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Christine de Pizan<br />

L‟Epistre d‟Othéa


Codices illuminati medii aevi 31<br />

Christine de Pizan<br />

L’Epistre d’Othéa<br />

Farbmikrofiche-Edition der Handschrift<br />

Erlangen-Nürnberg, Universitätsbibliothek, Ms. 2361<br />

Einführung zu Christines ‚Buch der Weisheit„<br />

von Helga Lengenfelder<br />

Edition Helga Lengenfelder<br />

München 1996


Copyright 1996 Dr. Helga Lengenfelder, München<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile<br />

in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren<br />

oder unter Verwendung elektronischer oder mechanischer Systeme<br />

zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten<br />

Photographische Aufnahmen: Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg<br />

Herstellung der Farbmikrofiches: Herrmann & Kraemer, Garmisch-Partenkirchen<br />

Layout und DTP: Edition Helga Lengenfelder, München<br />

Einband: Buchbinderei Robert Ketterer, München<br />

Printed in Germany<br />

ISSN 0937-633X<br />

ISBN 3-89219-031-3


Inhalt<br />

Einführung zu Christines ‚L‟Epistre d„Othéa„ oder ‚Buch der Weisheit„<br />

Die Autorin ........................................................................................... ........ 7<br />

Form und Einteilung der ‚Epistre d‟Othéa„ in der Handschrift<br />

Ms. 2361 der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg .................. ........ 10<br />

Zum Prosastil ........................................................................................ ........ 15<br />

Inhalt und Gliederung<br />

Prologue und Matere .......................................................................... ........ 18<br />

Prologue a Alegorie ........................................................................... ........ 26<br />

II – IV: Die klassischen Kardinaltugenden ......................................... ........ 28<br />

V: Renommee ..................................................................................... ........ 30<br />

VI - XII: Planetentraktat ..................................................................... ........ 31<br />

XIII – XV: Die drei christlichen Tugenden ........................................ ........ 35<br />

XVI – XXII: Die sieben Todsünden ................................................... ........ 38<br />

XXIII – XXXIV: Die Artikel des Glaubensbekenntnisses ................. ........ 39<br />

XXXV – XLIV: Die Zehn Gebote ...................................................... ........ 43<br />

XLV – XCIX: Praktische Tugenden und Heilslehren ......................... ........ 44<br />

C: Augustus-Kapitel und Epilog ........................................................ ........ 51<br />

Sagesse, Science und Enseignement ..................................................... ........ 53<br />

Das ‚Buch der Weisheit„ ....................................................................... ........ 56<br />

Die Prachthandschrift der ‚Epistre d‟Othéa„ ......................................... ........ 61<br />

Anmerkungen ........................................................................................ ........ 65<br />

Verzeichnis der Kapitel und Inhaltsübersicht<br />

Exempla, (Bildbeischriften), Inschriften, Gloses und Alegories ........... ........ 71<br />

Literaturverzeichnis .................................................................................... ........ 95<br />

Farbmikrofiche-Edition<br />

Spiegel, Vorsätze, fol. 1r – 28r .............................................................. Fiche 1<br />

Fol. 28v – 58r ........................................................................................ Fiche 2<br />

Fol. 58v – 88r ........................................................................................ Fiche 3<br />

Fol. 88v – 118r ...................................................................................... Fiche 4<br />

Fol. 118v – 126v, Nachsätze, Spiegel ................................................... Fiche 5


7<br />

Die 'Epistre d'Othéa' oder 'Buch der Weisheit'<br />

von Christine de Pizan<br />

Einführung zum Werk<br />

Die Autorin<br />

Christine wurde 1364 in Venedig geboren als Tochter des Philosophen, Arztes und<br />

Astrologen Maistre Thomas de Pizan, der auch, wie Christine im Prolog ihres<br />

Werkes anmerkt, nach seinem Geburts- und Studienort Bologna unter dem<br />

Beinamen de boulongne bekannt war. Stolz wird der wegen seiner wissenschaftlichen<br />

Verdienste berühmte Vater, Qui sollempnel clerc estoit renomme, dem<br />

fürstlichen Adressaten des Werks und jüngerem Sohn Karls V. von Frankreich,<br />

Louis d'Orléans, tres noble prince excellent Dorlyens Duc loys de grant renom Filz<br />

de charles roy quint, gegenübergestellt. Thomas de Pizan, so genannt nach seinem<br />

Geburtsort Pizzano, war als consillier Karls V. an den französischen Königshof<br />

berufen worden, und 1368 ließ er auch seine Familie nach Paris kommen. Dort<br />

heiratete Christine mit fünfzehn Jahren 1379 Etienne de Castel, dem alsbald eine<br />

Anstellung in der königlichen Kanzlei angeboten wurde. Das Paar hatte drei Kinder,<br />

von denen nur der Name des ältesten Sohnes Jean bekannt ist. Nach dem Tod des<br />

Königs 1380 verlor der Vater weitgehend seine Einkünfte, er starb nach längerer<br />

Krankheit um 1385, und als 1389 auch Etienne de Castel starb, mußte Christine<br />

mittellos allein für den Unterhalt der Familie sorgen. 1<br />

Thomas de Pizan hatte sich selbst um die Erziehung seiner Tochter gekümmert und<br />

für ihre profunde Ausbildung im humanistischen Geist gesorgt, wodurch Christine<br />

über Grundlagen verfügte, die ihr später für ihre vielfältigen literarischen Werke<br />

nützlich sein sollten. Außerdem dürfte die intellektuelle Umgebung am Hof Karls V.<br />

(1337-1380), der den Beinamen „le Sage“ erhielt, seit ihrer frühen Jugend von nicht<br />

geringem Einfluß auf die in ihren Werken offenkundig werdende Geisteshaltung<br />

gewesen sein. Die Zeit seiner Herrschaft war einerseits gekennzeichnet durch die<br />

Wirren und Nöte, die die Auseinandersetzungen mit den Engländern während des<br />

„Hundertjährigen Krieges“ verursachten, sowie von Aufständen in Paris, andererseits<br />

durch politische und kulturelle Reformen, die der König durchsetzte, wie die<br />

Ausweitung der Privilegien der Universität, den Bau oder Umbau prächtiger Schlös-


8<br />

ser (Hôtel Saint-Pol, Louvre) und der Einrichtung einer Bibliothek, die zu den<br />

größten und bedeutendsten des späten Mittelalters gehörte, weil sie prachtvolle, im<br />

Auftrag des Königs hergestellte Codices barg.<br />

Karl V. hatte sich mit bedeutenden Persönlichkeiten und Beratern umgeben, zu<br />

denen Geoffroi de Meaux (Gaufredus de Meldis) gehörte, Astronom und Arzt, oder<br />

der Philosoph und bedeutende Naturwissenschaftler Nicole Oresme, der an der<br />

Pariser Universität studierte und lehrte. Er kommentierte in seinen Werken unter<br />

anderem auch Aristoteles, wandte sich aber später vom Lateinischen ab und<br />

übersetzte auf Anregung des Königs zwischen 1370 und 1374 die aristotelischen<br />

Schriften der 'Nicomachischen Ethik' und 'Politik' in die Volkssprache. Dadurch<br />

ergab sich für ihn die Möglichkeit, kommentierend seine Überlegungen zu einer<br />

modernen Anwendung des antiken philosophischen Denkens einzubringen. Für<br />

seine wissenschaftlichen Leistungen zeichnete ihn der König mit dem Titel eines<br />

königlichen Rats aus (1378). Ebenso gehörte der junge Theologe Johann Gerson zu<br />

diesem Kreis, der ab 1395 Kanzler der Universität war. Mit ihm verband Christine<br />

später die gemeinsame Kritik an Jean de Meung und seiner Fortsetzung des 'Roman<br />

de la rose', die als 'Querelle du roman de la rose' bekannt wurde. Der Gelehrte<br />

Philippe de Mézières, der bei den Kanonikern in Amiens studiert hatte, war weit in<br />

der Welt herumgekommen und hatte in Diensten zahlreicher Fürsten und des<br />

Papstes gestanden. Nach 1373 hatte ihn Karl V. als Conseiller und Erzieher seiner<br />

Söhne Karl (1368-1422) und Louis (1372-1407) an den Hof berufen. Die<br />

Übersetzung der Werke klassischer Autoren wie der patristischen Schriften und<br />

frühmittelalterlicher Historiker lag Karl V. ganz besonders am Herzen: Jean Daudin<br />

übersetzte den Fürstenspiegel 'De eruditione filiorum regalium' des Vinzenz von<br />

Beauvais, 2 und Raoul de Presles, der zwischen 1361 und 1364 einen eigenen<br />

Fürstenspiegel 'Compendium morale re publica' verfaßte, übersetzte und<br />

kommentierte auf Geheiß des Königs Augustins 'De Civitate Dei', ebenso wie die<br />

Bibel. 3 Christine galt als seine Schülerin, zusammen mit Jean Golein, einem<br />

Magister der Universität Paris, der für Karl V. zahlreiche Übersetzungen anfertigte,<br />

u. a. das um 1300 entstandene anonyme 'Liber de informatione principum'. Christine<br />

war sich der Bedeutung des Königs für die geistige und kulturelle Atmosphäre<br />

durchaus bewußt, denn in der von ihr im Lauf des Jahres 1404 im Auftrag von<br />

Philippe le Hardi, Duc de Bourgogne, verfaßten Biographie 'Livre des fais et bonnes<br />

meurs du sage roy Charles V' berichtet sie, daß der König „fist par solimpnelz<br />

maistres souffisans en toutes les sciences et ars translater de latin en franois tous les<br />

plus notables livres...“. 4<br />

Als Karl V. 1380 starb, wurde sein noch minderjähriger Sohn Karl in Reims zum<br />

König gekrönt; die Vormundschaft und Regentschaft fielen an seine Onkel, die<br />

Herzöge Louis d'Anjou, Philippe le Hardi de Bourgogne und Jean de Berry. Karl VI.<br />

heiratete 1385 Prinzessin Isabeau von Bayern und beanspruchte 1388 die volle


9<br />

königliche Souveränität, was zur Entlassung der Regenten führte. Er fühlte sich<br />

seinem jüngeren Bruder Louis stets sehr eng verbunden, dem er 1392 das<br />

Herzogtum Orléans übertrug, im gleichen Jahr, da er seinen ersten Wahnsinnsanfall<br />

erlitt. Im Falle seines Todes ohne männliche Nachkommen war Louis d'Orléans<br />

nächster legaler Anwärter auf den Thron, oder er wäre, bei minderjährigen Söhnen<br />

des Königs, alleiniger Regent geworden, was seine herausragende Stellung am Hof,<br />

gegenüber Königin Isabeau und im politischen Ränkespiel der herzöglichen Onkel<br />

erklärt. Louis d'Orléans wurde 1407 von Jean sans Peur, dem Sohn des 1402<br />

gestorbenen Philippe de Bourgogne, ermordet. 5<br />

Christine, beim Tod ihres Mannes gerade etwas mehr als fünfundzwanzig Jahre alt<br />

und auf der Suche nach einer Existenzgrundlage für sich und die Kinder, nutzte ihre<br />

umfassende Bildung und literarischen Kenntnisse in Verbindung mit<br />

ausgezeichneten Beziehungen zur königlichen Familie, um eine beeindruckende<br />

literarische Tätigkeit zu entfalten. Zu ihren frühen Werken zählen Balladen und<br />

Rondeaux, in denen individuelle Erfahrungen Ausdruck fanden, und eine Art der<br />

Spruchdichtung, die philosophische, moralische und politische Probleme erörtert.<br />

Ihr heute bekanntestes Werk ist das 'Livre de la Cité des Dames' (1404/1405), ihr<br />

letztes ein Epos über Jeanne d'Arc. 6 Christine verließ 1418 wegen politischer<br />

Unruhen Paris und zog sich in ein Kloster zurück, wo sie sehr wahrscheinlich 1430<br />

oder wenig später starb.<br />

Christine war in Paris nicht nur als Autorin tätig, sondern auch als Schreiberin<br />

eigener Werke; einige der überlieferten Handschriften sind Autographen, darunter<br />

auch zwei Handschriften der 'Epistre d'Othéa', dem ersten größeren, um 1400<br />

entstandenen Werk Christines, das sie für Louis d'Orléans schuf. 7<br />

Trotz der Bedeutung, die diesem Werk von der Zeit seiner Fertigstellung an<br />

offenkundig zugemessen wurde, dokumentiert durch die Anzahl von ungefähr<br />

fünfzig nachweisbaren und bis heute erhaltenen Handschriften, die außerordentlich<br />

prachtvolle Ausstattung einiger illuminierter Exemplare, die sich im Besitz von<br />

Mitgliedern der königlichen Familie befanden, den fürstlichen Rang der Adressaten<br />

oder ihre Aufnahme in Bibliotheken des hohen Adels, wurde bis jetzt nur eine der<br />

Handschriften der 'Epistre d'Othéa' in einer vollständigen Transkription<br />

veröffentlicht; eine kritische Ausgabe fehlt. 8<br />

Eine tabellarische Gesamtübersicht und Einteilung der Handschriften nach den vier<br />

Widmungen in „Familien“ A bis D erstellte Gianni Mombello. 9 Während die zur<br />

Familie A und B gehörenden Handschriften (Widmung Louis d'Orléans und Karl<br />

VI.) zwei deutlich zu unterscheidende Textredaktionen repräsentieren, und zu C<br />

spätere Handschriften mit Widmungen an Philippe le Hardi und Jean de Berry<br />

gezählt werden, womit ungefähr die Hälfte aller erhaltenen Handschriften erfaßt ist,


10<br />

versammelt die Familie D die Codices burgundischer Provenienz und – in der zehn<br />

Handschriften umfassenden Untergruppe DI – mit der Widmung an Louis d'Orléans.<br />

In diese Gruppe fügte sich auch die Handschrift Ms. 2361 der Universitätsbibliothek<br />

Erlangen-Nürnberg, 10 die unter Mitarbeit verschiedener Künstler hergestellt wurde<br />

im Umkreis des burgundischen Hofes, wahrscheinlich in Brügge, zur Zeit von<br />

Philippe III, le Bon, Herzog von Burgund und Graf von Flandern (1396-1467);<br />

dessen Vater, Jean sans Peur, war wiederum ein Cousin von Louis d'Orléans.<br />

Philippe veranlaßte eine Bearbeitung der 'Epistre d'Othéa' durch seinen Sekretär<br />

Jean Miélot, die um 1460 abgeschlossen war, wonach sich für die Erlanger<br />

Handschrift mit dem noch unverändertem Textbestand der terminus ante quem<br />

ergibt. 11<br />

Form und Einteilung der 'Epistre d'Othéa'<br />

in der Handschrift Ms. 2361<br />

der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg<br />

Die 'Epistre d'Othéa' 12 umfaßt den Prolog und hundert gleichförmige Kapitel, was<br />

der ursprünglichen Einteilung des Werkes zu entsprechen scheint, da es im letzten<br />

Kapitel heißt: ...othea dist que cent auctoritez lui ay escriptes... (f. 126r). In der<br />

illuminierten Erlanger Handschrift, die einspaltig eingerichtet ist, besteht jedes<br />

dieser Kapitel aus fünf Teilen: der Titelminiatur ohne Überschrift oder Bildlegende,<br />

einem Versteil und zwei mit roter Schrift als glose und alegorie bezeichneten Teilen<br />

in ungebundener Form, sowie einem durch rote Schrift hervorgehobenem<br />

lateinischen Bibelzitat als Abschluß des Kapitels. 13<br />

Da der Erlanger Handschrift am Anfang zwei der ursprünglich 126 Pergamentblätter<br />

verlorengingen, die im frühen 19. Jahrhundert vermutlich als Kopie der Originale<br />

wieder eingefügt wurden, 14 beginnt der Text des Prologs unmittelbar und ohne<br />

Überschrift, nur durch eine dreizeilige Initiale ausgezeichnet, mit einer indirekten<br />

Widmung: Treshaulte fleur parle monde loee/A tous plaisant et de dieu aduouee...<br />

(f.3r). Er umfaßt 68 zehnsilbige und paarweise reimende Verse. Von dem folgenden<br />

Kapitel ist er abgesetzt durch die Einfügung in roter Schrift Cy fine le prologue./et<br />

sensieut la matere. (f.4v). Dieses erste matere-Kapitel hat einen 58 Verse<br />

umfassenden Teil, die glose, zusätzlich einen Prologue a Alegorie mit einem<br />

eigenen Alegorie-Abschnitt, sowie dem zu diesem Kapitel gehörenden Alegorie-<br />

Teil, jeweils so in roter Schrift bezeichnet, wie auch das abschließende Bibelzitat<br />

(f.8r/v). Danach beginnt die 'Epistre' (f.8v) mit der Rubrik: Cy commence lepistre<br />

que othea la/deesse enuoya a hector de troie quant/il estoit en leage de .xv. ans. und<br />

endet Explicit le liure de othea. (f.126r). Die Versteile der folgenden Kapitel sind<br />

von unterschiedlicher Länge (22, 44, 8, 18) und sind aus achtsilbigen Versen<br />

geformt; vom sechsten Kapitel ab bestehen alle Versteile nur noch aus einem<br />

Doppelreimpaar.


11<br />

Wie in der Form sind die Kapitel auch inhaltlich einheitlich und systematisch<br />

aufgebaut. Die Miniaturen am Kopf der Kapitel fungieren als Titelminiaturen, am<br />

Anfang sind es die Personifikationen der vier klassischen Kardinaltugenden,<br />

einzelne Figuren statuarisch im Bildmittelpunkt stehend, und die sieben Planeten,<br />

die als berittene Tugend- und Laster-Allegorien dargestellt sind; dazwischen steht<br />

ein renommee gewidmetes Kapitel; für alle weiteren Kapitel zeigen die Miniaturen<br />

narrative, figuren- und detailreiche Szenen.<br />

Die unter den Miniaturen stehenden Versteile, ab Kapitel VI regelmäßige vierzeilige<br />

Verse, benennen überwiegend Götter- und Heldengestalten und Geschehnisse der<br />

antiken Mythologie und Sage, in der zweiten Hälfte des Werkes treten mehr und<br />

mehr die Hauptprotagonisten des Trojanischen Krieges hervor. Die Götter und<br />

Helden und ihre Taten werden verbunden mit einer Mahnung, dem Beispiel zu<br />

folgen oder es zu meiden. In dieser Form gehören die Verse zur Spruchdichtung<br />

(dits 15 ) und nach ihrer Art zu den Exempla. In ihrer inhaltlichen Kürze übernehmen<br />

die Verse auch die Aufgabe der fehlenden Kapitelüberschriften, und durch die<br />

prägnante Reimform eignen sie sich im didaktischen Sinn zugleich als Merkverse.<br />

Da die Sprüche außerdem in direktem Bezug zu den bildlich dargestellten Figuren<br />

und Szenen stehen, erhalten sie überdies noch die Funktion einer Bildbeischrift. (Für<br />

die transkribierten Texte siehe unten den Abschnitt 'Inhaltsübersicht').<br />

Die gloses beginnen meist formelhaft La fable dist..., oder eingefügten ...dist vne<br />

fable, wenn es sich um antike Götter- und Sagengestalten handelt. Die in den<br />

Exempla nur namentlich vorgestellten Gestalten werden nun in einen zeitlich<br />

distanzierten, historischen Kontext gestellt und nach ihrer Herkunft und<br />

bezeichnenden Eigenschaften präsentiert: Cassandra fut fille au roy priant et moult<br />

fut bonne dame et deuote en leur loy... (f.45r), Piramus fut vng jouenencel de<br />

babilonne et des quil nauoit que vii. ans deage amours le naura de son dart...<br />

(f.51r). Die Götter werden nicht euhemerisiert, sondern es wird erklärt, daß nach<br />

altem Brauch besonders edle, herausragende Menschen als göttlich bezeichnet<br />

wurden: Bacus fut vng homme qui premierement planta vignes en grece... ilz dirent<br />

que bacus estoit vng dieu... (f.33v), Neptunus selonc la loy des payens estoit nommez<br />

le dieu de la mer... (f.45v), ein Verfahren, das aus der griechischen Literatur bekannt<br />

war. 16 Darauf wird die Handlung, in deren Mittelpunkt diese Gestalten stehen, auf<br />

die wesentlichen Fakten beschränkt, im Zusammenhang berichtet. Die Autoren und<br />

Stoffquellen dieser Fabeln bleiben anonym, es sind verallgemeinert les poetes,<br />

womit zweifellos klassische lateinische Dichter gemeint sind, hauptsächlich war es<br />

Ovid mit seinem Versepos 'Metamorphosen', das überwiegend als Quelle dieser<br />

„Fabeln“ erwiesen ist. Die Protagonisten der Episoden des Trojanischen Krieges<br />

werden nicht als Fabelgestalten vorgestellt, sondern wie historische<br />

Persönlichkeiten, die aus den histoires bekannt sind, wie Hector dont histores<br />

faichent mencion ou memore (f.116v). 17


12<br />

In einem zweiten Abschnitt der glose mit der einleitenden Formel ce dist au bon<br />

cheualier... wird die Lehre aus der exemplarischen Geschichte mit Bezug auf die<br />

überlieferten Moralvorstellungen der antiken Philosophen gezogen. Sinngemäß<br />

zitiert werden als klassische Lehrautoritäten (auctorites des anchiens philosophes)<br />

sehr häufig Aristoteles le prince des philosophes, ...dist ainsi aristotele..., aber auch<br />

Cicero, Sokrates, le philosophe appelle democritus, oder gelegentlich auch Plato. 18<br />

Die gloses vermitteln also dem bon chevalier historische Kenntnisse über<br />

exemplarisch ausgewählte Gestalten und deren Taten und klassische<br />

moralphilosophische Leitsätze, so daß der „gute“ Ritter sich im Ergebnis als<br />

historisch kenntnisreiche und moralisch aufgeklärte Persönlichkeit definiert.<br />

Der vierte Teil der Kapitel, die alegorie, ist an den bon esprit oder esprit<br />

chevalereux gerichtet. Die in den gloses als historisches Faktum berichteten<br />

Handlungen werden auf eine spirituelle Ebene überführt, eingeleitet mit die<br />

Vernunft ansprechenden Wendungen wie cest a entendre, peut estre entendu que...,<br />

ce veult dire..., und im Sinn christlicher Ethik in Bezug auf das Seelenheil<br />

umgedeutet. Die exemplarisch ausgewählten Gestalten der Antike wandeln sich<br />

unvermittelt in lesprit cheualereux oder le bon esprit und in Christus selbst: Ceres a<br />

qui doit resambler le bon cheualier prenons pour le benoit filz de dieu qui le bon<br />

esprit doit ensieuir (f.37v). Der bon esprit in der Nachahmung Christi soll dem<br />

Beispiel des Hercules folgen, der seine Waffengefährten aus der Hölle errettete:<br />

...quil doit secourir ses loiaux compaignons darmes jusques en enfer poons entendre<br />

la benoite ame de jhesucrist qui tira les bonnes ames des sains patriarches et<br />

prophetes... (f.40r). In der alegorie vollzieht sich eine nicht mehr organische,<br />

sondern spirituelle Metamorphose auf einer neuen, intellektuellen Ebene. Das Ziel<br />

der literarischen Ausführungen im übertragenen Sinn ist es, daß der bon esprit, der<br />

gute, edle Geist des Menschen – als irdisches Abbild des Heiligen Geistes<br />

verstanden – sich als ethisches Wesen in der Nachfolge Christi erkennt.<br />

Analog zu den klassischen Moralphilosophen, die in den gloses zitiert werden, wird<br />

im zweiten Abschnitt der alegorie wiederum formelhaft und imperativ ...doibt le bon<br />

esprit..., ...doibt desirer lesprit cheualereux... , ...est il necessaire... auf<br />

moraltheologische Kernsätze der großen Kirchenlehrer Bezug genommen, am<br />

häufigsten auf Augustin, auf Orosius, Ambrosius, Bernhard, Gregor, Cassiodor,<br />

Chrisostomos, Origenes, aber vielfach auch auf eine nicht so eindeutig legitimierte<br />

Quelle wie hermes. 19<br />

Kurze lateinische Bibelzitate bilden jeweils den Abschluß der Kapitel. Sie sind aus<br />

verschiedenen Büchern des Alten Testaments, den Sprüchen Salomos, dem Psalter,<br />

den Evangelien oder den Petrus- und Paulus-Briefen entnommen. In ihrer Aussage


13<br />

entsprechen sie sinngemäß den Maximen der Versteile. Zwischen beiden besteht,<br />

wie der im ersten, programmatischen Kapitel des Werks eingeschobene Prologue a<br />

Alegorie erklärt, eine allegorische Beziehung: Pour ramener a alegorie le<br />

propost/de notre matere nous appliquerons/la sainte escripture a noz dis<br />

aledificacion/de lame estant en cestui monde (f.7v). Um zu erreichen, daß der (in<br />

den gloses) vorgeführte Gegenstand im christlich-religiösem Sinn der alegorie<br />

verstanden wird, wird die Heilige Schrift in Beziehung gesetzt zu den dits, damit die<br />

Seele gestärkt wird auf dem irdischen Weg zu Gott. Zwischen dem klassischem<br />

Exemplum und dem Bibelspruch gibt es keinen unmittelbar erkennbaren<br />

Zusammenhang, der nur durch den kommentierenden Bericht der glose und die<br />

Deutung des Geschehens der alegorie hergestellt wird. Diese Art der allegorische<br />

Analogie funktioniert nur dann, wenn das Bewußtsein und der Glaube vorhanden<br />

sind oder hergestellt werden, daß ein tieferer Sinngehalt auf ein ganz anderes,<br />

entferntes erzählerisches Motiv übertragen werden kann. Dieses höchst komplizierte<br />

Verfahren nach dem Analogieprinzip, das so neu und ungewöhnlich wirkt, bedurfte<br />

wohl zumindest im Bereich der weltlichen Literatur einer solchen Erklärung,<br />

weswegen der Prologue a alegorie notwendig schien. Jedenfalls gibt es für die<br />

literarische Form, die die 'Epistre d'Othéa' mit zusammen hundert gleichförmig<br />

gegliederten Kapiteln repräsentiert, kein anderes Beispiel. Diese Methode der<br />

Textdarstellung und Interpretation weist auf Augustinus zurück, dessen Lehre vom<br />

vierfachen Schriftsinn für die Bibelexegese eine systematische Grundlage<br />

geschaffen hatte, die durchaus formal auch umgesetzt werden konnte in Verbindung<br />

mit nicht-biblischer Literatur. 20 Daß diese Methode im größeren Rahmen auf<br />

weltliche Literatur übertragen wurde, auch auf Werke der klassischen Dichtung mit<br />

Übersetzungen in französischer Sprache, dafür scheint der Einfluß Karls V. des<br />

Weisen verantwortlich gewesen zu sein. Jedenfalls berichtet Christine in ihrer<br />

Biographie des Königs, dieser habe par solimpnelz maistres souffisans en toutes les<br />

sciences et ars die bedeutendsten Werke vom Lateinischen ins Französische<br />

übersetzen lassen, und zwar wie die Bibel in dreierlei Art: translater de latin en<br />

franois tous les plus notables livres si comme la Bible en III manieres c'est<br />

assavoir le texte et puis le texte et les gloses ensemble et puis d'une autre maniere<br />

alegorisée. Ein Beispiel für dieses literar-exegetische Vorgehen aus der Zeit und<br />

dem unmittelbaren Umkreis Christines ist die Bibelübersetzung von Raoul de<br />

Presles von 1375, 21 für die weltliche Literatur ist es Christines Werk 'Epistre<br />

d'Othéa'. Über ihr literarisches Vorgehen wird im übrigen noch das erste Kapitel des<br />

Werkes weitere Einzelheiten erkennen lassen.<br />

In jedem Kapitel bildet der Textteil mit seinen vier stufenförmig aufgebauten<br />

Inhalts- und Bedeutungsebenen eine in sich geschlossene, sinnvolle Einheit, die für<br />

sich allein bestehen könnte. Im Gegensatz zum Text erscheint das Bild am Kopf des<br />

Kapitels als luxurieuse Zutat, das allein betrachtet seinen Sinn nicht offenbart, denn<br />

es ist eine wirkliche Illustration des Textes, es spiegelt ihn in letzter Konsequenz


14<br />

ebenfalls auf vier Ebenen. Diese demnach sehr komplexe Struktur der Miniaturen ist<br />

ohne Hilfe des Textes nicht zu entschlüsseln. Denn während die gereimten Exempla<br />

als Beischriften zu den Titelminiaturen nur die Identität der dargestellten Figuren<br />

angeben, bilden die in den gloses berichteten Handlungsepisoden die Quellen für die<br />

szenische Gestaltung der Bilder. Besonders die mehrszenigen Kompositionen vieler<br />

Miniaturen, die verschiedene Stationen eines Handlungsverlaufs darstellen, zum<br />

Beispiel die Exempla Briseida, Troilus, Calchas und Diomedes (LXXXIV, f.107r),<br />

Priamus, Calchas und Achill (LXXXI, f.103v), Echo und Narziß (LXXXVI, f.109r),<br />

erklären sich aus den gloses. Das zeitliche Nacheinander in der erzählten Form wird<br />

in der zweidimensional beschränkten Bildkomposition umgesetzt entweder in<br />

gleichwertig im Vordergrund nebeneinander gestellte Szenen, oder verschiedene<br />

Einzelszenen werden überaus kunstvoll durch Veränderung der Proportionen im<br />

Verhältnis Vorder- zu Hintergrund so im Bildraum verteilt, daß durch den Eindruck<br />

einer damit erzeugten räumlichen Tiefe die Bilder dem Betrachter als<br />

kompositorische Einheit erscheinen. Diese Art der narrativen Illustration wäre ohne<br />

die in der glose in Kurzform vermittelte Kenntnis der Gestalten und Vorgänge nicht<br />

zu entschlüsseln.<br />

Dies gilt nicht nur für die bildliche Szenenkomposition, sondern auch für<br />

ikonographische Details, zum Beispiel in der Miniatur mit dem die Lyra spielenden<br />

Orpheus, deren betörende Klänge dem vorbeigehenden Mann den Kopf<br />

offensichtlich verdreht haben. Die Darstellung entspricht dem paradoxen Sinn der<br />

fable, daß durch die Macht der süßen Töne sich alles verkehrt: meismes les eaues<br />

courans en retournoient leur cours et les oiseaulx del air les bestes sauluaiges et les<br />

fiers serpens en oublioient leur cruaulte... (LXVII, f.85v). In der ausführlich<br />

erzählten Geschichte von Adrastus, der seine beiden Töchter mit zwei cheualiers<br />

errans verheiratet, waren dem Vater in einem nächtlichen Traum ein miteinander<br />

kämpfender Löwe und Drache erschienen. In der mehrszenigen Miniatur wird dieses<br />

Traumbild als Himmelsvision dargestellt, und nur durch die Kenntnis des Textes der<br />

glose ist in der linken Szene die größere Figur am äußersten Rand als der erwähnte<br />

expositeur des songes identifizierbar (XLVI, f.60v-61v).<br />

Ebenso tragen die Erklärungen und Deutungen der alegorie zum Verstehen ikonographischer<br />

Details bei. Das Motiv der „verkehrten Welt“ wiederholt sich in der<br />

Darstellung der Juno als Göttin des Besitzes und des Reichtums, die vor der Auslage<br />

eines Gold- und Silberschmiedes sitzt, an der ein Mann vorbeireitet, dessen Kopf<br />

wieder verdreht zum Rücken sitzt. Der Sinn dieser paradoxen Gestaltung ergibt sich<br />

dies mal durch die Deutung der alegorie: Et dist leuuangille que le cameau passeroit<br />

plus aise parmy le petruis de laguille que le riche nattainderoit au royalme des cieux<br />

Car le cameau na que vne boche sur le dos et le riche en a .ii... (XLIX, f.64v-65v).


15<br />

Wichtig ist die Textkenntnis auch für diejenigen Episoden, die bereits eingetretene<br />

Verwandlungen darstellen: Latona und die lykischen Bauern, die zu Fröschen<br />

wurden (XX, f.32r-33r); Arachne, die in eine Spinne, Antheon, der in einen Hirsch<br />

verwandelt wurde (LXIV, f.82v-83r; LXIX, f.87v-89r); Daphne, deren Körper zum<br />

Lorbeerbaum wurde (LXXXVII, f.110v-112r). Der Maler – oder die Maler – der<br />

Miniaturen hielt sich bei der szenischen Ausgestaltung recht nahe am Text, obwohl<br />

es durchaus einige Miniaturen gibt, die auch nach dem Text auffällige Details oder<br />

Szenenfolgen nicht wiedergeben. 22<br />

Generell ist festzuhalten, daß auch der Miniaturenzyklus „gelesen“ und interpretiert<br />

werden muß, um die Bedeutung der Ikonographie und der Komposition zu<br />

verstehen. Es sind keine Bilder, die für die meditative und erbauliche Betrachtung<br />

unabhängig vom Text und als reines Schmuckelement geschaffen wurden.<br />

Zum Prosastil<br />

Christines in die gloses eingefügte Anmerkungen und Kommentare geben<br />

Aufschluß über ihr literarisches Vorgehen und Auffassung ihres Werks und<br />

gleichzeitig über die Art der Rezeption der klassischen Dichter.<br />

Hingewiesen wird auf die Sprache und den besonderen Stil dieser Dichter: la<br />

maniere de parler des poetes (f.95v), deren Eigenschaft sei, verschleiert, wie unter<br />

einer Hülle zu sprechen: Les poetes qui parlerent soubz couuerture et en maniere de<br />

fable (f.11v, 12v), selonc la couuerture des poetes (f.13r), les poetes parlent soubs<br />

couuerture de fable (f.18v). Dies dichterische Sprechen „sub integumentum“ ist eine<br />

Charakterisierung, die schon früh hauptsächlich für die Werke Ovids und Vergils<br />

angenommen wurde. 23 Dieser poetischen Sprechweise stellt Christine ihr eigenes<br />

Stilprinzip gegenüber, das bewußt sachlich dem historischen Bericht angepaßt ist,<br />

weil dies dem Gegenstand der Rede angemessen sei: ...et prins maniere de parler<br />

aulcunement poetique et acordant ala vraye histoire pour mieulx ensieuir notre<br />

matere... (f.7r). 24 Das Ergebnis dieses realistischen Stils bewirkt, daß die<br />

Protagonisten der einzelnen Handlungen ganz rationalistisch und systematisch<br />

jeglicher poetischen und mythischen Aura im buchstäblichen Sinn „entkleidet“<br />

werden, die sie nach der Überlieferung durch die klassischen Dichter umgab, sie<br />

werden als historische Personen erklärt und „entmythologisiert“, und dadurch als<br />

immer noch gültige Exempla legitimiert, ohne sie andererseits aber zu<br />

„christianisieren“: Iuno cest la deesse dauoir selonc les fables des poetes... (f.65r),<br />

Pantesselee (Penthesilea) fut vne pucelle royne/de mazoire et moult fut belle et/de<br />

merueilleuse proesce en armes et de/grant hardement... Et est a entendre que/tout<br />

bon cheualier doit amer et prisier/toute femme forte en vertu de sens et<br />

de/constance... (f.26r/v). Trotzdem benutzt Christine erklärtermaßen, wenn es ihr<br />

unter moralpädagogischem Aspekt angebracht erscheint, Stil und Art der Fabel, und<br />

zwar dann, wenn sich die Handlung vernünftigerweise nicht als historisches Faktum


16<br />

präsentieren läßt: Et a parler moralement dirons vne fable ad ce propost selonc la<br />

couuerture des poetes Minos comme dient les poetes est justicier denfer... (f.13r);<br />

Les poetes qui parlerent soubz couuerture et en maniere de fable dirent que il<br />

(Hercules) ala en enfer combattre aux princes infernaulx... (f.11v); ...en ferons<br />

figure selon la maniere des poetes... dirent les poetes quil (Perseus) cheuauchoit le<br />

cheual qui par lair vole et va en tous pays... (f.14vf.). Unrealistische Vorgänge<br />

werden nicht als Lügen denunziert oder ausgelassen, sondern als Fiktion erkannt:<br />

...dirent les poetes par fiction quil (Minotauros) fut moitie homme et moitie torel<br />

(f.59v). Diese literarische Methode rechtfertigt Christine mit einer rationalistischen<br />

Erklärung am Beispiel der fabelhaften Erzählung von Pygmalion, die durch<br />

verschiedene Interpretationsmöglichkeiten die Erkenntnisvorgänge verfeinert: A<br />

ceste fable poeuent estre mises maintes expositions et samblablement a toutes<br />

aultres fables Et pour ce les firent les poetes que les entendemens des hommes<br />

subtilassent a y trouuer diuers propostz (f.35r). Sogar die größten (Moral-)<br />

Philosophen können ihre wissenschaftlichen Geheimnisse auf dem Gebiet der<br />

Astronomie und Alchemie im Gewand der Fabel verbergen, und weil<br />

Liebesgeschichten ganz einfach erfreulicher anzuhören sind, haben sie allgemein<br />

ihre phantasievollen Erfindungen als Liebesgeschichte dargeboten: ...comme les<br />

subtilz philosophes ayent muchie leurs grans secrez soubs couuerture de fable y<br />

poeut estre entendue sentence appartenant a la science dastronomie et darquemie Et<br />

pour ce que la matere damours est plus delitable a oyr que aultre Ilz firent<br />

communement leurs fictions sur amours... (f.105v). – Die Gleichartigkeit einer<br />

mehrdeutigen Fabel und der Wissenschaft der Astronomie wurde schon kurz vorher<br />

angeführt mit Bezug auf die Liebesepisode zwischen Jupiter und Semele: Sur ceste<br />

fable peuent estre mis pluseurs entendemens et meismes sur la science dastronomie<br />

comme dient les maistres... (f.80v/81r). Wie die Bezüge zwischen Literatur und<br />

Astronomie konkret zu verstehen sind, bleibt leider dunkel. Vielleicht wäre als<br />

Bindungsglied an eine die Form bestimmende Zahlenmystik zu denken, etwa an das<br />

Centenar als Einheit für die Beispielsammlung, das Septenar für die<br />

Kardinaltugenden und Planeten, oder die vierfache Unterteilung der Kapitel. Die<br />

höchst bemerkenswerte Feststellung Christines bedeutet jedenfalls, daß im<br />

literarischen Gewand einer Liebesgeschichte im Grunde Erkenntnisse aus dem<br />

Bereich mittelalterlicher Astronomie/Astrologie bewußt verborgen wurden, das<br />

heißt, die Verbindung und letzliche Einheit von Mikrokosmos und Makrokosmos<br />

verschleiert wurde. Solche Literatur wäre wie in einer Arkansprache verfaßt,<br />

undurchdringlich für den Nicht-Eingeweihten. Liegt in dieser von Christine<br />

offenbarten Methode die Lösung des Geheimnisses mancher literarischer Werke, die<br />

modernem Geist noch immer rätselhaft erscheinen?<br />

Bemerkenswert ist außerdem, daß Christine die antike Fabelerzählung als<br />

historische Quelle annimmt und keine grundsätzliche Kritik an ihren Inhalten äußert.<br />

War doch jahrhundertelang die Gleichsetzung von Fabel mit Lüge geläufig, so wie


17<br />

Geschichte und Wahrheit zusammengehörten. An die Stelle des inhaltlich bedingten<br />

Wahrheitskriteriums tritt die Forderung nach durch sprachliche Mittel unverfälschter<br />

Überlieferung. Die rhetorische Grundregel lautet klare Sprache – klare Fakten: nulle<br />

ordure souffrir desoubs couuerture (f.19v), die Wahrheit enthüllt sich eben schön<br />

durch klare Sprache, im Gegensatz zum Stil der klassischen Dichtung, als les poetes<br />

aient muchie verite soubs couuerture (f.42r). Die Sprache ist Erkenntnisgegenstand<br />

für Weisheit im Gegensatz zur Torheit, wie das Exemplum La langue soit<br />

saturnine/Ne soit a nul male voisine/Trop parler est laide coustume/Et qui lot folie y<br />

presume fordert. Mit Rückbezug auf das Saturn-Kapitel (VIII) erläutert die glose<br />

dazu: ...car langue doibt estre tardieue adfin quelle ne parle trop et saige... Car le<br />

saige dist ala parole cognoist on le saige... Die Alegorie deutet das von Hugo von<br />

St. Victor vertretene Sprachideal metaphernreich aus als über Leben und Tod<br />

entscheidend: ...que la bouche qui ne la garde de discrecion est comme la cite qui<br />

est sans mur comme le vaissel qui na point de couuercle comme le cheual qui na<br />

point de frain et comme la nef qui est sans gouuernal La langue mal gardee glache<br />

comme languille perche... et semme discorde... Qui garde sa langue Il garde son<br />

ame car la mort et la vie sont en la puissance de la langue. Die Verbindung von<br />

Weisheit und Sprache hat allegorische Bedeutung für das Seelenheil. Hierfür wird<br />

die biblische Autorität des Psalters in Anspruch genommen: Ad ce propost dist<br />

dauid en son psaultier Quis est homo qui vult vitam diligit dies videre bonos prohibe<br />

linguam tuam a malo et labia ne loquantur dolum (f.67r/v). Christine stellt sich mit<br />

diesem Sprachbewußtsein, das auch für ihr literarisches Werk prägend ist, ganz<br />

ausdrücklich in eine Tradition, die weit zurückreicht und das Fundament in den<br />

Weisheiten der Bibel findet.<br />

Die konsequente Stilhaltung eines historischen Berichtes für die gloses bewirkt<br />

weiterhin, daß auf dieser Ebene keine Art von Allegorisierung erkennbar wird, und<br />

folglich auch auf der narrativen Bildebene keine Anzeichen dafür in Erscheinung<br />

treten.<br />

Christine erzählt in den gloses die einzelnen Fabeln der 'Metamorphosen' Ovids<br />

beschränkt auf den Kern der Handlung, geradlinig und ohne rhetorische Figuren,<br />

und erst ein genauer Vergleich müßte zeigen, ob Christine die Stücke selbst aus dem<br />

lateinischen Original übersetzt und kürzend redigiert hat, oder ob sie nur nach<br />

bereits vorliegenden Bearbeitungen, zum Beispiel des 'Ovid moralisé', zitiert. In<br />

diesem Fall wären die Berufungen auf die klassischen Dichter, ihre Fabeln und<br />

deren Sprachstil allerdings überflüssig gewesen. Um die Fragen nach der Art der<br />

Rezeption durch Christine zu beantworten, bedürfte der ganze Komplex nicht nur<br />

unter dem Aspekt der Stoff- und Motivgeschichte einer gründlicheren Untersuchung<br />

als es in diesem Rahmen möglich war.


