Frauen zurück auf die Barrikaden - Marxistische Aktion Tübingen
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<strong>Frauen</strong>, <strong>zurück</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Barrikaden</strong>!<br />
100 Jahre Internationaler <strong>Frauen</strong>tag<br />
Vorwort 2<br />
Entstehung der <strong>Frauen</strong>bewegung 5<br />
Proletarische <strong>Frauen</strong>bewegung 7<br />
Clara Zetkin<br />
Rosa Luxemburg<br />
Kommunistische <strong>Frauen</strong>bewegung 17<br />
Aleksandra Kollontai<br />
Mutige Antifaschistinnen<br />
und <strong>Frauen</strong> im Widerstand 20<br />
Dolores Ibarruri<br />
Lilo Herrmann<br />
Maryam Firouz<br />
Internationale <strong>Frauen</strong>kämpfe 26<br />
Tamara Bunke<br />
Elisabeth Käsemann<br />
Olga Benario<br />
Die “<br />
neuen <strong>Frauen</strong>bewegungen” 32<br />
Angela Davis<br />
<strong>Frauen</strong>, <strong>zurück</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Barrikaden</strong>! 44<br />
Aleka Papariga<br />
Quellen 46
2 Vorwort<br />
Vorwort<br />
“<br />
Wir erkennen gar keine besondere <strong>Frauen</strong>frage an...<br />
…wir erkennen keine besondere<br />
Arbeiterinnenfrage an!<br />
Wir erwarten unsere volle Emanzipation<br />
weder von der Zulassung der Frau zu<br />
dem, was man freies Gewerbe nennt,<br />
und von einem dem männlichen<br />
gleichen Unterricht – obgleich <strong>die</strong><br />
Forderung <strong>die</strong>ser beiden Rechte nur<br />
natürlich und gerecht ist – noch von<br />
der Gewährung politischer Rechte.<br />
[…] Die Emanzipation der Frau wie<br />
des ganzen Menschengeschlechtes<br />
wird ausschließlich das Werk der<br />
Emanzipation der Arbeit vom Kapital<br />
sein. Nur in der sozialistischen<br />
Gesellschaft werden <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> wie <strong>die</strong><br />
Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte<br />
gelangen.“ 1 [Clara Zetkin]<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war<br />
der 8. März immer ein Datum des<br />
öffentlichen Kampfes von <strong>Frauen</strong> weltweit<br />
gegen patriar chale Herr schaftsverhältnisse,Kapita<br />
lis mus und Mili ta risierung,<br />
ein Kampf für inter nationale<br />
Frau en rechte und soziale Ge rechtig keit.<br />
Auf der sozialistischen <strong>Frauen</strong> konferenz<br />
im August 1910 wurde beschlossen,<br />
„als einheitliche internationale <strong>Aktion</strong><br />
einen alljährlichen <strong>Frauen</strong>tag“, einen<br />
gemeinsamen Kampftag der Arbeiter_<br />
innenbewegung zu begehen.<br />
Mit der Parole „Heraus mit dem<br />
<strong>Frauen</strong>wahlrecht!” gingen am ersten<br />
Internationalen <strong>Frauen</strong>tag, am 19. März<br />
1911, alleine in Deutschland mehr als<br />
eine Million <strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Straße und<br />
forderten für alle <strong>Frauen</strong> soziale und<br />
politische Gleichberechtigung.<br />
Die vorliegende Broschüre soll zum<br />
100. Internationalen <strong>Frauen</strong>tag <strong>die</strong><br />
verschiedenen Ansätze der <strong>Frauen</strong>bewegung,<br />
ihre Geschichte und ins<br />
1 Clara Zetkin 1889, Rede <strong>auf</strong> dem Int. Arbeiterkongress<br />
in Paris, Ausgewählte Schriften, Bd. 1,<br />
S. 46<br />
besondere ihren not wendigen revolu<br />
tio nären Kern samt Perspek tiven<br />
<strong>auf</strong>zeigen.<br />
Der Kampf für <strong>Frauen</strong>rechte ist aus<br />
marxis tischer Perspek tive mit einem<br />
grundsätzlichen Kampf für den Umsturz<br />
der herrschenden kapitalistischen Verhält<br />
nisse verknüpft, ohne den eine vollständige<br />
Aufh ebung der Geschlechter<br />
ungleichheiten nicht möglich ist:<br />
Ein Kampf für <strong>die</strong> revo lutionäre Überwindung<br />
der Wurzel der Diskriminierung<br />
von <strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> im Ka pitalis mus in<br />
der (doppelten) Ausbeutung der<br />
Arbeiterinnen durch <strong>die</strong> Kapitalistenklasse<br />
und damit im Privateigentum an<br />
den Produktionsmitteln begründet ist.<br />
Seit dem Beginn der <strong>Frauen</strong>bewegungen<br />
sind ei nige Kämpfe erfolgreich geführt<br />
worden – <strong>die</strong> Einführung des<br />
<strong>Frauen</strong>wahlrechts, <strong>die</strong> gesetzliche<br />
Gleich stel lung oder <strong>die</strong> Er rung enschaften<br />
der „sexuellen Revolution“<br />
in den 70er Jahren. Jedoch werden<br />
viele Kämpfe durch <strong>die</strong> Werbeindustrie<br />
vereinnahmt und verwertbar gemacht.<br />
Für den Großteil der <strong>Frauen</strong><br />
überall <strong>auf</strong> der Welt gilt weiterhin,<br />
dass Ausbeutung, Abhängigkeit und<br />
Zwang nicht überwunden, sondern<br />
nur in Vergessenheit geraten sind<br />
und das Ziel der Befreiung der<br />
Frau noch lange nicht erreicht ist.<br />
Um <strong>die</strong> aktuellen Formen und Möglichkeiten<br />
von <strong>Frauen</strong> kämpfen zu ver stehen,<br />
genügt es nicht, zu versuchen, den Status<br />
Quo der aktuellen Debatten darzulegen.<br />
Jeder Kampf, der seine eigene Geschichte<br />
verneint, ist bereits verloren.<br />
Deshalb muss auch <strong>die</strong> historische Entwick<br />
lung der Unterdrückung als Basis<br />
und Grund lage einbezogen werden.<br />
Clara Zetkin schildert den Zweck des<br />
Frau en tags in der von ihr her aus
Vorwort 3<br />
gege benen Zeit schrift Gleichheit im<br />
Jahre 1914: „Sein Ziel ist <strong>Frauen</strong>recht<br />
als Menschenrecht, als Recht der<br />
Persönlichkeit, losgelöst von jedem<br />
sozialen Besitztitel. [...] Wir müssen<br />
Sorge tragen, daß der <strong>Frauen</strong>tag nicht<br />
nur eine glänzende Demonstration<br />
für <strong>die</strong> politische Gleichberechtigung<br />
des weiblichen Geschlechts, sondern<br />
darüber hinaus der Ausdruck einer<br />
Rebellion gegen den Kapitalismus,<br />
eine leidenschaftliche Kampfansage<br />
all den reaktionären Maßnahmen der<br />
besitzenden und ihrer willfährigen<br />
Dienerschaft, der Regierung ist.“ 2<br />
Auch heute ist <strong>die</strong>se Forderung aktuell:<br />
Weltweit leben <strong>Frauen</strong> in patriarchalen<br />
Herrschaftsverhältnissen und sind mit<br />
Un ter drückung und Aus beu tung konfrontiert.<br />
Mehrheitlich <strong>Frauen</strong> und<br />
Mädchen sind Opfer von Armut und<br />
Gewalt, wobei laut WHO Statistik 2001<br />
global Gewalt <strong>die</strong> Haupttodesursache<br />
für <strong>Frauen</strong> ist, noch vor Krebs, HIV<br />
und Herzinfarkt. In Deutschland<br />
ver<strong>die</strong>nen sie im Falle von geregelten<br />
Arbeitsverhältnissen durchschnittlich<br />
23% weniger als ihre männlichen<br />
Kollegen und sind überproportional<br />
häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt.<br />
Die ökonomische Ungleichheit zwischen<br />
den Ge schlech tern ist eine gesellschaftlich<br />
akzeptierte Tatsache, <strong>die</strong> das<br />
System zu seiner Aufrechterhaltung auch<br />
immer weiter repro duziert. Deshalb ist<br />
<strong>die</strong> Frage der Geschlechterverhältnisse<br />
nicht losgelöst von der kapitalistischen,<br />
hier archischen Gesell schafts struk tur<br />
zu den ken, <strong>die</strong> in aus gren zenden Kate<br />
gorien wie Ge sch lecht, sexueller<br />
Orientierung, Ethn izität, Nationalität,<br />
Behinderung und anderen funktioniert.<br />
Mit einem historischen Abriss<br />
möchten wir <strong>die</strong> Entstehung und<br />
Entwicklung der proletarischen und<br />
kommunistischen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
ab dem Ende des 19. Jahrhunderts,<br />
ihre Weiterentwicklung in den<br />
sozialistischen Staaten nachverfolgen<br />
und ihre Ziele und Erkenntnisse für <strong>die</strong><br />
heutigen revolutionären Be wegungen<br />
sichtbar machen. Wir – revolutionäre<br />
Linke der Gegenwart – können viel aus<br />
den geführten Kämpfen lernen.<br />
Unsere Aufgabe muss sein, <strong>die</strong> fortschrittlichen<br />
Debatten der <strong>Frauen</strong> bewegung<br />
von gestern und heute zu ver <br />
knüpfen und damit <strong>die</strong> revo lutionäre<br />
Über windung des kapitalistischen<br />
Systems und der ihm inhärenten Ausgrenzungs-<br />
und Diskriminierungs mechanismen<br />
voranzutreiben.<br />
2 In der Ausgabe von Die Gleichheit vom<br />
Januar 1914 appellierte Clara Zetkin an „<strong>die</strong><br />
dop pel te Ehren pflicht der Genossinnen, eifrig<br />
und um sich tig zum <strong>Frauen</strong>tag zu rüsten ...“.
4 Vorwort<br />
Mutige <strong>Frauen</strong> und Revolutionärinnen<br />
im Widerstand gegen den Faschismus<br />
in Europa und gegen diktatorische<br />
Regime in verschiedenen Teilen der<br />
Erde werden ebenso porträtiert wie<br />
entschiedene Kämpferinnen, <strong>die</strong> sich<br />
für <strong>die</strong> Überwindung des Kapitalismus,<br />
für den Umsturz des Patriarchats und<br />
den Aufbau revolutionärer Alternativen<br />
zu Krieg und Krise <strong>auf</strong> der ganzen<br />
Welt einsetzten und einsetzen. Unser<br />
Erinnern an <strong>die</strong> Kämpferinnen von<br />
gestern muss den Kämpfen von heute<br />
und morgen gewidmet sein!<br />
Zum hundertjährigen Jubiläum des<br />
Internationalen <strong>Frauen</strong>tags und im<br />
Gedenken an <strong>die</strong> zahlreichen mutigen<br />
und kämpferischen <strong>Frauen</strong> gilt:<br />
Euch gehört auch heute <strong>die</strong> Straße!<br />
Für Emanzipation<br />
und soziale Revolution!<br />
Für einen revolutionären<br />
Aufbauprozess!<br />
Für den Kommunismus!<br />
<strong>Marxistische</strong> <strong>Aktion</strong> <strong>Tübingen</strong><br />
März 2011
Der französische Vertreter des Frühsozialismus<br />
Charles Fourier war es,<br />
der als erster formulierte, dass <strong>die</strong><br />
Stellung der Frau ein Indikator für <strong>die</strong><br />
gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse<br />
sei, er „spricht es zuerst aus, dass in<br />
einer gegebenen Gesellschaft der<br />
Grad der weiblichen Emanzipation<br />
das natürliche Maß der allgemeinen<br />
Emanzipation ist.“ 3<br />
Die 1884 veröffentlichte Schrift Der<br />
Ursprung der Familie, des Privateigentums<br />
und des Staates von Friedrich<br />
Engels (1820-1895) untersucht <strong>die</strong><br />
Stellung der Frau in der Gesellschaft<br />
und damit ihre Unter drückung von<br />
einem materialistischen Standpunkt<br />
aus. Er entwickelt darin eine Erklärung<br />
über <strong>die</strong> Entstehung der Familienverhältnisse,<br />
<strong>die</strong> Ur sachen der Bildung<br />
des Pri vat eigentums und <strong>die</strong> Teilung<br />
der Ge sell schaft in anta gonistische<br />
Klassen.<br />
Friedrich Engels beleuchtet in seinem<br />
Werk 4 <strong>die</strong> Ent wicklung der Familie<br />
und den or ganischen Zusammenhang<br />
ihrer Formen – von der traditionellen<br />
Art des Zusammenlebens in (gleichwer<br />
tigen) Gruppen ehen 5 bis zur Entsteh<br />
ung des Privat eigentums und der<br />
sich damit immer weiter festigenden<br />
monogamen und patriarchalisch ausgerichteten<br />
Familienstrukturen. Diese<br />
bilden einen neuen gesellschaftlichen<br />
Organismus, in dem der Mann – als<br />
Patriarch – Frau, Kinder und eine An<br />
3 Engels, Friedrich: Herrn Eugen Dührings Umwäl<br />
zung der Wissen schaft. In: MEW 20, S. 242<br />
4 Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie,<br />
des Privateigentums und des Staates, MEW<br />
Band 21, 21, S. 25-173<br />
5 Innerhalb von Gruppenehen, also Ver bindungen<br />
von Schwestern, <strong>die</strong> jeweils ihre Män ner<br />
ge meinsam hatten, oder von Brü dern, <strong>die</strong> mit<br />
ge meinsamen <strong>Frauen</strong> zu sammen waren, war<br />
das so genannte Mutterrecht, <strong>die</strong> An erkennung<br />
der weib li chen Erb linie durch <strong>die</strong> Mutter schaft<br />
als nach weisbare Abstammungslinie, verankert.<br />
Entstehung der Fr auenunterdrückung 5<br />
Die Entstehung der <strong>Frauen</strong>unterdrückung<br />
zahl Sklaven unter sich hat; mit dem<br />
Recht <strong>auf</strong> Gewaltausübung und Entscheidung<br />
über alle Belange der Untergebenen<br />
innerhalb <strong>die</strong>ser Familie. Die<br />
Frau untersteht ab <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />
dem Mann, weil sie erstmals ökonomisch<br />
von ihm abhängig ist. Friedrich<br />
Engels begründet den Über gang zu<br />
monogamen Strukturen durch <strong>die</strong> entstandene<br />
Möglich keit zur Vererbung<br />
des Eigentums und damit ein hergehend<br />
<strong>die</strong> erzwungene Ver einzelung<br />
und sexuelle Treue von <strong>Frauen</strong>, um <strong>die</strong><br />
leib liche Vater schaft zu ga ran tieren.<br />
Die Entwicklung der Familie ist Wegweiser<br />
für das Verständnis der Entwick<br />
lungs schritte der Gesellschaft in<br />
Ab hängig keit von der Veränderung<br />
der Pro duktions weise. Mit dem Sieg<br />
des Privat eigentums entstand, so<br />
Engels, eine Gesellschaft, in der „<strong>die</strong><br />
Fami lienordnung ganz von der Eigentumsordnung<br />
beherrscht wird und in<br />
der sich nun […] Klassengegensätze<br />
und Klassen kämpfe frei entfalten“. 6<br />
Da <strong>die</strong> Haushaltsführung keinen Profit<br />
erzeugt, wurde sie in einem langen<br />
historischen Prozess im Vergleich zur<br />
Lohnarbeit zu einer minder bewerteten<br />
und minderwertigen Ar beit<br />
er klärt. Sie wurde <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frau ab gewälzt<br />
und in den nicht öffent lichen<br />
Be reich ver schoben, was <strong>die</strong> Frau <br />
en ge sell schaft lich zu ei ner iso lierten<br />
Tätigkeit degra<strong>die</strong>rte. Es kann<br />
im Kapitalismus also produktive Arbeit<br />
von re pro duktiver Ar beit unterschieden<br />
werden, wobei letztere den<br />
<strong>Frauen</strong> zufällt, ganz dem Privaten zuge<br />
schrie ben und nicht entlohnt wird.<br />
Aus <strong>die</strong> sem Zusammenhang erklärt<br />
sich <strong>die</strong> öko no mische Ab häng igkeit der<br />
Frau von ihr em Mann.<br />
6 MEW, Band 21, S.28
6 Entstehung der Fr auenunterdrückung<br />
Friedrich Engels setzt für <strong>die</strong> Befreiung<br />
der Frau <strong>die</strong> „Wiedereinführung des<br />
ganzen weiblichen Geschlechts in<br />
<strong>die</strong> öff ent liche In dustrie“, <strong>die</strong> Ver gesellschaftung<br />
der Hausarbeit und somit<br />
„<strong>die</strong> Beseitigung der Eigenschaft der<br />
Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit<br />
der Gesellschaft“ voraus. 7<br />
In ihrem Nachruf <strong>auf</strong> Friedrich Engels<br />
im Au gust 1885 schreibt Clara Zetkin:<br />
„Die Proletarierinnen aber schul den ihm<br />
besonders dank bares Erinnern. Nicht<br />
nur für ihr en Be frei ungs kampf als Ausgebeutete<br />
hat er <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />
Grundlage geschaffen, auch für ihr<br />
Emanzipationsringen als <strong>Frauen</strong>. […]<br />
Wohl hatten <strong>die</strong> Utopisten, vor allem<br />
Fourier, wohl hatten Marx und Engels<br />
im Kommunistischen Manifest mit<br />
glänzender Schärfe gezeigt, daß der<br />
Kapitalismus „dem Familienverhältnis<br />
seinen rührend-senti mentalen Schleier<br />
ab ge rissen und es <strong>auf</strong> ein reines<br />
Geld verhältnis <strong>zurück</strong>geführt“ hat.<br />
Engels aber war es vorbehalten,<br />
Spießbürgers Köhlerglauben an den<br />
ewigen Bestand der vaterrechtlichen<br />
Familie für immer zu zertrümmern. Im<br />
Anschluß an <strong>die</strong> Arbeiten Morgans und<br />
Bachofens, […] wies er wissenschaftlich<br />
unanfechtbar nach, daß <strong>die</strong> Familie wie<br />
jedes andere soziale Gebilde unter der<br />
treibenden Kraft der Wirtschafts- und<br />
Eigentumsverhältnisse wächst und sich<br />
verändert, daß ihre Formen ein stetes<br />
Werden und Vergehen erfahren.<br />
Seine meisterhafte Stu<strong>die</strong> „Der Ursprung<br />
der Familie, des Privat eigentums und<br />
des Staats“ ist von grund le gender Bedeutung<br />
für den Befreiungs kampf des<br />
ge samten weib lichen Geschlechts.“ 8<br />
Wladimir Iljitsch Lenin erachtete<br />
<strong>die</strong> Schrift Engels’ als „eines der<br />
grundlegenden Werke des modernen<br />
Sozialismus“ 9 , da <strong>die</strong>se erstmals systematisch<br />
und von Grund <strong>auf</strong> den Standpunkt<br />
der ma ter ialistischen Ge schichts<strong>auf</strong>fassung<br />
in Bezug <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Geschichte<br />
der Menschheit in den frühen Etappen<br />
ihrer Entwicklung darstellt.<br />
In den verschiedenen Strategiedis kussionen<br />
der <strong>Frauen</strong> bewegung waren<br />
und sind Engels Po sitionierung und<br />
seine Herleitung des Verhältnisses von<br />
Eigentumsordnung und <strong>Frauen</strong> un terdrückung<br />
immer wieder an gegriffen<br />
worden. 10 Man muss seine Aus führungen<br />
jedoch im Kontext der damaligen<br />
Forschung sehen und beachten, dass<br />
seine empirischen Quellen erst in der<br />
neueren Zeit verworfen oder weiterentwickelt<br />
wurden. All <strong>die</strong>se Kritik<br />
wider legt jedoch we der seine Kern <br />
thesen noch seine historisch-ma terialis<br />
tische Methode.<br />
9 W.I.Lenin, Werke, Band 29, Berlin 1961,<br />
S.463<br />
10 z.B. <strong>die</strong> Diskussionen des <strong>Frauen</strong>-AK beim IMSF,<br />
nachzulesen u.a. in „Patriarchat & Gesellschaft –<br />
Beiträge zur Geschichte der <strong>Frauen</strong>unterdrückung,<br />
zu Reproduktionsbereich und Hausfrauisierung“,<br />
S. 11ff<br />
7 MEW Band 21, S. 73 und 76<br />
8 Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und<br />
Schriften, Bd.1, Berlin 1957, S.80-83.
