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Beispielprotokoll 1 - SchreibCenter – Technische Universität ...

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Karl Jaspers hingegen sei einer der wenigen, der sich mit der Schuldfrage eingehend befasste,<br />

beziehungsweise diese überhaupt erst in die wissenschaftliche Diskussion brachte. Im Zuge dessen formuliere<br />

er Grundsätze für einen demokratischen Neubeginn und versuche damit den Umgang mit der geschichtlichen<br />

Vergangenheit miteinzubeziehen. Unweigerlich verbunden mit diesem Neubeginn seien die Begriffe<br />

„Umerziehung, Selbsterziehung und Selbstverantwortung“. Es wird an dieser Stelle auf Jaspers Buch mit dem<br />

Titel „Die Schuldfrage“ verwiesen, das 1948 erschien. Darin spricht er von einer „Kollektivschuld“ aller<br />

Deutschen, die dringend aufgearbeitet werden müsse. Die Veröffentlichung dieses Buches führte dazu, dass<br />

die Schuldfrage in den wissenschaftlichen Diskurs nach und nach integriert wurde. Laut Professor Gamm kam<br />

es aufgrund dessen zu kontroversen Diskussionen in sämtlichen wissenschaftlichen Disziplinen, nicht zuletzt<br />

auch in der Philosophie. Karl Jaspers unterscheidet vier Formen von Schuld: Die Schuld des Einzelnen, die<br />

metaphysische Schuld (im Sinne von fehlender Solidarität), die kollektive Schuld und schließlich die<br />

politische Schuld, welche laut Jaspers im Vordergrund stehe.<br />

In Anlehnung an Jaspers Diskurs geht es im Folgenden um den Begriff des „negativen Geschichtszeichens“.<br />

Dieser bezeichnet ein eklatantes historisches Ereignis, das eine Veränderung der gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse und vor allem im Bewusstsein verursache. Ein solches negatives Geschichtszeichen sei zum<br />

Beispiel die Erfindung der Atombombe. Adorno sehe beispielsweise in Auschwitz dieses negative Zeichen,<br />

worin sich wiederum das „Extreme“ einer bestimmten Periode äußert.<br />

Die Problematik des Nachvollzugs der Konsequenzen von negativen Geschichtszeichen zeige sich unter<br />

anderem auch in der Diskrepanz von „Erlebniswelt und Wirkfeld“, Begriffe, die Romano Gordini in seinem<br />

Buch „Das Ende der Neuzeit“ verwende. Erlebniswelt meint demnach das Vorstellbare, basierend auf dem<br />

menschlichen Verstand, das Wirkfeld hingegen die tatsächliche Konsequenz. Professor Gamm verdeutlicht<br />

diese Theorie durch ein praktisches Beispiel; spricht man von einer Millionen toter Menschen bleibt diese<br />

Zahl für uns abstrakt, also kaum vorstellbar. Unsere Möglichkeiten des Nachvollzugs seien derart begrenzt,<br />

dass wir die Unendlichkeit eines Wirkfeldes niemals gänzlich erfassen können. Diese Bestimmung sei<br />

vergleichbar mit der begrifflichen Teilung von Hans Blumenberg, nach welcher sich „Erfahrungsraum“ und<br />

„Erwartungsraum“ gegenüberstünden. In all diesen Diskursen zeigt sich demnach eine „Lücke“ zwischen<br />

Wissen und Wissensfolgen. Gerade diese Lücke stelle das Extrem einer jeden Zeit dar, und eben auch das<br />

Extreme in Bezug auf Auschwitz.<br />

Die grundsätzliche Frage, die sich an solche Überlegungen anschließen müsse, sei die, wie Philosophie<br />

angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch möglich ist.<br />

Nach diesem Überblick über den historischen Hintergrund einer Philosophie nach Auschwitz thematisiert<br />

Professor Gamm im zweiten Teil der heutigen Vorlesung die Praktische Philosophie.<br />

Die Diskussion um das „negativen Geschichtszeichen Auschwitz“ führte im 20. Jahrhundert zu neuen<br />

Aspekten in den Geisteswissenschaften. Die vom 18. bis ins 19. Jahrhundert vorherrschende Frage nach der<br />

„Freiheit“ wurde von der Frage nach „Gerechtigkeit“ abgelöst. Nicht der Nationalsozialismus allein führte zu<br />

dieser Frage, sondern auch zuvor Kolonialismus und Rassismus. Verbunden mit der Gerechtigkeitsidee sei die<br />

Frage nach den „Anderen“. Dieses Thema beschäftigte vor allem die Philosophie und Soziologie. In der neuen<br />

Diskussion im 20. Jahrhundert ginge es um die Frage, wer die „Anderen“ sind, und in welcher Beziehung sie<br />

zu mir als Individuum stehen. Es ginge um das menschliche Bedürfnis nach Ein- beziehungsweise Zuordnung.<br />

Dieses Bedürfnis zwinge uns sozusagen zu einer Entscheidung; ist der „Andere“ Freund, Feind, Partner oder<br />

einfach ein Fremder? Das Problem bestehe vordergründig darin, dieses „Anderssein“ zu verstehen, durch<br />

Fragen wie: „Warum ist dieser Mensch anders?“ oder „worin besteht dessen Anderssein?“ (…).<br />

An diese Reflexion schließt sich nun die eigentliche Frage der Praktischen Philosophie an: „Wie kann man<br />

dem Anderen gerecht werden?“. In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff der sozialen Gerechtigkeit<br />

erheblich an Bedeutung. Professor Gamm fasst dieses Problem wie folgt zusammen: „Das Selbst und die<br />

Anderen“. Dieses Spannungsverhältnis sei das zentrale Thema der Philosophie im 20. Jahrhundert.<br />

© Online Writing Lab, TU Darmstadt<br />

Modul: Protokollieren im Philosophieseminar

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