18<br />

Inhalt und Gliederung<br />

Prologue und Matere<br />

(f. 3r-4v; f. 4v-8v)<br />

Die Aussagen des Prologs und das erste Kapitel, in dem die matere exponiert wird,<br />

gewähren weiteren Aufschluß über Christines Intentionen und Ambitionen.<br />

Hemmend für das Verständnis des Prologs und der Verse des ersten Kapitels wird es<br />

sein, daß die Worte und die Syntax, die noch stark vom Lateinischen beeinflußt zu<br />

sein scheint, sich den Reimzwängen und den metrischen Bedingungen anpassen<br />

mußten, und durch die begrenzte Form der Kontext fehlt, der zum erhellenden<br />

Verständnis des Gemeinten beitragen könnte. Die Sprache ist durch Vokabeln und<br />

Begriffe geprägt, die überwiegend intellektuelle Fähigkeiten, besonders mit Bezug<br />

auf Lernen und Lehren, bezeichnen, wie entendre, entendement, sens acquis, sens<br />

fonde, grant sens, sentement, esprit, raison, vouloir, memoire, science, sauoir,<br />

ignorant, enseignement, (a)monnestement estude, ademoustrer, escole, sage, sagesse<br />

und prudence, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Problematik wird beim<br />

Versuch einer Übersetzung sehr deutlich, wenn zum Beispiel Weisheit und Klugheit<br />

zu differenzieren wären, Vernunft, Verstand oder Geist und Sinn, Verstehen,<br />

Verständnis oder Verständigkeit zur Wahl stehen. Häufig kann nur<br />

annäherungsweise in der Paraphrase Bedeutung und Sinn abstrakter Begriffe<br />

wiedergegeben werden, die in den Versen stichwortartig aufgereiht vorkommen,<br />

dann aber wenigstens zum Teil in der darauffolgenden glose eine weitergehende<br />

Erklärung finden. 25 Um die Nachprüfung zu erleichtern, werden die entsprechenden<br />

Textstellen ausführlich zitiert. Keinesfalls aber konnte im Rahmen dieser<br />

Einführung eine über den Text hinausgehende, historische Begriffsklärung<br />

vorgenommen werden.<br />

Der Prolog zur 'Epistre d'Othéa' scheint bei oberflächlicher Wahrnehmung im<br />

Rahmen traditioneller Exordialtopik zu verharren. Christine beginnt mit einer<br />

panegyrischen Widmung an einen legitimen Herrscher von Gottes Gnaden, dessen<br />

Lob sie mit dem Lobpreis Gottes direkt verbindet Loenge a dieu auant oeuure soit<br />

mise/Et puis a vous noble fleur qui transmise/Fustes du ciel pour anoblir le<br />

monde/Seignourie tres droituriere et monde. Merkmale dieses Herrschers, dessen<br />

hohe Ehre nirgends übertroffen wird, sind seine edle trojanische Abkunft und seine<br />

unwandelbare Glaubensfestigkeit Destre troy en anchienne noblesse/Piler de foy<br />

que nulle erreur ne blesse/Que hault renom nul lieu ne va celant. Nun galt die<br />

trojanische Abkunft und das Attribut piler de foy als Kennzeichen der französischen<br />

Könige, und so ist zu schließen, daß Christine zu Beginn des Werkes indirekt König<br />

Karl VI. anspricht. 26


19<br />

Und sie fährt dann in ihrer panegyrischen Rede fort, nun direkt gewandt an Herzog<br />

Louis d'Orléans, Sohn Karls V., jüngerer Bruder Karls VI. und ihr Herr Et a vous<br />

tres noble prince excellent/Dorlyens Duc loys de grant renom/Filz de charles roy<br />

quint de celui nom/Qui fors le roy ne cognoissies greigneur/Mon tresloe et<br />

tresredoubte seigneur. Ihm widmet die arme, kleine, unwissende Christine<br />

untertänigst in aller Bescheidenheit ihr Werk, während sie sich gleichzeitig als<br />

Tochter des verstorbenen Thomas de Pizan vorstellt, Philosoph, Arzt, berühmter<br />

Wissenschaftler und Berater des ebenfalls verblichenen Karls V. Dumble vouloir<br />

moy poure creature/Femme ignorant de petite estature/Fille jadis philosophe et<br />

Docteur/Qui consillier et humble seruiteur/Votre pere fut que dieu faice grace/Et<br />

jadis vint de boulongne la grasse/Dont il fut nez par le sien mandement/Maistre<br />

thomas de pizan aultrement/de boulongne fut dit et surnomme/Qui sollempnel clerc<br />

estoit renomme... . Unverzüglich wird so die topische Bescheidenheit relativiert<br />

durch die keineswegs so bescheiden wirkende Parallelstellung von Louis, Sohn des<br />

ruhmvollen Königs, und Christine, Tochter des berühmten Wissenschaftlers. Der<br />

Geistesadel wird ganz selbstverständlich dem Geburtsadel gleichgestellt.<br />

Christine möchte ihrem Wissen entsprechend eine gefällige Sache vollbringen, die<br />

den Fürsten auf den Weg führt, was für sie zwar wenig Vergnügen bedeutet, aber<br />

großen Ruhm einbringen wird. Für dieses Unterfangen verfügt sie über ein dem<br />

nicht genügendes Gedächtnis, das eigentlich die Voraussetzung nicht erfüllt, um<br />

gegenwärtig dies Werk in Verse zu setzen, um es dem gnädigen Herrn am ersten<br />

Tag des sich erneuernden Jahres zu übersenden, denn es behandelt eine völlig neue<br />

Materie. En desirant faire se je scauoye/Chose plaisant qui vous meist en<br />

voie/Daulcun plaisir ce me seroit grant gloire/Pour ce enprins ay dindigne<br />

memoire/Presentement cest oeuure a rimoyer/Mon redoubte pour le vous<br />

enuoyer/Le premier jour que lan se renouuelle/Car moult en est la matere<br />

nouuelle.... Der Gedankengang erscheint insgesamt nicht recht nachvollziehbar, weil<br />

das Spiel mit Worten und Haltungen undeutlich bleibt, zum Beispiel auch der<br />

Bedeutungsumfang von memoire unklar ist, ebenso wie die Beziehung zum Werk<br />

und der Zeitangabe, und was besagt „auf den Weg bringen“? Es wurde<br />

angenommen, mit dem ersten Tag des neuen Jahres wäre ein Neujahrstag gemeint,<br />

der in Zusammenhang stehen müßte mit der Altersangabe Hectors, der mit Louis<br />

identisch sei. Allerdings würde eine solche platte Datumsangabe zum Pathos des<br />

Prologs wenig passen. Vorstellbar wäre auch, daß Christine auf ein denkwürdiges<br />

Ereignis des vergangenen Jahres anspielt, das in Beziehung zum jungen Louis<br />

d'Orléans stehen könnte und eine besondere Bedeutung für ihn gehabt hätte,<br />

vielleicht sogar der Zusammenfall mit einem Jahrestag. Es müßte ein sehr<br />

bedeutungsvolles, freudiges Ereignis gewesen sein, wie zum Beispiel die<br />

Übertragung des Herzogtums Orléans durch seinen königlichen Bruder Karl VI.<br />

1392, der zu dieser Zeit bereits schwer erkrankt war, wodurch Louis möglicherweise


20<br />

politisch gewisse Wege geebnet schienen, oder die Geburt seines Sohnes Charles am<br />

24. November 1394. War es die Erinnerung an ein solches Ereignis, das Anlaß bot<br />

für die Überreichung eines so anspruchsvollen Werks wie die 'Epistre d'Othéa' der<br />

Christine gerade an diesem Tag? 27<br />

Allerdings, so fährt Christine in ihrem Prolog fort, wird die neue Materie in ihrem<br />

geistigen Gehalt(?) mühsam zu verstehen sein, weil die junge Autorin noch nicht<br />

über hinreichend ausgebildetes Wahrnehmungsvermögen, Einsicht und Erfahrung<br />

verfügt. Hinsichtlich eines durch Vernunft bestimmten Geistes gleicht sie dem Vater<br />

nicht, eher ist das Verhältnis so, daß sie nur die am Rand des Feldes<br />

fallengelassenen Samenkörner und die von der großen Tafel abfallenden Krümel<br />

aufgesammelt hat, anderes aber nicht von seinem überragenden Geist aufnehmen<br />

konnte. Tout soit elle de rude entendement/Pourpensee car je nay sentement/En sens<br />

fonde nen ce cas ne ressamble/Mon bon pere fors ainssi comme on emble/Espis de<br />

blet en glennant en moissons/Par my les champs dencoste les buissons/Ou les myes<br />

cheans de haulte table/Que len coucoelt quant ly mes sont notable/Aultre chose nen<br />

ay je recoelly/De son grant sens dont il assez coelli/Si ne voeullies mesprisier mon<br />

oultraige/Mon redoubte seigneur haultain et saige/Pour mon deport ignorante<br />

personne/Car petite clochette grant voix sonne/Qui moult souuent les plus saiges<br />

resueille/Et le labeur destude leur conseille. Auch wenn Christine topische<br />

Wendungen benutzt, so verbirgt sich dahinter doch eine realitätsbezogene Aussage.<br />

Anscheinend will sie die ihr noch fehlende Autorität als Lehrende zum Ausdruck<br />

bringen, was der Vergleich mit der kleinen Glocke, deren durchdringender Klang<br />

auch Weise aufweckt und zu unermüdlichem Studium antreibt, wohl besagen soll.<br />

Diese Demutshaltung ist nur halb berechtigt und sollte nicht als Unterwürfigkeit<br />

mißverstanden werden; so wird im späteren Text wiederholt Platon zitiert, der<br />

gesagt habe: Ne desprise nul pour sa petite faculte car ses vertus poeuent estre<br />

grandes... ...le bon esprit ne doibt desprisier ne hair lestat dumilite soit en religion<br />

ou aultre quelconque estat... (f.75r), ...dist platon tu ne dois despriser conseil de<br />

petite personne saige... (f.112v). Der demütigen Haltung steht die auf Tugend und<br />

Weisheit beruhende Autorität gegenüber, wie sie sich aus moralischer Überlegenheit<br />

ergibt.<br />

Nach diesem ersten Abschnitt des Prologs, der die historischen Umstände sowie die<br />

reale wie geistige Herkunft der Autorin behandelte, wendet Christine sich dem Werk<br />

zu. Der Person des edlen Prinzen steht höchst selbstbewußt die Persönlichkeit der<br />

Verfasserin des Werks gegenüber: Moy nommee xpristienne, wohl nicht ganz ohne<br />

Absicht ist die Schreibung ihres Namens mit der Autorität versprechenden Xpr-<br />

Initiale verbunden. Sie, Christine, eine Frau nicht ebenbürtig hinsichtlich der<br />

erlangten geistigen Fähigkeit, um ein derartiges Werk zu beginnen, wolle es<br />

unternehmen, diese ehemals an Hector von Troja gesandte Epistel, getreu der<br />

historischen Überlieferung, in schöne und würdevolle Reime zu fassen; und sie fährt


21<br />

fort, daß diese vielen Verse sehr gut anzuhören seien, denn sie werde nun beginnen,<br />

wie es ihr von Gott zu seinem Lobe aufgegeben sei, alle Taten und Aussprüche und<br />

Dinge zu beschreiben, die dem edlen Herrn, für den sie das Werk ausführe, gefallen<br />

können. Seine edle Großmütigkeit möge ihre Kühnheit verzeihen, ihm trotz ihrer<br />

geringwertigen Weisheit zu schreiben. Pour ce prince tresloable et tresdigne/Moy<br />

nommee xpristienne femme indigne/De sens acquis pour si faite oeuure enprendre/A<br />

rimoyer et dire me voeul prendre/Vne epitre qui a hector de troye/Fut envoye<br />

sicomm listoire ottroye/Se tel ne fut bien pot estre samblable/Ou ens aura maint<br />

viers bel et notable/Bel a oyr et meilleur a entendre/Dor en auant acommencier<br />

voeul tendre/Or me doinst dieu a sa loenge faire/Tous fais et dis et chose qui puist<br />

plaire/A vous mon redoubte pour qui lemprens/Et humblement suppli se je<br />

mesprens/La franchise de vostre grant noblesse/qui me pardoint se trop grant<br />

hardiesse/Descripre a vous personne si tresdigne/Entreprens moy en sagesse non<br />

digne.<br />

Der Prolog endet mit dem Stichwort sagesse, mit dem geschickt die Überleitung<br />

zum ersten Kapitel gegeben wird, das Othea gewidmet ist, der Göttin der Weisheit<br />

und Klugheit, das aber vor allem nach der Überschrift die Exposition der matere<br />

toute nouuelle bedeutet, die das angekündigte Reimwerk ausmacht. Wie auch immer<br />

matere zu übersetzen ist, ob als „Materie“, „Stoff“, Gegenstand oder „Inhalt“, es<br />

stellt sich sofort die Frage, was genau damit gemeint sein könne, oder, welcher Art<br />

das Werk sei.<br />

Der erste Teil dieses matere- oder Othea/prudence-Kapitels, des weitaus längsten<br />

des ganzen Werks, umfaßt 29 Reimpaare. Othea spricht in direkter Anrede mit etwa<br />

denselben panegyrischen Wendungen, die zuvor im Prolog Louis d'Orléans galten,<br />

Hector an, den edlen, durch seine Waffentaten berühmten trojanischen Prinzen,<br />

(Zieh-)Sohn des Kriegsgottes Mars und der Göttin Minerva, der mächtigen Herrin<br />

der Waffen, der seit frühester Jugend bestrebt war, den ihm eigenen Kampfesmut<br />

noch zu vergrößern. Ihn wolle sie mit ihrem Schreiben auf alle Dinge anfeuernd<br />

hinweisen, die für höchste Tapferkeit notwendig seien. Othea la deesse de<br />

prudence/qui adresse les bons coeurs en vaillance/A toy hector noble prince<br />

puissant/Qui en armes es ades flourissant/Filz de mars le dieu de bataille/Qui les<br />

fais darmes liure et taille/Et de minerue la deesse/Puissant qui darmes est<br />

maistresse/Successeur des nobles troyens/Hoir de troies et des citoyens/Salutacion<br />

deuant mise/Auec vraye amour sans faintise/Et comme soie desirant/Ton grant preu<br />

que je voy querant/Et que augmentee et preseruee/Soit et en tous temps obseruee/Ta<br />

vaillance et haulte proesse/Ades en ta prime jouesse/Pour mon epistre<br />

ademoustrer/Te voeul et dire et enhorter/Les choses qui sont necessaires/A haulte<br />

vaillance et contraires/A lopposite de proece.<br />

Christine, die sich im Prolog als Autorin des an Louis d'Orléans gerichteten Werkes<br />

vorgestellt hatte, schlüpft mit Beginn des ersten Kapitels, wie selbstverständlich,


22<br />

unter die Hülle der in zeitliche Ferne gerückten Titelfigur Othea, Personifikation der<br />

Klugheit, und beginnt so, Wirklichkeit und literarische Fiktion im Hinblick auf die<br />

Autorin und den fürstlichen Adressaten des Werkes kunstvoll miteinander zu<br />

vermischen, denn gleichlaufend wird die Metamorphose der Adressaten Louis –<br />

Hector vollzogen. Immer sollte bewußt bleiben, daß die fiktiven Gestalten die<br />

Hüllen der realen Personen sein sollen, und daß diese Art der Analogie auf<br />

unterschiedlichen Ebenen als Strukturprinzip anzusehen ist.<br />

Die Absicht von Otheas Mahnschreiben ist es, daß sich sein gutes Herz, seine Seele,<br />

sein inneres Streben, darauf richte, durch gute Schulung, das heißt durch ein als<br />

Ergebnis von Belehrung erworbenes Wissen, den durch die Luft enteilenden<br />

Pegasus, Sinnbild des Ruhmes und der Ehre, geliebt von allen Tapferen, zu<br />

gewinnen: Adfin que ton bon coeur sadresse/A acquerir par bonne escole/Le cheual<br />

qui par lair sen vole/Cest pesagus(!) le renomme / Qui de tous vaillans est ame.<br />

Damit ist das zentrale Thema, das Verhältnis von sagesse/prudence, vertreten durch<br />

Othea, und vaillance, vertreten durch Hector, vorgestellt.<br />

Hector wisse aufgrund seiner (ererbten, natürlichen) Veranlagung, durch rechtes<br />

Streben zu ritterlichen Taten fähiger zu sein, als Tausende anderer Menschen. Sie<br />

aber habe erkannt und wisse, so fährt die Göttin fort, aufgrund ihrer<br />

wissenschaftlichen Gelehrtheit, ihrer (theoretisch erworbenen) Kenntnisse, und nicht<br />

durch (zufällige) Erprobung, oder Vermutung, um zukünftige Dinge, und es sei ihre<br />

Aufgabe, seine Erinnerung zu bewirken; denn sie wisse bereits, daß Hector für<br />

immer von allen Tapferen der Tapferste sein werde und vor allen anderen Ansehen,<br />

Ruhm und Ehre besitzen werde: Pour ce que ta condicion/Scay par droite<br />

inclinacion/Aux fais cheualereux habile/Plus que nont aultres .vc. mile. Et comme<br />

deesse je scay/Par science et non par essay/Les choses qui sont aduenir/Me doibt il<br />

de toy souuenir/Car je scay que atousiours seras/Le plus preux des preux et<br />

auras/Sur tous les aultres renommee. Auffällig ist wiederum die hergestellte<br />

Analogie von Hector und Othea: für Hector charakteristisch ist die Beziehung<br />

condition - savoir - inclination, für Othea, Göttin der Klugheit, ist es prudence -<br />

savoir - science. Otheas Aufgabe ist es, zukünftiges Geschehen zu erkennen, und<br />

dieses Wissen ihm einprägsam zu vermitteln. Wieder aufgenommen und etwas<br />

weiter ausgeführt wird hier der Gedanke des Prologs zur Beziehung von Wissen und<br />

Erinnerung: ...faire se je scauoye... ay dindigne memoire..., ohne aber schon ganz<br />

eindeutig zu erscheinen. Dies gilt auch für die in enger Beziehung stehenden<br />

Begriffe condicion und inclinacion, die später im Planetentraktat (VI) wieder<br />

begegnen werden, und ein Gegensatzpaar wie science und essay, die auf eine<br />

grundsätzliche Haltung Christines anspielen, 28 ebenso wie die Beziehung von fais<br />

cheualereux zu renommee, die im V. Kapitel behandelt wird. Auch der Verweis auf<br />

Gegenwärtiges, Vergangenes und Zukünftiges wird hier folgend im letzten<br />

Abschnitt wieder aufgenommen, und noch weitere Erklärungen bietet die<br />

anschließende glose.<br />

Darauf wird Hector wieder ganz persönlich von der Göttin der Weisheit und<br />

Klugkeit angesprochen: Ob sie von ihm geliebt oder nicht geliebt werde, sie


23<br />

jedenfalls erhebe alle, die sie liebten, zum Himmel, und zu diesen möge er auch<br />

gehören und ihr wohl glauben. Deswegen also bitte sie ihn, die Sprüche, die sie ihm<br />

aufschreiben wolle, wohl im Gedächtnis zu bewahren. Denn sie sage ihm jetzt<br />

Dinge, die sich erst später ereignen würden, die er aber im Gedächtnis bewahren<br />

möge, als ob sie bereits vergangen wären. Er müsse wissen, daß sie diese Dinge im<br />

Sinn einer Prophezeiung bereits in ihren Gedanken trage; so möge er einfach<br />

zuhören und sich keine Sorgen machen, denn sie werde nichts verkünden, was nicht<br />

auch tatsächlich eintreten werde oder bereits geschah, deswegen möge er alles im<br />

Gedächtnis bewahren: ...Or met bien dont en ta memoire/Les dis que je te voeul<br />

escripre/Et se tu mauds(?) compter ou dire/Chose qui soit a aduenir/Je te dis bien<br />

que souuenir/Ten doibt com silz fussent passees/Saces quilz sont en mes pensees/En<br />

esperit de prophezie/Or enteng et ne te soussie/Car rien ne diray qui<br />

naduiengne/Saduenu nest or ten souuiengne.<br />

Bestätigt wird, daß das gereimte Werk, also die im Prolog angekündigten 'Taten und<br />

Reden', in der Form der Sprüche – dits – verfaßt ist, genauer noch, eine Sammlung<br />

von Merksprüchen – Spruchweisheiten – sein wird. Sie enthält tradiertes Wissen,<br />

das wie eine Richtschnur das Verhalten lenkt und damit die Zukunft des Menschen<br />

weist. Danach wäre die 'Epistre d'Othéa' eine Versepistel, deren für einen Prinzen<br />

wohlgefälliger Inhalt darin besteht, in ferner Vergangenheit liegende Handlungen<br />

und Reden darzustellen, die in lehrhafter Absicht als Beispiele tugendhaften und<br />

somit weisen Verhaltens dienen. 29<br />

Auf den gereimten ersten Abschnitt des matere-Kapitels folgt der mit Glose<br />

bezeichnete Kommentar in ungebundener Form, die es erlaubt, die Gedanken etwas<br />

vollständiger und flüssiger auszudrücken. Othea könne nach dem Griechischen<br />

sagesse de femme bedeuten. 30 Weil die Alten, noch ohne das Licht des Glaubens zu<br />

haben, noch mehrere Götter anbeteten, seien unter diesem Glauben die größten<br />

Weltreiche vergangen, wie das Königreich Persien, die Griechen, die Trojaner,<br />

Alexander, die Römer und andere, und selbst die größten Philosophen, da Gott noch<br />

nicht das Tor der Gnade geöffnet hatte: ...comme les anchiens nons ayans encoire<br />

lumiere de foy aouraissent encore plusieurs dieux soubs la quelle foy soient passees<br />

les plus haultes seignouries qui au monde aient este comme le roialme dasire de<br />

perse les gregois les troyens alixandre les rommains et pluseurs aultres et<br />

meismement tous les plus grans philosophes comme dieu neusist encoire ouuert la<br />

porte de misericorde. Jetzt können wir Christen, durch die Gnade Gottes im rechten<br />

Glauben erleuchtet, die Meinungen der Alten auf das sittliche Wesen beziehen und<br />

darauf viele schöne Allegorien bilden: A present nous xpristiens par la grace de


24<br />

dieu enlumines de vraye foy poons ramener a moralite les opinions des anchiens et<br />

sur ce maintes belles allegories poeuent estre faittes. Anders gesagt, der Stand der<br />

Gnade berechtigt, die tradierten antiken Moralanschauungen objektiv wahrzunehmen<br />

und mit christlicher Ethik gleichzusetzen.<br />

Zu dieser objektiven Wahrnehmung gehört die Schilderung der Sitten und religiösen<br />

Gebräuche in einem sachlich-nüchternem Stil, der zu historischen Berichten gehört:<br />

Weil die Alten die Gewohnheit hatten, alle Dinge zu verehren, die außerhalb des<br />

gewöhnlichen Laufs der Dinge erschienen, noch ohne den Vorteil irgendeiner<br />

Gnade, wurden mehrere weise Frauen zu ihrer Zeit Göttinnen genannt. Es wäre<br />

geschichtliche Wahrheit, daß zu jener Zeit, als das mächtige Troja in großem Ruhm<br />

erstrahlte, eine sehr weise Frau, genannt Othea, in Anbetracht der schönen Jugend<br />

Hectors von Troja, der bereits in Tugenden erblüht war, die Beweis sein konnten für<br />

die Gnade, der er zukünftig teilhaftig sein werde, daß also Othea ihm mehrere<br />

bemerkenswert schöne Gaben sandte, darunter das Schlachtross Galatee: Et comme<br />

iceulx eusissent coustume de toutes choses aourer qui oultre le commun cours des<br />

choses eussent prerogative daulcune grace pluseurs dames saiges qui furent en leur<br />

temps appellees deesses Et fut vraye chose selonc listoire que ou temps que troie la<br />

grant flourissoit en sa haulte renommee vne moult saige dame nommee othea<br />

considerant la belle jouesse de hector de troie qui ia flourissoit en vertus qui<br />

pouoient estre demoustrance des graces estre en lui en temps aduenir lui enuoya<br />

pluseurs dons beaulx et notables et meismement le bel destrier que on appelloit<br />

galatee qui not pareil au monde. Da alle weltlichen Tugenden, die ein guter Mensch<br />

haben soll, in Hector angelegt waren, könne man im moralischen Sinn sagen, daß er<br />

sie vervollkommnet hatte durch die Ermahnungen Otheas, die ihm dieses<br />

Sendschreiben schickte: Et pour ce que toutes graces mondaines que bon homme<br />

doibt auoir furent en hector poons dire moralement que illes prist par la<br />

monnestement othea qui cest epistre lui enuoya et manda. Der Gedankengang<br />

Christines ist offenbar, daß ein edler Mensch mit einer guten Veranlagung, beides<br />

gegeben durch seine Abkunft, im Besitz weltlicher Tugenden ist; sein<br />

zielgerichtetes, tapferes Streben nach höchstem Ruhm und Ehre, das gelenkt und<br />

gestärkt wird durch die Belehrungen einer moralischen Autorität, führt ihn auf den<br />

Weg zu einem höheren Gut.<br />

Die Erklärungen wenden sich nun Othea selbst zu. Unter diesem Namen ist die<br />

Tugend der Klugheit und Weisheit zu verstehen, die Hector selbst schmückte. Und<br />

da die vier weltlichen Kardinaltugenden notwendig sind für eine gute Staatsführung,<br />

sprechen wir davon im folgenden: Par Othea nous prendons la vertu de prudence et<br />

sagesse dont il meismes fut aournez Et comme les .iiij. viertus cardinales soient<br />

necessaires abonne policie nous en parlerons ensieuant. Die vier klassischen<br />

Kardinaltugenden – Sapientia, Temperantia, Fortitudo, Justitia – sind, weil sie als


25<br />

Grundlage und Voraussetzung der Regierungskunst betrachtet werden, auch die<br />

„klassischen“ Herrschertugenden. 31<br />

Von der ersten Tugend sei der Name bereits genannt, und nun würde derart<br />

vorgegangen, daß keineswegs poetisch gesprochen würde, sondern im Stil der<br />

wahren Geschichte, um die Materie besser darstellen zu können: ...et prins maniere<br />

de parler aulcunement poetique et acordant ala vraye histoire pour mieulx ensieuir<br />

notre matere. Und in diesem Sinn werden wir die Lehrmeinungen der alten<br />

Philosophen nehmen: Et a notre propost prendrons aulcunes auctorites des anchiens<br />

philosophes. So könne das, was Othea Hector sagte, gleicherweise für alle gelten,<br />

die Gutsein und Weisheit ersehnten Ainsi dirons que par la ditte dame fut baillie et<br />

enuoye che present au dit hector qui poeut estre samblablement a tous aultres<br />

desirans bonte et sagesse. Die Tugend der Klugheit mache sehr empfehlenswert, so<br />

sage der König der Philosophen Aristoteles, weil Weisheit das edelste vor allen<br />

anderen Dingen sei, deswegen müsse sie durch höchste Vernunft und in der<br />

angemessensten Weise gezeigt werden: Et comme la vertu de prudence faice tres a<br />

recommander dist le prince des philosophes aristotle pour ce que sapience est la<br />

plus noble de toutes aultres choses doibt elle estre moustree par la meilleur raison<br />

et la plus couuenable maniere. 32<br />

Christines Intention ist es demnach, in der Rolle der göttlichen Othea als „weise<br />

Frau“ die Moralvorstellungen der klassischen, vorchristlichen Epoche aufzunehmen,<br />

sie mit den gegenwärtig gültigen christlichen Sittengesetzen in Beziehung zu setzen,<br />

um auf dieser Grundlage Hector/Louis und überhaupt alle edlen Menschen zu<br />

unterweisen, damit sie glaubensgemäß das zukünftige Seelenheil erlangen mögen. 33<br />

Zwischen glose und alegorie des Weisheits-Kapitels ist ein Prologue a Allegorie mit<br />

einem eigenen alegorie-Abschnitt eingefügt, der vorerst übersprungen werden soll.<br />

Die Alegorie des Othea-Kapitels ist verhältnismäßig kurz abgefaßt. Weil Klugheit<br />

und Weisheit Mutter und Führerin aller Tugenden sind, ohne die die anderen nicht<br />

gut beherrscht werden können, ist es für einen ritterlichen Geist notwendig, mit<br />

Weisheit geschmückt zu sein; wie der heilige Augustinus im 'liure de la singularite<br />

des clers' 34 sagt, daß da, wo die Klugheit leicht fällt, man mit allen gegenteiligen<br />

Dingen aufhören kann; wenn aber die Klugheit verachtet wird, so gewinnen alle<br />

gegenteiligen (lasterhaften) Dinge die Herrschaft: Mais la ou prudence est despitee<br />

toutes choses contraires ont seignourie.<br />

Die Auffassung vom Wesen der ersten aller Tugenden läßt sich kurz umschreiben:<br />

Sie ist eigentlich in jedem Menschen angelegt, für einen von Geburt an<br />

ausgezeichneten, edlen Prinzen ist sie sogar eine charakteristische Eigenschaft,<br />

wenn sie auch nicht mehr in ihrer ursprünglichen, göttlichen Vollkommenheit<br />

vorhanden ist; sie kann daher auch nicht grundsätzlich neu erworben werden. Der<br />

Mensch muß nach demütiger Einsicht in seine Unvollkommenheit in seinem


26<br />

diesseitigen Leben danach streben, seinem Ursprung nahe zu kommen, um damit<br />

sein zukünftiges Seelenheil zu sichern. Nur durch ständiges Bemühen, durch<br />

Studium ausgehend von dem Fundament der menschlichen Kardinaltugenden, wird<br />

es ihm gelingen, sein Wissen zu vervollkommnen. Das Instrument ist sein aktiver<br />

Verstand, das Ziel seines Bemühens die rational gelenkte Erkenntnis – nicht also<br />

mystische Versenkung im Gebet und Meditation – die ihn zur Weisheit führt,<br />

wodurch er auf den Weg zu seinem zukünftigen Seelenheil gelangt.<br />

Den Abschluß des Othea-Kapitels bildet ein Zitat aus den Sprüchen Salomos (2,10-<br />

11), das tatsächlich wie die Quintessenz im heilspädagogischen Sinn nicht nur der<br />

alegorie, sondern des gesamten Kapitels erscheint: Si intraverit sapiencia cor tuum<br />

et sciencia anime tue placuerit consilium custodiet te et prudencia seruabit te<br />

prouerbiorum ii°. capitulo. In der Übersetzung Martin Luthers, die auch die<br />

Ambiguität der Worte in den verschiedenen Sprachen deutlich werden läßt: „Wo die<br />

Weisheit dir zu Herzen gehet/das du gerne lernest/So wird dich guter Rat<br />

bewahren/und Verstand wird dich behüten“.<br />

Prologue a Alegorie<br />

(f. 7r - 8r)<br />

Der im matere-Kapitel eingeschobene Allegorien-Prolog hat für das ganze Werk<br />

grundsätzliche Bedeutung, ebenso wie für das Selbstverständnis der Autorin: Pour<br />

ramener a alegorie le propost de notre matere Nous appliquerons la sainte<br />

escripture a noz dis aledificacion de lame estant en cestui monde. Um den<br />

vorgegebenen Gegenstand auf eine analoge Bedeutungsebene zu erheben, wird die<br />

Heilige Schrift sinngemäß auf die Weisheitssprüche angewandt zur Erbauung der<br />

Seele im Diesseits. Die Deutung im allegorischen Sinn führt aus, daß Gott in seiner<br />

vollkommenen Weisheit und Allmacht alle Dinge vernünftig geschaffen habe, die<br />

deswegen alle von ihm abhängen oder auf ihn zurückweisen: Comme par la<br />

souueraine sapience et haulte puissance de dieu toutes choses soient crees<br />

raisonnablement doiuent toutes tendre afin delui. Und weil unser menschlicher<br />

Geist, von Gott nach seinem Bild geschaffen, von den erschaffenen Dingen das<br />

edelste ist ausgenommen die Engel, ist es angemessen und notwendig, daß dieser<br />

Geist durch Tugenden geziert sei, derentwegen er berufen werden könne am Ende,<br />

weswegen er geschaffen sei: Et pour ce que notre esperit de dieu cree ason ymage<br />

est des choses crees le plus noble apres les angeles couuenable chose est et<br />

necessaire que il soit aournez de viertus par quoy il puisse estre conuoye ala fin<br />

pour quoy il est fait. Weil der Mensch in Sünde verfallen könnte durch die Angriffe<br />

des Höllenfeindes, der sein Todfeind ist und ihn oft abbringt, zu seiner<br />

Glückseligkeit zu gelangen, könne das menschliche Leben als rechte Ritterschaft<br />

bezeichnet werden, wie die Schrift wiederholt aussagt: Et pour ce quil poeut estre en<br />

pechie par les assaulx et agues de lennemy denfer qui est son mortel aduersaire et


27<br />

souuent le destourne de venir a sa beatitude Nous pouens appeller la vie humaine<br />

droite cheualerie comme dist lescripture en pluseurs pas. Und da alle irdischen<br />

Dinge vergänglich sind, müssen wir ständig die kommende Zeit, die ohne Ende ist,<br />

im Gedächtnis behalten. Und weil dies hohe und vollkommene Ritterschaft ist,<br />

unvergleichbar jeder anderen, mit der die Siegreichen ruhmvoll gekrönt sind,<br />

deswegen sprechen wir in dieser Weise vom ritterlichen Geist. Dies sei<br />

hauptsächlich zum Lob Gottes getan und zum Vorteil jener, die sich freuen werden,<br />

diese gegenwärtige Dichtung zu hören. Et comme toutes choses terrestres soient<br />

faillibles deuons auoir en continuelle memoire le temps futur qui est sans fin Et pour<br />

ce que ce est la summe et parfaicte cheualerie et toute aultre soit de nulle<br />

comparison et dont les victorieux sont couronnes en gloire prenderons maniere de<br />

parler de lesperit cheualereux Et ce soit fait ala loenge de dieu principalment et au<br />

prouffit de ceulx qui se deliteront a oyr ce present dict.<br />

Die Aussagen des Allegorien-Prologs fassen die theologischen Kerngedanken<br />

zusammen, die gewissermaßen wie ein Zeltdach über das Werk gebreitet liegen.<br />

Danach ist Gott der vollkommene Schöpfergott; der göttliche Logos bewahrt die<br />

Verbindung zum geistigen Menschen, der, ursprünglich als Ebenbild Gottes<br />

geschaffen, ein Leben lang kämpfen muß, um die ihm auch nach dem Sündenfall<br />

verbliebenen Kardinaltugenden, ständig bedrängt durch das Böse, annähernd<br />

vollkommen zu erhalten. Um das in ferner Zukunft liegende Ziel zu erreichen, muß<br />

der Mensch gleichzeitig den darin implizierten Ausgangspunkt, der in der<br />

Vergangenheit liegt, mitbedenken. Das heilspädagogische Ziel kann nur von<br />

Begnadeten vorausschauend erkannt werden, der historische Ausgangspunkt nur<br />

rückblickend von Wissenden oder Weisen vermittelt werden. Christines in<br />

komprimierte Form gebrachten gedanklichen Konstruktionen erscheinen wie eine<br />

direkte Übernahme der Vorstellungen Augustins, wonach die Künste auf der<br />

Vergangenheit beruhen und die Zukunft beurteilen, und der Künstler die Gegenwart<br />

lehrend gestaltet aus der bewußten Verbindung der Erinnerung der Vergangenheit<br />

mit Erwartung der Zukunft. 35 Die biblische Quelle des Gedankens findet sich in den<br />

Weisheitsbüchern: „Was geschieht, das ist zuvor geschehen, und was geschehen<br />

wird, ist auch zuvor geschehen; und Gott sucht wieder auf, was vergangen ist“<br />

(Prediger 3,15).<br />

Christine faßt in diesem Allegorien-Prolog aus theologischer Sicht ein Gottes- und<br />

Menschenbild zusammen, das zu dieser Zeit und in ihrem Umkreis Gültigkeit<br />

beanspruchte. Der zentrale Begriff ist esprit, der an dieser Stelle innerhalb des<br />

Allegorien-Prologs die theologische Konnotation erkennen läßt in der Reihung Gott,<br />

Engel und der Mensch als Geistwesen. Besonders wird die analog verstandene<br />

Beziehung Gott und Künstler deutlich, ebenso wie die mehrfach angesprochene<br />

Rolle des Gedächtnisses, das zugleich Gott- und Welterfahrung beinhaltet.