<strong>Frauen</strong>bewegung 7<br />
<strong>Frauen</strong> und Kapitalismus im 19./20. Jahrhundert<br />
„Der Emanzipationskampf der Prole<br />
tarier innen ist deshalb nicht ein<br />
Kampf gegen <strong>die</strong> Männer der eigenen<br />
Klasse, sondern ein Kampf im Verein<br />
mit den Männern ihrer Klasse gegen<br />
<strong>die</strong> Kapitalistenklasse.“ 11 [Clara Zetkin]<br />
Die Frau im Zentrum des Kampfes<br />
für einen fortschrittlichen so zia len<br />
Wandel<br />
Die Lage der Arbeiterinnen Mitte<br />
des 19. Jahrhundert war prekär: Der<br />
Ausbeutung als Arbeitskraft wurde eine<br />
geschlechtsspezifische Ausbeutung zur<br />
Seite gestellt. Ihre industriell nutzbare<br />
Arbeits kraft wurde – auch <strong>auf</strong>grund<br />
ihrer Doppelbelastung durch <strong>die</strong> zusätzl<br />
iche Ar beit im Haus halt und der<br />
Familie – als ge ringer ein geschätzt<br />
als <strong>die</strong> der Männer, somit wurden <strong>die</strong><br />
11 Resolution, <strong>die</strong> der SPD-Parteitag 1896 <strong>auf</strong> der<br />
Grundlage von Clara Zetkins Referat beschloss<br />
<strong>Frauen</strong> in den Fa briken mit noch geringeren<br />
Löhnen abgespeist als männliche<br />
Arbeiter. Zu dem hielten <strong>die</strong> Unter<br />
nehmer <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> für weniger<br />
streik be reit, da sie wussten: für <strong>die</strong> Familienmitglieder<br />
wäre eine Entlassung<br />
der Frau aus dem Arbeitsverhältnis<br />
fatal. Zeit gleich wurden <strong>die</strong>se unterschiedlichen<br />
Lebens bedingungen von<br />
Arbeitern und Arbeiterinnen aus genutzt,<br />
um Unstimmigkeit zwischen den<br />
La gern zu säen: Frau en wurden oftmals<br />
für Männer, <strong>die</strong> nach Streiks aus<br />
den Fa briken aus ge schlossen wurden,<br />
beschäftigt und ver mittel ten so den<br />
Män nern das Ge fühl, gegen sie in Konkur<br />
renz um Arbeits plät ze treten zu<br />
müssen.<br />
Während der Revolution von 1848<br />
unter stütz ten <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> noch unorga<br />
nisiert <strong>die</strong> Kämpfe der Arbeiterschaft,<br />
versorgten <strong>die</strong> Männer mit<br />
Verbandsmaterial oder Munition und<br />
griffen nur selten selbst zur Waffe.<br />
Sie traten mit ein für Lohnerhöhung,<br />
Ar beits zeitverkürzung sowie <strong>die</strong> Einschränkung<br />
von Kinder arbeit. Es entstan<br />
den erste Gewerk schaften und Arbeiter<br />
vereine, <strong>die</strong> aber zu <strong>die</strong> sem Zeitpunkt<br />
weder gesonderte Struk tu ren<br />
für Frau en an bo ten noch <strong>die</strong>sen den<br />
Zu gang zu den Bildungs stätten erleichterten.<br />
Bei der 1864 gegründeten I. Inter nationalen,<br />
der Inter nationalen Arbeiterassoziation,<br />
spielten Karl Marx und<br />
Friedrich Engels und <strong>die</strong> Grundlagen<br />
des wissenschaftlichen Kommunismus<br />
eine wichtige Rolle. Die große Auf gabe<br />
der Massen organisation war es, eine<br />
ge mein schaftliche Ei ni gung zu er zielen<br />
bei der Aus arbeitung der Ziele <strong>die</strong> ses<br />
Kon gresses. Hier wurde auch <strong>die</strong> Frage<br />
nach dem Einbezug von Frau en in <strong>die</strong><br />
Erwerbs arbeit dis kutiert, was von<br />
Friedrich Engels und an deren als Voraussetzung<br />
für den Klassen kampf und
8 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
<strong>die</strong> Befreiung des Prole tariats gesehen<br />
wurde. Zeit gleich wurde damit <strong>die</strong><br />
bewusste Ein gliederung der Ar beiterinnen<br />
und der Arbeiter frauen in di e<br />
Gewerkschaften und Arbeiter vereine<br />
möglich, da sich im mer weiter <strong>die</strong> Erkennt<br />
nis durch setzte, <strong>die</strong> er werbs tätigen<br />
<strong>Frauen</strong> aus einer Kon kur renz situation<br />
her auszu lösen und sie zu ak tiven Gefährtinnen<br />
im Kampf ge gen das aus beuterische<br />
Un ternehmer tum zu machen.<br />
Deklariertes Ziel der I. Internationalen<br />
war „<strong>die</strong> Zusammenschließung des Proletariats<br />
als revo lutionäre Klasse, deren<br />
soziale Er kenntnis sich in soziale Macht<br />
umsetzen sollte.“ 12<br />
„Wir bitten nicht um Ihre Hilfe,<br />
sondern wir verlangen nur<br />
Solidarität“ 13<br />
Die Grundlagen sozialistischer Emanzipationspolitik<br />
wurden in den folgenden<br />
Jahren von der Arbeiterinnenbe<br />
weg ung <strong>auf</strong> zahl reichen Konferenzen<br />
und Zu sammen künften entwickelt<br />
und ei ner brei ten Öffen tlich keit zu <br />
gänglich gemacht. Wichtige Beit räge<br />
zur Dis kussion lie ferte <strong>die</strong> Unter suchung<br />
zum Ver hältnis von Klassen und<br />
Geschlechts zu gehörig keit, <strong>die</strong> Au gust<br />
Bebel in seiner Schrift Die Frau und<br />
der Sozialismus 1879 herausarbeitete.<br />
Weg wei send waren <strong>die</strong> Posi tio nen<br />
12 Zetkin, Clara: Zur Geschichte der proletarischen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung in Deutschland. Roter Stern<br />
Verlag, S.124<br />
13 Feststellung einer Gewerkschafterin an <strong>die</strong><br />
Adresse ihrer Kollegen, nachzulesen in Florence<br />
Hervé, S.63<br />
zur Ana lyse der Stel lung der Frau im<br />
Produk tions prozess, <strong>die</strong> Be deu tung<br />
der <strong>Frauen</strong> arbeit und <strong>die</strong> Not wendigkeit<br />
gemein schaftl icher inter nationaler<br />
<strong>Frauen</strong> käm pfe, <strong>die</strong> in zahl reichen<br />
Ver öffent lichungen von Clara Zetkin<br />
entwickelt wurden und den Gründungskongress<br />
der II. Internationalen – den<br />
Zu sammenschluss von sozialis tischen<br />
Arbeiterorganisationen aus ver schiedenen<br />
Ländern – 1889 maßgeblich beein<br />
flussten.<br />
August Bebel beschreibt das Ideal der<br />
Frau innerhalb einer neuen Gesellschaftsordnung:<br />
„Die Frau in der neuen<br />
Gesellschaft ist sozial und ökonomisch<br />
vollkommen unabhängig, sie ist keinem<br />
Schein von Herrschaft und Ausbeutung<br />
mehr unterworfen, sie steht dem<br />
Manne als Freie und Gleiche gegen über<br />
und ist Herrin ihrer Geschicke. Ihre Erziehung<br />
ist der des Mannes gleich, mit<br />
Aus nahme der Ab weichungen, welche<br />
<strong>die</strong> Verschieden heit des Ge schlechts<br />
und ihre geschlecht lichen Funk tionen<br />
bedingen; unter natur gemäßen Bedingungen<br />
lebend, kann sie ihre<br />
psychischen und geistigen Kräfte nach<br />
Bedürfnis entwickeln und betätigen;<br />
sie wählt für ihre Tätigkeiten <strong>die</strong>jenigen<br />
Gebiete, <strong>die</strong> ihren Wünschen, Nei gungen<br />
und An lagen entsprechen, und<br />
ist unter gleichen Be dingungen wie<br />
der Mann tätig. Eben noch prak tische<br />
Arbeiterin in irgendeinem Gewerbe<br />
ist sie in einem an deren Teil des Tages<br />
Erzie herin, Lehreri n, Pfle gerin, übt sie<br />
in einem dritten Teil irgendeine Kunst<br />
aus oder pflegt eine Wissenschaft<br />
und versieht in einem vierten Teil<br />
irgendeine verwaltende Funktion. Sie<br />
treibt Stu<strong>die</strong>n, leistet Arbeit, genießt<br />
Vergnügungen mit ihresgleichen oder<br />
mit Männern, wie es ihr beliebt und wie<br />
sich ihr <strong>die</strong> Gelegenheit dazu bietet. 14<br />
Es entwickelte sich in <strong>die</strong>ser Zeit eine<br />
Bewegung der bürgerlichen <strong>Frauen</strong> in<br />
14 August Bebel, Die Frau und der Sozialismus,<br />
S.317
<strong>Frauen</strong>bewegung 9<br />
Deutsch land, deren Ziele politische Freiheiten<br />
wie <strong>die</strong> Zulassung zum Studium,<br />
Berufsrecht und Möglichkeiten für<br />
soziales Wirken waren. Der Umgang<br />
der beiden Bewegungen unter einander<br />
war nicht einfach: Auch wenn bürgerliche<br />
<strong>Frauen</strong>rechtlerinnen gelegentlich<br />
für Arbeiterinnenschutz und Sozialreformen<br />
eintraten, führte das nicht<br />
zu enger Zusammenarbeit. „Für <strong>die</strong><br />
Proletarierinnen handelte es sich nicht<br />
darum, um <strong>die</strong> ‚Ehre’, <strong>die</strong> ‚Pflicht’ oder<br />
das ‚Recht’ der Arbeit zu kämpfen“<br />
im Gegensatz zu der Kampflinie und<br />
Überzeugung der bürgerlichen <strong>Frauen</strong>,<br />
„für sie bestand nicht <strong>die</strong> ‚Pflicht’, nein<br />
der grausamste Zwang zur Arbeit.“ 15<br />
Oft kämpften allerdings <strong>die</strong> organisierten<br />
Arbeiterinnen für <strong>die</strong> politischen Forderungen<br />
der bürger lichen <strong>Frauen</strong> bewegung<br />
viel beharrlicher als <strong>die</strong>se selbst.<br />
Bei den <strong>Frauen</strong> des Bürgertums standen<br />
im Zweifelsfall <strong>die</strong> kapitalistischen<br />
Profitinteressen höher als der Kampf für<br />
gemeinsame <strong>Frauen</strong>rechte.<br />
Das Wahlrecht für <strong>Frauen</strong> be trach teten<br />
Clara Zetkin und ihre Mit strei ter innen<br />
nicht als das höchste Ziel, son dern als<br />
Mittel zum Kampf gegen den Kapitalismus.<br />
Ihnen ging es um <strong>die</strong> welt weite<br />
Eman zipation der Arbeiterinnen, <strong>die</strong> in<br />
allen Ländern <strong>auf</strong> der untersten Stufe<br />
der Gesellschaft standen.<br />
Rosa Luxemburg sah <strong>die</strong> Angst der<br />
bürgerlichen Bewegung, dass „das<br />
allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht<br />
der <strong>Frauen</strong> […] den proletarischen<br />
Klassen kampf ungeheuer vorwärtstrei<br />
ben und ver schärfen [würde].<br />
Deshalb verabscheut und fürchtet <strong>die</strong><br />
bürgerliche Gesellschaft das <strong>Frauen</strong>wahlrecht,<br />
und deshalb wollen und<br />
werden wir es erringen.“ 16<br />
15 Zetkin, Clara: Geschichte der proletarischen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung, S: 48<br />
16 Luxemburg, Rosa: <strong>Frauen</strong>wahlrecht und<br />
Klas sen kampf. Aus: <strong>Frauen</strong>wahlrecht. Pro pa gandaschrift<br />
zum II. sozialdemokratischen <strong>Frauen</strong>tag.<br />
Stuttgart, 1912<br />
Bürgerliche <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
Nach der Französischen Revolution<br />
(1789-1799) und der Zeit der Aufklärung<br />
wurden um 1848 auch in Deutschland<br />
Rufe nach Gleichheit und Freiheit aller<br />
Menschen laut. Hieraus entwickelte<br />
sich eine bürgerliche Bewegung, <strong>die</strong> für<br />
<strong>die</strong> Rechte der <strong>Frauen</strong> und <strong>die</strong> Rechte<br />
<strong>auf</strong> Arbeit und Bildung eintrat. Eine<br />
Vorreiterin <strong>die</strong>ser neuen Bewegung<br />
war Luise Otto-Peters, <strong>die</strong> 1865 – „von<br />
hingebungsvollem Idealismus erfüllt“ 1<br />
– den ersten <strong>Frauen</strong>bildungsverein in<br />
Leipzig gründete. Der Verein war <strong>auf</strong><br />
<strong>die</strong> bürgerlichen <strong>Frauen</strong> ausgerichtet<br />
und bot vor allem Weiterbildungen und<br />
Abendunterhaltung an. Luise Otto-Peters<br />
gründete das erste deutsche <strong>Frauen</strong>blatt,<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>-Zeitung, <strong>die</strong> unter dem<br />
Motto „Dem Reich der Freiheit werb’<br />
ich Bürgerinnen!“ arbeiterfreundliche<br />
Berichte veröffentlichte, <strong>die</strong> jedoch aus<br />
einer gefühlsmäßigen statt so zialen und<br />
analytisch präzisen Position geschrieben<br />
waren. Clara Zetkin bemerkt, dass Luise<br />
Otto-Peters „Her vor treten mit der Forderung<br />
voller sozialer Gleichberechtigung<br />
des weiblichen Geschlechtes […]<br />
zweifellos eine mutige Tat und […] ein<br />
denkwürdiges Ereignis“ 2 war, dennoch,<br />
der beständige Einsatz für <strong>die</strong> armen<br />
Arbeiterinnen, „<strong>die</strong> gefühlvollen Worte<br />
über das Elend, <strong>die</strong> drohende Schaden<br />
der „armen Schwe stern“, <strong>die</strong> entrüsteten<br />
Ausführungen gegen ein<br />
etwaiges Verbot der <strong>Frauen</strong>arbeit in<br />
Fabriken gingen achtlos an den nicht<br />
fortzudeklamierenden Tatbeständen und<br />
Zusammenhängen der kapitalistischen<br />
Ausbeutungsgesellschaft vorüber“ 3<br />
und reduzierten deren Anliegen und<br />
Forderungen <strong>auf</strong> jene, <strong>die</strong> <strong>die</strong> bourgeoisen<br />
<strong>Frauen</strong> nicht in ihrer Stellung<br />
gefährdeten. Auch Hedwig Dohm (1833-<br />
1919) gehörte zu den ersten bürgerlichen<br />
<strong>Frauen</strong>führerinnen und wandte sich<br />
gegen das Bild und <strong>die</strong> Reduzierung der<br />
Frau als „gute Hausfrau und Mutter“.<br />
Weitere bekannte <strong>Frauen</strong> <strong>die</strong>ser Zeit<br />
waren Minna Cauer (1842-1922) oder<br />
Helene Lange (1848-1930).<br />
1 Zetkin, Clara: Geschichte der proletarischen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung, S: 46<br />
2 ebenda, S: 37<br />
3 ebenda, S: 49
10 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
Den Gründungs kongress des All gemeinen<br />
Deutschen <strong>Frauen</strong>vereins 1865<br />
kommentiert Clara Zetkin später wie<br />
folgt: „Unbestritten, dass viel und mit<br />
Pathos von Gleichberechtigung des<br />
weiblichen Geschlechts gesprochen<br />
wurde, von seiner Pflicht, am Staatsleben<br />
mit zuwirken und anderen schönen<br />
Dingen. Allein, <strong>die</strong> Konferenz stellte nicht<br />
<strong>die</strong> Forderung des politischen Wahlrechts<br />
und der Wählbarkeit der <strong>Frauen</strong> und<br />
angesichts <strong>die</strong>ser Tatsache, dass <strong>die</strong>se<br />
Losung wachsende proletarische Massen<br />
bewegte, seit Lassalles Stimme<br />
<strong>die</strong> Arbeiter als Klasse zum Kampf für<br />
das allgemeine Wahlrecht <strong>auf</strong>gerufen<br />
hatte. Die von der Konferenz verlangte<br />
Gleichberechtigung des weiblichen<br />
Geschlechtes schrumpfte in der<br />
Hauptsache zusammen zur Forderung<br />
des Rechts der Freiheit zur Berufsarbeit<br />
der <strong>Frauen</strong>.“4<br />
Bis in <strong>die</strong> 1890er Jahre waren <strong>die</strong> poli<br />
tischen For der ungen und <strong>die</strong> Organi<br />
sierung der bürger lichen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
schwach, während <strong>die</strong><br />
Be wegung der prole tarischen <strong>Frauen</strong><br />
massiven Zu l<strong>auf</strong> erhielt. Un bestritten<br />
ist, dass <strong>die</strong> bürger liche <strong>Frauen</strong> be wegung<br />
den Boden beackerte, bevor <strong>die</strong><br />
proletarische <strong>Frauen</strong>bewegung dort<br />
säte,dass sich <strong>die</strong> Theoretikerinnen der<br />
verschiedenen Bewegungen immer<br />
wie der gegenseitig inspirieren und stärken<br />
und manch schlummernde Kräfte<br />
wecken konnten. Gelegentlich kam es<br />
zwischen den beiden Strömungen auch<br />
zu Kooperationen – <strong>die</strong> Forderungen der<br />
bürgerlichen <strong>Frauen</strong>bewegung waren<br />
jedoch in ihrer finalen Zielsetzung nur<br />
selten übereinstimmend mit denen der<br />
proletarischen <strong>Frauen</strong>. Grundsätzliche<br />
Kämpfe wie nach dem <strong>Frauen</strong>wahlrecht<br />
wurden nicht mitgetragen und viele<br />
andere Belange nur sehr unvollständig<br />
und schwammig formuliert.<br />
4 Zetkin, Clara: Geschichte der proletarischen<br />
Frau en bewegung, S. 48<br />
Viele unterschiedliche <strong>Frauen</strong>gruppen<br />
und -organisationen, an Gewerkschaften<br />
angeschlossen oder unabhängig<br />
davon konstituiert, leisteten<br />
ins besondere in den Bereichen der<br />
Ar beiter innenbildung und dem Kampf<br />
für gleiche Ar beits rechte Un ermüdlich<br />
es. De batten mussten immer wieder<br />
auch in den ei genen Rei hen geführt<br />
werden, um <strong>die</strong> Herauslösung<br />
der <strong>Frauen</strong> aus häuslicher Beschränktheit<br />
und Abhängigkeit sowie <strong>die</strong> Einbe<br />
ziehung der <strong>Frauen</strong> in <strong>die</strong> gemeinsamen<br />
Klassen kämpfe zu ge währ leisten.<br />
Inner halb der Partei en und der<br />
Ge werk schaften führte <strong>die</strong>s zu Ab spaltungen<br />
und Aufteil ungen in ver schiedene<br />
Lager.<br />
„Es ist nicht zu verwundern, dass<br />
<strong>die</strong> reaktionären Elemente eine<br />
reaktionäre Auffassung haben über<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>arbeit. Im höchsten Grade<br />
überraschend aber ist es, dass man<br />
auch im sozia lis tischen Lager einer<br />
irrtümlichen Auffas sung begegnet, in<br />
dem man <strong>die</strong> Ab schaffung der <strong>Frauen</strong>arbeit<br />
verlangt […] Diejenigen, welche<br />
<strong>auf</strong> ihr Banner <strong>die</strong> Befreiung alles<br />
dessen, was Menschenantlitz trägt,<br />
geschrieben haben, dürfen nicht eine<br />
ganze Hälfte des Men schen geschlechtes<br />
durch wirt schaft liche Ab hängigkeit<br />
zu politischer und sozialer Sklaverei<br />
verur teilen. Wie der Arbeiter vom<br />
Ka pit alisten unter jocht wird, so <strong>die</strong><br />
Frau vom Manne; und sie wird unterjocht<br />
blei ben, solange sie nicht wirtschaftlich<br />
unabhängig dasteht. Die<br />
unerlässliche Bedingung für <strong>die</strong>se ihre<br />
wirtschaftliche Unabhängigkeit ist <strong>die</strong><br />
Arbeit.“ 17<br />
Auf dem Mannheimer Parteitag der<br />
SPD 1906 wurde eine kurz zuvor erschienene<br />
Veröffentlichung von Edmund<br />
Fischer in den Sozialistischen<br />
17 Protokoll des Internationalen Arbeiter-<br />
Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20.<br />
Juli 1889, Nürnberg 1890, S.80-85. Clara Zetkin,<br />
Ausgewählte Reden und Schriften, Bd.I, Berlin<br />
1957, S.3-11.
<strong>Frauen</strong>bewegung 11<br />
Monatsheften (dem Organ der<br />
Revisionisten) diskutiert, in der Fischer<br />
Stellung bezieht zur „sogenannten<br />
<strong>Frauen</strong> eman zipation“, <strong>die</strong> „der weiblichen<br />
und der mensch lichen Natur<br />
überhaupt“ widerstrebe, wider natürlich<br />
sei. Er artikulierte da mit Grundten<br />
den zen, <strong>die</strong> in der Ar beiter schaft<br />
weit ver brei tet waren. Zahl reiche<br />
Frau en aller Rich tungen mel de ten sich<br />
<strong>auf</strong> dem Partei tag zu Wort, um geschlechts<br />
un spezi fische Erziehung, gesell<br />
schaftliche Er zieh ungs ein richt ungen<br />
und Ent last ungen der Fami lien erzie<br />
h ung zu fordern, <strong>die</strong>, so Clara Zetkin,<br />
„gemein sames El tern werk sein muss“. 18<br />
Die Zeit bis 1914, <strong>die</strong> als ‚Blütezeit’ der<br />
deut schen (pro letarischen und bürgerlichen)<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung zu sehen<br />
ist, schließt Phasen des Aufbaus, der<br />
Konsoli<strong>die</strong>rung und der Entwicklung<br />
zu einer breiten Massenbewegung mit<br />
ein. 1901 waren in der proletarischen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung rund 25 000 <strong>Frauen</strong><br />
organisiert, im Jahre 1914 bereits<br />
über 320 000. Im selben Jahr konnte<br />
der Bund deutscher <strong>Frauen</strong>vereine<br />
(der Dachverband der Bürgerlichen)<br />
ebenfalls eine Mitgliederzahl von 250<br />
000 <strong>Frauen</strong> vermelden. 19<br />
18 Hervé, Florence: Geschichte der deutschen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung. S. 75<br />
19 ebenda<br />
„Krieg dem Kriege!“<br />
oder „Dienst am Vaterland“<br />
Mit dem Ausbrechen des Ersten Weltkriegs<br />
wurden Anti mili tarisierung,<br />
Arbeitslosigkeit, Hunger, Krankheit,<br />
Aufebung der Schutzbestimmungen<br />
für nahe zu alle Arbeiter innen und Arbeiter<br />
und eine enorm hohe <strong>Frauen</strong>erwerbsquote<br />
zu den Hauptthemen<br />
der politischen und praktischen Arbeit<br />
der <strong>Frauen</strong>bewegung.<br />
Die Fragen führten zur weiteren<br />
Spaltung der politisch organisierten<br />
<strong>Frauen</strong> in revolutionäre und revi sio nistische<br />
Strö mun gen. Viele der bürgerlichen<br />
Frau en sahen in Kriegs zeiten den<br />
„Dienst am Vaterland“ und damit <strong>die</strong><br />
Hilfe bei den Kriegs vor bereitun gen als<br />
wich tiges Be tätigungs feld. Clara Zetkin,<br />
Rosa Luxemburg und viele andere<br />
sozialistische Genossinnen wand ten<br />
sich ent schieden gegen den im perialistischen<br />
Krieg und den von der Parteiführung<br />
ver einbarten „Burgfrieden“,<br />
sie machten deutlich, dass sie „im<br />
Krieg gegen den Krieg zu den Vorwärtsdrängenden,<br />
zu den Stürmenden gehören“<br />
20 und riefen zur Solidarität der<br />
Unterdrückten und Ausgebeuteten aller<br />
Länder <strong>auf</strong>.<br />
In der Sozialdemokratischen Partei<br />
wur den <strong>die</strong> Debatten und Aus ein ander<br />
set zungen über den Krieg erbitter<br />
ter geführt, je län ger der Krieg<br />
dauer te. Der linke Flügel und ins beson<br />
dere <strong>die</strong> sozialistische <strong>Frauen</strong>bewe<br />
gung rief immer wieder zu Demons<br />
tra tionen und Streiks <strong>auf</strong>. 1916<br />
bildeten sich drei Fraktionen heraus,<br />
<strong>die</strong> sich in den dar<strong>auf</strong> folgenden Jahren<br />
zu eigenständigen Parteien entwic<br />
kelten: Die Mehrheitssozialisten,<br />
<strong>die</strong> wei ter hin am Burg frieden festhielt<br />
und <strong>die</strong> Kriegs kredite bewilligte; <strong>die</strong><br />
spätere USPD, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong> weitere<br />
Kriegs kredit bewilligung <strong>auf</strong>trat, und<br />
20 Clara Zetkin <strong>auf</strong> dem außerordentlichen<br />
Sozialis tenkongress 1912 in Basel, aus: Hervé,<br />
Florence: Geschichte der deutschen <strong>Frauen</strong>bewegung.<br />
S. 105
12 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
<strong>die</strong> Gruppe Internationale (späterer<br />
Spartakusbund), <strong>die</strong> eine Über windung<br />
der kapital istischen Gesellschafts ordnung<br />
und eine Rückbesinnung <strong>auf</strong><br />
marxistische Grundsätze forderte.<br />
Die Abspaltung und Radikalisierung von<br />
Teilen der <strong>Frauen</strong>bewegung trieb <strong>die</strong><br />
politische Entwicklung während und<br />
nach Novemberrevolution mit voran<br />
und zeigte das Potenzial fortschrittlicher<br />
<strong>Frauen</strong>kämpfe <strong>auf</strong>.<br />
Militarismus und Patriarchat<br />
Schon zu Beginn der <strong>Frauen</strong>konferenzen<br />
ging es den sozialistischen <strong>Frauen</strong> um<br />
den Schwerpunkt der Antimilitarisierung.<br />
Clara Zetkin warnte mit ihren Genossinnen<br />
vor dem drohenden Ausbruch des<br />
Weltkriegs und rief zu internationaler<br />
Zusammenarbeit der <strong>Frauen</strong>verbände<br />
(insbesondere der am späteren Weltkrieg<br />
beteiligten) Länder <strong>auf</strong>.<br />
Siebzig Jahre später fordert Alice<br />
Schwarzer als erste öffentliche Stimme<br />
in Deutschland den uneingeschränkten,<br />
freiwilligen Zugang von <strong>Frauen</strong> zur<br />
Bundes wehr inklusive Dienst an der<br />
Waffe. In der aktuellen EMMA-Ausgabe<br />
(Winter 2011) wird nun „Zehn Jahre<br />
<strong>Frauen</strong> an der Waffe“ gefeiert, man<br />
erwähnt stolz <strong>die</strong> 321 Panzerfahrerinnen<br />
sowie etwa 380 <strong>Frauen</strong> im momentanen<br />
Auslandseinsatz.<br />
Den antimilitaristischen <strong>Frauen</strong> rechtlerinnen<br />
wird systematisch vorge worfen,<br />
sie seien aus biolo gistischen Grün den<br />
ge gen <strong>die</strong> Ein stellung von Frau en in der<br />
Bundeswehr. Dabei ist <strong>die</strong> Ablehnung<br />
von Kriegen und dem Einsatz der Soldat_<br />
innen gleich welchen Geschlechts eng<br />
ver knüpft mit der <strong>Frauen</strong>frage, <strong>die</strong> mit<br />
einer formalen Gleichstellung des Soldaten<br />
(m) mit dem Soldaten (w) nur sehr<br />
wenig zu tun hat.<br />
Sowohl <strong>die</strong> Militarisierung der Gesellschaft<br />
nach innen als auch <strong>die</strong> nach außen<br />
geführten Kriegseinsätze be <strong>die</strong> nen<br />
sich patriarchaler Geschlechts zu schreibungen<br />
<strong>auf</strong> und reproduzieren <strong>die</strong>se.<br />
Das Militär ist hierarchisch orga nisiert<br />
und mit Attributen versehen, <strong>die</strong> als<br />
„männliche“ gelten: kameradschaftlich,<br />
mutig, strategisch, zäh. Krieg führt oft<br />
zur Militari sierung im Innern und damit<br />
auch zur Ausweitung der hierarchischen,<br />
heterosexuellen und „maskulinen“<br />
Struk turen und der Abwertung von<br />
„weib lichen“, nicht-militärischen Eigenschaften,<br />
mit denen <strong>Frauen</strong>, Homosexu<br />
elle und Kin der in Ver bin dung gebracht<br />
und ab gewer tet werden. Auch<br />
wird <strong>die</strong> Frau zu einem (passiven) Opfer<br />
stilisiert, das gerettet werden muss. So<br />
wird aktuell versucht, <strong>die</strong> Angriffskriege<br />
gegen den Irak oder Afghanistan mit<br />
der „Be freiung der Frau“ zu legitimieren<br />
und so <strong>die</strong> öffentliche Zustimmung für<br />
<strong>die</strong> Besa tzung zu erhalten. Jede echte<br />
Analyse der Situation der <strong>Frauen</strong> unter<br />
der Besatzungs macht legt den blanken<br />
Zynis mus einer solchen Argu menta tion<br />
offen. 6<br />
6 Mehr zum Thema Antimilitarismus in<br />
der Broschüre „Krise Krieg Kapitalismus“<br />
des 3a-Bündnisses, Download unter:<br />
3a.blogsport.de
<strong>Frauen</strong>bewegung 13<br />
CLARA ZETKIN (1857-1933)<br />
Als Vorkämpferin der <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
genießt Clara Zetkin bis heute<br />
weltweites Ansehen und ist neben<br />
ihrer Freundin und Genossin Rosa<br />
Luxemburg das wohl bekannteste<br />
Gesicht der so zia listischen und kommunistischen<br />
Arbeiter_innenbewegung.<br />
Sie stellt sich von Beginn ihres politischen<br />
Wir kens bis an ihr Lebensende<br />
un beirrt <strong>die</strong> Aufgabe, zwei Anliegen<br />
miteinander zu verknüpfen: Zum einen<br />
<strong>die</strong> Emanzipation der (proletarischen)<br />
<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> sie als grundlegenden<br />
Bestandteil der revolutionären Emanzipa<br />
tion des ges amten Pro letariats betrachtet<br />
und zu deren Organisierung<br />
sie entscheidend beiträgt; zum anderen<br />
den internationalen Zusammenschluss<br />
der Arbeiter_innen über sämtliche<br />
Grenzen und Schranken hinweg.<br />
Die am 5. Juni 1857 im sächsischen<br />
Wiederau geborene Clara Eißner<br />
schließt schon früh Kontakte zu sozialistischen<br />
Vereinigungen. 1878 tritt sie<br />
der Sozialistischen Arbeiterpartei bei;<br />
gerade ist sie 21 Jahre alt geworden und<br />
geht <strong>die</strong>sen Schritt gegen den Willen<br />
ihrer Eltern. Bald knüpft sie Kontakte<br />
zu frauenpolitischen Gruppierungen<br />
und engagiert sich im Aufbau der<br />
sozialistischen <strong>Frauen</strong>bewegung. Im<br />
selben Jahr geht sie eine Beziehung<br />
mit dem russischen Revolutionär<br />
Ossip Zetkin ein. Die Zeit von 1882<br />
bis 1889 verbringen beide <strong>auf</strong>grund<br />
des „Sozialistengesetzes“ (eine durch<br />
Otto von Bismarck verabschiedete<br />
Bestimmung zum Verbot sozialistischer<br />
Parteien, Organisationen, Zeitungen<br />
sowie politischer Versammlungen) im<br />
Exil in Zürich und Paris. Am 1. August<br />
1883 kommt ihr Sohn Maxim zur Welt,<br />
anderthalb Jahre später Kostja.<br />
Die Zetkins schlagen sich mehr schlecht<br />
als recht mit Sprach unterricht und Übersetzungen<br />
durch und sind neben bei<br />
politisch tätig. „Geld ist zwar Dreck“,<br />
vermeldet Clara in einem Brief an Karl<br />
Kautsky, „aber Dreck ist leider kein<br />
Geld“. In ihren späteren Vorträgen<br />
kann sie aus eigener Erfahrung darüber<br />
berichten, wie es ist, Arbeitstage<br />
von 16 oder 20 Stunden zu haben –<br />
und auch, was es bedeutet, als Frau<br />
Lohnarbeit, Haushalt und politische<br />
Arbeit miteinander zu verbinden.<br />
1889 verstirbt Ossip Zetkin nach langer<br />
Krankheit.<br />
Im selben Jahr referiert Clara <strong>auf</strong> dem<br />
Grü n dungs kongress der II. Inter nationale<br />
in Paris über <strong>die</strong> proletarische<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung. In ihrer Rede „Die<br />
Be frei ung der Frau“ fordert sie <strong>die</strong><br />
vollständige berufliche und gesellschaft<br />
liche Gleichberechtigung der<br />
Frau, ihre aktive Teil nahme am Klassenkampf<br />
sowie eine strikte Ab grenzungs<br />
politik zur bürger lichen Frau en <br />
bewegung. Bei ihrer ersten Rede einige<br />
Jahre zuvor bereitet ihr der Auftritt vor<br />
vielen Menschen noch Un be hagen: „Ich<br />
hatte das Gefühl, als ob der Tisch mit<br />
mir in <strong>die</strong> Luft ginge. Doch <strong>die</strong> Genossen<br />
ermunterten mich freundlich, es mache<br />
nichts. Ich fand den Faden wieder und<br />
brachte meine Rede zu Ende.”
