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Volk, Sprache und Erziehung bei F. L. Jahn* - Otto Friedrich Bollnow

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kleineren zu immer größeren Gliedern fortschreitend das ganze Weltall beherrscht. In diesem<br />

umfassenden Ganzen ist dann insbesondre „<strong>Volk</strong>stum“ für ihn das, was die verschiedenen<br />

Menschen eines <strong>Volk</strong>s allererst zu einem einheitlichen <strong>Volk</strong> macht, was ein <strong>Volk</strong> von innen<br />

her zum <strong>Volk</strong> bildet. Aber das <strong>Volk</strong> steht wiederum nicht vereinzelt da, sondern ist als Glied<br />

eingeordnet in den umgreifenden Zusammenhang der Menschheit <strong>und</strong> des Weltganzen. In<br />

diesem Sinn entwickelt Jahn den Gedanken des <strong>Volk</strong>stums:<br />

„Was Einzelheiten sammelt, sie zu Mengen häuft, diese zu Ganzen verknüpft, solche steigernd<br />

zu immer größern verbindet, zu Sonnenreichen <strong>und</strong> Welten eint, bis alle sämtlich das<br />

große All bilden — diese Einungskraft kann in der höchsten <strong>und</strong> größten <strong>und</strong> umfassendsten<br />

Menschengesellschaft, im <strong>Volk</strong>e, nicht anders genannt werden als — <strong>Volk</strong>stum. Es ist das<br />

Gemeinsame des <strong>Volk</strong>es, sein inwohnendes Wesen, sein Regen <strong>und</strong> Leben, seine Wiedererzeugungskraft,<br />

seine Fortpflanzungsfähigkeit“ (I 154, R 30).<br />

Da<strong>bei</strong> ist zu beachten, daß <strong>Volk</strong>stum also <strong>bei</strong> Jahn nicht etwa im idealistischen Sinn eines allgemeinen<br />

geistigen Wesens genommen ist — welches Jahn in Anlehnung an Tierheit <strong>und</strong><br />

Menschheit (<strong>bei</strong>de Wörter im strengen Sinn der damaligen Zeit genommen) als <strong>Volk</strong>heit bezeichnen<br />

würde —, sondern als wirkliche lebendige Kraft, die als „Fortpflanzungsfähigkeit“<br />

das <strong>Volk</strong> am Dasein erhält <strong>und</strong> als „Wiedererzeugungskraft“ da<strong>bei</strong> sein eigentümliches Wesen<br />

bewahrt.<br />

In diesem Sinn ist es zu verstehen, wie Jahn das Wirken des <strong>Volk</strong>stums im einzelnen zeichnet:<br />

„Dadurch waltet in allen <strong>Volk</strong>sgliedern ein volkstümliches Denken <strong>und</strong> Fühlen, Lieben <strong>und</strong><br />

Hassen, Frohsein <strong>und</strong> Trauern, Leiden <strong>und</strong> Handeln, Entbehren <strong>und</strong> Genießen, Hoffen <strong>und</strong><br />

Sehnen, Ahnen <strong>und</strong> Glauben. Das bringt alle die einzelnen Menschen des <strong>Volk</strong>s, ohne daß ihre<br />

Freiheit <strong>und</strong> Selbständigkeit untergeht, sondern gerade noch mehr gestärkt wird, in der<br />

Viel- <strong>und</strong> Allverbindung mit den übrigen zu einer schönverb<strong>und</strong>enen Gemeinde“ (I 154, R<br />

30).<br />

Der Gedanke des <strong>Volk</strong>stums ist hier also in einer solchen Tiefe gefaßt, daß es bis in alle seelischen<br />

Regungen hinein das Verhalten des Einzelnen bestimmt. Es ist nicht das äußere Zusammenleben,<br />

sondern der wirkliche innere Einklang, der aus einer gemeinsamen Wesenheit,<br />

d. h. aus der gemeinsamen Formung durch ein <strong>und</strong> dasselbe <strong>Volk</strong>stum hervorgeht:<br />

„Das Ineinanderhineinleben, das stille, vertrauliche Sichaneinandergewöhnen, das mit Wechselliebe<br />

Sichlebendeinverleiben bildet das <strong>Volk</strong> <strong>und</strong> bewahrt es durch <strong>Volk</strong>stum. So paart sich<br />

der Jugend Feuer mit gereifter Mannskraft <strong>und</strong> des Alters reicher Erfahrung. So ist ein echtes<br />

<strong>Volk</strong>, durchdrungen vom Machtgefühl seines eigenen <strong>Volk</strong>stums, eine menschliche Meisterschöpfung,<br />

die selbst wieder Schöpfungskraft äußert <strong>und</strong> so im ewigen Kreistanz das Schaffende<br />

<strong>und</strong> Erschaffene einigt“ (I 158, R 34f.).<br />

Jahn bildet sodann von „<strong>Volk</strong>stum“ abgeleitet das Eigenschaftswort „volkstümlich“ im Sinne<br />

dessen, was dem Wesen dieses <strong>Volk</strong>stums entspricht. „<strong>Volk</strong>stümlich“ ist also nicht als „populär“<br />

im Sinne von gemeinverständlich zu verstehen, sondern eher als volkseigentümlich. Er<br />

weist da<strong>bei</strong> den Vorwurf zurück, willkürliche neue Kunstwörter in die <strong>Sprache</strong> eingeführt <strong>und</strong><br />

dadurch nur eine wissenschaftliche Ausdrucksverwirrung her<strong>bei</strong>geführt zu haben. Es geht ihm<br />

nicht um den Namen, sondern um die Sache selbst, [255/256] <strong>und</strong> er ist sich dessen bewußt,<br />

mit dem Namen zugleich eine neue Wirklichkeit entdeckt <strong>und</strong> für seine Zeit sichtbar gemacht

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