28<br />

Was der Text der 'Epistre d'Othéa' in häufig schwer verständlichen Fügungen<br />

aussagen will, stellt die Titelminiatur der Erlanger Handschrift klar vor Augen: die<br />

um die dreigesichtige „Autorin“ Othea, der Personifikation der Göttin der Klugheit<br />

und Weisheit, schwebenden Schriftbänder zeigen die Inschrift Les auenir preuoy<br />

Les presentes dispose Les choses passees recorde. Durch die dem Bild eingefügte<br />

Inschrift wird die Personifikation der dreigesichtigen Weisheit nicht nur erklärt,<br />

sondern zugleich zur Allegorie des Künstlers erhoben.<br />

Wenn 'Othea' die Personifikation der Weisheit ist, so ist 'Epistre d'Othéa'<br />

gleichbedeutend mit 'Schreiben der Weisheit', oder, entsprechend dem Explicit der<br />

Erlanger Handschrift le liure de othea, ein 'Buch der Weisheit'. Christines<br />

literarisches Werk verhält sich als Ganzes wie eine glose zur Allegorie der<br />

göttlichen Weisheit. Die Weisheit als allumfassende Mutter aller profanen Tugenden<br />

ist identisch mit der Philosophie – im übergreifenden Sinn der philosophischen<br />

Ethik – der Dienerin der Theologie. Die theologischen Gedanken, die hier in ihren<br />

tieferen Zusammenhängen natürlich nur angedeutet werden konnten, kommen nur<br />

im matere-Kapitel zum Ausdruck, das gleichzeitig wie eine umfassende<br />

Werktheorie wirkt. Durch den Vergleich der Art und Weise der<br />

Argumentationsführung und bestimmter Begriffe mit den Werken anderer Autoren<br />

liesse sich wohl erkennen, welchen eigenständigen philosophisch-literarischen Rang<br />

und wissenschaftlich begründete Position Christine de Pizan innerhalb der<br />

intellektuellen, moralischen und religiösen Strömungen ihrer Zeit einnimmt.<br />

II-IV: Die klassischen Kardinaltugenden<br />

attemprance, force, justice<br />

(f. 8v - 14r)<br />

Mit dem ersten Othea/Sagesse/Prudence-Kapitel begann, wie angekündigt, die Folge<br />

der vier klassischen Kardinaltugenden: Prudentia ist die höchste aller Tugenden<br />

menschlicher Verhaltensweisen, die Othea verkörpert und zu der sie Hector<br />

schrittweise hinführen will. Die Temperantia ist die Tugend der Mäßigung, der<br />

prudence ähnliche Schwester, denn Mäßigung beweist Klugheit, und daraus entsteht<br />

Weisheit. Attemprance ist notwendig, um den Aufgaben ritterlicher Tapferkeit<br />

gerecht zu werden. Ihre Eigenschaft ist, das Überflüssige zu begrenzen: La vertu<br />

dattemprance qui a propriete de limiter les superfluitez. Wie der hl. Augustin im<br />

liure des moeurs de leglise sagt, daß es die Aufgabe der Mäßigung sei, refraindre et<br />

appaisier les meurs de concupiscence qui nous sont contraires et qui nous<br />

destournent de la loy de dieu et aussi despiter delices de la char et loenge mondaine.<br />

Für die Tugend der Stärke als Stütze der Tapferkeit, die nicht nur die körperliche<br />

Kraft meint, sondern auch die innere Beständigkeit, Ausdauer und Entschlossenheit,


29<br />

gibt der durch die Welt reisende Hercules mit seinen tapferen Taten ein<br />

nachahmenswertes „historisches“ Beispiel (das ihn auch geradezu als Vorbild<br />

einiger frühmittelalterlicher Epengestalten erscheinen läßt): La vertu de force est a<br />

entendre non mie seulement force corporelle mais constance et fermete que le bon<br />

cheualier doibt auoir en tous ses fais de liberez par bon sens et force de resister<br />

contre les contrarietez..., ...hercules fut vng cheualier de grece de merueilleuse force<br />

et mist a fin maintes cheualereuses proesces grant voiaigier fut par le monde Et<br />

pour les grans et merueilleux voiages quil fist et choses de grant force Les poetes<br />

qui parlerent soubz couuerture et en maniere de fable dirent que il ala en enfer<br />

combattre aux princes infernaulx... Et pour ce dist au bon cheualier que il se doibt<br />

mirer cest ascauoir en ses proesces et vaillances selon sa possibilite...<br />

Bemerkenswert ist, daß nicht das Streben nach absoluter Tugendhaftigkeit verlangt<br />

wird, wie es die Art eines Tugendkatalogs wäre, sondern ein Verhalten gemäß der<br />

individuellen Möglichkeit, die sich aus der Selbsteinschätzung des Einzelnen<br />

herleitet.<br />

Unter den klassischen Kardinaltugenden gilt Justitia als höchste königliche Tugend,<br />

Gerechtigkeit ist die Voraussetzung der Herrschaft: ...Estre te couuient<br />

justicier/Aultrement de porter healme/Nes digne ne tenir roialme. Gerechtigkeit<br />

verlangt zuerst, wie die glose im vierten Kapitel ausführt, sich selbst richtig zu<br />

beurteilen, bevor man über andere urteilt; denn derjenige, der sich selbst falsch<br />

beurteilt und nicht die eigenen Fehler korrigieren kann, ist unwürdig, andere gerecht<br />

zu beurteilen: Dist prudence au bon cheualier... La vertu de justice lui couuient<br />

auoir Cest ascauoir de tenir droituriere iustice Et dist aristotele celui qui est<br />

droiturier iusticier doibt premierement justicier soy meismes Car cellui qui fault a<br />

soy meismes justicier est indigne daultrui justicier cest a entendre corrigier ses<br />

meismes defaultes.... Gerechtigkeit als menschliche Eigenschaft ist nicht eindeutig<br />

festgelegt, etwa als Gegensatz zur Ungerechtigkeit, sondern differenziert nach<br />

droituriere (= bonne) justice und falscher, das heißt im Sinn von schlechter<br />

Gerechtigkeit unterschieden, wie Aristoteles im fünften Buch der 'Ethik' ausführt<br />

(besonders V, 12-15). Gerechtigkeit basiert demnach primär auf dem ethischen<br />

Wesen des Richtenden und nicht auf der Kenntnis formaler Gesetze.<br />

Die vier Kardinaltugenden stellen gleichzeitig die weltlichen Grundtugenden des<br />

legitimen Herrschers dar, sie gehören sogar zu seinen natürlichen Eigenschaften und<br />

Verhaltensweisen, die eine gute Staatsregierung (bonne policie) bedingen und<br />

Ausdruck finden in seinen Taten und Leistungen. Durch sie erweist sich der kluge<br />

Herrscher in seiner Verantwortung für das Wohlergehen des Staates und der ihm<br />

anvertrauten Bürger.


30<br />

V: Renommee<br />

(f. 14r - 16r)<br />

Aus dem Handeln im ethischen Bewußtsein erwachsen Ruhm und Ehre des<br />

Tapferen, wie schon im Othea-Kapitel erwähnt. Das fünfte Kapitel widmet sich<br />

diesem Motiv am Beispiel von Perseus, der vom Pegasus durch die Luft getragen<br />

davonreitet: Cest pesagus(!) le renomme, und Andromeda, die er von dem<br />

Ungeheuer errettet, wie alle bons cheualiers errans handeln würden. Die glose<br />

erzählt die Fabel von Perseus, einem sehr tapferen Ritter, der mehrere große<br />

Königreiche erworben habe und nach dem das Land Persien benannt worden sei.<br />

Von ihm sagen die Dichter, daß er auf einem fliegenden Pferd in alle Länder geritten<br />

sei und viele Schlachten geschlagen habe, und er habe Andromeda von einem<br />

Meermonster befreit, was nach Art der Dichter im übertragenen Sinn zu verstehen<br />

sei: ...en ferons figure selon la maniere des poetes.... So sollten alle Ritter Frauen<br />

retten, die ihrer Hilfe bedürfen. Perseus und das fliegende Pferd seien bonne<br />

renommee, das der gute Ritter haben oder erwerben müsse durch seine guten<br />

Verdienste, und das er reiten müsse, damit sein Name in alle Länder getragen würde.<br />

Aristoteles habe gesagt, Bonne Renommee mache den Menschen strahlend in der<br />

Welt und angenehm im Angesicht der Prinzen.<br />

Die alegorie führt aus, daß der ritterliche Geist nach Ruhm und Ehre streben müsse<br />

in der edlen Gemeinschaft mit den Heiligen des Paradieses, die er durch gute<br />

Verdienste erreicht habe. Das Pferd Pegasus wird als der gute Engel gedeutet, der<br />

ein gutes Zeugnis ablegen würde am Tag des Jüngsten Gerichtes. Andromeda, die<br />

befreit werde, werde seine Seele sein, die er von dem Höllenfeind befreien werde<br />

durch Überwindung der Sünde. Augustinus sage in seinem liure de correction, daß<br />

für ein gutes Leben zwei Dinge notwendig seien: bonne conscience et bonne<br />

renommee. Das abschließende Bibelzitat lautet: Curam habe de bono nomine magis<br />

enim permanebit tibi quam mille thesauri preciosi. Hervorzuheben ist die<br />

Interpretation der Rettungstat als allegorische Handlung, und die allegorische<br />

Gleichsetzung der Frau mit der Seele des Mannes.<br />

Der Text geht auf die Erzählung Ovids vom geflügelten Perseus und Andromeda<br />

zurück, von deren Rettung vor dem Seeungeheuer bis zur Vereinigung beider durch<br />

die Hochzeit mit Zustimmung der Eltern (Metamorphosen IV, 665-764). Die<br />

Miniatur der Erlanger Handschrift zeigt den Kampfesmut ausstrahlenden Perseus<br />

auf dem sich durch die Lüfte schwingenden Pegasus und die zurückbleibende<br />

Andromeda. Text und Illustration scheinen das Gegenbild zu evozieren zu der<br />

Erzählung in Vergils 'Aeneis' (IV,160-195) von Aeneas und Dido, die<br />

selbstversunken ihren Liebesbund vollziehen ohne Rücksicht auf Anstand und Ruf;<br />

die scheußliche Fama fliegt über die Lande und verbreitet das böse Gerücht von dem<br />

der Wollust verfallenen Paar, das ehrlos die Sorge für Volk und Reich vergißt. Es<br />

wäre sicher interessant, im Zusammenhang mit dem ritterlichen Herrscherideal die<br />

Entstehung dieses motivischen Gegensatzes von Pegasus und Fama, von Ehre und


31<br />

Schmach, zu untersuchen und damit auch ein Bruchstück der mittelalterlichen Ovidund<br />

Vergil-Rezeption. 36<br />

VI - XII: Planetentraktat<br />

(f. 14r - 23v)<br />

Es folgen Kapitel VI bis XII über die sieben Planeten Jupiter, Venus, Saturn, Phöbus<br />

Apoll, Luna, Mars und Merkur, die durch die ihnen zugehörigen Eigenschaften<br />

(proprietes) Einfluß auf den Menschen und sein Streben (inclinations) gemäß seiner<br />

Veranlagung (conditions) ausüben. Der an dieser Stelle des Werkes absichtsvoll<br />

eingefügte Planetentraktat soll die dauernde starke Beziehung belegen, die zwischen<br />

der Sphäre des Makrokosmos und der Welt des Mikrokosmos besteht, die die<br />

mittelalterliche Wissenschaft der Astronomie/Astrologie durch Beobachtung der<br />

Sterne aufklären wollte. 37 Um die in jedem (von Geburt) edlen Menschen angelegten<br />

tugendhaften Eigenschaften wirkungsvoll zur Entfaltung zu bringen und den rechten<br />

Zeitpunkt seines guten Handelns zu bestimmen, mußte die höchstmögliche<br />

Kongruenz zwischen kosmischen Kräften und geistigen Neigungen berechnet<br />

werden. Der Glaube an den beherrschenden Einfluß des Kosmos auf den Menschen<br />

als ein von Anbeginn ethisch handelndes Wesen führt dazu, daß die<br />

Himmelsplaneten, die in den gloses als antike Göttergestalten vorgestellt werden,<br />

sich aufgrund der ihnen analog zugeschriebenen Wesenseigenschaften verwandeln<br />

und nun aktive, ritterliche Tugenden wie auch Laster verkörpern. Im Sinn der<br />

alegorie werden sie dann zu Figuren Christi und des Teufels.<br />

In gleicher Weise wie das erste der den weltlichen Kardinaltugenden gewidmete<br />

Kapitel erklärt auch das erste Planeten-Kapitel, das Jupiter vorführt, in der glose<br />

grundlegende Zusammenhänge, nun aus dem astronomisch-astrologischen Bereich,<br />

recht ausführlich: Die Heiden, die mehrere Götter hatten, hielten die<br />

Himmelsplaneten für besondere Götter und nannten die sieben Wochentage nach<br />

den sieben Planeten. Jupiter oder Jovis hielten sie für den höchsten Gott, weil er in<br />

der höchsten Planetensphäre nach Saturn stand, und nach Jovis wird der Donnerstag<br />

(joeudi) genannt; die Alchimisten verglichen die Tugenden der sieben Metalle mit<br />

den sieben Planeten und benannten die Begriffe (termes) ihrer Wissenschaft nach<br />

diesen Planeten, wie man en geber et nicolas et aultres acteurs dicelle science sehen<br />

kann. Jupiter wird das Messing (le coeuure ou arain) zugeschrieben, er ist der Planet<br />

von lieblichem und fröhlichem Wesen de doulce condicion amiable et moult joieuse<br />

und nach der Lehre der vier Temperamente ist er dem Sanguiniker gleich et est<br />

figuree ala compleccion sanguine. Deswegen sagt Othea, das heißt die Klugheit, der<br />

gute Ritter und alle Edlen, die nach Ritterschaft streben, sollen diese<br />

Wesenseigenschaften Jupiters haben. Abschließend wird als klassische Autorität<br />

pictagoras zitiert, wonach es zum Ehrenkodex eines Königs gehört, mit seinen<br />

Hofleuten huldvoll und frohgemut Konversation zu pflegen: ...que vng roy doit<br />

gracieusement conuerser aueuc sa gent et leur monstrer joieuse chiere Et ainsi est a<br />

entendre de tous vaillans tendans a honneur.


32<br />

Die Überleitung zur alegorie wird besonders hervorgehoben, wiederum<br />

entsprechend zum ersten Kapitel: Or ramenons a notre propost la propriete des .vij.<br />

planetes a alegorie. Jupiter ist ein sanfter, menschlicher Planet, dessen<br />

Wesenseigenschaften die guten Ritter haben müssen, er bedeutet Mitleid und<br />

Barmherzigkeit, die der gute Ritter Jesus Christus in sich habe ...nous poeut signifier<br />

misericorde et compassion que le bon cheualier Jhesumcrist a en soy; als christliche<br />

Autorität wird dazu der hl. Gregor zitiert.<br />

Der Glaube an den Einfluß des Kosmos auf den Menschen wird gesteigert durch die<br />

allegorische Deutung und Metamorphose von Jupiter zu Christus und findet<br />

Rechtfertigung durch das neutestamentliche Zitat: Beati misericordes quoniam<br />

Christi misericordiam consequentur. Die Wesenseigenschaft der Misericordia stiftet<br />

die Identität von Jupiter, dem königlichen Ritter als primus inter pares und Christus<br />

und spannt so den Bogen durch Zeit und Raum.<br />

Jupiter entgegengesetzt ist die lasterhafte Venus: nach ihr ist der Freitag benannt und<br />

von den Metallen das Zinn zugeordnet; sie übertrifft alle an Schönheit und übt<br />

Einfluß aus auf die Liebe und die Eitelkeit; aber es ist eine unbeständige Liebe, weil<br />

sie immer wieder neu nur Wollust sucht, und deswegen sagt Othea dem guten Ritter,<br />

sich diesem Laster nicht zu unterwerfen: ...venus donne influence damours et de<br />

vanite et fut vne dame ainsi nommee qui fut royne de cypre et pour ce quelle exceda<br />

toutes aultres en excellente beaulte et jolite et tresamoureuse fut et non constant en<br />

vne amour mais habandonnee a pluseurs et lappellerent deesse damours Et pour ce<br />

quelle donne influence de luxure dist othea au bon cheualier que il nen faiche sa<br />

deesse cest a entendre que a cellui vice ne doit son corps ne son entente<br />

habandonner Et dist hermes Le vice de luxure estaint toutes vertus. (f.17v/18r)<br />

Zur Liebesgöttin als Sinnbild der Eitelkeit und Überheblichkeit sind die<br />

Ausdeutungen der alegorie sehr weitgehend und gipfeln in der Feststellung,<br />

Cassiodor habe über den Psalter gesagt, daß Eitelkeit den Engel zum Teufel machte<br />

und dem ersten Menschen den Tod brachte; Eitelkeit ist die Mutter aller Übel,<br />

Quelle aller Laster und stellt den Menschen außerhalb der Gnade Gottes. Venus, die<br />

Erzsünde, steht somit in diametralem Gegensatz zu Jupiter, wie auch zur prudence.<br />

Venus dont le bon cheualier ne doit faire sa deesse Cest a entendre que le bon esprit<br />

ne doit auoir en soy nulle vanite Et dist cassiodore sur le psaultier vanite fist langele<br />

deuenir diable et au premier homme donna la mort et le vuida de bonneurete qui lui<br />

estoit ottroie vanite est mere de tous maulx la fontaine de tous vices et la vainne de<br />

jniquite qui met lomme hors de la grace de dieu et le met en sa hainne.


33<br />

Unter den Planeten verkörpert Saturn, der de condicion tardiue pesant et saige ist,<br />

und den sein Sohn Jupiter kastrierte dont les poetes parlent soubs couuerture de<br />

fable, das gerechte, wohlabgewogene und zweifelsfreie Urteil über jedermann und in<br />

jeder Sache: Et pour ce quil est pesant et saige voeult dire othea que le bon<br />

cheualier doit moult peser la chose ains quil donne sa sentence soit en pris darmes<br />

ou en aultre affaire Et ce meismes poeuent noter tous juges qui ont offices<br />

appartenans a jugement; darum müsse sich auch der bon cheualier bemühen, denn<br />

letztlich steht nur Gott das Urteil zu, car a dieu appartient jugement qui scet<br />

discerner les causes droiturierement. Saturn regiert entsprechend die Tugend der<br />

justice.<br />

Der vierte Planet ist Phöbus Apollo, die Sonne und die Wahrheit; die Sonne gab<br />

dem Sonntag den Namen und ihr ist das Gold zugeordnet; sie zeigt mit zuverlässiger<br />

Klarheit die Dinge rein und läßt dadurch die Wahrheit zutage treten; so solle auch<br />

die Sprache sein, und so solle der gute Ritter Gott und die Wahrheit lieben und<br />

rechten Rat geben: La quelle vertu poeut estre en coeur et en bouche de tous bons<br />

cheualiers Et ad ce propost dist hermes Aime dieu et verite et donne leal conseil.<br />

Apollo, Sonne, Wahrheit und Christus sind ein und dasselbe: Appollo qui est a dire<br />

le soleil par qui nous notons verite poons prendre que verite doibt auoir en bouche<br />

le bon cheualier Jhesucrist et fuir toute faulsete.... Das Bibelzitat lautet: Super<br />

omnia vincit veritas secundi esdre iii°. ca°.<br />

Phebe wird der Mond genannt, der zu keiner Stunde stillsteht und Einfluß auf die<br />

muablete et folie nimmt. Der Mond verkörpert das Laster der Unbeständigkeit, die<br />

aus der Angst geboren wird Comme dist saint ambrose en lepistre a simplician que<br />

le fol est muable comme la lune Mais le saige est tousiours constant Il nest point<br />

brisie par paour ne il ne se mue pour puissance Il ne seslieue point en prosperite Ne<br />

il ne se plonge point en tristesse.... Auf dieser allegorisch-religiösen Ebene wird das<br />

Versinken in Traurigkeit als Ausdruck für den Verlust der stetigen freudevollen<br />

Hoffnung auf ewige Glückseligkeit gedeutet. Die Heilige Schrift sage: Homo<br />

sanctus in sapiencia manet sicut sol Nam stultus sicut luna mutatur. Die kosmischen<br />

Kräfte Phöbus Apoll und Phebe, Sonne und Mond, die als gegensätzliche Symbole<br />

für Weisheit und Torheit stehen, regieren den Menschen hinsichtlich seines<br />

diesbezüglichen Verhaltens, das sich auf verschiedene Weise und in<br />

unterschiedlichen Arten darstellt.<br />

Von besonderem Interesse ist Kapitel XI, das den Planeten Mars behandelt, le dieu<br />

de bataille und geistiger „Vater“ Hectors. Mars ist der Planet, der Einfluß hat auf<br />

Kriege und Schlachten, wie die glose ausführt, und deswegen können alle Ritter, die<br />

Waffen und ritterliche Taten lieben und dadurch renommee de valeur besitzen,<br />

Söhne des Mars genannt werden, und so gab Othea auch Hector diese Bezeichnung,<br />

obwohl er Sohn des roy priant war. Und ein Weiser habe gesagt, que par les<br />

oeuures de lomme poeut on congnoistre ses inclinacions (f.23r). Damit ist ausge-


34<br />

sprochen, daß die Neigungen des Menschen, das in ihm liegende Streben<br />

beziehungsweise die Motivation seiner Willenskräfte, die sich frei zum Guten oder<br />

Schlechten wenden können, konkret aus seinen Werken erkennbar werden. Die<br />

praktische Folgerung, die daraus abgeleitet werden kann, ist, daß erst das in<br />

Magnifizenz sichtbar gewordene Ergebnis des dem Guten verpflichteten Handelns<br />

(zum Beispiel die Großartigkeit und Großsinnigkeit signalisierende Stiftung von<br />

Klöstern, Kirchen, Kunstwerken und Codices) die gerechte Beurteilung des<br />

menschlichen Wesens gestattet, nicht bereits irgend eine Tat als solche.<br />

Die Alegorie nun überträgt das geistige Verhältnis Vater – Sohn exemplarisch auf<br />

das Verhältnis Gottessohn – bon esprit: Mars le dieu de bataille poeut bien estre<br />

appellez le filz de dieu qui victorieusement batilla en ce monde et le bon esprit doit<br />

par son exemple ensieuir son bon pere jhesumcrist et batillier contre les vices...,<br />

denn, so sage saint ambrose, wer ein Freund Gottes sein wolle, müsse ein Feind des<br />

Teufels sein, und wer Frieden haben wolle in Jesus Christus, der müsse Krieg führen<br />

gegen die Laster. Der antike Kriegsgott Mars ist personifiziertes Sinnbild des<br />

Kampfes wider den Teufel, wider die Laster, er ist zugleich die Figur Christi. Das<br />

Bibelzitat aus dem Paulus-Brief ad epheseos vj°.ca°. lautet in Luthers Übersetzung:<br />

„Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und<br />

Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt<br />

herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“. Über die Stufe der glose mit<br />

der Erklärung des kosmischen Bereichs, in dem Mars mit seinen Eigenschaften<br />

herrscht, und über die Deutungen der alegorie hinausführend bestätigt und<br />

legitimiert das Paulus-Zitat Christines Spruch Mars ton pere je nen doubt pas/Tu<br />

ensieuras bien en tous pas/Car ta noble condicion/Y trait ton inclinacion und setzt<br />

ihn in Beziehung zur Sphäre ewiger Wahrheit.<br />

Der letzte in der Reihe der Planetengötter ist Merkur, der Gott der schönen Worte<br />

und der wohlgesetzten Rede qui de bien parler scet les vs. Er hat Einfluß auf<br />

angemessenen Lebensunterhalt proufitable maintieng und schöne Redeweise bel<br />

langaige aourne de rethorique. Das heißt für den guten Ritter, daß er damit wohl<br />

versehen sein sollte, obzwar er sich seiner Ehre wegen hüten möge, zuviel zu reden:<br />

car honnourable maintieng et belle loquence siet moult bien a tout noble desirant le<br />

hault pris donneur mais quil se garde de trop parler Car diogenes dist que de toutes<br />

vertus le plus est le meilleur excepte de paroles. Die alegorie überhöht die<br />

klassische Verhaltenstugend im christlichen Sinn und wendet die rhetorischen<br />

Forderungen pragmatisch auf Predigt und Exegese an: ...que le bon cheualier<br />

Jhesumcrist doit estre aourne de bonne predication et de parole de doctrine et aussi<br />

amer et honnourer les annuncheurs dicelle Et dist saint gregoire es omelies que on<br />

doit auoir en grant reuerence les prescheurs de la sainte escripture car ce sont les<br />

coureurs qui vont deuant notre seigneur...


35<br />

Die sieben Planetenkapitel exemplifizieren ritterlich-fürstliche Verhaltensweisen,<br />

die einerseits zu den natürlichen Grundeigenschaften gehören, die einen<br />

Wohlgeborenen durch die von ihm geschaffenen Werke vor aller Welt kenntlich<br />

machen. Diese Eigenschaften sind dem Edlen im Prinzip angeboren, sie brauchen<br />

nicht erworben zu werden. Um sie aber voll entfalten zu können, ist der Einfluß<br />

kosmischer Kräfte bewußt zu berücksichtigen, die zusammen mit seinem vom<br />

praktischen Verstand klug gelenkten Willen die bestehenden Neigungen<br />

unterstützen und im spirituellen Sinn in die rechte Richtung weisen.<br />

XIII - XV: Die drei christlichen Tugenden<br />

(f. 23v - 27r)<br />

Die folgenden Kapitel XIII bis XV sind den Schutzgöttinnen Minerva,<br />

beziehungsweise ihrem alter ego Pallas Minerva, und der berühmten Amazone<br />

Penthesilea gewidmet. Diese drei weiblichen Gestalten sollen Allegorien der drei<br />

christlichen Kardinaltugenden foy, esperance und carite sein.<br />

Minerva wird in der relativ kurzen glose als eine Frau mit großem Wissen<br />

vorgestellt, die die Kunst des Waffenschmiedens (art de faire les armeures) erfand<br />

und deswegen Göttin genannt wurde, und weil Hector das Waffenhandwerk gut<br />

beherrschte, nannte ihn Othea den Sohn der Minerva, obwohl er der Sohn Hecubas,<br />

Königin von Troja, war: Et pour ce que moult bien sceut hector mettre armeures en<br />

oeuure et que ce fut son droit mestier lappella othea filz de minerue non obstant fut<br />

il filz a la royne ecuba de troie.... Auch die alegorie, die gute und starke Waffen<br />

gleichsetzt mit der christlichen Tugend des Glaubens, faßt sich kurz: Ce qui est dit<br />

que armeures bonnes et fortes lui liuerra asses sa mere au bon cheualier nous poons<br />

entendre la vertu de foy qui est vertu theologienne et est mere au bon esprit et quelle<br />

lui liuerra assez armeures.... Es folgt ein längeres Zitat nach Cassiodor über das<br />

Wesen des Glaubens, und den Abschluß bildet ein Zitat aus dem Brief an die<br />

Hebräer (11,6): Sine fide impossibile est placere deo.<br />

Das XIV. Kapitel über Pallas Minerva liefert ein schönes Beispiel für Christines Art<br />

und Weise, die komplizierte griechisch-lateinische Götterwelt rational zu erklären<br />

und ihrem logisch konstruiertem System anzupassen. Hinter Pallas Minerva steht ja<br />

eigentlich die griechische Pallas Athene, deren Rolle aber Christines fiktive Othea<br />

spielt. Allerdings weiß Christine fein zu differenzieren, denn Othea ist deesse de<br />

prudence, Pallas aber wird deesse de scauoir genannt. Pallas und Minerva, so erklärt<br />

nun die glose, sind in Verbindung zu setzen, denn Et doit on scauoir que pallas et<br />

minerue est vne meisme chose Mais les noms diuers sont pris a deux entendemens<br />

Car la dame qui ot nom minerue fut aussi sournommee pallas dune isle qui ot a nom<br />

palance dont elle fut nee Et pour ce que elle generallement en toutes choses fut<br />

saige et maintes ars nouuellement trouua belles et subtilles lappellerent deesse de


36<br />

scauoir. Die emanzipierte Dame Pallas Minerva wird in den Himmel gehoben,<br />

obwohl ihr keine mythischen Züge anhaften. Das Doppelwesen erklärt sich durch<br />

den Doppelnamen, ohne auch nur den geringsten Zweifel zu lassen; man muß es nur<br />

wissen und verstehen. Zu Minerva gehört alles, was mit Ritterschaft in Beziehung<br />

steht, zu Pallas gehören alle Dinge der Weisheit, was bedeutet, daß man Weisheit<br />

und Ritterschaft miteinander verbinden muß: Et est nommee minerue a ce qui<br />

appartient a cheualerie et pallas a toutes choses qui appartiennent a sagesse Pour<br />

ce voeult dire quil doit adiouster sagesse a chualerie qui moult bien y est duisant.<br />

Und weil die Waffen vom Glauben bewacht werden müssen, so sei dies so zu<br />

verstehen, wie hermes sagt: Adiouste lamour de la foy aueuc sapience. Die Deutung<br />

der alegorie ist wiederum kurz Et si comme pallas qui notte sagesse doit estre<br />

adioustee auenc cheualerie et doit estre la vertu desperance adioustee aux bonnes<br />

vertus de lesprit cheualereux sans laquelle il ne pourroit pourfiter. Die eigentliche<br />

theologische Auslegung wird der kirchlichen Autorität überlassen, diesmal Origines:<br />

...lesperance des biens aduenir est le solcis de ceulx qui traueillent en ceste vie<br />

mortelle ainssi comme aux laboureurs lesperance du paiement adoucist leur labeur<br />

Et aux champions qui sont en bataille lesperance de la couronne de victoire<br />

attempre la doleur de leurs plaies. Natürlich drängt diese herrliche Verbindung von<br />

Waffen und Weisheit, Glaube und Hoffnung, Krieg und Sieg mit Origines als Quelle<br />

des Denkmusters zu weiteren Reflexionen, die aber über Christines Werk zu weit<br />

hinausgehen würden.<br />

Im folgenden Exemplum erscheint die waffentüchtige und kühne Penthesilea als<br />

Sinnbild der Nächstenliebe. Angezogen von dem in der ganzen Welt verbreitetem<br />

renommee des geliebten Helden Hector eilte sie mit ihrem Amazonenheer vom<br />

Orient aus nach Troja, um während der großen Belagerung Hector zu sehen. Aber<br />

als sie ihn tot fand, war sie über alle Maßen schmerzlich bewegt und übte Rache an<br />

den Griechen. Et atout grant ost de damoiselles moult cheualereuses venga moult<br />

vigoreusement sa mort ou elle fist de meruilleuses proesces et pluseurs griefs fist<br />

aux gregois. Weil Penthesilea so tugendhaft war, darum muß jeder gute Ritter auch<br />

jede Frau lieben und preisen, die stark ist en vertu de sens et de constance. Die<br />

alegorie versteht Penthesilea, die den Tod Hectors aus Nächstenliebe rächt, als vertu<br />

de carite qui est la troizime theologie que doit auoir le bon esprit en soy (f. 26r-27r).<br />

Die Kapitel über die vier weltlichen Kardinaltugenden, die in jedem Menschen als<br />

Ebenbild Gottes angelegt sind, wenn auch unvollkommen durch den Stand der<br />

Sünde, und die die Grundlage bilden für das Streben der Edlen nach renomee, die<br />

sieben Kapitel des Planetentraktates, die die Einwirkungen des Makrokosmos auf<br />

den Mikrokosmos darstellen, die der Mensch erkennen muß, und die Kapitel, die die<br />

drei christlichen Kardinaltugenden behandeln, die dem gläubigen Menschen durch<br />

den Gnadenakt Gottes verliehen wurden, können als erster, in sich geschlossener<br />

Teil der 'Epistre d'Othéa' betrachtet werden. Dieser Teil bezeichnet die<br />

Bedingtheiten, denen der junge, edle Prinz vorerst ohne eigenes Verdienst unterliegt.


37<br />

Die klassischen Tugenden sagesse/prudence, atemprance, force und justice sind in<br />

ihm durch seine Abkunft (noble condicion) sozusagen von Natur aus angelegt. Sie<br />

sind die Voraussetzung für die rechte Regierungskunst (bonne policie), sind also in<br />

diesem Zusammenhang Herrschertugenden. Der rechte Regent strebt aus ethischen<br />

Gründen nach Ruhm und Ehre, was ihn als guten Herrscher erweist. Sein Streben<br />

und Wollen wird durch die kosmischen guten und bösen Einwirkungen beeinflußt,<br />

so daß astronomisch-astrologische Kenntnisse notwendig sind, um seine freien<br />

Entscheidungsmöglichkeiten zum richtigen Zeitpunkt zu lenken. Die Planeten<br />

verkörpern Eigenschaften, die zum herrscherlich-ritterlichen Ehrenkodex gehören<br />

wie misericorde/compassion, bien peser sentence, parole clere et voire, vaillance,<br />

bel langaige, oder teuflische Laster wie vanite und inconstance, die seine ritterliche<br />

Kämpfernatur herausfordern. Die christlichen Kardinaltugenden foy, esperance und<br />

carite sind ihm durch Gottes Gnade verliehen, und er erlebt sie in der Nachfolge des<br />

Gottessohnes.<br />

Der erste Teil der 'Epistre d'Othéa' stellt das Fundament dar, auf dem die ethische<br />

Persönlichkeit des Fürsten und Herrschers beruht, der als der erste unter den Rittern<br />

angesehen ist. Der gute Fürst, der bon cheualier, definiert sich dadurch, daß er<br />

historische Kenntnisse menschliches Handeln betreffend verbindet mit dem<br />

christlichen Bewußtsein für seine Aufgaben in dieser Welt. Sein Lebensweg ist<br />

geprägt durch den unermüdlichen Kampf für das Gute im geistig-moralischen Sinn,<br />

das heißt, seinem Stand gemäß, für das innere Wohl des Staates. Nur dadurch wird<br />

sein ewiges Seelenheil gesichert.<br />

Die unwandelbaren Gegebenheiten wahren ritterlichen Wesens werden auch im Stil<br />

der Miniaturen in faszinierender Weise erkennbar. Die vier weltlichen<br />

Kardinaltugenden und die sieben Planetengötter werden in ihrer Passivität wie<br />

Statuen und Reitermonumente abgebildet, während renommee und die drei<br />

christlichen Kardinaltugenden, die aktives, auf die Zukunft gerichtetes Mitwirken<br />

verlangen, in lebendig gestalteten Szenen dargestellt sind. Der Miniaturenmaler<br />

mußte von dem Text gut durchdrungen gewesen sein, um dem Gehalt so augenfällig<br />

Ausdruck verleihen zu können.<br />

Rein inhaltlich wird der Zusammenhalt dieses ersten Teils besonders hervorgehoben<br />

dadurch, daß die im Prolog angeführten Begriffe oder Zusammenhänge in den<br />

einzelnen Kapiteln wieder aufgenommen werden. Am auffälligsten natürlich in den<br />

Hectors „Eltern“ Mars und Minerva gewidmeten Kapiteln. Durch die Identität des<br />

realen und fiktiven Adressaten und durch viele Einzelheiten erweist sich, daß die<br />

'Epistre d'Othéa' von Anfang an von Christine für den jungen Prinzen Louis<br />

d'Orléans bestimmt war, der primär hinter der ideellen Vorstellung vom bon<br />

chevalier und bon esprit steht, um bonne policie zu betreiben. 38


38<br />

Im nun folgenden Hauptteil des Werkes stellen die dits in bunter Folge Gestalten der<br />

antiken Sage und ihre Taten vor, deren ursprüngliche Quelle hauptsächlich Ovids<br />

'Metamorphosen' sind. In der zweiten Hälfte treten die Hauptakteure des<br />

Trojanischen Krieges einschließlich seiner Vorgeschichte immer stärker hervor,<br />

insbesondere Jason und Medea, Laomedon, Priamus, Paris und Achill, während<br />

Hector erst in der Schlußphase auftritt. Die in den gloses mehr oder weniger<br />

ausführlich berichteten Handlungen stellen exemplarisch tugend- oder sündhaftes<br />

Verhalten vor und sollen im Sinn der praktischen Morallehre als Vorbild oder<br />

Warnung den bon cheualier zu rechtem Tun anspornen. Auf der Ebene der alegories<br />

läßt sich eine weitere Unterteilung erkennen: die erste Abteilung vermittelt die<br />

grundlegenden Glaubenswahrheiten und ist nach der Art der Sünden- und<br />

Beichtspiegel zusammengefügt aus den sieben Todsünden (XVI-XXII), dem<br />

Glaubensbekenntnis (XXIII-XXXIV) und dem Dekalog (XXXV-XLIV). Die zweite<br />

Abteilung in der Art eines allgemeinen christlichen Tugendspiegels läßt vorerst kein<br />

weiteres Ordnungsprinzip erkennen (XLV-XCIX). Die Allegorien-Abschnitte<br />

entsprechen weitgehend einem Heilspiegel und enthalten eine Fülle von Hinweisen<br />

auf die religiöse Praxis durch die interpretierenden Kommentare, zum Beispiel bei<br />

der Auslegung der Zehn Gebote, um das Seelenheil zu bewahren.<br />

XVI - XXII: Die sieben Todsünden<br />

(f. 27r - 36r)<br />

Die Reihe beginnt mit Narziß, dessen Schicksal die glose in realistischer Manier<br />

exponiert: Narziß war ein Jüngling, der wegen seiner Schönheit sich in Hochmut<br />

erhob und alle anderen verachtete; so selbstverliebt und betört war er, daß er starb,<br />

nachdem er sich in der Quelle gespiegelt hatte cest a entendre de lui meismes<br />

loutrecuidance ou il se mira. Deswegen solle der bon cheualier sich nicht in seinen<br />

Wohltaten bespiegeln. Sokrates verweise auf die Vergänglichkeit jugendlicher<br />

Schönheit: filz gardes que tu ne soyes deceu en la beaulte de ta jouesse car ce nest<br />

mie chose durable. – Die alegorie ist einfach: Or ferons alegorie a notre propost en<br />

appliquant aux sept pechies mortelz Par narcisus entendons orgueil dont le bon<br />

esprit se doit garder...; zum Hochmut gehört auch die Arroganz des Menschen, nicht<br />

daran zu denken, woher er gekommen ist und was aus ihm werden wird, und von<br />

welch zerbrechlichem Gefäß sein Leben umschlossen ist. Das abschließende<br />

Bibelzitat ist aus dem Buch Hiob entnommen.<br />

Die von Leidenschaften getriebenen Protagonisten der Handlungen, die weitere<br />

Todsünden bedeuten, sind Athanas und Ino (rage/ire), Aglauros und Herce (enuie),<br />

Polyphem und Odysseus (paresce), Latona und die lykischen Bauern (auarice),<br />

Bacchus (gloutonnie) und Pygmalion (luxure).