14 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
Zurück in Deutschland verschlägt<br />
es Clara Zetkin nach Stuttgart. Auch<br />
hier ist sie politisch aktiv. Sie hält<br />
hunderte Vorträge im Jahr, arbeitet<br />
als Übersetzerin für den Dietz-Verlag<br />
und ist von 1891 bis 1917 <strong>die</strong> Herausgeberin<br />
der sozialistischen <strong>Frauen</strong>zeitung<br />
Die Gleichheit. In deren<br />
programmatischer Eröffnungsnummer<br />
wendet sie sich gegen <strong>die</strong> in ihren<br />
Augen „reformistische“ Vorstellung,<br />
durch rechtliche Gleichstellung mit den<br />
Män nern inner halb des Kapitalismus<br />
eine Befrei ung der <strong>Frauen</strong> erreichen<br />
zu wollen: „‚Die Gleichheit’ […] geht<br />
von der Überzeugung aus, dass der<br />
letzte Grund der jahrtausendealten<br />
niedrigen gesellschaftlichen Stellung<br />
des weiblichen Geschlechts nicht in<br />
der jeweils ‚von Männern gemachten’<br />
Gesetzgebung, sondern in den durch<br />
wirtschaftliche Zustände bedingten<br />
Eigentumsverhältnisse zu suchen ist…“<br />
Im Jahr 1907 wird sie Sekretärin des<br />
Internationalen <strong>Frauen</strong>komitees. Auf<br />
der zweiten Internationalen Konferenz<br />
sozialistischer <strong>Frauen</strong> in Kopenhagen<br />
im Juni 1910 schlägt sie <strong>die</strong> Einrichtung<br />
eines Internationalen <strong>Frauen</strong>tags vor.<br />
Als <strong>die</strong> Führungsspitze der SPD den<br />
Ersten Weltkrieg befürwortet – und<br />
unter anderem im Reichstag für <strong>die</strong><br />
Be willigung der Kriegs kredite stimmt<br />
– und eine Politik des ‚Burg friedens“<br />
anstrebt, stellt sich Clara Zetkin offen<br />
dagegen. Wegen der Ein berufung<br />
der inter nationalen sozialis tischen<br />
<strong>Frauen</strong> konferenz wird Zetkin 1915<br />
für vier Monate inhaftiert. Ein antimilitaristisches<br />
Flugblatt für <strong>die</strong> Konferenz<br />
ist dabei Grund der Verhaftung,<br />
das mit „Nieder mit dem Kapi talis mus,<br />
der dem Reich tum und der Macht<br />
der Besitz enden Hekatom ben von<br />
Menschen opfert! Nieder mit dem<br />
Kriege! Durch zum Sozialismus!” endet.<br />
Sie wird des Landesverrats angeklagt,<br />
jedoch nach einer großen Protestwelle<br />
freigelassen.<br />
1917 schließt sich Clara zusammen mit<br />
ihrer engen Freundin Rosa Luxem burg<br />
und Karl Liebknecht der den linken<br />
Flü gel der Sozial demokratie re prä sentieren<br />
den USPD an und gehört zu den<br />
Mit begrün derinnen der Spartakusgruppe.<br />
In der daraus her vor gehenden<br />
Kommunis tischen Par tei Deutsch lands<br />
(KPD), <strong>die</strong> von Ro sa Lu xem burg mitbegründet<br />
wird, beginnt sie ab 1919 mit<br />
dem Aufbau einer kommunistischen<br />
<strong>Frauen</strong> bewe gung. Von 1920 bis 1933 ist<br />
sie Reichs tags abge ordnete der KPD.<br />
Auch in der Kommunistischen Internationale<br />
bleibt Clara eine Vor kämpferin<br />
der <strong>Frauen</strong>bewegung und ent wir ft 1920<br />
<strong>auf</strong> Lenins Anre gung hin <strong>die</strong> Richt linien<br />
zur kommu nistischen <strong>Frauen</strong> ar beit.<br />
Auch bei den Themen Antimilitarismus<br />
und Antifaschismus ist Clara un bequem:<br />
Im Juni 1923 erregt sie mit<br />
einem Bericht <strong>auf</strong> dem erweiterten<br />
Plenum des Exekutivkomitees der<br />
Kom munistischen Internationale (EKKI)<br />
Auf sehen mit ihren Thesen zum Klassen<br />
charak ter des Faschismus, der<br />
im Jahr zuvor in Italien an <strong>die</strong> Macht<br />
ge kommen ist. Sie widerspricht der<br />
gängigen Auffassung, der Faschismus<br />
habe seine Wurzel in der Angst der<br />
Kapitalisten vor der Weltrevolution<br />
– vielmehr sei es „das Stocken, der<br />
schleppende Gang der Weltrevolution<br />
infolge des Verrats der reformistischen<br />
Führer der Arbeiterbewegung” der den<br />
Aufstieg des Faschismus ermöglicht<br />
habe.<br />
Als Alterspräsidentin des Deutschen<br />
Reichstages eröffnet sie <strong>die</strong> kon sti tu
<strong>Frauen</strong>bewegung 15<br />
ierende Sitzung des Reichstags am 30.<br />
August 1932 „in der Hoffnung, trotz<br />
meiner jetzigen Invalidität das Glück zu<br />
erleben, als Alterspräsidentin den ersten<br />
Rätekongreß Sowjet deutschlands zu<br />
eröffnen“ und ruft zum Widerstand<br />
gegen <strong>die</strong> Nationalsozialisten <strong>auf</strong>.<br />
Anfang 1933 geht Clara Zetkin erneut<br />
ins Exil, <strong>die</strong>smal in <strong>die</strong> Sowjetunion.<br />
Sie stirbt am 20. Juni 1933, 400 000<br />
Menschen nehmen am Trauerzug teil.<br />
ROSA LUXEMBURG<br />
(1871-1919)<br />
Franz Mehring, Marx’ Biograph und<br />
selbst Sozialist, sieht in Rosa Luxemburg<br />
„den genialsten Kopf seit Karl Marx<br />
selbst“; sie wird „<strong>die</strong> Göttliche“ genannt<br />
und für Lenin ist sie der „Adler<br />
der Re vo lution“. Vor allem aber ist Rosa<br />
Luxemburg eins: eine revolutionäre<br />
und kompro misslose Sozialistin. Sie<br />
stellt nicht nur ihre Intelligenz in den<br />
Dienst der Arbeiterbewegung, sondern<br />
auch ihre Leidenschaft, ihr Herzblut,<br />
ihren starken Willen und ihr Leben.<br />
Rosa Luxemburg wird am 5. März 1871<br />
in der kleinen polnischen Stadt Zamość<br />
geboren und ist schon seit frühester<br />
Jugend in der sozialistischen Bewegung<br />
aktiv. Sie kommt in Kontakt mit der<br />
revolutionären Partei Proletariat, <strong>die</strong><br />
einige Jahre zuvor in Polen gegründet<br />
worden war. Nachdem 1886 viele<br />
Mitglieder der Partei zu langjähriger<br />
Zwangs arbeit verurteilt oder hingerichtet<br />
werden, besteht <strong>die</strong> geschwächte<br />
Partei nur noch aus einem<br />
kleinen Zirkel, dem sich <strong>die</strong> 16-jährige<br />
Rosa an schließt. Zwei Jahre später ist<br />
sie bereits so bekannt, dass sie Polen<br />
<strong>auf</strong>grund drohender Repressionen<br />
ver las sen muss und nach Zürich, dem<br />
damals wich tig sten Zen trum der<br />
polnischen und russischen Emi grant_<br />
innen, aus wandert. Rosa besucht dort<br />
<strong>die</strong> Uni versität und stu<strong>die</strong>rt Naturwissenschaften,<br />
Mathematik und<br />
Volks wirtschaftslehre. Sie nimmt<br />
leb haften An teil am Leben der revolutionären<br />
Intellektuellen und ist in der<br />
örtlichen Arbeiterbewegung aktiv.<br />
Rosa Luxemburg engagiert sich auch in<br />
der inter nationalen Arbeiterbewegung:<br />
sie nimmt an den Partei tagen der<br />
SPD teil und wirkt als führende Theoretikerin<br />
der Sozialdemokraten in Polen,<br />
ist Deleg ier te bei den Kon gres sen der II.<br />
Internationale und ab 1903 Mitglied des<br />
Internationalen So zia lis tischen Büros.<br />
Sie ist eine eigen willige und sowohl in der<br />
Politik als auch im Privaten standhafte<br />
Frau, <strong>die</strong> in zahlreichen Zeitungs artikeln<br />
und öffent lichen Reden leiden schaftlich<br />
ihre The sen vertritt und selbst vor<br />
größeren Zusammenstößen mit älteren<br />
Politgenossen nicht <strong>zurück</strong>schreckt. So<br />
erregt ihre Schrift Sozialreform oder<br />
Revolution? von 1899 gegen Eduard<br />
Bernstein in der Revisionismus-Debatte<br />
auch international Aufsehen.<br />
1903 stürzt sich Rosa Luxemburg in eine<br />
Polemik gegen Lenin, mit dem sie in<br />
der nationalen Frage zusammenstößt,<br />
aber auch in der Diskussion über <strong>die</strong><br />
Konzeption der Partei und das Verhältnis<br />
von Partei und Massenaktivität anderer
16 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
Auffassung ist. Ihre Kritik an dessen<br />
zentralistischer Organisationsstruktur<br />
ist jedoch – anders als das später viele<br />
haben wollen, <strong>die</strong> sich <strong>auf</strong> sie als große<br />
sozialistische Demokratin wider <strong>die</strong> so<br />
genannte „Parteiherrschaft“ berufen –<br />
nicht moralischer, sondern praktischer<br />
Natur. Sie propagiert den politischen<br />
Massenstreik und trägt wesentlich<br />
zur Verbreitung der Erfahrungen der<br />
russischen Revolution von 1905 im<br />
Westen bei.<br />
Als junge Theoretikerin setzt sie sich<br />
auch in den Folge jahren kämpferisch<br />
mit dem be ginnenden Re for mismus in<br />
der Sozial demo kratie auseinander. Mit<br />
ihrer klaren Absage an Krieg und Kriegskredite<br />
pro voziert sie 1914, zu sammen<br />
mit Karl Liebknecht, Franz Mehring, Clara<br />
Zetkin und anderen <strong>die</strong> Spaltung der<br />
SPD. Wegen ihrer Aufrufe zur Befehlsverweigerung<br />
verbringt sie ab 1914<br />
einen Großteil der Zeit im Gefängnis, von<br />
wo aus sie jedoch stetig weiter publiziert.<br />
Rosa Luxemburg ist als konsequente<br />
Anti imperialistin der Über zeugung,<br />
dass sich der Kampf gegen den Krieg<br />
vom Kampf für den Sozialis mus nicht<br />
tren nen lässt. Wäh rend des Ersten<br />
Welt kriegs schreibt sie unter dem<br />
Pseudo nym „Junius”. Hier entsteht<br />
ihre wich tigste Anti-Kriegs-Schrift, Die<br />
Krise der Sozialdemokratie (bekannter<br />
unter dem Titel „Junius-Broschüre“),<br />
in der sie mit den „imperialistischen<br />
Kriegshetzern“ abrechnet:<br />
„Die Dividenden steigen und <strong>die</strong><br />
Proletarier fallen. Und mit jedem sinkt<br />
ein Kämpfer der Zukunft, ein Soldat der<br />
Revolution, ein Retter der Menschheit<br />
vom Joch des Kapitalismus ins Grab.<br />
Der Wahnwitz wird erst <strong>auf</strong>hören<br />
und der blutige Spuk der Hölle wird<br />
verschwinden, wenn <strong>die</strong> Arbeiter in<br />
Deutsch land und Frankreich, in England<br />
und Rußland endlich aus ihrem<br />
Rausch erwachen, einander brüderlich<br />
<strong>die</strong> Hand reichen und den bestialischen<br />
Chorus der imperialistischen Kriegshetzer<br />
wie den heiseren Schrei der<br />
kapitalistischen Hyänen durch den<br />
alten mächtigen Schlachtruf der Arbeit<br />
überdonnern: Proletarier alter Länder,<br />
vereinigt euch!“<br />
Rosa Luxemburg ist Mitbegründerin<br />
des Spartakusbunds und entwickelt<br />
feder führend das Programm der der<br />
Kom mu nistischen Partei Deutschlands<br />
(KPD). Am 1. Januar 1919 ist sie<br />
beim Gründungs parteitag der KPD<br />
dabei. Am 5. Januar beginnt der<br />
„Spartakus <strong>auf</strong>stand“, der nach einer<br />
Woche von der Reichs wehr blutig<br />
niedergeschlagen wird und bei dem<br />
Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter<br />
ihr Leben lassen.<br />
In Berlin werden Rosa Luxemburg und<br />
Karl Liebknecht am 15. Januar widerrechtlich<br />
verhaftet und ins Hotel „Eden“<br />
am Kurfürstendamm gebracht wo<br />
sie unter schweren Misshandlungen<br />
von Angehörigen des Freicorps unter<br />
Kommandant Waldemar Pabst, mit<br />
Billigung der Sozialdemokraten, verhört<br />
werden. Anschließend wird Rosa mit<br />
einem Gewehrkolben niedergeschlagen<br />
und – wie ihr Genosse Karl Liebknecht<br />
– erschossen. Ihre Leiche wird in den<br />
Berliner Landwehrkanal geworfen und<br />
erst Monate später <strong>auf</strong>gefunden.<br />
Eines ihrer bekanntesten Zitate ist<br />
zugleich auch Rosas letzte Botschaft:<br />
am 14. Januar 1919 veröffentlicht sie in<br />
der KPD-Zeitung„Roten Fahne“ einen<br />
Text, in dem sie mit ihren späteren<br />
Mördern abrechnet und damit endet:<br />
„‚Ordnung herrscht in Berlin!’ Ihr<br />
stumpfen Schergen! Eure ‚Ordnung‘ ist<br />
<strong>auf</strong> Sand gebaut. Die Revolution wird<br />
sich morgen schon rasselnd wieder in<br />
<strong>die</strong> Höh‘ richten und zu eurem Schrecken<br />
mit Posaunenklang verkünden: Ich war,<br />
ich bin, ich werde sein!“
<strong>Frauen</strong>bewegung 17<br />
<strong>Frauen</strong>frage<br />
und Dialektischer Materialis mus<br />
„Marx hat sich nie mit der <strong>Frauen</strong>frage<br />
‚an und für sich’ und ‚als solcher’<br />
beschäftigt. Trotzdem hat er Unersetzliches,<br />
hat er das Wichtigste für<br />
den Kampf der Frau um volles Recht<br />
geleistet. Mit der materialistischen<br />
Geschichts <strong>auf</strong>fassung hat er uns zwar<br />
nicht fertige Formeln über <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>frage,<br />
wohl aber Besseres gegeben:<br />
<strong>die</strong> richtige, treffsichere Methode,<br />
sie zu erforschen und zu be greifen.<br />
Erst <strong>die</strong> materialistische Geschichts<strong>auf</strong>fassung<br />
hat es uns er möglicht, <strong>die</strong><br />
<strong>Frauen</strong> frage im Flusse der allgemeinen<br />
geschichtlichen Ent wicklung, im Lichte<br />
der allgemeinen sozialen Zusammenhänge<br />
in ihrer historischen Bedingtheit<br />
und Be rech tigung klar zu verstehen,<br />
ihre bewegenden und tragenden Kräfte<br />
zu erkennen [...] Zer schmettert sank<br />
der alte Aber glaube in den Staub, dass<br />
<strong>die</strong> Stellung der Frau in Familie und<br />
Gesell schaft ein ewig Un wandelbares<br />
sei, das nach sittlichen Gesetzen oder<br />
göttlichen Vorschriften geschaffen. Klar<br />
enthüllte es sich, dass <strong>die</strong> Familie wie<br />
<strong>die</strong> übrigen Einrichtungen und Da seinsformen<br />
der Gesellschaft einem steten<br />
Werden und Vergehen unterworfen ist<br />
und sich wie sie mit den Wirt schafts <br />
verhältnissen und der von ihnen<br />
getragenen Eigen tums ordnung wandelt.<br />
Die Ent wick lung der wirt schaftlichen<br />
Pro duktiv kräfte aber ist es,<br />
welche <strong>die</strong>se Wand lung treibt, indem<br />
sie <strong>die</strong> Pro duktions weise um wälzt und<br />
sie in Gegen satz zu der Wirt schaftsund<br />
Eigen tums ordnung stellt. Auf<br />
dem Untergrund der revolutionierten<br />
wirt schaft lichen Verhält nisse und Zusammenhänge<br />
vollzieht sich dann <strong>die</strong><br />
Revolutionierung des Denkens der<br />
Menschen, ihr Streben, den gesellschaft<br />
lichen Überbau in seinen Einrichtungen<br />
den Veränderungen an der<br />
wirt schaft lichen Grund l age entsprechend<br />
umzugestalten, das in Eigen tums <br />
formen und Herr schafts verhält nissen<br />
Erstarrte zu beseitigen. Die Kämpfe<br />
der Klassen sind es, mittels deren sich<br />
<strong>die</strong>ses Streben durchsetzt.” 7<br />
[Zetkin, Clara]<br />
7 Zetkin, Clara: Was <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> Karl Marx<br />
verdanken, Gleichheit, 25. 3. 1903<br />
Die kommmunistische<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung<br />
„Die Revolution ist der einzige Weg<br />
zur Befreiung der Frau“ 21 [Clara Zetkin]<br />
Die kommunistische <strong>Frauen</strong> bewe gung in<br />
Deutschland entwickelte sich in der Zeit<br />
der Oktoberrevolution in Russland und<br />
hoffte <strong>auf</strong> ein Er starken der proletarischen<br />
Welt revo lution und eine damit initiierte<br />
revo lutionäre Um wälzung auch der<br />
deutschen Gesell schaft. Die Be we gung<br />
basierte <strong>auf</strong> der historisch-ma terialistischen<br />
Über zeugung, dass <strong>die</strong> Unterdrückung<br />
der Frau ihren grund legenden<br />
Ur sprung in der Entstehung des Privateigen<br />
tums hat und <strong>die</strong> Überwindung<br />
<strong>die</strong>ser Unterdrückung nur durch <strong>die</strong><br />
Bekämpfung der ka pit a listischen Produktions<br />
weise besei tigt werden kann.<br />
Während sich <strong>die</strong> sozial demo kratische<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung nach dem Ersten<br />
Weltkrieg fast voll ständig von<br />
ihren früheren Positionen abgewandt<br />
hatte, organisierten sich <strong>die</strong><br />
revolutionären sozialistischen <strong>Frauen</strong><br />
zunehmend in der sich konstituierenden<br />
Kommunistischen Partei<br />
Deutsch land (KPD), um den Kampf<br />
für <strong>die</strong> Gleichberechtigung der <strong>Frauen</strong><br />
in einer sozialistischen Gesell schaft<br />
weiter zuführen. Die KPD ent wic kelte<br />
in den Fol ge jah ren viel fältige Akti <br />
vitäten und Ver anstal tungen für <strong>Frauen</strong>,<br />
um Hin weise für konkrete organisatorische<br />
For men der <strong>Frauen</strong> arbeit<br />
zu gewinnen – was in den Nachkriegsjahren<br />
kein leichtes Un ter fangen war.<br />
Veranstaltungen zum Internationalen<br />
<strong>Frauen</strong>tag wurden beispielsweise<br />
verboten, was <strong>die</strong> KPD dazu veranlasste,<br />
eine ganze <strong>Frauen</strong>tags woche<br />
ab zu halten und <strong>die</strong>se mit weiteren<br />
For derungen zu verknüpfen. 22<br />
21 Zetkin,Clara: Zur Geschichte der proletarischen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung, S. 233<br />
22 Hervé, Florence: Geschichte der deutschen<br />
<strong>Frauen</strong> bewegung. S. 128
18 <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
Auch an den Streikkämpfen der Arbei<br />
ter schaft im Jahr 1923 gegen <strong>die</strong><br />
Ver läng erung der Arbeit szeit als Folge<br />
der Not verordnung waren <strong>die</strong> kommu<br />
nistischen Arbeiterinnen entschei<br />
dend beteiligt. Rück blickend<br />
schreibt <strong>die</strong> KPD Funk tionärin Herta<br />
Geffke: „Die Kom munis tinnen sind <strong>die</strong><br />
organisierende Kraft, das politische Hirn<br />
der B etei ligung der Proletarierinnen an<br />
der Bewegung. Ohne Ihre Aktivität und<br />
Initiative würde <strong>die</strong>se Beteiligung einen<br />
zufälligen, unorganisierten und weniger<br />
wirkungsvollen Charakter tragen“. 23<br />
Ende 1925 entstand nach vielen<br />
Diskussionen der Rote <strong>Frauen</strong>- und<br />
Mäd chenbund (RFMB), <strong>die</strong> erste<br />
eigen ständige revo lutionäre <strong>Frauen</strong>organisation<br />
in der Weimarer Republik.<br />
Dieser sollte an spezifischen<br />
<strong>Frauen</strong> interessen anknüpfen und <strong>die</strong><br />
notwendigen Beziehungen zwischen<br />
der Partei und den <strong>Frauen</strong> festigen. Im<br />
antimilitaristischen Kampf arbeitete<br />
der RFMB eng mit dem Roten Frontkämpferbund<br />
zusammen, der sich als<br />
Wehrorganisation gegen <strong>die</strong> Anschläge<br />
von rechts gegründet hatte. Im linken<br />
Flügel der KPD wurden generell<br />
Sonderorganisationen für <strong>Frauen</strong> abge<br />
lehnt, um <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> fragen nicht<br />
nur von <strong>Frauen</strong> bearbeitet zu wissen<br />
und <strong>die</strong> Gefahr des Separatismus zu<br />
vermeiden. Man setzte vielmehr <strong>auf</strong><br />
in <strong>die</strong> Partei eingebundene Organe,<br />
bestenfalls aus Männern und <strong>Frauen</strong><br />
zusammengesetzt, <strong>die</strong> mit der<br />
spezifischen Organisation der<br />
<strong>Frauen</strong>agitation betraut wurden.<br />
Die Kommunistinnen in Deutsch land<br />
waren eng verbunden mit ver schiedenen<br />
Sektionen der organi sier ten<br />
inter natio nalen <strong>Frauen</strong> bewegung.<br />
Beim Grün dungs kongress der III.<br />
In ter nationalen 1919 in Moskau<br />
wurde das Streben nach „volle(r)<br />
Gleichberechtigung der <strong>Frauen</strong> und<br />
23 Hervé, Florence: Geschichte der deutschen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung. S. 133<br />
ihre Bedeutung als nicht zu missende<br />
Kraft der Revolution“ als Grundsatz<br />
festgesetzt.<br />
<strong>Frauen</strong>politik in der Sowjetunion<br />
„Eine Selbstverständlichkeit ist <strong>die</strong> volle<br />
Gleich be rechtigung von Frau und<br />
Mann in der Gesetz ge bung. Auf allen<br />
Gebie ten zeigt sich das Be streben, <strong>die</strong><br />
Gleich berechti gung durch zu füh ren<br />
Wir gliedern <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> in <strong>die</strong> so ziale<br />
Wirtschaft, Verwaltung, Gesetz gebung<br />
und Re gierung ein. Wir öff nen ihnen alle<br />
Kurse und Bil dungs an stalten, um ihre<br />
be rufliche und soziale Leistungsfähigkeit<br />
zu heben. Wir gründen Ge mein schaftsküchen<br />
und öffentliche Speisehäuser,<br />
Wasch- und Re paraturanstalten, Krippen,<br />
Kinder gärten, Kinderheime, Erziehungsinstitute<br />
verschiedener Art. Kurz,<br />
wir machen Ernst mit unserer programma<br />
tischen Forderung, <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />
und erzieherischen Funktionen<br />
des Einzel haushaltes der Gesellschaft<br />
zu übertragen. Dadurch wird<br />
<strong>die</strong> Frau von der alten Haussklaverei<br />
und jeder Abhängigkeit vom Manne<br />
erlöst. Es wird ihr je nach Begabung und<br />
Neigung volles Wirken in der Gesellschaft<br />
möglich. (...) Wir wissen sehr gut, ... dass<br />
es noch bei weitem nicht alles zu ihrer<br />
tatsächlichen Befreiung ist. (..) Es ist ein<br />
guter Anfang in der rechten Richtung.“ 5<br />
[W. I. Lenin über das Programm der<br />
sozialistischen Revolution]<br />
Die russische Oktober revolution ver änder<br />
te <strong>die</strong> Situation der <strong>Frauen</strong> in Russland<br />
ent scheidend und zog auch über<br />
<strong>die</strong> Gren zen hinweg durchschlagende<br />
Ver än derungen nach sich. <strong>Frauen</strong> waren<br />
sel bst maß geblich an der Revolution<br />
be teiligt und erwirkten eine Reihe von<br />
Ver änderungen zugunsten der wei b<br />
lichen Bevölkerung, was gleichen Lohn,<br />
gleiches Recht <strong>auf</strong> Ausbildung, das<br />
Recht <strong>auf</strong> Scheidung und Legalisierung<br />
der Abtreibung betraf. Außerdem wurde<br />
<strong>die</strong> Haus arbeit durch <strong>die</strong> Ein richtung<br />
von Volkskantinen und Kin derbe<br />
treuungsstellen weitgehend vergesellschaftet<br />
und ermöglichte so den<br />
<strong>Frauen</strong>, erwerbstätig zu sein.<br />
5 Zetkin, Clara: Erinnerungen an Lenin.<br />
In: Schriften zur proletarischen <strong>Frauen</strong>bewegung,<br />
S. 49
<strong>Frauen</strong>bewegung 19<br />
ALEXANDRA KOLLONTAI<br />
(1872-1952)<br />
Gerade einmal vier Monate lang hält<br />
sich Alexandra Michailowna Kollontai<br />
nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in<br />
Russland <strong>auf</strong>, bevor sie im Juli 1917<br />
<strong>auf</strong>grund ihrer politischen Tätigkeit<br />
inhaftiert wird. Es ist <strong>die</strong> Zeit zwischen<br />
dem Sturz des Zaren Nikolaus II. und der<br />
Oktoberrevolution.<br />
Als Herausgeberin der Zeitung Rabotniza<br />
(Die Arbeiterin) und als erste<br />
weibliche Deputierte im Petersburger<br />
Arbeiter- und Bauern sowjet hatte Alexandra<br />
Kollontai <strong>die</strong> Arbeiterinnen für<br />
<strong>die</strong> Revolution mobilisiert und sie dazu<br />
<strong>auf</strong>gefordert, <strong>die</strong> Umgestaltung der Gesellschaft<br />
nicht allein den männlichen<br />
Mit kämpfern zu überlassen. Eine unbe<br />
queme Frau: Für <strong>die</strong> Bour geoisie,<br />
aus der sie selbst stammt und für<br />
deren Ab schaffung sie kämpft; für <strong>die</strong><br />
bürger lichen Fe minis tinnen, wel chen<br />
sie vorwirft, ledig lich ihre Klassenprivilegien<br />
durchsetzen zu wollen; und<br />
ebenso für einen Teil der männlichen<br />
Revolutionäre, welche ihren Einsatz<br />
für <strong>die</strong> Gleichberechtigung der Frau<br />
als Gefahr für <strong>die</strong> Ein heit des Klassenkampfes<br />
verurteilen. Später kamen<br />
weitere Anschuldigungen hinzu. Ihr<br />
extra vaganter Kleidungs stil wurde als<br />
bürgerlich, ihre Schriften zur sexuellen<br />
Selbstbestimmung der Frau und<br />
zu „freier Liebe“ als unmoralisch diffa<br />
miert. Den noch schätzten <strong>die</strong> Bolschewiki<br />
Kollontai als unermüdliche<br />
