der Fr auenunterdrückung<br />

Friedrich Engels setzt für <strong>die</strong> Befreiung<br />

der Frau <strong>die</strong> „Wiedereinführung des<br />

ganzen weiblichen Geschlechts in<br />

<strong>die</strong> öff ent liche In dustrie“, <strong>die</strong> Ver gesellschaftung<br />

der Hausarbeit und somit<br />

„<strong>die</strong> Beseitigung der Eigenschaft der<br />

Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit<br />

der Gesellschaft“ voraus. 7<br />

In ihrem Nachruf <strong>auf</strong> Friedrich Engels<br />

im Au gust 1885 schreibt Clara Zetkin:<br />

„Die Proletarierinnen aber schul den ihm<br />

besonders dank bares Erinnern. Nicht<br />

nur für ihr en Be frei ungs kampf als Ausgebeutete<br />

hat er <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Grundlage geschaffen, auch für ihr<br />

Emanzipationsringen als <strong>Frauen</strong>. […]<br />

Wohl hatten <strong>die</strong> Utopisten, vor allem<br />

Fourier, wohl hatten Marx und Engels<br />

im Kommunistischen Manifest mit<br />

glänzender Schärfe gezeigt, daß der<br />

Kapitalismus „dem Familienverhältnis<br />

seinen rührend-senti mentalen Schleier<br />

ab ge rissen und es <strong>auf</strong> ein reines<br />

Geld verhältnis <strong>zurück</strong>geführt“ hat.<br />

Engels aber war es vorbehalten,<br />

Spießbürgers Köhlerglauben an den<br />

ewigen Bestand der vaterrechtlichen<br />

Familie für immer zu zertrümmern. Im<br />

Anschluß an <strong>die</strong> Arbeiten Morgans und<br />

Bachofens, […] wies er wissenschaftlich<br />

unanfechtbar nach, daß <strong>die</strong> Familie wie<br />

jedes andere soziale Gebilde unter der<br />

treibenden Kraft der Wirtschafts- und<br />

Eigentumsverhältnisse wächst und sich<br />

verändert, daß ihre Formen ein stetes<br />

Werden und Vergehen erfahren.<br />

Seine meisterhafte Stu<strong>die</strong> „Der Ursprung<br />

der Familie, des Privat eigentums und<br />

des Staats“ ist von grund le gender Bedeutung<br />

für den Befreiungs kampf des<br />

ge samten weib lichen Geschlechts.“ 8<br />

Wladimir Iljitsch Lenin erachtete<br />

<strong>die</strong> Schrift Engels’ als „eines der<br />

grundlegenden Werke des modernen<br />

Sozialismus“ 9 , da <strong>die</strong>se erstmals systematisch<br />

und von Grund <strong>auf</strong> den Standpunkt<br />

der ma ter ialistischen Ge schichts<strong>auf</strong>fassung<br />

in Bezug <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Geschichte<br />

der Menschheit in den frühen Etappen<br />

ihrer Entwicklung darstellt.<br />

In den verschiedenen Strategiedis kussionen<br />

der <strong>Frauen</strong> bewegung waren<br />

und sind Engels Po sitionierung und<br />

seine Herleitung des Verhältnisses von<br />

Eigentumsordnung und <strong>Frauen</strong> un terdrückung<br />

immer wieder an gegriffen<br />

worden. 10 Man muss seine Aus führungen<br />

jedoch im Kontext der damaligen<br />

Forschung sehen und beachten, dass<br />

seine empirischen Quellen erst in der<br />

neueren Zeit verworfen oder weiterentwickelt<br />

wurden. All <strong>die</strong>se Kritik<br />

wider legt jedoch we der seine Kern ­<br />

thesen noch seine historisch-ma terialis<br />

tische Methode.<br />

9 W.I.Lenin, Werke, Band 29, Berlin 1961,<br />

S.463<br />

10 z.B. <strong>die</strong> Diskussionen des <strong>Frauen</strong>-AK beim IMSF,<br />

nachzulesen u.a. in „Patriarchat & Gesellschaft –<br />

Beiträge zur Geschichte der <strong>Frauen</strong>unterdrückung,<br />

zu Reproduktionsbereich und Hausfrauisierung“,<br />

S. 11ff<br />

7 MEW Band 21, S. 73 und 76<br />

8 Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und<br />

Schriften, Bd.1, Berlin 1957, S.80-83.


<strong>Frauen</strong>bewegung 7<br />

<strong>Frauen</strong> und Kapitalismus im 19./20. Jahrhundert<br />

„Der Emanzipationskampf der Prole<br />

tarier innen ist deshalb nicht ein<br />

Kampf gegen <strong>die</strong> Männer der eigenen<br />

Klasse, sondern ein Kampf im Verein<br />

mit den Männern ihrer Klasse gegen<br />

<strong>die</strong> Kapitalistenklasse.“ 11 [Clara Zetkin]<br />

Die Frau im Zentrum des Kampfes<br />

für einen fortschrittlichen so zia len<br />

Wandel<br />

Die Lage der Arbeiterinnen Mitte<br />

des 19. Jahrhundert war prekär: Der<br />

Ausbeutung als Arbeitskraft wurde eine<br />

geschlechtsspezifische Ausbeutung zur<br />

Seite gestellt. Ihre industriell nutzbare<br />

Arbeits kraft wurde – auch <strong>auf</strong>grund<br />

ihrer Doppelbelastung durch <strong>die</strong> zusätzl<br />

iche Ar beit im Haus halt und der<br />

Familie – als ge ringer ein geschätzt<br />

als <strong>die</strong> der Männer, somit wurden <strong>die</strong><br />

11 Resolution, <strong>die</strong> der SPD-Parteitag 1896 <strong>auf</strong> der<br />

Grundlage von Clara Zetkins Referat beschloss<br />

<strong>Frauen</strong> in den Fa briken mit noch geringeren<br />

Löhnen abgespeist als männliche<br />

Arbeiter. Zu dem hielten <strong>die</strong> Unter<br />

nehmer <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> für weniger<br />

streik be reit, da sie wussten: für <strong>die</strong> Familienmitglieder<br />

wäre eine Entlassung<br />

der Frau aus dem Arbeitsverhältnis<br />

fatal. Zeit gleich wurden <strong>die</strong>se unterschiedlichen<br />

Lebens bedingungen von<br />

Arbeitern und Arbeiterinnen aus genutzt,<br />

um Unstimmigkeit zwischen den<br />

La gern zu säen: Frau en wurden oftmals<br />

für Männer, <strong>die</strong> nach Streiks aus<br />

den Fa briken aus ge schlossen wurden,<br />

beschäftigt und ver mittel ten so den<br />

Män nern das Ge fühl, gegen sie in Konkur<br />

renz um Arbeits plät ze treten zu<br />

müssen.<br />

Während der Revolution von 1848<br />

unter stütz ten <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> noch unorga<br />

nisiert <strong>die</strong> Kämpfe der Arbeiterschaft,<br />

versorgten <strong>die</strong> Männer mit<br />

Verbandsmaterial oder Munition und<br />

griffen nur selten selbst zur Waffe.<br />

Sie traten mit ein für Lohnerhöhung,<br />

Ar beits zeitverkürzung sowie <strong>die</strong> Einschränkung<br />

von Kinder arbeit. Es entstan<br />

den erste Gewerk schaften und Arbeiter<br />

vereine, <strong>die</strong> aber zu <strong>die</strong> sem Zeitpunkt<br />

weder gesonderte Struk tu ren<br />

für Frau en an bo ten noch <strong>die</strong>sen den<br />

Zu gang zu den Bildungs stätten erleichterten.<br />

Bei der 1864 gegründeten I. Inter nationalen,<br />

der Inter nationalen Arbeiterassoziation,<br />

spielten Karl Marx und<br />

Friedrich Engels und <strong>die</strong> Grundlagen<br />

des wissenschaftlichen Kommunismus<br />

eine wichtige Rolle. Die große Auf gabe<br />

der Massen organisation war es, eine<br />

ge mein schaftliche Ei ni gung zu er zielen<br />

bei der Aus arbeitung der Ziele <strong>die</strong> ses<br />

Kon gresses. Hier wurde auch <strong>die</strong> Frage<br />

nach dem Einbezug von Frau en in <strong>die</strong><br />

Erwerbs arbeit dis kutiert, was von<br />

Friedrich Engels und an deren als Voraussetzung<br />

für den Klassen kampf und


8 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

<strong>die</strong> Befreiung des Prole tariats gesehen<br />

wurde. Zeit gleich wurde damit <strong>die</strong><br />

bewusste Ein gliederung der Ar beiterinnen<br />

und der Arbeiter frauen in di e<br />

Gewerkschaften und Arbeiter vereine<br />

möglich, da sich im mer weiter <strong>die</strong> Erkennt<br />

nis durch setzte, <strong>die</strong> er werbs tätigen<br />

<strong>Frauen</strong> aus einer Kon kur renz situation<br />

her auszu lösen und sie zu ak tiven Gefährtinnen<br />

im Kampf ge gen das aus beuterische<br />

Un ternehmer tum zu machen.<br />

Deklariertes Ziel der I. Internationalen<br />

war „<strong>die</strong> Zusammenschließung des Proletariats<br />

als revo lutionäre Klasse, deren<br />

soziale Er kenntnis sich in soziale Macht<br />

umsetzen sollte.“ 12<br />

„Wir bitten nicht um Ihre Hilfe,<br />

sondern wir verlangen nur<br />

Solidarität“ 13<br />

Die Grundlagen sozialistischer Emanzipationspolitik<br />

wurden in den folgenden<br />

Jahren von der Arbeiterinnenbe<br />

weg ung <strong>auf</strong> zahl reichen Konferenzen<br />

und Zu sammen künften entwickelt<br />

und ei ner brei ten Öffen tlich keit zu ­<br />

gänglich gemacht. Wichtige Beit räge<br />

zur Dis kussion lie ferte <strong>die</strong> Unter suchung<br />

zum Ver hältnis von Klassen ­ und<br />

Geschlechts zu gehörig keit, <strong>die</strong> Au gust<br />

Bebel in seiner Schrift Die Frau und<br />

der Sozialismus 1879 herausarbeitete.<br />

Weg wei send waren <strong>die</strong> Posi tio nen<br />

12 Zetkin, Clara: Zur Geschichte der proletarischen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung in Deutschland. Roter Stern<br />

Verlag, S.124<br />

13 Feststellung einer Gewerkschafterin an <strong>die</strong><br />

Adresse ihrer Kollegen, nachzulesen in Florence<br />

Hervé, S.63<br />

zur Ana lyse der Stel lung der Frau im<br />

Produk tions prozess, <strong>die</strong> Be deu tung<br />

der <strong>Frauen</strong> arbeit und <strong>die</strong> Not wendigkeit<br />

gemein schaftl icher inter nationaler<br />

<strong>Frauen</strong> käm pfe, <strong>die</strong> in zahl reichen<br />

Ver öffent lichungen von Clara Zetkin<br />

entwickelt wurden und den Gründungskongress<br />

der II. Internationalen – den<br />

Zu sammenschluss von sozialis tischen<br />

Arbeiterorganisationen aus ver schiedenen<br />

Ländern – 1889 maßgeblich beein<br />

flussten.<br />

August Bebel beschreibt das Ideal der<br />

Frau innerhalb einer neuen Gesellschaftsordnung:<br />

„Die Frau in der neuen<br />

Gesellschaft ist sozial und ökonomisch<br />

vollkommen unabhängig, sie ist keinem<br />

Schein von Herrschaft und Ausbeutung<br />

mehr unterworfen, sie steht dem<br />

Manne als Freie und Gleiche gegen über<br />

und ist Herrin ihrer Geschicke. Ihre Erziehung<br />

ist der des Mannes gleich, mit<br />

Aus nahme der Ab weichungen, welche<br />

<strong>die</strong> Verschieden heit des Ge schlechts<br />

und ihre geschlecht lichen Funk tionen<br />

bedingen; unter natur gemäßen Bedingungen<br />

lebend, kann sie ihre<br />

psychischen und geistigen Kräfte nach<br />

Bedürfnis entwickeln und betätigen;<br />

sie wählt für ihre Tätigkeiten <strong>die</strong>jenigen<br />

Gebiete, <strong>die</strong> ihren Wünschen, Nei gungen<br />

und An lagen entsprechen, und<br />

ist unter gleichen Be dingungen wie<br />

der Mann tätig. Eben noch prak tische<br />

Arbeiterin in irgendeinem Gewerbe<br />

ist sie in einem an deren Teil des Tages<br />

Erzie herin, Lehreri n, Pfle gerin, übt sie<br />

in einem dritten Teil irgendeine Kunst<br />

aus oder pflegt eine Wissenschaft<br />

und versieht in einem vierten Teil<br />

irgendeine verwaltende Funktion. Sie<br />

treibt Stu<strong>die</strong>n, leistet Arbeit, genießt<br />

Vergnügungen mit ihresgleichen oder<br />

mit Männern, wie es ihr beliebt und wie<br />

sich ihr <strong>die</strong> Gelegenheit dazu bietet. 14<br />

Es entwickelte sich in <strong>die</strong>ser Zeit eine<br />

Bewegung der bürgerlichen <strong>Frauen</strong> in<br />

14 August Bebel, Die Frau und der Sozialismus,<br />

S.317


<strong>Frauen</strong>bewegung 9<br />

Deutsch land, deren Ziele politische Freiheiten<br />

wie <strong>die</strong> Zulassung zum Studium,<br />

Berufsrecht und Möglichkeiten für<br />

soziales Wirken waren. Der Umgang<br />

der beiden Bewegungen unter einander<br />

war nicht einfach: Auch wenn bürgerliche<br />

<strong>Frauen</strong>rechtlerinnen gelegentlich<br />

für Arbeiterinnenschutz und Sozialreformen<br />

eintraten, führte das nicht<br />

zu enger Zusammenarbeit. „Für <strong>die</strong><br />

Proletarierinnen handelte es sich nicht<br />

darum, um <strong>die</strong> ‚Ehre’, <strong>die</strong> ‚Pflicht’ oder<br />

das ‚Recht’ der Arbeit zu kämpfen“<br />

im Gegensatz zu der Kampflinie und<br />

Überzeugung der bürgerlichen <strong>Frauen</strong>,<br />

„für sie bestand nicht <strong>die</strong> ‚Pflicht’, nein<br />

der grausamste Zwang zur Arbeit.“ 15<br />

Oft kämpften allerdings <strong>die</strong> organisierten<br />

Arbeiterinnen für <strong>die</strong> politischen Forderungen<br />

der bürger lichen <strong>Frauen</strong> bewegung<br />

viel beharrlicher als <strong>die</strong>se selbst.<br />

Bei den <strong>Frauen</strong> des Bürgertums standen<br />

im Zweifelsfall <strong>die</strong> kapitalistischen<br />

Profitinteressen höher als der Kampf für<br />

gemeinsame <strong>Frauen</strong>rechte.<br />

Das Wahlrecht für <strong>Frauen</strong> be trach teten<br />

Clara Zetkin und ihre Mit strei ter innen<br />

nicht als das höchste Ziel, son dern als<br />

Mittel zum Kampf gegen den Kapitalismus.<br />

Ihnen ging es um <strong>die</strong> welt weite<br />

Eman zipation der Arbeiterinnen, <strong>die</strong> in<br />

allen Ländern <strong>auf</strong> der untersten Stufe<br />

der Gesellschaft standen.<br />

Rosa Luxemburg sah <strong>die</strong> Angst der<br />

bürgerlichen Bewegung, dass „das<br />

allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht<br />

der <strong>Frauen</strong> […] den proletarischen<br />

Klassen kampf ungeheuer vorwärtstrei<br />

ben und ver schärfen [würde].<br />

Deshalb verabscheut und fürchtet <strong>die</strong><br />

bürgerliche Gesellschaft das <strong>Frauen</strong>wahlrecht,<br />

und deshalb wollen und<br />

werden wir es erringen.“ 16<br />

15 Zetkin, Clara: Geschichte der proletarischen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung, S: 48<br />

16 Luxemburg, Rosa: <strong>Frauen</strong>wahlrecht und<br />

Klas sen kampf. Aus: <strong>Frauen</strong>wahlrecht. Pro pa gandaschrift<br />

zum II. sozialdemokratischen <strong>Frauen</strong>tag.<br />

Stuttgart, 1912<br />

Bürgerliche <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

Nach der Französischen Revolution<br />

(1789-1799) und der Zeit der Aufklärung<br />

wurden um 1848 auch in Deutschland<br />

Rufe nach Gleichheit und Freiheit aller<br />

Menschen laut. Hieraus entwickelte<br />

sich eine bürgerliche Bewegung, <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Rechte der <strong>Frauen</strong> und <strong>die</strong> Rechte<br />

<strong>auf</strong> Arbeit und Bildung eintrat. Eine<br />

Vorreiterin <strong>die</strong>ser neuen Bewegung<br />

war Luise Otto-Peters, <strong>die</strong> 1865 – „von<br />

hingebungsvollem Idealismus erfüllt“ 1<br />

– den ersten <strong>Frauen</strong>bildungsverein in<br />

Leipzig gründete. Der Verein war <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> bürgerlichen <strong>Frauen</strong> ausgerichtet<br />

und bot vor allem Weiterbildungen und<br />

Abendunterhaltung an. Luise Otto-Peters<br />

gründete das erste deutsche <strong>Frauen</strong>blatt,<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>-Zeitung, <strong>die</strong> unter dem<br />

Motto „Dem Reich der Freiheit werb’<br />

ich Bürgerinnen!“ arbeiterfreundliche<br />

Berichte veröffentlichte, <strong>die</strong> jedoch aus<br />

einer gefühlsmäßigen statt so zialen und<br />

analytisch präzisen Position geschrieben<br />

waren. Clara Zetkin bemerkt, dass Luise<br />

Otto-Peters „Her vor treten mit der Forderung<br />

voller sozialer Gleichberechtigung<br />

des weiblichen Geschlechtes […]<br />

zweifellos eine mutige Tat und […] ein<br />

denkwürdiges Ereignis“ 2 war, dennoch,<br />

der beständige Einsatz für <strong>die</strong> armen<br />

Arbeiterinnen, „<strong>die</strong> gefühlvollen Worte<br />

über das Elend, <strong>die</strong> drohende Schaden<br />

der „armen Schwe stern“, <strong>die</strong> entrüsteten<br />

Ausführungen gegen ein<br />

etwaiges Verbot der <strong>Frauen</strong>arbeit in<br />

Fabriken gingen achtlos an den nicht<br />

fortzudeklamierenden Tatbeständen und<br />

Zusammenhängen der kapitalistischen<br />

Ausbeutungsgesellschaft vorüber“ 3<br />

und reduzierten deren Anliegen und<br />

Forderungen <strong>auf</strong> jene, <strong>die</strong> <strong>die</strong> bourgeoisen<br />

<strong>Frauen</strong> nicht in ihrer Stellung<br />

gefährdeten. Auch Hedwig Dohm (1833-<br />

1919) gehörte zu den ersten bürgerlichen<br />

<strong>Frauen</strong>führerinnen und wandte sich<br />

gegen das Bild und <strong>die</strong> Reduzierung der<br />

Frau als „gute Hausfrau und Mutter“.<br />

Weitere bekannte <strong>Frauen</strong> <strong>die</strong>ser Zeit<br />

waren Minna Cauer (1842-1922) oder<br />

Helene Lange (1848-1930).<br />

1 Zetkin, Clara: Geschichte der proletarischen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung, S: 46<br />

2 ebenda, S: 37<br />

3 ebenda, S: 49


10 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

Den Gründungs kongress des All gemeinen<br />

Deutschen <strong>Frauen</strong>vereins 1865<br />

kommentiert Clara Zetkin später wie<br />

folgt: „Unbestritten, dass viel und mit<br />

Pathos von Gleichberechtigung des<br />

weiblichen Geschlechts gesprochen<br />

wurde, von seiner Pflicht, am Staatsleben<br />

mit zuwirken und anderen schönen<br />

Dingen. Allein, <strong>die</strong> Konferenz stellte nicht<br />

<strong>die</strong> Forderung des politischen Wahlrechts<br />

und der Wählbarkeit der <strong>Frauen</strong> und<br />

angesichts <strong>die</strong>ser Tatsache, dass <strong>die</strong>se<br />

Losung wachsende proletarische Massen<br />

bewegte, seit Lassalles Stimme<br />

<strong>die</strong> Arbeiter als Klasse zum Kampf für<br />

das allgemeine Wahlrecht <strong>auf</strong>gerufen<br />

hatte. Die von der Konferenz verlangte<br />

Gleichberechtigung des weiblichen<br />

Geschlechtes schrumpfte in der<br />

Hauptsache zusammen zur Forderung<br />

des Rechts der Freiheit zur Berufsarbeit<br />

der <strong>Frauen</strong>.“4<br />

Bis in <strong>die</strong> 1890er Jahre waren <strong>die</strong> poli<br />

tischen For der ungen und <strong>die</strong> Organi<br />

sierung der bürger lichen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

schwach, während <strong>die</strong><br />

Be wegung der prole tarischen <strong>Frauen</strong><br />

massiven Zu l<strong>auf</strong> erhielt. Un bestritten<br />

ist, dass <strong>die</strong> bürger liche <strong>Frauen</strong> be wegung<br />

den Boden beackerte, bevor <strong>die</strong><br />

proletarische <strong>Frauen</strong>bewegung dort<br />

säte,dass sich <strong>die</strong> Theoretikerinnen der<br />

verschiedenen Bewegungen immer<br />

wie der gegenseitig inspirieren und stärken<br />

und manch schlummernde Kräfte<br />

wecken konnten. Gelegentlich kam es<br />

zwischen den beiden Strömungen auch<br />

zu Kooperationen – <strong>die</strong> Forderungen der<br />

bürgerlichen <strong>Frauen</strong>bewegung waren<br />

jedoch in ihrer finalen Zielsetzung nur<br />

selten übereinstimmend mit denen der<br />

proletarischen <strong>Frauen</strong>. Grundsätzliche<br />

Kämpfe wie nach dem <strong>Frauen</strong>wahlrecht<br />

wurden nicht mitgetragen und viele<br />

andere Belange nur sehr unvollständig<br />

und schwammig formuliert.<br />

4 Zetkin, Clara: Geschichte der proletarischen<br />

Frau en bewegung, S. 48<br />

Viele unterschiedliche <strong>Frauen</strong>gruppen<br />

und -organisationen, an Gewerkschaften<br />

angeschlossen oder unabhängig<br />

davon konstituiert, leisteten<br />

ins besondere in den Bereichen der<br />

Ar beiter innenbildung und dem Kampf<br />

für gleiche Ar beits rechte Un ermüdlich<br />

es. De batten mussten immer wieder<br />

auch in den ei genen Rei hen geführt<br />

werden, um <strong>die</strong> Herauslösung<br />

der <strong>Frauen</strong> aus häuslicher Beschränktheit<br />

und Abhängigkeit sowie <strong>die</strong> Einbe<br />

ziehung der <strong>Frauen</strong> in <strong>die</strong> gemeinsamen<br />

Klassen kämpfe zu ge währ leisten.<br />

Inner halb der Partei en und der<br />

Ge werk schaften führte <strong>die</strong>s zu Ab spaltungen<br />

und Aufteil ungen in ver schiedene<br />

Lager.<br />

„Es ist nicht zu verwundern, dass<br />

<strong>die</strong> reaktionären Elemente eine<br />

reaktionäre Auffassung haben über<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>arbeit. Im höchsten Grade<br />

überraschend aber ist es, dass man<br />

auch im sozia lis tischen Lager einer<br />

irrtümlichen Auffas sung begegnet, in<br />

dem man <strong>die</strong> Ab schaffung der <strong>Frauen</strong>arbeit<br />

verlangt […] Diejenigen, welche<br />

<strong>auf</strong> ihr Banner <strong>die</strong> Befreiung alles<br />

dessen, was Menschenantlitz trägt,<br />

geschrieben haben, dürfen nicht eine<br />

ganze Hälfte des Men schen geschlechtes<br />

durch wirt schaft liche Ab hängigkeit<br />

zu politischer und sozialer Sklaverei<br />

verur teilen. Wie der Arbeiter vom<br />

Ka pit alisten unter jocht wird, so <strong>die</strong><br />

Frau vom Manne; und sie wird unterjocht<br />

blei ben, solange sie nicht wirtschaftlich<br />

unabhängig dasteht. Die<br />

unerlässliche Bedingung für <strong>die</strong>se ihre<br />

wirtschaftliche Unabhängigkeit ist <strong>die</strong><br />

Arbeit.“ 17<br />

Auf dem Mannheimer Parteitag der<br />

SPD 1906 wurde eine kurz zuvor erschienene<br />

Veröffentlichung von Edmund<br />

Fischer in den Sozialistischen<br />

17 Protokoll des Internationalen Arbeiter-<br />

Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20.<br />

Juli 1889, Nürnberg 1890, S.80-85. Clara Zetkin,<br />

Ausgewählte Reden und Schriften, Bd.I, Berlin<br />

1957, S.3-11.