39<br />

XXIII - XXXIV: Die Artikel des Glaubensbekenntnisses<br />

(f. 36r - 47r)<br />

Es folgen zwölf Kapitel, deren alegories die dits ausgehend von den Artikeln des<br />

Apostolischen Glaubensbekenntnisses deuten: Alegorie. Et pour ramener les articles<br />

de la foy a notre propost .... So bedeutet zum Beispiel Diana, die, wie schon die<br />

Phebe des Planetentraktates, den Planeten Mond verkörpert, hier aber mit den<br />

Eigenschaften Keuschheit und Ehrbarkeit, den Schöpfergott nach dem ersten<br />

Glaubensartikel: La lune donne condition chaste et le nommerent dune dame ainssi<br />

nommee qui fut chaste et tousiours vierge ... prenrons diane dieu de paradis...<br />

createur du ciel et de la terre.... – Ceres, deesse des bleds et la terre, ist das Sinnbild<br />

der Freigebigkeit nach Aristoteles, der gesagt habe soies liberal donneur et tu<br />

acquerras amis und bedeutet le benoit filz de dieu nach dem zweiten Glaubensartikel<br />

(f.37v). - Isis, deesse des plantes et des cultiuemens, bedeutet la benoite concepcion<br />

de Jhesucrist par le saint esprit en la benoite vierge marie mere de grace de qui les<br />

grans loenges ne pourroient estre ymagines ne dictes entierement..., wie der Artikel<br />

Qui conceptus est de spiritu sancto natus ex maria virgine sagt.<br />

Danach folgt die hübsch erzählte Geschichte von König Midas, der bei der<br />

Entscheidung über den Wettstreit zwischen dem kunstvoll harfenden Phöbus und<br />

dem ein Rohr blasenden Pan zu einem unsinnigen Urteil zugunsten Pans gelangte,<br />

weil er nicht richtig zuhörte; ihm wurden deswegen von dem beleidigten Phöbus<br />

Eselsohren aufgesetzt. Die daraus folgende Moral ist, daß niemand durch ein solches<br />

Urteil, das nicht auf Vernunft beruht, gegen einen Prinzen entscheiden soll. Midas<br />

bedeutet pilate qui le benoit filz de dieu iuga nach dem Glaubensartikel Passus sub<br />

poncio pilato crucifixus mortuus et sepultus.<br />

Hervorzuheben ist das zehnte Kapitel (XXXII) dieser Reihe, in dem die Gestalt der<br />

frommen und weisen Cassandra als Vorbild für ein ehrfurchts- und andachtsvolles<br />

Verstummen gepriesen wird, das aus der Scheu entsteht, Unwahrheiten<br />

auszusprechen: Pour ce dist au bon cheualier qui a celle doit ressambler car parolle<br />

menchonginere fait moult a reprendre a bouche de cheualier Si doit dieu seruir et le<br />

temple honnourer cest a entendre leglise et ses menistres. In der alegorie wird der<br />

gute Ritter gemahnt, diesem Beispiel zu folgen, den Gottesdienst zu besuchen und<br />

seinen Glauben an die heilige Kirche und die Gemeinschaft aller Heiligen zu<br />

bezeugen: Par samblable cas doit faire le bon esprit et doit auoir singulere deuotion<br />

en sainte eglise catholique et en la communion des sains, gemäß dem<br />

Glaubensartikel Sanctam ecclesiam catholicam sanctorum communionem.<br />

Auffällig ist die Ikonographie der Miniatur, die eindeutig nicht die Cassandra des<br />

Exemplums darstellt, etwa in einem durch eine Götzenfigur als heidnisch<br />

gekennzeichneten Tempel wie in anderen Miniaturen (LXXXI, XCIII), sondern –


40<br />

umgeben von ebenfalls knienden Hofdamen – eine vornehme junge Dame mit<br />

betend aneinander gelegten Händen in einem christlichen Sakralraum, in der Art<br />

einer Privat- oder Hofkapelle. Ein Betschemel mit aufgeschlagenem Gebetbuch steht<br />

vor dem Altar mit einer Skulptur vom Typ der Maria lactans und zwei Leuchtern.<br />

Diese Miniatur ist das erste Beispiel für eine vom Text auch der glose abweichende<br />

Illustration, die stattdessen unmittelbar die Moral und das religiöse Gebot der<br />

alegorie umsetzt.<br />

Die Art der Bildkomposition: ein sakraler Binnenraum mit Öffnungen, die den Blick<br />

nach außen gestatten und hohen Fenstern, die das Licht auf die Gruppe der betenden<br />

Frauen und den Altar einfallen lassen, und die einzelnen ikonographischen Elemente<br />

machen es sehr wahrscheinlich, daß eine weitere Deutung der Szene als Allegorie<br />

der christlichen Tugend der Fides bewirkt werden sollte. Nach der ikonographischen<br />

Tradition wurde Fides personifiziert meist als eine gekrönte Frau dargestellt, zu<br />

deren Attributen das Kreuz oder ein Marienbildnis oder ein anderes Zeichen der<br />

christlichen Lehre, ein Buch mit dem Glaubensbekenntnis, auch ein Kirchenmodell<br />

gehören konnten. Zwar ist die betende junge Dame nicht bekrönt, aber sie kniet mit<br />

ihren Begleiterinnen im Symbolbereich des durch das hohe Fenster einfallenden<br />

Lichtes, was als Zeichen einer besonderen Krönung verstanden werden kann. Die<br />

theologische Beziehung zwischen Bild und Text wird durch die Bildallegorie des<br />

Glaubens analog zum Glaubensartikel der alegorie: ...singulere deuotion en sainte<br />

eglise catholique et en la communion des sains... hergestellt, aber diese Miniatur<br />

würde auch ohne die Versbeischrift und ohne jeden Text nach ihrem<br />

Ausdrucksgehalt zu verstehen sein, sie wirkt insofern wie ein Tafelgemälde und hebt<br />

sich dadurch aus dem Miniaturenzyklus heraus.<br />

Auch im folgenden Kapitel, das dem heidnischen Meeresgott Neptun gewidmet ist,<br />

verbunden mit der Aufforderung an den Seefahrer, ihn anzurufen und seinen<br />

Ehrentag zu feiern, damit er ihn vor dem Sturm bewahre, erscheint weder diese<br />

Gestalt noch die evozierte Festszene im Bild. Stattdessen sieht der Betrachter einen<br />

vornehmen jungen Herrn, der eine goldene Kette um den Hals trägt, mit betend<br />

erhobenen Händen auf einem Felsen nahe dem Meeresufer knien. Er blickt auf zu<br />

einer himmlischen Vision, in der Gott in einem Strahlenkranz erscheint. Am Ufer<br />

ankert ein Schiff, schon mit geblähten Segeln bereit, auf das sich weit ausdehnende<br />

Meer hinauszufahren. Die szenische Gestaltung folgt der alegorie, die Neptun in der<br />

Allegorie Gottes überhöht: Neptunus que le bon cheualier doit reclamer se il va<br />

souuent par mer prenderons que le bon esprit qui est continuelement en la mer du<br />

monde doit reclamer deuotement son createur et prier qui si bien lui doinst viure<br />

quil puisse auoir remission de ses pechies et doit croire larticle que dist saint Jude<br />

Remissionem peccatorum.<br />

Die geblähten Segel des zum Auslaufen bereiten Schiffes dürften die Hoffnung des<br />

jungen Fürsten symbolisieren, der mit der Gnade Gottes seine Lebensreise beginnen


41<br />

will. Die Art der Bildkomposition: Felsen-Wasser-Himmel und die wesentlichen<br />

ikonographischen Elemente: Typ des Anbetenden-Himmelsvision-Schiff deuten<br />

wiederum auf eine allegorische Bildauffassung. Zum Darstellungstyp der<br />

personifizierten christlichen Tugend der Spes gehört die Gestalt mit aufwärts<br />

gerichtetem Blick und erhobenen Händen, über der die Hand Gottes schwebte, und<br />

zu deren Attributen, unter manchen anderen, auch ein Schiff gehören konnte.<br />

Theologisch gründet der Glaubensartikel mit der Bitte um Vergebung der Sünden<br />

auf der Hoffnung der Erlösung.<br />

Die prominente Stellung dieser beiden Miniaturen am Schluß der Artikel des<br />

Glaubensbekenntnisses erweckt verstärkte Aufmerksamkeit (nicht berücksichtigt<br />

wird hier das folgende und letzte memento mori-Kapitel der Reihe mit der Allegorie<br />

auf die Passion Christi, das auf die dritte der christlichen Tugenden, die göttliche<br />

Caritas, vorausweist). Nicht nur, weil von der bisher geübten Praxis, den Bericht der<br />

glose zu illustrieren, deutlich erkennbar abgewichen wird, sondern weil die<br />

Gestalten durch weitere im Bild hinzugefügte Details einen Bezug zur Realität<br />

gewinnen, der ebenfalls im Text keinen Rückhalt hat.<br />

In der ersten der beiden Miniaturen ist im Fenster hinter den Frauen ein auffallend<br />

großes Wappen eingelassen, und an der Reeling des Schiffs der Neptun-Miniatur<br />

sind fünf kleine Wappen angebracht. Zwar sind die Zeichnungen der Wappen<br />

undeutlich und kaum erkennbar, aber dennoch sollten wohl historische Wappen<br />

angedeutet werden, es handelt sich nicht um Phantasiewappen, die im Rahmen der<br />

Bilder auch überhaupt keine Funktion hätten. Von den Wappen an der Reeling, die<br />

sicherlich eine Beziehung zu dem Schiffsherren assoziieren sollen, der am Ufer noch<br />

sein Gebet verrichtet, könnte das vordere von den drei Wappen am Heck noch am<br />

ehesten identifizierbar sein durch die einem Drei-Lilien-Wappen gleichende Form.<br />

Eine solches Wappen findet sich deutlicher auch auf dem Thronbehang der<br />

Widmungsminiatur. Außerdem ist auf der Säulenarchitektur, die die Szene der<br />

Buchpräsentation rahmt, ein zweiteiliges Motto lesbar: sans foy ne peut nul a dieu<br />

plaire und le vrai coraige vient du coeur.<br />

Wenn die Verbindung von Glaube und Hoffnung auf der allegorischen Bildebene<br />

aus „Cassandra“ (ecclesia und communio) und dem „Neptun-Anbeter“ (remissio)<br />

ein junges, christliches Paar macht, so lassen die eingefügten Wappen die<br />

Vermutung aufkommen, damit sei ein historisches Paar bezeichnet. Die beiden<br />

Miniaturen, die eine höchst bewußte Bildredaktion erkennen lassen, könnten auf<br />

eine fürstliche Heiratsallianz deuten, die aus zeitlichen Gründen hinsichtlich der<br />

Entstehung der Erlanger Handschrift nur während der Herrschaft von Philippe III, le<br />

Bon (1396-1467), Herzog von Burgund und Graf von Flandern und Artois seit 1419,<br />

Herzog von Luxemburg seit 1451, etc., stattgefunden haben könnte. Zu dieser Zeit


42<br />

residierte Philippe meist in Brüssel, wo sein Hof den glanzvollen Mittelpunkt in den<br />

Verbindungen europäischer Fürstenhäuser bildete. Er schuf politische Institutionen<br />

für eine effektive Staatsverwaltung, und er kümmerte sich um Erziehung und<br />

Bildung, indem er italienische Humanisten als Lehrer an seinen Hof zog und sogar<br />

seine zahlreichen illegitimen Söhne auf die Universität Louvain schickte. 1430<br />

gründete er den Orden vom Goldenen Vlies. Philippe sorgte dafür, daß in seiner<br />

Bibliothek, der größten Hofbibliothek der Zeit, die er zum großen Teil von seinem<br />

Großvater Philippe le Hardi und seinem Vater Jean sans Peur geerbt hatte, die<br />

wichtigsten Werke der Renaissance vorhanden waren, deren Übersetzung ins<br />

Französische er veranlaßte. Viele Künstler arbeiteten in seinem Auftrag und häufig<br />

gemeinsam an der Ausstattung der Codices mit prächtigen Miniaturenzyklen,<br />

darunter Willem Vrelant und Jan de Tavernier. Sein persönlicher Meisterminiator<br />

und Organisator für die Bibliothek war sein varlet de chambre et enlumineur Dreux<br />

Jehan, 39 sein Sekretär Jean Miélot bearbeitete in seinem Auftrag Christines 'Epistre<br />

d'Othéa' vor 1460.<br />

Den großartigen Anlaß für die Herstellung der Erlanger illuminierten<br />

Prachthandschrift der 'Epistre d'Othéa' könnte die Verbindung seines einzigen<br />

Sohnes und Erben Charles le Téméraire (1433-1477), Comte de Charolais, geboten<br />

haben, der kurz vor seinem 21. Geburtstag (10. November) in Lille am 15. Oktober<br />

1454 seine Cousine Isabelle de Bourbon heiratete, die Tochter von Herzog Charles I<br />

de Bourbon und Agnes de Bourgogne. 40 Die historischen Wappen in den beiden<br />

Miniaturen könnten auf die dynastischen Ansprüche der jungen Ehepartner<br />

hinweisen, die in die Heiratsallianz eingebracht wurden. Die Gestaltung des<br />

einfachen Wappenmotivs auf dem Thronbehang - drei gelbe Lilien auf blauem<br />

Grund - kommt einem Wappen der Grafen von Artois nahe, wie es in einem<br />

deutschen Wappenbuch am Beginn des 15. Jahrhunderts gezeichnet wurde. 41<br />

Dagegen deuten die beiden Säulen mit Inschriften auf die Nähe zum französischen<br />

Königshaus hin, zu dessen symbolhaften Attributen der piler de foy gehörte<br />

(Prologue, f.3r), während der Symbolgehalt der zweiten Säule wechselte (z. B. „piler<br />

de justice“). 42 Läßt sich das Motto der linken Säule der Widmungsminiatur auf das<br />

Stichwort foy reduzieren, so das der rechten Säule auf couraige. Die colomne de<br />

courages ist gleichzeitig das Attribut der force, deren Wappentier der springende<br />

Löwe ist, wie die Miniatur zur dritten Kardinaltugend darstellt (III, f.10r). 43 Die<br />

courage oder vaillance ist eine Stütze der Stärke und ist das Wesensmerkmal von<br />

Hector, dem Adressaten des Werkes. Dies Spiel der Assoziationen zwischen<br />

realitätsbezogenen und allegorischen Bildebenen ist abhängig davon, welche<br />

Bedeutung für die Aufschlüsselung den Wappen zugemessen wird, oder ob sich das<br />

Säulen-Motto der Widmungsminiatur einer historischen Person zuordnen läßt. Es<br />

fällt allerdings schwer, bei einer insgesamt so bewußten Bildgestaltung ausgerechnet<br />

bei diesen augenscheinlich bedeutungsvoll hervorgehobenen Miniaturen Zufall und<br />

Willkür anzunehmen. Höchst mißlich ist, daß das Original der Widmungsminiatur


43<br />

verloren ist, so daß der Boden für alle Vermutungen noch nachgiebiger wird. Nur<br />

die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß für diese flämisch-burgundische, fürstliche<br />

Prunkhandschrift als Empfänger der historische Vertreter oder Erbe einer Dynastie<br />

anzunehmen ist. Würde sich das Wappen der Cassandra-Miniatur, das als einziges in<br />

der Art eines Vollwappens erscheint, nach den Grundzügen der Zeichnung<br />

entziffern lassen, so liesse sich mit Bezug darauf die vermutliche Identität der<br />

jungen Fürstin vielleicht ebenfalls klären.<br />

XXXV-XLIV: Die zehn Gebote<br />

(f. 47v - 59r)<br />

Mit Kapitel XXXV beginnen die Ausdeutungen in Bezug auf die zehn Gebote. Die<br />

exemplarischen Gestalten sind Belerophon, der die Liebe seiner Stiefmutter<br />

zurückweist und lieber den Tod erleidet, als Untreue zu begehen; sein Verhalten<br />

wird entsprechend dem ersten Gebot gedeutet. Der treue Memnon ist ein tapferer<br />

Cousin Hectors, der ihm im Kampf gegen Achill beisteht; er gleicht im<br />

allegorischen Sinn dieu de paradis qui bien nous a este leal cousin de prendre notre<br />

humanite.... Laomedon, König von Troja und Vater des Priamus, der voller<br />

Arroganz Jason und Hercules, die auf der Fahrt nach Colchos im Hafen von Troja<br />

zwischengelandet sind, nur um sich zu erfrischen, mit drohenden Worten vertreibt.<br />

Pyramus und Thisbe, die den Eltern nicht gehorchen und deswegen das Exemplum<br />

bieten für das vierte Gebot qui dist honneure pere et mere.<br />

Der Arzt Aesculap (XXXIX) vng moult sage clerc qui trouua la science de medicine<br />

wird als vertrauenswürdig gepriesen im Gegensatz zur Zauberin Circe, die man in<br />

Krankheitsfällen nicht konsultieren darf: Et poeut estre dit pour ceulx qui en leurs<br />

maladies vsent de sors et denchantemens et cuident pour ce auoir garison qui est<br />

chose deffendue et contre le commandement de sainte eglise. In der alegorie wird<br />

das fünfte Gebot 'Du sollst nicht töten' im weiterem Umfeld erläutert: Pour<br />

esculapion qui fut phisicien poons entendre le quint commandement qui dist tu<br />

nochiras point cest a dire ne de coeur ne de langue ne de main Et si est deffendue<br />

toute violence percussion et blessure corporelle Et nest pas si deffendu aux princes<br />

aux juges et justiciers mettre a mort les malfaiteurs mais tant seulement a ceulx qui<br />

nen ont point dauctorite Mais qui en cas de necessite la ou vng homme ne pourroit<br />

aultrement escaper ou quel cas les drois seuffrent bien tuer aultrui en son corps<br />

deffendant et aultrement non. Die Übertragung dieses Gebotes auf das Verhalten<br />

und die Befugnisse des Arztes und Chirurgen, für den die Bewahrung körperlicher<br />

Unversehrtheit des Patienten eindeutiges Gebot ist, gegenüber den Fürsten,<br />

Gerichtsherren und Richtern, die kraft ihrer Autorität einen Übeltäter ohne Zweifel<br />

zum Tode verurteilen dürfen, ist sicher ein interessanter Beleg für die im<br />

Spätmittelalter geübte Praxis.<br />

Die Liebesepisode zwischen Achill und Polyxena (XL), die mit der Ermordung<br />

Achills durch Paris endet, illustriert das sechste Gebot, Tu ne feras point de meschief


44<br />

cest adire adultere ne fornicacion. Der grausame König Busiris liefert das<br />

Exemplum für das Gebot Tu ne feras point larchin, und die traurige Geschichte von<br />

Hero und Leander endet Tu ne porteras point faulx tesmoignaige contre ton<br />

prochain. Helena, deren von den Griechen geforderte Rückkehr die Trojaner<br />

verweigern und dadurch den Krieg auslösen – die aus diesem Verhalten abgeleitete<br />

Moral lautet mieulx vault paix tost consentir Que tart venir au repentir – gibt das<br />

Beispiel für das neunte Gebot: Tu ne desirra point la femme de ton proixme. Die um<br />

ihren getöteten Sohn weinende Göttin Aurora beschließt diese Reihe: Tu ne<br />

conuoiteras pas la maison de ton prochain ne son boeuf ne son asne ne chose quil<br />

ait.<br />

XLV - XCIX: Praktische Tugenden und Heilslehren<br />

(f. 59r - 124v)<br />

Damit endet die durch den katechetischen Kanon auf der Ebene der alegories<br />

bestimmte Gliederung der Exempla. Ab Kapitel XLV beginnt mit pasiphe die Reihe<br />

der Beispiele für die praktischen Tugenden ohne weitere äußerlich erkennbare<br />

Ordnung. Die klassischen Götter-Exempla und die wichtigsten Protagonisten in<br />

Schlüsselszenen des Trojanischen Krieges werden mit Regeln der praktischen<br />

Alltagsmoral innerhalb eines ritterlichen Lebensumkreises verknüpft: le bon<br />

cheualier poursieuant le hault nom darmes ne se doit trop amuser en deduit de<br />

chace car cest chose qui appartient a oyseuse... (f.82r). Oder Odysseus, der in der<br />

Zeit eines Waffenstillstandes während des zehnjährigen Trojanischen Krieges zum<br />

anspruchsvollen Zeitvertreib das Schachspiel erfand: Pour ce dist au bon cheualier<br />

quen temps deu se poeut bien a telz jeux esbatre... Toute chose subtille et honneste<br />

est loable afaire (f.106v). In den alegories werden die Taten mit vernünftig<br />

klingenden, erbaulichen Anweisungen für das Seelenheil des gläubigen Ritters<br />

verbunden, zum Beispiel: le bon esprit cheualereux a dieu doibt bien regarder a qui<br />

il sacompaigne (f.61v), ...ne doit regarder ne penser a delices (f.72v), ...ne doibt<br />

laissier seignourir sa propre volente... (f.76r), le bon esprit sil est par male<br />

temptacion empeschies daulcune erreur en sa pensee que il se doit raporter<br />

alopinion de leglise... (f.102r).<br />

Zentrale Bedeutung gewinnt das Exemplum vom Sonnengott Phöbus Apoll und<br />

seiner Geliebten Coronis (XLVIII), die er tötet, als ihm sein Rabe die Nachricht<br />

bringt, er habe sie mit einem anderen jungen Herrn gesehen. Phöbus bereut seine Tat<br />

alsbald, und der Rabe, der für seine gute Tat eine Belohnung erwartete, wird<br />

stattdessen bestraft. Phöbus verflucht und verjagt ihn, verwandelt sein weißes in<br />

schwarzes Gefieder als Zeichen der Trauer, und bestimmt ihn zum Unglücksboten.<br />

Aufschlußreich ist die Anwendung der Moral für den bon cheualier: Et poeut estre<br />

entendue lexposition que le seruiteur daulcun puissant homme lui rapporta<br />

samblables nouuelles dont il fut deffais et chassies Pour ce voeult dire que le bon


45<br />

cheualier ne se doibt auancier de dire a son prince nouuelles dont il ait le couer<br />

couroucie car a la fin ne lui en pourroit nul bien venir Et aussi ne doit croire<br />

rapport qui lui soit fait par flaterie Ad ce propost dist hermes vng rapporteur ou<br />

controuueur de nouuelles ou il ment a cellui a qui il les rapporte ou il est faulx a<br />

cellui de qui il les dist. Die allegorische Analogie ist kurz und prägnant: Coronis, die<br />

nicht hätte getötet werden dürfen, ist als menschliche Seele zu verstehen, die man<br />

nicht durch Sünde töten darf, sondern sie wohl bewahren soll. Interessant sind die<br />

Augustinus folgenden Ausdeutungen der Bedürfnisse der Seele durch die<br />

metaphorischen Vergleiche, die wie die Stichworte der Allegorie erscheinen. Die<br />

Seele, Ausgangspunkt der fünf Sinne, ist das Schatzkästlein, die von Feinden<br />

belagerte Burg, der König in seinem Ruhegemach, das mit fünf Türen verschlossene<br />

Zimmer, der von bewaffneten Wächtern umgebene Prinz: Saint augustin dist que<br />

lame doibt estre gardee comme le coffre qui est plain de tresor comme le chastel<br />

assiegie de ses ennemis et comme le roy qui se repose en sa chambre de retrait et<br />

doibt estre ceste chambre close de cincq portes qui sont les cincq sens de nature Et<br />

nest aultre chose clorre ces portes que retraire les delectacions des cincq sens Et sil<br />

aduient que lame doie issir par ces portes a ses operations foraines elle doibt<br />

rassisement et discretement issir Et ainsi comme les princes quant Ilz voeulent issir<br />

de leurs chambres ilz ont huissiers deuant eulx tenans maches pourfaire voie en la<br />

presse Ainssi quant lame doibt yssir a veoir a oyr parler et sentir elle doibt auoir<br />

paour pour luissier qui doibt auoir pour mache la consideracion des paines denfer<br />

et du jugement de dieu (f.63r-64v). Das eigentlich nichtssagende Exemplum von<br />

Phöbus und Coronis, in der Erlanger Handschrift auch mit einer keineswegs<br />

prächtigen, Aufmerksamkeit erweckenden Miniatur illustriert, wird unvermutet zum<br />

Ausgangspunkt einer Betrachtung über das Wesen der Seele.<br />

Auffällig ist die häufige Wiederholung des Motivs, Rat zu geben und Rat<br />

anzunehmen, das dadurch fast in den Rang einer ethischen Norm erhoben wird. Die<br />

Fabel vom Raben des Phöbus Apoll und der Krähe (LII) greift zurück auf das<br />

Coronis-Phöbus-Exemplum (XLVIII), und wie der Rabe zum Symbol des<br />

Unglücksboten wurde, so ist die Krähe Symbol des guten Ratgebers. Sie hatte dem<br />

Raben von der Überbringung der unheilbergenden Botschaft abgeraten auf Grund<br />

ihrer eigenen schlechten Erfahrung. Einem so begründeten Rat könne man glauben,<br />

Et platon dist ne soies pas jangleur ne au roy grant rapporteur de nouuelles. Die<br />

alegorie verbindet die Ratgebung mit der Kardinaltugend der force und deutet sie als<br />

Seelenkraft: ...le bon esprit doibt vser de conseil Si comme dist saint gregoire es<br />

morales que force ne vault riens ou conseil nest car force est tantost abatue se elle<br />

nest apuyee par le don de conseil et lame qui a perdu dedens soy le siege de conseil<br />

par dehors sespart en diuers desirs (f.68v). Auch in besonderen spirituellen<br />

Angelegenheiten bedarf der Christenmensch des Rates: ...ne doibt entreprendre trop<br />

forte penitence sans conseil... (f.69v). Ratgeber und Beratung sind von<br />

entscheidender Bedeutung immer wieder in den Episoden, die den Verlauf des


46<br />

Trojanischen Krieges markieren. Die guten Berater und zugleich Propheten sind<br />

weise und gelehrte Persönlichkeiten, deren Urteil und vorausschauendes Wissen<br />

unbedingt zu respektieren sind: Helenus fut frere hector et filz priant et moult fut<br />

saiges clers. Si desconseilla tant comme il peut que paris nalaist point en grece<br />

rauir helaine pour ce dist au bon cheualier que on doit croire les saiges et leur<br />

conseil... (f.99r). Auch oder gerade ein König muß darauf bedacht sein, gute Berater<br />

um sich zu versammeln, deren Erkenntnis über zukünftiges Geschehen sich aus<br />

schriftlich überlieferten Quellen herleitet, wie zum Beispiel in der Ratsversammlung<br />

des Priamus: Qvant le roy priant ot fait redifiier troyes qui pour la cause du<br />

congiement de ceulx qui aloient en colcos ot este destruite Adont de celle<br />

destruction voult priant faire la vengance Adont assambla son conseil ou moult ot<br />

de haulx barons et saiges pour scauoir se bon seroit que paris son filz alaist en<br />

grece rauir helaine en eschange desiona... mais tous les saiges sacorderent que non<br />

pour cause des prophesies et des escriptures qui disoient que par cellui rauissement<br />

seroit troye destruit... (f.102v/103r).<br />

Die Exempla für die Zerstörung großer Städte – Theben, Babylon, Troja – die den<br />

Fall ganzer Reiche symbolisieren, werden immer mit warnendem Rat vor falschen<br />

Entscheidungen verbunden: Amphoras, moult saige clerc, der trop scauoit de<br />

sciences, rät dem König Adrascus von der Zerstörung Thebens ab. Da der Rat<br />

mißachtet wird, führt dies zum Tod des Königs ...pour ce voeult dire au bon<br />

cheualier que le conseil du saige est peu proufitable a cellui qui nen voeult vser.<br />

Warum Ratgebung und -annahme letztlich für das Seelenheil eines<br />

Christenmenschen so bedeutsam sind, ergibt sich aus der allegorischen Analogie:<br />

Par le conseil du saige amphoras contre le quel ne doibt aler en bataille poons<br />

noter que le bon esprit doibt sieure les saintes predicacions (f.66r).<br />

Paris, der jeden Rat verschmäht und dessen selbstherrliche und unbedachte<br />

Entscheidungen schließlich zum Untergang des Reiches beitragen, erscheint<br />

überhaupt als das Sinnbild des unklugen und damit sündhaften Menschen. Sein ohne<br />

Berater gefälltes Urteil ist immer falsch gelenkt, wie auch im Fall der drei<br />

Göttinnen: Adont paris donna sa sentence et renoncha a cheualerie et a sagesse et<br />

aussi a auoir pour venus a qui il donna la pomme pour la quelle occoison fut puis<br />

troie destruite. Die Moral der alegorie lautet: Paris qui juga folement cest que le<br />

bon esprit se doit garder de faire jugement sur aultrui... (f.94v/95r). Paris' Verhalten<br />

ist von Venus dominiert, über deren negative Eigenschaften das siebte Planeten-<br />

Kapitel belehrt hatte, und er mißachtet den Einfluß des Planeten Saturn, der das<br />

wohlerwogene Urteil dirigiert (VIII). Läßt der Mensch sich nicht durch Vernunft<br />

und klug begründeten Ratschlag leiten, weil er nur den diesseitigen Dingen verhaftet<br />

ist, kann er nicht einmal sein eigenes Leben lenken, das vom zufälligen Wechsel<br />

regiert wird. Dafür ist das Rad der Fortuna ein Sinnbild (LXXIV), das keinesfalls<br />

zufällig zwischen den Paris-Exempla steht. Das Leben des Paris wird von Fortuna<br />

bestimmt, die genauso wechselhaft ist wie Venus. Ein weiteres Beispiel für ein


47<br />

solches Verhalten ist König Midas, der aus Unverstand und ohne Rat zu suchen<br />

urteilte und deswegen als Tölpel markiert wird (XXVI). Auch dem Rat eines<br />

Kindes, selbst wenn es wie Troilus Sohn des Königs ist, darf man nicht folgen, weil<br />

der kindliche Ratgeber im Gegensatz zu Alten und Experten weder über Erfahrung<br />

noch gelehrtes Wissen verfügen kann: A conseil denfant ne se doit acorder le bon<br />

esprit cest a entendre quil ne doit estre ignorant mais sachant ce qui est proufitable<br />

a son salut (f.103r/v). Aber auch ein großer Gelehrter kann korrumpiert werden<br />

durch das Laster, wie das folgende Beispiel des verräterischen Calchas lehrt, vng<br />

moult subtil clerc de la cite de troye, der von König Priamus nach Delphi geschickt<br />

wird. Nachdem er durch das Orakel erfahren hat, daß die Griechen die Sieger sein<br />

werden, schlägt er sich eilfertig auf deren Seite und steht ihnen mit seinem Rat bei<br />

gegen seine eigene Stadt. Calchas und Seinesgleichen sind die schlimmsten<br />

Übeltäter, weil sie Herrschaft und Reich verraten (LXXXI).<br />

Schlechte Ratgeber sind diejenigen ohne echtes Wissen, deren Beurteilung und<br />

Voraussicht auf willkürlichen, nicht der Vernunft folgenden Grundlagen beruht. Zu<br />

ihnen gehören Magierinnen enchanteresse wie Circe, derem Rat im Krankheitsfall<br />

man nicht glauben darf, denn ihre Worte täuschen, weil sie nicht auf schriftlich<br />

tradiertem Wissen beruhen ((XXXIX), und Traumdeuter expositeur des songes<br />

(XLVI). Doppeldeutig scheint der Begriff 'Vision' (avision) zu sein. Er steht<br />

einerseits dem illusionärem Traum nahe, in der Bedeutung eines wahnhaften<br />

Traumgesichts, auf das man sich bei wichtigen Entscheidungen nicht verlassen<br />

kann. Die Fabel von Morpheus liefert dafür das Exemplum: Et pour ce que songe est<br />

moult trouble chose et aulcune fois riens ne signifie et aulcune fois signifie le<br />

rebours de ce que on songe Ne il nest si sage qui en puist proprement parler quoy<br />

que les expositeurs en dient dist au bon cheualier que esiouir ne troubler ne se doit<br />

pour telz auisions dont on ne poeut moustrer certaine significacion.... Die alegorie<br />

bezieht sich ausführlich auf Augustinus sur le psaultier (f.100r). Das praktische<br />

Beispiel bildet Paris mit seiner Entscheidung, auf Grund eines Traumes, der ihn<br />

nach Griechenland weist, ein Heer von Troja auszuschicken, um Helena zu rauben,<br />

was die Griechen mit der Zerstörung Trojas rächen: Ne fondez sur auision Ne de sur<br />

folle illusion Grant emprinse soit droit ou tort... Pour ce dist au bon cheualier que<br />

sur auision ne doit emprendre grant chose a faire car grant mal en poeut venir Et<br />

grant emprinse ne doit estre faitte sans grant deliberacion de conseil... (f.86v/87r).<br />

Ohne Beratung Entscheidungen zu treffen, ist ein Zeichen überheblicher Arroganz.<br />

Andererseits kann a(d)vision im positiven Sinn eine visionäre Offenbarung<br />

bezeichnen, die der fromme Mensch - meist sind es in diesem Werk die weisen<br />

Frauen - als direkte göttliche Inspiration empfängt, und die ihm sehr wohl<br />

zukünftiges Geschehen offenbart, weil sie die Funktion einer Prophezeiung (aduis)<br />

erfüllt. Dafür steht die devote Cassandra, die absolut verschwiegen ist und ihren<br />

Mund nur selten öffnet, dann aber die wohlbedachte Wahrheit ausspricht (XXXII,


48<br />

und als weitere Erklärung dieses Verhaltens LI: La langue soit saturnine...). Oder<br />

aber als Vorbild par excellence die kluge Andromache, der in einer<br />

Traumerscheinung der Tod Hectors verkündet wird, sollte er ihren Rat mißachtend<br />

am nächsten Tag in den Kampf ziehen: Pour ce dist que le bon cheualier ne doit du<br />

tout desprisier les aduisions sa femme cest adire le conseil et aduis delle se elle est<br />

saige et bien condicionnee (f.112v). Hector mißachtet ohne vernünftigen Grund<br />

nicht nur Andromaches wahrheitsgemäße Ankündigung seines Todes, sondern auch<br />

ganz ehrfurchtslos die von ihr veranlasste Bitte seines alten Vaters, Troja nicht zu<br />

verlassen. Das im darauffolgenden Kapitel (LXXXIX) gebotene Exempel der<br />

Zerstörung Babylons steht zwar weder in zeitlichem noch räumlichen<br />

Zusammenhang mit dem Geschehen in Troja, sehr wohl aber steht es als Zeichen im<br />

heilspädagogischen Sinn. Durch das „unmoralische“ Verhalten Hectors ist sein Tod<br />

und der darauffolgende Untergang Trojas unabwendbar geworden (XC).<br />

'Babylon' und 'Troja' sind aber auch Teile des Strukturschemas Gegenwart –<br />

Vergangenheit – Zukunft, zu dem ebenfalls die Begriffe Wissen – Memoire –<br />

Prophezeiung gehören, die schon im Prudentia-Kapitel eingeführt wurden. Der<br />

Gegensatz zwischen unbewußter Traumvision und wissensgestützter Prophezeiung<br />

weist auf den Kern des Selbstverständnisses der Autorin und Schriftstellerin<br />

Christine: Je scay par science et non par essay Les choses qui sont aduenir Me doibt<br />

il de toy souuenir (f.4r). Das gesamte Konzept, das sich hinter dieser Vorstellung<br />

Christines und den Begriffen verbirgt, ist bedeutsam für die Auffassung vom Wesen<br />

des Künstlers und seine ethisch-wissenschaftlich begründete Emanzipation zu ihrer<br />

Zeit.<br />

Die beiden folgenden Exempla müssen noch genauer betrachtet werden. In einer<br />

Doppelung der Szene wird über den Tod Hectors berichtet, den er zwiefach erleidet,<br />

und zwar durch eigenes Fehlverhalten. Sein Tod dient erstens zur Illustrierung einer<br />

praktischen Regel der ars militaria: Entledige dich im Kampf nie deiner Waffen,<br />

sonst wirst du getötet (XCI); und zweitens einer moralischen Maxime, ebenfalls im<br />

Zusammenhang mit kriegerischen Taten: Lass' dich nie von Habgier verführen, die<br />

Rüstung eines gefallenen Gegners zu rauben, da das deinen Tod durch die Verfolger<br />

bewirken kann (XCII). Die alegorie erläutert, daß die Begehrlichkeit nach einer<br />

weltlichen Sache den bon esprit nicht beherrschen solle. Ignocencius dist, daß die<br />

Begehrlichkeit ein Feuer ist, das man nicht beherrschen kann, so wie die<br />

Begehrlichkeit immer wieder von neuem erwacht, bis sie zur Habsucht ausartet.<br />

Begehrlichkeit ist der Tod und der Weg zum geistigen und häufig zum zeitlichen<br />

Tod. Das Bibelzitat lautet: Radix omnium malorum cupiditas est. Die auffällige und<br />

einprägsame Doppelung der Todesszene ist wohl begründet und weder irrtümlich<br />

noch zufällig: zuerst wird der körperliche Tod Hectors aus äußerem Anlaß berichtet,<br />

danach sein geistiger Tod durch moralisches Versagen, was auch dem ewigen Tod<br />

gleichkommt. Die Kapitel LXXXVIII bis XCII bilden sinngemäß eine Einheit mit<br />

Hector als Mittelpunkt, die sich aber letztlich bis zum Fall Trojas erweitert, denn die


49<br />

drei zwischengeschobenen Exempla über Achill und Polixena, Ajax und Anthenor<br />

dienen nur als weitere Zeichen des den Untergang bedingenden moralischen<br />

Verfalls. Die agierenden Protagonisten werden allein nach moralischen Kriterien<br />

beurteilt und nicht etwa nach ihren kriegerischen Taten. Die Exempla, die ohne<br />

erkennbare äußere kausallogische, narrative oder chronologische Beziehung stehen,<br />

sind dennoch aufgrund einer inneren Dramatik verbunden, die ihren Endpunkt findet<br />

mit der Zerstörung Ilions, le maistre dongon de troies et le plus fort et le plus bel<br />

chastel qui onques fut fait dont histoires facent mention... (f.121v), über dessen Tor<br />

beziehungsreich Samsons Löwenkampf als Relief angebracht ist, wie die Miniatur<br />

zeigt.<br />

Bemerkenswert ist, daß der im ersten Teil des Werkes so hochgepriesene<br />

Tugendheld der 'Epistre d'Othéa', der tapferste aller wirklichen Ritter dont histores<br />

faichent mencion ou memore in diesen Todesszenen, die letztlich die kurz<br />

bevorstehende und endgültige Zerstörung Trojas, Signum des Reiches, ankündigen,<br />

als untugendhaftes Beispiel dargestellt wird. Die Figur Hectors, der aus dem<br />

historischen Blickwinkel Christines gesehen in der Zeit vor der Gnade lebte, war<br />

eben nur das bedingte Beispiel eines Tugendhelden.<br />

Der moralgeschichtliche und heilspädagogische Bezug gilt für alle Troja-Exempla,<br />

die nur scheinbar willkürlich verteilt und isoliert im zweiten Teil von Christines<br />

Werk erscheinen. Die Episoden des trojanischen Krieges werden auf der Ebene der<br />

gloses nicht als historische Ereignisse (res gesta) geschildert, die in einem<br />

Kontinuum nach göttlicher Fügung in Verfolgung des Heilsplans ablaufen, sondern<br />

es sind die menschlichen Einzelhandlungen, die im irdischen Bereich, nach<br />

moralischen Kriterien beurteilt, Geschichte machen. Nach dieser Auffassung ist<br />

Weltgeschichte folgerichtig verstanden als Geschichte der Moral, die sich in<br />

einzelnen Exempla darstellen läßt. So ist zum Beispiel nicht die Vertreibung Jasons<br />

und Hercules durch Laomedon als solche der Grund für die Zerstörung des ersten<br />

Troja, sondern die eigentliche Ursache liegt bereits vorher in der hybriden<br />

Entscheidung Laomedons, die Griechen ohne jeden vernünftigen Grund mit<br />

drohenden Worten des Landes zu verweisen (XXXVII). Auch für den zehnjährigen<br />

Krieg um Troja, der schließlich mit der abermaligen Zerstörung endet, liegt die<br />

Ursache nicht in der Tatsache des Raubes der Helena, sondern in der doppelten<br />

Fehlentscheidung von Paris, weil er ganz unvernünftigerweise das Begehren der<br />

Griechen nach Rückgabe Helenas zurückgewiesen hatte (XLIII), und weil er einem<br />

Traumgesicht glaubte, das ihm wahnhaft etwas vorgaukelte, anstatt dem<br />

wohlerwogenen Rat seines weisen Bruders Helenus zu folgen (LXVIII und<br />

LXXVII). Der Ausbruch dieses Krieges wäre vermeidbar gewesen, er war<br />

keinesfalls ein gottgewolltes Ereignis, sondern war allein abhängig von der richtig<br />

oder falsch gelenkten Entscheidung, die dem freien Willen des Menschen entspringt.