Publizistin, Rednerin und revolutionäre<br />
Agitatorin. Als sie Ende August 1917<br />
aus der Haft entlassen wird, war sie in<br />
Abwesenheit in das Zentralkomitee der<br />
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei<br />
Russlands gewählt worden.<br />
Alexandra Kollontai wird später in ihren<br />
autobiographischen Aufzeichnungen<br />
schreiben, dass sie „viele Leben“ lebte.<br />
Als adlige Tochter eines zaristischen<br />
Generals ist eines <strong>die</strong>ser Leben eher<br />
bürgerlich-beschaulich. Im Alter von 26<br />
Jahren jedoch trennt sie sich von ihrem<br />
Mann und beginnt, Sozial- und Wirtschafts<br />
geschichte in Zürich zu stu <strong>die</strong>ren.<br />
Meh rere Aus lands reisen bringen sie in<br />
Kontakt mit Clara Zetkin, deren Haltung<br />
zur „<strong>Frauen</strong>frage“ mit der ihren übereinstimmt:<br />
Die „<strong>Frauen</strong> frage“ ist in<br />
<strong>die</strong> sozialistischen Be stre bungen zu<br />
integrieren; eine Ko oper ation mit der<br />
bürgerlichen <strong>Frauen</strong> bewegung ist<br />
abzulehnen.<br />
Alexandra Kollontai knüpft ihre Hoffnungen<br />
<strong>auf</strong> Gleich berechtigung von<br />
Frau und Mann jedoch nicht allein<br />
an <strong>die</strong> erfolg reiche Re volution, sondern<br />
fordert eine sofortige Gleichbehandlung<br />
und eine gerechtere Aufteilung<br />
der familiären Pflichten. Um<br />
den Arbeiterinnen eine Stimme zu<br />
verschaffen und sie besser mobilisieren<br />
zu können, spricht sie sich für<br />
gesonderte <strong>Frauen</strong>organisationen inner<br />
halb der sozialis tischen Par teien<br />
aus. Mit Hingabe verfolgt sie das Ziel,<br />
„<strong>die</strong> Arbeiterinnen für den Sozialismus<br />
zu ge winnen und gleichzeitig auch <strong>die</strong><br />
Be freiung der Frau, ihre Gleich be rechtigung,<br />
anzustreben.“
20 <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />
1908 führt <strong>die</strong>ses Ziel zunächst ins<br />
Exil: Alexandra Kollontai muss sich der<br />
droh en den Verhaftung in Russland<br />
ent ziehen. Sie en gagiert sich in der<br />
sozial demo kratischen Bewegung in<br />
Deutsch land, und organisiert den In ternationalen<br />
<strong>Frauen</strong>tag 1911 in Frankfurt<br />
mit. 1914 muss sie von der Besucherempore<br />
des Berliner Reichs tags mit<br />
ansehen, wie <strong>die</strong> Abgeordneten der<br />
SPD den kaiserlichen Kriegskrediten<br />
zustimmen. Mit Rosa Luxemburg und<br />
Karl Liebknecht teilt Alexandra Kollontai<br />
<strong>die</strong> Entrüstung über <strong>die</strong>sen Verrat an<br />
der internationalen Solidarität der Arbeiter<br />
klasse. Dieses Erlebnis und der<br />
Beginn des ersten Weltkriegs bewegen<br />
sie dazu, bewusst den Kontakt zu Lenin<br />
und den Bolschewiki zu suchen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> sofortige Beendigung des Krieges<br />
fordern.<br />
Alexandra Kollontais politischer Aktivismus<br />
verstummt keineswegs mit der<br />
Ok to ber revolution 1917. Nach der<br />
Macht über nahme der Bolschewiki<br />
wird sie Volks kommis sarin für soziale<br />
Fürsorge. Drei Jahre lang übernimmt sie<br />
<strong>die</strong> Leitung der Shenotdel, der <strong>Frauen</strong>abteilung<br />
des Zentral komitees der Kommunistischen<br />
Partei Russlands. Während<br />
<strong>die</strong>ser Zeit erwirkt sie eine Verbesserung<br />
des Mutterschutzes, eine Lockerung des<br />
Eherechts, und das Recht <strong>auf</strong> Abtreibung.<br />
Durch ihr Engagement in der Arbei terop<br />
position jedoch wird sie in den folgenden<br />
Jahren politisch isoliert. 1922<br />
geht sie als Diplomatin nach Mexiko<br />
und Skandinavien, wo sie bis zu ihrer<br />
Pensionierung 1945 als Gesandte tätig<br />
ist.<br />
Durch ihr Wirken und ihre Schriften zur<br />
neuen Sexualmoral nimmt Alexandra<br />
Kollontai eine Vorreiterrolle in Bezug<br />
<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Emanzipation der Frau in<br />
Russland ein. Es ist ihr besonderes<br />
Ver <strong>die</strong>nst, eine Gleichstellung der Geschlechter<br />
<strong>auf</strong> allen Ebenen – und<br />
damit auch in den privaten Bereichen<br />
der Partnerschaft und Sexualität – einge<br />
fordert und vor an ge trieben zu haben.<br />
Mutige Antifaschistinnen<br />
und <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />
In Deutschland wurden zwischen<br />
1933 und 1945 Zehn tausende <strong>Frauen</strong><br />
aus po litischen Grün den fest genom<br />
men. Bereits 1933 richteten<br />
<strong>die</strong> Nationalsozialisten in Moringen,<br />
Stadelheim, Brauweiler und Gotteszell<br />
<strong>Frauen</strong>lager und -gefängnisse ein. <strong>Frauen</strong><br />
im Widerstand wurden un er bittlich<br />
verfolgt.<br />
Das erste mit einer Handlung des<br />
politischen Widerstands begründete<br />
Todesurteil gegen eine Frau wurde<br />
am 20. Juni 1938 an der Kommunistin<br />
Liselotte „Lilo“ Hermann in Berlin-<br />
Plötzensee vollstreckt. Allein in das<br />
<strong>Frauen</strong>-Konzentrationslager Ravensbrück<br />
wur den von 1939 bis 1945 132<br />
000 <strong>Frauen</strong> aus 23 Nationen gebracht.<br />
Rund 92 000 kamen darin um. 1<br />
Der kommunistische Widerstand,<br />
haupt säch lich durch <strong>die</strong> KPD und durch<br />
in <strong>die</strong> Il lega lität gegangene Klein grup<br />
1 BpB-Heft Weg zur Gleichberechtigung
<strong>Frauen</strong> im Widerstand 21<br />
pen getra gen, war in den An fängen des<br />
Nazi-Regimes noch ver hält nis mäßig<br />
stark.<br />
1934/1935 kam es <strong>auf</strong>grund<br />
der überschaubaren Or ga nisationsstrukturen<br />
zu massiven Ver haftungswellen,<br />
bei denen viele Kommunist_innen<br />
und Antifaschist_innen<br />
den Tod fanden oder zu lang jährigen<br />
Haft straf en verurteilt wurden. Teilweise<br />
wurden in den Kon zen tra tionslagern<br />
in den folgenden Jahren Häftlingsstruk<br />
turen <strong>auf</strong>gebaut, <strong>die</strong> es den<br />
Ge fang enen er möglichten, politisch<br />
aktiv zu bleiben. Viele Linke, denen<br />
es gelungen war, sich dem Zugriff des<br />
Repressions- und Terrorapparates<br />
der Nazis zu entziehen, gingen in den<br />
Jahren 1936-1938 nach Spanien, um<br />
dort gegen den Faschismus zu kämpfen.<br />
Unter ihnen waren viele Kommunist_<br />
innen, <strong>die</strong> sich den In ter nationalen<br />
Bri gaden an schlossen oder den antifaschistischen<br />
Kampf <strong>auf</strong> andere Weise<br />
unterstützten. Nach der militärischen<br />
Niederlage der spanischen Republik<br />
spielten insbesondere <strong>Frauen</strong> eine sehr<br />
wichtige Rolle im Widerstand. Einige<br />
schlossen sich dem bewaffneten Kampf<br />
der Partisan_innen an, viele arbeiteten<br />
im Un ter grund und in äußerst ge fährlichen<br />
Kontaktfunktionen zwi schen<br />
kämpfender Front und klan de stinen<br />
Ver sor gungs netzwerken. Ähn liches<br />
gilt für den Groß teil der faschistisch<br />
besetzten Ge biete.<br />
Vorhandene Statistiken vermitteln nur<br />
ein unvollständiges Bild der Beteiligung<br />
von <strong>Frauen</strong> in widerständischen Bewegungen.<br />
Ihr Anteil wird <strong>auf</strong> etwa<br />
20 Prozent geschätzt, wobei hier nur<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> erfasst wurden, <strong>die</strong> einer<br />
straf rechtlichen Verfolgung oder sonstiger<br />
Kontrollen ausgesetzt waren.<br />
Die Mitarbeit und Solidarität vieler<br />
Unbekannter ist nicht <strong>auf</strong>genommen.<br />
<strong>Frauen</strong> in der NS- Ideologie<br />
Das <strong>Frauen</strong>bild im Nationalsozialismus<br />
wurde fast ausschließlich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Mutterrolle<br />
reduziert. Man versuchte, den<br />
<strong>Frauen</strong> <strong>die</strong> traditionelle Rolle näher<br />
zu bringen, indem <strong>die</strong>se verklärt und<br />
ideologisch überhöht wurde: „Denn<br />
gerade ihr Muttertum, <strong>die</strong> Fähigkeit zur<br />
Mutterschaft ist es, was eine Frau dem<br />
Manne gleichberechtigt und überlegen<br />
macht“.<br />
Die Frau galt als ein naturbestimmtes<br />
Wesen, ihre Welt sollte „<strong>die</strong> Familie,<br />
ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim“ sein,<br />
so der Beschluss <strong>auf</strong> dem NSDAP-<br />
Partei tag 1936. In der Propaganda der<br />
Na tionalsozialisten war der einzige<br />
Existenzgrund der Frau der, als sorgende<br />
und liebevolle Mutter <strong>die</strong> zukünftige<br />
„arische“ Generation zu gebären: „Die<br />
Frau hat <strong>die</strong> Aufgabe, schön zu sein und<br />
Kinder zur Welt zu bringen. Dafür sorgt<br />
der Mann für <strong>die</strong> Nahrung und wehrt den<br />
Feind ab.“<br />
Positive Anreize wie steuerliche<br />
Begünstigungen und das Mutterkreuz<br />
(ab vier Kindern erhielten <strong>die</strong> Mütter<br />
das bron zene, ab sechs Kindern das silberne<br />
und ab acht Kindern das goldene<br />
Mutter kreuz) wurden ge schaffen.<br />
Gleichzeitig sollten <strong>die</strong> Kinder nach<br />
nationalsozialistischer Ge sinnung<br />
<strong>auf</strong>gezogen werden, wofür eine Pro <br />
fessionalisierung der Tätig keiten als<br />
Haus frau und Mutter für <strong>die</strong> Frau en
22 <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />
an gestrebt wurde. Die <strong>Frauen</strong> organisationen,<br />
in denen sich einige der<br />
bürgerlichen <strong>Frauen</strong>vereine organisiert<br />
hatten, übernahmen deshalb sowohl <strong>die</strong><br />
Mütterschulung als auch <strong>die</strong> Förderung<br />
und Pflege der „völkisch-rassischen<br />
Gesundheit” als zentrales Aufgabenfeld.<br />
Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter<br />
partei (NSDAP) war in Wahl ihrer<br />
Symbolik und ihres mar tialischen Auftretens<br />
stark <strong>auf</strong> Männer aus ge richtet.<br />
Die NS-<strong>Frauen</strong> schaft und das Deutsche<br />
<strong>Frauen</strong>werk unter Reichs frauen führerin<br />
Gertrud Scholtz-Klink waren <strong>die</strong> einzigen<br />
zu gelassenen Organisationen.<br />
Nachwuchsorganisation für <strong>die</strong> Indok<br />
trinierung der heran wachsenden<br />
Mädchen war der Bund Deutscher<br />
Mädel (BDM).<br />
„Das Eindringen der Frau in <strong>die</strong><br />
Welt des Mannes“ wurde als eine<br />
Fehlentwicklung gesehen, „<strong>die</strong> im Inter<br />
esse der Frau wieder rückgängig<br />
gemacht werden musste“. <strong>Frauen</strong><br />
wurde systematisch klar gemacht, dass<br />
sie <strong>auf</strong>grund bio lo gischer Defi zite keine<br />
Lohn arbeit machen könnten, viele<br />
bereits be rufs tä tige Frau en wur den<br />
un ter dem Vor wand des „Dop pel ver<strong>die</strong>ner<br />
tums“ aus dem Ar beits leben verdrängt.<br />
Jedoch wurden <strong>die</strong> anfänglichen<br />
Dis kriminierungsmaßnahmen und<br />
Ein schränk ungen der Berufstätigkeit<br />
von <strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong>grund des Arbeitskräftemangels<br />
bei Voranschreiten des<br />
Krieges teilweise <strong>auf</strong>gehoben und <strong>die</strong><br />
<strong>Frauen</strong> in Rüstungsfabriken sowie „an<br />
der Heimatfront“ eingesetzt.<br />
Den <strong>Frauen</strong> wurde ihr Recht <strong>auf</strong> Selbstbestimmung<br />
über ihren eigenen Körper<br />
systematisch abgesprochen: während<br />
der Eingriff zum Abbrechen einer<br />
Schwangerschaft für „arische“ <strong>Frauen</strong><br />
mit langen Gefängnis<strong>auf</strong>enthalten<br />
oder der Todesstrafe geahndet wurde,<br />
wurde an vielen anderen <strong>Frauen</strong><br />
eine Praxis der Zwangssterilisationen<br />
aus „rassenhygienischen“ und medizinischen<br />
Gründen durchgeführt.<br />
DOLORES IBARRURI (1895-1989)<br />
„La Pasionaria“<br />
„Alle meine Verwandten, Kastilier<br />
und Basken, waren Bergarbeiter. [...]<br />
Bergleute waren meine Brüder, und<br />
Bergmann war auch mein Mann.“<br />
Dolores Ibárruri wurde 1895 in dem<br />
baskischen Dorf Gallarta in eine<br />
katholische Bergarbeiterfamilie gebo<br />
ren. Wie viele andere spanische<br />
Arbeiter familien litt auch ihre unter den<br />
schlech ten Lebensbedingungen, sodass<br />
sie bereits im Alter von 15 Jahren <strong>die</strong><br />
Schule verlassen musste und später vier<br />
ihrer sechs Kinder früh starben. 1915<br />
hei ratete sie den kommunistischen<br />
Berg arbeiter Julián Ruiz, welcher für<br />
seine politische Aktivität während des<br />
Generalstreiks 1917 verhaftet wurde.<br />
La Pasionaria begann, alles, was ihr an<br />
marxistischer Literatur in <strong>die</strong> Hände<br />
fiel, zu lesen, sich vom Katholizismus<br />
abzuwenden und trat 1920 der<br />
Kommunistischen Partei Spaniens<br />
(PCE) bei.<br />
Sie erkannte <strong>die</strong> Notwendigkeit, ge gen<br />
<strong>die</strong> Aus beutung und Unter drüc kung im<br />
Ka pita lis mus <strong>auf</strong> Sei ten der Aus ge beu
<strong>Frauen</strong> im Widerstand 23<br />
teten und Un ter drück ten zu kämpfen.<br />
Im L<strong>auf</strong>e der Zeit, trotz (oder auch<br />
wegen) vieler Gefängnis<strong>auf</strong>enthalte<br />
und Ver haftungen, wurde sie zu einer<br />
der wichtigsten Personen im Kampf<br />
für den Kommunismus und gegen<br />
den Faschismus: Sie arbeitete als<br />
Redakteurin bei der Arbeiterzeitschrift<br />
Mundo Obrero, nahm <strong>die</strong> Pro pa gan daarbeit<br />
für <strong>die</strong> Partei in <strong>die</strong> Hand, wurde<br />
schließlich 1932 Mitglied des Politbüros<br />
und 1933 eine der Verantwortlichen<br />
des <strong>Frauen</strong>komitees gegen Krieg und<br />
Faschismus:<br />
„Diese <strong>Frauen</strong> waren fest entschlossen,<br />
gegen <strong>die</strong> sich in unserem Land immer<br />
mehr zuspitzende und sichtbar Gestalt<br />
annehmende Gefahr der Reaktion<br />
und des Faschismus den Kampf<br />
<strong>auf</strong>zunehmen“.<br />
Ebenfalls 1933 wurde sie ins spanische<br />
Ab ge ordnetenhaus gewählt und setzte<br />
sich dort unter anderem für <strong>die</strong> Verbesserung<br />
der <strong>Frauen</strong>rechte ein. Im<br />
selben Jahr wurde sie von der Partei<br />
zur Komintern delegiert und reiste nach<br />
Moskau.<br />
In der Zeit des Spanischen Bürger kriegs<br />
unterstützte sie <strong>die</strong> re pub likanischen<br />
Truppen gegen <strong>die</strong> Fa schis ten unter<br />
Franco und gehörte als Kom intern-Delegierte<br />
zu den Haupt verantwortlichen<br />
für <strong>die</strong> Aufstellung und Koordinierung<br />
der Internationalen Brigaden. Sie<br />
besuchte <strong>die</strong>se an der Front, um sie<br />
moralisch zu unterstützten, sie hielt<br />
Reden im Radio, um an <strong>die</strong> „Völker<br />
Amerikas und <strong>die</strong> Werktätigen Europas“<br />
zu appellieren, in den Kampf<br />
gegen den Faschismus zu ziehen und<br />
<strong>die</strong> Hauptstadt Madrid zu verteidigen.<br />
Ihr Ausruf „NO PASARAN“ wurde zum<br />
Schlachtruf aller Verteidiger Madrids<br />
gegen den spanischen Faschismus.<br />
1939, kurz vor dem Zusammenbruch<br />
des republikanischen Widerstands floh<br />
sie in <strong>die</strong> Sowjetunion und vertrat dort<br />
<strong>die</strong> PCE im Exil. Zahlreiche spanische<br />
Flüchtlinge traten der Roten Armee bei,<br />
so auch La Pasionarias Sohn Ruben; er<br />
fiel 1942 bei der Schlacht um Stalingrad.<br />
Sie selbst hörte nie <strong>auf</strong> politisch aktiv<br />
zu sein, kehrte 1977 (zwei Jahre nach<br />
Francos Tod) nach Spanien <strong>zurück</strong> und<br />
wurde dort, trotz ihres hohen Alters,<br />
erneut als Abgeordnete ins spanische<br />
Parlament gewählt.<br />
Bis heute erinnert ihr Name an einen<br />
mutigen und entschlossenen Kampf<br />
gegen den Faschismus, ohne Scheu vor<br />
Repression und Zensur.<br />
In <strong>die</strong>sem Sinne: ¡NO PASARAN!<br />
Der Faschismus darf nie wieder durchkommen!<br />
LILO HERRMANN (1909-1938)<br />
„Das Hauptproblem ist der Kampf um<br />
<strong>die</strong> An erkennung und Achtung des<br />
Men schen und im besonderen der<br />
Frau und ihrer Erhebung vom Ding zum<br />
Menschen.“ 1<br />
1 Lilo Herrmann in ihrem Abiturs<strong>auf</strong>satz über<br />
Hebbels Drama „Herodes und Mariamne“,<br />
Vik toria Luise-Schule Berlin-Wilmersdorf,
24 <strong>Frauen</strong> im Widerstand<br />
„Wenn ich über das mir bekannte Ziel<br />
des Kommunismus befragt werde,<br />
dann kann ich <strong>die</strong>s in einem Satz<br />
ausdrücken, und der heißt: das größte<br />
Glück der größten Menge ... Wenn ich<br />
weiter gefragt werde, wie ich mir den<br />
Weg zu <strong>die</strong> sem Ziel vorgestellt habe,<br />
dann antworte ich dar<strong>auf</strong>: Durch Überzeugung<br />
der Massen und Schaffung<br />
einer Mehrheit für den Kommunismus.“ 2<br />
Am 23.6.1909 Berlin geboren, im bür gerlich-liberalen<br />
Sinn erzogen, geprägt von<br />
dem als Kind erlebten Erstem Weltkrieg,<br />
engagierte Lise lotte (Lilo) Herrmann sich<br />
zuerst im „So zialistischen Schülerbund“.<br />
Ab 1929 stu <strong>die</strong>rte sie vier Semester<br />
Che mie an der TH Stuttgart, danach<br />
Bio logie an der Berliner Universität, und<br />
schloss sich dem KJVD, der „Ro ten Studentengruppe“<br />
und 1931 der KPD an.<br />
Die damaligen Unis waren von rechtsstehenden,<br />
oft auch antisemitisch <strong>auf</strong>tretenden<br />
Stu<strong>die</strong>renden dominiert.<br />
Lilo war der Polizei damals „als rührige<br />
Kommunistin aktenmäßig bekannt“;<br />
sie habe sich „durch Plakatankleben,<br />
Bro schü ren verk<strong>auf</strong> und andere<br />
Propaganda rege betätigt“ und<br />
„öfters ein fre ches und anmaßendes<br />
Benehmen an den Tag gelegt.”<br />
Am 11.6.1933 wurde sie in Berlin vom<br />
Studium ausgeschlossen. Sie schlug sich<br />
als Kinderpflegerin durch und gliederte<br />
sich in den illegalen kommunistischen<br />
Widerstand gegen <strong>die</strong> Nazis ein. Im Mai<br />
1934 wurde ihr Sohn Walter geboren.<br />
Sein Vater war der Stuttgarter KPD-<br />
Funktionär Fritz Rau, der im Untergrund<br />
in Berlin tätig war; er war im Herbst<br />
1933 gefasst und im Dezember 1933<br />
im Moabiter Gefängnis totgeschlagen<br />
worden. Seinen Namen gab <strong>die</strong> junge<br />
Mutter weder ihren Eltern noch den<br />
Freundinnen und Genoss_innen preis.<br />
Mit dem Baby zog sie im September<br />
1934 zu ihren Eltern nach Stuttgart.<br />
2 Aussage von Liselotte Herrmann laut Ver hörprotokoll<br />
der Stutt garter Gestapo am 7.2.1936<br />
Unter der Fassade der unscheinbaren<br />
Tätigkeit als Stenotypistin im Büro des<br />
Vaters, <strong>die</strong> ihr Reisen in <strong>die</strong> Schweiz<br />
ermöglichte, nahm sie erneut Kontakt<br />
zum kommunistischen Widerstand<br />
<strong>auf</strong>. Sie erfüllte Aufgaben für den<br />
KPD-Bezirksleiter Stefan Lovász und<br />
zugleich für den kommunistischen<br />
Nachrichtenapparat, der Beweise für <strong>die</strong><br />
Produktion von Kriegsflugzeugen und<br />
andere Kriegsvorbereitungen suchte,<br />
um sie im Ausland zu veröffentlichen.<br />
Nachdem Lovász durch Hinweise der<br />
Polizeispitzel Eugen und Alfons Wicker<br />
in <strong>die</strong> Hände der Gestapo gefallen<br />
war, wurde Lilo am 7.12.1935 in der<br />
Wohnung ihrer Eltern verhaftet. Zum<br />
Verhängnis wurde ihr der Plan einer<br />
unterirdischen Munitionsfabrik, den<br />
ihr der gleichzeitig verhaftete Leiter des<br />
KPD-Nachrichtenapparats Josef Steidle<br />
zur Weiterleitung übergeben hatte.<br />
Die Verhörprotokolle belegen: Lilo<br />
hat sich in der Haft, getrennt von<br />
ihrem geliebten Kind, „standhafter als<br />
mancher Mann neben dir” (Friedrich<br />
Wolf) verhalten, ihre Überzeugung<br />
verteidigt und niemanden belastet<br />
und hineingezogen. Vom 8.-12.6.1937<br />
stand sie zusammen mit Lovász,<br />
Steidle, dem Schlosser Artur Göritz von<br />
den Dornier-Werken Friedrichshafen<br />
und dem Stuttgarter Kommunisten<br />
Alfred Grözinger in Stuttgart vor dem<br />
2. Senat des „Volksgerichtshofs“. Nur<br />
Grö zinger überlebte im Zuchthaus<br />
und KZ. Herrmann, Göritz und Steidle<br />
wurden wegen „Landesverrats“ zum<br />
Tod verurteilt, obgleich ein Offizier<br />
bestätigte, dass <strong>die</strong> gefundenen Unterlagen<br />
nicht als geheim eingestuft<br />
waren. Auch bei Lovász – einem Vater<br />
von vier Töchtern von 6 bis 13 Jahren<br />
– wurde wegen „Hochverrats unter erschwerenden<br />
Bedingungen” <strong>die</strong> Todesstrafe<br />
verhängt.<br />
Eine Solidaritäts- und Protestkampagne<br />
in meh reren eu ropäischen Ländern<br />
ver such te <strong>die</strong> Voll streckungen zu ver
<strong>Frauen</strong> im Widerstand 25<br />
hin dern und prangerte <strong>die</strong> Barbarei<br />
Na zi deutschlands an. Erstmals drohte<br />
dort einer Frau und Mutter wegen<br />
einer Handlung des politischen Widerstandes<br />
<strong>die</strong> Hin richtung. Doch ver geblich<br />
– in den frühen Morgen stun den<br />
des 20.6.1938 wurden sie in Berlin-<br />
Plötzensee enthauptet. Die Leichen der<br />
Hingerichteten wurden der Anatomie<br />
übergeben; nirgendwo sind sie<br />
beigesetzt.<br />
Vier Monate später zerstückelte das<br />
von Hitler erpresste Münchner Abkom<br />
men <strong>die</strong> Tschechoslowakei, kein<br />
Jahr später erfolgte der deutsche Überfall<br />
<strong>auf</strong> Polen. Erkennbar sollte an den<br />
Anti faschist_innen, <strong>die</strong> vor Hitlers Vorbereitung<br />
eines Angriffskriegs gewarnt<br />
hatten, ein Exempel statuiert werden.<br />
An Lilo erinnern in Stuttgart seit 1988<br />
ein von An fang an angefeindeter Gedenk<br />
stein neben der Uni (mit dem<br />
<strong>die</strong>se bis heute nichts zu tun haben<br />
will) und seit 2008 ein „Stolperstein“<br />
vor ihrem letzten Wohnhaus in der<br />
Hölderlinstraße 22. Das Linke Zentrum<br />
in Stuttgart-Heslach ist seit 2010 nach<br />
der Antifaschistin benannt.<br />
„Dass Hitler zum Krieg führt!<br />
Das war <strong>die</strong> Überzeugung von Lilo<br />
Herrmann, und darin hatte sie doch<br />
recht! Diesen Krieg verhindern zu<br />
helfen, dafür setzte sie ihr Leben<br />
ein, und deshalb ist ihr Verhalten<br />
vorbildhaft, auch für heutige Studenten<br />
und Professoren.“ 3<br />
3 Prof. Dr. Günther Goes, Leserbrief im „Stuttgar<br />
ter Uni-Kurier“ Nr. 38 , erschienen 1989<br />
MARYAM FIROUZ (1914-2008)<br />
Maryam Firouz wurde 1914 in<br />
Kermanshah (Iran) als Prinzessin Ma ryam<br />
Farman Farmayan geboren. Ihren<br />
aristokratischen Familiennamen Farman<br />
Farmayan legte sie ab, da er ihrer<br />
Meinung nach nicht mit ihrer politischen<br />
Einstellung vereinbar war. Stattdessen<br />
nahm sie den Namen ihres Großvaters<br />
Firouz an. Bekannt werden sollte sie<br />
später auch unter <strong>die</strong>sem Namen.<br />
Maryam Firouz besuchte <strong>die</strong> fran zösische<br />
Schule in Te heran und hei ra tete<br />
im Alter von 16 Jahren Abasali Es fandiari,<br />
einen Aris to kra ten und Gra duierten<br />
der fran zö sischen Mi li tär akademie.<br />
Das Paar bekam zwei Töchter:<br />
Afsaneh und Afsar. Nach zehn Jahren<br />
wur de <strong>die</strong> Ehe geschieden.<br />
In den frühen 1940er-Jahren politisierte<br />
sich Maryam Firouz und wandte sich<br />
– zum Missfallen des Großteils ihrer Familie<br />
– dem Marx ismus zu. Sie trat der<br />
1941 ge gründeten Tudeh-Partei bei, was<br />
ihr in den iran ischen Me<strong>die</strong>n den Beinamen<br />
„Rote Prinzessin“ einbrachte.