<strong>Frauen</strong>bewegung 11<br />

Monatsheften (dem Organ der<br />

Revisionisten) diskutiert, in der Fischer<br />

Stellung bezieht zur „sogenannten<br />

<strong>Frauen</strong> eman zipation“, <strong>die</strong> „der weiblichen<br />

und der mensch lichen Natur<br />

überhaupt“ widerstrebe, wider natürlich<br />

sei. Er artikulierte da mit Grundten<br />

den zen, <strong>die</strong> in der Ar beiter schaft<br />

weit ver brei tet waren. Zahl reiche<br />

Frau en aller Rich tungen mel de ten sich<br />

<strong>auf</strong> dem Partei tag zu Wort, um geschlechts<br />

un spezi fische Erziehung, gesell<br />

schaftliche Er zieh ungs ein richt ungen<br />

und Ent last ungen der Fami lien erzie<br />

h ung zu fordern, <strong>die</strong>, so Clara Zetkin,<br />

„gemein sames El tern werk sein muss“. 18<br />

Die Zeit bis 1914, <strong>die</strong> als ‚Blütezeit’ der<br />

deut schen (pro letarischen und bürgerlichen)<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung zu sehen<br />

ist, schließt Phasen des Aufbaus, der<br />

Konsoli<strong>die</strong>rung und der Entwicklung<br />

zu einer breiten Massenbewegung mit<br />

ein. 1901 waren in der proletarischen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung rund 25 000 <strong>Frauen</strong><br />

organisiert, im Jahre 1914 bereits<br />

über 320 000. Im selben Jahr konnte<br />

der Bund deutscher <strong>Frauen</strong>vereine<br />

(der Dachverband der Bürgerlichen)<br />

ebenfalls eine Mitgliederzahl von 250<br />

000 <strong>Frauen</strong> vermelden. 19<br />

18 Hervé, Florence: Geschichte der deutschen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung. S. 75<br />

19 ebenda<br />

„Krieg dem Kriege!“<br />

oder „Dienst am Vaterland“<br />

Mit dem Ausbrechen des Ersten Weltkriegs<br />

wurden Anti mili tarisierung,<br />

Arbeitslosigkeit, Hunger, Krankheit,<br />

Aufebung der Schutzbestimmungen<br />

für nahe zu alle Arbeiter innen und Arbeiter<br />

und eine enorm hohe <strong>Frauen</strong>erwerbsquote<br />

zu den Hauptthemen<br />

der politischen und praktischen Arbeit<br />

der <strong>Frauen</strong>bewegung.<br />

Die Fragen führten zur weiteren<br />

Spaltung der politisch organisierten<br />

<strong>Frauen</strong> in revolutionäre und revi sio nistische<br />

Strö mun gen. Viele der bürgerlichen<br />

Frau en sahen in Kriegs zeiten den<br />

„Dienst am Vaterland“ und damit <strong>die</strong><br />

Hilfe bei den Kriegs vor bereitun gen als<br />

wich tiges Be tätigungs feld. Clara Zetkin,<br />

Rosa Luxemburg und viele andere<br />

sozialistische Genossinnen wand ten<br />

sich ent schieden gegen den im perialistischen<br />

Krieg und den von der Parteiführung<br />

ver einbarten „Burgfrieden“,<br />

sie machten deutlich, dass sie „im<br />

Krieg gegen den Krieg zu den Vorwärtsdrängenden,<br />

zu den Stürmenden gehören“<br />

20 und riefen zur Solidarität der<br />

Unterdrückten und Ausgebeuteten aller<br />

Länder <strong>auf</strong>.<br />

In der Sozialdemokratischen Partei<br />

wur den <strong>die</strong> Debatten und Aus ein ander<br />

set zungen über den Krieg erbitter<br />

ter geführt, je län ger der Krieg<br />

dauer te. Der linke Flügel und ins beson<br />

dere <strong>die</strong> sozialistische <strong>Frauen</strong>bewe<br />

gung rief immer wieder zu Demons<br />

tra tionen und Streiks <strong>auf</strong>. 1916<br />

bildeten sich drei Fraktionen heraus,<br />

<strong>die</strong> sich in den dar<strong>auf</strong> folgenden Jahren<br />

zu eigenständigen Parteien entwic<br />

kelten: Die Mehrheitssozialisten,<br />

<strong>die</strong> wei ter hin am Burg frieden festhielt<br />

und <strong>die</strong> Kriegs kredite bewilligte; <strong>die</strong><br />

spätere USPD, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong> weitere<br />

Kriegs kredit bewilligung <strong>auf</strong>trat, und<br />

20 Clara Zetkin <strong>auf</strong> dem außerordentlichen<br />

Sozialis tenkongress 1912 in Basel, aus: Hervé,<br />

Florence: Geschichte der deutschen <strong>Frauen</strong>bewegung.<br />

S. 105


12 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

<strong>die</strong> Gruppe Internationale (späterer<br />

Spartakusbund), <strong>die</strong> eine Über windung<br />

der kapital istischen Gesellschafts ordnung<br />

und eine Rückbesinnung <strong>auf</strong><br />

marxistische Grundsätze forderte.<br />

Die Abspaltung und Radikalisierung von<br />

Teilen der <strong>Frauen</strong>bewegung trieb <strong>die</strong><br />

politische Entwicklung während und<br />

nach Novemberrevolution mit voran<br />

und zeigte das Potenzial fortschrittlicher<br />

<strong>Frauen</strong>kämpfe <strong>auf</strong>.<br />

Militarismus und Patriarchat<br />

Schon zu Beginn der <strong>Frauen</strong>konferenzen<br />

ging es den sozialistischen <strong>Frauen</strong> um<br />

den Schwerpunkt der Antimilitarisierung.<br />

Clara Zetkin warnte mit ihren Genossinnen<br />

vor dem drohenden Ausbruch des<br />

Weltkriegs und rief zu internationaler<br />

Zusammenarbeit der <strong>Frauen</strong>verbände<br />

(insbesondere der am späteren Weltkrieg<br />

beteiligten) Länder <strong>auf</strong>.<br />

Siebzig Jahre später fordert Alice<br />

Schwarzer als erste öffentliche Stimme<br />

in Deutschland den uneingeschränkten,<br />

freiwilligen Zugang von <strong>Frauen</strong> zur<br />

Bundes wehr inklusive Dienst an der<br />

Waffe. In der aktuellen EMMA-Ausgabe<br />

(Winter 2011) wird nun „Zehn Jahre<br />

<strong>Frauen</strong> an der Waffe“ gefeiert, man<br />

erwähnt stolz <strong>die</strong> 321 Panzerfahrerinnen<br />

sowie etwa 380 <strong>Frauen</strong> im momentanen<br />

Auslandseinsatz.<br />

Den antimilitaristischen <strong>Frauen</strong> rechtlerinnen<br />

wird systematisch vorge worfen,<br />

sie seien aus biolo gistischen Grün den<br />

ge gen <strong>die</strong> Ein stellung von Frau en in der<br />

Bundeswehr. Dabei ist <strong>die</strong> Ablehnung<br />

von Kriegen und dem Einsatz der Soldat_<br />

innen gleich welchen Geschlechts eng<br />

ver knüpft mit der <strong>Frauen</strong>frage, <strong>die</strong> mit<br />

einer formalen Gleichstellung des Soldaten<br />

(m) mit dem Soldaten (w) nur sehr<br />

wenig zu tun hat.<br />

Sowohl <strong>die</strong> Militarisierung der Gesellschaft<br />

nach innen als auch <strong>die</strong> nach außen<br />

geführten Kriegseinsätze be <strong>die</strong> nen<br />

sich patriarchaler Geschlechts zu schreibungen<br />

<strong>auf</strong> und reproduzieren <strong>die</strong>se.<br />

Das Militär ist hierarchisch orga nisiert<br />

und mit Attributen versehen, <strong>die</strong> als<br />

„männliche“ gelten: kameradschaftlich,<br />

mutig, strategisch, zäh. Krieg führt oft<br />

zur Militari sierung im Innern und damit<br />

auch zur Ausweitung der hierarchischen,<br />

heterosexuellen und „maskulinen“<br />

Struk turen und der Abwertung von<br />

„weib lichen“, nicht-militärischen Eigenschaften,<br />

mit denen <strong>Frauen</strong>, Homosexu<br />

elle und Kin der in Ver bin dung gebracht<br />

und ab gewer tet werden. Auch<br />

wird <strong>die</strong> Frau zu einem (passiven) Opfer<br />

stilisiert, das gerettet werden muss. So<br />

wird aktuell versucht, <strong>die</strong> Angriffskriege<br />

gegen den Irak oder Afghanistan mit<br />

der „Be freiung der Frau“ zu legitimieren<br />

und so <strong>die</strong> öffentliche Zustimmung für<br />

<strong>die</strong> Besa tzung zu erhalten. Jede echte<br />

Analyse der Situation der <strong>Frauen</strong> unter<br />

der Besatzungs macht legt den blanken<br />

Zynis mus einer solchen Argu menta tion<br />

offen. 6<br />

6 Mehr zum Thema Antimilitarismus in<br />

der Broschüre „Krise Krieg Kapitalismus“<br />

des 3a-Bündnisses, Download unter:<br />

3a.blogsport.de


<strong>Frauen</strong>bewegung 13<br />

CLARA ZETKIN (1857-1933)<br />

Als Vorkämpferin der <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

genießt Clara Zetkin bis heute<br />

weltweites Ansehen und ist neben<br />

ihrer Freundin und Genossin Rosa<br />

Luxemburg das wohl bekannteste<br />

Gesicht der so zia listischen und kommunistischen<br />

Arbeiter_innenbewegung.<br />

Sie stellt sich von Beginn ihres politischen<br />

Wir kens bis an ihr Lebensende<br />

un beirrt <strong>die</strong> Aufgabe, zwei Anliegen<br />

miteinander zu verknüpfen: Zum einen<br />

<strong>die</strong> Emanzipation der (proletarischen)<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> sie als grundlegenden<br />

Bestandteil der revolutionären Emanzipa<br />

tion des ges amten Pro letariats betrachtet<br />

und zu deren Organisierung<br />

sie entscheidend beiträgt; zum anderen<br />

den internationalen Zusammenschluss<br />

der Arbeiter_innen über sämtliche<br />

Grenzen und Schranken hinweg.<br />

Die am 5. Juni 1857 im sächsischen<br />

Wiederau geborene Clara Eißner<br />

schließt schon früh Kontakte zu sozialistischen<br />

Vereinigungen. 1878 tritt sie<br />

der Sozialistischen Arbeiterpartei bei;<br />

gerade ist sie 21 Jahre alt geworden und<br />

geht <strong>die</strong>sen Schritt gegen den Willen<br />

ihrer Eltern. Bald knüpft sie Kontakte<br />

zu frauenpolitischen Gruppierungen<br />

und engagiert sich im Aufbau der<br />

sozialistischen <strong>Frauen</strong>bewegung. Im<br />

selben Jahr geht sie eine Beziehung<br />

mit dem russischen Revolutionär<br />

Ossip Zetkin ein. Die Zeit von 1882<br />

bis 1889 verbringen beide <strong>auf</strong>grund<br />

des „Sozialistengesetzes“ (eine durch<br />

Otto von Bismarck verabschiedete<br />

Bestimmung zum Verbot sozialistischer<br />

Parteien, Organisationen, Zeitungen<br />

sowie politischer Versammlungen) im<br />

Exil in Zürich und Paris. Am 1. August<br />

1883 kommt ihr Sohn Maxim zur Welt,<br />

anderthalb Jahre später Kostja.<br />

Die Zetkins schlagen sich mehr schlecht<br />

als recht mit Sprach unterricht und Übersetzungen<br />

durch und sind neben bei<br />

politisch tätig. „Geld ist zwar Dreck“,<br />

vermeldet Clara in einem Brief an Karl<br />

Kautsky, „aber Dreck ist leider kein<br />

Geld“. In ihren späteren Vorträgen<br />

kann sie aus eigener Erfahrung darüber<br />

berichten, wie es ist, Arbeitstage<br />

von 16 oder 20 Stunden zu haben –<br />

und auch, was es bedeutet, als Frau<br />

Lohnarbeit, Haushalt und politische<br />

Arbeit miteinander zu verbinden.<br />

1889 verstirbt Ossip Zetkin nach langer<br />

Krankheit.<br />

Im selben Jahr referiert Clara <strong>auf</strong> dem<br />

Grü n dungs kongress der II. Inter nationale<br />

in Paris über <strong>die</strong> proletarische<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung. In ihrer Rede „Die<br />

Be frei ung der Frau“ fordert sie <strong>die</strong><br />

vollständige berufliche und gesellschaft<br />

liche Gleichberechtigung der<br />

Frau, ihre aktive Teil nahme am Klassenkampf<br />

sowie eine strikte Ab grenzungs<br />

politik zur bürger lichen Frau en ­<br />

bewegung. Bei ihrer ersten Rede einige<br />

Jahre zuvor bereitet ihr der Auftritt vor<br />

vielen Menschen noch Un be hagen: „Ich<br />

hatte das Gefühl, als ob der Tisch mit<br />

mir in <strong>die</strong> Luft ginge. Doch <strong>die</strong> Genossen<br />

ermunterten mich freundlich, es mache<br />

nichts. Ich fand den Faden wieder und<br />

brachte meine Rede zu Ende.”


14 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

Zurück in Deutschland verschlägt<br />

es Clara Zetkin nach Stuttgart. Auch<br />

hier ist sie politisch aktiv. Sie hält<br />

hunderte Vorträge im Jahr, arbeitet<br />

als Übersetzerin für den Dietz-Verlag<br />

und ist von 1891 bis 1917 <strong>die</strong> Herausgeberin<br />

der sozialistischen <strong>Frauen</strong>zeitung<br />

Die Gleichheit. In deren<br />

programmatischer Eröffnungsnummer<br />

wendet sie sich gegen <strong>die</strong> in ihren<br />

Augen „reformistische“ Vorstellung,<br />

durch rechtliche Gleichstellung mit den<br />

Män nern inner halb des Kapitalismus<br />

eine Befrei ung der <strong>Frauen</strong> erreichen<br />

zu wollen: „‚Die Gleichheit’ […] geht<br />

von der Überzeugung aus, dass der<br />

letzte Grund der jahrtausendealten<br />

niedrigen gesellschaftlichen Stellung<br />

des weiblichen Geschlechts nicht in<br />

der jeweils ‚von Männern gemachten’<br />

Gesetzgebung, sondern in den durch<br />

wirtschaftliche Zustände bedingten<br />

Eigentumsverhältnisse zu suchen ist…“<br />

Im Jahr 1907 wird sie Sekretärin des<br />

Internationalen <strong>Frauen</strong>komitees. Auf<br />

der zweiten Internationalen Konferenz<br />

sozialistischer <strong>Frauen</strong> in Kopenhagen<br />

im Juni 1910 schlägt sie <strong>die</strong> Einrichtung<br />

eines Internationalen <strong>Frauen</strong>tags vor.<br />

Als <strong>die</strong> Führungsspitze der SPD den<br />

Ersten Weltkrieg befürwortet – und<br />

unter anderem im Reichstag für <strong>die</strong><br />

Be willigung der Kriegs kredite stimmt<br />

– und eine Politik des ‚Burg friedens“<br />

anstrebt, stellt sich Clara Zetkin offen<br />

dagegen. Wegen der Ein berufung<br />

der inter nationalen sozialis tischen<br />

<strong>Frauen</strong> konferenz wird Zetkin 1915<br />

für vier Monate inhaftiert. Ein antimilitaristisches<br />

Flugblatt für <strong>die</strong> Konferenz<br />

ist dabei Grund der Verhaftung,<br />

das mit „Nieder mit dem Kapi talis mus,<br />

der dem Reich tum und der Macht<br />

der Besitz enden Hekatom ben von<br />

Menschen opfert! Nieder mit dem<br />

Kriege! Durch zum Sozialismus!” endet.<br />

Sie wird des Landesverrats angeklagt,<br />

jedoch nach einer großen Protestwelle<br />

freigelassen.<br />

1917 schließt sich Clara zusammen mit<br />

ihrer engen Freundin Rosa Luxem burg<br />

und Karl Liebknecht der den linken<br />

Flü gel der Sozial demokratie re prä sentieren<br />

den USPD an und gehört zu den<br />

Mit begrün derinnen der Spartakusgruppe.<br />

In der daraus her vor gehenden<br />

Kommunis tischen Par tei Deutsch lands<br />

(KPD), <strong>die</strong> von Ro sa Lu xem burg mitbegründet<br />

wird, beginnt sie ab 1919 mit<br />

dem Aufbau einer kommunistischen<br />

<strong>Frauen</strong> bewe gung. Von 1920 bis 1933 ist<br />

sie Reichs tags abge ordnete der KPD.<br />

Auch in der Kommunistischen Internationale<br />

bleibt Clara eine Vor kämpferin<br />

der <strong>Frauen</strong>bewegung und ent wir ft 1920<br />

<strong>auf</strong> Lenins Anre gung hin <strong>die</strong> Richt linien<br />

zur kommu nistischen <strong>Frauen</strong> ar beit.<br />

Auch bei den Themen Antimilitarismus<br />

und Antifaschismus ist Clara un bequem:<br />

Im Juni 1923 erregt sie mit<br />

einem Bericht <strong>auf</strong> dem erweiterten<br />

Plenum des Exekutivkomitees der<br />

Kom munistischen Internationale (EKKI)<br />

Auf sehen mit ihren Thesen zum Klassen<br />

charak ter des Faschismus, der<br />

im Jahr zuvor in Italien an <strong>die</strong> Macht<br />

ge kommen ist. Sie widerspricht der<br />

gängigen Auffassung, der Faschismus<br />

habe seine Wurzel in der Angst der<br />

Kapitalisten vor der Weltrevolution<br />

– vielmehr sei es „das Stocken, der<br />

schleppende Gang der Weltrevolution<br />

infolge des Verrats der reformistischen<br />

Führer der Arbeiterbewegung” der den<br />

Aufstieg des Faschismus ermöglicht<br />

habe.<br />

Als Alterspräsidentin des Deutschen<br />

Reichstages eröffnet sie <strong>die</strong> kon sti tu­


<strong>Frauen</strong>bewegung 15<br />

ierende Sitzung des Reichstags am 30.<br />

August 1932 „in der Hoffnung, trotz<br />

meiner jetzigen Invalidität das Glück zu<br />

erleben, als Alterspräsidentin den ersten<br />

Rätekongreß Sowjet deutschlands zu<br />

eröffnen“ und ruft zum Widerstand<br />

gegen <strong>die</strong> Nationalsozialisten <strong>auf</strong>.<br />

Anfang 1933 geht Clara Zetkin erneut<br />

ins Exil, <strong>die</strong>smal in <strong>die</strong> Sowjetunion.<br />

Sie stirbt am 20. Juni 1933, 400 000<br />

Menschen nehmen am Trauerzug teil.<br />

ROSA LUXEMBURG<br />

(1871-1919)<br />

Franz Mehring, Marx’ Biograph und<br />

selbst Sozialist, sieht in Rosa Luxemburg<br />

„den genialsten Kopf seit Karl Marx<br />

selbst“; sie wird „<strong>die</strong> Göttliche“ genannt<br />

und für Lenin ist sie der „Adler<br />

der Re vo lution“. Vor allem aber ist Rosa<br />

Luxemburg eins: eine revolutionäre<br />

und kompro misslose Sozialistin. Sie<br />

stellt nicht nur ihre Intelligenz in den<br />

Dienst der Arbeiterbewegung, sondern<br />

auch ihre Leidenschaft, ihr Herzblut,<br />

ihren starken Willen und ihr Leben.<br />

Rosa Luxemburg wird am 5. März 1871<br />

in der kleinen polnischen Stadt Zamość<br />

geboren und ist schon seit frühester<br />

Jugend in der sozialistischen Bewegung<br />

aktiv. Sie kommt in Kontakt mit der<br />

revolutionären Partei Proletariat, <strong>die</strong><br />

einige Jahre zuvor in Polen gegründet<br />

worden war. Nachdem 1886 viele<br />

Mitglieder der Partei zu langjähriger<br />

Zwangs arbeit verurteilt oder hingerichtet<br />

werden, besteht <strong>die</strong> geschwächte<br />

Partei nur noch aus einem<br />

kleinen Zirkel, dem sich <strong>die</strong> 16-jährige<br />

Rosa an schließt. Zwei Jahre später ist<br />

sie bereits so bekannt, dass sie Polen<br />

<strong>auf</strong>grund drohender Repressionen<br />

ver las sen muss und nach Zürich, dem<br />

damals wich tig sten Zen trum der<br />

polnischen und russischen Emi grant_<br />

innen, aus wandert. Rosa besucht dort<br />

<strong>die</strong> Uni versität und stu<strong>die</strong>rt Naturwissenschaften,<br />