50<br />

Das Individuum ist nach dieser Darstellung für die Konsequenzen seines Handelns<br />

(factum) eigenverantwortlich, wenn es auch, um nicht selbstgerecht und<br />

selbstherrlich zu handeln und um zu einer (sachge)rechten Beurteilung der zu<br />

entscheidenden Dinge zu gelangen, des Rates der Weisen und Erfahrenen bedarf, die<br />

aufgrund ihres Wissens die Handlungsresultate vorausschauend erkennen können.<br />

Auf der Ebene der alegorie wird Krieg allgemein zum Sinnbild des inneren<br />

Kampfes. Der Mensch wird als ethisches Wesen verstanden, dessen diesseitiges<br />

Streben nach größtmöglicher Vollkommenheit sich im Kampf gegen ihn<br />

bedrängende Laster vollzieht, um dadurch das ewige Leben zu sichern: ...le bon<br />

esprit sil se laisse a lennemy encliner apechiet il doibt doubter la mort pardurable<br />

Et comme dist job La vie presente nest que vne cheualerie Et en signe de ceste vie<br />

presente est appellee guerriant Et celle de la sus est appellee triumphant car elle a<br />

ja victore de ses ennemis... (f.109r).<br />

Die im moralischen Sinn zu interpretierenden Schlüsselszenen im Verlauf des<br />

Trojanischen Krieges, die in Christines 'Buch der Weisheit' integriert sind, dienen<br />

auch als warnendes Beispiel im politischen Sinn. Das Ethos des politisch<br />

verantwortlich Handelnden, der bonne policie nach der von Christine im ersten Teil<br />

ihres Werks vertretenen Ansicht betreibt, ist dem Wohlergehen des Staates<br />

verpflichtet, das heißt vor allem der Bewahrung des Friedens und der Einheit, die<br />

der an der Spitze des Staates stehende weise König garantieren soll, getragen von<br />

foy und courage. Tapferkeit, eine der königlichen Kardinaltugenden, ist dann nicht<br />

mehr die militärische Stärke, die zum Beispiel notwendig ist zur Sicherung der<br />

äußeren Herrschaft, sondern die geistig-moralische Stärke im Kampf für das Gute,<br />

im politischen Sinn für eine gute Regierung. Dieses Herrschaftsideal ergibt sich<br />

zwangsläufig aus der Geschichtsauffassung, wonach Weltgeschichte zu verstehen ist<br />

als Geschichte des moralischen Verhaltens der Menschen. Die Beispiele der<br />

Geschichte lehrten, daß Weltreiche untergingen, weil ihre Herrscher moralisch<br />

versagten. Ist der Trojanische Krieg an sich ein Exemplum der Uneinigkeit, und<br />

gehen die Trojaner, an deren Spitze König Priamus und seine Söhne stehen, aus<br />

moralischem Fehlverhalten zugrunde, so gilt dies zwar auch für die Griechen, aber<br />

außerdem fehlt ihnen die verantwortliche und einigende Institution eines Königs.<br />

Aus der historischen Perspektive des Mittelalters fehlte den Griechen der Bewahrer<br />

des Reichs. Auch in dieser Hinsicht ist der Trojanische Krieg ein Signum der<br />

vorchristlichen Weltgeschichte. Der König von Frankreich de dieu aduouee (Prolog)<br />

ist dagegen – nicht nur allein für Christine – das Symbol für Frieden und Einheit,<br />

sofern er sich von Jugend an um Vervollkommnung im ethischen Sinn bemühte,<br />

wobei ihm seine conseillers nützlich sein konnten; denn, so lehrte Aristoteles, die<br />

beratende Staatskunst, die ein Teil der Staatsverwaltung ist, ist eine Art der praktisch<br />

handelnden Klugheit. 44 Auf dieser Ebene liegt die politische Botschaft von<br />

Christines 'Buch der Weisheit'. Diese Geschichtsauffassung ist natürlich nicht<br />

Christines eigenen Überlegungen entsprungen, sondern sie folgt damit einer<br />

Tradition, die wohl weit zurückreichen dürfte und hauptsächlich in den<br />

'Fürstenspiegeln' Ausdruck fand, hier aber nicht weiter untersucht werden kann. 45


51<br />

C: Augustus-Kapitel und Epilog<br />

(f. 125r - 126r)<br />

Außerhalb der Reihung sagenhafter Szenen und der Episoden des Trojanischen<br />

Krieges und damit deutlich abgehoben ist das letzte „historische“ Kapitel über<br />

Kaiser Augustus und die Sibylle von Cumä, das gleichzeitig den Epilog des Werks<br />

darstellt. 46 Dem Ich der Autorin, der Briefschreiberin Othea, steht das Du des<br />

Adressaten, das heißt Hector, gegenüber, beide verbindet das Werk, und beide<br />

werden in Analogie zu Augustus und Sibylle gesetzt, deren Verhältnis ebenfalls das<br />

einer (prophetischen) Lehrmeisterin zu ihrem Schüler war, den sie vor<br />

Vergöttlichung bewahrte: Cent auctorites tay escriptes/Si ne soient de toy<br />

despites/Car augustus de femme aprist/Qui destre aoure le reprist.<br />

Die glose kommentiert die „historischen“ Fakten: Zu der Zeit als Kaiser Augustus,<br />

Herrscher über Rom und die ganze Welt, regierte, herrschte auch überall Friede. Die<br />

dummen Ungläubigen hielten dafür, daß dieser Friede um seinetwillen bestand, aber<br />

dem war nicht so; Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria, war schon auf<br />

Erden, und sobald er lebte, herrschte Frieden: Cesar augustus fut empereur de<br />

romme et de tout le monde Et pour ce que ou temps de sa seignourie paix fut par<br />

tout le monde que il seignourissoit paisiblement La fole gent mescreant tenoient que<br />

celle paix fust pour cause du bien de lui mais non estoit car cestoit pour cause de<br />

Jhesumcrist qui estoit nez de la vierge marie.... Sie aber wollten den Kaiser wie Gott<br />

anbeten. Da warnte ihn die Sibylle: sibilla cumana lui dist que bien gardast que<br />

aourer ne se fesist et quil nestoit fors vng seul dieu qui tout auoit cree. Die Sibylle<br />

führte Augustus auf einen hohen Berg, wo nach dem Willen Gottes eine Vision<br />

erschien dedens le soleil par le volente de notre seigneur apparut vne vierge tenant<br />

vng enfant. Augustus und die Sibylle aber deuten auf das Heilsgeschehen, auf Jesus<br />

Christus, den wahren Friedensstifter. Die Sibylle sagte ihm, daß dies der wahre Gott<br />

wäre, den er anbeten müßte, was er tat. Deswegen, weil Kaiser Augustus, der ein<br />

Fürst über alle Welt war cesar augustus qui prince estoit de tout le monde, lernte,<br />

Gott zu erkennen durch die Gläubigkeit einer Frau a la creance dune femme, kann<br />

gesagt werden au propost lauctorite que dist hermes, schäme dich nicht, die<br />

Wahrheit zu hören und was zu deiner Unterrichtung gesagt wird, wer auch immer es<br />

ausspricht, denn die Wahrheit adelt denjenigen, der sie ausspricht.<br />

Von dem Beispiel der Sibylle ausgehend schlägt Christine den Bogen zur<br />

Verfasserin der 'Epistre d'Othéa' und erklärt mit Bezug auf das 'Didascalicon' Hugos<br />

von St. Victor Sinn und Zweck des literarischen Werkes, die darin bestehen, daß<br />

eine Frau in der Rolle der klugen Lehrmeisterin Weisheitslehren verkündet, die jeder


52<br />

kluge Mensch bereitwillig bestrebt ist, mit dem rechten Verständnis aufzunehmen<br />

und zu lernen, um sein sittliches Wesen zu vervollkommnen: La ou othea dist que<br />

cent auctorites lui ay escriptes et de femme aprinst augustus Cest aentendre que<br />

bonne parole et bons entendemens sont a loer de quelconque personne que soient<br />

dictes De ce dist hue de saint victor en vng liure appelle didascalicon que le saige<br />

homme ot volontiers de tous et aprent volentiers de chascun et lit volentiers toutes<br />

manieres denseignemens Il ne despite point lecripture Il ne despite point la personne<br />

Il ne despite point la doctrine Il quiert indifferamment par tout et tout ce quil voit<br />

dont il a defaulte Il ne considere point qui cest qui parle mais que cest que il dist Il<br />

ne prent point garde combien il meismes scet mais combien il ne scet mie.<br />

Das abschließende Bibelzitat lautet: Auris bona audiet cum omni concupiscencia<br />

ecclesiastici iij° ca°.. Sehr stark betont wird am Schluß des Werkes das sich aus der<br />

Suche nach Vervollkommnung des Wissens ergebende Bildungsethos des<br />

Lehrenden wie des Lernenden.<br />

Durch die Analogie der historischen Personen und fiktiven Gestalten Othea/Sibylle<br />

und Hector/Augustus korrespondiert dies letzte Kapitel mit Prolog und erstem<br />

Kapitel, die die Gleichsetzung von Christine/Othea und Louis d'Orléans/Hector<br />

inszenierten. Zwischen Anfang und Ende ergibt sich, äußerst kunstvoll verschränkt,<br />

ein kompliziertes, logisches und gleichzeitig assoziatives Beziehungsgeflecht der<br />

realen Personen und fiktiven Gestalten und ihrer Funktionen. Wieder wird die<br />

hermeneutische Grundstruktur deutlich, die Gegenwart mit Vergangenheit und<br />

Zukunft verbindet: ...Si dist othea a hector comme par prophesie de ce qui estoit<br />

aduenir... (f.108v). Vereinfacht dargestellt bedeutet dies, daß aus der Französin<br />

Christine die griechische Othea wurde, die der römischen Sibylle gleichgesetzt wird,<br />

wie aus Louis der griechische Prinz wurde, der durch seinen Bildungsweg<br />

vergleichbar mit Caesar Augustus wird. Beide Personen, die Autorin, Künstlerin und<br />

Prophetin und der junge Prinz und zukünftige Herrscher, stehen in der Nachfolge<br />

Christi, die eine als Lehrmeisterin, der andere in seiner vorgesehenen<br />

Herrscherfunktion. 47 Hinter dieser stufenförmig vorgestellten Entwicklung steht<br />

noch immer das traditionelle Denkmuster einer kulturpolitischen Verbindung nach<br />

der Idee der translatio studii und der translatio regni.<br />

In der Erlanger Handschrift wird diese verbindende Idee sinnfällig dargestellt durch<br />

die Miniaturen zum ersten und letzten Kapitel: Das Bild der Autorin Othea als<br />

personifizierte Weisheit und Allegorie der Künstlerin leitet das Werk ein, und der<br />

von Beratern umgebene Caesar Augustus, der gleichzeitig auf den jungen Hector<br />

zurückweist und in der prophetischen Vision Christines auf den reifen Herrscher<br />

vorausdeutet, erscheint in der ikonographischen Tradition der Maiestas Domini am<br />

Ende. Der äußere Rahmen des Werkes spannt ein durchaus historisch verstandenes<br />

personales Bezugssystem mit hohem Symbolwert.


53<br />

Auf die Gleichwertigkeit von cheualerie und sagesse, von Fürst und Lehrmeisterin,<br />

die im Prolog angesprochen war durch die angedeutete Ebenbürtigkeit der gelehrten<br />

Christine und des edlen Prinzen, wurde bereits hingewiesen. Die Gleichberechtigung<br />

der beiden Stände, des clerc und des cheualier, wird auch besonders hervorgehoben,<br />

wenn Pallas Minerva wiederholt vorgestellt wird als Göttin, die beide zugleich<br />

beschirmt: Lors dist pallas Je suis deesse de cheualerie et de sagesse et par moy<br />

sont departies armes aux cheualiers et science aux clers (f.23vff.,f.94r). Das<br />

klassische Ideal allerdings wäre wohl die Vereinigung in einer Person, wie es das<br />

Negativbeispiel von Paris nach seinem Fehlurteil – male sentence – über die drei<br />

Göttinnen Pallas, Juno und Venus zu belegen scheint: ...paris donna sa sentence et<br />

renoncha a cheualerie et a sagesse... (f.94v).<br />

Sagesse, Science und Enseignement<br />

Das erste und das letzte Kapitel sind nicht nur durch die Namen der Personen und<br />

Gestalten mit einander verschränkt, sondern auch hinsichtlich der behandelten<br />

matere. Denn zwischen sagesse/prudence, science und enseignement stellt Christine<br />

von Beginn ihres Werkes an einen direkten Zusammenhang her. 48<br />

Christine verweist im Epilog sehr nachdrücklich auf das 'Didascalicon eruditionis'<br />

des Augustinerchorherren Hugo von St. Victor († 1141) zur Begründung und<br />

Rechtfertigung von Lehre und Studium. Das 'Didascalicon' hat den Charakter eines<br />

Lehrbuchs mit einer systematischen Darstellung der Philosophie, die als vielfach<br />

verzweigte Wissenschaftsdisziplin begrifflich unterteilt wird. Nach der einleitenden<br />

Feststellung, daß die Vollkommenheit menschlichen Lebens erreicht wird durch die<br />

Verbindung von Wissenschaft und Tugend („Integritas vero vitae humanae duobus<br />

perficitur: scientia et virtute“ oder „In disciplina, ut laudabiliter vivens, mores cum<br />

scientia componat“) beginnt die schematische Darstellung. In diesem Schema finden<br />

in der Aufgliederung der Ethik als Teil der praktischen Philosophie die<br />

Staatsverwaltung (Politik) ihren Platz ebenso wie die Urheber der Künste, zu deren<br />

Anhang auch die Schriftsteller zählen, sofern sie einen Gegenstand in<br />

philosophischer Weise behandeln. Das können zum Beispiel sein „omnia poetarum<br />

carmina, ut sunt tragoediae, comoediae, satirae, heroica quoque et lyrica, et iambica,<br />

et didascalica quaedam; fabulae quoque et historiae...“. Der Künstler, der als<br />

Schriftsteller handelt, ist am besten als Lehrer, wenn er alles kompendienartig<br />

zusammenfaßt, leicht verständlich darstellt und kurz und angemessen erklären kann<br />

(„...grammatice agit omnis qui regulariter loquitur vel scribit... de qualibet arte


54<br />

agimus maxime in docendo ubi omnia ad compendium restringenda sunt, et ad<br />

facilem intelligentiam revocanda... quando brevius et aptius potest explanare...“).<br />

Betrachtet man Christines Werk nach diesen Regeln, so erscheint es insgesamt wie<br />

eine unmittelbare Umsetzung dieser theoretischen Grundsätze in literarische Praxis.<br />

Ohne jeden Zweifel folgt Christine im Verständnis ihrer Aufgabe als Philosophin,<br />

Wissenschaftlerin, Moralistin, Schriftstellerin und Lehrmeisterin dem von Hugo<br />

vorgegebenen Leitbild und Regeln. Ihr Werk ist ein seltenes, herausragendes<br />

Beispiel für die Wechselwirkung von philosophischer Theorie und literarischer<br />

Praxis und Manifestation ihrer gegenseitigen Durchdringung.<br />

Christines geistige Position ist gekennzeichnet durch die Betonung der Vernunft.<br />

Wahre Erkenntnis beruht auf gelehrtem Wissen (je scay par science), das durch<br />

geistiges Erfassen der schriftlich überlieferten Quellen verbürgt ist und durch<br />

kundige Schriftgelehrte unverfälscht wiederum in schriftlicher Form und in<br />

lehrhafter Absicht vermittelt wird. Wissenschaft, als vernunftgelenkte Erkenntnis<br />

betrieben, definiert sich im Werk Christines geradezu durch Schriftlichkeit: ...lettres<br />

et escriptures et les histoires des bons que le bon cheualier doit voulentiers oyr<br />

racompter et lire et dont lexemple lui peut valoir (f.41v). Das Buch ist das Attribut<br />

des weisen Gelehrten, nicht nur in den Texten, sondern anschaulich auch in den<br />

Bildern gemacht, beginnend mit der Widmungsminiatur (wie sie heute in der<br />

Erlanger Handschrift überliefert ist), die Christine de Pizan bei der Überreichung<br />

ihres 'Buchs der Weisheit' zeigt. Pallas Minerva, Personifizierung des Wissens, gibt<br />

in Text und Bild das Beispiel der wissend-weisen Lehrmeisterin und Erfinderin der<br />

schönen Künste, eine Anspielung wohl auf die artes liberales, die sonst als Teil des<br />

traditionellen Bildungskanons an keiner Stelle des Werks mehr erwähnt werden:<br />

...en toutes choses fut saige et maintes ars nouuellement trouua belles et subtilles<br />

lappellerent deesse de scauoir; die Miniatur zeigt Pallas Minerva auf dem Katheder<br />

thronend in einem Auditorium, auf dem Lesepult neben sich ein aufgeschlagenes<br />

Buch, vor ihr sitzen aufmerksam lauschende Studenten (f.24v). Die dargestellte<br />

Szene mit den symbolhaften Attributen bezeichnet Pallas Minerva, alter ego der<br />

Göttin der Waffenschmiede nach dem Text, als Allegorie der Grammatik (f.24v).<br />

Daß auch Wissensaneignung direkt über Bücher, ja sogar über Schulbücher erfolgt,<br />

wird an anderen Stellen belegt: ...lire a ton escole (f.59r), oder im letzten Kapitel mit<br />

dem Zitat nach Hugos 'Didascalicon': ...que le saige homme ot volontiers de tous et<br />

aprent volentier de chascun et lit volentiers toutes maniere denseignemens (f.126r).<br />

Für Studium, Belesenheit und Gelehrsamkeit steht beispielhaft Cadmus, Gründer<br />

von Theben: Lestude y mist et il meismes fut moult lettrez et de grant science<br />

(f.40v). Einige der sagenhaften Gestalten verbinden Weisheit und Wissenschaft und<br />

werden als clerc vorgestellt: Amphoras fut moult saige clerc... et trop scauoit de


55<br />

sciences (f.66r), oder Helenus ...moult fut saiges clers (f.99r). Es sind literarisch<br />

Gebildete und Gelehrte, meist in der Rolle von Beratern, die durch wissenschaftliche<br />

Wahrnehmung sicher fundierte Kenntnis über zukünftiges Geschehen erlangten,<br />

etwa Calchas, der par science scauoit que troie seroit destruite (f.107v), niemals<br />

aber Kleriker. Der Arzt Aesculap qui fut phisicien ist der Erfinder der Wissenschaft<br />

der Medizin und Buchautor: trouua la science de medicine et enfist liures ... de<br />

science raisonnable et de experience... (f. 53r), ihm darf man sich im Krankheitsfall<br />

anvertrauen, nicht aber der Zauberin Circe. Das Bild zeigt beide „Gesundheits“-<br />

Berater vor einem ihnen aufmerksam zuhörenden Mann, Aesculap mit einer<br />

beeindruckenden Bibliothek neben sich, bestehend aus mehreren Codices in Regalen<br />

und offen auf dem Lesepult, auf die er sich beruft, Circe aber nur mit einigen<br />

Zaubersprüchen in verschlossenen Röllchen und armseligen magischen Utensilien<br />

versehen (f.52v). Wie die Medizin werden auch Astronomie und Alchemie als<br />

Wissenschaft bezeichnet: ...sentence appartenant a la science dastronomie et<br />

darquemie (f.105v). Die Alchemie verfügt sogar über ein Begriffssystem: les<br />

alkemistes... nommerent les termes de leur science par icelles planetes comme on<br />

poeut veoir en geber et nicolas et aultres acteurs dicelle science (f.16v). Dies weist<br />

auf die Medizin als beratende Wissenschaft in Verbindung mit Kenntnissen der<br />

Astronomie/Astrologie. 49 Als Attribut der Wissenschaft sind Bücher, wie eine Art<br />

Geistesschwert, höchst ehrenvolle Standeszeichen der Gelehrsamkeit und Weisheit.<br />

Der Topos von Buch und Schwert wird bis in die Zeit der Spätrenaissance<br />

weiterleben, wobei die Rolle des Buchs zunehmend höher bewertet wird.<br />

Der Arzt Galen dagegen erlangte seine medizinisch-pharmakologischen,<br />

heilkundlichen Kenntnisse direkt durch mündliche Überlieferung von einer weisen<br />

Frau: Galyen aprint la science de medicine dune moult vaillant femme et saige<br />

appellee clempare qui lui aprint a cognoistre maintes bonnes herbes et leur<br />

propriete (f.59v). Die femme moult sage entspricht in der Bedeutung dem<br />

männlichen clerc, wie zum Beispiel Pallas Minerva, oder Medea vne des plus<br />

saichans femmes de sort et de sciences qui oncques fut selonc les histoires (f.75v).<br />

Die weisen Frauen erfüllen auch die Rolle der prophetischen Ratgeberin: ...dist<br />

othea a hector comme par prophesie de ce qui estoit aduenir... (f.108v), oder wie<br />

Cassandra Trop fut saige cassandra... ja ne disoit chose qui ne fust veritable...<br />

(f.45r) und Andromache, die als allgemeines Beispiel vorgeführt wird: ...ne doit du<br />

tout desprisier... le conseil et aduis delle se elle est saige et bien conditionnes...<br />

(f.112v).<br />

Deutlich unterschieden von den Wissenschaften sind art und mestier, die auf<br />

praktischem Wissen oder Handeln aus Erfahrung, beziehungsweise Geschicklichkeit<br />

beruhen, wie bei Hector, dessen Metier das Kriegshandwerk ist: bien sceut hector<br />

mettre armeures en oeuure et que ce fut son droit mestier... (f.24v); sogar Frauen<br />

konnten das Waffenhandwerk ausüben, wie Thamaris, royne de damasonie... celle<br />

qui fut experte et subtille ou mestier darme (f.74v); Minerva ist Erfinderin der


56<br />

Waffenschmiede trouua lart de faire les armeures (f.24r), Bacchus ist Erfinder des<br />

Weinbaus: qui premierement planta vignes (f.33v), Pygmalion ist der Bildhauer: vng<br />

moult subtil ouurier de faire ymages (f.34v), Ceres die Erfinderin des Ackerbaus:<br />

trouua lart de erer les terres (f.37r), Isis, Göttin des Gartenbaus: deesse des plantes<br />

et des cultiuemens (38r), Io, Erfinderin verschiedener neuer Schriften: Io... qui fut de<br />

moult grant scauoir... trouua maintes manieres de lettrez... est nottee par lettres et<br />

escriptures... (f.41v), Arachne, Meisterin der Webkunst: lart de tissir et de filerie<br />

(f.82v), Orpheus, der professionelle Dichter und Musiker: ...eslire Rimes pour<br />

principal mestier Dinstrumens sieuir nas mestier (f.85v).<br />

Alle Bilder der Erlanger Handschrift zu den erwähnten arts und mestiers stellen die<br />

Tätigkeiten, Werkstätten und Geräte dar. Die Vorbilder dieser Bilderfolge zu den<br />

artes mechanicae oder artes practicae könnten zum Teil in Kalenderbildern zu<br />

suchen sein, wie sie sich in Stundenbüchern fanden, oder sogar im mehrstufigen<br />

Zyklus der Reliefdarstellungen am Campanile von S. Maria del Fiore in Florenz,<br />

denen sie ikonographisch, kompositorisch und stilistisch nahezustehen scheinen.<br />

Außerhalb dieses Systems der Wissenschaften und Künste scheint die Rhetorik zu<br />

stehen, deren Regeln zwar erlernbar sind, die aber keine durch reine Übung zu<br />

erlangende Fähigkeit ist, noch durch intellektuelle Erkenntnis erworben wird.<br />

Dennoch ist sie als wirkungsvoller Schmuck der schönen Rede und auch der Predigt<br />

erstrebenswert: ...parole nette et monde Ce taprendra mercurius Qui de bien parler<br />

scet les vs... bel langaige aourne de rethorique... (f.23r).<br />

Nicht als solche erwähnt ist die ars militaria, die erste der artes mechanicae, wohl<br />

aber werden einige ihrer Regeln angeführt, so zum Beispiel, daß bei einem Angriff<br />

die Verteidiger die Stadt nicht verlassen sollen, da die Angreifer sonst von der<br />

rückwärtigen Seite her unbemerkt eindringen können, wie bei der ersten Zerstörung<br />

Trojas. Die Miniatur veranschaulicht die bedrohliche Situation eines solchen Falles<br />

(f.84vf.). Oder wie beim Fall Babylons, der stark befestigten Stadt, die dennoch von<br />

Minos zerstört wurde. Die Lehre für den guten Ritter daraus lautet, daß er sich zu<br />

Kriegszeiten niemals auf die Befestigung seiner Stadt oder Burg verlassen darf,<br />

wenn er nicht ausreichend mit Leuten und allem Nötigem zur Verteidigung versehen<br />

ist (f.113rf.). Eine Regel kann schon in aller Kürze der Merkvers formulieren:<br />

Entledige dich in der Schlacht niemals deiner Waffen, sonst wird dich der Tod<br />

ereilen (f.115v). Auch die folgenden Exempla geben praktische Verhaltensregeln für<br />

den Kampf mit den Feinden (f.116r-118v).<br />

Das 'Buch der Weisheit'<br />

Die 'Epistre d'Othéa' oder das 'Buch der Weisheit' war von Christine de Pizan<br />

erklärtermaßen als Lehrbuch gedacht. Die Anlage und Struktur des Werkes, der<br />

Inhalt und die Sprache wurden dieser Aufgabe untergeordnet. Das Ziel sollte die


57<br />

ethische Erziehung eines Prinzen sein zu einem guten, für den Staat und damit für<br />

alle Bürger vorbildlich wirkenden Regenten im christlichen Sinn einer<br />

„ganzheitlichen“ Bildung der Persönlichkeit. Nicht die Erziehung zur<br />

Tugendhaftigkeit ist das Ziel, sondern die Bildung des Bewußtseins, daß das Streben<br />

nach Gutsein die Bedingung für gutes Handeln ist. Das Konzept der Autorin wird<br />

getragen von dem hohen wissenschaftlichen Ethos und dem festen Glauben an die<br />

eigene Bildungsaufgabe wie an die allgemeine Bildungsfähigkeit des Menschen. Die<br />

Lernwilligkeit, auf die im Epilog mit pathetischem Nachdruck hingewiesen wird,<br />

wird als Ausdruck des natürlichen menschlichen Strebens nach Vervollkommnung<br />

des Wissens und der Erkenntnisfähigkeit in Bezug auf die Wahrheit im diesseitigen<br />

Bereich verstanden, mit dem Ziel, dadurch das ewige Leben zu gewinnen.<br />

Das Bildungsprogramm umfaßt im ersten Teil die anthropologischen Konstanten,<br />

hier allerdings eingegrenzt auf die proprietes eines Repräsentanten fürstlicher<br />

Abkunft, und im zweiten Teil, kompendienartig zusammengestellt, faktisches<br />

historisches Wissen bezogen auf menschliche Handlungsvielfalt in Verbindung mit<br />

moralischen und religiös-sittlichen Grundsätzen. Vermittelt werden auf diese Weise<br />

Menschen- und Weltkenntnis im Rahmen des verfügbaren, tradierten Wissens.<br />

Das Gesamtwerk wird übersichtlich in hundert Kapitel oder Lektionen gegliedert.<br />

Jede Lehreinheit ist methodisch gleichförmig gestaltet und teilt den Stoff didaktisch<br />

sinnvoll in vier Verständnisebenen, beginnend mit dem mnemotechnisch<br />

eingesetzten Exemplum und vom einfachen Bericht erinnernswerter historischer<br />

Taten, verbunden mit einem kritischen Kommentar, weiter aufsteigend zu deren<br />

Deutung im christlichen Sinn und ihrer Legitimation durch eine biblische<br />

Weisheitslehre, die in ihrer kurzen Form als Ausspruch ebenso einprägsam ist wie<br />

der Merkvers am Kopf der Lektion.<br />

Der elaborierte stufenförmige Aufbau, den die Erlanger Luxushandschrift<br />

abweichend von den frühen Handschriften dokumentiert, mit dem einspaltigen<br />

Schriftraum, der Aufmerksamkeit heischenden, prächtigen narrativen Illustration am<br />

Kopf und dem rubrizierten Bibelzitat als Basis des Kapitels, so daß es auch von<br />

unten nach oben gelesen werden könnte, ist der Materie vollkommen angepaßt und<br />

unter didaktischem Gesichtspunkt höchst sinn- und wirkungsvoll. 50<br />

Würde jede der vier Textebenen der Lektionen horizontal zusammengestellt, ergäbe<br />

sich eine Sammlung von hundert „klassischen“ Exempla; die Gesamtheit der gloses<br />

vermittelte das Grundwissen über historische dits et faits et choses und<br />

Grundkenntnisse der mit den Namen griechischer Philosophen verbundenen antiken<br />

Moralvorstellungen; die alegories in ihrer Gesamtheit stellten eine Sammlung<br />

spirituell-erbaulicher, sittlicher Leitideen und Verhaltensregeln dar, die, mit den<br />

Namen der bedeutenden Kirchenlehrer verbunden, ihren gegenwärtigen und


58<br />

exemplarischen Bezugspunkt in Christus fanden und damit auf zukünftiges<br />

Seelenheil wiesen. Im ersten Drittel des zweiten Teils würde sich der<br />

Todsündenkatalog, das Glaubensbekenntnis und der Dekalog als<br />

zusammenhängende Einheit samt Ausdeutungen darstellen; auf der vierten Ebene<br />

bildeten die biblischen Zitate und Weisheitssprüche ein neues Florileg.<br />

Außerdem läßt sich im Verlauf des Werkes noch ein zunehmend höherer Anspruch<br />

an die Einsicht und Erkenntnisfähigkeit des Lernenden feststellen.<br />

Markierungspunkte sind die Fortuna-Lektion, die zwischen die Paris-Episoden<br />

gestellt ist, und das Babylon-Exemplum inmitten der Hector-Episoden. Im zweiten<br />

Teil kommen erst im Verlauf der zweiten Hälfte die historisch-„politisch“ relevanten<br />

Handlungen aus der Zeit des Trojanischen Krieges zur Sprache, die ein<br />

gewachsenes, reiferes Verständnis des fürstlichen Schülers verlangen. So läuft auch<br />

noch vom Anfang bis zum Ende eine diagonal aufsteigende Ebene durch das Werk,<br />

ein von der weisen Lehrmeisterin vorgezeichneter Bildungsweg, der die ethische<br />

Entwicklung des jungen Prinzen zum Friede verheißenden Herrscher über alle Welt<br />

leitet. 51<br />

Dennoch wäre zu fragen, ob diese formale und systematische Aufbereitung eines<br />

nicht gerade einfachen philosophischen Gegenstandes ausreichte für den<br />

autodidaktischen Gebrauch eines fürstlichen Studenten. Anzunehmen ist weit eher,<br />

daß das 'Buch der Weisheit' ein Mittel war, welches ein Prinzenerzieher und -berater<br />

einsetzte und durch mündliche Unterweisungen mancherlei Art zu den in den gloses<br />

berichteten Historien ergänzte, die vielleicht auch durch die Erklärung der Bilder<br />

angeregt wurden. Auf jeden Fall dürfte die Bewältigung des gesamten Stoffes, die<br />

wissensmäßige Aneignung und Durchdringung, nicht durch kontinuierliche Lektüre<br />

erfolgt sein, sondern einen längeren Zeitraum beansprucht haben. Unter<br />

Berücksichtigung des angestrebten Ziels, nämlich das ethische Fundament einer<br />

Herrscherpersönlichkeit zu bilden, wäre wahrscheinlich für ein solch weitreichendes<br />

Bildungsprogramm doch wohl mindestens von einem vollem Jahr der<br />

Unterrichtspraxis auszugehen.<br />

Das lehrhafte Werk als Ganzes, einschließlich der gloses und alegories, bildet die<br />

epistre: Pour mon epistre ademoustrer/Te voeul et dire et enhorter/Les choses...<br />

(f.4v). Die Epistel, das Send- oder Mahnschreiben (auch der Hirtenbrief) hatte zur<br />

Zeit Christines den Traktat abgelöst; sie wurde zur literarischen Lieblingsform der<br />

Humanisten. Als geistig-moralische Autorität, das heißt als weise Ratgeberin und<br />

kenntnisreiche Lehrmeisterin, stellt Christine sich mit ihrem ersten großen Werk in<br />

die Tradition Aristoteles-Ovid-Augustinus-Hugo von St. Victor. Etwas vereinfacht<br />

ausgedrückt läßt sich sagen, daß Aristotelis im wesentlichen die systematische und<br />

begriffliche Grundlage der philosophischen Ethik hergab, Ovid die historische


59<br />

Quelle für die Moralgeschichte, Augustinus für die hermeneutische Methode der<br />

heilspädagogischen Ausrichtung, und Hugo für die wissenschaftlich begründete<br />

Lehrmethode. Das heilspädagogische Ziel hat seinen Ursprung in der biblischen<br />

Quelle der salomonischen Weisheitsbücher.<br />

Erst eine sorgfältige Untersuchung der lateinischen Quellen als ideelles Ganzes –<br />

und nicht nur als Zitatensammlung – und der Verfolgung der von ihnen<br />

ausgegangenen Traditionslinien, sowie der Vergleich mit Christines Werk und den<br />

Werken ihrer Zeitgenossen könnte belegen, wie weit Christine traditionellen<br />

mittelalterlichen Denkmustern verhaftet blieb, oder welche neuzeitlichen,<br />

humanistischen Ansätze erkennbar sind, etwa auf der sprachlichen Ebene in der<br />

Verwendung der aus dem Lateinischen stammenden Begriffe und, damit unmittelbar<br />

zusammenhängend, bei der Rezeption des klassischen moralphilosophischen<br />

Systems. Als Autorin steht Christine im Schnittpunkt von zwei geistigen Linien:<br />

einerseits der moralischen Verpflichtung, schriftliche Überlieferung unverfälscht<br />

weiterzugeben, weil Schriftlichkeit ein Garant der Wahrheit ist, andererseits der<br />

ethisch begründeten Forderung, das jeder Mensch auf dem Weg der Erkenntnis der<br />

Wahrheit des Rates der erfahrenen Gelehrten bedarf. Dies bedingt, daß Christine ihr<br />

der Bildung eines Prinzen bestimmtes Werk nicht allein und in intellektueller<br />

Abgeschlossenheit in ihrem Studio verfaßt hat, jenes erklärt die unveränderte<br />

Übernahme der Weisheits-Zitate. Christine hat sicherlich vor Beginn ihres Werkes<br />

und während seiner Entstehung Rat gesucht und Unterstützung gefunden bei bereits<br />

anerkannten Autoritäten. Zu denken ist zuerst an den Philosophen Nicole Oresme,<br />

sodann an Raoul de Presles, Verfasser eines Fürstenspiegels und zahlreicher<br />

Episteln, zu dessen Schülerin Christine zählte (wie auch Jean Golein), 52 an den<br />

Theologen und Kanzler der Universität Johann Gerson und an den Prinzenerzieher<br />

Philippe de Mézières. Es ist undenkbar, daß Christine ihr erstes großes Werk ohne<br />

Autorisation der am Hof anerkannten Gelehrten und Berater auch nur hätte beginnen<br />

können, dies bedeutet aber auch deren mindestens indirekte Mitarbeit während der<br />

Entstehungszeit. Dennoch sind die wissenschaftliche und pädagogische<br />

Eigenleistung Christines und der Einfluß ihres großen Werks, das bis in das 16.<br />

Jahrhundert hinein und bis nach England Verbreitung fand, als Teile der von<br />

Frankreich ausgehenden christlich-humanistischen Bildungsgeschichte nicht hoch<br />

genug einzuschätzen und wären in ihrem vollen Ausmaß noch zu erforschen. Das<br />

heißt, das Werk wäre nach den ihm eigenen Strukturkriterien Gegenwart –<br />

Vergangenheit – Zukunft zu untersuchen. Die 'Epistre d'Othéa à Hector' verlor erst<br />

dann an Bedeutung, als die daran gebundenen Vorstellungen über das französische<br />

Königtum und die Beschränkung auf das Bildungsideal des staatstragenden<br />

Ritterstandes überholt waren. Das heißt aber nicht, daß auch die von Christine<br />

vertretenen, ethisch begründeten Bildungsideen und die von ihr erfundene<br />

methodische Darstellung der Moraldidaxe verschwanden. Die Wirkungsgeschichte<br />

der 'Epistre d'Othéa' ist noch überhaupt nicht bedacht worden.<br />

Die außerordentliche persönliche Leistung Christines besteht darin, sich selbst als<br />

auctorite erwiesen und in der Nachfolge von Aristoteles, Augustinus und Hugo als


60<br />

Lehrmeisterin durch ihr Werk Ruhm und Ehre gewonnen zu haben. Auf der Ebene<br />

der allegorischen Analogie ist die Urheberin Christine sogar als gegenwärtiger<br />

Endpunkt der Traditionskette Gott - Propheten - Christus zu sehen, 53 ein wahrlich<br />

nicht geringer Anspruch, wenn auch ihre emanzipierte Position außerhalb der<br />

kirchlichen Hierarchie noch keineswegs gänzlich unangefochten zu sein scheint, wie<br />

die leidenschaftliche Verteidigung der Vermittlung des Wissens unabhängig von<br />

Geschlecht oder äußeren Gegebenheiten erkennen läßt Cest a entendre que bonne<br />

parole et bons entendemens sont a loer de quelconque personne que soient dictes...<br />

(f.126r).<br />

Ihr eigentliches dichterisches und unterhaltendes Werk sieht Christine in den<br />

gereimten Partien Pour ce enprins ay... cest oeuure a rimoyer..., ...A rimoyer et dire<br />

me voeul prendre Vne epitre... Ou ens aura maint viers bel et notable Bel a oyr et<br />

meilleur a entendre ... Tous fais et dis et chose qui puist plaire... (f.4r). Diese<br />

offenkundige captatio benevolentiae kann nur auf die Sammlung gereimter Exempla<br />

beziehungsweise Spruchweisheiten als Merkverse zielen, die auf klassischen<br />

Lehrmeinungen beruhen: Or met bien dont en ta memoire Les dis que je te voeul<br />

escripre (f.5v), oder, wie es im Epilog heißt: Cent auctorites tay escriptes... (f.125r).<br />

Dahinter aber verbirgt sich der Anspruch des nach großen Mühen entstandenen<br />

gelehrten Werkes, das harte geistige Anstrengung von seinem Leser verlangt.<br />

Die Würdigung von Christines Werk im historischen Kontext wäre eine Aufgabe der<br />

Moraltheologie und -philosophie weit eher als der Literaturgeschichte, denn das<br />