26 Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe<br />
Wenig später heiratete sie den<br />
Kommunisten Nou reddin Kianouri,<br />
welcher 1945 Mit glied des<br />
Zentralkomitees der Tudeh-Partei<br />
wurde. Maryam Firouz kämpfte un terdessen<br />
für <strong>die</strong> Gleich stel lung der <strong>Frauen</strong><br />
in der Partei und wurde Mit be gründerin<br />
der Tudeh Women’s Or ga nisation.<br />
Außerdem unterhielt sie Kontakte zu<br />
linksgerichteten Mit glie dern der Armee<br />
wie bei spiels weise zu Khos row Rousbeh<br />
und konnte so ein in for melles Netzwerk<br />
der Tudeh in ner halb der Armee<br />
<strong>auf</strong>bauen. Auch an der Ver treibung des<br />
Schahs infolge der Revo lution von 1953<br />
soll Maryam Firouz maß geb lich beteiligt<br />
gewesen sein.<br />
Im August desselben Jahres konnte<br />
der Schah jedoch <strong>zurück</strong>kehren, <strong>die</strong><br />
Tu deh Par tei wurde verboten und Maryam<br />
Firouz und ihr Mann mussten<br />
un ter tauchen. Nach drei Jahren im<br />
Untergrund gingen <strong>die</strong> beiden ins Exil in<br />
<strong>die</strong> Deutsche Demokratische Republik.<br />
Maryam Firouz setzte ihre politische<br />
Arbeit, so gut es ging, mit anderen<br />
Exilantinnen fort und arbeitete an den<br />
Universitäten in Leipzig und Ost-Berlin<br />
als Lektorin. Währenddessen wurden<br />
im Iran in ihrer Abwesenheit zwei Urteile<br />
ge sprochen: Das erste verurteilte<br />
sie zu fünf Jahren Arbeitslager, das<br />
zweite lebenslänglich.<br />
Eine Rückkehr in den Iran war erst<br />
1979 nach der islamischen Revolution<br />
möglich. Noureddin Kianouri wurde<br />
Generalsekretär und Maryam Firouz<br />
stand an der Spitze der Iran Democratic<br />
Women’s Organisation. Bald schon<br />
geriet <strong>die</strong> Tudeh-Partei in Ungnade<br />
und 1983 wurden Firouz und Kianouri<br />
verhaftet. Ihnen wurde Spionage für <strong>die</strong><br />
Sowjetunion vorgeworfen. Kurz dar<strong>auf</strong><br />
wurde <strong>die</strong> Tudeh-Partei verboten und<br />
viele ihrer Mitglieder exekutiert. Firouz<br />
saß in Isolationshaft, wurde jedoch<br />
<strong>auf</strong>grund von Krankheit entlassen und<br />
lebte von nun an unter Hausarrest bei<br />
ihrer Tochter Afsaneh.<br />
Ein Jahr später wurde auch Kianouri<br />
unter der Bedingung, sich nie mehr öffent<br />
lich zu äußern, frei gelassen.<br />
In einem offenen Brief an Aya tollah<br />
Kho meini beklagte er <strong>die</strong> Miss handlungen<br />
und Folter, welche er und seine<br />
Frau während ihrer Haftzeit ertragen<br />
mussten.<br />
Maryam Firouz verlor nie ihr Interesse<br />
an der Politik und vor allem nicht am<br />
Kampf für <strong>die</strong> Rechte der (iranischen)<br />
<strong>Frauen</strong>, jedoch war sie <strong>auf</strong>grund ihres<br />
Hausarrests in ihrem Handeln stark<br />
eingeschränkt. Sie starb am 23. März<br />
2008 in Teheran.<br />
Internationale <strong>Frauen</strong>kämpfe<br />
Proletarierinnen aller Länder,<br />
ver ei nigt euch!<br />
Neben den Bewegungen in Deutschland<br />
kämp ften <strong>Frauen</strong> aus so zialistischen<br />
und kom mu nistischen Zusam<br />
men hängen auch in anderen<br />
Län dern un ermüd lich für eine an dere<br />
Ge sell schafts form, gegen Patriarchat,<br />
Aus beu tung und Unter drückung. Immer<br />
wieder versuchten revolutionäre<br />
Frau en, Struk turen <strong>auf</strong> zu bauen oder<br />
sich in den ge mein samen Ver bän den<br />
der Arbeiter_innenschaft eigene Be tä tigungs<br />
felder zu schaffen.<br />
Die Kommunistische Inter nationale<br />
(Kom in tern), auch III. Internationale ge <br />
nannt, wurde 1919 gegründet. Auf dem<br />
I. Welt kon gress vom 2. bis 6. März 1919<br />
in Mos kau waren 51 De le gierte aus<br />
29 Ländern anwesend. Der Gründung<br />
vorausgegangen wa ren <strong>die</strong> Erfahrungen<br />
des Ersten Welt kriegs und <strong>die</strong> dar<strong>auf</strong><br />
folgenden Ent wick lungen, wie der Sturz<br />
der Habs burgermonarchie in Österreich,<br />
<strong>die</strong> No vem ber revolution von 1918 in<br />
Deutsch land und <strong>die</strong> Mas sen streiks in<br />
Eu ropa und Ame rika. Die Komintern<br />
wurde gegründet als weltweite,<br />
proletarische Organisationsstruktur, <strong>die</strong>
Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe 27<br />
im Falle einer Re vo lution <strong>die</strong> Ko or dination<br />
und Lei tung über neh men sollte.<br />
Innerhalb der Komintern wurden<br />
Frau en fragen bald zu ei nem wichtigen<br />
Thema. Es wurden Mö glichkeiten<br />
gesucht, internationale <strong>Frauen</strong>be<br />
wegungen als Teil der sozial en<br />
Kämpfe welt weit zu stärken und Anl<strong>auf</strong><br />
stellen für politisch or gani sierte<br />
und revo lutio näre <strong>Frauen</strong> in den beteil<br />
igten Län dern zu schaffen. Das Inter<br />
nationale <strong>Frauen</strong> sekretariat (IFS)<br />
stel lte eine der ersten so ge nannten<br />
„Inter nationalen Zentral leitungen“ der<br />
<strong>Frauen</strong>arbeit der Komintern dar, <strong>die</strong><br />
im L<strong>auf</strong>e der Zwanziger Jahre als Massenorganisationen<br />
für einen weiteren<br />
Kreis von Genossinnen ausgebaut<br />
wurde. 2<br />
Als „internationalistische <strong>Frauen</strong> avant <br />
garde“ 3 sind viele der da mali gen<br />
<strong>Frauen</strong> rechtler innen heu te in Verges<br />
sen heit ge raten: <strong>die</strong> eng lisch-australische<br />
Sozialistin Dora Montefiore,<br />
<strong>die</strong> fran zösischen Leh rer innen Marthe<br />
Bigot und Lucie Colliard, <strong>die</strong> Finnin<br />
Hanna Malm, um nur einige zu nennen.<br />
Bekannter sind <strong>die</strong> besonders<br />
seit den 30er Jahren aktiven <strong>Frauen</strong><br />
wie <strong>die</strong> Baskin Dolores „La Pasionária“<br />
Ibárruri, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> sozialistische Er in nerungsliteratur<br />
einging, oder <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong><br />
aus Kunst und Literatur, dem Exil und<br />
dem antifaschistischen Widerstand, wie<br />
Tina Modotti oder Olga Benario.<br />
1933 wurde <strong>die</strong> KPD (dann auch <strong>die</strong><br />
SPD) verboten, womit <strong>die</strong> stärkste<br />
Sektion der Komintern außerhalb der<br />
Sowjetunion – <strong>die</strong> der deutschen KP<br />
– zerschlagen wurde. Auch <strong>die</strong> Arbeit<br />
des Internationalen <strong>Frauen</strong>sekretariats<br />
wurde durch eine Zunahme parteilichbürokratischer<br />
Mechanismen und<br />
verschiedener Angleichungsprozesse<br />
2 The International Newletter of Communist<br />
Stu<strong>die</strong>s Online XIII (2007), no 20. unter http://<br />
www.mzes.uni-mannheim.de/projekte/incs/<br />
home/data/pdf/INCS_20_ONLINE.pdf<br />
3 ebenda<br />
erheblich ein geschränkt.<br />
Die Kommunistische Internationale<br />
existierte bis 1943, dann löste sie<br />
sich <strong>auf</strong>. Die Verbindungen zwischen<br />
einzelnen Sektionen blieben jedoch<br />
bestehen. 4<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg strebte<br />
der organisierte <strong>Frauen</strong>kampf rasch<br />
wieder eine internationale Dimension<br />
an. Neben der schon älteren Anti-<br />
Sklaverei-Bewegung und der<br />
international organisierten Arbeiter_<br />
innenschaft wurde der Feminismus<br />
eine moderne Reformbewegung,<br />
<strong>die</strong> klar <strong>auf</strong> eine Überwindung von<br />
nationalen und kulturellen Grenzen<br />
hin orientiert war.<br />
Die internationale Emanzipationsbe<br />
we gung entwickelte sich sehr ungleichmäßig,<br />
in räumlicher als auch in<br />
organisatorischer Hinsicht. Für viele<br />
Kämpferinnen weltweit aber galt und<br />
gilt noch heute in Grundzügen, was<br />
Alicia Reyes, Aktivistin und Journalistin<br />
von Radio Progreso in Honduras in<br />
einem Artikel – direkt nach dem Mi litär<br />
putsch 2009 – an Erkenntnissen festhält:<br />
„Die Mehrheit der <strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> sich in den<br />
Straßen dem Putsch entgegenstellen,<br />
hat keine formale feministische<br />
Bildung, aber sie haben Meister- und<br />
Doktorentitel in der Universität des<br />
Lebens. Sie erklären, dass sie am<br />
Widerstand teilnehmen, weil sie der<br />
Ungerechtigkeit, der Gewalttätigkeit,<br />
der Ausbeutung, der Armut und der<br />
Arbeitslosigkeit überdrüssig sind.<br />
Sie sind es leid, dass sich eine kleine<br />
Minderheit den Reichtum unter<br />
den Nagel reißt, während <strong>die</strong> große<br />
Mehrheit nichts hat“. 5<br />
4 ebenda<br />
5 Lateinamerika-Nachrichten November 2009
28 Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe<br />
TAMARA BUNKE (1937-1967)<br />
„Ein Kommunist, ein Revolutionär,<br />
muss sich wie ein Kommunist, wie ein<br />
Revolutionär verhalten, egal, wo er<br />
sich befindet, egal, ob in dem Land, in<br />
dem er geboren ist oder irgendwo in<br />
der Fremde; es ist seine Pflicht, sich den<br />
Aufgaben der Revolution zu widmen,<br />
überall!“ [Tania la Guerrillera]<br />
Haydée Tamara Bunke, oder auch<br />
Tania, wie sie von ihren Genoss_innen<br />
im Unter grund und als Guerrillera genannt<br />
wurde, ist ein exemplarisches<br />
Bei spiel für eine Frau, <strong>die</strong> ihr Leben ganz<br />
dem käm pferischen, revo lutionären<br />
Internationalismus gewid met hat. Jedes<br />
Kind in Kuba kennt ihren Na men. Und<br />
je des Kind in Kuba kennt auch <strong>die</strong> Ge <br />
schich te hinter <strong>die</strong>sem Namen. Schulen,<br />
Biblio theken, Kranken stationen, Straßen<br />
und Plätze sind nach <strong>die</strong>ser muti gen<br />
Frau benannt. Ihr Bild hat sei nen fes ten<br />
Platz neben dem von Che Guevara und<br />
den vielen anderen Käm pfer_ innen der<br />
kuba nischen Re vo lution und der Befreiungs<br />
kämpfe des gesamten lateiname<br />
rika nischen Kon ti nents.<br />
Als Tochter deutscher Emigranten, vor<br />
dem Naziterror nach Lateinamerika<br />
geflohen, beide überzeugte Kommunisten,<br />
<strong>die</strong> Mutter zudem jüdisch,<br />
wächst Tamara in Argen tinien <strong>auf</strong>.<br />
1952 entschließt sich <strong>die</strong> Familie nach<br />
Deutsch land <strong>zurück</strong> zu kehren und in<br />
der DDR ein neues Leben zu be gin nen.<br />
Tama ra schließt dort <strong>die</strong> Schu le ab, ist<br />
po li tisch sehr aktiv und be ginnt ein Studium<br />
an der HU Berlin, ihre Sehnsucht<br />
nach Lateinamerika und ihr Interesse an<br />
den sich dort entwickelnden Kämpfen<br />
bleiben jedoch <strong>die</strong> treibende Kräfte<br />
in ihrem Leben. 1960 begegnet sie<br />
Ernesto Che Guevara, Argentinier wie<br />
sie, der nach dem Sieg der kubanischen<br />
Revolution <strong>die</strong> DDR bereist. Im Jahr<br />
dar<strong>auf</strong> geht sie nach Kuba, wo sie<br />
sich an der Uni versität Ha vanna einschreibt,<br />
als Dolmetscherin für <strong>die</strong><br />
Regierung tätig wird, sich den Milizen<br />
und Basis organisationen zur Ver teidigung<br />
der Revo lution an schließt und<br />
bald auch Funktionen für Ministerien<br />
und den Geheim<strong>die</strong>nst übernimmt.<br />
1964 wird Tamara, <strong>die</strong> mittler weile eine<br />
um fassende Kampf aus bil dung er halten<br />
hat, als Agen tin nach Bo li vien geschickt,<br />
um sich dort in <strong>die</strong> Kreise der<br />
Herr schenden ein zu schleusen, wichtige<br />
In for ma tionen über Po litik und<br />
Mili tär zu be schaffen und schließlich<br />
aktiv den be waffneten Kampf vor zubereiten.<br />
Nach dem 1967 ihre Tarnung<br />
<strong>auf</strong>iegt, schließt sie sich der mit kubanischer<br />
Unter stütz ung ins Leben geru<br />
fenen Gue rilla orga nisation ELN an<br />
und beteiligt sich unter widrigsten Beding<br />
ungen an deren Aufbau und ihren<br />
ersten Ope rationen. Im April 1967 muss<br />
sie <strong>auf</strong>grund einer Er krankung in der<br />
Nach hut <strong>zurück</strong> bleiben, <strong>die</strong> bald den<br />
Kon takt zur Haupttruppe um Che Guevara<br />
verliert. Nachdem sie durch einen<br />
Bauern verraten worden ist, gerät <strong>die</strong>se<br />
Nachhut am 31. August 1967 beim<br />
Überqueren des Rio Grande in einen<br />
Hinterhalt des bolivianischen Militärs<br />
und wird dabei vollständig ausgelöscht.<br />
Tamaras Körper wird von der Strömung<br />
erfasst und treibt den Fluss hi nunter.<br />
Sie ben Tage später wird er am U fer <strong>auf</strong>
Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe 29<br />
gespürt und ihr Tod offiziell bekannt gegeben.<br />
Nur wenige Wochen dar<strong>auf</strong> spüren<br />
<strong>die</strong> Re gierungs truppen auch den<br />
Rest der Gruppe <strong>auf</strong> und töten fast alle<br />
Kämpfer. Che Guevara gerät dabei in<br />
Ge fangen schaft und wird am Folge tag<br />
ohne Gerichts ver hand lung exe kutiert.<br />
An den <strong>Aktion</strong>en gegen <strong>die</strong> bo livianische<br />
Guerilla sind US-Militärs sowie<br />
Spe zialisten des CIA maß geblich beteiligt.<br />
„Tania ist ein Beispiel für <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong><br />
<strong>auf</strong> der ganzen Welt und hebt <strong>die</strong><br />
besondere Bedeutung hervor, <strong>die</strong> sie im<br />
revolutionären Kampf haben. Auf unserem<br />
Kontinent, <strong>auf</strong> dem noch viele<br />
feudale Strukturen verbleiben und das<br />
Leben der <strong>Frauen</strong> bestimmen, hat sie<br />
es verstanden, <strong>die</strong>se Einschränkungen<br />
zu durch brechen und sich den Platz zu<br />
erkämpfen, den sie in unserer liebevollen<br />
Er innerung innehat.“<br />
[Comandante Inti Peredo, ELN]<br />
Tamara Bunke ist ein Symbol für praktische,<br />
revolu tionäre, internationale<br />
Solidarität, für Mut, Überzeugung und<br />
Opfer bereitschaft. Aber nicht nur das.<br />
Sie ist auch ein Symbol dafür, dass <strong>die</strong><br />
herr schenden Verhältnisse schon in der<br />
revo lutionären Praxis an ge griffen und<br />
um gestürzt werden können, nicht zuletzt<br />
<strong>die</strong> herrschenden Ge schlechter verhältnisse,<br />
und dass <strong>die</strong>se Um stürze nicht <strong>auf</strong><br />
einen unbestimmten Zeit punkt nach der<br />
Revolution verschoben werden dürfen,<br />
sondern in unserer gemein samen<br />
kämpferischen Praxis stetig entwickelt<br />
werden müssen! Dafür steht Tamara<br />
Bunke, und dafür steht sie nicht allein.<br />
Wir erinnern an sie als Stellvertreterin<br />
für <strong>die</strong> unzähligen namenlosen <strong>Frauen</strong><br />
<strong>die</strong> in allen Teilen der Welt unter großen<br />
Opfern und bei Einsatz ihren Lebens<br />
gegen <strong>die</strong> imperialistische Herrschaft<br />
und für <strong>die</strong> Befreiung der Menschen<br />
gekämpft haben.<br />
Hasta la victoria siempre, Tania!<br />
ELISABETH KÄSEMANN<br />
(1947-1977)<br />
„Gelebter Internationalismus“<br />
Geboren am 11. Mai 1947 in Gel senkirchen,<br />
wächst Elisabeth Käse mann<br />
in der Zeit einer starken Stu dentin nenbe<br />
wegung in Deutschland <strong>auf</strong>. Nach<br />
ihrem Abitur 1966 am Wildermuth-<br />
Gymnasium in <strong>Tübingen</strong> beginnt sie<br />
ein Studium der Politik und Soziologie<br />
am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.<br />
Be wusst <strong>die</strong>sen Ort gegenüber den Eltern<br />
als einzig akzeptablen Stu<strong>die</strong>nort<br />
angegeben, schließt sie sich sogleich nach<br />
ihrer Ankunft der sozialistischen Stu dentin<br />
nenbewegung um Rudi Dutschke und<br />
dem SDS an. Zu <strong>die</strong>sem Zeit punkt hatte<br />
sie sich schon länger mit lin ker Theorie<br />
auseinandergesetzt und un ter an derem<br />
den politischen Club an ihrer Schu l e in<br />
Tü bingen organisiert.<br />
Im September 1968 fliegt sie nach Boli<br />
vien, um dort ein Prak tikum in den<br />
Armen vier teln von La Paz im Rah men<br />
ihres Sozio logie-Stu diums zu ab solvieren.<br />
Erschrocken von den Lebensbeding<br />
ungen der Mehr heit der lateiname<br />
rika nischen Be völ kerung be gibt sie
30 Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe<br />
sich im Mai 1969 <strong>auf</strong> ei ne Reise durch<br />
ganz Latein amerika, an deren Ende<br />
<strong>die</strong> ar gen tinische Haupt stadt Bue nos<br />
Aires steht. Sie beginnt dort zu ar beiten<br />
und zu stu <strong>die</strong>ren. Neben dem Studium<br />
der Volks wirt schaft und der Arbeit als<br />
Übersetzerin und Sek re tärin engagiert<br />
sie sich abends bei der gewerk schaftlichen<br />
Bildung der Arbeiterinnen. Leitend<br />
ist für sie dabei <strong>die</strong> Überzeu gung,<br />
dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit der<br />
Arbeiter_innenklasse ein notwendiger<br />
Be stand teil revolu tionärer Praxis darstellt.<br />
Mitte der 70er Jahre wird sie<br />
Mitglied der Organización Comunista<br />
Poder Obrero (Kommunistische Organisation<br />
Arbeitermacht), kurz: Poder<br />
Obrero, welche vor allem in den<br />
Arbeits kämpfen und der theoretischen<br />
Aus bildung der Arbeiter _innen klasse<br />
involviert ist. In dem Gründungs papier<br />
1974 beschließt <strong>die</strong> Poder Obrero,<br />
bestehend aus vielen kleineren revolutionären<br />
kommu nistischen Orga nisationen,<br />
<strong>die</strong> Be waff nung der Ar beiter_<br />
innenklasse voranzutreiben. Zu <strong>die</strong>sem<br />
Zeit punkt, zwei Jahre vor dem Putsch<br />
der Mili tärs um General Jorge Vi dela, ist<br />
<strong>die</strong> kommu nis tische und revo lutionäre<br />
Bewegung schon massiven Re pressionen<br />
ausgesetzt. Elisabeth Käse mann<br />
schreibt im August 1976, fünf Monate<br />
nach der Etablierung der Militär diktatur<br />
(1976-83), an ihre Eltern:<br />
„Die Verhältnisse sind sehr schlecht...<br />
Tausende, von denen man nichts<br />
weiß. Tägl ich werden <strong>die</strong> Kreise enger<br />
gezogen ... Kon zen trations lager überall,<br />
ein Men schen leben ist wenig wert und<br />
man ge wöhnt sich daran, dass überall<br />
im Be kann ten kreis Leute ver schwinden<br />
und man nichts mehr von ihnen hört.“<br />
Trotz der sich zuspitzenden Situation<br />
bleibt sie in Buenos Aires, beteiligt sich<br />
an der Be schaffung von ge fälschten Papie<br />
ren für <strong>die</strong> Flucht von Genos s _innen<br />
und be ginnt als Über bring erin von Nachrich<br />
ten eine wich ti ge Funk tion in den<br />
Kom muni ka tions struk turen des Wi derstands<br />
zu über nehmen.<br />
In der Nacht vom 8./9. März 1977 wird<br />
Eli sabeth Käsemann von mili tä rischen<br />
Ein heiten entführt. Nach an dau ernder<br />
Folter und Ver hör en im Ge heimgefängnis<br />
Campo Palermo wird sie am<br />
18. Mai in das Kon zen trations lager El<br />
Vesubio in der Provinz Bue nos Ai res gebracht.<br />
Dort ver bringt sie knapp eine<br />
Woche, wird am 24. Mai zu sammen<br />
mit 15 wei teren Gefangenen in dem<br />
Ort Monte Grande er schossen und ihre<br />
Leiche in einem Massen grab verscharrt.<br />
Aufgrund der guten wirtschaftlichen<br />
Be zie hung en zur argen ti nischen Mili tärjunta<br />
– welche sich u.a. in den da mals<br />
höch sten Militär krediten für eine lateinamerikanische<br />
Diktatur niederschlägt<br />
– greift <strong>die</strong> deutsche Regierung unter<br />
Helmut Schmidt nicht ein.<br />
Mit ihrem Einsatz für <strong>die</strong> Arbeiter_innenklasse<br />
und deren Wider stand ge gen <strong>die</strong><br />
argen tinische Militär diktatur hat Elisabeth<br />
Käsemann inter nationale Soli darität<br />
gelebt. Wir wollen ihr gedenken und<br />
zeigen, dass praktischer In ter nationalismus<br />
auch in Zukunft integraler Bestandteil<br />
kommunistischer Politik bleiben muss.<br />
Hoch <strong>die</strong> internationale Solidarität!