Mathematik und<br />

Volks wirtschaftslehre. Sie nimmt<br />

leb haften An teil am Leben der revolutionären<br />

Intellektuellen und ist in der<br />

örtlichen Arbeiterbewegung aktiv.<br />

Rosa Luxemburg engagiert sich auch in<br />

der inter nationalen Arbeiterbewegung:<br />

sie nimmt an den Partei tagen der<br />

SPD teil und wirkt als führende Theoretikerin<br />

der Sozialdemokraten in Polen,<br />

ist Deleg ier te bei den Kon gres sen der II.<br />

Internationale und ab 1903 Mitglied des<br />

Internationalen So zia lis tischen Büros.<br />

Sie ist eine eigen willige und sowohl in der<br />

Politik als auch im Privaten standhafte<br />

Frau, <strong>die</strong> in zahlreichen Zeitungs artikeln<br />

und öffent lichen Reden leiden schaftlich<br />

ihre The sen vertritt und selbst vor<br />

größeren Zusammenstößen mit älteren<br />

Politgenossen nicht <strong>zurück</strong>schreckt. So<br />

erregt ihre Schrift Sozialreform oder<br />

Revolution? von 1899 gegen Eduard<br />

Bernstein in der Revisionismus-Debatte<br />

auch international Aufsehen.<br />

1903 stürzt sich Rosa Luxemburg in eine<br />

Polemik gegen Lenin, mit dem sie in<br />

der nationalen Frage zusammenstößt,<br />

aber auch in der Diskussion über <strong>die</strong><br />

Konzeption der Partei und das Verhältnis<br />

von Partei und Massenaktivität anderer


16 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

Auffassung ist. Ihre Kritik an dessen<br />

zentralistischer Organisationsstruktur<br />

ist jedoch – anders als das später viele<br />

haben wollen, <strong>die</strong> sich <strong>auf</strong> sie als große<br />

sozialistische Demokratin wider <strong>die</strong> so<br />

genannte „Parteiherrschaft“ berufen –<br />

nicht moralischer, sondern praktischer<br />

Natur. Sie propagiert den politischen<br />

Massenstreik und trägt wesentlich<br />

zur Verbreitung der Erfahrungen der<br />

russischen Revolution von 1905 im<br />

Westen bei.<br />

Als junge Theoretikerin setzt sie sich<br />

auch in den Folge jahren kämpferisch<br />

mit dem be ginnenden Re for mismus in<br />

der Sozial demo kratie auseinander. Mit<br />

ihrer klaren Absage an Krieg und Kriegskredite<br />

pro voziert sie 1914, zu sammen<br />

mit Karl Liebknecht, Franz Mehring, Clara<br />

Zetkin und anderen <strong>die</strong> Spaltung der<br />

SPD. Wegen ihrer Aufrufe zur Befehlsverweigerung<br />

verbringt sie ab 1914<br />

einen Großteil der Zeit im Gefängnis, von<br />

wo aus sie jedoch stetig weiter publiziert.<br />

Rosa Luxemburg ist als konsequente<br />

Anti imperialistin der Über zeugung,<br />

dass sich der Kampf gegen den Krieg<br />

vom Kampf für den Sozialis mus nicht<br />

tren nen lässt. Wäh rend des Ersten<br />

Welt kriegs schreibt sie unter dem<br />

Pseudo nym „Junius”. Hier entsteht<br />

ihre wich tigste Anti-Kriegs-Schrift, Die<br />

Krise der Sozialdemokratie (bekannter<br />

unter dem Titel „Junius-Broschüre“),<br />

in der sie mit den „imperialistischen<br />

Kriegshetzern“ abrechnet:<br />

„Die Dividenden steigen und <strong>die</strong><br />

Proletarier fallen. Und mit jedem sinkt<br />

ein Kämpfer der Zukunft, ein Soldat der<br />

Revolution, ein Retter der Menschheit<br />

vom Joch des Kapitalismus ins Grab.<br />

Der Wahnwitz wird erst <strong>auf</strong>hören<br />

und der blutige Spuk der Hölle wird<br />

verschwinden, wenn <strong>die</strong> Arbeiter in<br />

Deutsch land und Frankreich, in England<br />

und Rußland endlich aus ihrem<br />

Rausch erwachen, einander brüderlich<br />

<strong>die</strong> Hand reichen und den bestialischen<br />

Chorus der imperialistischen Kriegshetzer<br />

wie den heiseren Schrei der<br />

kapitalistischen Hyänen durch den<br />

alten mächtigen Schlachtruf der Arbeit<br />

überdonnern: Proletarier alter Länder,<br />

vereinigt euch!“<br />

Rosa Luxemburg ist Mitbegründerin<br />

des Spartakusbunds und entwickelt<br />

feder führend das Programm der der<br />

Kom mu nistischen Partei Deutschlands<br />

(KPD). Am 1. Januar 1919 ist sie<br />

beim Gründungs parteitag der KPD<br />

dabei. Am 5. Januar beginnt der<br />

„Spartakus <strong>auf</strong>stand“, der nach einer<br />

Woche von der Reichs wehr blutig<br />

niedergeschlagen wird und bei dem<br />

Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

ihr Leben lassen.<br />

In Berlin werden Rosa Luxemburg und<br />

Karl Liebknecht am 15. Januar widerrechtlich<br />

verhaftet und ins Hotel „Eden“<br />

am Kurfürstendamm gebracht wo<br />

sie unter schweren Misshandlungen<br />

von Angehörigen des Freicorps unter<br />

Kommandant Waldemar Pabst, mit<br />

Billigung der Sozialdemokraten, verhört<br />

werden. Anschließend wird Rosa mit<br />

einem Gewehrkolben niedergeschlagen<br />

und – wie ihr Genosse Karl Liebknecht<br />

– erschossen. Ihre Leiche wird in den<br />

Berliner Landwehrkanal geworfen und<br />

erst Monate später <strong>auf</strong>gefunden.<br />

Eines ihrer bekanntesten Zitate ist<br />

zugleich auch Rosas letzte Botschaft:<br />

am 14. Januar 1919 veröffentlicht sie in<br />

der KPD-Zeitung„Roten Fahne“ einen<br />

Text, in dem sie mit ihren späteren<br />

Mördern abrechnet und damit endet:<br />

„‚Ordnung herrscht in Berlin!’ Ihr<br />

stumpfen Schergen! Eure ‚Ordnung‘ ist<br />

<strong>auf</strong> Sand gebaut. Die Revolution wird<br />

sich morgen schon rasselnd wieder in<br />

<strong>die</strong> Höh‘ richten und zu eurem Schrecken<br />

mit Posaunenklang verkünden: Ich war,<br />

ich bin, ich werde sein!“


<strong>Frauen</strong>bewegung 17<br />

<strong>Frauen</strong>frage<br />

und Dialektischer Materialis mus<br />

„Marx hat sich nie mit der <strong>Frauen</strong>frage<br />

‚an und für sich’ und ‚als solcher’<br />

beschäftigt. Trotzdem hat er Unersetzliches,<br />

hat er das Wichtigste für<br />

den Kampf der Frau um volles Recht<br />

geleistet. Mit der materialistischen<br />

Geschichts <strong>auf</strong>fassung hat er uns zwar<br />

nicht fertige Formeln über <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>frage,<br />

wohl aber Besseres gegeben:<br />

<strong>die</strong> richtige, treffsichere Methode,<br />

sie zu erforschen und zu be greifen.<br />

Erst <strong>die</strong> materialistische Geschichts<strong>auf</strong>fassung<br />

hat es uns er möglicht, <strong>die</strong><br />

<strong>Frauen</strong> frage im Flusse der allgemeinen<br />

geschichtlichen Ent wicklung, im Lichte<br />

der allgemeinen sozialen Zusammenhänge<br />

in ihrer historischen Bedingtheit<br />

und Be rech tigung klar zu verstehen,<br />

ihre bewegenden und tragenden Kräfte<br />

zu erkennen [...] Zer schmettert sank<br />

der alte Aber glaube in den Staub, dass<br />

<strong>die</strong> Stellung der Frau in Familie und<br />

Gesell schaft ein ewig Un wandelbares<br />

sei, das nach sittlichen Gesetzen oder<br />

göttlichen Vorschriften geschaffen. Klar<br />

enthüllte es sich, dass <strong>die</strong> Familie wie<br />

<strong>die</strong> übrigen Einrichtungen und Da seinsformen<br />

der Gesellschaft einem steten<br />

Werden und Vergehen unterworfen ist<br />

und sich wie sie mit den Wirt schafts ­<br />

verhältnissen und der von ihnen<br />

getragenen Eigen tums ordnung wandelt.<br />

Die Ent wick lung der wirt schaftlichen<br />

Pro duktiv kräfte aber ist es,<br />

welche <strong>die</strong>se Wand lung treibt, indem<br />

sie <strong>die</strong> Pro duktions weise um wälzt und<br />

sie in Gegen satz zu der Wirt schaftsund<br />

Eigen tums ordnung stellt. Auf<br />

dem Untergrund der revolutionierten<br />

wirt schaft lichen Verhält nisse und Zusammenhänge<br />

vollzieht sich dann <strong>die</strong><br />

Revolutionierung des Denkens der<br />

Menschen, ihr Streben, den gesellschaft<br />

lichen Überbau in seinen Einrichtungen<br />

den Veränderungen an der<br />

wirt schaft lichen Grund l age entsprechend<br />

umzugestalten, das in Eigen tums ­<br />

formen und Herr schafts verhält nissen<br />

Erstarrte zu beseitigen. Die Kämpfe<br />

der Klassen sind es, mittels deren sich<br />

<strong>die</strong>ses Streben durchsetzt.” 7<br />

[Zetkin, Clara]<br />

7 Zetkin, Clara: Was <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> Karl Marx<br />

verdanken, Gleichheit, 25. 3. 1903<br />

Die kommmunistische<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung<br />

„Die Revolution ist der einzige Weg<br />

zur Befreiung der Frau“ 21 [Clara Zetkin]<br />

Die kommunistische <strong>Frauen</strong> bewe gung in<br />

Deutschland entwickelte sich in der Zeit<br />

der Oktoberrevolution in Russland und<br />

hoffte <strong>auf</strong> ein Er starken der proletarischen<br />

Welt revo lution und eine damit initiierte<br />

revo lutionäre Um wälzung auch der<br />

deutschen Gesell schaft. Die Be we gung<br />

basierte <strong>auf</strong> der historisch-ma terialistischen<br />

Über zeugung, dass <strong>die</strong> Unterdrückung<br />

der Frau ihren grund legenden<br />

Ur sprung in der Entstehung des Privateigen<br />

tums hat und <strong>die</strong> Überwindung<br />

<strong>die</strong>ser Unterdrückung nur durch <strong>die</strong><br />

Bekämpfung der ka pit a listischen Produktions<br />

weise besei tigt werden kann.<br />

Während sich <strong>die</strong> sozial demo kratische<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung nach dem Ersten<br />

Weltkrieg fast voll ständig von<br />

ihren früheren Positionen abgewandt<br />

hatte, organisierten sich <strong>die</strong><br />

revolutionären sozialistischen <strong>Frauen</strong><br />

zunehmend in der sich konstituierenden<br />

Kommunistischen Partei<br />

Deutsch land (KPD), um den Kampf<br />

für <strong>die</strong> Gleichberechtigung der <strong>Frauen</strong><br />

in einer sozialistischen Gesell schaft<br />

weiter zuführen. Die KPD ent wic kelte<br />

in den Fol ge jah ren viel fältige Akti ­<br />

vitäten und Ver anstal tungen für <strong>Frauen</strong>,<br />

um Hin weise für konkrete organisatorische<br />

For men der <strong>Frauen</strong> arbeit<br />

zu gewinnen – was in den Nachkriegsjahren<br />

kein leichtes Un ter fangen war.<br />

Veranstaltungen zum Internationalen<br />

<strong>Frauen</strong>tag wurden beispielsweise<br />

verboten, was <strong>die</strong> KPD dazu veranlasste,<br />

eine ganze <strong>Frauen</strong>tags woche<br />

ab zu halten und <strong>die</strong>se mit weiteren<br />

For derungen zu verknüpfen. 22<br />

21 Zetkin,Clara: Zur Geschichte der proletarischen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung, S. 233<br />

22 Hervé, Florence: Geschichte der deutschen<br />

<strong>Frauen</strong> bewegung. S. 128


18 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

Auch an den Streikkämpfen der Arbei<br />

ter schaft im Jahr 1923 gegen <strong>die</strong><br />

Ver läng erung der Arbeit szeit als Folge<br />

der Not verordnung waren <strong>die</strong> kommu<br />

nistischen Arbeiterinnen entschei<br />

dend beteiligt. Rück blickend<br />

schreibt <strong>die</strong> KPD­ Funk tionärin Herta<br />

Geffke: „Die Kom munis tinnen sind <strong>die</strong><br />

organisierende Kraft, das politische Hirn<br />

der B etei ligung der Proletarierinnen an<br />

der Bewegung. Ohne Ihre Aktivität und<br />

Initiative würde <strong>die</strong>se Beteiligung einen<br />

zufälligen, unorganisierten und weniger<br />

wirkungsvollen Charakter tragen“. 23<br />

Ende 1925 entstand nach vielen<br />

Diskussionen der Rote <strong>Frauen</strong>- und<br />

Mäd chenbund (RFMB), <strong>die</strong> erste<br />

eigen ständige revo lutionäre <strong>Frauen</strong>organisation<br />

in der Weimarer Republik.<br />

Dieser sollte an spezifischen<br />

<strong>Frauen</strong> interessen anknüpfen und <strong>die</strong><br />

notwendigen Beziehungen zwischen<br />

der Partei und den <strong>Frauen</strong> festigen. Im<br />

antimilitaristischen Kampf arbeitete<br />

der RFMB eng mit dem Roten Frontkämpferbund<br />

zusammen, der sich als<br />

Wehrorganisation gegen <strong>die</strong> Anschläge<br />

von rechts gegründet hatte. Im linken<br />

Flügel der KPD wurden generell<br />

Sonderorganisationen für <strong>Frauen</strong> abge<br />

lehnt, um <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> fragen nicht<br />

nur von <strong>Frauen</strong> bearbeitet zu wissen<br />

und <strong>die</strong> Gefahr des Separatismus zu<br />

vermeiden. Man setzte vielmehr <strong>auf</strong><br />

in <strong>die</strong> Partei eingebundene Organe,<br />

bestenfalls aus Männern und <strong>Frauen</strong><br />

zusammengesetzt, <strong>die</strong> mit der<br />

spezifischen Organisation der<br />

<strong>Frauen</strong>agitation betraut wurden.<br />

Die Kommunistinnen in Deutsch land<br />

waren eng verbunden mit ver schiedenen<br />

Sektionen der organi sier ten<br />

inter natio nalen <strong>Frauen</strong> bewegung.<br />

Beim Grün dungs kongress der III.<br />

In ter nationalen 1919 in Moskau<br />

wurde das Streben nach „volle(r)<br />

Gleichberechtigung der <strong>Frauen</strong> und<br />

23 Hervé, Florence: Geschichte der deutschen<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung. S. 133<br />

ihre Bedeutung als nicht zu missende<br />

Kraft der Revolution“ als Grundsatz<br />

festgesetzt.<br />

<strong>Frauen</strong>politik in der Sowjetunion<br />

„Eine Selbstverständlichkeit ist <strong>die</strong> volle<br />

Gleich be rechtigung von Frau und<br />

Mann in der Gesetz ge bung. Auf allen<br />

Gebie ten zeigt sich das Be streben, <strong>die</strong><br />

Gleich berechti gung durch zu füh ren<br />

Wir gliedern <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> in <strong>die</strong> so ziale<br />

Wirtschaft, Verwaltung, Gesetz gebung<br />

und Re gierung ein. Wir öff nen ihnen alle<br />

Kurse und Bil dungs an stalten, um ihre<br />

be rufliche und soziale Leistungsfähigkeit<br />

zu heben. Wir gründen Ge mein schaftsküchen<br />

und öffentliche Speisehäuser,<br />

Wasch- und Re paraturanstalten, Krippen,<br />

Kinder gärten, Kinderheime, Erziehungsinstitute<br />

verschiedener Art. Kurz,<br />

wir machen Ernst mit unserer programma<br />

tischen Forderung, <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />

und erzieherischen Funktionen<br />

des Einzel haushaltes der Gesellschaft<br />

zu übertragen. Dadurch wird<br />

<strong>die</strong> Frau von der alten Haussklaverei<br />

und jeder Abhängigkeit vom Manne<br />

erlöst. Es wird ihr je nach Begabung und<br />

Neigung volles Wirken in der Gesellschaft<br />

möglich. (...) Wir wissen sehr gut, ... dass<br />

es noch bei weitem nicht alles zu ihrer<br />

tatsächlichen Befreiung ist. (..) Es ist ein<br />

guter Anfang in der rechten Richtung.“ 5<br />

[W. I. Lenin über das Programm der<br />

sozialistischen Revolution]<br />

Die russische Oktober revolution ver änder<br />

te <strong>die</strong> Situation der <strong>Frauen</strong> in Russland<br />

ent scheidend und zog auch über<br />

<strong>die</strong> Gren zen hinweg durchschlagende<br />

Ver än derungen nach sich. <strong>Frauen</strong> waren<br />

sel bst maß geblich an der Revolution<br />

be teiligt und erwirkten eine Reihe von<br />

Ver änderungen zugunsten der wei b­<br />

lichen Bevölkerung, was gleichen Lohn,<br />

gleiches Recht <strong>auf</strong> Ausbildung, das<br />

Recht <strong>auf</strong> Scheidung und Legalisierung<br />

der Abtreibung betraf. Außerdem wurde<br />

<strong>die</strong> Haus arbeit durch <strong>die</strong> Ein richtung<br />

von Volkskantinen und Kin derbe<br />

treuungsstellen weitgehend vergesellschaftet<br />

und ermöglichte so den<br />

<strong>Frauen</strong>, erwerbstätig zu sein.<br />

5 Zetkin, Clara: Erinnerungen an Lenin.<br />

In: Schriften zur proletarischen <strong>Frauen</strong>bewegung,<br />

S. 49


<strong>Frauen</strong>bewegung 19<br />

ALEXANDRA KOLLONTAI<br />

(1872-1952)<br />

Gerade einmal vier Monate lang hält<br />

sich Alexandra Michailowna Kollontai<br />

nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in<br />

Russland <strong>auf</strong>, bevor sie im Juli 1917<br />

<strong>auf</strong>grund ihrer politischen Tätigkeit<br />

inhaftiert wird. Es ist <strong>die</strong> Zeit zwischen<br />

dem Sturz des Zaren Nikolaus II. und der<br />

Oktoberrevolution.<br />

Als Herausgeberin der Zeitung Rabotniza<br />

(Die Arbeiterin) und als erste<br />

weibliche Deputierte im Petersburger<br />

Arbeiter- und Bauern sowjet hatte Alexandra<br />

Kollontai <strong>die</strong> Arbeiterinnen für<br />

<strong>die</strong> Revolution mobilisiert und sie dazu<br />

<strong>auf</strong>gefordert, <strong>die</strong> Umgestaltung der Gesellschaft<br />

nicht allein den männlichen<br />

Mit kämpfern zu überlassen. Eine unbe<br />

queme Frau: Für <strong>die</strong> Bour geoisie,<br />

aus der sie selbst stammt und für<br />

deren Ab schaffung sie kämpft; für <strong>die</strong><br />

bürger lichen Fe minis tinnen, wel chen<br />

sie vorwirft, ledig lich ihre Klassenprivilegien<br />

durchsetzen zu wollen; und<br />

ebenso für einen Teil der männlichen<br />

Revolutionäre, welche ihren Einsatz<br />

für <strong>die</strong> Gleichberechtigung der Frau<br />

als Gefahr für <strong>die</strong> Ein heit des Klassenkampfes<br />

verurteilen. Später kamen<br />

weitere Anschuldigungen hinzu. Ihr<br />

extra vaganter Kleidungs stil wurde als<br />

bürgerlich, ihre Schriften zur sexuellen<br />

Selbstbestimmung der Frau und<br />

zu „freier Liebe“ als unmoralisch diffa<br />

miert. Den noch schätzten <strong>die</strong> Bolschewiki<br />

Kollontai als unermüdliche<br />

Publizistin, Rednerin und revolutionäre<br />

Agitatorin. Als sie Ende August 1917<br />

aus der Haft entlassen wird, war sie in<br />

Abwesenheit in das Zentralkomitee der<br />

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei<br />

Russlands gewählt worden.<br />

Alexandra Kollontai wird später in ihren<br />

autobiographischen Aufzeichnungen<br />

schreiben, dass sie „viele Leben“ lebte.<br />

Als adlige Tochter eines zaristischen<br />

Generals ist eines <strong>die</strong>ser Leben eher<br />

bürgerlich-beschaulich. Im Alter von 26<br />

Jahren jedoch trennt sie sich von ihrem<br />

Mann und beginnt, Sozial- und Wirtschafts<br />

geschichte in Zürich zu stu <strong>die</strong>ren.<br />

Meh rere Aus lands reisen bringen sie in<br />

Kontakt mit Clara Zetkin, deren Haltung<br />

zur „<strong>Frauen</strong>frage“ mit der ihren übereinstimmt:<br />

Die „<strong>Frauen</strong> frage“ ist in<br />

<strong>die</strong> sozialistischen Be stre bungen zu<br />

integrieren; eine Ko oper ation mit der<br />

bürgerlichen <strong>Frauen</strong> bewegung ist<br />

abzulehnen.<br />

Alexandra Kollontai knüpft ihre Hoffnungen<br />

<strong>auf</strong> Gleich berechtigung von<br />

Frau und Mann jedoch nicht allein<br />

an <strong>die</strong> erfolg reiche Re volution, sondern<br />

fordert eine sofortige Gleichbehandlung<br />

und eine gerechtere Aufteilung<br />

der familiären Pflichten. Um<br />

den Arbeiterinnen eine Stimme zu<br />

verschaffen und sie besser mobilisieren<br />

zu können, spricht sie sich für<br />

gesonderte <strong>Frauen</strong>organisationen inner<br />

halb der sozialis tischen Par teien<br />

aus. Mit Hingabe verfolgt sie das Ziel,<br />

„<strong>die</strong> Arbeiterinnen für den Sozialismus<br />

zu ge winnen und gleichzeitig auch <strong>die</strong><br />

Be freiung der Frau, ihre Gleich be rechtigung,<br />

anzustreben.“


20 <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />

1908 führt <strong>die</strong>ses Ziel zunächst ins<br />

Exil: Alexandra Kollontai muss sich der<br />

droh en den Verhaftung in Russland<br />

ent ziehen. Sie en gagiert sich in der<br />

sozial demo kratischen Bewegung in<br />

Deutsch land, und organisiert den In ternationalen<br />

<strong>Frauen</strong>tag 1911 in Frankfurt<br />

mit. 1914 muss sie von der Besucherempore<br />

des Berliner Reichs tags mit<br />

ansehen, wie <strong>die</strong> Abgeordneten der<br />

SPD den kaiserlichen Kriegskrediten<br />

zustimmen. Mit Rosa Luxemburg und<br />

Karl Liebknecht teilt Alexandra Kollontai<br />

<strong>die</strong> Entrüstung über <strong>die</strong>sen Verrat an<br />

der internationalen Solidarität der Arbeiter<br />

klasse. Dieses Erlebnis und der<br />

Beginn des ersten Weltkriegs bewegen<br />

sie dazu, bewusst den Kontakt zu Lenin<br />

und den Bolschewiki zu suchen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> sofortige Beendigung des Krieges<br />

fordern.<br />

Alexandra Kollontais politischer Aktivismus<br />

verstummt keineswegs mit der<br />

Ok to ber revolution 1917. Nach der<br />

Macht über nahme der Bolschewiki<br />

wird sie Volks kommis sarin für soziale<br />

Fürsorge. Drei Jahre lang übernimmt sie<br />

<strong>die</strong> Leitung der Shenotdel, der <strong>Frauen</strong>abteilung<br />

des Zentral komitees der Kommunistischen<br />

Partei Russlands. Während<br />

<strong>die</strong>ser Zeit erwirkt sie eine Verbesserung<br />

des Mutterschutzes, eine Lockerung des<br />

Eherechts, und das Recht <strong>auf</strong> Abtreibung.<br />

Durch ihr Engagement in der Arbei terop<br />

position jedoch wird sie in den folgenden<br />

Jahren politisch isoliert. 1922<br />

geht sie als Diplomatin nach Mexiko<br />

und Skandinavien, wo sie bis zu ihrer<br />

Pensionierung 1945 als Gesandte tätig<br />

ist.<br />

Durch ihr Wirken und ihre Schriften zur<br />

neuen Sexualmoral nimmt Alexandra<br />

Kollontai eine Vorreiterrolle in Bezug<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Emanzipation der Frau in<br />