'Buch der Weisheit' gehört trotz der gereihmten Partien nicht zur Dichtung. Der<br />

Glaube an die sprachlich unverfälscht zu tradierenden historischen Quellen schließt<br />

phantasievolle Fiktion der Handlung ebenso aus wie eine metaphorische Sprache.<br />

Denkt man sich andererseits aber das 'Buch der Weisheit' wie eine Folie, die den<br />

epischen Dichtungen unterlegt wäre, so würde sich wohl manches höfischabenteuerliche<br />

Handlungsgefüge als Exempel einer positiv oder negativ wertenden<br />

Handlungsmoral darstellen, das sich deuten liesse im Licht christlicher Ethik.<br />

Christines 'Buch der Weisheit' ist vermutlich das erste streng methodisch angelegte<br />

Lehrbuch mit einem der Zeit gemäßen enzyklopädischen Bildungsanspruch, der<br />

allerdings, noch ganz mittelalterlicher Tradition verhaftet, ständisch eng begrenzt ist.<br />

Das Handlungspersonal entstammt zwar nicht mehr einer mythischen Götterwelt,<br />

aber die historisierten Figuren sind ausschließlich Könige und Königinnen und ihre<br />

unmittelbare Umgebung. Sie sind das standesgemäße Vorbild für den in erster Linie<br />

angesprochenen Prinzen und zukünftigen Herrscher als höchster Repräsentant des


61<br />

Ritterstandes. Insofern ist ihr Idealbild des Herrschers immer noch der miles<br />

christianus, der erste unter allen Rittern, der Tugendhaftigkeit und Tapferkeit im<br />

Kampf für das höchste Gut, sein Seelenheil, vereint. Die Anlage des Lehrbuches<br />

machte es aber leicht, eine Auswahl zu treffen oder nur bestimmte Teile zu<br />

tradieren, um es dann auch für den bon chevalier im weiteren Umkreis der Höfe<br />

gebrauchen zu können. Inhaltlich unterscheidet sich das Werk in wesentlichen<br />

Teilen nicht sehr stark von den zahlreichen Fürstenspiegeln mit ihrem eher<br />

handbuchartigem Charakter, wohl aber durch den formalen Aufbau und die streng<br />

logische Einteilung.<br />

Christines 'Buch der Weisheit' genoß über Jahrzehnte hohes Ansehen, erst 1460<br />

vollendete Jean Miélot auf Geheiß von Philippe le Bon eine Bearbeitung des Textes,<br />

der bis dahin in den zahlreich überlieferten Handschriften im wesentlichen<br />

unverändert belassen worden war. 54 Deswegen lassen sich aus dem Text auch keine<br />

Hinweise für die Datierung der Handschriften ableiten. Bedingt durch die<br />

Abhängigkeit vom Text blieben auch die narrativen Bilderzyklen in den<br />

ikonographischen Elementen ähnlich. Zwar sind die Bilder eine luxurieuse, aber<br />

keineswegs willkürliche Zutat, wenn sie auch keine zusätzliche Information für das<br />

Verständnis enthalten. Der Reiz des Bilderzyklus liegt in der größeren visuellen<br />

Einprägsamkeit des in den gloses Berichteten durch die szenische Gestaltung, im<br />

Gegensatz zu den Beischriften in kargen Merkversen.<br />

Die Prachthandschrift der 'Epistre d'Othéa'<br />

Das wissenschaftliche Werk, das sich in einem Codex des späten Mittelalters<br />

manifestierte, sollte dem Autor, dem Auftraggeber oder Stifter und dem Leser Ruhm<br />

und Ehre einbringen. Wenn der Urheber des Werkes, wie der Gedankengang<br />

Christines im Prologue a Allegorie erkennen läßt, durch seine literarische Leistung<br />

dem Schöpfergott nahe kommen will, weil er wie alle Menschen das Ebenbild<br />

Gottes ist, und wenn Gott sein Schöpfungswerk vernünftig geschaffen hat, muß auch<br />

das Werk des Künstlers Leistung seiner Vernunft sein, nach der sein Wert gemessen<br />

wird, denn der Mensch wird an seinen Werken erkannt par les oeuure de lomme<br />

poeut on congnoistre ses inclinacions (f.23v). Der Weg, den die ethisch<br />

konditionnierte Vernunft zurücklegt, ist der Weg zunehmender Wahrheits- und<br />

Gotterkenntnis. So verstanden ist das vollendete Werk des Künstlers die allegorische<br />

Analogie zu Gottes in ewiger Pracht erstrahlender Schöpfungstat.<br />

Wenn das Werk zurückweist auf seinen geistigen Urheber oder Stifter, so offenbaren<br />

sich also deren Wesenszüge, je großartiger das Werk in Erscheinung tritt. Die<br />

Stiftung eines Kunstwerkes bekundet Freigebigkeit, eine Tugend als Gegenteil des


62<br />

lasterhaften Geizes und der Verschwendung. Aristoteles sagt (wie Christine<br />

formulieren würde), daß der Freigebige gelobt wird „im Hinblick auf das Geben und<br />

Empfangen von Vermögen; vor allem im Hinblick auf das Geben. Vermögen<br />

nennen wir alles, dessen Wert mit Geld bemessen wird“ (Ethik IV,1). In Verbindung<br />

mit dem Vermögen, allerdings nur auf der Ausgabenseite, steht eine weitere Tugend,<br />

die Großartigkeit, die die Freigebigkeit an Größe übertrifft. Da Größe ein relativer<br />

Begriff ist, wird zum Kriterium für Großartigkeit die Angemessenheit, die sich nach<br />

der Person, der Situation und dem Objekt richtet. Weil dies eine Entscheidungsfrage<br />

ist, muß der Großartige dem Wissenden gleichen, um das Angemessene zu erkennen<br />

und große Ausgaben richtig zu machen. „So muß also das Werk des Aufwandes<br />

würdig sein und der Aufwand des Werkes oder es noch übertreffen. Diesen<br />

Aufwand macht der Großartige im Hinblick auf das Edle; dies ist nämlich allen<br />

Tugenden gemeinsam. Außerdem macht er ihn gerne und unbedenklich. Denn das<br />

Nachrechnen ist kleinlich. Er wird also mehr darauf achten, wie es am schönsten<br />

und würdigsten herauskommt, als was es kostet und wie man es am billigsten<br />

machen kann“ (Ethik IV,4). Derartige Aufwendungen werden Ehre einbringen, wie<br />

etwa Weihgeschenke, Opfer und alles was zum Kult gehört, oder etwa<br />

Aufwendungen für die Gemeinschaft, wie glänzende Theateraufführungen, oder die<br />

Bewirtung einer Stadt. Ein solcher Aufwand muß nicht nur zum Werk, sondern auch<br />

zur Person und zur Situation passen. „Angemessen ist es für jene, die über Besitz<br />

verfügen, entweder durch eigene Arbeit oder von den Vorfahren her, oder die an<br />

solchem Besitz beteiligt sind und die vornehm und berühmt sind und dergleichen.<br />

Denn in all dem liegt Größe und Würde“. Anlaß zu solchen großartigen und<br />

ehrenvollen Aufwendungen im Bereich der Privatausgaben wäre eine Hochzeit, oder<br />

Dinge, an denen eine ganze Stadt interessiert ist, die Aufnahme und das Geleit von<br />

Gästen, Geschenke und Gegengeschenke. „Denn der Großartige macht keine<br />

Ausgaben für sich selbst, sondern für die Gemeinschaft, und die Geschenke haben<br />

eine Ähnlichkeit mit Weihegaben. – Es gehört auch zum Großartigen, sein Haus<br />

entsprechend seinem Reichtum einzurichten (denn auch dieser ist eine Zier) und vor<br />

allem für dauerhafte Werke Aufwendungen zu machen (denn diese sind die<br />

schönsten) und in allem das Angemessene zu beachten“ (Ethik IV,5).<br />

Als Reflex der aristotelischen praktischen Ethik erscheinen manche kulturellen<br />

Phänomene in einem neuen Licht. Die Bücherliebe und Sammelleidenschaft des<br />

Königs von Frankreich, Charles V, le Sage, des Herzogs Jean de Berry, in dessen<br />

reichhaltiger Bibliothek sich schon bald nach der Vollendung des Werkes eine<br />

Handschrift der 'Epistre d'Othéa' befand, oder des Herzogs von Burgund und Grafen<br />

von Flandern, Philippe le Bon, der allein vier Exemplare dieses berühmten Werks in<br />

seiner Bibliothek bewahrte, 55 sind Ausdruck eines ethisch fundierten Strebens. Das<br />

Motiv solcher Leidenschaft durfte nicht die Prachtliebe sein, es war nicht der


63<br />

oberflächliche, ästhetische Reiz, den die illuminierten Prachthandschriften auf die<br />

fürstlichen Auftraggeber ausübten, sondern Ruhm und Ehre, die mit dem Auftrag<br />

zur Herstellung prachtvoll ausgestatteter Bücher und ihrem Besitz verbunden waren.<br />

Eine Bibliothek, bestehend aus großartigen, berühmten Werken und von großer<br />

Magnifizenz, war angemessenes und würdiges Statussymbol eines weisen und<br />

vermögenden Herrschers. Das Buch hatte dieselbe Bedeutung für seinen Stifter,<br />

denselben Rang wie etwa ein sakrales Bauwerk gewonnen. Im Gegensatz dazu aber<br />

hatte eine Bibliothek den wohl hochgeschätzten Vorzug, daß sie sich in<br />

unmittelbarer häuslicher Umgebung repräsentativ aufstellen ließ, und das Edle sich<br />

mit dem Zierenden ehr- und ruhmvoll verband, um so das ethische Wesen, die<br />

inclination des Fürsten kundzutun.<br />

Der Charakter des Werks, der Bildungs- und Erziehungsanspruch, die Beziehung<br />

zwischen Inhalt und Bestimmung und die Ausstattung dieses 'Buchs der Weisheit'<br />

machen es wenig wahrscheinlich, daß die Erlanger Handschrift, die schönste<br />

Handschrift burgundisch-flämischer Provenienz, die in deutschen Bibliotheken<br />

bewahrt ist, aus einem Repräsentationsbedürfnis heraus in Auftrag gegeben wurde.<br />

Wenn ein solches Werk mit einem derartig ernsthaften Anspruch in einer<br />

illuminierten Prachthandschrift überliefert wird, so muß trotz der luxurieusen<br />

Ausstattung angenommen werden, daß es eine Gebrauchshandschrift sein sollte, die<br />

von einem gebildeten und hoch angesehenen, würdigen Auftraggeber von<br />

vornherein für einen relativ jungen Empfänger bestimmt war, für den aber<br />

nichtsdestotrotz die Augustus-Allegorie am Ende des Werks einen Sinn ergab, ohne<br />

anmaßend zu erscheinen, und deren luxurieuses Ausstattungsniveau standesgemäß<br />

war, ohne unangemessen zu sein und überheblich zu wirken. Für die kostspielige,<br />

ruhmheischende, aber gleichzeitig Großartigkeit signalisierende Herstellung dieses<br />

Codex müßte es einen adäquaten äußeren Anlaß gegeben haben, der relativ<br />

kurzfristig eintrat. Die offenkundigen Stilunterschiede verschiedener Maler, die zum<br />

Miniaturenzyklus beitrugen, 56 deuten für die Entstehung der Handschrift auf einen<br />

gewissen Zeitdruck hin, der bei einem Werk mit rein repräsentativer Bestimmung<br />

überflüssig gewesen wäre. Die Merkmale der Erlanger Handschrift könnten die<br />

bereits geäußerte Vermutung bestätigen, daß der Auftraggeber Philippe, Herzog von<br />

Burgund, war, der Empfänger der Handschrift sein einziger Sohn und Erbe, Charles<br />

le Téméraire, und der Anlaß dessen Heirat. Im selben Jahr, 1454, und am selben Ort,<br />

in Lille, organisierte Philippe das berühmte Fasanen-Bankett und festliche<br />

Ritterspiele, die ebenfalls Zeichen der fürstlichen Freigebigkeit und Großartigkeit<br />

waren, allerdings vergängliche Zeichen, im Gegensatz zu einem Codex. 57<br />

Durch den wenig späteren Auftrag an Jean Miélot zur Bearbeitung der 'Epistre<br />

d'Othéa' ist erwiesen, daß Philippe le Bon das Werk Christines weiterhin besonders<br />

geschätzt haben muß. 58 Sein Bemühen, Kultur und Bildung zu fördern, ist bekannt,


64<br />

und die Aufträge zur Herstellung von Handschriften, die zur Ergänzung und zur<br />

Bereicherung seiner eigenen Bibliothek wie seines Ruhmes beitrugen, sind Teil<br />

seiner kulturpolitischen Anstrengungen, die schon im vorhergehenden Jahrhundert<br />

seinen Vorfahren Charles V kennzeichneten, dessen Sohn Louis d'Orléans<br />

Empfänger des großartigen Werkes 'Epistre d'Othea' von Christine de Pizan war.<br />

Nach dieser Auffassung ist Kulturpolitik ein Teil der bonne policie, der<br />

Regierungskunst. Die französischen, italienischen und böhmischen Hofbibliotheken<br />

des 14. und 15. Jahrhunderts sind bewußtes Zeichen einer machtvollen,<br />

herrschaftlichen Kontinuität, die ihre Legitimation aus dem ethisch begründeten<br />

Streben nach Erkenntnis und Weisheit zog. Diese Prachtbibliotheken dienten nicht<br />

zur Begründung und als Beweis des sozialen Rangs ihrer Besitzer und Stifter, genau<br />

so wenig wie einzelne Codices, sondern sie entstanden durch die ethisch bedingte<br />

Verpflichtung, dem sozialen Status entsprechend angemessene Werke zu schaffen<br />

und in Auftrag zu geben. Als Geschenk oder Stiftung dokumentierte ein solches<br />

Prachtwerk die Magnifizenz und Magnanimitas des Gebers.


65<br />

Anmerkungen<br />

1 Zur Biographie Christines: PERNOUD (1982). WILLARD (1984). Bibliographie: YENAL (1982).<br />

2 Die Übersetzung wurde 1380 Karl VI. übergeben; s. BERGES (1938), S. 303f.<br />

3 s. BERGES (1938), S. 267. BOSSUAT (1974), S. 124ff., 154, 174f.<br />

4 Zitiert nach BOSSUAT (1974), S. 174-175. (Vgl.: Christine de Pisan. Le livre des fais et bonnes meurs<br />

du sage roy Charles V. Publ. par S. Solente. t. II, p. 43).<br />

5 Zum zeitgenössischen politischen Hintergrund ausführlich HINDMAN (1986) S. 1-19, dort S. 204-222<br />

auch eine umfassende Bibliographie.<br />

6 Die Sammlung der 'Cent Balades' entstand nach 1390. s. ROY (1886). - Übersicht und Beschreibung<br />

der Werke Christines s. SOLENTE (1974), S. 348-422.<br />

7 Die früheste erhaltene Handschrift der 'Epistre d'Othea': Paris, Bibliothèque nationale, Ms. fr. 848.<br />

Autograph. Um 1401(?). Dreispaltig, mit Frontispice und 5 Grisaille-Miniaturen. Widmung Louis<br />

d'Orléans. – Das Werk ist auch enthalten in zwei frühen Sammelhandschriften: Paris, Bibliothèque<br />

nationale, Ms. fr. 606. Werke Christines, geschrieben unter ihrer Leitung. Um 1406-08. Darin: Epistre<br />

Othéa. Zweispaltig, mit Frontispice und 100 Miniaturen. Aus der Bibliothek Jean de Berry. – London,<br />

British Library, Ms. Harley 4431. Werke. Autograph. Zwischen 1408 und 1410 bis 1415. Darin:<br />

Epistre Othéa. Zweispaltig, mit Frontispice und 100 Miniaturen. Vgl. HINDMAN (1986), S. 13-18.<br />

8 Zur Verteilung der Handschriften auf die Bibliotheken, u. a. der Herzöge von Burgund und Bourbon, s.<br />

MOMBELLO (1964), S. 402-408. – Die Edition der 'Epistre d'Othéa' nach Ms. Harley 4431:<br />

LOUKOPOULOS (1977).<br />

9 Verzeichnis der Handschriften mit ausführlichen Beschreibungen, tabellarischer Übersicht und<br />

mehreren Indices von MOMBELLO, (1967). Fast die Hälfte der erhaltenen Handschriften, die die<br />

'Epistre d'Othéa' einzeln oder zusammen mit anderen Werken Christines überliefern, enthält die<br />

Widmung an Louis d'Orléans. - Ein Verzeichnis der enthaltenen Werke beinahe aller dieser<br />

Handschriften: ROY (1886-1896), Bd. 1, S. XXII-XXIII.<br />

10 MOMBELLO (1967), S. 344; Beschreibung Ms. 2361 (D I5) = Nr. 36, S. 186-189 und 352.<br />

11 Zur Bearbeitung der 'Epistre d'Othéa' durch Jean Miélot s. BROWN-GRANT (1994).<br />

12 Die Anregung zur Beschäftigung mit diesem Werk Christines verdanke ich Frau Dr. Charlotte<br />

SCHOELL-GLASS, Universität Hamburg, die mir freundlicherweise Teile ihrer Dissertation über die<br />

'Illustrationen der Epître d'Othéa von Christine de Pizan' (1986) übergab. – Die folgenden<br />

Ausführungen beziehen sich, rein pragmatisch vorgehend, allein auf den Text der hier vollständig<br />

reproduzierten Erlanger Handschrift. Eine Diskussion allgemeiner oder spezieller Probleme, die in der<br />

Forschungsliteratur zur 'Epistre d'Othéa' behandelt wurden, ist leider im Rahmen dieser knapp gefaßten<br />

Einführung nicht möglich.<br />

13 Vgl. zur Struktur CAMPBELL (1924), S. 36-43, und zur Forschungsgeschichte unter diesem Aspekt<br />

IGNATIUS (1979), S. 127f. MOMBELLO (1967) S. 188 beschreibt irrtümlich das Bibelzitat als zum<br />

„Allegorie“-Teil gehörend.<br />

14 Für die Beschreibung von Ms. 2361 s. LUTZE (1936), S. 235-246. Die Handschrift mit ihrem<br />

Miniaturenzyklus wurde von Ralf SANGL 1992 gründlich untersucht und beschrieben. Die<br />

Untersuchungen wurden inzwischen fortgeführt und wesentlich erweitert und stehen kurz vor dem<br />

Abschluß mit nachfolgender Veröffentlichung. Für die kodikologische Beschreibung und<br />

kunsthistorische Einführung werden die Ergebnisse dieser Arbeit maßgeblich sein. Herrn Ralf Sangl,<br />

M.A., danke ich für Hinweise und Vermittlung der neueren Forschungsliteratur.


66<br />

15 Typisch für diese Dichtung, die im 14. Jahrhundert theologische, philosophische, moralische und<br />

historische Probleme behandelt, ist die Form des paarweise gereimten Achtsilblers. Christine de Pizan<br />

ist neben Guillaume de Machaut und Jean Froissart die bedeutendste Vertreterin dieser Dichtungsart.<br />

Der 'Dit' (dictum) hat im Mittelalter auch die Bedeutung einer Maxime („les dits mémorables de<br />

Socrate“). So gibt es den didaktisch-moralisierenden Dit in der Tradition der Spielmannsdichtung, und<br />

daneben den vierzeiligen Dit, der erbauliche Themen behandelt. Eine Sammlung 'Dicta philosophorum'<br />

wurde von Guillaume de Tignonville unter dem Titel 'Dits moraulx des philosophes' vor dem Jahr 1402<br />

übersetzt (vgl. CAMPBELL (1924), S. 177). Christine schrieb für ihren Sohn Jehan de Castel die in<br />

Vierzeilern abgefaßten 'Enseignements moraulx' (1404). Christine benutzt in der 'Epistre d'Othéa' beide<br />

Formen: die anfänglichen Versabschnitte sind länger, während sich im Hauptteil nur die Spruchform,<br />

der paarweise gereimter Achtsilbler findet. Sie hat diese Dichtungsart auch in weiteren Werken<br />

benutzt, die direkt unter dieser Bezeichnung bekannt sind, so 'Le Dit de la rose' (1402), oder 'Le Dit de<br />

Poissy'.<br />

16 Die Vergöttlichung hervorragender Menschen, das Gegenteil des Euhemerismus, folgt einer Tradition,<br />

die bis in die griechische Antike zurückreicht. Vgl. auch Aristoteles, Ethik VII, 1.<br />

17 Seit den Untersuchungen von Campbell wird als direkte Hauptquelle Christines die seit Beginn des 14.<br />

Jahrhunderts weit verbreitete Bearbeitung der 'Metamorphosen' angenommen, die als 'Ovide moralisé'<br />

bekannt ist (CAMPBELL, 1924, S. 40-41). Christines Hinweise auf die poetae sind aber ernst zu nehmen<br />

und deuten nicht auf den 'Ovide moralisé' hin. – Die Kernszenen im Verlauf des Trojanischen Krieges,<br />

der als historisches Ereignis genommen wurde, waren durch die vielfältigen Überlieferungsstränge<br />

weithin bekannt: als Vorgeschichte zu Vergils 'Aeneis' und durch den seit dem 12. Jahrhundert in ganz<br />

Europa verbreiteten 'Roman de Troie' des Benoît de St. More, seine Übersetzungen und Bearbeitungen,<br />

darunter auch die 'Historia destructionis Troiae' des Guido de Columnis. Es bedurfte keineswegs für<br />

ein gebildetes, höfisches Publikum einer chronikalischen Quellenart wie der 'Histoire ancienne', um die<br />

Ereignisse zu kennen. Im folgenden wird darauf noch zurückzukommen sein. – Im übrigen wurden<br />

Ovid und Vergil schon im 12. Jahrhundert wie Autoren-Zwillinge gesehen, und ihre Werke wurden<br />

vielfach kommentiert und interpretiert.<br />

18 Als Quelle der Zitate wurde identifiziert: 'Dicta philosophorum' (s. Anm. 16), auch bekannt unter den<br />

Titeln 'Gesta et dicta antiquorum philosophorum' oder 'Dicta et documenta et exempla moralia<br />

philosophorum', vgl. CAMPBELL (1924), S. 175.<br />

19 Von den 87 Zitaten aus patristischen Schriften entfallen 34 auf Augustinus. Quelle war ein Florilegium<br />

mit dem Titel 'Manipulus Florum' (CAMPBELL (1924), S. 165. - Unter dem Namen Hermes wurde eine<br />

- obskure - Sammlung von theologisch-philosophischen und erbaulichen Schriften überliefert, die im<br />

Mittelalter sehr verbreitet waren. Dazu gehört auch die Aristoteles zugeschriebene Schrift 'Secretum<br />

secretorum', eine Art Fürstenspiegel. Zu Hermes Trismegistos und dem 'Corpus hermeticum' siehe<br />

Lexikon des Mittelalters IV, 2171.<br />

20 AUGUSTINUS, De Doctrina christiana libri IV. So behandelt Buch III, XII u.a. die „Regula de dictis et<br />

factis...“ und III, XV die „Regula in figuratis locutionibus servanda....“ – Vgl. Cornelius MAYER<br />

'Allegoria' in: AUGUSTINUS-Lexikon, Bd. 1, Sp. 233-239.<br />

21 Siehe BOSSUAT (1974), S. 174f. (wie Anm. 5). - Augustins auf antiker Tradition beruhende Interpretationsregeln<br />

des vierfachen Schriftsinns sind: „secundum historiam“, „secundum aetiologiam“,<br />

„secundum analogiam“ und „secundum allegoriam“. Die ätiologische Auslegung bezieht sich auf die<br />

Gründe von „dicta“ und „facta“. Siehe 'Allegoria' in: AUGUSTINUS-Lexikon, Bd. 1, Sp. 236.<br />

22 Die enge Verbindung vom Text zum Bild, die auch noch in dieser späten Handschrift wirksam ist,<br />

macht die These von Sandra Hindman, daß die Autorin selbst bei der Herstellung des Miniaturenzyklus<br />

der frühen Autographenhandschrift entscheidend mitgewirkt haben muß, sehr plausibel und bestätigt<br />

sie. HINDMAN (1986), S. 63ff.: Authors and Illuminators as Bookmakers.<br />

23 Für die mittelalterliche Ovid-Interpretation belegt seit der Poetik des Johannes de Garlandia (um 1195<br />

bis nach 1272) 'Parisiana poetria', mit einem Anhang 'Integumenta Ovidii' überliefert, wo eine<br />

allegorische Deutung der Metamorphosen als „Exempla honeste vite“ versucht wird. Vgl. die von<br />

GHISALBERTI besorgte Ausgabe. – Für Vergils 'Aeneis' s. BERNARDUS SILVESTRIS. – Christines


67<br />

Interpretationsmethode unterscheidet sich allerdings grundlegend von der Allegorese, die auf die<br />

klassischen Originaltexte angewandt wurde, denn sie bezieht sie nicht auf Ovids unveränderte<br />

Originaltexte, sondern auf eine von ihr neu geschaffene Textform.<br />

24 Ein Sprachstil für die Geschichtserzählung, der schon von Augustinus gefordert wurde: „Historia facta<br />

narrat fideliter atque utiliter...“ (De Doctrina christiana 2,XXVIII,44).<br />

25 Notwendig wäre etwa eine Untersuchung der Begriffe im Vergleich mit der Übersetzung der<br />

„Nikomachischen Ethik“ von Nicole Oresme, die das Französische durch ein neues Vokabular<br />

abstrakter Begriffe bereicherte und ihm den Rang einer Wissenschaftssprache verlieh. Vgl. Lexikon<br />

des Mittelalters, Bd. 6, 1447-1449. Ebenso die Begriffe Augustins mit ihrem semantischen Umfeld,<br />

beispielhaft etwa der Begriff der 'admonitio': „...s'emploie en un sens psychologique... l'action de<br />

rappeler … la mémoire, ou en un sens moral...“. Vgl. AUGUSTINUS-Lexikon, I, Sp. 95-99.<br />

26 Handschriften mit der Widmung an Karl VI.: MOMBELLO (1964), S. 411-412.<br />

27 Allerdings würde dieser hier nur auf einer Vermutung beruhende Zeitpunkt der Übergabe des Werkes<br />

die bisher allgemein akzeptierte Datierung um 1400 beträchtlich verrücken. Andererseits wäre zu<br />

bedenken, daß etwa 1395 das Werk noch nicht so weit vollendet gewesen sein könnte, wie es die<br />

späteren Handschriften präsentieren: Die wohl früheste Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale, Ms.<br />

fr. 848 ist erst mit 5 Miniaturen ausgestattet, und der Schriftspiegel ist noch traditionell dreispaltig,<br />

getrennt für „Texte“, „Glose“ und „Alegorie“. Die Entstehung des Werkes und die Präsentationsform<br />

der Handschriften einschließlich des Centenars der Miniaturen dürften einen längeren Zeitraum bis zur<br />

Vollendung beansprucht haben, und sicherlich bedurfte Christine dafür der Beratung aus dem gelehrten<br />

Umkreis des Hofes, und nicht nur finanzieller Unterstützung. Vgl. dazu auch die Untersuchungen zu<br />

den frühen Handschriften von HINDMAN (1986), S. 63ff. Die Datierung „m.ccc.iiij.xx.vj.“ (1386), die<br />

sich auf der (vermutlichen) Kopie f. 2r findet, ergab sich aus der Gleichsetzung der fiktiven und realen<br />

Briefempfänger Hector „quant il estoit en leage de .xv. ans“ und Duc Louis d'Orléans, der diesen Titel<br />

erst ab 1392 trug.<br />

28 Der hier von Christine aufgestellte Gegensatz von „savoir par science et non par essay“ verweist auf<br />

zwei traditionelle Strömungen; „essay“ bezieht sich ursprünglich wohl auf die cognitio (dei)<br />

experimentalis, die das Wahrnehmen und Erkennen Gottes erfahrungshaft-mystisch erlebt. Diese<br />

Haltung lehnt Christine zugunsten der vernunftbestimmten Welterkenntnis ab, weil alle Dinge dem<br />

göttlichen Logos folgend geschaffen wurden und deswegen auch nur mit den gleichen Mitteln erkannt<br />

und nachvollzogen werden können. (Siehe unten die Ausführungen zum „Prologue a Allegorie“).<br />

Christines Position würde somit im Gegensatz stehen zu Strömungen wie der Devotio moderna.<br />

29 Die literarische Überlieferung solcher „Faits et Dits“ belegen in Frankreich entstandene Handschriften<br />

einer Sammlung von Beispielen denkwürdiger Aussprüche und Taten, 'De dictis et factis<br />

memorabilibus' von Valerius Maximus (1. Hälfte 1. Jh.). Erhalten sind illuminierte Handschriften<br />

sowohl in lateinischer Sprache (z. B. Staatsbibliothek zu Berlin - Preuss. Kulturbesitz, Ms.lat.f.454),<br />

als auch in einer Übersetzung von Simon de Hesdin und Nicolas de Gonesse, angefertigt in der Zeit<br />

von 1375-1401 (z. B. Staatsbibliothek zu Berlin - Preuss. Kulturbesitz, Hdschr. 94). In:<br />

BRANDIS/BECKER (1988), S. 230-233. Zu den Sekundärquellen vgl. Anm. 18.<br />

30 Der Ursprung dieses Namens, der sonst nirgends in der Literatur belegt ist, ist ungeklärt. Vgl.<br />

MOMBELLO (1968-69) und HINDMAN (1986), S. 23.<br />

31 So zum Beispiel auch im Fürstenspiegel 'De regimine principum' (1277/79) des Aegidius Romanus:<br />

„Die Klugheit ist die intellektuelle Tugend, welche die moralischen Tugenden leitet, welche befiehlt,<br />

was Erkenntnis und Urteilskraft gefunden haben...“. Zitiert nach BERGES (1938), S. 221 (= 4. Politik<br />

als Lehre vom Menschen).<br />

32 Weisheit und Klugheit gehören in der aristotelischen Ethik zu den verstandesmäßigen Tugenden, im<br />

Gegensatz zu den ethischen Tugenden, wie der Besonnenheit oder der Mäßigkeit. (Ethik I,13).<br />

33 „Auctoritas“ bei Augustin und zur nachfolgenden Entwicklung des Begriffs, wonach die Autorität des<br />

Weisen durch Vermittlung ethischer Vorschriften und Regeln auf den Weg der Erkenntnis leitet, vgl.<br />

den Artikel in: AUGUSTINUS-Lexikon, Bd. 1, Sp. 498-510, hier: 499-507.


68<br />

34 Christine schreibt die pseudo-cyprianeische Schrift 'De singularitate clericorum' hier fälschlich<br />

Augustinus zu, wenn auch wohl guten Glaubens, wie eine in Paris bewahrte Handschrift des 15.<br />

Jahrhunderts bezeugt, die das Werk ebenfalls unter dem Namen Augustins überliefert (Paris, Bibl.<br />

Mazar. 641). Bei dem Werk, das in einzelne epistolae eingeteilt ist, handelt es sich um ein für den<br />

Gebrauch der Kleriker gedachtes Pastoralschreiben mit Anordnungen zur Lebensführung in der Form<br />

offizieller Hirtenbriefe. – Sehr herzlich bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Martin Klöckener,<br />

Seminar für Liturgiewissenschaft der Universität Freiburg Schweiz, für die Identifizierung dieser<br />

Schrift und Hinweise auf die neueste Literatur, besonders den Beitrag von Jean Doignon im 'Handbuch<br />

der Lateinischen Literatur der Antike', Band 5, S. 501-505 (München 1989), sowie auf das jetzt<br />

maßgebliche Verzeichnis der Werke Augustins im ersten Band des AUGUSTINUS-Lexikons (1994). –<br />

Die von Christine zitierten Schriften Augustins sind aufgeführt bei CAMPBELL (1924), S. 156.<br />

35 Augustinus, De doctrina christiana, 2,XXX: „...harum ergo cunctarum artium de praeteritis<br />

experimenta faciunt etiam futura conjici; nam nullus earum artifex membra movet in operando nisi<br />

praeteritorum memoriam cum futurorum exspectatione contexat.“ Vgl. auch SVOBODA (1933), S. 126.<br />

Zur Weissagung des Zukünftigen und Geschichtserzählung und der Rolle des Gedächtnisses bei<br />

Augustin vgl. FLASCH (1993), S. 352-360. Zu der noch fehlenden systematischen Analyse des<br />

memoria-Begriffs bei Christine: ZIMMERMANN (1994), S. 171-172.<br />

36 Vgl. dazu auch die Illustration dieser Szene mit allegorisch-ikonographischen Details in einer<br />

Handschrift (f. 111v) der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die in Neapel und Rom(?) entstand:<br />

Publius Vergilius Maro: Bucolica, Georgica, Aeneis. València, Biblioteca General i Històrica de la<br />

Universitat, Ms. 837. Farbmikrofiche-Edition. Einführung und Beschreibung der Miniaturen von<br />

Antonie Wlosok. München 1992 (Codices illuminati medii aevi 23). Hierzu besonders Einführung, S.<br />

26f. – Zur Tradition des ikonographischen Schemas Perseus - Andromeda siehe CARRARA (1992), S.<br />

71-74.<br />

37 Zur Analogie von Makrokosmos/Mikrokosmos vgl. diesen Artikel in: Lexikon des Mittelalters, VI, Sp.<br />

157-159. Auf der Einheit und Entsprechung von Makrokosmos und Mikrokosmos beruht die<br />

astrologische Medizin, die z. B. auch von Geoffroi de Meaux und anderen Ärzten im Umkreis Karls V.<br />

praktiziert wurde, also möglicherweise auch von Thomas de Pizan. Vgl. Lexikon des Mittelalters, I,<br />

Sp. 1142ff., hier besonders 1145.<br />

38 Die früher mehrfach geäußerte Vermutung, Christine habe das Werk ursprünglich für ihren eigenen<br />

Sohn Jean de Castel verfaßt, ist auf Grund des hohen Anspruchs auszuschließen.<br />

39 Zitiert nach ARNOULD/MASSING (1993), S. 144; s.a. dort die Einleitung, bes. S. 5-7.<br />

40 Charles war 1439 mit Catherine de France verheiratet worden, einer Tochter des Königs von<br />

Frankreich, Charles VII, und Marie d'Anjou; seine dritte Ehe wurde 1468 mit Margarete von York<br />

geschlossen. – SCHOELL-GLASS vermutete bereits in ihrer Dissertation (1986, S. 122) die Darstellung<br />

von Charles le Téméraire in dieser Miniatur.<br />

41 „Der Groue von Artdois“, vgl. die Abbildung Bl. 12ra in: Das Uffenbachsche Wappenbuch. Hamburg,<br />

Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 90b in scrinio. Farbmikrofiche-Edition. Einführung und<br />

Beschreibung der heraldischen Handschrift von Werner Paravicini. Mit einem Index der Orts- und<br />

Personennamen. München 1990 (Codices figurati - Libri picturati 1).<br />

42 Die französischen Könige als „columna ecclesiae“ und „protector cleri“: s. BERGES (1938), S. 74.<br />

43 Zufällige Kombination oder nicht, jedenfalls steht der springende Löwe im Wappen „Der Groue von<br />

flandern“ und auch, in Kombination mit mehreren Lilien im rechten Feld des Schildes, in einem<br />

anderen Wappen der „Groue von Artose“: Bl. 79ra und 7va des Uffenbachschen Wappenbuchs (wie<br />

Anm. 41).<br />

44 Aristoteles, Ethik VI,8-9. – „Klugheit ist die Tugend des 'regimen' “, so auch im Fürstenspiegel 'De<br />

regimine principum' (1277-1279) von Aegidius Romanus. s. BERGES (1938), S. 222.<br />

45 Im Fürstenspiegel des Thomas von Aquin wird über die Aufgabe der Staatsregierung gesagt, sie habe<br />

„die geistige Einheit durch das Band des Friedens zu bewahren“. s. BERGES (1938), S. 201. – Als<br />

historisches Gegenteil der ethisch fundierten „bonne policie“ wurde übrigens die Tyrannis betrachtet.


69<br />

46 Auch am Schluß der 'Metamorphosen' evoziert der Dichter Caesar Augustus (XV,860ff.) und den<br />

dauernden Ruhm des eigenen Werkes, was ein Indiz dafür sein könnte, daß Christine den lateinischen<br />

Originaltext auch von der Struktur her ihrem Werk zugrundelegte.<br />

47 Auffällig ist bei dieser genealogischen Reihung der fehlende Rückbezug auf Karl den Großen, der über<br />

Jahrhunderte den Anspruch französischer Könige als legitime Nachfolger seiner Herrschaft bekundete,<br />

wie er literarisch im Medium der chanson-de-geste Ausdruck gefunden hatte.<br />

48 Vgl. dazu auch oben den Abschnitt 'prologue und matere', besonders zum Allegorien-Prolog. Die<br />

philosophischen Zusammenhänge und begrifflichen Definitionen von Klugheit, Weisheit, Geist,<br />

Wissenschaft und Kunst als Ursprung und Mittel des vernunftgelenkten Strebens nach<br />

Wahrheitserkenntnis sind am besten direkt in der aristotelischen 'Ethik', Buch VI nachzulesen.<br />

49 Vgl. dazu auch oben den Abschnitt 'Planetentraktat'.<br />

50 Kosten- und platzsparende Überlegungen im Hinblick auf die neue Einteilung der Seite und des<br />

Schriftraumes, wie sie CARRARA (1992), S. 70 annimmt, dürften bei einem solchen Luxusmanuskript<br />

von höchstens sekundärer Bedeutung gewesen sein.<br />

51 Mit dieser inneren Ordnung des Werks steht Christine in einer langen Traditionslinie: die Idee, daß die<br />

Natur vom Unvollkommenen zum Vollkommenen aufsteigt, wie aus dem Knaben ein Mann wird, liegt<br />

auch dem Fürstenspiegel des Aegidius Romanus zugrunde. Siehe BERGES (1938), S. 213.<br />

52 BERGES (1938), S. 350-352.<br />

53 Vgl. LÜTCKE 'Auctoritas' in: AUGUSTINUS-Lexikon (1994), Sp. 506-507. – „autorité“ bei Christine:<br />

RIBÉMONT (1994), S. 175-176.<br />

54 s. Anm. 9.<br />

55 Zwei der Exemplare hatte Philippe von Burgund selbst in Auftrag gegeben; er besaß eine größere<br />

Sammlung aller Werke Christines, die er teilweise von seinem Vater, Jean sans Peur, und seinem<br />

Großvater, Philippe le Hardi, geerbt hatte. Zitiert nach BROWN-GRANT (1994), S. 261.<br />

56 Zukünftig dazu die Untersuchungen von Ralf SANGL.<br />

57 vgl. ARNOULD (1993), S. 143. Leider ließ sich das genaue Datum nicht auffinden, aus dem sich<br />

ergeben würde, ob das Fest Teil der Hochzeitsfeierlichkeiten war.<br />

58 Sowohl die bearbeitete Fassung von 1460 als auch die kurz vorher entstandene Fassung der Erlanger<br />

Handschrift setzen illustrierte Vorlagen voraus, die sich nach der nun vorliegenden Reproduktion<br />

vielleicht durch genaue Textanalysen und -vergleiche mit den Exemplaren, die sich in Philippes<br />

Bibliothek befanden, identifizieren lassen. Siehe BROWN-GRANT (1994), S. 262, Anm. 10.