Internationale <strong>Frauen</strong>kaempfe 31<br />
OLGA BENARIO-PRESTES<br />
(1908-1942)<br />
„Ein Leben für <strong>die</strong> Revolution“<br />
Berlin-Moabit, 11.4. 1928, 8.50 Uhr:<br />
Otto Braun, Kommunist, wegen Hochverrats<br />
seit eineinhalb Jahren in Untersuchungs<br />
haft, wird vom Gefängnis zum<br />
Gerichtsgebäude geführt. Der Gerichtsschreiber<br />
em pfängt ihn mit den Worten:<br />
„Ihre Braut kommt.“ Olga Benario<br />
betritt <strong>die</strong> Sprechzelle, in der Hand hält<br />
sie eine Apfelsine. Braun weiß, was das<br />
bedeutet: Ihm ist zuvor ein Kassiber<br />
zu ge gangen, in dem ihm der Plan zu<br />
seiner Be freiung mit geteilt worden ist;<br />
als Termin ist darin angegeben: Wenn<br />
Olga eine Apfel sine bei sich trägt. Die<br />
Männer im Warteraum, <strong>die</strong> sich als Besucher<br />
ausgeben, sind seine Ge nos sen.<br />
Bevor der Gerichtsschreiber auch nur<br />
Verdacht schöpfen kann, richten sich<br />
Pistolenläufe <strong>auf</strong> seine Brust: „Hände<br />
hoch!“<br />
Wildwest-Pistolen-Szene, so titelt <strong>die</strong><br />
B.Z. in ihrer Mittagsausgabe. Otto und<br />
Olga werden nun steck brieflich gesucht,<br />
Be lohnung: 5000 Mark – weit mehr,<br />
als ein Ber liner Ar beiter in einem Jahr<br />
ver <strong>die</strong>nt, und doch fin det sich keiner,<br />
der sie ver rät. In Neukölln werden <strong>die</strong><br />
Fahn dungs plakate mit breiten Streifen<br />
über klebt, mit dem Aufdruck: Der<br />
größte Schuft im ganzen Land ist und<br />
bleibt der Denunziant! Als bekannt<br />
wird, dass <strong>die</strong> Be freiungs aktion mit ungeladenen<br />
Waffen durchgeführt wurde,<br />
um nie manden zu verletzen, wächst<br />
<strong>die</strong> Sym pathie in allen Kreisen der<br />
Gesell schaft so kräftig an, dass bei den<br />
Reich stagswahlen <strong>die</strong> KPD deutliche<br />
Stimm zu wächse verbuchen kann. Olga<br />
und Otto befinden sich zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />
bereits in Moskau; um sie dem<br />
Zu griff der Polizei zu entziehen, sind<br />
sie als Delegierte zum fünften Weltkongress<br />
der Kommunistischen Jugendinternationale<br />
entsandt worden.<br />
Rio de Janeiro, 27.11. 1935, 3 Uhr: An<br />
der Seite des Revolutionärs Luís Carlos<br />
Prestes wartet Olga <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nach richt<br />
über den Aus gang der ersten Schlacht<br />
gegen <strong>die</strong> Re gierungs truppen des Regimes<br />
unter Getúlio Dor nelles Vargas.<br />
Sie steht neben Prestes, als der Kurier<br />
eintrifft und atemlos ruft: „Verrat!<br />
Wir sind verloren!“ Einer der Revolutions<br />
führer hat in Wahrheit für den<br />
britischen Geheim<strong>die</strong>nst ge arbeitet und<br />
<strong>die</strong> anderen verraten; <strong>auf</strong> den Angriff<br />
vorbereitet, schlagen <strong>die</strong> Re gierungstruppen<br />
<strong>die</strong> Aufständischen innerhalb<br />
von Stunden <strong>zurück</strong>. Nachmittags um<br />
halb drei ist <strong>die</strong> Revolution nieder geschla<br />
gen.<br />
Es folgt eine Verhaftungswelle. Wieder<br />
muss Olga sich verstecken. Am 5. März<br />
1936 wird <strong>die</strong> Wohnung, in der sie sich<br />
mit Prestes versteckt hält, gestürmt.<br />
Indem sie sich mutig vor <strong>die</strong> Gewehre<br />
der Polizisten stellt, verhindert Olga,<br />
dass Prestes erschossen wird. Während<br />
der Verhöre versucht Olga, ihre wahre<br />
Identität zu verbergen, denn als<br />
deutsche Jüdin fürchtet sie <strong>die</strong> Aus lieferung<br />
an <strong>die</strong> Nazis. Es gelingt ihr nicht.<br />
Trotz des Widerstands im Gefängnis und<br />
einer internationalen Kampagne gegen<br />
ihre Auslieferung holt <strong>die</strong> Polizei <strong>die</strong><br />
Hoch schwan gere aus dem Gefängnis
32 Die 70er Jahre bis heute<br />
und bringt sie <strong>auf</strong> einer Trage liegend<br />
<strong>auf</strong> ein deut sches Schiff, das bald in<br />
Rich tung Hamburg ausläuft.<br />
Konzentrationslager Ravensbrück, am<br />
Morgen des 23.4.1942: „Fertigmachen<br />
zum Transport!“ – Der Wagen mit der<br />
schwar zen Plane ist vor gefahren. Die<br />
<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> vom Arzt Friedrich Mennecke<br />
zuvor selektiert worden sind,<br />
werden hinein getrieben, unter ihnen<br />
<strong>die</strong> 34-jährige Olga. Die Um setzung<br />
ihres Flucht plans ist gescheitert, sie<br />
wird zu sammen mit anderen Häftlingen<br />
in <strong>die</strong> „Heil- und Pflegeanstalt“ in Bernburg<br />
gebracht, wo sie im Rahmen der<br />
<strong>Aktion</strong> 14f13 vergast wird. In ihrem<br />
Abschieds brief an Tochter und Mann<br />
heißt es: „Bis zum letzten Augenblick<br />
werde ich mich <strong>auf</strong>recht halten und Lust<br />
am Leben haben.“<br />
Olga Benario-Prestes hat ein Leben<br />
für <strong>die</strong> Revo lution geführt. Sie war<br />
sieb zehn Jahre alt, als <strong>die</strong> Polizei der<br />
Wei marer Republik sie als „kommunistische<br />
Agitatorin“ in ihren Listen<br />
führte, und bis zuletzt führte sie ihren<br />
konsequenten anti faschis tischen Kampf<br />
unter den schlimmsten Bedingungen<br />
in einem faschistischen KZ, wo sie<br />
z.B. Diskussionen über <strong>die</strong> Geschichte<br />
der Arbeiterbewegung und über das<br />
Wesen des Faschismus organisierte.<br />
Bis heute ist sie <strong>die</strong> bekannteste Deutsche<br />
in Brasilien. In der DDR wurde sie<br />
ge liebt und ge achtet. Nach ihr wur den<br />
über 100 Straßen, Schulen, Kindergärten,<br />
Seniorenheime und Kollektive<br />
be nannt, von denen einige heute noch<br />
ihren Namen tragen.<br />
Die “<br />
neuen <strong>Frauen</strong>bewegungen”<br />
DDR und BRD –<br />
zwei Entwicklungen aus <strong>Frauen</strong>sicht<br />
Die Blütezeit der „Kernfamilie“ (Vater-<br />
Mutter-Kind) in der Bundes republik der<br />
50er/60er Jahre machte den Wunsch<br />
nach Ruhe und Ordnung vieler Deutscher<br />
deutlich. Nachdem <strong>die</strong> ver stärkte<br />
Ein bindung der <strong>Frauen</strong> in <strong>die</strong> in dus trielle<br />
Pro duk tion während des Krieges und<br />
den Wieder<strong>auf</strong>bau („Trümmer frauen“)<br />
nach 1945 viele Im pulse für einen Bruch<br />
mit den klas sisch en Geschlechter rollen<br />
ge geben hatte, kehrte man nun zu den<br />
traditionellen Rollen bil dern und Abhäng<br />
igkeits strukturen <strong>zurück</strong>. Ab 1948<br />
war es zu einem Man gel an Arbeitsplät<br />
zen durch <strong>die</strong> Kriegs rück kehrer gekommen,<br />
was <strong>die</strong>se Tendenz noch verstärkte:<br />
natürlich wurden zuerst <strong>Frauen</strong><br />
entlassen. Zudem gab es bis 1958 ein<br />
Gesetz, durch das der Zugang zur Erwerbs<br />
tätig keit für <strong>die</strong> Frau nur unter<br />
Zu stimmung ihres Ehe mannes mög lich<br />
war. Mit dem Babyboom der frühen<br />
60er mani festierte sich das alt bekannte<br />
Modell des Mannes als Fa milien ernährer<br />
und der Frau als Mutter und<br />
Hausfrau.<br />
Ende der 60er brach in den USA im Umfeld<br />
der Student_ innenbewegung und<br />
unter dem Eindruck der Black Power<br />
Be wegung eine neue <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
aus. Rasch entwickelte sich in Europa<br />
ähn liches. Viele <strong>Frauen</strong> in der Bundes<br />
republik, <strong>die</strong> in gemischten linken<br />
Strukturen tätig waren, verabschiedeten<br />
sich davon und gründeten<br />
ihre ei genen, intellektuell geprägten<br />
<strong>Frauen</strong> gruppen.<br />
Das Pri vate wurde politisch: ins Zentrum<br />
gerückt und „enttabuisiert“ wurden<br />
<strong>die</strong> patriarchalen Macht ver hältnisse<br />
in Familie, Haushalt, Arbeitsplatz und<br />
Politik; konkrete und strukturelle Gewalt<br />
von Männern gegen <strong>Frauen</strong>. Der<br />
Zwang zur Hetero se xua lität und <strong>die</strong> he
Die 70er Jahre bis heute 33<br />
tero norma tive – den Zwang zur Norm<br />
machende – Sozialisierung wur den scharf<br />
ange griffen und nach alter nativen Lebensweisen<br />
gesucht. Es ent standen langsam<br />
<strong>Frauen</strong> räume aller Art: <strong>Frauen</strong>häuser,<br />
Biblio theken, Beratungsstellen, Nottelefone<br />
etc. Die <strong>Frauen</strong> kämpften<br />
für ver besserte Arbeitsbedingungen,<br />
Ar beitszeit v erkürzung und Kinderbetreuungsangebote,<br />
<strong>die</strong> zu <strong>die</strong>sem<br />
Zeit punkt in den sozialistischen Nachbar<br />
ländern schon flächen dec kend eingerichtet<br />
waren.<br />
Im Sozialistischen Deutschen Stu denten<br />
bund (SDS) spielten <strong>Frauen</strong> eine<br />
tra gen de Rolle. Sie kämpften oft mals<br />
er bittert gegen <strong>die</strong> Hegemonie und<br />
<strong>die</strong> mangelnde Akzeptanz ihrer männlichen<br />
Ge nos sen, wobei es ei nige Male<br />
zu Eklats kam. Auf der 23. De legiertenkonferenz<br />
des SDS 1968 stellte <strong>die</strong> linke<br />
Studentin Helke Sander das Konzept<br />
des neu gegründeten „<strong>Aktion</strong>srates der<br />
<strong>Frauen</strong>“ dar. Der <strong>Aktion</strong>srat sollte lose<br />
mit dem SDS verbunden sein, sich aber<br />
auch kritisch vor allem zu dominanten<br />
Ver haltens weisen innerhalb des Verbundes<br />
äußern können. Als der Kongress<br />
ohne weitere Diskussion über den<br />
Beschluss hinweggehen und <strong>die</strong> Tagesordnung<br />
fortsetzen wollte, warf <strong>die</strong><br />
Teil nehmerin Sigrid Rüger – angeblich<br />
mit den Worten: „Genosse Krahl! (SDS-<br />
Theo retiker, Anm. Red.) Du bist objektiv<br />
ein Konterrevolutionär und ein Agent<br />
des Klassenfeindes dazu!“ - eine Tomate<br />
nach dem vorsitzenden Gremium. 6<br />
Ulrike Meinhof, damals ebenfalls im SDS<br />
aktiv, bemerkte dazu:<br />
„Die Reaktion der Männer <strong>auf</strong> der Delegierten-Konferenz<br />
und <strong>die</strong> auch der<br />
immer noch wohlwollenden Berichterstatter<br />
zeigte, daß noch erst ganze<br />
Güter züge von Tomaten verfeuert werden<br />
müssen, bis da etwas dämmert.<br />
Die Konsequenz aus Frankfurt kann nur<br />
sein, daß mehr <strong>Frauen</strong> über ihre Pro<br />
6 http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Aktion</strong>srat_<br />
zur_ Be freiung_der_Frau#cite_note-4<br />
Women’s Liberation Movement<br />
1960er Jahre, USA: Rechtlich sind <strong>Frauen</strong><br />
Män nern in zwischen weit gehend<br />
gleichgestellt, doch an ihrer gesellschaftlichen<br />
Unter drückung än dert das<br />
wenig. Selbst in den linken Pro test bewegungen<br />
der 60er Jahre machen <strong>Frauen</strong><br />
– wie andernorts auch – <strong>die</strong> Erfahrung,<br />
dass sie nicht ernst genommen oder in<br />
den Hintergrund gedrängt werden.<br />
Frustriert vom Dominanzverhalten<br />
der Män ner legen sie ihr politisches<br />
Haupt augenmerk <strong>auf</strong> <strong>Frauen</strong>fragen. Als<br />
Ursache für ihre Ungleichbehandlung<br />
identifizieren sie ein patriarchales<br />
System, dessen Unterdrückungs mechanismen<br />
auch vor der Intim sphäre der<br />
Frau nicht halt machen.<br />
Auch im Women´s Liberation Movement<br />
lassen sich eine bürgerliche und eine<br />
radikalere Richtung verorten. Betty Friedans<br />
Publikation Der Weiblichkeitswahn<br />
von 1963 begründet erstere; Shulamith<br />
Firestone dagegen ist als eine der<br />
wichtigsten Vertreterinnen der radikalen<br />
Feministinnen zu nennen.<br />
Gemeinsam ist den beiden Aus prä gungen<br />
<strong>die</strong> Erkenntnis, dass <strong>die</strong> Un terdrückung<br />
der Frau aus einem ge sell schaftlichen<br />
Sys tem resultiert, dass alle Bereiche<br />
umschließt und im Privat bereich<br />
wurzelt. Damit sind auch Erziehung,<br />
Kultur und Sprache von patriarchalen<br />
Unterdrückungs mo menten durch zogen.<br />
Die Wir kungs weise <strong>die</strong>ser Machtinstrumente<br />
muss zunächst durchschaut<br />
werden, um anschließend durch ega litäre<br />
Struk turen ersetzt werden zu können.<br />
So entstehen <strong>die</strong> Gruppen zur weib <br />
lichen Selbst erfahrung, in welchen das<br />
Bewusst sein entsprechend geschult und<br />
sen sibilisiert wird (consciousness raising).<br />
<strong>Frauen</strong> eta blieren eine weibliche Gegenkultur<br />
zur vor herrschenden männ lichen:<br />
Sie gründen autonome Institutionen<br />
und Projekte von <strong>Frauen</strong> für <strong>Frauen</strong> wie<br />
z.B. <strong>Frauen</strong>cafés, <strong>Frauen</strong>buchläden, oder<br />
auch Kliniken speziell für Patientinnen.<br />
Das Recht <strong>auf</strong> körperliche und sexuelle<br />
Selbst bestimmung rückt in den Mittelpunkt<br />
der Debatte. Gewalt an <strong>Frauen</strong> und<br />
Mädchen durch Missbrauch so wie das<br />
Recht <strong>auf</strong> Abtreibung wer den öffentlich<br />
verhandelt. „Das Priv ate ist politisch!“ –<br />
für <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>, deren Körper lichkeit und<br />
Sexua lität bislang an männ liche Be gier
34 Die 70er Jahre bis heute<br />
den geknüpft waren, ist <strong>die</strong>se Erkenntnis<br />
revo lutionär. Die sexuelle Befreiung der<br />
Frau wird zur Voraussetzung für ihre<br />
Selbst ermächtigung. Zu lange war <strong>die</strong><br />
Frau zum Sexual objekt degra<strong>die</strong>rt, ausgebeutet,<br />
und ihre Sexualität re guliert<br />
worden. Nicht zul etzt durch Kate Millets<br />
Schrift Sexus und Herr schaft. Die Ty rannei<br />
des Man nes in unserer Gesell schaft wird<br />
der Ge danke, allein der sexuelle Akt stelle<br />
eine asym met rische Macht beziehung<br />
zwis chen Frau und Mann her, verbreitet.<br />
Afro Ame rikaner innen und La tinas, deren<br />
Mehr fach dis krimi nierung <strong>auf</strong> grund<br />
von Ge schlecht und Ethni zität bis lang<br />
weder in dem von Män nern domi niertem<br />
Civil Rights Move ment noch in der<br />
von weißen <strong>Frauen</strong> domi nierten feministischen<br />
Be we gung Be achtung findet,<br />
gründen 1970 <strong>die</strong> „Third World Women´s<br />
Alliance“.<br />
Als „feminists of color“ thematisieren sie<br />
<strong>die</strong> Wechselwirkungen verschiedener<br />
Unterdrückungsformen <strong>auf</strong>grund solch<br />
identitätsstiftend wirkender Kategorien<br />
wie Geschlecht, Klasse, Ethnizität und<br />
sexuelle Orientierung. Dabei weiten sie<br />
<strong>die</strong> Forderung nach Gleichberechtigung<br />
von Frau und Mann <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Abschaffung<br />
jeglicher Hierarchien hin aus. Feminismus<br />
ist damit längst von der Forderung<br />
nach einer Revo lution der Be ziehung en<br />
zwischen den Geschlechtern zur Forderung<br />
nach einer Neu gestaltung der<br />
Gesell schaft <strong>auf</strong> allen Be reichen über gegangen.<br />
bleme nachdenken, sich organisieren,<br />
ihre Sache <strong>auf</strong>arbeiten und formulieren<br />
lernen und dabei von ihren Männern<br />
erstmal nichts anderes verlangen, als<br />
daß sie sie in <strong>die</strong>ser Sache in Ruhe lassen<br />
und ihre tomatenverkleckerten Hemden<br />
mal alleine waschen, vielleicht weil sie<br />
gerade <strong>Aktion</strong>sratssitzung zur Befreiung<br />
der Frau hat.“ 7<br />
Wie viele andere Themenfelder war<br />
also auch <strong>die</strong> Frage der Männerbeteiligung<br />
an Ak tionen und Demos<br />
um kämpft und führte zu Brüchen innerhalb<br />
der Bewegung. Emanzi patorische<br />
Bewe gunge n er kannten jedoch mit der<br />
Zeit <strong>die</strong> Be deutung des gemein samen<br />
Kam pfes wieder.<br />
Mit den Jahren verwandelten sich <strong>die</strong><br />
erkämpften Räume zu staatlicher Infrastruktur,<br />
viele For derung en wurden<br />
vom Main stream <strong>auf</strong>genommen.<br />
Zeitgleich erhielten <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> in der<br />
DDR be sondere Auf merksam keit, ihre<br />
Stellung im politischen und wirt schaftlichen<br />
Leben der Repu blik wurde stetig<br />
verbessert und <strong>die</strong> gesetz lichen Grundlagen<br />
ausgeweitet. Die DDR übernahm<br />
<strong>die</strong> Forderungen der marxistischen<br />
Theo retiker _innen hin sichtlich Be deutung<br />
und Mög lich keiten der <strong>Frauen</strong>eman<br />
zipa tion und verwir klich te viele<br />
davon.<br />
1950 wurde ein Gesetz „über den Mutter-<br />
und Kin der schutz und <strong>die</strong> Rechte der<br />
Frau“ 8 ver ab schiedet, wo nach sichergestellt<br />
wurde, dass „<strong>die</strong> Eheschließung<br />
[…] für <strong>die</strong> Frau keine Einschränkung<br />
oder Schmälerung ihrer Rechte zur<br />
Folge“ haben und <strong>Frauen</strong> nicht daran<br />
ge hin dert würden, einen Beruf ihr er<br />
Wahl auszuüben.<br />
7 Meinhof, Ulrike: Die <strong>Frauen</strong> im SDS oder In<br />
eigener Sache, Konkret Nr. 12, 1968<br />
8 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/mukfrrgdbest_1/gesamt.pdf
Die 70er Jahre bis heute 35<br />
Um <strong>die</strong> <strong>auf</strong> dem Papier bestehende<br />
Gleich be rech tigung auch in <strong>die</strong> Realität<br />
um zusetzen, wurden <strong>Frauen</strong> ausschüsse<br />
gegründet und <strong>Frauen</strong> förderpläne<br />
entwickelt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> berufliche<br />
Aus- und Weiter bildung der <strong>Frauen</strong><br />
ge zielt unter stützten. In den DDR-Betrie<br />
ben waren schwang ere <strong>Frauen</strong> und<br />
<strong>Frauen</strong> mit Klein kindern mit einem<br />
Kün di gungs schutz sowie der Einrichtung<br />
von Babyjahr und Haushaltstag<br />
sozial abgesichert. Im Stich jahr<br />
1988 wies <strong>die</strong> DDR mit 91,3% <strong>die</strong> weltweit<br />
höchste Beschäftigungsquote von<br />
<strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong>.<br />
Der §218 – der so genannte „Ab treibungsparagraph“<br />
– wurde auch in<br />
der DDR sehr kontro vers dis kutiert.<br />
1950 wurde eine be dingte Frei gabe<br />
des Schwanger schafts abbruchs aus<br />
medi zini schen Grün den ein ge führt. Es<br />
dau erte aller dings noch ein mal über<br />
20 Jahre, bis 1972 eine Fristen lösung<br />
beim Schwanger schafts ab bruch gefun<br />
den war, nach der der Abbruch<br />
inner halb der ersten drei Monate erlaubt<br />
wurde. Diese Re gelung war nicht<br />
mit einem Rechtfertigungszwang oder<br />
einer Pflicht bera tung ver bunden –<br />
im Gegen satz zu der west deutschen<br />
Fristen lösung, <strong>die</strong> zwei Jahre später in<br />
Kraft trat.<br />
Trotz vieler Errungenschaften und<br />
fort schritt licher <strong>Frauen</strong> politik war<br />
auch <strong>die</strong> DDR noch im mer weit von<br />
der gänz lichen Eman zipa tion der<br />
Frau entfernt. Das noch immer vorherrschende<br />
patriarchalische Weltbild<br />
vie ler Män ner und <strong>Frauen</strong> und <strong>die</strong><br />
tra di tionell fort geführte ge schlechts <br />
spezifische Arbeitsteilung im Haushalt<br />
waren dafür Fak toren: trotz eines<br />
nahezu flächen deckenden Netzes von<br />
Kindertagesstätten und -horten und<br />
vielen anderen sozial poli tischen Einrich<br />
tungen verfüg ten <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> über<br />
we niger Frei zeit als Männer, da sie<br />
im mer noch haupt verant wortlich für<br />
Hausarbeiten waren.<br />
Der 1989 gegründete Unabhängige<br />
<strong>Frauen</strong>verband der DDR wollte zur<br />
„Wendezeit“ <strong>die</strong> Errungenschaften<br />
der DDR verteidigen und fürchtete<br />
eine drohende Massenarbeitslosigkeit<br />
und das Zurückdrängen der <strong>Frauen</strong><br />
an den heimischen Herd. Der Großteil<br />
der Errungenschaften, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />
<strong>Frauen</strong> in der DDR zentral gewesen<br />
waren, wurden nach der so genannten<br />
‚Wiedervereinigung‘ abgeschafft.