Russland ein. Es ist ihr besonderes<br />

Ver <strong>die</strong>nst, eine Gleichstellung der Geschlechter<br />

<strong>auf</strong> allen Ebenen – und<br />

damit auch in den privaten Bereichen<br />

der Partnerschaft und Sexualität – einge<br />

fordert und vor an ge trieben zu haben.<br />

Mutige Antifaschistinnen<br />

und <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />

In Deutschland wurden zwischen<br />

1933 und 1945 Zehn tausende <strong>Frauen</strong><br />

aus po litischen Grün den fest genom<br />

men. Bereits 1933 richteten<br />

<strong>die</strong> Nationalsozialisten in Moringen,<br />

Stadelheim, Brauweiler und Gotteszell<br />

<strong>Frauen</strong>lager und -gefängnisse ein. <strong>Frauen</strong><br />

im Widerstand wurden un er bittlich<br />

verfolgt.<br />

Das erste mit einer Handlung des<br />

politischen Widerstands begründete<br />

Todesurteil gegen eine Frau wurde<br />

am 20. Juni 1938 an der Kommunistin<br />

Liselotte „Lilo“ Hermann in Berlin-<br />

Plötzensee vollstreckt. Allein in das<br />

<strong>Frauen</strong>-Konzentrationslager Ravensbrück<br />

wur den von 1939 bis 1945 132<br />

000 <strong>Frauen</strong> aus 23 Nationen gebracht.<br />

Rund 92 000 kamen darin um. 1<br />

Der kommunistische Widerstand,<br />

haupt säch lich durch <strong>die</strong> KPD und durch<br />

in <strong>die</strong> Il lega lität gegangene Klein grup­<br />

1 BpB-Heft Weg zur Gleichberechtigung


<strong>Frauen</strong> im Widerstand 21<br />

pen getra gen, war in den An fängen des<br />

Nazi-Regimes noch ver hält nis mäßig<br />

stark.<br />

1934/1935 kam es <strong>auf</strong>grund<br />

der überschaubaren Or ga nisationsstrukturen<br />

zu massiven Ver haftungswellen,<br />

bei denen viele Kommunist_innen<br />

und Antifaschist_innen<br />

den Tod fanden oder zu lang jährigen<br />

Haft straf en verurteilt wurden. Teilweise<br />

wurden in den Kon zen tra tionslagern<br />

in den folgenden Jahren Häftlingsstruk<br />

turen <strong>auf</strong>gebaut, <strong>die</strong> es den<br />

Ge fang enen er möglichten, politisch<br />

aktiv zu bleiben. Viele Linke, denen<br />

es gelungen war, sich dem Zugriff des<br />

Repressions- und Terrorapparates<br />

der Nazis zu entziehen, gingen in den<br />

Jahren 1936-1938 nach Spanien, um<br />

dort gegen den Faschismus zu kämpfen.<br />

Unter ihnen waren viele Kommunist_<br />

innen, <strong>die</strong> sich den In ter nationalen<br />

Bri gaden an schlossen oder den antifaschistischen<br />

Kampf <strong>auf</strong> andere Weise<br />

unterstützten. Nach der militärischen<br />

Niederlage der spanischen Republik<br />

spielten insbesondere <strong>Frauen</strong> eine sehr<br />

wichtige Rolle im Widerstand. Einige<br />

schlossen sich dem bewaffneten Kampf<br />

der Partisan_innen an, viele arbeiteten<br />

im Un ter grund und in äußerst ge fährlichen<br />

Kontaktfunktionen zwi schen<br />

kämpfender Front und klan de stinen<br />

Ver sor gungs netzwerken. Ähn liches<br />

gilt für den Groß teil der faschistisch<br />

besetzten Ge biete.<br />

Vorhandene Statistiken vermitteln nur<br />

ein unvollständiges Bild der Beteiligung<br />

von <strong>Frauen</strong> in widerständischen Bewegungen.<br />

Ihr Anteil wird <strong>auf</strong> etwa<br />

20 Prozent geschätzt, wobei hier nur<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> erfasst wurden, <strong>die</strong> einer<br />

straf rechtlichen Verfolgung oder sonstiger<br />

Kontrollen ausgesetzt waren.<br />

Die Mitarbeit und Solidarität vieler<br />

Unbekannter ist nicht <strong>auf</strong>genommen.<br />

<strong>Frauen</strong> in der NS- Ideologie<br />

Das <strong>Frauen</strong>bild im Nationalsozialismus<br />

wurde fast ausschließlich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Mutterrolle<br />

reduziert. Man versuchte, den<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>die</strong> traditionelle Rolle näher<br />

zu bringen, indem <strong>die</strong>se verklärt und<br />

ideologisch überhöht wurde: „Denn<br />

gerade ihr Muttertum, <strong>die</strong> Fähigkeit zur<br />

Mutterschaft ist es, was eine Frau dem<br />

Manne gleichberechtigt und überlegen<br />

macht“.<br />

Die Frau galt als ein naturbestimmtes<br />

Wesen, ihre Welt sollte „<strong>die</strong> Familie,<br />

ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim“ sein,<br />

so der Beschluss <strong>auf</strong> dem NSDAP-<br />

Partei tag 1936. In der Propaganda der<br />

Na tionalsozialisten war der einzige<br />

Existenzgrund der Frau der, als sorgende<br />

und liebevolle Mutter <strong>die</strong> zukünftige<br />

„arische“ Generation zu gebären: „Die<br />

Frau hat <strong>die</strong> Aufgabe, schön zu sein und<br />

Kinder zur Welt zu bringen. Dafür sorgt<br />

der Mann für <strong>die</strong> Nahrung und wehrt den<br />

Feind ab.“<br />

Positive Anreize wie steuerliche<br />

Begünstigungen und das Mutterkreuz<br />

(ab vier Kindern erhielten <strong>die</strong> Mütter<br />

das bron zene, ab sechs Kindern das silberne<br />

und ab acht Kindern das goldene<br />

Mutter kreuz) wurden ge schaffen.<br />

Gleichzeitig sollten <strong>die</strong> Kinder nach<br />

nationalsozialistischer Ge sinnung<br />

<strong>auf</strong>gezogen werden, wofür eine Pro ­<br />

fessionalisierung der Tätig keiten als<br />

Haus frau und Mutter für <strong>die</strong> Frau en


22 <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />

an gestrebt wurde. Die <strong>Frauen</strong> organisationen,<br />

in denen sich einige der<br />

bürgerlichen <strong>Frauen</strong>vereine organisiert<br />

hatten, übernahmen deshalb sowohl <strong>die</strong><br />

Mütterschulung als auch <strong>die</strong> Förderung<br />

und Pflege der „völkisch-rassischen<br />

Gesundheit” als zentrales Aufgabenfeld.<br />

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter<br />

partei (NSDAP) war in Wahl ihrer<br />

Symbolik und ihres mar tialischen Auftretens<br />

stark <strong>auf</strong> Männer aus ge richtet.<br />

Die NS-<strong>Frauen</strong> schaft und das Deutsche<br />

<strong>Frauen</strong>werk unter Reichs frauen führerin<br />

Gertrud Scholtz-Klink waren <strong>die</strong> einzigen<br />

zu gelassenen Organisationen.<br />

Nachwuchsorganisation für <strong>die</strong> Indok<br />

trinierung der heran wachsenden<br />

Mädchen war der Bund Deutscher<br />

Mädel (BDM).<br />

„Das Eindringen der Frau in <strong>die</strong><br />

Welt des Mannes“ wurde als eine<br />

Fehlentwicklung gesehen, „<strong>die</strong> im Inter<br />

esse der Frau wieder rückgängig<br />

gemacht werden musste“. <strong>Frauen</strong><br />

wurde systematisch klar gemacht, dass<br />

sie <strong>auf</strong>grund bio lo gischer Defi zite keine<br />

Lohn arbeit machen könnten, viele<br />

bereits be rufs tä tige Frau en wur den<br />

un ter dem Vor wand des „Dop pel ver<strong>die</strong>ner<br />

tums“ aus dem Ar beits leben verdrängt.<br />

Jedoch wurden <strong>die</strong> anfänglichen<br />

Dis kriminierungsmaßnahmen und<br />

Ein schränk ungen der Berufstätigkeit<br />

von <strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong>grund des Arbeitskräftemangels<br />

bei Voranschreiten des<br />

Krieges teilweise <strong>auf</strong>gehoben und <strong>die</strong><br />

<strong>Frauen</strong> in Rüstungsfabriken sowie „an<br />

der Heimatfront“ eingesetzt.<br />

Den <strong>Frauen</strong> wurde ihr Recht <strong>auf</strong> Selbstbestimmung<br />

über ihren eigenen Körper<br />

systematisch abgesprochen: während<br />

der Eingriff zum Abbrechen einer<br />

Schwangerschaft für „arische“ <strong>Frauen</strong><br />

mit langen Gefängnis<strong>auf</strong>enthalten<br />

oder der Todesstrafe geahndet wurde,<br />

wurde an vielen anderen <strong>Frauen</strong><br />

eine Praxis der Zwangssterilisationen<br />

aus „rassenhygienischen“ und medizinischen<br />

Gründen durchgeführt.<br />

DOLORES IBARRURI (1895-1989)<br />

„La Pasionaria“<br />

„Alle meine Verwandten, Kastilier<br />

und Basken, waren Bergarbeiter. [...]<br />

Bergleute waren meine Brüder, und<br />

Bergmann war auch mein Mann.“<br />

Dolores Ibárruri wurde 1895 in dem<br />

baskischen Dorf Gallarta in eine<br />

katholische Bergarbeiterfamilie gebo<br />

ren. Wie viele andere spanische<br />

Arbeiter familien litt auch ihre unter den<br />

schlech ten Lebensbedingungen, sodass<br />

sie bereits im Alter von 15 Jahren <strong>die</strong><br />

Schule verlassen musste und später vier<br />

ihrer sechs Kinder früh starben. 1915<br />

hei ratete sie den kommunistischen<br />

Berg arbeiter Julián Ruiz, welcher für<br />

seine politische Aktivität während des<br />

Generalstreiks 1917 verhaftet wurde.<br />

La Pasionaria begann, alles, was ihr an<br />

marxistischer Literatur in <strong>die</strong> Hände<br />

fiel, zu lesen, sich vom Katholizismus<br />

abzuwenden und trat 1920 der<br />

Kommunistischen Partei Spaniens<br />

(PCE) bei.<br />

Sie erkannte <strong>die</strong> Notwendigkeit, ge gen<br />

<strong>die</strong> Aus beutung und Unter drüc kung im<br />

Ka pita lis mus <strong>auf</strong> Sei ten der Aus ge beu­


<strong>Frauen</strong> im Widerstand 23<br />

teten und Un ter drück ten zu kämpfen.<br />

Im L<strong>auf</strong>e der Zeit, trotz (oder auch<br />

wegen) vieler Gefängnis<strong>auf</strong>enthalte<br />

und Ver haftungen, wurde sie zu einer<br />

der wichtigsten Personen im Kampf<br />

für den Kommunismus und gegen<br />

den Faschismus: Sie arbeitete als<br />

Redakteurin bei der Arbeiterzeitschrift<br />

Mundo Obrero, nahm <strong>die</strong> Pro pa gan daarbeit<br />

für <strong>die</strong> Partei in <strong>die</strong> Hand, wurde<br />

schließlich 1932 Mitglied des Politbüros<br />

und 1933 eine der Verantwortlichen<br />

des <strong>Frauen</strong>komitees gegen Krieg und<br />

Faschismus:<br />

„Diese <strong>Frauen</strong> waren fest entschlossen,<br />

gegen <strong>die</strong> sich in unserem Land immer<br />

mehr zuspitzende und sichtbar Gestalt<br />

annehmende Gefahr der Reaktion<br />

und des Faschismus den Kampf<br />

<strong>auf</strong>zunehmen“.<br />

Ebenfalls 1933 wurde sie ins spanische<br />

Ab ge ordnetenhaus gewählt und setzte<br />

sich dort unter anderem für <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der <strong>Frauen</strong>rechte ein. Im<br />

selben Jahr wurde sie von der Partei<br />

zur Komintern delegiert und reiste nach<br />

Moskau.<br />

In der Zeit des Spanischen Bürger kriegs<br />

unterstützte sie <strong>die</strong> re pub likanischen<br />

Truppen gegen <strong>die</strong> Fa schis ten unter<br />

Franco und gehörte als Kom intern-Delegierte<br />

zu den Haupt verantwortlichen<br />

für <strong>die</strong> Aufstellung und Koordinierung<br />

der Internationalen Brigaden. Sie<br />

besuchte <strong>die</strong>se an der Front, um sie<br />

moralisch zu unterstützten, sie hielt<br />

Reden im Radio, um an <strong>die</strong> „Völker<br />

Amerikas und <strong>die</strong> Werktätigen Europas“<br />

zu appellieren, in den Kampf<br />

gegen den Faschismus zu ziehen und<br />

<strong>die</strong> Hauptstadt Madrid zu verteidigen.<br />

Ihr Ausruf „NO PASARAN“ wurde zum<br />

Schlachtruf aller Verteidiger Madrids<br />

gegen den spanischen Faschismus.<br />

1939, kurz vor dem Zusammenbruch<br />

des republikanischen Widerstands floh<br />

sie in <strong>die</strong> Sowjetunion und vertrat dort<br />

<strong>die</strong> PCE im Exil. Zahlreiche spanische<br />

Flüchtlinge traten der Roten Armee bei,<br />

so auch La Pasionarias Sohn Ruben; er<br />

fiel 1942 bei der Schlacht um Stalingrad.<br />

Sie selbst hörte nie <strong>auf</strong> politisch aktiv<br />

zu sein, kehrte 1977 (zwei Jahre nach<br />

Francos Tod) nach Spanien <strong>zurück</strong> und<br />

wurde dort, trotz ihres hohen Alters,<br />

erneut als Abgeordnete ins spanische<br />

Parlament gewählt.<br />

Bis heute erinnert ihr Name an einen<br />

mutigen und entschlossenen Kampf<br />

gegen den Faschismus, ohne Scheu vor<br />

Repression und Zensur.<br />

In <strong>die</strong>sem Sinne: ¡NO PASARAN!<br />

Der Faschismus darf nie wieder durchkommen!<br />

LILO HERRMANN (1909-1938)<br />

„Das Hauptproblem ist der Kampf um<br />

<strong>die</strong> An erkennung und Achtung des<br />

Men schen und im besonderen der<br />

Frau und ihrer Erhebung vom Ding zum<br />

Menschen.“ 1<br />

1 Lilo Herrmann in ihrem Abiturs<strong>auf</strong>satz über<br />

Hebbels Drama „Herodes und Mariamne“,<br />

Vik toria­ Luise-Schule Berlin-Wilmersdorf,


24 <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />

„Wenn ich über das mir bekannte Ziel<br />

des Kommunismus befragt werde,<br />

dann kann ich <strong>die</strong>s in einem Satz<br />

ausdrücken, und der heißt: das größte<br />

Glück der größten Menge ... Wenn ich<br />

weiter gefragt werde, wie ich mir den<br />

Weg zu <strong>die</strong> sem Ziel vorgestellt habe,<br />

dann antworte ich dar<strong>auf</strong>: Durch Überzeugung<br />

der Massen und Schaffung<br />

einer Mehrheit für den Kommunismus.“ 2<br />

Am 23.6.1909 Berlin geboren, im bür gerlich-liberalen<br />

Sinn erzogen, geprägt von<br />

dem als Kind erlebten Erstem Weltkrieg,<br />

engagierte Lise lotte (Lilo) Herrmann sich<br />

zuerst im „So zialistischen Schülerbund“.<br />

Ab 1929 stu <strong>die</strong>rte sie vier Semester<br />

Che mie an der TH Stuttgart, danach<br />

Bio logie an der Berliner Universität, und<br />

schloss sich dem KJVD, der „Ro ten Studentengruppe“<br />

und 1931 der KPD an.<br />

Die damaligen Unis waren von rechtsstehenden,<br />

oft auch antisemitisch <strong>auf</strong>tretenden<br />

Stu<strong>die</strong>renden dominiert.<br />

Lilo war der Polizei damals „als rührige<br />

Kommunistin aktenmäßig bekannt“;<br />

sie habe sich „durch Plakatankleben,<br />

Bro schü ren verk<strong>auf</strong> und andere<br />

Propaganda rege betätigt“ und<br />

„öfters ein fre ches und anmaßendes<br />

Benehmen an den Tag gelegt.”<br />

Am 11.6.1933 wurde sie in Berlin vom<br />

Studium ausgeschlossen. Sie schlug sich<br />

als Kinderpflegerin durch und gliederte<br />

sich in den illegalen kommunistischen<br />

Widerstand gegen <strong>die</strong> Nazis ein. Im Mai<br />

1934 wurde ihr Sohn Walter geboren.<br />

Sein Vater war der Stuttgarter KPD-<br />

Funktionär Fritz Rau, der im Untergrund<br />

in Berlin tätig war; er war im Herbst<br />

1933 gefasst und im Dezember 1933<br />

im Moabiter Gefängnis totgeschlagen<br />

worden. Seinen Namen gab <strong>die</strong> junge<br />

Mutter weder ihren Eltern noch den<br />

Freundinnen und Genoss_innen preis.<br />

Mit dem Baby zog sie im September<br />

1934 zu ihren Eltern nach Stuttgart.<br />

2 Aussage von Liselotte Herrmann laut Ver hörprotokoll<br />

der Stutt garter Gestapo am 7.2.1936<br />

Unter der Fassade der unscheinbaren<br />

Tätigkeit als Stenotypistin im Büro des<br />

Vaters, <strong>die</strong> ihr Reisen in <strong>die</strong> Schweiz<br />

ermöglichte, nahm sie erneut Kontakt<br />

zum kommunistischen Widerstand<br />

<strong>auf</strong>. Sie erfüllte Aufgaben für den<br />

KPD-Bezirksleiter Stefan Lovász und<br />

zugleich für den kommunistischen<br />

Nachrichtenapparat, der Beweise für <strong>die</strong><br />

Produktion von Kriegsflugzeugen und<br />

andere Kriegsvorbereitungen suchte,<br />

um sie im Ausland zu veröffentlichen.<br />

Nachdem Lovász durch Hinweise der<br />

Polizeispitzel Eugen und Alfons Wicker<br />

in <strong>die</strong> Hände der Gestapo gefallen<br />

war, wurde Lilo am 7.12.1935 in der<br />

Wohnung ihrer Eltern verhaftet. Zum<br />

Verhängnis wurde ihr der Plan einer<br />

unterirdischen Munitionsfabrik, den<br />

ihr der gleichzeitig verhaftete Leiter des<br />

KPD-Nachrichtenapparats Josef Steidle<br />

zur Weiterleitung übergeben hatte.<br />

Die Verhörprotokolle belegen: Lilo<br />

hat sich in der Haft, getrennt von<br />

ihrem geliebten Kind, „standhafter als<br />

mancher Mann neben dir” (Friedrich<br />

Wolf) verhalten, ihre Überzeugung<br />

verteidigt und niemanden belastet<br />

und hineingezogen. Vom 8.-12.6.1937<br />

stand sie zusammen mit Lovász,<br />

Steidle, dem Schlosser Artur Göritz von<br />

den Dornier-Werken Friedrichshafen<br />

und dem Stuttgarter Kommunisten<br />

Alfred Grözinger in Stuttgart vor dem<br />

2. Senat des „Volksgerichtshofs“. Nur<br />

Grö zinger überlebte im Zuchthaus<br />

und KZ. Herrmann, Göritz und Steidle<br />

wurden wegen „Landesverrats“ zum<br />

Tod verurteilt, obgleich ein Offizier<br />

bestätigte, dass <strong>die</strong> gefundenen Unterlagen<br />

nicht als geheim eingestuft<br />

waren. Auch bei Lovász – einem Vater<br />

von vier Töchtern von 6 bis 13 Jahren<br />

– wurde wegen „Hochverrats unter erschwerenden<br />

Bedingungen” <strong>die</strong> Todesstrafe<br />

verhängt.<br />

Eine Solidaritäts- und Protestkampagne<br />

in meh reren eu ropäischen Ländern<br />

ver such te <strong>die</strong> Voll streckungen zu ver­


<strong>Frauen</strong> im Widerstand 25<br />

hin dern und prangerte <strong>die</strong> Barbarei<br />

Na zi deutschlands an. Erstmals drohte<br />

dort einer Frau und Mutter wegen<br />

einer Handlung des politischen Widerstandes<br />

<strong>die</strong> Hin richtung. Doch ver geblich<br />

– in den frühen Morgen stun den<br />

des 20.6.1938 wurden sie in Berlin-<br />

Plötzensee enthauptet. Die Leichen der<br />

Hingerichteten wurden der Anatomie<br />

übergeben; nirgendwo sind sie<br />

beigesetzt.<br />

Vier Monate später zerstückelte das<br />

von Hitler erpresste Münchner Abkom<br />

men <strong>die</strong> Tschechoslowakei, kein<br />

Jahr später erfolgte der deutsche Überfall<br />

<strong>auf</strong> Polen. Erkennbar sollte an den<br />

Anti faschist_innen, <strong>die</strong> vor Hitlers Vorbereitung<br />

eines Angriffskriegs gewarnt<br />

hatten, ein Exempel statuiert werden.<br />

An Lilo erinnern in Stuttgart seit 1988<br />

ein von An fang an angefeindeter Gedenk<br />

stein neben der Uni (mit dem<br />

<strong>die</strong>se bis heute nichts zu tun haben<br />

will) und seit 2008 ein „Stolperstein“<br />

vor ihrem letzten Wohnhaus in der<br />

Hölderlinstraße 22. Das Linke Zentrum<br />

in Stuttgart-Heslach ist seit 2010 nach<br />

der Antifaschistin benannt.<br />

„Dass Hitler zum Krieg führt!<br />

Das war <strong>die</strong> Überzeugung von Lilo<br />

Herrmann, und darin hatte sie doch<br />

recht! Diesen Krieg verhindern zu<br />

helfen, dafür setzte sie ihr Leben<br />

ein, und deshalb ist ihr Verhalten<br />

vorbildhaft, auch für heutige Studenten<br />

und Professoren.“ 3<br />

3 Prof. Dr. Günther Goes, Leserbrief im „Stuttgar<br />

ter Uni-Kurier“ Nr. 38 , erschienen 1989<br />

MARYAM FIROUZ (1914-2008)<br />

Maryam Firouz wurde 1914 in<br />

Kermanshah (Iran) als Prinzessin Ma ryam<br />

Farman Farmayan geboren. Ihren<br />

aristokratischen Familiennamen Farman<br />

Farmayan legte sie ab, da er ihrer<br />

Meinung nach nicht mit ihrer politischen<br />

Einstellung vereinbar war. Stattdessen<br />

nahm sie den Namen ihres Großvaters<br />

Firouz an. Bekannt werden sollte sie<br />

später auch unter <strong>die</strong>sem Namen.<br />

Maryam Firouz besuchte <strong>die</strong> fran zösische<br />

Schule in Te heran und hei ra tete<br />

im Alter von 16 Jahren Abasali Es fandiari,<br />

einen Aris to kra ten und Gra duierten<br />

der fran zö sischen Mi li tär akademie.<br />

Das Paar bekam zwei Töchter:<br />

Afsaneh und Afsar. Nach zehn Jahren<br />

wur de <strong>die</strong> Ehe geschieden.<br />

In den frühen 1940er-Jahren politisierte<br />

sich Maryam Firouz und wandte sich<br />

– zum Missfallen des Großteils ihrer Familie<br />

– dem Marx ismus zu. Sie trat der<br />

1941 ge gründeten Tudeh-Partei bei, was<br />

ihr in den iran ischen Me<strong>die</strong>n den Beinamen<br />

„Rote Prinzessin“ einbrachte.