71<br />

Verzeichnis der Kapitel und Inhaltsübersicht<br />

Exempla, (Bildbeischriften), Inschriften, Gloses und Alegories<br />

Da die Handschrift Ms. 2361 der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg weder<br />

ein Inhaltsverzeichnis noch Kapitelüberschriften oder Bildtitel aufweist, sollen die<br />

folgenden Auszüge zu jedem Kapitel die übersichtliche Orientierung ermöglichen.<br />

Die gereimten Exempla am Beginn der Kapitel, die gleichzeitig Bildbeischriften<br />

sind, werden vollständig (ab Kapitel VI) transkribiert. - Mit „Inschriften“ sind<br />

Schriftbänder oder andere schriftliche Zusätze in den Miniaturen bezeichnet, zum<br />

Beispiel Devisen und Namen. – Die Schreibweise, auch für Eigennamen, wurde<br />

unverändert gelassen. Unterstrichene Buchstaben bezeichnen aufgelöste<br />

Abkürzungen. Für Lesefehler bei der Transkription, die ohne besondere Ambition<br />

vorgenommen wurde und nur, um die inhaltliche Übersicht zu erleichtern, wird um<br />

Nachsicht gebeten; Kundige werden solche Fehler sicher erkennen und nach dem<br />

Original der hier reproduzierten Handschrift schnell verifizieren und korrigieren<br />

können. – Die Angaben in spitzen Klammern bezeichnen die Nummer des<br />

Mikrofiches und die Position des Bildes.<br />

[f. 2r Le liure de la deesse Othea <br />

Widmungsminiatur: Autorin – Empfänger.<br />

Inschriften: sans foy ne peut nul a dieu plaire (linker Pfeiler) - le vrai coraige<br />

vient du coeur (rechter Pfeiler)<br />

Le liure dOthea la deesse de prudence/compose par xpristienne fille de/Maistre<br />

thomas de pizan pour tres loe/noble excellent prince loys Duc dorlyens/fils du<br />

Roy charles V e de celui nom sous/le nom de hector de troye quant Il/estoit en<br />

leage de .xv. ans et de nostre/ Redemption lan m.ccc.iiij.xx.vj.]<br />

f. 3r-4v [Prolog]<br />

3r Treshaulte fleur par le monde loee/A tous plaisant et de dieu aduouee/ de lis<br />

souef oudourant delitable/Puissant valeur hault pris sur tout notable/Loenge a<br />

dieu auant oeuure soit mise./Et puis a vous noble fleur qui transmise/Fustes du<br />

ciel pour anoblir le monde./Seignourie tres droituriere et monde./Destre troy en<br />

anchienne noblesse/Piler de foy que nulle erreur ne blesse/Que hault renom nul<br />

lieu ne va celant/Et a vous tres noble prince excellent/Dorlyens Duc loys de<br />

grant renom/ Filz de charles Roy quint de celui nom...<br />

4r/v ...Tous fais et dis et chose qui puist plaire/A vous mon redoubte pour qui<br />

lemprens/Et humblement suppli se je mesprens/La franchise de vostre grant<br />

noblesse/Qui me pardoint se trop grant hardiesse/ Descripre a vous personne si<br />

tresdigne/Entreprens moy en sagesse non digne<br />

4v<br />

Cy fine le prologue./et sensieut la matere.


72<br />

[ I-IV: 'Les .iiii. vertus cardinales' ]<br />

f. 4v-8v [I. Prudence; Inschriften:] Les auenir preuoy - Les presentes dispose - Les<br />

choses passees recorde <br />

4v/6r Othea la deesse de prudence/qui adresse les bons coeurs en vaillance/<br />

A toy hector noble prince puissant/Qui en armes es ades flourissant/<br />

Filz de mars le dieu de bataille/Qui les fais darmes liure et taille/<br />

Et de minerue la deesse/puissant qui darmes est maistresse/<br />

Successeur des nobles troyens...<br />

6r Glose. Othea selonc grec poeut estre prins/pour sagesse de femme Et<br />

comme/les anchiens nous ayans encoire lumie=/re de foy aouraissent encore<br />

pluseurs dieux...<br />

7r ...Et comme la vertu de prudence faice tres/a recommander dist le prince des<br />

philoso=/phes aristotle pour ce que sapience est/la plus noble de toutes aultres<br />

choses/doibt elle estre moustree par la meilleur/raison et la plus couuenable<br />

maniere<br />

7r<br />

7v<br />

7v/8r<br />

8r<br />

8v<br />

Prologue a Allegorie.<br />

Pour ramener a alegorie le propost/de notre matere nous appliquerons/la<br />

sainte escripture a noz dis aledificacion/de lame estant en cestui monde.<br />

Alegorie./Comme par la souueraine sapience/et haulte puissance de dieu<br />

toutes/choses soient crees raisonnablement doiuent/toutes tendre afin de lui Et<br />

pour ce que/notre esperit de dieu cree a son ymage est/des choses crees le plus<br />

noble apres les/angeles couuenable chose est et necessaire/que il soit aournez<br />

de viertus par quoy/il puisse estre conuoye a la fin pour quoy/il est fait...<br />

Alegorie./Comme prudence et/sagesse soit mere et conduiresse de/toutes viertus<br />

sans laquelle les aultres/ne pourroient estre bien gouuernees est il/necessaire<br />

alespirit cheualereux que de/prudence soit aournes...<br />

Cy commence lepistre que othea la/deesse enuoya a hector de troie quant/il<br />

estoit en leage de .xv. ans.<br />

f. 8v-10r [II. Atemprance; Inschrift:] Moyenner est ma nature <br />

8v/9r Et a celle fin que tu faices/ce quil fault faire et que tu saces/<br />

A quoy les vertus plus propices/Pour mieulx paruenir aux premisses/<br />

De vaillance cheualereuse/Et tout soit elle aduentureuse/...<br />

9r/v Glose./Dist othea que attemprance est la/serour laquelle il doibt amer La/vertu<br />

dattemprance voirement poeut/estre dicte serour et samblable a prudence...<br />

9v Alegorie./La vertu dattemprance qui a pro=/priete de limiter les<br />

superfluitez/doibt auoir le bon espirit...<br />

f. 10r-12v [III. Force; Inschrift:] Je suis colomne de courages - Entre les perilz approuuee<br />

<br />

10r/11r Et auec nous te couuient force/Se tu de grant vertu fais force/<br />

Vers hercules te fault virer/Et ses vaillances remirer/...


73<br />

11r/12r<br />

12r/v<br />

Glose./La vertu de force est a entendre non=/mie seulement force corporelle/<br />

mais constance et fermete que le bon/cheualier doibt auoir en tous ses fais<br />

de/liberez par bon sens et force de resister/contre les contrarietez...<br />

Alegorie./Ainsi comme sans force et sans vigueur/de bon cheualier ne pourroit<br />

deseruir/pris darmes samblablement ne pourroit/le bon esprit auoir ne gaignier<br />

le loyer et/pris deu aux victorieux sans icelle...<br />

f. 12v-14r [IV. Justice; Inschrift:] Ou ie suis nest dhabiter/A chascun rens ce qui es sien<br />

<br />

12v/13r Encor se voeulz estre des nos/resambler te couuient minos/<br />

Tout soit il iusticier et maistres/Denfer et de trestout ly estres/<br />

Car se tu te voeulz auancier/Estre te couuient justicier/<br />

Aultrement de porter healme/Nes digne ne tenir roialme.<br />

13r/v Glose./Dist prudence au bon cheualier que/se il voeult estre du renc aux<br />

bons/La vertu de justice lui couuient auoir/Cest ascauoir de tenir droituriere<br />

iustice/Et dist aristotele Celui qui est droitu=/rier iusticier doibt premierement<br />

justi=/cier soy meismes...<br />

13v/14r Alegorie./Et comme dieu soit chief de justice/et de toute ordre est il necessaire<br />

a/esprit cheualereux pour paruenir a glo=/rieuse victoire quil ait celle vertu...<br />

[ V. Renommee ]<br />

f. 14r-16r [V. Perseus - Andromeda, Inschrift:] Ie quiers voler per tous pays Pour<br />

secourir les perilleux<br />

<br />

14v Apres te mire en perseus/de qui le hault nom est sceus/<br />

Parmy le monde en toutes pars/Pesagus[!] li cheuaulx apers/<br />

Cheuaulcha par lair en volant/Et andromeda en alant/<br />

Deliura il de la belue/Se lui a aforce tollue/<br />

14v/15r<br />

Comme bons cheualiers errans/Si la rendue a ses parens...<br />

Glose./Et pour ce que cest chose couuenable/que au bon cheualier soit deu<br />

hon=/neur et reuerence en ferons figure selon/la maniere des poetes Perseus<br />

fut vng/moult vaillant cheualier...<br />

15v Alegorie./Renommee doibt desirer/lesprit cheualereux entre la<br />

noble/compagnie des benois sains de paradis/acquise par ses bonnes merites Le<br />

cheual/pesagus qui le porte sera le bon angele qui/fera bon raport de lui au<br />

jour du jugement/Andromeda qui sera deliuree sera son ame/quil deliuera de<br />

lennemy denfer pour vain=/cre pechie...<br />

[ VI-XII: 'Les .vij. planetes' ]<br />

f. 16r-17r [VI. Inschrift:] Jupiter – Ie suis doulx courtois gracieux / Sur tous largier et<br />

amoureux <br />

16r Aveuc tes inclinations/De jours les condicions/<br />

Voeulles auoir mieulx en vauldras/Quant tu en droit point les tiendras<br />

16r/v Glose./Comme dit est les payens/qui aouroient pluseurs dieux les/planetes du<br />

ciel pour especiaulx dieux/tenoient et des .vij. planetes nommerent/les .vij. jours<br />

de la sepmaine Jupiter/ou jouis aouroient et tenoient pour/leur plus grant dieu<br />

pour ce quil est/assis en la plus haulte espere des plane=/tes apres saturnus...


74<br />

16v/17r<br />

Alegorie./Or ramenons a notre propost la proprie=/te des .vij. planetes a<br />

alegorie./Iouis qui est planete doulce et hu=/maine dont les bons cheualiers/<br />

doiuent auoir les condicions nous/poeut signifier misericorde et<br />

compassion/que le bon cheualier Jh[es]umcrist a en soy...<br />

f. 17v-18v [VII. Inschrift:] Venus – Ie rens les hommes gracieux / Quant ilz nabusent de<br />

mes ieux <br />

17v De venus ne fais ta deesse/Ne te chaille de sa promesse/<br />

Le poursieure en est traueilleux/Non honnourable et perilleux<br />

17v/18r Glose./Venus est planete du ciel dont le/jour du venredj est nomme et le/metal<br />

que nous appellons estain ou es=/piaultre est a jcelle attribue venus donne/<br />

influence damours et de vanite et fut/vne dame ainsi nommee qui fut royne/de<br />

cypre...<br />

18r Alegorie./Venus dont le bon cheualier ne doit/faire sa deesse Cest a entendre<br />

que/le bon esprit ne doit auoir en soy mille/vanite...<br />

f. 18v-19v [VIII. Inschrift:] Saturnus – En iugement va mon allure / Froit suis et de pesant<br />

nature <br />

18v Se tu en jugement tassambles/saturnus gard que tu ressambles/<br />

Amchois que ottroyes ta sentence/Gard ne la donnes en doubtance<br />

18v/19r Glose./De saturnus est le jour/du samedi nomme et le metal que/nous appelons<br />

plomb est a lui attribue/et est de condicion tardiue pesant et sai=/ge...<br />

19r/v Alegorie./Sicomme le bon cheualier doit estre tar=/dif en jugement cest<br />

ascauoir bien/peser sentence ains quil la donne Samblable=/ment doit faire le<br />

bon esprit de ce quil lui/appartient car a dieu appartient jugement/qui scet<br />

discerner les causes droiturierement...<br />

f. 19v-20v [IX. Inschrift:] Phebuz – Loeil suis et la clarte du monde / Tousiours tournoyant<br />

a la ronde <br />

19v Ta parole soit clere et voire/appollo ten donra memoire/<br />

Car cellui ne poeut nulle ordure/Souffrir desoubs couuerture.<br />

19v/20r Glose./Appollo ou phebus est le soleil au quel/le jour du dimenche est attribue<br />

et/aussi le metal que nous appellons or Le/soleil par sa clarte monstre les<br />

choses mu=/chies Et pour ce verite qui est clere et mon=/stre les secretes<br />

choses...<br />

20r Alegorie./Appollo qui est adire le soleil par qui/nous notons verite...<br />

f. 20v-21v [X. Inschrift:] Lune – Ie suis legiere de courage / Iamaix nareste en nul passage<br />

<br />

20v Phebe tu ne ressamble mie/trop est muable et anemie/<br />

A constance et a fort coraige/Merancolieuse et lunaige<br />

20v/21r Glose/Phebe est appellee la lune dont le/lundi est nomme et lui est attribue/le<br />

metal que nous disons argent La/lune nareste nulle heure en vng droit/point et<br />

donne influence de muablete/et folie...<br />

21r Alegorie./Phebe qui est la lune que nous/notons inconstance.../...La ou est<br />

sapience la est vertu force et constan=/ce...


75<br />

f. 21v-22v [XI. Inschrift:] Mars – Chault et sec suis amant larnaix / Et iamais ne puis<br />

viure en paix <br />

21v Mars ton pere je nen doubt pas/Tu ensieuras bien en tous pas/<br />

Car ta noble condicion/y trait ton inclinacion<br />

21v/22r Glose/Mars est nommes le jour de mardi/et lui est attribue le metal que/nous<br />

appellons fer Mars est planette/qui donne influence de guerres et de<br />

ba=/tailles...<br />

22r/v Alegorie/Mars le dieu de bataille/poeut bien estre appellez le filz de/dieu qui<br />

victorieusement batilla en ce/monde et le bon esprit doit par son ex=/emple<br />

ensieuir son bon pere jh[es]umcrist et/batillier contre les vices...<br />

f. 22v-23v [XII. Mercurius, Inschrift:] Mon influence est destre sage / Et aourne de bel<br />

langage <br />

23r Soyes aourne de faconde/Et de parole nette et monde/<br />

Ce taprendra mercurius/Qui de bien parler scet les vs<br />

Glose/De mercurius est nommez le jour/du merquedi et largent vif lui/est<br />

attribue Mercurius est planete qui/donne influence de proufitable main=/tieng<br />

et de bel langaige aourne de re=/thorique...<br />

23r/v Alegorie./Mercurius qui est dit dieu de lan=/gaige poons prendre ou<br />

entendre/que le bon cheualier Jh[es]umcrist doit estre/aourne de bonne<br />

predication et de parole/de doctrine et aussi doit amer et honnourer/les<br />

annuncheurs dicelle...<br />

[ XIII-XV: 'Vertus theologiennes' ]<br />

f. 23v-24v [XIII. Minerue] <br />

24r Armeures de toutes sortes/pour toy armer bonnes et fortes/<br />

Te liuerra assez ta mere/Minerue qui ne test amere<br />

Glose/Minerue fut vne dame de moult/grant scauoir et trouua lart de/faire les<br />

armeures...<br />

24r/v Alegorie/Ce qui est dit que armeu=/res bonnes et fortes lui liuerra as=/ses sa<br />

mere au bon cheualier nous poons/entendre la vertu de foy qui est<br />

vertu/theologienne et est mere au bon esprit...<br />

f. 24v-25v [XIV. Pallas Minerve] <br />

24v/25r Adiouste pallas la deesse/Et met aueucquelz(?) ta proesce/<br />

Tout bien te venra se tu las/Bien siet o minerue pallas<br />

25r/v Glose./Apres dist que il adiouste pallas/aueuc minerue qui bien y siet/...Et pour<br />

ce que elle generallement en tou=/tes choses fut saige et maintes ars nou=/<br />

uellement trouua belles et subtilles/lappellerent deesse de scauoir...<br />

25v Alegorie./Et sicomme pallas qui notte sagesse/doit estre adioustee aueuc<br />

cheuale=/rie et doit estre la vertu desperance adious=/tee aux bonnes vertus de<br />

lesprit cheuale=/reux sans la quelle il ne pourroit pourfi=/ter...<br />

f. 26r-27r [XV. Pantesselee (= Penthesilea)] <br />

26r Ayes chiere pantesselee/De ta mort sera adoulee/<br />

Tel femme doit bien estre amee/Dont si noble voix est semee<br />

26r/v Glose./Pantesselee fut vne pucelle royne/de mazoire et moult fut belle et/de<br />

merueilleuse proesce en armes et de/grant hardement Et pour le grant bien/que


76<br />

26v/27r<br />

renommee tesmoignoit par tout le mon=/de de hector le preux lamoit.../...Et est<br />

a entendre que/tout bon cheualier doit amer et prisier/toute femme forte en<br />

vertu de sens et de/constance...<br />

Alegorie./Pantesselee qui fut secourable poons/entendre la vertu de carite qui<br />

est/la troizime theologie...<br />

[ XVI-XXII: 'Les sept pechies mortelz' ]<br />

f. 27r-28r [XVI. Narcisus] <br />

27r/v Narcisus ne voeulles sambler/par trop grant orgueil afubler/<br />

Car cheualier oultrecuidies/Est de mainte grace vuidies<br />

27v Glose./Narcisus fut vng damoisel qui par/sa grant beaulte sesleua ensi<br />

grant/orgueil quil auoit en despit tous aultres/...<br />

27v/28r Alegorie./Or ferons alegorie a notre propost en/appliquant aux sept pechies<br />

mor=/telz Par narcisus entendons orgueil/...<br />

f. 28r-29v [XVII. Athanias – Yuno (= Ino)] <br />

28r/v Athanias plain de grant rage/La deesse de foursennaige/<br />

Fist estrangler ses deux enfans/Pour ce grant ire te deffens<br />

28v/29r Glose./Athanias fut mari ala roynne yuno/qui ot fait semer le ble cuit<br />

pour/desheriter ses fillastres Car elle par argent/corrompi les prestres de la loy<br />

qui rapor=/toient les respons des dieux.../ ...yre est vng mortel vice/...car elle<br />

trouble lentendement et destourne/raison.<br />

29r/v Alegorie/Athanias qui tant fut plains di=/re entendons par ce le pechiet/dire...<br />

f. 29v-30v [XVIII. Aglaros – Herce – Mercurius] <br />

30r Sur toute rien toute ta vie/fuis la faulse deesse enuie/<br />

Qui fist deuenir plus vert que herbe/Aglaros qui puis deuint pierre<br />

30r/v Glose/Aglaros ce dist vne fable fut serour/a herce qui tant fut belle que pour/sa<br />

beaulte lot espousee mercurius le dieu/de langaige et furent les filles cicorps/le<br />

roy dathenes mais tant aglaros en=/uie sur sa serour herce...<br />

30v Alegorie./Sicomme lauctorite deffent enuie au bon cheualier...<br />

f. 31r-v [XIX. Vlixes – Polyphem] <br />

31r Ne soies ne long ne prolixe/A toy gaitier de la malice/<br />

Vlixes qui loeil au gaiant/Embla tout fuist il cler veant.<br />

31r/v Glose./Dist vne fable que quant vlixes/sen retournoit en grece aprez la/<br />

destruction de troie grant orage de temps/transporta sa nef en vne yle ou il ot<br />

vng/geant qui nauoit que vng oeil ou mi=/lieu du front de terrible grandeur...<br />

31v Alegorie/Ce qui est dit que le bon cheualier/ne soit ne long ne prolixe<br />

poons/entendre le pechie de paresce...<br />

f. 32r-33r [XX. Lathona] <br />

32r Ne prens pas contens aux renoulles/Ne en leur palu ne te soulles/<br />

Contre lathona sassamblerent/Et leauvve clere lui troublerent<br />

32r/33r Glose/La fable dist que la deesse latho=/nas fut mere phebus et phebe/si est le<br />

soleil et la lune et a vne ventree/les porta...<br />

33r Alegorie/Les vilains qui deuindrent renoulles/poons entendre pour le pechiet<br />

daua=/rice...


77<br />

f. 33v-34r [XXI. Bacus] <br />

33v Au dieu bacus point ne tacordes/car ses condicions sont ordes/<br />

Non vaillables est ses depors/Les gens fait transmuer en pors<br />

33v/34r Glose/Bacus fut vng homme qui premie=/rement planta vignes en grece./Et<br />

quant ceulx dela contree sentirent/la force du vin qui les enyuroit ilz dirent/que<br />

bacus estoit vng dieu qui telle force/auoit donne a sa plante Si est par<br />

bacus/entendue yuresce.../<br />

34r Alegorie./Par le dieu bacus poons entendre le/pechie de gloutonnie...<br />

f. 34v-35v [XXII. Pimalion] <br />

34v Ne tassotte pas de limage/Pimalion se tu es sage/<br />

Car de tel ymage paree/Est la beaulte trop comparee.<br />

34v/35v Glose/Pimalion fut vng moult subtil ou=/urier de faire ymages.../<br />

35v Alegorie./Limage pimalion dont le bon ch[eva]lier ne/se doit assotter prenons<br />

et entendons/le pechiet de luxure...<br />

[ XXIII-XXXIV: 'Les articles de la foy' ]<br />

f. 36r-v [XXIII. Diane] <br />

36r De diane soies recors/pour lonnestete de ton corps/<br />

Car ne lui plaist vie touillie/Ne deshonnestete ne soullie.<br />

36r/v Glose./Diane cest la lune Et comme il ne/soit riens tant maluais quil<br />

nait/aulcune bonne propriete La lune donne/condicion chaste...<br />

36v Alegorie./Et pour ramener les articles de/la foy a notre propost sans lesquelz/ne<br />

pourroit proufiter bon esprit cheuale=/reux prenrons diane dieu de paradis<br />

le/quel est sans tache...<br />

f. 37r-v [XXIV. Ceres] <br />

37r La deesse ceres ressamble/Qui les bleds donne et a nul nemble/<br />

Ainssi doit estre habandonnes/Bon cheualier bien ordonnes.<br />

37r/v Glose./Ceres fut vne dame qui trouua/lart de erer les terres car<br />

deuant/semoient les gaigaiges sans labourer...<br />

37v Alegorie./Ceres a qui doit resambler le bon ch[eua]lier/prenons pour le benoit<br />

filz de dieu.../...sicomme dist le .ii e ./article...<br />

f. 37v-38v [XXV. Isis] <br />

38r Toutes vertus entes et plantes/en toy comme isis fait les plantes/<br />

Et tous les grains fructifiier/Ainsi dois tu edifiier<br />

Glose./Isis dient autressi estre deesse des plan=/tes et des cultiuemens qui leur<br />

a/donne vigueur et croissance de multiplier/...et donne con=/parison que ainsi<br />

doit il fructifiier en tou=/tes vertus et tous vices esquieuer...<br />

38r/v Alegorie./La ou il dist que isis qui est plen=/tiueuse doit ressambler poons<br />

en=/tendre la benoite conception de jhesucrist/par le saint esprit en la benoite<br />

vierge/marie...


78<br />

f. 38v-39v [XXVI. Midas – Phebus – Pan] <br />

38v Ne te tieng pas au jugement/midas qui mie saigement/<br />

Ne juga si ne ti conseilles/Car il ot pour ce dasne oreilles<br />

38v/39r Glose./Midas fut vng roy qui ot petit en=/tendement Et dist vne fable que<br />

phebus et pan le dieu des pasteurs estri=/uoient ensamble et disoit phebus<br />

que/le son de la lire faisoit le plus a loer que le/son du fretel ou du flagol...<br />

39r/v Alegorie/Le jugement/midas ou le bon cheualier ne se doit/tenir poons prendre<br />

pilate qui le benoit/filz de dieu iuga a prendre loyer et pendre/au gibet de la<br />

croix...<br />

f. 39v-40v [XXVII. Hercules–Pocheus–Theseus–Proserpine–Pluto–Cerberus] <br />

39v/40r Se aux loiaux compaignons darmes/Jusquen enfer en vont armes/<br />

Tu dois aler secourir les/Au besoing com fist hercules<br />

40r Glose/Dist vne fable que pocheus et these=/us alerent en enfer pour<br />

proser=/pine rescourre que pluto ot rauie et mal/baillis y eussent este se<br />

hercules leur com=/paignon ne les eust secourus...<br />

40r/v Alegorie./Ce que lauctorite dist quil/doit secourir ses loiaux compaignons/<br />

darmes jusques en enfer poons entendre/la benoite ame de jhesucrist qui tira<br />

les/bonnes ames des sains patriarches et/prophetes...<br />

f. 40v-41r [XXVIII. Cadmus] <br />

40v Aime bien et prise cadmus/et ses disciples chier tenus/<br />

Soient de toy car la fontaine/Gaigna du serpent a grant paine<br />

40v/41r Glose/Cadmus fut vng moult noble hom=/me et fonda thebes qui fut cite<br />

de/moult grant renommee Lestude y mist/et il meismes fut moult lettrez et de<br />

grant/science...<br />

41r Alegorie./Cadmus qui donta (dompta) le serpent a la/fontaine.../...poons<br />

entendre la benoite humani=/te de Jhesucrist qui dompta le serpent et/gaigna<br />

la fontaine cest la vie de ce monde...<br />

f. 41v-42v [XXIX. Io – Jupiter] <br />

41v Moult te deliter ou scauoir/yo plus quen nul aultre auoir/<br />

Car par ce pourras moult apprendre/Et du bien largement y prendre<br />

41v/42r Glose/Io fut vne damoiselle fille au roy/ynacus qui fut de moult grant/scauoir et<br />

trouua maintes manieres de/lettrez qui deuant nauoient este veues...<br />

42r/v Alegorie./Io qui est nottee par lettres et escrip=/tures Nous poons entendre<br />

que/le bon esprit se doit deliter a lire les saintes/escriptures et auoir escriptes<br />

en sa pensee/Et par ce pourra apprendre a monter ou/ciel aueuc Jhesucrist par<br />

bonnes oeuures/et sainte contemplation...<br />

f. 42v-43v [XXX: Io – Jupiter – Juno – Argus – Mercurius] <br />

42v Gardes en quelque lieu que soyes/Que endormy des flagos ne soies/<br />

Mercurius qui souef chante/Les gens o son flagol enchante<br />

42v/43r Glose/Dist vne fable que quant jupiter/amoit yo la belle que juno en fut/en<br />

grant souppechon...<br />

43v Alegorie./Par les flagos mercurius poons en=/tendre que par lanchien<br />

ennemy/le bon esprit se doit garder quil ne soit de=/ceu daulcune incredulite<br />

sur la foy...


79<br />

f. 44r-v [XXXI. Pirus] <br />

44r Croi que pirus ressamb[l]era/Son pere et encore tourblera/<br />

Tes amis par greuer les/La mort vengera dachilles<br />

44r/v Glose./Pirus fut filz dachilles et bien res=/sambla son pere de force et de<br />

har=/dement et apres la mort du pere vint sur/troies et moult asprement venga<br />

le pere...<br />

44v Alegorie./La ou Il Dist que pirus ressamble=/ra son pere poons entendre<br />

lesaint/esprit Le quel procede du pere en qui doit/croire le bon esprit...<br />

f. 44v-45v [XXXII. Cassandra] <br />

44v/45r Frequente le temple et honneures/Les dieux des cieulx a toutes heures/<br />

Et de cassandra tiens lusaige/Se voeulz estre tenu pour saige<br />

45r Glose./Cassandra fut fille au roy priant et/moult fut bonne dame et deuote/en<br />

leur loy Les dieux seruoit et le temple/hantoit et pau parloit sans necessite<br />

Et/quant parler lui couuenoit ja ne disoit/chose qui ne fust veritable ne en<br />

menchon=/gne ne fut onques trouuee Trop fut sai=/ge cassandra...<br />

45r/v Alegorie./Lauctorite dist que le temple doit/frequenter le bon ch[eva]lier Par<br />

sam=/blable cas doit faire le bon esprit et doit/auoir singulere deuotion en<br />

sainte eglise catholique...<br />

f. 45v-46r [XXXIII. Neptimus (= Neptunus)] <br />

45v Se tu vas moult souuent par mer/Tu doibs neptimus reclamer/<br />

Et bien doibs celebrer sa feste/Adfin quil te gard de tempeste.<br />

45v/46r Glose./Neptimus selonc la loy des payens/estoit nommez le dieu de la mer...<br />

46r Alegorie./Neptimus que le bon cheualier doit/reclamer se il va souuent par<br />

mer/prenderons que le bon esprit qui est conti=/nuelement en la mer du monde<br />

doit recla=/mer deuotement son createur et prier que si bien lui doinst<br />

viure/quil puisse auoir remission de ses pechies...<br />

f. 46v-47r [XXXIV. Attropos] <br />

46v Aies a toutes heures regard/A attropos et a son fier dard/<br />

Qui fiert et nespargne nul ame/Et te fera penser de lame.<br />

46v/47r Glose./Les poetes appellerent la mort attro=/pos Pour ce voeult dire au bon<br />

che=/ualier quil doit penser que tousiours ne/viuera mie en cestui monde...<br />

47r Alegorie /La ou il dist au bon cheualier que/il ait regard a attropos qui est<br />

no=/tee la mort Samblablement doit auoir/le bon esprit qui par les merites de<br />

la pas=/sion de nostre seigneur Jhesucrist doit a=/uoir ferme esperance...<br />

[ XXXV-XLIV: 'Les commandemens de la loy' ]<br />

f. 47v-48v [XXXV. Belorophon] <br />

47v Belorophon soit exemplaire/En tous les fais que tu voeulz faire/<br />

Qui mieulx ama vouloir morir/Que desloiaulte encourir<br />

47v/48r Glose./Belorophon fut vng cheualier de/grant beaulte et plain de leaulte...<br />

48r Alegorie./Or venrons a declarer/les commandemens de la loy et y/prendrons<br />

alegorie a nostre propost/Belorophon qui tant fut plain deleaul=/te poons noter<br />

dieu de paradis.../...nous y poons prendre/le premier commandement qui dist<br />

Tu/ne aoureras point dieux estranges...


80<br />

f. 48v-49v [XXXVI. Menimon (= Memnon) – Hector – Achilles] <br />

48v Menimon ton leal cousin/Qui a ton besoing test voisin/<br />

Et tant taime tu dois amer/Et pour son besoing toy armer<br />

48v/49r Glose./Menimon fut cousin hector et de la/ligme aux troyens Et quant<br />

hector/estoit es fors destours et es batailles ou/mainteffois estoit durement<br />

empressez de/ses ennemis...<br />

49r/v Alegorie./Menimon le leal cousin poons encore/prendre ou entendre dieu de<br />

para=/dis qui bien nous a este leal cousin de pren=/dre notre humanite.../...Si y<br />

poons prendre le/ij. e commandement...<br />

f. 49v-50v [XXXVII. Leomedon – Jason – Hercules] <br />

49v/50r Auise toy ains que parolle/De grant manache niche et fole/<br />

De ta bouche ysse par trop dire/Et en leomedon te mire<br />

50r Glose./Leomedon fut roy de troie et pere/priant Et quant jason et hercu=/les et<br />

leurs compaignons aloient en colcos/pour la toison dor querre et ilz furent<br />

ari/uez et descendus au port de troie pour/eulx rafreschir sans nul mal faire ala<br />

con=/tree...<br />

50r/v Alegorie/Comme parole de grant ma=/nache viengne darrogance et bri=/sier<br />

commandement.../...poons prendre que nul ne doibt/brisier les festes...<br />

f. 50v-52v [XXXVIII. Piramus – Ti(s)be] <br />

50v/51r Ne cuides pas estre certain/Ainchois la verite atain/<br />

Pour vng pou de presumption/Piramus ten fait mention.<br />

51r/52r Glose./Piramus fut vng jouenencel de/babilonne et des quil nauoit que/vii. ans<br />

deage amours le naura de son/dart et fut espris de lamour tibe la bel=/le<br />

damoiselle et sa pareille deage et de pa=/rage...<br />

52r/v Alegorie./De ce quil dist que il ne cuide estre/certain cy poons noter<br />

lignoran=/ce que auons en lenfance ou nous sommes/soubz la correction de<br />

pere et de mere.../...poons entendre le quart comman=/dement qui dist<br />

honneure pere et mere...<br />

f. 52v-53v [XXXIX. Esculapion – Cirxes] <br />

52v/53r Croy pour la sante de ton corps/Desculapion les rappors/<br />

Et non pas de lenchanteresse/Cirxes qui trop est tromperesse<br />

53r Glose/Esculapion fut vng moult sage/clerc qui trouua la science de me=/dicine<br />

et enfist liures...<br />

53r/v Alegorie./Pour esculapion qui fut phisicien/poons entendre le quint<br />

comman=/dement qui dist tu nochiras point...<br />

f. 53v-54v [XL. Achilles – Hecuba – Polixena – Paris] <br />

54r A cellui qui trop as mesfait/Qui ne se poeut vengier de fait/<br />

Ne ty fies car mal en prent/Le mort achilles le taprent<br />

Glose./Achilles fist moult de griefs aux/troyens et au roy priant ochist/pluseurs<br />

deses enfans hector troilus et/aultres dont hair le deuoit...<br />

54r/v Alegorie./Comme a cellui a qui on a mesfait/aulcun ne se doibt fyer.../...soit<br />

necessaire te=/nir le commandement qui dist Tu ne fe=/ras point de meschief<br />

cest adire adultere/ne fornicacion...


81<br />

f. 54v-55v [XLI. Busierres] <br />

55r Ne ressambles mie busierres/Qui fut trop plus maluais que lierres/<br />

Sa cruaulte fait a reprendre/A telz fais ne te voeulles prendre<br />

Glose./Busierres fut vng roy de merueil=/leuse cruaulte et moult se deli=/toit<br />

en occision dommes...<br />

55r/v Alegorie./Busierres qui fut homicides et con=/traires a humaine creature<br />

po=/ons noter la deffense que nous fait le/commandement qui dist Tu ne feras<br />

point/larchin...<br />

f. 55v-56v [XLII. Hero – Leander] <br />

55v Naies pas si chier ta plaisance/Que trop mettes en grant doubtance/<br />

Ta vie que tu doibs amer/Leander en peri en mer<br />

55v/56v Glose./Leander fut vng damoisel qui trop/amoit de grant amour hero la/belle Et<br />

comme il eust vng bras de mer en=/tre les manoirs des deux amans leander/le<br />

passoit...<br />

56v Alegorie./Comme lauctorite deffent quil nait/si chiere sa plaisance poeut<br />

estre/entendu le commandement qui dist Tu ne/porteras point faulx<br />

tesmoignaige contre/ton prochain...<br />

f. 57r-v [XLIII. Helaine] <br />

57r Rens helaine son la demande/Car en grant mesfait gist amende/<br />

Et mieulx vault paix tost consentir/Que tart venir au repentir.<br />

57r/v Glose./Helaine fut femme au roy menelaux/et rauie par paris en grece Et/quant<br />

les grecs furent venus sur troies/a grant armee pour la vengance de celui fait...<br />

57v Alegorie./Helaine qui doibt estre rendue poeut/estre entendu le commandement<br />

qui/dist Tu ne desirras point la femme de ton/proixme...<br />

f. 58r-59r [XLIV. Aurora – Cynus] <br />

58r Ne ressambles pas la deesse/Aurora qui rent grant leesse/<br />

Aux aultres quant vient a son heure/Et pour soy tient tristresse et pleure<br />

58r/v Glose./Aurora cest le point du jour/et dient les fables que cest vne/deesse et<br />

quelle ot vng sien filz ochis en/la bataille de troies qui cynus fut nom=/mes...<br />

58v/59r Alegorie./Aurora qui pleure po=/ons entendre que nul desir ne/doibt plourer en<br />

nous par conuoitier/chose non deue Et par ce poons notter/le .x e .<br />

commandement qui dist Tu ne con=/uoiteras pas la maison de ton prochain...<br />

[ XLV - XCIX: Tugend- und Heilspiegel ]<br />

f.59r-60r [XLV. Pasiphe] <br />

59r Pour tant se pasiphe fut folle/Ne voeulles lire a ton escole/<br />

Que telles soient toutes femmes/Car il est maintes vaillans dames<br />

59r/v Glose./Pasiphe fut vne royne Et dient/aulcunes fables quelle fut femme/de grant<br />

dissolution et meismement/quelle ama vng torel et que mere fut/a minostauros...<br />

59v/60r Alegorie./Pasiphe qui fut fole poons prendre/lame retournee a dieu...


82<br />

f. 60v-62r [XLVI. Adrascus – Polimites – Thideus] <br />

60v Se filles as a marier/Et tu les voeulx appairier/<br />

A homme dont mal ne te viengne/Du roy adrascus te souuiengne<br />

60v/61v Glose./Adrascus fut roy darges moult/poissant et preudomme deux che=/ualiers<br />

errans dont lun estoit appelles/polimites et lautre thideus se combatoient/par<br />

nuit obscure soubz le portail de son/palais.../ ...Grandement honnoura/adrascus<br />

les deux barons puis leur don=/na il a mariage deux moult belles filles/quil<br />

auoit.../...Et comme adrascus ensist songie/vne nuit quil donnoit ses deux filles<br />

a ma=/riage a vng lion et a vng dragon qui en=/samble se combatoient dist<br />

lexpositeur des/songes que songe vient de la fantasie...<br />

61v/62r Alegorie./Ou il est dit que se filles as a marier/quil garde a qui il les donra<br />

Nous/poons entendre que le bon esprit cheuale=/reux a dieu doibt bien<br />

regarder a qui il/sacompaigne...<br />

f. 62r-63r [XLVII. Cupido] <br />

62r De cupido se josnes et cointes/Es asses me plaist qui tacointes/<br />

Par mesure comment quil aille/Il plaist bien au dieu de bataille<br />

62r/v Glose./Cupido cest le dieu damours...<br />

62v/63r Alegorie./Que bien plaist au dieu de bataille/que de cupido sacointe poeut<br />

estre/entendue penitence.../... et nouuel entre en/la droite voie bien plaist au<br />

dieu de/bataille cest Jh[es]umcrist...<br />

f. 63r-64v [XLVIII. Corinis – Phebus] <br />

63r Nochis pas corinis la belle/Pour le raport et la nouuelle/<br />

Du corbel car se lochioies/Aprez tu ten repentiroies<br />

63r/64r Glose./Corinis fut vne damoiselle comme/dist vne fable que phebus ama/par<br />

amours Le corbel qui adont le ser=/uoit lui rapporta quil auoit veu<br />

corinis/samie gesir aueuc vng aultre damoisel...<br />

64r/v Alegorie./Corinis qui ne doibt estre ochise/Nous entendons notre ame que/nous<br />

ne deuons ochire par pechie mais/bien la garder...<br />

f. 64v-65v [XLIX. Juno] <br />

64v/65r De Juno ia trop ne te chaille/Se le noyel mieulx que lescaille/<br />

Donneur desires a auoir/Car honneur vault trop mieulx que auoir<br />

65r Glose./Iuno cest la deesse dauoir se=/lonc les fables des poetes...<br />

65r/v Alegorie./Iuno dont il est dit que trop ne lui/en doibt chaloir est prins<br />

pour/ricesses et que le bon esprit les doibt des=/prisier.../...Et dist leuuangille<br />

que le/cameau passeroit plus aise parmy le petruis/de laguille que le riche<br />

nattainderoit au/royalme des cieulx Car le cameau na que/vne boche sur le<br />

dos...<br />

f. 65v-66v [L. Amphoras – Adrascus] <br />

66r Contre le conseil amphoras/Ne va destruire ou tu morras/<br />

La cite de thebes ne darges/Nassambles ost nescu ne targes.<br />

Glose./Amphoras fut moult saige clerc/de la cite Darges et trop sca=/uoit de<br />

sciences Et quant le roy adras=/cus voult aler sur tebes pour la cite/destruire<br />

Amphoras qui par science/scauoit que mal lui en venroit...<br />

66r/v Alegorie./Par le conseil du saige ampho=/ras contre le quel ne doibt aler/en<br />

bataille poons noter que le bon esprit doibt sieure les saintes predi=/cacions...