36 Die 70er Jahre bis heute<br />
Lu mumba-Club bei, einer Gruppe von<br />
Afro amerikaner_innen inner halb der<br />
Kommu nistischen Partei der USA. Nachdem<br />
sie 1968 ihr Stu dium be endet hatte,<br />
musste sie ihre an schließende Zu lassung<br />
als Do zen tin gericht lich er streiten, jedoch<br />
wurde ihr Vertrag nach Bekannt werden<br />
ihrer Mitglied schaft in der amerika nischen<br />
KP bereits 1970 wie der gekündigt.<br />
ANGELA DAVIS (*1944)<br />
Angela Yvonne Davis wurde am 26.<br />
Januar 1944 in Birmingham (Alabama)<br />
geboren. Als lesbische schwarze Frau<br />
engagierte sie sich nicht nur in der<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung und der schwarzen<br />
Bürgerrechtsbewegung, sondern war<br />
auch eine prominente Vertreterin der<br />
US-amerikanischen Kommunistischen<br />
Partei, in <strong>die</strong> sie nach der Ermordung<br />
Martin Luther Kings 1968 eingetreten<br />
war.<br />
Angela Davis stu<strong>die</strong>rte in den Ver ei nigten<br />
Staaten u.a. bei Herbert Mar cuse<br />
– der sie als seine begabteste Stu dentin<br />
bezeich nete – sowie in Frank furt<br />
a.M. bei Max Hork heimer und Theodor<br />
W. Adorno Philo sophie und Soziologie.<br />
Während ihres Stu diums in der<br />
BRD (1965-1967) schloss sie sich dem<br />
SDS an und be teilig te sich an Protestak<br />
tionen gegen den Vietnamkrieg.<br />
Nachdem sie <strong>auf</strong>grund der sich verschärfenden<br />
Kämpfe der schwar zen<br />
Bürger rechtsbewegung wieder in <strong>die</strong><br />
USA <strong>zurück</strong> ge kehrt war, wurde sie<br />
kurz zeitig Mit glied der Black Panther-<br />
Organisation. Auch trat sie dem Che-<br />
Im August 1970 lieferte sich der<br />
Bruder des seit seinem 18. Lebensjahr<br />
inhaftierten George Jackson – eines<br />
Mitgliedes der Black Panther-Partei – bei<br />
einem missglückten Befreiungsversuch<br />
eine Schießerei mit der Polizei, bei der<br />
vier Menschen getötet wurden. Angela<br />
Davis wurde vorgeworfen, <strong>die</strong> Tatwaffe<br />
geliefert zu haben, da <strong>die</strong>se <strong>auf</strong> ihren<br />
Namen gek<strong>auf</strong>t worden war. Das FBI<br />
setzte sie dar<strong>auf</strong>in <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Liste der<br />
zehn meistgesuchten Verbrecher_<br />
innen der Vereinigten Staaten. Bald<br />
dar<strong>auf</strong> wurde sie festgenommen;<br />
wegen angeblicher „Unterstützung des<br />
Terrorismus“ drohte ihr <strong>die</strong> Todesstrafe.<br />
Die in der Folge sich entwickelnde<br />
weltweite Welle des Protests brachte<br />
eine überwältigende Solidarität<br />
mit der resoluten Kämpferin gegen<br />
Sexismus, Rassismus, Unterdrückung<br />
und Ausbeutung zum Ausdruck – <strong>die</strong><br />
„Free-Angela”-Bewegung wurde zum<br />
internationalen Symbol für den Kampf<br />
gegen <strong>die</strong> rassistische Klassenjustiz in<br />
den USA. Im Verl<strong>auf</strong> der Angela Davis-<br />
Solidaritätskampagne beteiligten sich<br />
insbesondere <strong>die</strong> Bürger der DDR an<br />
Petitionen, Briefaktionen usw.<br />
Im Jahr 1971 kam aus der FDJ schließlich<br />
der Vor schlag zu einer der weltweit umfäng<br />
lichsten Soli dari täts aktionen: Dem<br />
Auf ruf „Eine Million Rosen für Angela<br />
Davis“ fol gend schickten Zehn tau sende<br />
DDR-Bürger_innen der in haft ier ten<br />
Davis Post kar ten mit ro ten Rosen. Nach<br />
knapp zwei Jahr en wurde sie schließ lich<br />
im Juni 1972 in allen Anklagepunkten<br />
frei ge sprochen. 1973 besuchte Angela<br />
Davis <strong>die</strong> zehn ten Weltfest spiele der
Die 70er Jahre bis heute 37<br />
Jugend in Ost Berlin, wo sie be gei s tert<br />
em pfangen wurde; auch in den folgenden<br />
Jahren reiste sie wiederholt in<br />
<strong>die</strong> DDR.<br />
Später lehrte sie als Philosophie-Pro fessorin<br />
– sehr zum Ärger des ehemaligen<br />
kalifor nischen Gouver neurs Ronald<br />
Rea gan, der <strong>die</strong>s zu ver hin dern ge sucht<br />
hatte – u.a. an der Uni versi tät in Santa<br />
Cruz sowie an der Uni versität von San<br />
Fran cisco. Seit Mitte der 80er Jahre ist<br />
sie Mitglied im National Political Congress<br />
of Black Women sowie Vorstandsmitglied<br />
des National Black Women’s<br />
Health Project. Zwar trat sie 1991 aus der<br />
Kommu nistischen Partei aus und wurde<br />
Mit glied im Vor stand des Committees<br />
of Correspondence for Democracy and<br />
Socialism, jedoch bezeichnet sie sich<br />
auch weiterhin als Kommunistin.<br />
In ihren Publikationen thematisiert sie<br />
insbesondere Fragen des Zusammenlebens<br />
unter schied licher „Rassen“ bzw.<br />
Ethnien, Klassen fragen und <strong>die</strong> Probleme<br />
kulturell geprägter Ge schlechterrollen<br />
(gender) sowie <strong>die</strong> daraus<br />
resultieren den Mechanis men der Unter<br />
drüc kung und Kon trolle; außer d em<br />
bes chäftigt sie sich mit dem gefängnisindustriellen<br />
Kom plex der USA. Eine<br />
Aus wahl ihrer Ver öffent lichun gen<br />
offen bart ihr vielfältiges politisches Enga<br />
ge ment: Rassismus und Sexismus.<br />
Schwarze <strong>Frauen</strong> und Klassenkampf in<br />
den USA (1982); Women, Culture and<br />
Politics (1989); Blues Legacies and Black<br />
Feminism. Gertrude „Ma” Rainey, Bessie<br />
Smith and Billie Holiday (1998); Eine<br />
Gesellschaft ohne Gefängnisse? Der<br />
gefängnisindustrielle Komplex der USA<br />
(2004); Abolition Democracy – Beyond<br />
Empire, Prisons, and Torture (2005).<br />
John Lennon, <strong>die</strong> Rolling Stones und<br />
Franz Josef Degenhardt widmeten<br />
Angela Davis Songs. Außerdem wurden<br />
ihr u.a. der Lenin-Friedenspreis (1979)<br />
und der Menschenrechtspreis der Gesell<br />
schaft zum Schutz von Bürgerrecht<br />
und Menschenwürde (2004) verliehen.<br />
Bis heute lehrt <strong>die</strong> wohl bekannteste<br />
amerikanische Kommunistin an der<br />
Universität in Santa Cruz; außerdem ist<br />
sie <strong>die</strong> Sprecherin der Kampagne gegen<br />
<strong>die</strong> Todesstrafe.<br />
Haupt- und Nebenwiderspruch<br />
Ein so komplexes Konstrukt wie ein<br />
menschliches Gemeinwesen, also eine<br />
Gesell schaft, enthält eine ganze Reihe<br />
von Widersprüchen. Diese Widersprüche<br />
bringen durch ihre Wechselwir<br />
kungen einen dia lektischen Entwick<br />
lungs prozess her vor. Trotz der<br />
Komplexität der Zu sammen hänge lässt<br />
sich innerhalb <strong>die</strong>ses Entwicklungs <br />
prozesses ein Haupt wider spruch ausmachen,<br />
der den übri gen zu grunde<br />
liegt.<br />
In der bürgerlichen Gesellschaft be steht<br />
<strong>die</strong>ser Haupt wi der spruch zwischen der<br />
Klasse der Ka pita list_innen und der<br />
Klasse der Arbei ter_innen, wobei erstere<br />
<strong>die</strong> Pro duktions mittel kontrolliert<br />
und sich so <strong>die</strong> Arbeits kraft der letzteren<br />
an eignen kann. Dieses Verhältnis<br />
bil det den Kern der kapitalis tischen<br />
Ord nung. Gleichzeitig bestimmen <strong>die</strong><br />
Exis tenz und <strong>die</strong> Entwicklung <strong>die</strong>ses<br />
Haupt wider spruchs <strong>die</strong> Existenz und<br />
<strong>die</strong> Ent wicklung der anderen gesellschaftlichen<br />
Widersprüche (Sexismen,<br />
Rassis men und andere Formen der<br />
Un ter drückung, Aus grenzung und Diskriminierung).<br />
Der Wider spruch zwischen Mann<br />
und Frau hat, wie Engels zeigen konnte,<br />
seinen Ur sprung in einem öko nomischen,<br />
letzt lich in einem Klassen <br />
wider spruch. Er ba siert <strong>auf</strong> öko nomischer<br />
Un gleichheit und entspringt<br />
der Entstehung des Privateigentums<br />
und da mit der Tren nung von produktiver<br />
und re pro duk tiver Arbeit.<br />
Dieses Verhältnis ist <strong>auf</strong> verschiedenen<br />
Ent wicklungs stufen der Klassen<br />
gesellschaften Ver änder ungen<br />
unterworfen, bleibt als sol ches aber<br />
beste hen, so lange <strong>die</strong> Herr schaft einer<br />
über eine an dere Klasse be stehen<br />
bleibt. In der bürger lichen Gesellschafts<br />
form liegt dem Geschlechter
38 Aktuelle Diskurse<br />
wider spruch der Klassen wider spruch<br />
zwi schen Bourgeosie und Proletariat<br />
zu grunde. Er ergibt sich also als<br />
„Neben widerspruch“ aus <strong>die</strong>sem<br />
Haupt widerspruch – folg lich kann <strong>die</strong><br />
<strong>Frauen</strong>-, oder all gemeiner, <strong>die</strong> Geschlechter<br />
frage, nicht los gelöst von der<br />
Klassen fra ge be trachtet oder gar gelöst<br />
werden.<br />
Wichtig zu betonen ist in <strong>die</strong>sem<br />
Zusammen hang, dass der Begriff<br />
„Neben widerspruch“ keineswegs eine<br />
Nebensächlichkeit von Tatbeständen<br />
wie Sexismus oder Rassismus implizieren<br />
soll, wie häufig unterstellt wird. Im<br />
Gegenteil. Diese Analyse zielt ja gerade<br />
dar<strong>auf</strong> ab, <strong>die</strong> Wurzeln <strong>auf</strong>zuzeigen,<br />
anhand derer <strong>die</strong>se bekämpft werden<br />
kön nen und müssen. Es muss uns darum<br />
gehen, nicht Symptome zu bekämpfen,<br />
ohne ihre Ursachen zu<br />
kennen, und ihnen dennoch im hier<br />
und jetzt entschlossenen Wider stand<br />
entgegenzustellen. Als Kommu nist_<br />
innen muss es uns eine Selbst ver ständlichkeit<br />
sein, jede Form der sexu ellen<br />
Unter drückung zu bekämpfen und<br />
in unserer gemeinsamen Praxis Geschlechter<br />
wider sprüche be wusst zu<br />
ma chen und <strong>auf</strong> zubrechen. Wir müssen<br />
uns in allen Bereichen – nicht zu letzt<br />
in unseren ei genen Struk turen – für<br />
Gleich be rechti gung und gegen jede Diskrimi<br />
nierung einsetzen. Diese Kämpfe<br />
dürfen nicht <strong>auf</strong> einen un be stimmten<br />
Zeitpunkt nach der Revolution<br />
verschoben werden. Gleichzeitig dürfen<br />
wir nicht dabei halt machen, uns nur<br />
für <strong>die</strong> Gleich heit der Ge schlech ter<br />
inner halb der herrschenden Aus beutungsverhältnisse<br />
einzusetzen, sondern<br />
zu jeder Zeit gemeinsam für eine Perspek<br />
tive jenseits jeder Aus beutung<br />
kämpfen!<br />
Der Sozialismus wird nicht automatisch<br />
alle Geschlechterwidersprüche lösen,<br />
aber er schafft erstmals Verhältnisse, <strong>die</strong><br />
es ermöglichen, deren Ursachen aus der<br />
Welt zu räumen. In <strong>die</strong>sem Sinne: Keine<br />
Emanzipation ohne soziale Revolution !<br />
Aktuelle Diskurse und Debatten<br />
Die proletarische <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
hat in den letzten 150 Jahren wichtige<br />
Dienste für <strong>die</strong> organisierte Arbeiter_<br />
innenbewegung geleistet. Sie zeigte an<br />
der Aufteilung von <strong>Frauen</strong> entlang der<br />
Klassenlinie <strong>auf</strong>, dass <strong>die</strong> Interessen der<br />
<strong>Frauen</strong> verschieden sein können und<br />
dass <strong>die</strong> der lohnabhängigen <strong>Frauen</strong><br />
weit über den kapitalistischen Rahmen<br />
hinausgehen. Die proletarische und<br />
kommunistische <strong>Frauen</strong>bewegung hat<br />
<strong>die</strong> Notwendigkeit eines gemeinsamen<br />
Kampfes der Arbeiter_Innen – unabhängig<br />
des Geschlechts – sowohl für <strong>die</strong><br />
<strong>Frauen</strong> be freiung als auch <strong>die</strong> soziale<br />
Bef reiung <strong>auf</strong> gezeigt. Dies hebt sie ab<br />
von den Reformerinnen, <strong>die</strong> offi ziell<br />
für eine Gleich heit der Ge schlech ter<br />
eintraten, aber lediglich eine „Besserbehandlung“<br />
der <strong>Frauen</strong> an streb ten,<br />
zu der kein grundsätzlicher Wandel<br />
der bestehenden hierar chischen Strukturen<br />
zwischen den Geschlechtern<br />
nötig war.<br />
Außerdem macht ihre Ge schich te <strong>die</strong><br />
Schwierig keiten deut lich, mit der <strong>Frauen</strong><br />
in einer män ner domi nier ten Ar beiter_innen<br />
bewe gung zu tun ha ben. Es<br />
hat sich gezeigt, dass es für pro let arische<br />
Frau en in be stimm ten Situa tio nen<br />
richtig sein kann, sich auto nom zu organisieren,<br />
so lange kein ge mein samer und<br />
kon sequen ter Kampf gegen Sexis mus<br />
und patriarchale Strukturen inner- und<br />
außer halb der Orga nisa tion und der<br />
B ewe gung exis tiert. <strong>Frauen</strong> orga nisationen<br />
zum Selbst zweck, <strong>die</strong> zur Entzweiung<br />
von politischen Gruppierungen<br />
führen, sind hingegen nicht zielführend,<br />
wie zahllose Spaltungen von Strukturen<br />
in den ver gangenen Jahr zehnten be legen.<br />
Der Begriff „Feminismus“ ist heute umkämpft,<br />
da seine eman zipa torische Aufgabe<br />
in Deutsch land oft nur marginal in<br />
Er schei nung tritt. Viel mehr trifft man<br />
<strong>auf</strong> „Femi nis tinnen“ wie <strong>die</strong> „Emma“-<br />
Her aus geber in Alice Schwarzer, <strong>die</strong>
Aktuelle Diskurse 39<br />
als Aus hänge schild der (mo mentan)<br />
schwarz gelben Re gierung sogar<br />
<strong>die</strong> Koali tion mit dem rech ten La ger<br />
eingeht, indem sie offen in den Chor des<br />
anti isla mischen Rassis mus ein stimmt.<br />
Weitere prominente und „erfolgreiche<br />
Vereinbarerinnen von Familie und<br />
Beruf“ in den Ministerien werden als<br />
Sinnbild von geglückter Gleichstellung<br />
verstanden, <strong>die</strong> Reformen für ihre<br />
Wählerinnen durchsetzen. So <strong>die</strong>nt<br />
das neue Elterngeld vorrangig den<br />
Interessen der besser gestellten<br />
<strong>Frauen</strong>, während Erwerbslose und<br />
Alleinerziehende <strong>die</strong> Leidtragenden<br />
sind.<br />
Die neuen Debatten tragen viele Namen<br />
und sind oft mals sehr widersprüchlich.<br />
Von der radikalen feministischen<br />
Behauptung, der Antrieb<br />
der Geschichte sei der Kampf der<br />
Geschlechter bis hin zum kulturellen<br />
oder Öko-Feminismus, der davon<br />
ausgeht, dass es eine besondere, „weibliche<br />
Natur“ gäbe, führten viele neue<br />
Ansätze weg von einer politischen<br />
Analyse der <strong>Frauen</strong>unterdrückung und<br />
der realen Ausbeutungsverhältnisse<br />
hin zu einer nur bewusst seins mäßigen,<br />
rein dis kursiven, rein identitären oder<br />
moralischen „Lösung“ des Problems.<br />
Zeitgleich haben aber auch viele linke<br />
Strömungen verpasst, <strong>auf</strong> den Zug<br />
<strong>auf</strong>zuspringen, weil sie <strong>die</strong> zentralen<br />
<strong>Frauen</strong>themen ignoriert oder nicht in<br />
genügendem Maße behandelt haben.<br />
Daraus ergibt sich, dass sich viele<br />
Femi nistinnen von der mar xis tischen<br />
Grund lage abgewandt und ihr Glück in<br />
alternativen Theorien oder auto nomen<br />
Or ga nisa tionsstrukturen ge sucht haben.<br />
Versuche von Feministinnen, eine<br />
marx is tische Theorie der <strong>Frauen</strong> unterdrückung<br />
voran zubringen, wer den<br />
von radi kalen Femini stinnen einer<br />
ver nich ten den Kritik unter zogen.<br />
Sie sehen ihre eigenen Strömungen<br />
als „über den theoretischen und<br />
politischen Horizont des Marxismus<br />
hinaus[gehende]“ 9 Ansätze an, <strong>die</strong> über<br />
Zeiten, Kulturen und Klassen erhaben<br />
sind und eine jeweils besondere Version<br />
der „Weiblichkeit“ <strong>auf</strong>zeigen.<br />
Die marxistische Analyse des Be ziehungs<br />
geflechts von Klasse und Geschlecht<br />
führt dennoch zu einer<br />
wesentlichen Erklärung für das Stagnieren<br />
der (reformistischen) <strong>Frauen</strong>bewegung:<br />
<strong>Frauen</strong> fühlen sich stärker<br />
ihrer jeweiligen sozialen Grup pe<br />
zugehörig als ihrem eigenen Geschlecht.<br />
Das belegt zum Beispiel <strong>die</strong><br />
von 1991-1995 durchgeführte Stu<strong>die</strong><br />
von Petra Frerichs und Margareta<br />
Steinrücke zum Verhältnis von „Klasse<br />
und Geschlecht“. Nach der Fragestellung,<br />
was Menschen mehr ver binde,<br />
bzw. trenne – das Geschlecht oder <strong>die</strong><br />
Klassenzugehörigkeit – konnten sie<br />
nachweisen, dass <strong>die</strong> Ge schlechtsunterschiede<br />
weitgehend von den<br />
Klassen unterschieden überlagert und<br />
geleitet werden. 10<br />
9 Davis, Mary: <strong>Frauen</strong> und Klasse. S. 20<br />
10 vgl. Steinrücke 2006, aus: <strong>Marxistische</strong><br />
Blätter: <strong>Frauen</strong>sachen<br />
ALEKA PAPARIGA (*1945)<br />
Aleka Papariga (griechisch: Αλέκα<br />
Παπαρήγα) ist ein Beispiel einer<br />
herausragenden Frau in der kommunistischen<br />
Weltbewegung von heute.<br />
Während nach dem Ende der Sowjetunion<br />
und der anderen so zialis tischen<br />
Staaten Euro pas <strong>die</strong> kommu nistischen<br />
Par teien in den meisten Ländern<br />
der Welt ihren Mas sen ein fluss und<br />
oft mals, wie in Frank reich, Ita lien<br />
oder Öster reich, auch jeden revolutionären<br />
Charakterzug einbüßten,<br />
entschlossen sich <strong>die</strong> Kommunisten<br />
Griechenlands zu Beginn der 90er da
40 AKtuelle Diskurse<br />
zu, am revolutio nären marxistischen<br />
Kurs ihrer Partei festzuhalten. Dies war<br />
eine der wichtigsten Voraussetzungen<br />
dafür, dass <strong>die</strong> Kommunistische Partei<br />
Griechenlands (KKE) als eine der<br />
wenigen kommu nistischen Partei en der<br />
Welt in den letzten zwei Jahrzehnten<br />
deut lich an Stärke gewonnen hat und<br />
ihre Verankerung in der Arbeiterschaft<br />
festi gen konnte. Während <strong>die</strong>ser<br />
Periode ihrer Entwicklung wurde <strong>die</strong><br />
KKE mit Aleka Papariga von einer<br />
bemer kenswer ten Revolutionärin angeführt.<br />
Geboren wurde Aleka Papariga am 5.<br />
November 1945 in Athen, zwischen<br />
dem Abzug der Nazi-Besatzer aus<br />
Griechenland und der letzten Phase<br />
des Griechischen Bürgerkriegs (1946-<br />
1949) als Tochter kommunistischer<br />
Partisanen. Mit 16 Jahren begann<br />
sie, sich als Friedensaktivistin zu<br />
betätigen und schloss sich kurz<br />
dar<strong>auf</strong> der Jugendorganisation der<br />
EDA, der zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt einzig<br />
legalen Linkspartei, an. Als nach<br />
dem Militärputsch von 1967 auch<br />
<strong>die</strong>se Partei verboten wurde, schloss<br />
sie sich, inzwischen Studentin der<br />
historisch-archäologischen Abteilung<br />
der Athener Universität, der im Untergrund<br />
arbeitenden KKE an. Für ihr<br />
Engage ment im Widerstand gegen<br />
<strong>die</strong> CIA-gestützte Diktatur von Giorgos<br />
Papa do poulos wurde sie für vier Monate<br />
inhaftiert. Nach dem Sturz der<br />
Junta im Jahr 1974 engagierte sie<br />
sich für einige Jahre vor allem in der<br />
kommu nistischen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
<strong>auf</strong> internationalem und nationalem<br />
Niveau und war Mitgründerin der Föde<br />
ra tion der <strong>Frauen</strong> Griechenlands<br />
(OGE), einer klassen kämpf erischen<br />
Frau en orga nisation, <strong>die</strong> sich bis heute<br />
in Griechen land für <strong>die</strong> Befreiung der<br />
Frau und <strong>die</strong> Überwindung des Kapitalismus<br />
einsetzt. Eine marxistische<br />
Analyse der Situation der Frau in der<br />
kapi talistischen Gesell schaft lieferte sie<br />
mit ihrem Buch „Für <strong>die</strong> Befreiung der<br />
Frau“.<br />
Seit 1978 ist Papariga Mit glied des<br />
Zentral komitees der KKE und seit 1986<br />
Mit glied des Politbüros. 1991 wurde<br />
sie als erste Frau zur General sekretärin<br />
der Partei gewählt und seitdem von<br />
den Partei kongressen immer wieder<br />
im Amt bestätigt. Sie ist damit <strong>die</strong><br />
erste und bisher einzige weibliche<br />
Vorsitzende einer größeren Partei in<br />
Griechenland überhaupt und <strong>die</strong> am<br />
längsten amtierende Vorsitzende in der<br />
Geschichte der KKE.<br />
Familie und Beruf erfolgreich<br />
unter einen Hut bringen – und<br />
dabei noch gut aussehen!<br />
Die englische Me<strong>die</strong>nforscherin<br />
An<strong>die</strong> McRobbie hat 30 Jahre lang<br />
das Verhalten junger <strong>Frauen</strong> in Großbritannien<br />
untersucht. Das Er gebnis<br />
ihrer vergleichenden Lang zeit stu<strong>die</strong>: Diskriminierende<br />
Ge schlech ter verhältnisse<br />
werden in west lichen Demo kra tien<br />
gegen wärtig neu zementiert, und zwar<br />
mit Hilfe der falschen Behauptung,<br />
<strong>die</strong> Gleich berech tigung sei verwirklicht.<br />
11 Auch hier in Deutschland<br />
11 Die feministische Soziologin Frigga Haug hat<br />
aktuelle Beiträge von Wissen schaftlerinnen
Aktuelle Diskurse 41<br />
täuschen scheinbar errungene Erfolge<br />
der <strong>Frauen</strong>bewegung insbesondere<br />
junge <strong>Frauen</strong> über <strong>die</strong> be stehenden<br />
Ungleichbehandlungen hinweg. Die<br />
geführten Kämpfe sind aus den Köpfen<br />