26 Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe<br />

Wenig später heiratete sie den<br />

Kommunisten Nou reddin Kianouri,<br />

welcher 1945 Mit glied des<br />

Zentralkomitees der Tudeh-Partei<br />

wurde. Maryam Firouz kämpfte un terdessen<br />

für <strong>die</strong> Gleich stel lung der <strong>Frauen</strong><br />

in der Partei und wurde Mit be gründerin<br />

der Tudeh Women’s Or ga nisation.<br />

Außerdem unterhielt sie Kontakte zu<br />

linksgerichteten Mit glie dern der Armee<br />

wie bei spiels weise zu Khos row Rousbeh<br />

und konnte so ein in for melles Netzwerk<br />

der Tudeh in ner halb der Armee<br />

<strong>auf</strong>bauen. Auch an der Ver treibung des<br />

Schahs infolge der Revo lution von 1953<br />

soll Maryam Firouz maß geb lich beteiligt<br />

gewesen sein.<br />

Im August desselben Jahres konnte<br />

der Schah jedoch <strong>zurück</strong>kehren, <strong>die</strong><br />

Tu deh­ Par tei wurde verboten und Maryam<br />

Firouz und ihr Mann mussten<br />

un ter tauchen. Nach drei Jahren im<br />

Untergrund gingen <strong>die</strong> beiden ins Exil in<br />

<strong>die</strong> Deutsche Demokratische Republik.<br />

Maryam Firouz setzte ihre politische<br />

Arbeit, so gut es ging, mit anderen<br />

Exilantinnen fort und arbeitete an den<br />

Universitäten in Leipzig und Ost-Berlin<br />

als Lektorin. Währenddessen wurden<br />

im Iran in ihrer Abwesenheit zwei Urteile<br />

ge sprochen: Das erste verurteilte<br />

sie zu fünf Jahren Arbeitslager, das<br />

zweite lebenslänglich.<br />

Eine Rückkehr in den Iran war erst<br />

1979 nach der islamischen Revolution<br />

möglich. Noureddin Kianouri wurde<br />

Generalsekretär und Maryam Firouz<br />

stand an der Spitze der Iran Democratic<br />

Women’s Organisation. Bald schon<br />

geriet <strong>die</strong> Tudeh-Partei in Ungnade<br />

und 1983 wurden Firouz und Kianouri<br />

verhaftet. Ihnen wurde Spionage für <strong>die</strong><br />

Sowjetunion vorgeworfen. Kurz dar<strong>auf</strong><br />

wurde <strong>die</strong> Tudeh-Partei verboten und<br />

viele ihrer Mitglieder exekutiert. Firouz<br />

saß in Isolationshaft, wurde jedoch<br />

<strong>auf</strong>grund von Krankheit entlassen und<br />

lebte von nun an unter Hausarrest bei<br />

ihrer Tochter Afsaneh.<br />

Ein Jahr später wurde auch Kianouri<br />

unter der Bedingung, sich nie mehr öffent<br />

lich zu äußern, frei gelassen.<br />

In einem offenen Brief an Aya tollah<br />

Kho meini beklagte er <strong>die</strong> Miss handlungen<br />

und Folter, welche er und seine<br />

Frau während ihrer Haftzeit ertragen<br />

mussten.<br />

Maryam Firouz verlor nie ihr Interesse<br />

an der Politik und vor allem nicht am<br />

Kampf für <strong>die</strong> Rechte der (iranischen)<br />

<strong>Frauen</strong>, jedoch war sie <strong>auf</strong>grund ihres<br />

Hausarrests in ihrem Handeln stark<br />

eingeschränkt. Sie starb am 23. März<br />

2008 in Teheran.<br />

Internationale <strong>Frauen</strong>kämpfe<br />

Proletarierinnen aller Länder,<br />

ver ei nigt euch!<br />

Neben den Bewegungen in Deutschland<br />

kämp ften <strong>Frauen</strong> aus so zialistischen<br />

und kom mu nistischen Zusam<br />

men hängen auch in anderen<br />

Län dern un ermüd lich für eine an dere<br />

Ge sell schafts form, gegen Patriarchat,<br />

Aus beu tung und Unter drückung. Immer<br />

wieder versuchten revolutionäre<br />

Frau en, Struk turen <strong>auf</strong> zu bauen oder<br />

sich in den ge mein samen Ver bän den<br />

der Arbeiter_innenschaft eigene Be tä tigungs<br />

felder zu schaffen.<br />

Die Kommunistische Inter nationale<br />

(Kom in tern), auch III. Internationale ge ­<br />

nannt, wurde 1919 gegründet. Auf dem<br />

I. Welt kon gress vom 2. bis 6. März 1919<br />

in Mos kau waren 51 De le gierte aus<br />

29 Ländern anwesend. Der Gründung<br />

vorausgegangen wa ren <strong>die</strong> Erfahrungen<br />

des Ersten Welt kriegs und <strong>die</strong> dar<strong>auf</strong><br />

folgenden Ent wick lungen, wie der Sturz<br />

der Habs burgermonarchie in Österreich,<br />

<strong>die</strong> No vem ber revolution von 1918 in<br />

Deutsch land und <strong>die</strong> Mas sen streiks in<br />

Eu ropa und Ame rika. Die Komintern<br />

wurde gegründet als weltweite,<br />

proletarische Organisationsstruktur, <strong>die</strong>


Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe 27<br />

im Falle einer Re vo lution <strong>die</strong> Ko or dination<br />

und Lei tung über neh men sollte.<br />

Innerhalb der Komintern wurden<br />

Frau en fragen bald zu ei nem wichtigen<br />

Thema. Es wurden Mö glichkeiten<br />

gesucht, internationale <strong>Frauen</strong>be<br />

wegungen als Teil der sozial en<br />

Kämpfe welt weit zu stärken und Anl<strong>auf</strong><br />

stellen für politisch or gani sierte<br />

und revo lutio näre <strong>Frauen</strong> in den beteil<br />

igten Län dern zu schaffen. Das Inter<br />

nationale <strong>Frauen</strong> sekretariat (IFS)<br />

stel lte eine der ersten so ge nannten<br />

„Inter nationalen Zentral leitungen“ der<br />

<strong>Frauen</strong>arbeit der Komintern dar, <strong>die</strong><br />

im L<strong>auf</strong>e der Zwanziger Jahre als Massenorganisationen<br />

für einen weiteren<br />

Kreis von Genossinnen ausgebaut<br />

wurde. 2<br />

Als „internationalistische <strong>Frauen</strong> avant ­<br />

garde“ 3 sind viele der da mali gen<br />

<strong>Frauen</strong> rechtler innen heu te in Verges<br />

sen heit ge raten: <strong>die</strong> eng lisch-australische<br />

Sozialistin Dora Montefiore,<br />

<strong>die</strong> fran zösischen Leh rer innen Marthe<br />

Bigot und Lucie Colliard, <strong>die</strong> Finnin<br />

Hanna Malm, um nur einige zu nennen.<br />

Bekannter sind <strong>die</strong> besonders<br />

seit den 30er Jahren aktiven <strong>Frauen</strong><br />

wie <strong>die</strong> Baskin Dolores „La Pasionária“<br />

Ibárruri, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> sozialistische Er in nerungsliteratur<br />

einging, oder <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong><br />

aus Kunst und Literatur, dem Exil und<br />

dem antifaschistischen Widerstand, wie<br />

Tina Modotti oder Olga Benario.<br />

1933 wurde <strong>die</strong> KPD (dann auch <strong>die</strong><br />

SPD) verboten, womit <strong>die</strong> stärkste<br />

Sektion der Komintern außerhalb der<br />

Sowjetunion – <strong>die</strong> der deutschen KP<br />

– zerschlagen wurde. Auch <strong>die</strong> Arbeit<br />

des Internationalen <strong>Frauen</strong>sekretariats<br />

wurde durch eine Zunahme parteilichbürokratischer<br />

Mechanismen und<br />

verschiedener Angleichungsprozesse<br />

2 The International Newletter of Communist<br />

Stu<strong>die</strong>s Online XIII (2007), no 20. unter http://<br />

www.mzes.uni-mannheim.de/projekte/incs/<br />

home/data/pdf/INCS_20_ONLINE.pdf<br />

3 ebenda<br />

erheblich ein geschränkt.<br />

Die Kommunistische Internationale<br />

existierte bis 1943, dann löste sie<br />

sich <strong>auf</strong>. Die Verbindungen zwischen<br />

einzelnen Sektionen blieben jedoch<br />

bestehen. 4<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg strebte<br />

der organisierte <strong>Frauen</strong>kampf rasch<br />

wieder eine internationale Dimension<br />

an. Neben der schon älteren Anti-<br />

Sklaverei-Bewegung und der<br />

international organisierten Arbeiter_<br />

innenschaft wurde der Feminismus<br />

eine moderne Reformbewegung,<br />

<strong>die</strong> klar <strong>auf</strong> eine Überwindung von<br />

nationalen und kulturellen Grenzen<br />

hin orientiert war.<br />

Die internationale Emanzipationsbe<br />

we gung entwickelte sich sehr ungleichmäßig,<br />

in räumlicher als auch in<br />

organisatorischer Hinsicht. Für viele<br />

Kämpferinnen weltweit aber galt und<br />

gilt noch heute in Grundzügen, was<br />

Alicia Reyes, Aktivistin und Journalistin<br />

von Radio Progreso in Honduras in<br />

einem Artikel – direkt nach dem Mi litär<br />

putsch 2009 – an Erkenntnissen festhält:<br />

„Die Mehrheit der <strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> sich in den<br />

Straßen dem Putsch entgegenstellen,<br />

hat keine formale feministische<br />

Bildung, aber sie haben Meister- und<br />

Doktorentitel in der Universität des<br />

Lebens. Sie erklären, dass sie am<br />

Widerstand teilnehmen, weil sie der<br />

Ungerechtigkeit, der Gewalttätigkeit,<br />

der Ausbeutung, der Armut und der<br />

Arbeitslosigkeit überdrüssig sind.<br />

Sie sind es leid, dass sich eine kleine<br />

Minderheit den Reichtum unter<br />

den Nagel reißt, während <strong>die</strong> große<br />

Mehrheit nichts hat“. 5<br />

4 ebenda<br />

5 Lateinamerika-Nachrichten November 2009


28 Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe<br />

TAMARA BUNKE (1937-1967)<br />

„Ein Kommunist, ein Revolutionär,<br />

muss sich wie ein Kommunist, wie ein<br />

Revolutionär verhalten, egal, wo er<br />

sich befindet, egal, ob in dem Land, in<br />

dem er geboren ist oder irgendwo in<br />

der Fremde; es ist seine Pflicht, sich den<br />

Aufgaben der Revolution zu widmen,<br />

überall!“ [Tania la Guerrillera]<br />

Haydée Tamara Bunke, oder auch<br />

Tania, wie sie von ihren Genoss_innen<br />

im Unter grund und als Guerrillera genannt<br />

wurde, ist ein exemplarisches<br />

Bei spiel für eine Frau, <strong>die</strong> ihr Leben ganz<br />

dem käm pferischen, revo lutionären<br />

Internationalismus gewid met hat. Jedes<br />

Kind in Kuba kennt ihren Na men. Und<br />

je des Kind in Kuba kennt auch <strong>die</strong> Ge ­<br />

schich te hinter <strong>die</strong>sem Namen. Schulen,<br />

Biblio theken, Kranken stationen, Straßen<br />

und Plätze sind nach <strong>die</strong>ser muti gen<br />

Frau benannt. Ihr Bild hat sei nen fes ten<br />

Platz neben dem von Che Guevara und<br />

den vielen anderen Käm pfer_ innen der<br />

kuba nischen Re vo lution und der Befreiungs<br />

kämpfe des gesamten lateiname<br />

rika nischen Kon ti nents.<br />

Als Tochter deutscher Emigranten, vor<br />

dem Naziterror nach Lateinamerika<br />

geflohen, beide überzeugte Kommunisten,<br />

<strong>die</strong> Mutter zudem jüdisch,<br />

wächst Tamara in Argen tinien <strong>auf</strong>.<br />

1952 entschließt sich <strong>die</strong> Familie nach<br />

Deutsch land <strong>zurück</strong> zu kehren und in<br />

der DDR ein neues Leben zu be gin nen.<br />

Tama ra schließt dort <strong>die</strong> Schu le ab, ist<br />

po li tisch sehr aktiv und be ginnt ein Studium<br />

an der HU Berlin, ihre Sehnsucht<br />

nach Lateinamerika und ihr Interesse an<br />

den sich dort entwickelnden Kämpfen<br />

bleiben jedoch <strong>die</strong> treibende Kräfte<br />

in ihrem Leben. 1960 begegnet sie<br />

Ernesto Che Guevara, Argentinier wie<br />

sie, der nach dem Sieg der kubanischen<br />

Revolution <strong>die</strong> DDR bereist. Im Jahr<br />

dar<strong>auf</strong> geht sie nach Kuba, wo sie<br />

sich an der Uni versität Ha vanna einschreibt,<br />

als Dolmetscherin für <strong>die</strong><br />

Regierung tätig wird, sich den Milizen<br />

und Basis organisationen zur Ver teidigung<br />

der Revo lution an schließt und<br />

bald auch Funktionen für Ministerien<br />

und den Geheim<strong>die</strong>nst übernimmt.<br />

1964 wird Tamara, <strong>die</strong> mittler weile eine<br />

um fassende Kampf aus bil dung er halten<br />

hat, als Agen tin nach Bo li vien geschickt,<br />

um sich dort in <strong>die</strong> Kreise der<br />

Herr schenden ein zu schleusen, wichtige<br />

In for ma tionen über Po litik und<br />

Mili tär zu be schaffen und schließlich<br />

aktiv den be waffneten Kampf vor zubereiten.<br />

Nach dem 1967 ihre Tarnung<br />

<strong>auf</strong>iegt, schließt sie sich der mit kubanischer<br />

Unter stütz ung ins Leben geru<br />

fenen Gue rilla orga nisation ELN an<br />

und beteiligt sich unter widrigsten Beding<br />

ungen an deren Aufbau und ihren<br />

ersten Ope rationen. Im April 1967 muss<br />

sie <strong>auf</strong>grund einer Er krankung in der<br />

Nach hut <strong>zurück</strong> bleiben, <strong>die</strong> bald den<br />

Kon takt zur Haupttruppe um Che Guevara<br />

verliert. Nachdem sie durch einen<br />

Bauern verraten worden ist, gerät <strong>die</strong>se<br />

Nachhut am 31. August 1967 beim<br />

Überqueren des Rio Grande in einen<br />

Hinterhalt des bolivianischen Militärs<br />

und wird dabei vollständig ausgelöscht.<br />

Tamaras Körper wird von der Strömung<br />

erfasst und treibt den Fluss hi nunter.<br />

Sie ben Tage später wird er am U fer <strong>auf</strong>­


Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe 29<br />

gespürt und ihr Tod offiziell bekannt gegeben.<br />

Nur wenige Wochen dar<strong>auf</strong> spüren<br />

<strong>die</strong> Re gierungs truppen auch den<br />

Rest der Gruppe <strong>auf</strong> und töten fast alle<br />

Kämpfer. Che Guevara gerät dabei in<br />

Ge fangen schaft und wird am Folge tag<br />

ohne Gerichts ver hand lung exe kutiert.<br />

An den <strong>Aktion</strong>en gegen <strong>die</strong> bo livianische<br />

Guerilla sind US-Militärs sowie<br />

Spe zialisten des CIA maß geblich beteiligt.<br />

„Tania ist ein Beispiel für <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong><br />

<strong>auf</strong> der ganzen Welt und hebt <strong>die</strong><br />

besondere Bedeutung hervor, <strong>die</strong> sie im<br />

revolutionären Kampf haben. Auf unserem<br />

Kontinent, <strong>auf</strong> dem noch viele<br />

feudale Strukturen verbleiben und das<br />

Leben der <strong>Frauen</strong> bestimmen, hat sie<br />

es verstanden, <strong>die</strong>se Einschränkungen<br />

zu durch brechen und sich den Platz zu<br />

erkämpfen, den sie in unserer liebevollen<br />

Er innerung innehat.“<br />

[Comandante Inti Peredo, ELN]<br />

Tamara Bunke ist ein Symbol für praktische,<br />

revolu tionäre, internationale<br />

Solidarität, für Mut, Überzeugung und<br />

Opfer bereitschaft. Aber nicht nur das.<br />

Sie ist auch ein Symbol dafür, dass <strong>die</strong><br />

herr schenden Verhältnisse schon in der<br />

revo lutionären Praxis an ge griffen und<br />

um gestürzt werden können, nicht zuletzt<br />

<strong>die</strong> herrschenden Ge schlechter verhältnisse,<br />

und dass <strong>die</strong>se Um stürze nicht <strong>auf</strong><br />

einen unbestimmten Zeit punkt nach der<br />

Revolution verschoben werden dürfen,<br />

sondern in unserer gemein samen<br />

kämpferischen Praxis stetig entwickelt<br />

werden müssen! Dafür steht Tamara<br />

Bunke, und dafür steht sie nicht allein.<br />

Wir erinnern an sie als Stellvertreterin<br />

für <strong>die</strong> unzähligen namenlosen <strong>Frauen</strong><br />

<strong>die</strong> in allen Teilen der Welt unter großen<br />

Opfern und bei Einsatz ihren Lebens<br />

gegen <strong>die</strong> imperialistische Herrschaft<br />

und für <strong>die</strong> Befreiung der Menschen<br />

gekämpft haben.<br />

Hasta la victoria siempre, Tania!<br />

ELISABETH KÄSEMANN<br />

(1947-1977)<br />

„Gelebter Internationalismus“<br />

Geboren am 11. Mai 1947 in Gel senkirchen,<br />

wächst Elisabeth Käse mann<br />

in der Zeit einer starken Stu dentin nenbe<br />

wegung in Deutschland <strong>auf</strong>. Nach<br />

ihrem Abitur 1966 am Wildermuth-<br />

Gymnasium in <strong>Tübingen</strong> beginnt sie<br />

ein Studium der Politik und Soziologie<br />

am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.<br />

Be wusst <strong>die</strong>sen Ort gegenüber den Eltern<br />

als einzig akzeptablen Stu<strong>die</strong>nort<br />

angegeben, schließt sie sich sogleich nach<br />

ihrer Ankunft der sozialistischen Stu dentin<br />

nenbewegung um Rudi Dutschke und<br />

dem SDS an. Zu <strong>die</strong>sem Zeit punkt hatte<br />

sie sich schon länger mit lin ker Theorie<br />

auseinandergesetzt und un ter an derem<br />

den politischen Club an ihrer Schu l e in<br />

Tü bingen organisiert.<br />

Im September 1968 fliegt sie nach Boli<br />

vien, um dort ein Prak tikum in den<br />

Armen vier teln von La Paz im Rah men<br />

ihres Sozio logie-Stu diums zu ab solvieren.<br />

Erschrocken von den Lebensbeding<br />

ungen der Mehr heit der lateiname<br />

rika nischen Be völ kerung be gibt sie


30 Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe<br />

sich im Mai 1969 <strong>auf</strong> ei ne Reise durch<br />

ganz Latein amerika, an deren Ende<br />

<strong>die</strong> ar gen tinische Haupt stadt Bue nos<br />

Aires steht. Sie beginnt dort zu ar beiten<br />

und zu stu <strong>die</strong>ren. Neben dem Studium<br />

der Volks wirt schaft und der Arbeit als<br />

Übersetzerin und Sek re tärin engagiert<br />

sie sich abends bei der gewerk schaftlichen<br />

Bildung der Arbeiterinnen. Leitend<br />

ist für sie dabei <strong>die</strong> Überzeu gung,<br />

dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit der<br />

Arbeiter_innenklasse ein notwendiger<br />

Be stand teil revolu tionärer Praxis darstellt.<br />

Mitte der 70er Jahre wird sie<br />

Mitglied der Organización Comunista<br />

Poder Obrero (Kommunistische Organisation<br />

Arbeitermacht), kurz: Poder<br />

Obrero, welche vor allem in den<br />

Arbeits kämpfen und der theoretischen<br />

Aus bildung der Arbeiter _innen klasse<br />

involviert ist. In dem Gründungs papier<br />

1974 beschließt <strong>die</strong> Poder Obrero,<br />

bestehend aus vielen kleineren revolutionären<br />

kommu nistischen Orga nisationen,<br />

<strong>die</strong> Be waff nung der Ar beiter_<br />

innenklasse voranzutreiben. Zu <strong>die</strong>sem<br />

Zeit punkt, zwei Jahre vor dem Putsch<br />

der Mili tärs um General Jorge Vi dela, ist<br />

<strong>die</strong> kommu nis tische und revo lutionäre<br />

Bewegung schon massiven Re pressionen<br />

ausgesetzt. Elisabeth Käse mann<br />

schreibt im August 1976, fünf Monate<br />

nach der Etablierung der Militär diktatur<br />

(1976-83), an ihre Eltern:<br />

„Die Verhältnisse sind sehr schlecht...<br />

Tausende, von denen man nichts<br />

weiß. Tägl ich werden <strong>die</strong> Kreise enger<br />

gezogen ... Kon zen trations lager überall,<br />

ein Men schen leben ist wenig wert und<br />

man ge wöhnt sich daran, dass überall<br />

im Be kann ten kreis Leute ver schwinden<br />

und man nichts mehr von ihnen hört.“<br />

Trotz der sich zuspitzenden Situation<br />

bleibt sie in Buenos Aires, beteiligt sich<br />

an der Be schaffung von ge fälschten Papie<br />

ren für <strong>die</strong> Flucht von Genos s _innen<br />

und be ginnt als Über bring erin von Nachrich<br />

ten eine wich ti ge Funk tion in den<br />

Kom muni ka tions struk turen des Wi derstands<br />

zu über nehmen.<br />

In der Nacht vom 8./9. März 1977 wird<br />

Eli sabeth Käsemann von mili tä rischen<br />

Ein heiten entführt. Nach an dau ernder<br />

Folter und Ver hör en im Ge heimgefängnis<br />

Campo Palermo wird sie am<br />

18. Mai in das Kon zen trations lager El<br />

Vesubio in der Provinz Bue nos Ai res gebracht.<br />

Dort ver bringt sie knapp eine<br />

Woche, wird am 24. Mai zu sammen<br />

mit 15 wei teren Gefangenen in dem<br />

Ort Monte Grande er schossen und ihre<br />

Leiche in einem Massen grab verscharrt.<br />

Aufgrund der guten wirtschaftlichen<br />

Be zie hung en zur argen ti nischen Mili tärjunta<br />

– welche sich u.a. in den da mals<br />

höch sten Militär krediten für eine lateinamerikanische<br />

Diktatur niederschlägt<br />

– greift <strong>die</strong> deutsche Regierung unter<br />

Helmut Schmidt nicht ein.<br />

Mit ihrem Einsatz für <strong>die</strong> Arbeiter_innenklasse<br />

und deren Wider stand ge gen <strong>die</strong><br />

argen tinische Militär diktatur hat Elisabeth<br />

Käsemann inter nationale Soli darität<br />

gelebt. Wir wollen ihr gedenken und<br />

zeigen, dass praktischer In ter nationalismus<br />

auch in Zukunft integraler Bestandteil<br />

kommunistischer Politik bleiben muss.<br />

Hoch <strong>die</strong> internationale Solidarität!


Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe 31<br />

OLGA BENARIO-PRESTES<br />

(1908-1942)<br />

„Ein Leben für <strong>die</strong> Revolution“<br />

Berlin-Moabit, 11.4. 1928, 8.50 Uhr:<br />

Otto Braun, Kommunist, wegen Hochverrats<br />

seit eineinhalb Jahren in Untersuchungs<br />

haft, wird vom Gefängnis zum<br />

Gerichtsgebäude geführt. Der Gerichtsschreiber<br />

em pfängt ihn mit den Worten:<br />

„Ihre Braut kommt.“ Olga Benario<br />

betritt <strong>die</strong> Sprechzelle, in der Hand hält<br />

sie eine Apfelsine. Braun weiß, was das<br />

bedeutet: Ihm ist zuvor ein Kassiber<br />

zu ge gangen, in dem ihm der Plan zu<br />

seiner Be freiung mit geteilt worden ist;<br />

als Termin ist darin angegeben: Wenn<br />

Olga eine Apfel sine bei sich trägt. Die<br />

Männer im Warteraum, <strong>die</strong> sich als Besucher<br />

ausgeben, sind seine Ge nos sen.<br />

Bevor der Gerichtsschreiber auch nur<br />

Verdacht schöpfen kann, richten sich<br />

Pistolenläufe <strong>auf</strong> seine Brust: „Hände<br />

hoch!“<br />

Wildwest-Pistolen-Szene, so titelt <strong>die</strong><br />

B.Z. in ihrer Mittagsausgabe. Otto und<br />

Olga werden nun steck brieflich gesucht,<br />

Be lohnung: 5000 Mark – weit mehr,<br />

als ein Ber liner Ar beiter in einem Jahr<br />

ver <strong>die</strong>nt, und doch fin det sich keiner,<br />

der sie ver rät. In Neukölln werden <strong>die</strong><br />

Fahn dungs plakate mit breiten Streifen<br />

über klebt, mit dem Aufdruck: Der<br />

größte Schuft im ganzen Land ist und<br />

bleibt der Denunziant! Als bekannt<br />

wird, dass <strong>die</strong> Be freiungs aktion mit ungeladenen<br />

Waffen durchgeführt wurde,<br />

um nie manden zu verletzen, wächst<br />

<strong>die</strong> Sym pathie in allen Kreisen der<br />

Gesell schaft so kräftig an, dass bei den<br />

Reich stagswahlen <strong>die</strong> KPD deutliche<br />

Stimm zu wächse verbuchen kann. Olga<br />

und Otto befinden sich zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

bereits in Moskau; um sie dem<br />

Zu griff der Polizei zu entziehen, sind<br />

sie als Delegierte zum fünften Weltkongress<br />

der Kommunistischen Jugendinternationale<br />

entsandt worden.<br />

Rio de Janeiro, 27.11. 1935, 3 Uhr: An<br />

der Seite des Revolutionärs Luís Carlos<br />

Prestes wartet Olga <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nach richt<br />

über den Aus gang der ersten Schlacht<br />

gegen <strong>die</strong> Re gierungs truppen des Regimes<br />

unter Getúlio Dor nelles Vargas.<br />

Sie steht neben Prestes, als der Kurier<br />

eintrifft und atemlos ruft: „Verrat!<br />

Wir sind verloren!“ Einer der Revolutions<br />

führer hat in Wahrheit für den<br />

britischen Geheim<strong>die</strong>nst ge arbeitet und<br />

<strong>die</strong> anderen verraten; <strong>auf</strong> den Angriff<br />

vorbereitet, schlagen <strong>die</strong> Re gierungstruppen<br />

<strong>die</strong> Aufständischen innerhalb<br />

von Stunden <strong>zurück</strong>. Nachmittags um<br />

halb drei ist <strong>die</strong> Revolution nieder geschla<br />

gen.<br />

Es folgt eine Verhaftungswelle. Wieder<br />

muss Olga sich verstecken. Am 5. März<br />

1936 wird <strong>die</strong> Wohnung, in der sie sich<br />

mit Prestes versteckt hält, gestürmt.<br />

Indem sie sich mutig vor <strong>die</strong> Gewehre<br />

der Polizisten stellt, verhindert Olga,<br />

dass Prestes erschossen wird. Während<br />

der Verhöre versucht Olga, ihre wahre<br />

Identität zu verbergen, denn als<br />

deutsche Jüdin fürchtet sie <strong>die</strong> Aus lieferung<br />

an <strong>die</strong> Nazis. Es gelingt ihr nicht.<br />

Trotz des Widerstands im Gefängnis und<br />

einer internationalen Kampagne gegen<br />

ihre Auslieferung holt <strong>die</strong> Polizei <strong>die</strong><br />

Hoch schwan gere aus dem Gefängnis


32 Die 70er Jahre bis heute<br />

und bringt sie <strong>auf</strong> einer Trage liegend<br />

<strong>auf</strong> ein deut sches Schiff, das bald in<br />

Rich tung Hamburg ausläuft.<br />

Konzentrationslager Ravensbrück, am<br />

Morgen des 23.4.1942: „Fertigmachen<br />

zum Transport!“ – Der Wagen mit der<br />

schwar zen Plane ist vor gefahren. Die<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> vom Arzt Friedrich Mennecke<br />

zuvor selektiert worden sind,<br />

werden hinein getrieben, unter ihnen<br />

<strong>die</strong> 34-jährige Olga. Die Um setzung<br />

ihres Flucht plans ist gescheitert, sie<br />

wird zu sammen mit anderen Häftlingen<br />

in <strong>die</strong> „Heil- und Pflegeanstalt“ in Bernburg<br />

gebracht, wo sie im Rahmen der<br />

<strong>Aktion</strong> 14f13 vergast wird. In ihrem<br />

Abschieds brief an Tochter und Mann<br />

heißt es: „Bis zum letzten Augenblick<br />

werde ich mich <strong>auf</strong>recht halten und Lust<br />

am Leben haben.“<br />

Olga Benario-Prestes hat ein Leben<br />

für <strong>die</strong> Revo lution geführt. Sie war<br />

sieb zehn Jahre alt, als <strong>die</strong> Polizei der<br />

Wei marer Republik sie als „kommunistische<br />

Agitatorin“ in ihren Listen<br />

führte, und bis zuletzt führte sie ihren<br />

konsequenten anti faschis tischen Kampf<br />

unter den schlimmsten Bedingungen<br />

in einem faschistischen KZ, wo sie<br />

z.B. Diskussionen über <strong>die</strong> Geschichte<br />

der Arbeiterbewegung und über das<br />

Wesen des Faschismus organisierte.<br />

Bis heute ist sie <strong>die</strong> bekannteste Deutsche<br />

in Brasilien. In der DDR wurde sie<br />

ge liebt und ge achtet. Nach ihr wur den<br />

über 100 Straßen, Schulen, Kindergärten,<br />

Seniorenheime und Kollektive<br />

be nannt, von denen einige heute noch<br />

ihren Namen tragen.<br />

Die “<br />

neuen <strong>Frauen</strong>bewegungen”<br />

DDR und BRD –<br />

zwei Entwicklungen aus <strong>Frauen</strong>sicht<br />

Die Blütezeit der „Kernfamilie“ (Vater-<br />

Mutter-Kind) in der Bundes republik der<br />

50er/60er Jahre machte den Wunsch<br />

nach Ruhe und Ordnung vieler Deutscher<br />

deutlich. Nachdem <strong>die</strong> ver stärkte<br />

Ein bindung der <strong>Frauen</strong> in <strong>die</strong> in dus trielle<br />

Pro duk tion während des Krieges und<br />

den Wieder<strong>auf</strong>bau („Trümmer frauen“)<br />

nach 1945 viele Im pulse für einen Bruch<br />

mit den klas sisch en Geschlechter rollen<br />

ge geben hatte, kehrte man nun zu den<br />

traditionellen Rollen bil dern und Abhäng<br />

igkeits strukturen <strong>zurück</strong>. Ab 1948<br />

war es zu einem Man gel an Arbeitsplät<br />

zen durch <strong>die</strong> Kriegs rück kehrer gekommen,<br />

was <strong>die</strong>se Tendenz noch verstärkte:<br />

natürlich wurden zuerst <strong>Frauen</strong><br />

entlassen. Zudem gab es bis 1958 ein<br />

Gesetz, durch das der Zugang zur Erwerbs<br />

tätig keit für <strong>die</strong> Frau nur unter<br />

Zu stimmung ihres Ehe mannes mög lich<br />

war. Mit dem Babyboom der frühen<br />

60er mani festierte sich das alt bekannte<br />

Modell des Mannes als Fa milien ernährer<br />

und der Frau als Mutter und<br />

Hausfrau.<br />

Ende der 60er brach in den USA im Umfeld<br />

der Student_ innenbewegung und<br />

unter dem Eindruck der Black­ Power­<br />

Be wegung eine neue <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

aus. Rasch entwickelte sich in Europa<br />

ähn liches. Viele <strong>Frauen</strong> in der Bundes<br />

republik, <strong>die</strong> in gemischten linken<br />

Strukturen tätig waren, verabschiedeten<br />

sich davon und gründeten<br />

ihre ei genen, intellektuell geprägten<br />

<strong>Frauen</strong> gruppen.<br />

Das Pri vate wurde politisch: ins Zentrum<br />

gerückt und „enttabuisiert“ wurden<br />

<strong>die</strong> patriarchalen Macht ver hältnisse<br />

in Familie, Haushalt, Arbeitsplatz und<br />

Politik; konkrete und strukturelle Gewalt<br />

von Männern gegen <strong>Frauen</strong>. Der<br />

Zwang zur Hetero se xua lität und <strong>die</strong> he­


Die 70er Jahre bis heute 33<br />

tero norma tive – den Zwang zur Norm<br />

machende – Sozialisierung wur den scharf<br />

ange griffen und nach alter nativen Lebensweisen<br />

gesucht. Es ent standen langsam<br />

<strong>Frauen</strong> räume aller Art: <strong>Frauen</strong>häuser,<br />

Biblio theken, Beratungsstellen, Nottelefone<br />

etc. Die <strong>Frauen</strong> kämpften<br />

für ver besserte Arbeitsbedingungen,<br />

Ar beitszeit v erkürzung und Kinderbetreuungsangebote,<br />

<strong>die</strong> zu <strong>die</strong>sem<br />

Zeit punkt in den sozialistischen Nachbar<br />

ländern schon flächen dec kend eingerichtet<br />

waren.<br />

Im Sozialistischen Deutschen Stu denten<br />

bund (SDS) spielten <strong>Frauen</strong> eine<br />

tra gen de Rolle. Sie kämpften oft mals<br />

er bittert gegen <strong>die</strong> Hegemonie und<br />

<strong>die</strong> mangelnde Akzeptanz ihrer männlichen<br />

Ge nos sen, wobei es ei nige Male<br />

zu Eklats kam. Auf der 23. De legiertenkonferenz<br />

des SDS 1968 stellte <strong>die</strong> linke<br />

Studentin Helke Sander das Konzept<br />

des neu gegründeten „<strong>Aktion</strong>srates der<br />

<strong>Frauen</strong>“ dar. Der <strong>Aktion</strong>srat sollte lose<br />

mit dem SDS verbunden sein, sich aber<br />

auch kritisch vor allem zu dominanten<br />

Ver haltens weisen innerhalb des Verbundes<br />

äußern können. Als der Kongress<br />

ohne weitere Diskussion über den<br />

Beschluss hinweggehen und <strong>die</strong> Tagesordnung<br />

fortsetzen wollte, warf <strong>die</strong><br />

Teil nehmerin Sigrid Rüger – angeblich<br />

mit den Worten: „Genosse Krahl! (SDS-<br />

Theo retiker, Anm. Red.) Du bist objektiv<br />

ein Konterrevolutionär und ein Agent<br />

des Klassenfeindes dazu!“ - eine Tomate<br />

nach dem vorsitzenden Gremium. 6<br />

Ulrike Meinhof, damals ebenfalls im SDS<br />

aktiv, bemerkte dazu:<br />

„Die Reaktion der Männer <strong>auf</strong> der Delegierten-Konferenz<br />

und <strong>die</strong> auch der<br />

immer noch wohlwollenden Berichterstatter<br />

zeigte, daß noch erst ganze<br />

Güter züge von Tomaten verfeuert werden<br />

müssen, bis da etwas dämmert.<br />

Die Konsequenz aus Frankfurt kann nur<br />

sein, daß mehr <strong>Frauen</strong> über ihre Pro­<br />

6 http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Aktion</strong>srat_<br />

zur_ Be freiung_der_Frau#cite_note-4<br />

Women’s Liberation Movement<br />

1960er Jahre, USA: Rechtlich sind <strong>Frauen</strong><br />

Män nern in zwischen weit gehend<br />

gleichgestellt, doch an ihrer gesellschaftlichen<br />

Unter drückung än dert das<br />

wenig. Selbst in den linken Pro test bewegungen<br />

der 60er Jahre machen <strong>Frauen</strong><br />

– wie andernorts auch – <strong>die</strong> Erfahrung,<br />

dass sie nicht ernst genommen oder in<br />

den Hintergrund gedrängt werden.<br />

Frustriert vom Dominanzverhalten<br />

der Män ner legen sie ihr politisches<br />

Haupt augenmerk <strong>auf</strong> <strong>Frauen</strong>fragen. Als<br />

Ursache für ihre Ungleichbehandlung<br />

identifizieren sie ein patriarchales<br />

System, dessen Unterdrückungs mechanismen<br />

auch vor der Intim sphäre der<br />

Frau nicht halt machen.<br />

Auch im Women´s Liberation Movement<br />

lassen sich eine bürgerliche und eine<br />

radikalere Richtung verorten. Betty Friedans<br />

Publikation Der Weiblichkeitswahn<br />

von 1963 begründet erstere; Shulamith<br />

Firestone dagegen ist als eine der<br />

wichtigsten Vertreterinnen der radikalen<br />

Feministinnen zu nennen.<br />

Gemeinsam ist den beiden Aus prä gungen<br />

<strong>die</strong> Erkenntnis, dass <strong>die</strong> Un terdrückung<br />

der Frau aus einem ge sell schaftlichen<br />

Sys tem resultiert, dass alle Bereiche<br />

umschließt und im Privat bereich<br />

wurzelt. Damit sind auch Erziehung,<br />

Kultur und Sprache von patriarchalen<br />

Unterdrückungs mo menten durch zogen.<br />

Die Wir kungs weise <strong>die</strong>ser Machtinstrumente<br />

muss zunächst durchschaut<br />

werden, um anschließend durch ega litäre<br />

Struk turen ersetzt werden zu können.<br />

So entstehen <strong>die</strong> Gruppen zur weib ­<br />

lichen Selbst erfahrung, in welchen das<br />

Bewusst sein entsprechend geschult und<br />

sen sibilisiert wird (consciousness raising).<br />

<strong>Frauen</strong> eta blieren eine weibliche Gegenkultur<br />

zur vor herrschenden männ lichen:<br />

Sie gründen autonome Institutionen<br />

und Projekte von <strong>Frauen</strong> für <strong>Frauen</strong> wie<br />

z.B. <strong>Frauen</strong>cafés, <strong>Frauen</strong>buchläden, oder<br />

auch Kliniken speziell für Patientinnen.<br />

Das Recht <strong>auf</strong> körperliche und sexuelle<br />

Selbst bestimmung rückt in den Mittelpunkt<br />

der Debatte. Gewalt an <strong>Frauen</strong> und<br />

Mädchen durch Missbrauch so wie das<br />

Recht <strong>auf</strong> Abtreibung wer den öffentlich<br />

verhandelt. „Das Priv ate ist politisch!“ –<br />

für <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>, deren Körper lichkeit und<br />

Sexua lität bislang an männ liche Be gier­


34 Die 70er Jahre bis heute<br />

den geknüpft waren, ist <strong>die</strong>se Erkenntnis<br />

revo lutionär. Die sexuelle Befreiung der<br />

Frau wird zur Voraussetzung für ihre<br />

Selbst ermächtigung. Zu lange war <strong>die</strong><br />

Frau zum Sexual objekt degra<strong>die</strong>rt, ausgebeutet,<br />

und ihre Sexualität re guliert<br />

worden. Nicht zul etzt durch Kate Millets<br />

Schrift Sexus und Herr schaft. Die Ty rannei<br />

des Man nes in unserer Gesell schaft wird<br />

der Ge danke, allein der sexuelle Akt stelle<br />

eine asym met rische Macht beziehung<br />

zwis chen Frau und Mann her, verbreitet.<br />

Afro ­Ame rikaner innen und La tinas, deren<br />

Mehr fach dis krimi nierung <strong>auf</strong> grund<br />

von Ge schlecht und Ethni zität bis lang<br />

weder in dem von Män nern domi niertem<br />

Civil Rights Move ment noch in der<br />

von weißen <strong>Frauen</strong> domi nierten feministischen<br />

Be we gung Be achtung findet,<br />

gründen 1970 <strong>die</strong> „Third World Women´s<br />

Alliance“.<br />

Als „feminists of color“ thematisieren sie<br />

<strong>die</strong> Wechselwirkungen verschiedener<br />

Unterdrückungsformen <strong>auf</strong>grund solch<br />

identitätsstiftend wirkender Kategorien<br />

wie Geschlecht, Klasse, Ethnizität und<br />

sexuelle Orientierung. Dabei weiten sie<br />

<strong>die</strong> Forderung nach Gleichberechtigung<br />

von Frau und Mann <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Abschaffung<br />

jeglicher Hierarchien hin aus. Feminismus<br />

ist damit längst von der Forderung<br />

nach einer Revo lution der Be ziehung en<br />

zwischen den Geschlechtern zur Forderung<br />

nach einer Neu gestaltung der<br />

Gesell schaft <strong>auf</strong> allen Be reichen über gegangen.<br />

bleme nachdenken, sich organisieren,<br />

ihre Sache <strong>auf</strong>arbeiten und formulieren<br />

lernen und dabei von ihren Männern<br />

erstmal nichts anderes verlangen, als<br />

daß sie sie in <strong>die</strong>ser Sache in Ruhe lassen<br />

und ihre tomatenverkleckerten Hemden<br />

mal alleine waschen, vielleicht weil sie<br />

gerade <strong>Aktion</strong>sratssitzung zur Befreiung<br />

der Frau hat.“ 7<br />

Wie viele andere Themenfelder war<br />

also auch <strong>die</strong> Frage der Männerbeteiligung<br />

an Ak tionen und Demos<br />

um kämpft und führte zu Brüchen innerhalb<br />

der Bewegung. Emanzi patorische<br />

Bewe gunge n er kannten jedoch mit der<br />

Zeit <strong>die</strong> Be deutung des gemein samen<br />

Kam pfes wieder.<br />

Mit den Jahren verwandelten sich <strong>die</strong><br />

erkämpften Räume zu staatlicher Infrastruktur,<br />

viele For derung en wurden<br />

vom Main stream <strong>auf</strong>genommen.<br />

Zeitgleich erhielten <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> in der<br />

DDR be sondere Auf merksam keit, ihre<br />

Stellung im politischen und wirt schaftlichen<br />

Leben der Repu blik wurde stetig<br />

verbessert und <strong>die</strong> gesetz lichen Grundlagen<br />

ausgeweitet. Die DDR übernahm<br />

<strong>die</strong> Forderungen der marxistischen<br />

Theo retiker _innen hin sichtlich Be deutung<br />

und Mög lich keiten der <strong>Frauen</strong>eman<br />

zipa tion und verwir klich te viele<br />

davon.<br />

1950 wurde ein Gesetz „über den Mutter-<br />

und Kin der schutz und <strong>die</strong> Rechte der<br />

Frau“ 8 ver ab schiedet, wo nach sichergestellt<br />

wurde, dass „<strong>die</strong> Eheschließung<br />

[…] für <strong>die</strong> Frau keine Einschränkung<br />

oder Schmälerung ihrer Rechte zur<br />

Folge“ haben und <strong>Frauen</strong> nicht daran<br />

ge hin dert würden, einen Beruf ihr er<br />

Wahl auszuüben.<br />

7 Meinhof, Ulrike: Die <strong>Frauen</strong> im SDS oder In<br />

eigener Sache, Konkret Nr. 12, 1968<br />

8 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/mukfrrgdbest_1/gesamt.pdf


Die 70er Jahre bis heute 35<br />

Um <strong>die</strong> <strong>auf</strong> dem Papier bestehende<br />

Gleich be rech tigung auch in <strong>die</strong> Realität<br />

um zusetzen, wurden <strong>Frauen</strong> ausschüsse<br />

gegründet und <strong>Frauen</strong> förderpläne<br />

entwickelt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> berufliche<br />

Aus- und Weiter bildung der <strong>Frauen</strong><br />

ge zielt unter stützten. In den DDR-Betrie<br />

ben waren schwang ere <strong>Frauen</strong> und<br />

<strong>Frauen</strong> mit Klein kindern mit einem<br />

Kün di gungs schutz sowie der Einrichtung<br />

von Babyjahr und Haushaltstag<br />

sozial abgesichert. Im Stich jahr<br />

1988 wies <strong>die</strong> DDR mit 91,3% <strong>die</strong> weltweit<br />

höchste Beschäftigungsquote von<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong>.<br />

Der §218 – der so genannte „Ab treibungsparagraph“<br />

– wurde auch in<br />

der DDR sehr kontro vers dis kutiert.<br />

1950 wurde eine be dingte Frei gabe<br />

des Schwanger schafts abbruchs aus<br />

medi zini schen Grün den ein ge führt. Es<br />

dau erte aller dings noch ein mal über<br />

20 Jahre, bis 1972 eine Fristen lösung<br />

beim Schwanger schafts ab bruch gefun<br />

den war, nach der der Abbruch<br />

inner halb der ersten drei Monate erlaubt<br />

wurde. Diese Re gelung war nicht<br />

mit einem Rechtfertigungszwang oder<br />

einer Pflicht bera tung ver bunden –<br />

im Gegen satz zu der west deutschen<br />

Fristen lösung, <strong>die</strong> zwei Jahre später in<br />

Kraft trat.<br />

Trotz vieler Errungenschaften und<br />

fort schritt licher <strong>Frauen</strong> politik war<br />

auch <strong>die</strong> DDR noch im mer weit von<br />

der gänz lichen Eman zipa tion der<br />

Frau entfernt. Das noch immer vorherrschende<br />

patriarchalische Weltbild<br />

vie ler Män ner und <strong>Frauen</strong> und <strong>die</strong><br />

tra di tionell fort geführte ge schlechts ­<br />

spezifische Arbeitsteilung im Haushalt<br />

waren dafür Fak toren: trotz eines<br />

nahezu flächen deckenden Netzes von<br />

Kindertagesstätten und -horten und<br />

vielen anderen sozial poli tischen Einrich<br />

tungen verfüg ten <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> über<br />

we niger Frei zeit als Männer, da sie<br />

im mer noch haupt verant wortlich für<br />

Hausarbeiten waren.<br />

Der 1989 gegründete Unabhängige<br />

<strong>Frauen</strong>verband der DDR wollte zur<br />

„Wendezeit“ <strong>die</strong> Errungenschaften<br />

der DDR verteidigen und fürchtete<br />

eine drohende Massenarbeitslosigkeit<br />

und das Zurückdrängen der <strong>Frauen</strong><br />

an den heimischen Herd. Der Großteil<br />

der Errungenschaften, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

<strong>Frauen</strong> in der DDR zentral gewesen<br />

waren, wurden nach der so genannten<br />

‚Wiedervereinigung‘ abgeschafft.