83<br />

f. 67r-v [LI. Saturnus] <br />

67r La langue soit saturnine/Ne soit a nul male voisine/<br />

Trop parler est laide coustume/Et qui lot folie y presume<br />

67r/v Glose./Saturnus comme jay dit deuant/est planete lente tardieue et saige/pour<br />

ce dist au bon cheualier que sa lan=/gue lui doibt ressambler car langue/doibt<br />

estre tardieue adfin quelle ne parle/trop et saige que de nul ne mesdie ne ne/die<br />

chose dont on puist presumer folie/Car le saige dist ala parole cognoist on/le<br />

saige et au regart le fol<br />

67v Alegorie./La langue qui doibt estre saturnine/cest a entendre lente de parler si<br />

dist/a ce propost hugues de saint victor que la/bouche qui ne la garde de<br />

discrecion est com/me la cite qui est sans mur comme le vaissel/qui na point de<br />

couuercle comme le cheual qui/na point de frain.../...Qui garde sa/langue Il<br />

garde son ame car la mort et la/vie sont en la puissance de la langue...<br />

f. 68r-v [LII: La corneille et le corbel] <br />

68r Croy la corneille et son conseil/Jamais ne soies en esueil/<br />

De male nouuelle apporter/Le plus seur est sen deporter.<br />

68r/v Glose./La corneille ce dist vne fable encon=/tra le corbel quant il portoit<br />

la/nouuelle a phebus de samie corinis...<br />

68v Alegorie./Que la corneille doie estre creuvve vuelt/dire que le bon esprit doibt<br />

vser de/conseil...<br />

f. 69r-70r [LIII. Ganimedes – Phebus] <br />

69r Se a plus fort de toy tefforces/A faire pluiseurs jeux de forces/<br />

Retray toy que mal ne ten viengne/De ganimedes te souuiengne.<br />

69r/v Glose./Ganimedes fut vng jounencel de la/ligniee aux troyens Et dist vne<br />

fa=/ble que phebus et lui estriuoient vng jour/ensamble a getter le barre de<br />

fer...<br />

69v Alegorie./Comme il est dit que contre plus/fort de soy ne se doibt enforcier<br />

cest/a entendre que le bon esprit ne doibt/entreprendre trop forte penitence<br />

sans/conseil...<br />

f. 70r-71r [LIV. Jason – Medee] <br />

70r Ne resamble mie Jason/Qui par medee le toison/<br />

Dor conquist dont puis li tendi/Tresmaluais guerdon et rendi.<br />

70r/71r Glose./Iason fut vng cheualier de grece qui/ala en estrange contree cest<br />

asca=/uoir en lisle de calcos par lenditement ou/conseil de peleus son oncle...<br />

71r Alegorie./Iason qui fut ingrat ne doibt le bon/esprit resambler qui des<br />

benefices/recheus de son creatour ne doibt estre in=/grat...<br />

f. 71v-73r [LV. Gorgon – Perseus – Phebus – Diane] <br />

71v De la serpent gorgon te gardes/garde bien que ne le regardes/<br />

De perseus ayes memoire/Il ten dira toute listoire.<br />

71v/72r Glose./Gorgon ce dist la fable fut vne da=/moiselle de souueraine beaulte/Mais<br />

pour ce que phebus jut aueuc elle/ou temple de diane tant sen couroucha/la<br />

deesse quelle le transmua en serpent/de treshorrible figure Et auoit ce<br />

serpent/telle propriete que tout homme qui la/regardoit estoit soudainement<br />

mue en/pierre Et pour le mal qui delle ensieu=/oit perseus le vaillant cheualier<br />

ala/pour combatre ala fiere beste.../...et poeut estre enten=/due gorgon pour<br />

vne cite ou ville qui/jadis fut de grant bonte Mais par les/vices des habitans<br />

deuint serpent...


84<br />

72v<br />

Alegorie./Que gorgon ne doies regarder cest/que le bon esprit ne doit<br />

regarder/ne penser a delices...<br />

f. 73r-74r [LVI. Mars – Venus – Phebus – Vulcans] <br />

73r Se amours tacourchist la nuit/Garde que phebus ne te nuit/<br />

Par quoy tu puisses estre pris/Es lieux de vulcans et souspris<br />

73r/v Glose./Dist vne fable que mars et venus/sentramoient par amours Auint/vne<br />

nuit que les deux amans bras abras/furent endormis Phebus qui cler voit/les<br />

sousprint et apperchut et a vulcans le/mari les accusa.../.../...Ceste fable poeut<br />

estre/notee a pluseurs entendemens et y peu=/ent estre notez aulcuns poins<br />

dastronomie/et meismes darquemie...<br />

73v/74r Alegorie./La ou lauctorite dist Se/amours tacourcist la nuit nous/dirons que le<br />

bon esprit se doit garder des/agais de lennemy...<br />

f. 74r-75v [LVII. Thamaris – Cirus] <br />

74v Thamaris ne desprise pas/pour tant se femme est mais du pas/<br />

Te souuiengne ou chirus fut pris/Car chier compara le despris<br />

74v/75r Glose./Thamaris fut royne de damasonie/moult vaillant dame plaine de/grant<br />

proesce et de hardement et tressaige/en armes et en gouuernement cirus le<br />

grant/roy de perse qui conquis auoit mainte/region sesmut a grant ost pour aler<br />

contre/le rengne de femmenie...<br />

75r Alegorie./Thamaris qui ne doibt/estre desprisee pour tant selle fut fem=/me<br />

Cest que le bon esprit ne doibt despri=/sier ne hair lestat dumilite soit en<br />

religion/ou aultre quelconque estat...<br />

f. 75v-76r [LVIII. Medee – Jason] <br />

75v Ne laisses ton sens anorter/a fol delit ne emporter/<br />

Ta cheuauanche se demandee/Test et te mires en medee<br />

75v/76r Glose./Medee fut vne des plus saichans fem=/mes de sort et de sciences qui<br />

onc=/ques fut selonc les histoires...<br />

76r Alegorie./Que son sens ne laisse anorter a fol/delit entendons que le bon<br />

esprit/ne doibt laissier seignourir sa propre vo=/lente Car se la seignourie de<br />

propre volen=/te cessoit le feu denfer nauroit point de/seignourie et propre<br />

voulente se combat contre dieu et senorguillist...<br />

f. 76v-77r [LIX. Cupido – Axis – Galatee] <br />

76v Se a cupido es subgies/gard toy du geant enragies/<br />

Que la roche ne soit boutee/Sur axis et sur galatee.<br />

76v/77r Glose./Galatee fut vne deesse qui amoit/vng jouenencel qui axis estoit/nommez<br />

vng geant de laide estature es=/toit enamoures de galatee...<br />

77r Alegorie./Que du geant se gard qui a cupido/est subgez cest que le bon esprit<br />

bien/se garde que nulle ymagination nait/au monde ne aux choses dicellui...<br />

f. 77v-78v [LX: Hes – Peleus – Thetis – Pallas – Juno – Venus] <br />

77v Hes la deesse de discorde/maulx sont ses lyens et sa corde/<br />

Les noepces de peleus troubla/Dont puis maintes gens assambla


85<br />

77v/78v<br />

78v<br />

Glose./Discorde est vne deesse de/mal affaire Et dist vne fable/que quant peleus<br />

esponsa la deesse the=/tis dont puis fut nes achilles Jupiter/et tous les dieux et<br />

deesses furent aux/noepces Mais la deesse de discorde ny fu/pas<br />

mandee.../...Adont estoient assises au disner/a vne table les trois deesses pallas<br />

juno/et venus Adont vint dame discorde qui/getta sur la table vne pomme dor ou<br />

il ot/escript Soit donnee a la plus belle...<br />

Alegorie./Comme il dist que discorde doibt/hair et fuir Aussi doibt le bon<br />

es=/prit fuir tous empeschemens de consience...<br />

f. 79r-v [LXI. Leomedon] <br />

79r Noublie mie le mesfait/Se tu las a qui que soit fait/<br />

Car il ten garde le guerredon/Destruit en fuit leomedon<br />

79r/v Glose./Leomedon comme jay dit deuant/fut roy de troie et grant vilon=/nie ot<br />

fait aux barons gregois de les/congiayer de sa terre...<br />

79v Alegorie./Que il ne doie oublier le mesfait sil/a a aultrui mesfait poeut<br />

estre/entendu que quant le bon esprit se sent/encheu en pechie par faulte de<br />

resistence....<br />

f. 80r-81v [LXII. Semelle – Jupiter – Juno] <br />

80r Sil aduient que damours tafolles/garde au mains a qui tu paroles/<br />

Que ton fait ne soit enmesle/Souuiengne toy de semelle<br />

80r/81r Glose./Dist vne fable que semelle fut/vne damoiselle que jupiter/ama par<br />

amours Juno qui en fut en/jalousie print lasamblance dune an=/chienne femme<br />

et vint a semelle et par/belles parolles la print a araisonner...<br />

81r/v Alegorie./Que il garde a qui il parle poons/entendre que le bon esprit<br />

quelque/soient ses bonnes pensees se doit garder/en tous cas...<br />

f. 81v-82r [LXIII. Diane] <br />

81v Ne sieus mie trop le deduit/de diane car il naduit/<br />

Aux poursieuans cheualerie/Eulx amuser en chacerie<br />

81v/82r Glose./Diane est appellee deesse des bos et/de la chacerie si voeult dire que le<br />

bon che=/ualier poursieuant le hault nom darmes/ne se doit trop amuser en<br />

deduit de chace/car cest chose qui appartient a oyseuse...<br />

82r Alegorie./Que le deduit diane ne doies trop/sieuir qui est dicte pour oiseusete...<br />

f. 82v-83r [LXIV. Araignes (= Arachne) – Pallas) <br />

82v Ne te vantes car mal en prist/Araignes qui tant fort mesprist/<br />

Que contre pallas se vanta/Dont la deesse lenchanta<br />

82v/83r Glose./Araignes ce dist vne fable fu vne/araigne moult subtille en lart/de tissir<br />

et de filerie mais trop se oultre=/cuida de son scauoir et de fait se vanta/contre<br />

pallas...<br />

83r Alegorie./Que il ne se doit vanter...<br />

f. 83v-84r [LXV. Adonius – Venus] <br />

83v Se trop grant volente te chasse/A moult amer deduit de chasse/<br />

Dadonius aumains te record/Qui fut de par le saingler mort<br />

83v/84r Glose./Adonius fut vng damoisel moult/cointe et de grant beaulte Venus/lama<br />

par amours qui se doubtoit que/de la chasserie mal lui venist maintes/fois elle


86<br />

84r<br />

lui pria quil se gardaist de chas=/ser ala grosse beste.../ ...que vng roy ne doit<br />

laissier son filz/trop vser de chasse ne de oiseusetez ains/le doit faire instruire<br />

en bonnes meurs/et fuir vanites<br />

Alegorie./Qve dadonius lui doit souuenir/poeut estre entendu que se le<br />

bon/esprit est aulcunement desuoye que a tout/le mains lui doit souuenir du<br />

grant peril/de perseuerance...<br />

f. 84v-85r [LXVI. Hercules – Leomedon – Thalamon] <br />

84v Sil aduient que ennemis tassaillent/gard que toy ne tes gens ne saillent/<br />

Contre eulx dont la cite desemple/prens ala prime troie exemple<br />

84v/85r Glose./Qvant hercules aueuc grant foison/de grex vint sur la premiere troie/et<br />

le roy leomedon ot oy dire leur venue/Adont lui et toute la gent quil pooit<br />

a=/uoir en la cite saillirent dehors et alerent/contre eulx au riuaige et la<br />

sassamblerent/par moult fiere bataille...<br />

85r Alegorie./Quil se doit garder se ennemis lassail=/lent que sa cite ne soit vuidie<br />

cest/que le bon esprit se doit tousiours tenir sai=/si et rempli de vertus...<br />

f. 85v-86v [LXVII. Orpheus] <br />

85v Trop ne tassottes de la lire/orpheus se tu voeulz eslire/<br />

Rimes pour principal mestier/Dinstrumens sieuir nas mestier<br />

85v/86r Glose./Orpheus fut vng poete ce dist la/fable qui tant bien scauoit jou=/er de la<br />

lire que meismes les eaues cou=/rans en retournoient leur cours et/les oiseaulx<br />

del air les bestes sauluai=/ges et les fiers serpens en oublioient/leur cruaulte.../<br />

...Et pour/ce que telz instrumens assottent sou=/uent les coeurs des hommes dist<br />

au bon/cheualier que trop ne si doit deliter...<br />

86r/v Alegorie./La lire a orpheus dont/ne se doit assotter poons entendre/que le bon<br />

esprit ne se doit assotter en quil=/conque compaignie mondaine...<br />

f. 86v-87v [LXVIII. Paris] <br />

86v Ne fondez sur auision/Ne de sur folle illusion/<br />

Grant emprinse soit droit ou tort/Et de paris ayes record<br />

86v/87r Glose./Pour ce que paris ot songie que il/yroit en grece dont pour cellui<br />

son=/ge fut faitte grant armee et enuoye de/troie en grece ou paris raui helaine<br />

dont/pour icellui mesfait amender vindrent/puis sur troie tout le pooir de<br />

grece...<br />

87r/v Alegorie/Qve grant emprise ne doie estre/faite pour auision cest que le<br />

bon/esprit ne doit nullement presumer de/soy ne soy esleuer en arrogance...<br />

f. 87v-89r [LXIX. Antheon (= Actaeon) – Diane] <br />

87v/88r Se trop aimes chiens et oiseaulx/Dantheon le gent damoiseaulx/Qui cherf deuint<br />

bien te souuiengne/Et gard que autant ne ten aduiengne<br />

88r/89r Glose./Antheon fut vng damoisel/moult courtois et de gentil condi=/cion et trop<br />

amoit chiens et oiseaulx.../Adont comme diane la deesse des bois eusist<br />

chas=/sie par la forest jusques a leure de midi/si fut eschaufee et ardante par la<br />

chaleur/du soleil par quoy talent lui vint delle/baignier en vne fontaine belle et<br />

clere...<br />

89r Alegorie./Par antheon qui cherf deuint poons/entendre le vray penitent qui<br />

pe=/cheur soloit estre...


87<br />

f. 89v-91r [LXX. Euridice – Orpheus] <br />

89v Ne va pas aux portes denfer/Querre euridice en son enfer/<br />

Peu y gaigna a tout sa lire/Orpheus sicom joy dire<br />

89v/90v Glose./Orpheus le poete qui tant bien har=/poit dist vne fable quil se maria a<br />

erudice.../...Ceste fable puet/estre entendue en assez de manieres Et/poeut estre<br />

vng aqui sa femme fut tollue/et puis rendue et puis la reperdi.../...Mais a<br />

nostre/propost poeut estre dit que bien quiert eu=/ridice en enfer qui quiert<br />

choses impossibles...<br />

90v/91r Alegorie./Que il ne doie aler querre euridice/en enfer poons entendre que le<br />

bon/esprit ne doit tendre ne querir a dieu cho=/se miraculeuse ne meruilleuse<br />

qui est ap=/pelle tempter dieu...<br />

f. 91r-92v [LXXI. Thetis – Achilles – Vlixes] <br />

91r Se droit cheualiers voeulz congnoistre/Et fuissent ilz enclos en cloistre/<br />

Lessay que on fist a achilles/Taprendra a esprouuer les<br />

91r/92r Glose./Achilles ce dist vne fable fut filz a/la deesse thetis Et pour ce<br />

quelle/scauoit comme deesse que se son filz hantoit/les armes il y morroit Elle<br />

qui trop ardam=/ment lamoit le cela en vesture de pucelle/et le fist voiler<br />

comme nonne en abbaye...<br />

92r Alegorie./Ou il dist que se drois cheualiers voeulz/congnoistre poons entendre<br />

que le/cheualier jhesucrist doit estre congneu aux/armes de bonnes<br />

operations...<br />

f. 92v-93v [LXXII. Athalanta] <br />

92v Nestriues a athalanta/Car plus que toy grant talent a/<br />

De fort courre cest son mestier/De tel cours tu nas nul mestier<br />

92v/93r Glose./Athalanta fut vne nimphe de moult/grant beaulte mais dure estoit<br />

sa/destinee car par sa cause pluseurs perdurent/la vie...<br />

93r/v [Alegorie] Nestriues a athalanta par ce poons/entendre que le bon esprit ne<br />

se/doit point empeschier de chose que le monde/faiche ne en quel<br />

gouuernement il soit...<br />

f. 93v-95r [LXXIII. Paris – Pallas – Juno – Venus] <br />

93v/94r Comme paris ne juge pas/Car on rechoit maint dur repas/<br />

Par male sentence ottroyer/Maint en ont eu maluais loyer<br />

94r/v Glose./Dist la fable que les trois deesses de/grant puissance cest ascauoir<br />

pallas/deesse de scauoir Juno deesse dauoir et ve=/nus deesse damours si<br />

vindrent deuant/paris tenans vne pomme dor et disoit Soit/donnee ala plus belle<br />

et la plus puissant.../...paris donna sa sen=/tence et renoncha a cheualerie et a<br />

sagesse/et aussi a auoir pour venus a qui il donna/la pomme pour la quelle<br />

occoison fut puis/troie destruite...<br />

94v/95r Alegorie./Paris qui juga folement cest que/le bon esprit se doit garder de<br />

faire/jugement sur aultrui...<br />

f. 95v-96r [LXXIV. Fortune; Inschriften:] Ie regneray – Ie regne – Iay regne – Iauoye<br />

regne <br />

95v En fortune la grant desse/ne te fyes ne en sa promesse/<br />

Car en peu deure elle se change/Les plus haultz souuent gette enfange


88<br />

95v/96r<br />

96r<br />

Glose./Fortune selonc la ma=/niere de parler des poetes poeut/bien estre<br />

appellee la grant deesse car par/elle nous veons le cours des choses<br />

mon=/daines estre gouuerne...<br />

Alegorie./Par ce quil dist quil ne se doibt fi=/er en fortune poons entendre/que<br />

le bon esprit doibt fuir les delices/du monde...<br />

f. 96v-97r [LXXV. Paris] <br />

96v Pour guerre emprendre et auanchier/Ne fay par paris commenchier/<br />

Car mieulx scauroit je nen doubt mie/Soy deduire es beaulx bras samie<br />

96v/97r Glose./Paris ne fut mie condit[i]one aux ar=/mes mais du tout a amours<br />

Et/pour ce voeult dire que le bon ch[eua]lier ne doit/miefaire cheuetaine de son<br />

ost ne de ses batailles...<br />

97r Alegorie./Que a paris ne faice guerre encon=/menchier cest que le bon esprit<br />

ten=/dant a la cheualerie du ciel doit du tout estre/soustrait du monde et auoir<br />

esleue la vie/contemplatiue...<br />

f. 97v-98v [LXXVI. Chephalus] <br />

97v Ne te chaille de nul gaitier/Mais te vas toudis ton sentier/<br />

Chephalus o son gauelot/Letapprent et la femme loth.<br />

97v/98v Glose./Chephalus fut vng anchien cheua=/lier dist vne fable que toute sa<br />

vie/sestoit moult delite en deduit de chasse et a/merueilles scauoit bien getter<br />

vng gaue=/lot.../...lancha son gauelot et ataint sa femme si/lochist.../...La<br />

femme loth comme dist la sainte escriptu=/re se retourna contre le<br />

commandement/de langele quant elle oy par deriere soy/fondre .v. citez et<br />

tantost fut tournee en/vne masse de sel Et comme toutes choses soyent figurees<br />

y poeuent estre mis assez/dentendemens...<br />

98v Alegorie./Qve il ne lui doit chaloir de nul/gaitier poeut estre entendu que/le bon<br />

esprit ne se doit donner paine de/scauoir daultrui nouuelle...<br />

f. 99r-v [LXXVII. Inschrift:] Paris – Iatens de mon emprue loye; Helenus – Et ie grante<br />

desolacion] <br />

99r Ne desprise pas le conseil/helenus je le te conseil/<br />

Car souuent aduient maint dommaige/Par non vouloir croire le saige<br />

99r/v Glose./Helenus fut frere hector et filz pri=/ant et moult fut saiges clers./Si<br />

desconseilla tant comme il peut que paris/nalaist point en grece rauir helaine<br />

pour/ce dist au bon cheualier que on doit croire/les saiges et leur conseil...<br />

99v Alegorie./Helenus qui desconseilloit la guerre/cest que le bon esprit doit<br />

esquieuer/les temptacions...<br />

f. 99v-100v [LXXVIII. Morpheus] <br />

100r Ne tesiouys trop ne te troubles/pour les avisions moult troubles/<br />

Morpheus qui est messagier/Au dieu qui dort et fait songier<br />

Glose/Morpheus ce dist vne fable est filz/et message au dieu dormant et est/dieu<br />

de songe et fait songier Et pour ce que/songe est moult trouble chose...<br />

100r/v Alegorie./Ou il dist que trop ne se doit esiouir/ne troubler pour auisions<br />

dirons/que le bon esprit ne se doit trop esiouir/ne trop troubler pour<br />

quelconque cas/quillui aduiengne et quil doit porter/les tribulacions<br />

pacianment...


89<br />

f. 101r-102v [LXXIX. Athioine – Theis] <br />

101r Se par mer tu voeulz entreprendre/voiaige perilleux et prendre/<br />

Croi le conseil de athioine/De theis te dira la somme<br />

101r/102r Glose./Theis fut vng roy moult preudons/et moult ame de athioine sa<br />

femme/deuotion prist au roy daler par mer en/vng moult perilleux passaige par<br />

temps/de tempeste se mist en mer Mais athioine/sa femme qui moult lamoit se<br />

mist en grant/paine de lui destourner.../...trop estoit en grant soussi/quelle veoit<br />

yolus le dieu des vens meu/sur la marine.../...mais la fable dist que les/dieux<br />

enorent pitie et muerent les corps/des deux amans en .ii. oiseaulx adfin que/de<br />

leur grant amour fust memoire Si/volent encore sur la marine les oiseaulx/qui<br />

alchiones sont appelles...<br />

102r Alegorie./Qve althioine doie croire cest que/le bon esprit sil est par male<br />

temp=/tacion empeschies daulcune erreur en sa/pensee que il se doit raporter<br />

alopinion/de leglise...<br />

f. 102v-103v [LXXX. Priant – Troilus; Inschrift:] Grant meschief sen ensuivra – Uieillesse<br />

nest dappeller en fait darmes <br />

102v A conseil denfant ne tacordes/Et de troilus te recordes/<br />

Croi et les vieulx et les expers/Mais charges darmes les appers<br />

102v/103r Glose./Qvant le roy priant ot fait redi=/fiier troyes qui pour la cause<br />

du/congiement de ceulx qui aloient en colcos ot este destruite.../...Adont<br />

assambla son conseil ou/moult ot de haulx barons et saiges pour/scauoir se bon<br />

seroit que paris son filz alaist/en grece rauir helaine en eschange desiona/sa<br />

serour.../...mais tous/les saiges sacorderent que non pour cause/des prophesies<br />

et des escriptures qui disoi=/ent que par cellui rauissement seroit<br />

troye/destruite Adont troilus qui estoit enfant...<br />

103r/v Alegorie./A conseil denfant ne se doit acorder/le bon esprit cest a entendre<br />

quil/ne doit estre ignorant mais sachant/ce qui est proufitable a son salut...<br />

f. 103v-104v [LXXXI. Priant – Calcas –Achilles] <br />

104r Laisse calcas et ses complices/Dont les infinies malices/<br />

Trayssent regnes et empires/Il nest au monde aultres gens pires.<br />

104r/v Glose./Calcas fut vng moult subtil clerc/de la cite de troye Et quant le<br />

roy/priant sceut que les grecs venoient sur/lui a grant ost il enuoya calcas en<br />

delphos/scauoir au dieu apollin comment il yroit de/la guerre Mais apres le<br />

respons du dieu/qui dist que aprez .x. ans aroient lez grecs/la victoire/se tourna<br />

calcas vers les grecs/et sacointa dachilles.../...lesquelz il aida/a conseillier<br />

contre sa propre cite...<br />

104v Alegorie./Calcas qui doit estre hay poeut/estre entendu que le bon esprit<br />

doit/hair toute malice frauduleuse contre son prochain...<br />

f. 104v-106r [LXXXII. Hermofrodicus – Salmaxis] <br />

105r Ne soies dur a ottroyer/Ce que tu poeus bien employer/<br />

A hermofrodicus te mire/A qui mal prist pour escondire<br />

105r/v Glose./Hermofrodicus fut vng jounencel/de grant beaulte Vne deesse fut/moult<br />

esprise de samour mais il ne la/daignoit amer.../...et celle son coeur ne/peut<br />

amollir pour mille priere Adont/de grant voulente pria la desse aux dieux/...Les<br />

dieux oyrent en/pitie sa priere si muerent les deux corps en vng seul qui deux<br />

sexes auoit Ceste fa=/ble poeut estre entendue en assez de manie=/res Et<br />

comme les subtilz philosophes ayent/muchie leurs grans secrez soubs


90<br />

105v/106r<br />

couuertu=/re de fable y poeut estre entendue sentence/appartenant a la science<br />

dastronomie et/darquemie...<br />

[Alegorie] Dur ne doit estre a ottroyer le bon/esprit la ou il voit la necessite<br />

mais/reconforter les besongneux a son pouoir...<br />

f. 106r-107r [LXXXIII. Vlixes] <br />

106r/v Tu te poeus bien esbatre as jeulx/vlixes en temps et en lieux/<br />

Car ilz sont subtilz et honnestes/En temps de trieues et de festes.<br />

106v Glose./Ulixes fut vng baron de grece de grant/subtillesse et ou temps du long<br />

sie=/ge deuant troie que .x. ans dura tandis/que trieues estoient il trouuoit ieux<br />

sub=/tilz et beaulx pour esbatre les cheualiers/et dient aulcuns quil trouua le<br />

jeu des/esches et de telz samblables...<br />

106v/107r Alegorie./Les jeux vlixes poeuent/estre entendus que quant le bon/esprit sera<br />

lassez daourer et destre en con=/templation il pourra bien soy esbatre a/lire les<br />

saintes escriptures...<br />

f. 107r-108r [LXXXIV. Briseida – Troilus – Calcas -–Diomedes] <br />

107r Sa cupido te voeulz donner/Ton coeur a tout habandonner/<br />

Gard briseida dacointier/Car trop a le coeur vilotier<br />

107r/v Glose./Briseida fut vne damoiselle de grant/beaulte et encore plus cointe et/de<br />

vague attrait Troilus le filz priant qui/fut plain de proesce et de beaulte len<br />

ama/de grant amour et elle samour lui ot don=/nee et atousiours promis de non<br />

faulser...<br />

107v/108r Alegorie./Briseida dont il se doit garder dacoin=/tier cest vaine gloire...<br />

f. 108r-109r [LXXXV. Patroclus – Achilles – Hector] <br />

108r/v Quant patroclus ochis auras/Lors dachilles te garderas/<br />

Se tu men crois car cest tout vng/Leurs biens sont entre eulx .ij. commun<br />

108v Glose/Patroclus et achilles furent/compaignons ensamble et sitres/bons<br />

amis.../...Et pour ce que/hector ochist patroclus en bataille vint/la grant haine<br />

dachilles sur hector.../.../Si dist othea a hector comme par prophe=/sie de ce<br />

qui estoit aduenir.../...Et est a entendre/que tout homme qui a ochis ou<br />

mesfait/au leal compaignon dun aultre que le/compaignon en prendra vengance<br />

sil/poeut...<br />

109r [Alegorie] Ce quil dist quant patroclus ochis/auras dachilles te dois<br />

garder/poons entendre que le bon esprit sil se lais=/se a lennemy encliner a<br />

pechiet il doibt doub=/ter la mort pardurable Et comme dist job/La vie presente<br />

nest que vne cheualerie/Et en signe de ce ceste vie presente est ap=/pellee<br />

guerriant Et celle de la sus est appel=/lee triumphant car elle a ja victore de<br />

ses/ennemis...<br />

f. 109r-110v [LXXXVI. Echo – Narcisus] <br />

109v Gardes que echo tu nescondisses/Ne ses piteux plains ne desprises/<br />

Se son voeul tu poeus soustenir/Tu nesces qui test aduenir.<br />

109v/110r Glose./Echo dist vne fable fut vne deesse/Et pour ce que trop grant<br />

jan=/gleresse soloit estre par sa janglerie accu=/sa juno qui vng jour gaitoit<br />

son mari par/jalousie.../.../Echo fut amoureu/se du bel narcisus mais cilz nen<br />

daigna/auoir pitie pour quelque amistie...<br />

110r/v Alegorie./Echo qui ne doit estre escondite poeut/estre notee misericorde...


91<br />

f. 110v-112r [LXXXVII. Danne (= Daphne) – Phebus] <br />

110v/111r Se de lorier couronne auoir/voeulz qui mieulx vault que nulauoir/<br />

Danne te couuient poursieuir/Et tu lauras par bien seruir<br />

111r/v Glose./Dist vne fable que danne fut vne/damoiselle que phebus ama par/amours<br />

et moult la poursieuy.../...Et adont/fut le corps de la pucelle mue en vng<br />

vert/lorier...<br />

111v/112r Alegorie./Se de lorier couronne voeult auoir dan=/ne lui couuient poursieuir<br />

poons/entendre que se le bon esprit voeult auoir/glorieuse victore il lui<br />

couuient perseue=/rance qui le menra a la couronne de para=/dis...<br />

f. 112r-113r [LXXXVIII. Andromeda – Hector] <br />

112r Aussi te fai je mencion/dandromeda lauision/<br />

Ta femme du tout ne desprises/Ne aultres femmes bien aprises<br />

112r/v Glose./Andromeda fut femme hector et la nuit/deuant quil fut ochis vint a la<br />

da=/me en vision que se le jour hector aloit/en la bataille il y seroit<br />

ochis.../...Pour ce dist que le bon cheualier ne/doit du tout desprisier les<br />

aduisions sa/femme cest a dire le conseil et aduis delle/se elle est saige et bien<br />

condicionnee et meis=/mement daultres femmes bien condicionnees/Et dist<br />

platon tu ne dois despriser conseil/de petite personne saige...<br />

112v/113r Alegorie./Lauision andromeda que desprisier/ne doibt cest que bon propost<br />

en=/uoye par le saint esprit ne doibt le bon/esprit gecter a neant...<br />

f. 113r-114r [LXXXIX. Babylone – Ninus] <br />

113r/v Le tu as grant guerre ou ensonne/En la force de babilonne/<br />

Ne ty fyes car par minus/Fut prinse ne poeut nyer nuls<br />

113v Glose./Babilonne la grant qui fut fon=/dee par nambroch le geant fut/la plus<br />

forte cite qui onques fut faitte/Mais non obstant ce elle fut prise par le/roy<br />

minus Pour ce dist au bon cheualier quil/ne se doibt mie tant fiier en la force de<br />

sa/cite ou chastel en temps de guerre quil ne/soit bien pourueu de gens et de<br />

tout ce que/besoing lui est pour deffence...<br />

113v/114r Alegorie./En la force de babilonne on ne se/doit fier cest que bon esprit ne<br />

se/doit fier en choses mondaines...<br />

f. 114r-115r [XC. Hector – Andromeda – Priant] <br />

114r Hector nuncier mesteut ta mort/Dont grant doleur au coeur me mort/<br />

Ce sera quant le roy priant/Ne croiras qui tira priant.<br />

114r/v Glose./Le jour que hector fut ochis en la/bataille andromeda sa femme<br />

vint/priier au roy priant a grans pleurs quil/ne laissaist hector aler en la<br />

bataille car/sans faulte ochis seroit sil y aloit...<br />

114v/115r Alegorie./Ou elle dist a hector que sa mort lui/couuient noncier cest que le bon<br />

esprit doibt/auoir en continuelle memoire leure de sa/mort...<br />

f. 115r-116r [XCI. Hector] <br />

115v Encore te voeul je faire saige/Quen bataille naies vsaige/<br />

De tes armes toy descouurir/Car ce fera ta mort ouurir<br />

Glose./Hector en la bataille fut trouue/descouuert de ses armes et lors/fut<br />

ochis...


92<br />

115v/116r<br />

Alegorie./Ce quil est dit quil se doibt tenir/couuert de ses armes cest a<br />

enten=/dre que le bon esprit doibt tenir ses sens/cloz...<br />

f. 116r-117r [XCII. Hector – Polibetes – Achilles] <br />

116r De polibetes ne conuoites/Les armes ilz soient maloites/<br />

Car au despoullier sensieura/Ta mort par cil qui te sieura.<br />

116r/v Glose./Polibetes fut vng roy de grece/moult puissant que hector ot/ochis en la<br />

bataille Et pour ce quil moult/estoit bien arme de belles armes et ri=/ces hector<br />

les conuoita et sabaissa sur/le col de son destrier pour le corps despoul=/lier<br />

Et adont achilles qui par deriere le/sieuoit tout de gre pour le prendre a<br />

des=/couuert...<br />

116v/117r Alegorie./Que de polibetes ne conuoites les/armes poons noter que conuoiti=/se<br />

de quelque chose mondaine ne doibt/auoir le bon esprit. Ignocencius dist/que<br />

conuoitise est vng feu...<br />

f. 117r-118r [XCIII. Achilles – Polyxena] <br />

117r Damour estrange ne tassottes/Le fait achilles pense et notes/<br />

Qui folement cuida samie/Faire de sa grand ennemie.<br />

117r/v Glose./Achilles senforcha damer polixena/la belle pucelle qui fut serour<br />

hec=/tor Et comme il leuist veue alaniuersaire/des obseques hector ou temps de<br />

treues/que pluseurs grecs aloient a troie...<br />

118r Alegorie./Damour estrange ne se doibt asso=/ter le bon esprit Cest a<br />

entendre/quil ne doibt amer nulle chose qui ne/soit toute venant de dieu et<br />

terminant en lui/Et toute chose estrange cest le monde/que il doibt fuir Et que le<br />

monde doie hair/...<br />

f. 118v-119r [XCIV. Ayaulx (= Ajax)] <br />

118v Nentreprens mie foles armes/Cest peril pour corps et pour ames/<br />

Vng bras nu ou sans escu prendre/Par ayaulx le poeus tu apprendre<br />

118v/119r Glose./Ayaulx fut vng cheualier gregois/moult fier et orguilleux. Mais/bon<br />

cheualier estoit de sa main Et par or=/gueil entreprist armes vng bras nu/et<br />

descouuert de son escu si fut perchiet/tout oultre et mort abatu...<br />

119r Alegorie./Que foles armes ne doibt entrepren=/dre cest que le bon esprit ne<br />

se/doibt fiier en sa propre fragilite...<br />

f. 119v-120v [XCV. Anthenor] <br />

119v Anthenor exille et chasse/Qui contre son pays pourchasse/<br />

Trayson faulse et deslealle/Se lui en rens souldee male<br />

119v/120r Glose./Anthenor fut vng baron de troie/quant vint a la fin des grieues/batailles<br />

troyennes Les grecz qui le long/siege auoient tenu deuant la cite ne/scauoient<br />

comment venir a chief de la/cite prendre mais par lenditement de/anthenor par<br />

courous quil ot au roy/priant leur enhorta.../...et par celle/voie les metteroit il<br />

meismes en la cite/et leur donroit passaige et ensi le fist par/quoy troie fut<br />

traye...<br />

120r/v Alegorie./Anthenor qui doibt estre/chassie poons entendre que le bon/esprit<br />

doibt de soy chasser toute chose dont/inconuenient lui poeut venir...


93<br />

f. 120v-121v [XCVI. Cheual de Troie] <br />

120v Ou temple minerue souffrir/Ne doibs tes ennemis offrir/<br />

Mire toy ou cheual de fust/Encore iert troie sil ne fust<br />

120v/121r Glose./Les grecs orent fait paix par fain=/tise as troyens par la traison<br />

an=/thenor ilz dirent quilz auoient voe vng/don a minerue la deesse quilz<br />

voloient/offrir et orent fait faire vng cheual...<br />

121r/v Alegorie./Le temple minerue/poons entendre sainte eglise ou ne/doibt auoir<br />

offert fors orisons...<br />

f. 121v-122r [XCVII. Ilion] <br />

121v Ne cuides auoir seur chastel/Car ylion le fort chastel/<br />

Fut prins et ars aussi fut thune/Tout est es mains de fortune<br />

121v/122r Glose./Ilion fut le maistre dongon de troi=/es et le plus fort et le plus bel<br />

chas=/tel qui onques fut fait dont histoires/facent mention...<br />

122r Alegorie./Quil ne cuide auoir seur chastel po=/ons entendre que le bon esprit<br />

ne/doibt auoir regard a delices quelconques/Car comme delices soient<br />

passables et non/seures et mainent a dampnation...<br />

f. 122v-123v [XCVIII. Circes – Vlixes] <br />

122v Le port esquieues de circes/Ou les cheualiers vlixes/<br />

Furent tous en porcs conuertis/Souuiengne toy de ses partis<br />

122v/123v Glose./Circes fut vne royne qui ot son/regne sur la mer ditalie et fut/moult grant<br />

enchanteresse Et quant/vlixes qui par mer aloit aprez la des=/truction de<br />

troie...<br />

123v Alegorie./Le port circes poons entendre pour/ypocrisie que le bon esprit<br />

doibt/esquieuer sur toute rien.<br />

f. 124r-v [XCIX. Iuno (= Ino)] <br />

124r Tu ne doibs belle raison tendre/A qui bien ne le scet entendre/<br />

Juno qui sema le bled cuit/Le te note asses com je cuid<br />

124r/v Glose./Iuno fut vne roynne qui fist se=/mer le bled cuit qui ne reuint/point Et<br />

pour ce voeult dire au bon cheualier que/belles raisons et bien ordonnees et<br />

saiges/auctorites...<br />

124v Alegorie./Que belles raisons ne soient dictes/aux rudes et ignorans qui ne<br />

les/scauroient entendre comme ce seroit chose/perdue...<br />

f. 125r-126r [C. Cesar Augustus – Sibilla Cumana] <br />

125r Cent auctorites tay escriptes/Si ne soient de toy despites/<br />

Car augustus de femme aprist/Qui destre aoure le reprist.<br />

125r/v Glose./Cesar augustus fut empereur/de romme et de tout le monde Et/pour ce<br />

que ou temps de sa seignourie/paix fut par tout le monde que il sei=/gnourissoit<br />

paisiblement la fole gent/mescreant tenoient que celle paix fust/pour cause du<br />

bien de lui mais non/estoit car cestoit pour cause de jh[es]umcrist/qui estoit nez<br />

de la vierge marie et ja/estoit sur terre et tant comme il vesqui/paix fut partout<br />

le monde Si vouloient/aourer cesar comme dieu Mais adont/sibilla cumana lui<br />

dist que bien gardast/que aourer ne se fesist et quil nestoit/fors vng seul dieu<br />

qui tout auoit cree/...<br />

126r [Alegorie] La ou othea dist que cent aucto=/ritez lui ay escriptes et de<br />

femme/aprinst augustus Cest a entendre que/bonne parole et bons entendemens


94<br />

sont/a loer de quelconque personne que soient/dictes De ce dist hue de saint<br />

victor en/vng liure appelle didascalicon que le sai=/ge homme ot volentiers de<br />

tous et aprent/volentiers de chascun et lit volentiers/toutes manieres<br />

denseignemens...


95<br />

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Farbmikrofiche - Edition

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