verschwunden. Dass es zwischenzeitlich<br />
längst zu einem „rollback“ kommt, dass<br />
also viele Errungenschaften der Vergangenheit<br />
stillschweigend wieder abgeschafft<br />
werden, vieles also immer<br />
noch und immer wieder erkämpft<br />
werden müsste, wird oftmals nicht<br />
mehr wahrgenommen.<br />
Viele <strong>Frauen</strong>rechtlerinnen üben des halb<br />
Kritik an den neoliberalen Gleich stellungspolitiken<br />
und Gender Mainstreaming 12 :<br />
Wenn <strong>die</strong> „innovative Kraft der <strong>Frauen</strong>“<br />
als Human ressource gepriesen oder <strong>die</strong><br />
„Chancen gleich heit als Erfolgs faktor“<br />
von Unternehmens strategen in den<br />
Himmel gelobt wird, wird der tatsächlich<br />
stattfindende <strong>Frauen</strong>kampf zu einem<br />
Unterpunkt von Wirtschaftspolitik, der<br />
<strong>die</strong> Interessensgegensätze von Kapital<br />
und Lohnarbeit konsequent ignoriert<br />
und bewusst verschleiert. 13<br />
Die Autorin Susanne Bauermann konstatiert,<br />
dass es den feder füh ren den Parteien<br />
gelungen sei, im Massen bewusstsein<br />
den Ein druck entstehen zu lassen,<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> politik biete keine Plattform<br />
für Ver tei lungs kämpfe. Systematisch<br />
<strong>zurück</strong>gehalten werden auch Ansätze<br />
und Forderungen, <strong>die</strong> über den kapitalis<br />
tischen Hori zont hinausreichen.<br />
Selbst linke oder gewerkschaftliche<br />
aus aller Welt zu „An for derungen an ein<br />
feministisches Projekt heute“ heraus gegeben:<br />
Briefe aus der Ferne - Anfor derungen an ein<br />
feministisches Projekt heute. Argument Verlag,<br />
Hamburg 2010<br />
12 Gender Mainstreaming: Strategie mit<br />
festgelegten Vorgehensweisen zur Installation<br />
von Gleich stellung als Querschnittsthema in<br />
den Verwaltungen. Dazu gehören beispielsweise<br />
geschlechtersensibler Sprachgebrauch oder<br />
Kompetenz-Schulungen von Mitarbeiter_innen<br />
der der kommunalen Bürger(!)büros.<br />
13 Bauermann, Susanne: Alice Schwarzer und<br />
der Gender Gap, <strong>Marxistische</strong> Blätter 06-2009<br />
<strong>Frauen</strong> poli tik wie <strong>die</strong> Veranstaltungen<br />
zum Inter nationalen <strong>Frauen</strong> tag ver folgen<br />
An passungs ten denzen zum neoliberalen<br />
Kurs und verkommen – so das<br />
ernüchternde Fazit – häufig zu „niveaulosen<br />
und folkloristischen Pflichtveranstaltungen“<br />
14 .<br />
Im Jahr 2010 wurde beispielsweise der<br />
Inter nationale <strong>Frauen</strong>tag in <strong>Tübingen</strong><br />
unter dem Motto „<strong>Frauen</strong>-Bewegung!“<br />
gefeiert. Unter anderem hatten Fit nessund<br />
Sport unternehmen an <strong>die</strong>sem Tag<br />
<strong>die</strong> Chance, ihre speziell <strong>auf</strong> „<strong>Frauen</strong>bedürfnisse“<br />
abgestimmten Programme<br />
im städtischen Rathaus vorzustellen,<br />
<strong>die</strong> „Bewegung“ der <strong>Frauen</strong><br />
wurde <strong>auf</strong> eine rein sportliche – und<br />
dem gängigen Schönheitsideal zugute<br />
kommende – Betätigung reduziert und<br />
der revolutionäre Grundgedanke des<br />
Internationalen <strong>Frauen</strong>tags verkannt.<br />
Die Umdeutung der <strong>Frauen</strong>kämpfe<br />
zugunsten der Besitzenden hat Tradition,<br />
wie Clara Zetkin <strong>auf</strong>zeigt:<br />
„…in der Praxis läuft <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
frauenrechtlerischer Forderungen in<br />
der Hauptsache dar<strong>auf</strong> hinaus <strong>die</strong><br />
kapitalistische Ordnung zugunsten<br />
der <strong>Frauen</strong> und Töchter der besitzenden<br />
Klasse zu reformieren, während<br />
<strong>die</strong> unge heure Mehr zahl an Proletarierinnen,<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> des schaffenden<br />
Volkes, nach wie vor als Unfreie und<br />
Ausgebeutete der Verkümmerung und<br />
Missachtung ihres Menschentums, ihrer<br />
Rechte und Interessen preisgegeben<br />
sind […] Das Recht der <strong>Frauen</strong> <strong>auf</strong><br />
gleiche Bildung und Berufstätigkeit<br />
mit dem Manne läuft dar<strong>auf</strong> hinaus,<br />
den <strong>Frauen</strong> der Besitzenden <strong>die</strong> so<br />
genannten höheren Berufsgebiete zu<br />
erschließen, damit den Grundsatz der<br />
kapitalistischen Konkurrenz auch hier<br />
zur unbeschränkten Geltung zu bringen<br />
und den wirtschaftlichen wie sozialen<br />
Gegensatz zwischen den Geschlechtern<br />
zu verschärfen.“ 15<br />
14 ebenda, S. 32<br />
15 Ausgewählte Schriften, Bd 2, S.240
42 Aktuelle Diskurse<br />
Die revolutionäre (<strong>Frauen</strong>-)bewegung<br />
muss den kleinbürgerlichen, vom Staat<br />
vereinnahmten Feminismus also stets<br />
als das begreifen, was er wirklich ist:<br />
eine Gegenstrategie der Herrschenden<br />
gegen den Kampf um <strong>die</strong> wirkliche<br />
Befreiung der Frau und gegen den<br />
proletarischen Klassenkampf, der <strong>die</strong><br />
Überwindung der ganzen Ausbeutung<br />
und Unterdrückung zum Ziel hat.<br />
Zusammenfassend bestätigt sich <strong>die</strong><br />
marxis tische Analyse, dass der <strong>Frauen</strong>kampf<br />
im kapi talistischen System gegen<br />
eine doppel te Dis krimi nier ung geführt<br />
werden muss: Die <strong>Frauen</strong> sind einerseits<br />
ge zwung en, als Lohnabhängige ihre<br />
Arbeits kraft zu verk<strong>auf</strong>en, andererseits<br />
erfahr en sie ge schlechts spezifische<br />
Be nach teili gungen. Das vielschichtige<br />
und dynamische Verhältnis von der<br />
Aus beutung von <strong>Frauen</strong> als Arbeiterinnen<br />
und ihrer Unterdrückung als<br />
Frau en ist eine entscheidende Voraussetzung<br />
für das ökonomische,<br />
politische und ideologische Funktionieren<br />
des Kapitalismus. Die Frage<br />
nach der Emanzipation von <strong>Frauen</strong><br />
steht damit im Zentrum des Kampfes<br />
für fortschrittlichen sozialen Wandel.<br />
Postmoderne Feminismen<br />
Nachdem Robert Stoller und Gayle<br />
Rubin zwischen den beiden Kategorien<br />
des biologischen Geschlechts (sex)<br />
und des gesellschaftlich kon struierten<br />
Geschlechts (gender) differen ziert<br />
hatten, widerlegten Femini stinnen<br />
<strong>die</strong> Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs<br />
zwischen bio logischem Geschlecht<br />
und Geschlechter rolle. Wenngleich<br />
<strong>die</strong> biologistische Grundlage der<br />
Geschlechterrolle damit dekons truiert<br />
war, so gründeten sich feministische<br />
Bestrebungen den noch <strong>auf</strong> der Annahme<br />
einer grund sätzlichen Unterscheidung<br />
von „<strong>Frauen</strong>“ und „Männern“.<br />
Mit der Veröffentlichung von Judith<br />
Butlers Unbehagen der Geschlechter im<br />
Jahr 1990 wurde <strong>die</strong>se Hypothese von<br />
der Zweigeschlechtlichkeit schlagartig<br />
in Frage gestellt: Das biologische<br />
Geschlecht sei, genau wie das soziale,<br />
eine reine gesellschaftliche Erfindung,<br />
so Butler.<br />
Es ist erst <strong>die</strong> sprachlichen Benennung,<br />
<strong>die</strong> ein biologisches Geschlecht existent<br />
macht. Ist ein Individuum erst einmal<br />
mit dem Etikett „weiblich“ oder<br />
„männlich“ versehen, so reproduziert<br />
es <strong>die</strong> gesellschaftlichen Vorstellungen<br />
von „Frau“ und „Mann“ durch<br />
„Performativität“, d.h. es verhält sich<br />
entsprechend der jeweiligen kulturell<br />
vorherrschenden Vorstellungen von<br />
„männlich“ oder „weiblich“. Das Individuum<br />
stellt also Attribute zur Schau,<br />
<strong>die</strong> eine Geschlechteridentität offenbaren<br />
sollen, <strong>die</strong>se Identität aber in<br />
Wirklichkeit überhaupt erst schaffen.<br />
Damit ändert sich der Fokus feministischer<br />
Bewegungen radikal: Wurde<br />
bislang eine Gleichberechtigung und<br />
Gleichbehandlung von <strong>Frauen</strong> und<br />
Männern angestrebt, so wird nun<br />
der Kategorie „Geschlecht“ an sich<br />
der Kampf angesagt. Es ist <strong>die</strong> despotische<br />
Macht gesellschaftlicher<br />
Zuschreibungen, so <strong>die</strong> Begründung,<br />
<strong>die</strong> das Individuum unterdrückt. Der<br />
Grundstein ist gelegt für <strong>die</strong> akademischen<br />
Queer Stu<strong>die</strong>s, <strong>die</strong> Auffassungen<br />
von Geschlecht und Sexualität problematisieren<br />
und kritisieren, <strong>die</strong> nur<br />
<strong>die</strong> beiden Kategorien „männlich“ und<br />
„weiblich“ anerkennen.<br />
Den Queer Stu<strong>die</strong>s geht es darum, Alternativen<br />
zur normativen, also der<br />
einzigen gesellschaftlich akzeptierten,<br />
Genderidentität und Sexualität zu thematisieren<br />
(z.B. Transgender, Transsexualität,<br />
Intersexualität, Homosexualität).<br />
Insbesondere sollen <strong>die</strong> sich aus<br />
den gesellschaftlichen Normvorstellungen<br />
(männlich, weiblich, heterosexuell)<br />
ergebenden Diskriminierungsmechanismen<br />
(z.B. Homophobie, also<br />
<strong>die</strong> Ablehnung und Verachtung gleichgeschlechtlicher<br />
Liebe) analysiert und
Aktuelle Diskurse 43<br />
bekämpft werden. Das Pendant zur<br />
wissenschaftlichen Ausrichtung postmoderner<br />
feministischer Theorie bildet<br />
ihr Einzug in den soziokulturellen Bereich<br />
und <strong>die</strong> Jugendkultur: Queercore,<br />
Riot Grrrl und Ladyfeste schaffen Räume,<br />
<strong>die</strong> Heteronormativität, also normative<br />
Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität,<br />
weit hinter sich gelassen<br />
haben. In Anerkennung der Diversität<br />
der Akteur_innen werden aus dem<br />
Feminismus Feminismen „for La<strong>die</strong>s of<br />
all Genders.“<br />
Postmoderne Feminismen haben<br />
entscheidend dazu beigetragen, als<br />
selbstverständlich geltende Kategorien<br />
zu hinterfragen und deren soziale<br />
Konstruktion zu enthüllen. Einerseits<br />
wird dadurch der Existenz von Genderidentitäten<br />
neben „Frau“ und „Mann“<br />
Rechnung getragen. Normative Heterosexualität<br />
und Zweigeschlechtlichkeit<br />
werden als Machtinstrumente<br />
entlarvt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> bestehende hierarchische<br />
Gesellschaftsordnung weiter<br />
festigen. Andererseits bestehen neben<br />
den Kategorien „Geschlecht“ und<br />
„Sexualität“ aber noch viele andere<br />
Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung.<br />
Postmoderne Feminismen<br />
rütteln noch nicht notwendigerweise<br />
an kapitalistischen Strukturen.<br />
Deshalb muss für uns als Marxist_innen<br />
und Kommunist_innen jedoch<br />
<strong>die</strong> Einsicht bestimmend bleiben, dass<br />
(Zwangs-)Zuschreibung sozialer Identitäten<br />
wie Geschlecht oder „Rasse“ nie<br />
losgelöst von einer realen historischen<br />
und ökonomischen Basis zu denken<br />
ist. Diese zu verstehen ist maßgeblich,<br />
wenn man sich dem Kampf für eine<br />
Gesellschaft jenseits der benannten<br />
und vieler anderer Zwangsmechanismen<br />
verpflichtet fühlt. Sexuelle Diskriminierung<br />
ist auch heute noch in<br />
allen Teilen der Welt als ganz reales<br />
ökonomisches und soziales Ausbeutungs-<br />
und Unterdrückungsverhältnis<br />
existent, und <strong>die</strong>se Machtstrukturen<br />
werden sicher nicht durch einen rein<br />
theoretisch geführten Diskurs über<br />
Fragen individueller Identität, sondern<br />
einzig durch eine gemeinsame revolutionäre<br />
Praxis angegriffen und überwunden<br />
werden können. Es gehört<br />
jedoch zu den Merkmalen der postmodernen<br />
Theorieentwicklung, dass<br />
sie weitgehend losgelöst von jeder<br />
realen Praxis in rein akademischen Debatten<br />
stattfindet und nur bedingt gesellschaftliche<br />
Wirkmacht entwickeln<br />
kann.<br />
Kein_e Kommunist_in kann sich mit<br />
dem Kampf um Fragen der individuellen<br />
Iden tität oder bestimm ter<br />
Frei räume innerhalb der herrschenden<br />
Verhält nisse zufrieden geben, sondern<br />
muss <strong>die</strong>se Kämpfe zu jeder Zeit mit<br />
dem Kampf um den Umsturz <strong>die</strong>ser<br />
herr schenden Verhältnisse verbinden.<br />
Und dafür liefern <strong>die</strong> Postmodernen<br />
Queer- und Gender Stu<strong>die</strong>s allein sicher<br />
nicht <strong>die</strong> notwendigen theoretischen<br />
Werkzeuge.
44 Rückblick und Perspektive<br />
<strong>Frauen</strong>, <strong>zurück</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Barrikaden</strong>!<br />
Rückblick und Perspektive<br />
August Bebel stellt 1879 in seiner<br />
Schrift Die Frau und der Sozialismus<br />
fest: „Die <strong>Frauen</strong>frage ist [...] eine Seite<br />
der allgemeinen sozialen Frage, [...]<br />
sie kann daher ihre endgültige Lösung<br />
nur finden durch <strong>die</strong> Aufhebung<br />
der gesellschaftlichen Gegensätze<br />
und Beseitigung der aus <strong>die</strong>sen<br />
hervorgehenden Übel.“<br />
Die aktuellen Errungenschaften der<br />
bür ger lichen <strong>Frauen</strong> be wegung, <strong>die</strong> den<br />
Kampf aus schließ lich gegen <strong>die</strong> „Herrschaft<br />
der Män ner“, aber nicht ge gen<br />
den Kapi talis mus richten; ein solcher<br />
„Kampf zwischen den Ge schlech tern“<br />
greift nicht <strong>die</strong> grundlegenden Antagonismen<br />
und Widersprüche innerhalb<br />
der Gesellschaft <strong>auf</strong>. Vielmehr erkennt<br />
<strong>die</strong> herrschende Klasse in <strong>die</strong>sen<br />
Kämpfen eine Chance: sie integriert<br />
<strong>die</strong> For der ungen der <strong>Frauen</strong> in das System.<br />
Sie suggerieren so ein Erreichen<br />
der Gleich stellung von Mann und Frau<br />
inner halb der herrschenden Ord nung,<br />
um den zugrunde liegenden Klassenkampf<br />
zwischen Kapitalis ten und abhängigen<br />
Lohnarbeitenden sowie<br />
<strong>die</strong> da raus resultierende ex treme<br />
Un gleichvertei lung von Gütern und<br />
Privilegien im lokalen und globalen<br />
Maßstab zu ver schlei ern. Eman zipatorische<br />
Inhalte der <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
werden im neoliberalen Deutschland<br />
inzwischen standardmäßig uminterpretiert:<br />
„Emanzipiert“ ist <strong>die</strong> Frau,<br />
wenn sie sich an <strong>die</strong> herrschenden<br />
Verhältnisse anpasst und keine<br />
Perspektive jenseits von ihnen, also<br />
jenseits der kapitalistisch-patriarchalen<br />
Ordnung artikuliert.<br />
Somit sind Sexismus und Rassismus<br />
und verwandte Formen der Diskriminierung<br />
keine reine Sache des<br />
Kopfes, des falschen Bewusstseins,<br />
<strong>die</strong> sich durch Aufklärung und guten<br />
Willen vollständig abschaffen lassen.<br />
Es sind <strong>die</strong> ökonomischen Verhältnisse<br />
des „Seins“, <strong>die</strong> sie immer wieder neu<br />
produzieren. Sie sind notwendig, damit<br />
Kapitalismus überhaupt funktionieren<br />
kann. Es ist eben nur der Sozialismus,<br />
der jene materiellen Voraussetzungen<br />
schaffen kann, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Befreiung der<br />
Frau, d.h. ihre komplette ökonomische,<br />
so ziale, recht liche und kulturelle Gleich <br />
stellung, notwendig sind.<br />
Ent gegen dem weit verbreiteten Irr tum<br />
bedeutet Bebels’ Aussage keineswegs,<br />
dass der Sozialismus automatisch zur<br />
Befreiung der Frau führt und sich <strong>die</strong><br />
„<strong>Frauen</strong>frage“ sozusagen „en passant“<br />
löst.<br />
Die <strong>Frauen</strong>frage nur in den Klassenkampf<br />
einzuspeisen mit der Hoffnung,<br />
der Sozialismus werde es „igendwann<br />
schon richten“, ohne weitere Schritte<br />
ein zuleiten, wird den verhärteten<br />
und mehrfach verwobenen Unterdrückungs<br />
mechanismen nicht gerecht.<br />
Die in den aktuellen Debatten<br />
dis kutierten Schwer punkte <strong>auf</strong> indivi<br />
dueller Ebene – sub jektive Er fahrung<br />
en der Unterdrückung – müs sen<br />
hierbei mit in Betracht gezogen und<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>fragen nicht <strong>auf</strong> einen zweitrangigen<br />
Platz verschoben werden. Auf<br />
<strong>die</strong>se Weise wir der Kampf für <strong>die</strong> Rechte<br />
der Frau nicht von einer allgemeinen<br />
gesellschaftlichen Entwicklung getrennt.<br />
Der Kampf für den Kommunismus<br />
bedeutet das Ringen um eine Gesellschaft<br />
ohne Unterdrückung des Menschen<br />
durch den Menschen:<br />
„[Der Kampf kann] einzig und allein<br />
verwirklicht werden durch den<br />
gemeinsamen Klassenkampf der<br />
<strong>Frauen</strong> und Männer des ausgebeuteten<br />
Proletariats gegen <strong>die</strong> Vorrechte,<br />
<strong>die</strong> Macht der Männer und <strong>Frauen</strong><br />
der besitzenden und ausbeutenden<br />
Klassen.“ 16<br />
16 Clara Zetkin, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S.<br />
243
Rückblick und Perspektive 45<br />
Für uns als Kommunist_innen ist es<br />
not wendig, <strong>die</strong> historische Be dingt heit<br />
und das gegenwärtige Erscheinungsbild<br />
der Unterdrückung zu analysieren<br />
und zu verstehen. Wir können <strong>auf</strong><br />
Grundlage der Geschichte der Frage<br />
nachgehen, wie unsere Kämpfe<br />
in der Zukunft aussehen können.<br />
Gerade in einer Zeit, in der sich <strong>die</strong><br />
kapitalistischen Widersprüche und<br />
weltweiten Auseinandersetzungen<br />
immer weiter zuspitzen und er kämpfte<br />
Errungenschaften durch Konterreformen<br />
<strong>auf</strong>gehoben werden, ist<br />
eine gemeinsame und revolutionäre<br />
Perspektive das Ziel, das es zu<br />
verwirklichen gilt.<br />
Für uns können Orientierungspunkte<br />
für eine weiter zu entwickelnde<br />
Perspektive durchaus auch fortschrittliche<br />
neue Theorien sein. Ohne<br />
eine konsequent historisch-ma terialistische<br />
Analyse, ohne den Ein bezug<br />
der Grundgegebenheiten der bestehenden<br />
Gesellschaftsordnung, sind<br />
<strong>die</strong> post modernen Theorien einzig<br />
vielfältige Darstellungen der gegenwärtigen<br />
Gesellschaft und dringen nicht<br />
zur Wurzel des Problems vor. Sie sind<br />
Analysen der herrschenden Ordnung,<br />
nicht aber theoretische Werkzeuge zur<br />
Überwindung der selben.<br />
Betrachtet man objektiv <strong>die</strong><br />
Entstehung, Entwicklung und vor<br />
allem <strong>die</strong> Erfolge verschiedener<br />
Gesellschaftsformen, wird deutlich,<br />
woran sich fortschrittliche Kräfte orien<br />
tieren müssen: Bis heute haben<br />
sich beispielsweise in Kuba <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong><br />
– ungeachtet der enormen ökonomischen<br />
Probleme durch <strong>die</strong><br />
Blockade der USA und weitgehender<br />
Isolierung in der kapitalistischen<br />
Welt – <strong>die</strong> sozialen Errungenschaften<br />
der Revolution erhalten und sind<br />
Vorreiterinnen, was <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
von <strong>Frauen</strong>rechten anbelangt.<br />
Die Entwicklung zeigt aber auch, dass<br />
<strong>die</strong> bisherigen sozialistischen Versuche<br />
<strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>frage nur in gewissen<br />
Schran ken zu lösen vermochten. Hierbei<br />
muss der Sozialismus auch im Bezug<br />
<strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>- und Geschlechterfrage<br />
als durchaus wider spruchs volle gesell<br />
schaftliche Ent wicklungsstufe, als<br />
Etappe des Kampfes für den Kommunismus,<br />
und nicht etwa als letztes Ziel<br />
verstanden werden.<br />
Wir müssen ein kämpferisches Selbstbewusstsein<br />
entwickeln, und gemeinsam<br />
den Emanzipationsprozess vorantreiben.<br />
Zum hundertjährigen Jubiläum<br />
des Internationalen <strong>Frauen</strong> kampftags<br />
wollen wir ein starkes Zeichen dafür<br />
setzen, dass <strong>die</strong> Befreiung der Frau kein<br />
Thema der Vergangenheit ist, sondern<br />
in <strong>die</strong> Zukunft getragen gehört.<br />
Diese Broschüre ist also nur eine<br />
Handreichung zur Diskussion und<br />
verstärkten Auseinandersetzung und<br />
kein Ersatz für <strong>die</strong> alltägliche Praxis.<br />
„so alt bin ich, (...) will ich doch <strong>die</strong><br />
Zeit, in der ich noch wirken kann, dort<br />
stehen, dort kämpfen, wo das Leben<br />
ist, und nicht dort, wo mir Zersetzung<br />
und Schwäche entgegenstarrt. Ich will<br />
mich nicht lebendigen Geistes vom<br />
politischen Tod anhauchen lassen. (...)<br />
Ein Hüben und Drüben nur gibt es:<br />
Kapitalismus oder Sozialismus.“ 17<br />
[Clara Zetkin]<br />
Nieder mit Patriarchat<br />
und Kapitalis mus!<br />
Für Emanzipation<br />
und soziale Revolu tion!<br />
17 Clara Zetkin, Rede <strong>auf</strong> dem USPD-Parteitag<br />
1919
46<br />
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