36 Die 70er Jahre bis heute<br />

Lu mumba-Club bei, einer Gruppe von<br />

Afro amerikaner_innen inner halb der<br />

Kommu nistischen Partei der USA. Nachdem<br />

sie 1968 ihr Stu dium be endet hatte,<br />

musste sie ihre an schließende Zu lassung<br />

als Do zen tin gericht lich er streiten, jedoch<br />

wurde ihr Vertrag nach Bekannt werden<br />

ihrer Mitglied schaft in der amerika nischen<br />

KP bereits 1970 wie der gekündigt.<br />

ANGELA DAVIS (*1944)<br />

Angela Yvonne Davis wurde am 26.<br />

Januar 1944 in Birmingham (Alabama)<br />

geboren. Als lesbische schwarze Frau<br />

engagierte sie sich nicht nur in der<br />

<strong>Frauen</strong>bewegung und der schwarzen<br />

Bürgerrechtsbewegung, sondern war<br />

auch eine prominente Vertreterin der<br />

US-amerikanischen Kommunistischen<br />

Partei, in <strong>die</strong> sie nach der Ermordung<br />

Martin Luther Kings 1968 eingetreten<br />

war.<br />

Angela Davis stu<strong>die</strong>rte in den Ver ei nigten<br />

Staaten u.a. bei Herbert Mar cuse<br />

– der sie als seine begabteste Stu dentin<br />

bezeich nete – sowie in Frank furt<br />

a.M. bei Max Hork heimer und Theodor<br />

W. Adorno Philo sophie und Soziologie.<br />

Während ihres Stu diums in der<br />

BRD (1965-1967) schloss sie sich dem<br />

SDS an und be teilig te sich an Protestak<br />

tionen gegen den Vietnamkrieg.<br />

Nachdem sie <strong>auf</strong>grund der sich verschärfenden<br />

Kämpfe der schwar zen<br />

Bürger rechtsbewegung wieder in <strong>die</strong><br />

USA <strong>zurück</strong> ge kehrt war, wurde sie<br />

kurz zeitig Mit glied der Black Panther-<br />

Organisation. Auch trat sie dem Che-<br />

Im August 1970 lieferte sich der<br />

Bruder des seit seinem 18. Lebensjahr<br />

inhaftierten George Jackson – eines<br />

Mitgliedes der Black Panther-Partei – bei<br />

einem missglückten Befreiungsversuch<br />

eine Schießerei mit der Polizei, bei der<br />

vier Menschen getötet wurden. Angela<br />

Davis wurde vorgeworfen, <strong>die</strong> Tatwaffe<br />

geliefert zu haben, da <strong>die</strong>se <strong>auf</strong> ihren<br />

Namen gek<strong>auf</strong>t worden war. Das FBI<br />

setzte sie dar<strong>auf</strong>in <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Liste der<br />

zehn meistgesuchten Verbrecher_<br />

innen der Vereinigten Staaten. Bald<br />

dar<strong>auf</strong> wurde sie festgenommen;<br />

wegen angeblicher „Unterstützung des<br />

Terrorismus“ drohte ihr <strong>die</strong> Todesstrafe.<br />

Die in der Folge sich entwickelnde<br />

weltweite Welle des Protests brachte<br />

eine überwältigende Solidarität<br />

mit der resoluten Kämpferin gegen<br />

Sexismus, Rassismus, Unterdrückung<br />

und Ausbeutung zum Ausdruck – <strong>die</strong><br />

„Free-Angela”-Bewegung wurde zum<br />

internationalen Symbol für den Kampf<br />

gegen <strong>die</strong> rassistische Klassenjustiz in<br />

den USA. Im Verl<strong>auf</strong> der Angela Davis-<br />

Solidaritätskampagne beteiligten sich<br />

insbesondere <strong>die</strong> Bürger der DDR an<br />

Petitionen, Briefaktionen usw.<br />

Im Jahr 1971 kam aus der FDJ schließlich<br />

der Vor schlag zu einer der weltweit umfäng<br />

lichsten Soli dari täts aktionen: Dem<br />

Auf ruf „Eine Million Rosen für Angela<br />

Davis“ fol gend schickten Zehn tau sende<br />

DDR-Bürger_innen der in haft ier ten<br />

Davis Post kar ten mit ro ten Rosen. Nach<br />

knapp zwei Jahr en wurde sie schließ lich<br />

im Juni 1972 in allen Anklagepunkten<br />

frei ge sprochen. 1973 besuchte Angela<br />

Davis <strong>die</strong> zehn ten Weltfest spiele der


Die 70er Jahre bis heute 37<br />

Jugend in Ost­ Berlin, wo sie be gei s tert<br />

em pfangen wurde; auch in den folgenden<br />

Jahren reiste sie wiederholt in<br />

<strong>die</strong> DDR.<br />

Später lehrte sie als Philosophie-Pro fessorin<br />

– sehr zum Ärger des ehemaligen<br />

kalifor nischen Gouver neurs Ronald<br />

Rea gan, der <strong>die</strong>s zu ver hin dern ge sucht<br />

hatte – u.a. an der Uni versi tät in Santa<br />

Cruz sowie an der Uni versität von San<br />

Fran cisco. Seit Mitte der 80er Jahre ist<br />

sie Mitglied im National Political Congress<br />

of Black Women sowie Vorstandsmitglied<br />

des National Black Women’s<br />

Health Project. Zwar trat sie 1991 aus der<br />

Kommu nistischen Partei aus und wurde<br />

Mit glied im Vor stand des Committees<br />

of Correspondence for Democracy and<br />

Socialism, jedoch bezeichnet sie sich<br />

auch weiterhin als Kommunistin.<br />

In ihren Publikationen thematisiert sie<br />

insbesondere Fragen des Zusammenlebens<br />

unter schied licher „Rassen“ bzw.<br />

Ethnien, Klassen fragen und <strong>die</strong> Probleme<br />

kulturell geprägter Ge schlechterrollen<br />

(gender) sowie <strong>die</strong> daraus<br />

resultieren den Mechanis men der Unter<br />

drüc kung und Kon trolle; außer d em<br />

bes chäftigt sie sich mit dem gefängnisindustriellen<br />

Kom plex der USA. Eine<br />

Aus wahl ihrer Ver öffent lichun gen<br />

offen bart ihr vielfältiges politisches Enga<br />

ge ment: Rassismus und Sexismus.<br />

Schwarze <strong>Frauen</strong> und Klassenkampf in<br />

den USA (1982); Women, Culture and<br />

Politics (1989); Blues Legacies and Black<br />

Feminism. Gertrude „Ma” Rainey, Bessie<br />

Smith and Billie Holiday (1998); Eine<br />

Gesellschaft ohne Gefängnisse? Der<br />

gefängnisindustrielle Komplex der USA<br />

(2004); Abolition Democracy – Beyond<br />

Empire, Prisons, and Torture (2005).<br />

John Lennon, <strong>die</strong> Rolling Stones und<br />

Franz Josef Degenhardt widmeten<br />

Angela Davis Songs. Außerdem wurden<br />

ihr u.a. der Lenin-Friedenspreis (1979)<br />

und der Menschenrechtspreis der Gesell<br />

schaft zum Schutz von Bürgerrecht<br />

und Menschenwürde (2004) verliehen.<br />

Bis heute lehrt <strong>die</strong> wohl bekannteste<br />

amerikanische Kommunistin an der<br />

Universität in Santa Cruz; außerdem ist<br />

sie <strong>die</strong> Sprecherin der Kampagne gegen<br />

<strong>die</strong> Todesstrafe.<br />

Haupt- und Nebenwiderspruch<br />

Ein so komplexes Konstrukt wie ein<br />

menschliches Gemeinwesen, also eine<br />

Gesell schaft, enthält eine ganze Reihe<br />

von Widersprüchen. Diese Widersprüche<br />

bringen durch ihre Wechselwir<br />

kungen einen dia lektischen Entwick<br />

lungs prozess her vor. Trotz der<br />

Komplexität der Zu sammen hänge lässt<br />

sich innerhalb <strong>die</strong>ses Entwicklungs ­<br />

prozesses ein Haupt wider spruch ausmachen,<br />

der den übri gen zu grunde<br />

liegt.<br />

In der bürgerlichen Gesellschaft be steht<br />

<strong>die</strong>ser Haupt wi der spruch zwischen der<br />

Klasse der Ka pita list_innen und der<br />

Klasse der Arbei ter_innen, wobei erstere<br />

<strong>die</strong> Pro duktions mittel kontrolliert<br />

und sich so <strong>die</strong> Arbeits kraft der letzteren<br />

an eignen kann. Dieses Verhältnis<br />

bil det den Kern der kapitalis tischen<br />

Ord nung. Gleichzeitig bestimmen <strong>die</strong><br />

Exis tenz und <strong>die</strong> Entwicklung <strong>die</strong>ses<br />

Haupt wider spruchs <strong>die</strong> Existenz und<br />

<strong>die</strong> Ent wicklung der anderen gesellschaftlichen<br />

Widersprüche (Sexismen,<br />

Rassis men und andere Formen der<br />

Un ter drückung, Aus grenzung und Diskriminierung).<br />

Der Wider spruch zwischen Mann<br />

und Frau hat, wie Engels zeigen konnte,<br />

seinen Ur sprung in einem öko nomischen,<br />

letzt lich in einem Klassen ­<br />

wider spruch. Er ba siert <strong>auf</strong> öko nomischer<br />

Un gleichheit und entspringt<br />

der Entstehung des Privateigentums<br />

und da mit der Tren nung von produktiver<br />

und re pro duk tiver Arbeit.<br />

Dieses Verhältnis ist <strong>auf</strong> verschiedenen<br />

Ent wicklungs stufen der Klassen<br />

gesellschaften Ver änder ungen<br />

unterworfen, bleibt als sol ches aber<br />

beste hen, so lange <strong>die</strong> Herr schaft einer<br />

über eine an dere Klasse be stehen<br />

bleibt. In der bürger lichen Gesellschafts<br />

form liegt dem Geschlechter­


38 Aktuelle Diskurse<br />

wider spruch der Klassen wider spruch<br />

zwi schen Bourgeosie und Proletariat<br />

zu grunde. Er ergibt sich also als<br />

„Neben widerspruch“ aus <strong>die</strong>sem<br />

Haupt widerspruch – folg lich kann <strong>die</strong><br />

<strong>Frauen</strong>-, oder all gemeiner, <strong>die</strong> Geschlechter<br />

frage, nicht los gelöst von der<br />

Klassen fra ge be trachtet oder gar gelöst<br />

werden.<br />

Wichtig zu betonen ist in <strong>die</strong>sem<br />

Zusammen hang, dass der Begriff<br />

„Neben widerspruch“ keineswegs eine<br />

Nebensächlichkeit von Tatbeständen<br />

wie Sexismus oder Rassismus implizieren<br />

soll, wie häufig unterstellt wird. Im<br />

Gegenteil. Diese Analyse zielt ja gerade<br />

dar<strong>auf</strong> ab, <strong>die</strong> Wurzeln <strong>auf</strong>zuzeigen,<br />

anhand derer <strong>die</strong>se bekämpft werden<br />

kön nen und müssen. Es muss uns darum<br />

gehen, nicht Symptome zu bekämpfen,<br />

ohne ihre Ursachen zu<br />

kennen, und ihnen dennoch im hier<br />

und jetzt entschlossenen Wider stand<br />

entgegenzustellen. Als Kommu nist_<br />

innen muss es uns eine Selbst ver ständlichkeit<br />

sein, jede Form der sexu ellen<br />

Unter drückung zu bekämpfen und<br />

in unserer gemeinsamen Praxis Geschlechter<br />

wider sprüche be wusst zu<br />

ma chen und <strong>auf</strong> zubrechen. Wir müssen<br />

uns in allen Bereichen – nicht zu letzt<br />

in unseren ei genen Struk turen – für<br />

Gleich be rechti gung und gegen jede Diskrimi<br />

nierung einsetzen. Diese Kämpfe<br />

dürfen nicht <strong>auf</strong> einen un be stimmten<br />

Zeitpunkt nach der Revolution<br />

verschoben werden. Gleichzeitig dürfen<br />

wir nicht dabei halt machen, uns nur<br />

für <strong>die</strong> Gleich heit der Ge schlech ter<br />

inner halb der herrschenden Aus beutungsverhältnisse<br />

einzusetzen, sondern<br />

zu jeder Zeit gemeinsam für eine Perspek<br />

tive jenseits jeder Aus beutung<br />

kämpfen!<br />

Der Sozialismus wird nicht automatisch<br />

alle Geschlechterwidersprüche lösen,<br />

aber er schafft erstmals Verhältnisse, <strong>die</strong><br />

es ermöglichen, deren Ursachen aus der<br />

Welt zu räumen. In <strong>die</strong>sem Sinne: Keine<br />

Emanzipation ohne soziale Revolution !<br />

Aktuelle Diskurse und Debatten<br />

Die proletarische <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

hat in den letzten 150 Jahren wichtige<br />

Dienste für <strong>die</strong> organisierte Arbeiter_<br />

innenbewegung geleistet. Sie zeigte an<br />

der Aufteilung von <strong>Frauen</strong> entlang der<br />

Klassenlinie <strong>auf</strong>, dass <strong>die</strong> Interessen der<br />

<strong>Frauen</strong> verschieden sein können und<br />

dass <strong>die</strong> der lohnabhängigen <strong>Frauen</strong><br />

weit über den kapitalistischen Rahmen<br />

hinausgehen. Die proletarische und<br />

kommunistische <strong>Frauen</strong>bewegung hat<br />

<strong>die</strong> Notwendigkeit eines gemeinsamen<br />

Kampfes der Arbeiter_Innen – unabhängig<br />

des Geschlechts – sowohl für <strong>die</strong><br />

<strong>Frauen</strong> be freiung als auch <strong>die</strong> soziale<br />

Bef reiung <strong>auf</strong> gezeigt. Dies hebt sie ab<br />

von den Reformerinnen, <strong>die</strong> offi ziell<br />

für eine Gleich heit der Ge schlech ter<br />

eintraten, aber lediglich eine „Besserbehandlung“<br />

der <strong>Frauen</strong> an streb ten,<br />

zu der kein grundsätzlicher Wandel<br />

der bestehenden hierar chischen Strukturen<br />

zwischen den Geschlechtern<br />

nötig war.<br />

Außerdem macht ihre Ge schich te <strong>die</strong><br />

Schwierig keiten deut lich, mit der <strong>Frauen</strong><br />

in einer män ner domi nier ten Ar beiter_innen<br />

bewe gung zu tun ha ben. Es<br />

hat sich gezeigt, dass es für pro let arische<br />

Frau en in be stimm ten Situa tio nen<br />

richtig sein kann, sich auto nom zu organisieren,<br />

so lange kein ge mein samer und<br />

kon sequen ter Kampf gegen Sexis mus<br />

und patriarchale Strukturen inner- und<br />

außer halb der Orga nisa tion und der<br />

B ewe gung exis tiert. <strong>Frauen</strong> orga nisationen<br />

zum Selbst zweck, <strong>die</strong> zur Entzweiung<br />

von politischen Gruppierungen<br />

führen, sind hingegen nicht zielführend,<br />

wie zahllose Spaltungen von Strukturen<br />

in den ver gangenen Jahr zehnten be legen.<br />

Der Begriff „Feminismus“ ist heute umkämpft,<br />

da seine eman zipa torische Aufgabe<br />

in Deutsch land oft nur marginal in<br />

Er schei nung tritt. Viel mehr trifft man<br />

<strong>auf</strong> „Femi nis tinnen“ wie <strong>die</strong> „Emma“-<br />

Her aus geber in Alice Schwarzer, <strong>die</strong>


Aktuelle Diskurse 39<br />

als Aus hänge schild der (mo mentan)<br />

schwarz­ gelben Re gierung sogar<br />

<strong>die</strong> Koali tion mit dem rech ten La ger<br />

eingeht, indem sie offen in den Chor des<br />

anti isla mischen Rassis mus ein stimmt.<br />

Weitere prominente und „erfolgreiche<br />

Vereinbarerinnen von Familie und<br />

Beruf“ in den Ministerien werden als<br />

Sinnbild von geglückter Gleichstellung<br />

verstanden, <strong>die</strong> Reformen für ihre<br />

Wählerinnen durchsetzen. So <strong>die</strong>nt<br />

das neue Elterngeld vorrangig den<br />

Interessen der besser gestellten<br />

<strong>Frauen</strong>, während Erwerbslose und<br />

Alleinerziehende <strong>die</strong> Leidtragenden<br />

sind.<br />

Die neuen Debatten tragen viele Namen<br />

und sind oft mals sehr widersprüchlich.<br />

Von der radikalen feministischen<br />

Behauptung, der Antrieb<br />

der Geschichte sei der Kampf der<br />

Geschlechter bis hin zum kulturellen<br />

oder Öko-Feminismus, der davon<br />

ausgeht, dass es eine besondere, „weibliche<br />

Natur“ gäbe, führten viele neue<br />

Ansätze weg von einer politischen<br />

Analyse der <strong>Frauen</strong>unterdrückung und<br />

der realen Ausbeutungsverhältnisse<br />

hin zu einer nur bewusst seins mäßigen,<br />

rein dis kursiven, rein identitären oder<br />

moralischen „Lösung“ des Problems.<br />

Zeitgleich haben aber auch viele linke<br />

Strömungen verpasst, <strong>auf</strong> den Zug<br />

<strong>auf</strong>zuspringen, weil sie <strong>die</strong> zentralen<br />

<strong>Frauen</strong>themen ignoriert oder nicht in<br />

genügendem Maße behandelt haben.<br />

Daraus ergibt sich, dass sich viele<br />

Femi nistinnen von der mar xis tischen<br />

Grund lage abgewandt und ihr Glück in<br />

alternativen Theorien oder auto nomen<br />

Or ga nisa tionsstrukturen ge sucht haben.<br />

Versuche von Feministinnen, eine<br />

marx is tische Theorie der <strong>Frauen</strong> unterdrückung<br />

voran zubringen, wer den<br />

von radi kalen Femini stinnen einer<br />

ver nich ten den Kritik unter zogen.<br />

Sie sehen ihre eigenen Strömungen<br />

als „über den theoretischen und<br />

politischen Horizont des Marxismus<br />

hinaus[gehende]“ 9 Ansätze an, <strong>die</strong> über<br />

Zeiten, Kulturen und Klassen erhaben<br />

sind und eine jeweils besondere Version<br />

der „Weiblichkeit“ <strong>auf</strong>zeigen.<br />

Die marxistische Analyse des Be ziehungs<br />

geflechts von Klasse und Geschlecht<br />

führt dennoch zu einer<br />

wesentlichen Erklärung für das Stagnieren<br />

der (reformistischen) <strong>Frauen</strong>bewegung:<br />

<strong>Frauen</strong> fühlen sich stärker<br />

ihrer jeweiligen sozialen Grup pe<br />

zugehörig als ihrem eigenen Geschlecht.<br />

Das belegt zum Beispiel <strong>die</strong><br />

von 1991-1995 durchgeführte Stu<strong>die</strong><br />

von Petra Frerichs und Margareta<br />

Steinrücke zum Verhältnis von „Klasse<br />

und Geschlecht“. Nach der Fragestellung,<br />

was Menschen mehr ver binde,<br />

bzw. trenne – das Geschlecht oder <strong>die</strong><br />

Klassenzugehörigkeit – konnten sie<br />

nachweisen, dass <strong>die</strong> Ge schlechtsunterschiede<br />

weitgehend von den<br />

Klassen unterschieden überlagert und<br />

geleitet werden. 10<br />

9 Davis, Mary: <strong>Frauen</strong> und Klasse. S. 20<br />

10 vgl. Steinrücke 2006, aus: <strong>Marxistische</strong><br />

Blätter: <strong>Frauen</strong>sachen<br />

ALEKA PAPARIGA (*1945)<br />

Aleka Papariga (griechisch: Αλέκα<br />

Παπαρήγα) ist ein Beispiel einer<br />

herausragenden Frau in der kommunistischen<br />

Weltbewegung von heute.<br />

Während nach dem Ende der Sowjetunion<br />

und der anderen so zialis tischen<br />

Staaten Euro pas <strong>die</strong> kommu nistischen<br />

Par teien in den meisten Ländern<br />

der Welt ihren Mas sen ein fluss und<br />

oft mals, wie in Frank reich, Ita lien<br />

oder Öster reich, auch jeden revolutionären<br />

Charakterzug einbüßten,<br />

entschlossen sich <strong>die</strong> Kommunisten<br />

Griechenlands zu Beginn der 90er da­


40 AKtuelle Diskurse<br />

zu, am revolutio nären marxistischen<br />

Kurs ihrer Partei festzuhalten. Dies war<br />

eine der wichtigsten Voraussetzungen<br />

dafür, dass <strong>die</strong> Kommunistische Partei<br />

Griechenlands (KKE) als eine der<br />

wenigen kommu nistischen Partei en der<br />

Welt in den letzten zwei Jahrzehnten<br />

deut lich an Stärke gewonnen hat und<br />

ihre Verankerung in der Arbeiterschaft<br />

festi gen konnte. Während <strong>die</strong>ser<br />

Periode ihrer Entwicklung wurde <strong>die</strong><br />

KKE mit Aleka Papariga von einer<br />

bemer kenswer ten Revolutionärin angeführt.<br />

Geboren wurde Aleka Papariga am 5.<br />

November 1945 in Athen, zwischen<br />

dem Abzug der Nazi-Besatzer aus<br />

Griechenland und der letzten Phase<br />

des Griechischen Bürgerkriegs (1946-<br />

1949) als Tochter kommunistischer<br />

Partisanen. Mit 16 Jahren begann<br />

sie, sich als Friedensaktivistin zu<br />

betätigen und schloss sich kurz<br />

dar<strong>auf</strong> der Jugendorganisation der<br />

EDA, der zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt einzig<br />

legalen Linkspartei, an. Als nach<br />

dem Militärputsch von 1967 auch<br />

<strong>die</strong>se Partei verboten wurde, schloss<br />

sie sich, inzwischen Studentin der<br />

historisch-archäologischen Abteilung<br />

der Athener Universität, der im Untergrund<br />

arbeitenden KKE an. Für ihr<br />

Engage ment im Widerstand gegen<br />

<strong>die</strong> CIA-gestützte Diktatur von Giorgos<br />

Papa do poulos wurde sie für vier Monate<br />

inhaftiert. Nach dem Sturz der<br />

Junta im Jahr 1974 engagierte sie<br />

sich für einige Jahre vor allem in der<br />

kommu nistischen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

<strong>auf</strong> internationalem und nationalem<br />

Niveau und war Mitgründerin der Föde<br />

ra tion der <strong>Frauen</strong> Griechenlands<br />

(OGE), einer klassen kämpf erischen<br />

Frau en orga nisation, <strong>die</strong> sich bis heute<br />

in Griechen land für <strong>die</strong> Befreiung der<br />

Frau und <strong>die</strong> Überwindung des Kapitalismus<br />

einsetzt. Eine marxistische<br />

Analyse der Situation der Frau in der<br />

kapi talistischen Gesell schaft lieferte sie<br />

mit ihrem Buch „Für <strong>die</strong> Befreiung der<br />

Frau“.<br />

Seit 1978 ist Papariga Mit glied des<br />

Zentral komitees der KKE und seit 1986<br />

Mit glied des Politbüros. 1991 wurde<br />

sie als erste Frau zur General sekretärin<br />

der Partei gewählt und seitdem von<br />

den Partei kongressen immer wieder<br />

im Amt bestätigt. Sie ist damit <strong>die</strong><br />

erste und bisher einzige weibliche<br />

Vorsitzende einer größeren Partei in<br />

Griechenland überhaupt und <strong>die</strong> am<br />

längsten amtierende Vorsitzende in der<br />

Geschichte der KKE.<br />

Familie und Beruf erfolgreich<br />

unter einen Hut bringen – und<br />

dabei noch gut aussehen!<br />

Die englische Me<strong>die</strong>nforscherin<br />

An<strong>die</strong> McRobbie hat 30 Jahre lang<br />

das Verhalten junger <strong>Frauen</strong> in Großbritannien<br />

untersucht. Das Er gebnis<br />

ihrer vergleichenden Lang zeit stu<strong>die</strong>: Diskriminierende<br />

Ge schlech ter verhältnisse<br />

werden in west lichen Demo kra tien<br />

gegen wärtig neu zementiert, und zwar<br />

mit Hilfe der falschen Behauptung,<br />

<strong>die</strong> Gleich berech tigung sei verwirklicht.<br />

11 Auch hier in Deutschland<br />

11 Die feministische Soziologin Frigga Haug hat<br />

aktuelle Beiträge von Wissen schaftlerinnen


Aktuelle Diskurse 41<br />

täuschen scheinbar errungene Erfolge<br />

der <strong>Frauen</strong>bewegung insbesondere<br />

junge <strong>Frauen</strong> über <strong>die</strong> be stehenden<br />

Ungleichbehandlungen hinweg. Die<br />

geführten Kämpfe sind aus den Köpfen<br />

verschwunden. Dass es zwischenzeitlich<br />

längst zu einem „rollback“ kommt, dass<br />

also viele Errungenschaften der Vergangenheit<br />

stillschweigend wieder abgeschafft<br />

werden, vieles also immer<br />

noch und immer wieder erkämpft<br />

werden müsste, wird oftmals nicht<br />

mehr wahrgenommen.<br />

Viele <strong>Frauen</strong>rechtlerinnen üben des halb<br />

Kritik an den neoliberalen Gleich stellungspolitiken<br />

und Gender Mainstreaming 12 :<br />

Wenn <strong>die</strong> „innovative Kraft der <strong>Frauen</strong>“<br />

als Human ressource gepriesen oder <strong>die</strong><br />

„Chancen gleich heit als Erfolgs faktor“<br />

von Unternehmens strategen in den<br />

Himmel gelobt wird, wird der tatsächlich<br />

stattfindende <strong>Frauen</strong>kampf zu einem<br />

Unterpunkt von Wirtschaftspolitik, der<br />

<strong>die</strong> Interessensgegensätze von Kapital<br />

und Lohnarbeit konsequent ignoriert<br />

und bewusst verschleiert. 13<br />

Die Autorin Susanne Bauermann konstatiert,<br />

dass es den feder füh ren den Parteien<br />

gelungen sei, im Massen bewusstsein<br />

den Ein druck entstehen zu lassen,<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> politik biete keine Plattform<br />

für Ver tei lungs kämpfe. Systematisch<br />

<strong>zurück</strong>gehalten werden auch Ansätze<br />

und Forderungen, <strong>die</strong> über den kapitalis<br />

tischen Hori zont hinausreichen.<br />

Selbst linke oder gewerkschaftliche<br />

aus aller Welt zu „An for derungen an ein<br />

feministisches Projekt heute“ heraus gegeben:<br />

Briefe aus der Ferne - Anfor derungen an ein<br />

feministisches Projekt heute. Argument Verlag,<br />

Hamburg 2010<br />

12 Gender Mainstreaming: Strategie mit<br />

festgelegten Vorgehensweisen zur Installation<br />

von Gleich stellung als Querschnittsthema in<br />

den Verwaltungen. Dazu gehören beispielsweise<br />

geschlechtersensibler Sprachgebrauch oder<br />

Kompetenz-Schulungen von Mitarbeiter_innen<br />

der der kommunalen Bürger(!)büros.<br />

13 Bauermann, Susanne: Alice Schwarzer und<br />

der Gender Gap, <strong>Marxistische</strong> Blätter 06-2009<br />

<strong>Frauen</strong> poli tik wie <strong>die</strong> Veranstaltungen<br />

zum Inter nationalen <strong>Frauen</strong> tag ver folgen<br />

An passungs ten denzen zum neoliberalen<br />

Kurs und verkommen – so das<br />

ernüchternde Fazit – häufig zu „niveaulosen<br />

und folkloristischen Pflichtveranstaltungen“<br />

14 .<br />

Im Jahr 2010 wurde beispielsweise der<br />

Inter nationale <strong>Frauen</strong>tag in <strong>Tübingen</strong><br />

unter dem Motto „<strong>Frauen</strong>-Bewegung!“<br />

gefeiert. Unter anderem hatten Fit nessund<br />

Sport unternehmen an <strong>die</strong>sem Tag<br />

<strong>die</strong> Chance, ihre speziell <strong>auf</strong> „<strong>Frauen</strong>bedürfnisse“<br />

abgestimmten Programme<br />

im städtischen Rathaus vorzustellen,<br />

<strong>die</strong> „Bewegung“ der <strong>Frauen</strong><br />

wurde <strong>auf</strong> eine rein sportliche – und<br />

dem gängigen Schönheitsideal zugute<br />

kommende – Betätigung reduziert und<br />

der revolutionäre Grundgedanke des<br />

Internationalen <strong>Frauen</strong>tags verkannt.<br />

Die Umdeutung der <strong>Frauen</strong>kämpfe<br />

zugunsten der Besitzenden hat Tradition,<br />

wie Clara Zetkin <strong>auf</strong>zeigt:<br />

„…in der Praxis läuft <strong>die</strong> Verwirklichung<br />

frauenrechtlerischer Forderungen in<br />

der Hauptsache dar<strong>auf</strong> hinaus <strong>die</strong><br />

kapitalistische Ordnung zugunsten<br />

der <strong>Frauen</strong> und Töchter der besitzenden<br />

Klasse zu reformieren, während<br />

<strong>die</strong> unge heure Mehr zahl an Proletarierinnen,<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> des schaffenden<br />

Volkes, nach wie vor als Unfreie und<br />

Ausgebeutete der Verkümmerung und<br />

Missachtung ihres Menschentums, ihrer<br />

Rechte und Interessen preisgegeben<br />

sind […] Das Recht der <strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong><br />

gleiche Bildung und Berufstätigkeit<br />

mit dem Manne läuft dar<strong>auf</strong> hinaus,<br />

den <strong>Frauen</strong> der Besitzenden <strong>die</strong> so<br />

genannten höheren Berufsgebiete zu<br />

erschließen, damit den Grundsatz der<br />

kapitalistischen Konkurrenz auch hier<br />

zur unbeschränkten Geltung zu bringen<br />

und den wirtschaftlichen wie sozialen<br />

Gegensatz zwischen den Geschlechtern<br />

zu verschärfen.“ 15<br />

14 ebenda, S. 32<br />

15 Ausgewählte Schriften, Bd 2, S.240


42 Aktuelle Diskurse<br />

Die revolutionäre (<strong>Frauen</strong>-)bewegung<br />

muss den kleinbürgerlichen, vom Staat<br />

vereinnahmten Feminismus also stets<br />

als das begreifen, was er wirklich ist:<br />

eine Gegenstrategie der Herrschenden<br />

gegen den Kampf um <strong>die</strong> wirkliche<br />

Befreiung der Frau und gegen den<br />

proletarischen Klassenkampf, der <strong>die</strong><br />

Überwindung der ganzen Ausbeutung<br />

und Unterdrückung zum Ziel hat.<br />

Zusammenfassend bestätigt sich <strong>die</strong><br />

marxis tische Analyse, dass der <strong>Frauen</strong>kampf<br />

im kapi talistischen System gegen<br />

eine doppel te Dis krimi nier ung geführt<br />

werden muss: Die <strong>Frauen</strong> sind einerseits<br />

ge zwung en, als Lohnabhängige ihre<br />

Arbeits kraft zu verk<strong>auf</strong>en, andererseits<br />

erfahr en sie ge schlechts spezifische<br />

Be nach teili gungen. Das vielschichtige<br />

und dynamische Verhältnis von der<br />

Aus beutung von <strong>Frauen</strong> als Arbeiterinnen<br />

und ihrer Unterdrückung als<br />

Frau en ist eine entscheidende Voraussetzung<br />

für das ökonomische,<br />

politische und ideologische Funktionieren<br />

des Kapitalismus. Die Frage<br />

nach der Emanzipation von <strong>Frauen</strong><br />

steht damit im Zentrum des Kampfes<br />

für fortschrittlichen sozialen Wandel.<br />

Postmoderne Feminismen<br />

Nachdem Robert Stoller und Gayle<br />

Rubin zwischen den beiden Kategorien<br />

des biologischen Geschlechts (sex)<br />

und des gesellschaftlich kon struierten<br />

Geschlechts (gender) differen ziert<br />

hatten, widerlegten Femini stinnen<br />

<strong>die</strong> Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs<br />

zwischen bio logischem Geschlecht<br />

und Geschlechter rolle. Wenngleich<br />

<strong>die</strong> biologistische Grundlage der<br />

Geschlechterrolle damit dekons truiert<br />

war, so gründeten sich feministische<br />

Bestrebungen den noch <strong>auf</strong> der Annahme<br />

einer grund sätzlichen Unterscheidung<br />

von „<strong>Frauen</strong>“ und „Männern“.<br />

Mit der Veröffentlichung von Judith<br />

Butlers Unbehagen der Geschlechter im<br />

Jahr 1990 wurde <strong>die</strong>se Hypothese von<br />

der Zweigeschlechtlichkeit schlagartig<br />

in Frage gestellt: Das biologische<br />

Geschlecht sei, genau wie das soziale,<br />

eine reine gesellschaftliche Erfindung,<br />

so Butler.<br />

Es ist erst <strong>die</strong> sprachlichen Benennung,<br />

<strong>die</strong> ein biologisches Geschlecht existent<br />

macht. Ist ein Individuum erst einmal<br />

mit dem Etikett „weiblich“ oder<br />

„männlich“ versehen, so reproduziert<br />

es <strong>die</strong> gesellschaftlichen Vorstellungen<br />

von „Frau“ und „Mann“ durch<br />

„Performativität“, d.h. es verhält sich<br />

entsprechend der jeweiligen kulturell<br />

vorherrschenden Vorstellungen von<br />

„männlich“ oder „weiblich“. Das Individuum<br />

stellt also Attribute zur Schau,<br />

<strong>die</strong> eine Geschlechteridentität offenbaren<br />

sollen, <strong>die</strong>se Identität aber in<br />

Wirklichkeit überhaupt erst schaffen.<br />

Damit ändert sich der Fokus feministischer<br />

Bewegungen radikal: Wurde<br />

bislang eine Gleichberechtigung und<br />

Gleichbehandlung von <strong>Frauen</strong> und<br />

Männern angestrebt, so wird nun<br />

der Kategorie „Geschlecht“ an sich<br />

der Kampf angesagt. Es ist <strong>die</strong> despotische<br />

Macht gesellschaftlicher<br />

Zuschreibungen, so <strong>die</strong> Begründung,<br />

<strong>die</strong> das Individuum unterdrückt. Der<br />

Grundstein ist gelegt für <strong>die</strong> akademischen<br />

Queer Stu<strong>die</strong>s, <strong>die</strong> Auffassungen<br />

von Geschlecht und Sexualität problematisieren<br />

und kritisieren, <strong>die</strong> nur<br />

<strong>die</strong> beiden Kategorien „männlich“ und<br />

„weiblich“ anerkennen.<br />

Den Queer Stu<strong>die</strong>s geht es darum, Alternativen<br />

zur normativen, also der<br />

einzigen gesellschaftlich akzeptierten,<br />

Genderidentität und Sexualität zu thematisieren<br />

(z.B. Transgender, Transsexualität,<br />

Intersexualität, Homosexualität).<br />

Insbesondere sollen <strong>die</strong> sich aus<br />

den gesellschaftlichen Normvorstellungen<br />

(männlich, weiblich, heterosexuell)<br />

ergebenden Diskriminierungsmechanismen<br />

(z.B. Homophobie, also<br />

<strong>die</strong> Ablehnung und Verachtung gleichgeschlechtlicher<br />

Liebe) analysiert und


Aktuelle Diskurse 43<br />

bekämpft werden. Das Pendant zur<br />

wissenschaftlichen Ausrichtung postmoderner<br />

feministischer Theorie bildet<br />

ihr Einzug in den soziokulturellen Bereich<br />

und <strong>die</strong> Jugendkultur: Queercore,<br />

Riot Grrrl und Ladyfeste schaffen Räume,<br />

<strong>die</strong> Heteronormativität, also normative<br />

Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität,<br />

weit hinter sich gelassen<br />

haben. In Anerkennung der Diversität<br />

der Akteur_innen werden aus dem<br />

Feminismus Feminismen „for La<strong>die</strong>s of<br />

all Genders.“<br />

Postmoderne Feminismen haben<br />

entscheidend dazu beigetragen, als<br />

selbstverständlich geltende Kategorien<br />

zu hinterfragen und deren soziale<br />

Konstruktion zu enthüllen. Einerseits<br />

wird dadurch der Existenz von Genderidentitäten<br />

neben „Frau“ und „Mann“<br />

Rechnung getragen. Normative Heterosexualität<br />

und Zweigeschlechtlichkeit<br />

werden als Machtinstrumente<br />

entlarvt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> bestehende hierarchische<br />

Gesellschaftsordnung weiter<br />

festigen. Andererseits bestehen neben<br />

den Kategorien „Geschlecht“ und<br />

„Sexualität“ aber noch viele andere<br />

Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung.<br />

Postmoderne Feminismen<br />

rütteln noch nicht notwendigerweise<br />

an kapitalistischen Strukturen.<br />

Deshalb muss für uns als Marxist_innen<br />

und Kommunist_innen jedoch<br />

<strong>die</strong> Einsicht bestimmend bleiben, dass<br />

(Zwangs-)Zuschreibung sozialer Identitäten<br />

wie Geschlecht oder „Rasse“ nie<br />

losgelöst von einer realen historischen<br />

und ökonomischen Basis zu denken<br />

ist. Diese zu verstehen ist maßgeblich,<br />

wenn man sich dem Kampf für eine<br />

Gesellschaft jenseits der benannten<br />

und vieler anderer Zwangsmechanismen<br />

verpflichtet fühlt. Sexuelle Diskriminierung<br />

ist auch heute noch in<br />

allen Teilen der Welt als ganz reales<br />

ökonomisches und soziales Ausbeutungs-<br />

und Unterdrückungsverhältnis<br />

existent, und <strong>die</strong>se Machtstrukturen<br />

werden sicher nicht durch einen rein<br />

theoretisch geführten Diskurs über<br />

Fragen individueller Identität, sondern<br />

einzig durch eine gemeinsame revolutionäre<br />

Praxis angegriffen und überwunden<br />

werden können. Es gehört<br />

jedoch zu den Merkmalen der postmodernen<br />

Theorieentwicklung, dass<br />

sie weitgehend losgelöst von jeder<br />

realen Praxis in rein akademischen Debatten<br />

stattfindet und nur bedingt gesellschaftliche<br />

Wirkmacht entwickeln<br />

kann.<br />

Kein_e Kommunist_in kann sich mit<br />

dem Kampf um Fragen der individuellen<br />

Iden tität oder bestimm ter<br />

Frei räume innerhalb der herrschenden<br />

Verhält nisse zufrieden geben, sondern<br />

muss <strong>die</strong>se Kämpfe zu jeder Zeit mit<br />

dem Kampf um den Umsturz <strong>die</strong>ser<br />

herr schenden Verhältnisse verbinden.<br />

Und dafür liefern <strong>die</strong> Postmodernen<br />

Queer- und Gender Stu<strong>die</strong>s allein sicher<br />

nicht <strong>die</strong> notwendigen theoretischen<br />

Werkzeuge.


44 Rückblick und Perspektive<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>zurück</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Barrikaden</strong>!<br />

Rückblick und Perspektive<br />

August Bebel stellt 1879 in seiner<br />

Schrift Die Frau und der Sozialismus<br />

fest: „Die <strong>Frauen</strong>frage ist [...] eine Seite<br />

der allgemeinen sozialen Frage, [...]<br />

sie kann daher ihre endgültige Lösung<br />

nur finden durch <strong>die</strong> Aufhebung<br />

der gesellschaftlichen Gegensätze<br />

und Beseitigung der aus <strong>die</strong>sen<br />

hervorgehenden Übel.“<br />

Die aktuellen Errungenschaften der<br />

bür ger lichen <strong>Frauen</strong> be wegung, <strong>die</strong> den<br />

Kampf aus schließ lich gegen <strong>die</strong> „Herrschaft<br />

der Män ner“, aber nicht ge gen<br />

den Kapi talis mus richten; ein solcher<br />

„Kampf zwischen den Ge schlech tern“<br />

greift nicht <strong>die</strong> grundlegenden Antagonismen<br />

und Widersprüche innerhalb<br />

der Gesellschaft <strong>auf</strong>. Vielmehr erkennt<br />

<strong>die</strong> herrschende Klasse in <strong>die</strong>sen<br />

Kämpfen eine Chance: sie integriert<br />

<strong>die</strong> For der ungen der <strong>Frauen</strong> in das System.<br />

Sie suggerieren so ein Erreichen<br />

der Gleich stellung von Mann und Frau<br />

inner halb der herrschenden Ord nung,<br />

um den zugrunde liegenden Klassenkampf<br />

zwischen Kapitalis ten und abhängigen<br />

Lohnarbeitenden sowie<br />

<strong>die</strong> da raus resultierende ex treme<br />

Un gleichvertei lung von Gütern und<br />

Privilegien im lokalen und globalen<br />

Maßstab zu ver schlei ern. Eman zipatorische<br />

Inhalte der <strong>Frauen</strong>bewegung<br />

werden im neoliberalen Deutschland<br />

inzwischen standardmäßig uminterpretiert:<br />

„Emanzipiert“ ist <strong>die</strong> Frau,<br />

wenn sie sich an <strong>die</strong> herrschenden<br />

Verhältnisse anpasst und keine<br />

Perspektive jenseits von ihnen, also<br />

jenseits der kapitalistisch-patriarchalen<br />

Ordnung artikuliert.<br />

Somit sind Sexismus und Rassismus<br />

und verwandte Formen der Diskriminierung<br />

keine reine Sache des<br />

Kopfes, des falschen Bewusstseins,<br />

<strong>die</strong> sich durch Aufklärung und guten<br />

Willen vollständig abschaffen lassen.<br />

Es sind <strong>die</strong> ökonomischen Verhältnisse<br />

des „Seins“, <strong>die</strong> sie immer wieder neu<br />

produzieren. Sie sind notwendig, damit<br />

Kapitalismus überhaupt funktionieren<br />

kann. Es ist eben nur der Sozialismus,<br />

der jene materiellen Voraussetzungen<br />

schaffen kann, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Befreiung der<br />

Frau, d.h. ihre komplette ökonomische,<br />

so ziale, recht liche und kulturelle Gleich ­<br />

stellung, notwendig sind.<br />

Ent gegen dem weit verbreiteten Irr tum<br />

bedeutet Bebels’ Aussage keineswegs,<br />

dass der Sozialismus automatisch zur<br />

Befreiung der Frau führt und sich <strong>die</strong><br />

„<strong>Frauen</strong>frage“ sozusagen „en passant“<br />

löst.<br />

Die <strong>Frauen</strong>frage nur in den Klassenkampf<br />

einzuspeisen mit der Hoffnung,<br />

der Sozialismus werde es „igendwann<br />

schon richten“, ohne weitere Schritte<br />

ein zuleiten, wird den verhärteten<br />

und mehrfach verwobenen Unterdrückungs<br />

mechanismen nicht gerecht.<br />

Die in den aktuellen Debatten<br />

dis kutierten Schwer punkte <strong>auf</strong> indivi<br />

dueller Ebene – sub jektive Er fahrung<br />

en der Unterdrückung – müs sen<br />

hierbei mit in Betracht gezogen und<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>fragen nicht <strong>auf</strong> einen zweitrangigen<br />

Platz verschoben werden. Auf<br />

<strong>die</strong>se Weise wir der Kampf für <strong>die</strong> Rechte<br />

der Frau nicht von einer allgemeinen<br />

gesellschaftlichen Entwicklung getrennt.<br />

Der Kampf für den Kommunismus<br />

bedeutet das Ringen um eine Gesellschaft<br />

ohne Unterdrückung des Menschen<br />

durch den Menschen:<br />

„[Der Kampf kann] einzig und allein<br />

verwirklicht werden durch den<br />

gemeinsamen Klassenkampf der<br />

<strong>Frauen</strong> und Männer des ausgebeuteten<br />

Proletariats gegen <strong>die</strong> Vorrechte,<br />

<strong>die</strong> Macht der Männer und <strong>Frauen</strong><br />

der besitzenden und ausbeutenden<br />

Klassen.“ 16<br />

16 Clara Zetkin, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S.<br />

243


Rückblick und Perspektive 45<br />

Für uns als Kommunist_innen ist es<br />

not wendig, <strong>die</strong> historische Be dingt heit<br />

und das gegenwärtige Erscheinungsbild<br />

der Unterdrückung zu analysieren<br />

und zu verstehen. Wir können <strong>auf</strong><br />

Grundlage der Geschichte der Frage<br />

nachgehen, wie unsere Kämpfe<br />

in der Zukunft aussehen können.<br />

Gerade in einer Zeit, in der sich <strong>die</strong><br />

kapitalistischen Widersprüche und<br />

weltweiten Auseinandersetzungen<br />

immer weiter zuspitzen und er kämpfte<br />

Errungenschaften durch Konterreformen<br />

<strong>auf</strong>gehoben werden, ist<br />

eine gemeinsame und revolutionäre<br />

Perspektive das Ziel, das es zu<br />

verwirklichen gilt.<br />

Für uns können Orientierungspunkte<br />

für eine weiter zu entwickelnde<br />

Perspektive durchaus auch fortschrittliche<br />

neue Theorien sein. Ohne<br />

eine konsequent historisch-ma terialistische<br />

Analyse, ohne den Ein bezug<br />

der Grundgegebenheiten der bestehenden<br />

Gesellschaftsordnung, sind<br />

<strong>die</strong> post modernen Theorien einzig<br />

vielfältige Darstellungen der gegenwärtigen<br />

Gesellschaft und dringen nicht<br />

zur Wurzel des Problems vor. Sie sind<br />

Analysen der herrschenden Ordnung,<br />

nicht aber theoretische Werkzeuge zur<br />

Überwindung der selben.<br />

Betrachtet man objektiv <strong>die</strong><br />

Entstehung, Entwicklung und vor<br />

allem <strong>die</strong> Erfolge verschiedener<br />

Gesellschaftsformen, wird deutlich,<br />

woran sich fortschrittliche Kräfte orien<br />

tieren müssen: Bis heute haben<br />

sich beispielsweise in Kuba <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong><br />

– ungeachtet der enormen ökonomischen<br />

Probleme durch <strong>die</strong><br />

Blockade der USA und weitgehender<br />

Isolierung in der kapitalistischen<br />

Welt – <strong>die</strong> sozialen Errungenschaften<br />

der Revolution erhalten und sind<br />

Vorreiterinnen, was <strong>die</strong> Verwirklichung<br />

von <strong>Frauen</strong>rechten anbelangt.<br />

Die Entwicklung zeigt aber auch, dass<br />

<strong>die</strong> bisherigen sozialistischen Versuche<br />

<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>frage nur in gewissen<br />

Schran ken zu lösen vermochten. Hierbei<br />

muss der Sozialismus auch im Bezug<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>- und Geschlechterfrage<br />

als durchaus wider spruchs volle gesell<br />

schaftliche Ent wicklungsstufe, als<br />

Etappe des Kampfes für den Kommunismus,<br />

und nicht etwa als letztes Ziel<br />

verstanden werden.<br />

Wir müssen ein kämpferisches Selbstbewusstsein<br />

entwickeln, und gemeinsam<br />

den Emanzipationsprozess vorantreiben.<br />

Zum hundertjährigen Jubiläum<br />

des Internationalen <strong>Frauen</strong> kampftags<br />

wollen wir ein starkes Zeichen dafür<br />

setzen, dass <strong>die</strong> Befreiung der Frau kein<br />

Thema der Vergangenheit ist, sondern<br />

in <strong>die</strong> Zukunft getragen gehört.<br />

Diese Broschüre ist also nur eine<br />

Handreichung zur Diskussion und<br />

verstärkten Auseinandersetzung und<br />

kein Ersatz für <strong>die</strong> alltägliche Praxis.<br />

„so alt bin ich, (...) will ich doch <strong>die</strong><br />

Zeit, in der ich noch wirken kann, dort<br />

stehen, dort kämpfen, wo das Leben<br />

ist, und nicht dort, wo mir Zersetzung<br />

und Schwäche entgegenstarrt. Ich will<br />

mich nicht lebendigen Geistes vom<br />

politischen Tod anhauchen lassen. (...)<br />

Ein Hüben und Drüben nur gibt es:<br />

Kapitalismus oder Sozialismus.“ 17<br />

[Clara Zetkin]<br />

Nieder mit Patriarchat<br />

und Kapitalis mus!<br />

Für Emanzipation<br />

und soziale Revolu tion!<br />

17 Clara Zetkin, Rede <strong>auf</strong> dem USPD-Parteitag<br />

1919


46<br />

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http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/mukfrrgdbest_1/gesamt.pdf

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