Beispielprotokoll 1 - SchreibCenter – Technische Universität ...
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<strong>Beispielprotokoll</strong> 1<br />
<strong>Technische</strong> <strong>Universität</strong> Darmstadt<br />
Institut für Philosophie<br />
Vorlesung/Seminar:<br />
Semester:<br />
Leitung:<br />
Protokollant/in:<br />
Datum:<br />
Protokoll zur Vorlesung am:<br />
Thema:<br />
Thema der heutigen Vorlesung ist ein weiterer großer Kernbereich der Philosophie im 20. Jahrhundert,<br />
welcher mit dem Titel des vorlesungsbegleitenden Buches treffend umschrieben werden kann: „Philosophie<br />
im Zeitalter der Extreme“. Gemeint ist die Philosophie nach Auschwitz.<br />
Zunächst wird der geschichtliche Hintergrund der geisteswissenschaftlichen Diskussion direkt nach<br />
Kriegsende angesprochen, der weitgehend mit der gesellschaftlichen Realität zu dieser Zeit übereinstimme.<br />
Professor Gamm spricht in diesem Kontext von Zerstörung und Schrecken, welcher jedoch zunächst keine<br />
Reaktion zur Folge hatte, weder in der Lebenswelt der breiten Bevölkerung, noch in der Auseinandersetzung<br />
der Wissenschaften. Hier könne eine Gefühlsunfähigkeit unterstellt werden, die sich bis hin zu<br />
Gleichgültigkeit und Apathie steigern ließe. Das Ergebnis sei demnach keine Spur von Trauer, was wiederum<br />
als strikte Weigerung, sich dem Geschehenen zu stellen und es zu akzeptieren, verstanden werden könne.<br />
Um die vorherrschende Situation in Gesellschaft und Wissenschaften deutlich zu machen, verweist Professor<br />
Gamm auf Hannah Arendt, die bereits 1915 in ihrem Buch „Besuch in Deutschland“ die „Zerstörung des<br />
moralischen Gefüges der westlichen Welt“ konstatierte.<br />
Nach dieser eher allgemeinen Einschätzung folgt nun die genauere Betrachtung des Umgangs mit den<br />
Kriegsverbrechen in den Wissenschaften, speziell der Philosophie. Die breite Mehrheit schweige zu diesem<br />
Thema und gehe dem „Problem“ des Nationalsozialismus samt seinen Folgen aus dem Weg. Jedoch betont<br />
Professor Gamm in diesem Zusammenhang die Ausnahmen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung<br />
dieser Zeit. Er nennt unter anderem Theodor Litt, der erste Versuche unternahm, den Nationalsozialismus und<br />
den Holocaust als Realität zu begreifen und aufzuarbeiten.<br />
© Online Writing Lab, TU Darmstadt<br />
Modul: Protokollieren im Philosophieseminar
Karl Jaspers hingegen sei einer der wenigen, der sich mit der Schuldfrage eingehend befasste,<br />
beziehungsweise diese überhaupt erst in die wissenschaftliche Diskussion brachte. Im Zuge dessen formuliere<br />
er Grundsätze für einen demokratischen Neubeginn und versuche damit den Umgang mit der geschichtlichen<br />
Vergangenheit miteinzubeziehen. Unweigerlich verbunden mit diesem Neubeginn seien die Begriffe<br />
„Umerziehung, Selbsterziehung und Selbstverantwortung“. Es wird an dieser Stelle auf Jaspers Buch mit dem<br />
Titel „Die Schuldfrage“ verwiesen, das 1948 erschien. Darin spricht er von einer „Kollektivschuld“ aller<br />
Deutschen, die dringend aufgearbeitet werden müsse. Die Veröffentlichung dieses Buches führte dazu, dass<br />
die Schuldfrage in den wissenschaftlichen Diskurs nach und nach integriert wurde. Laut Professor Gamm kam<br />
es aufgrund dessen zu kontroversen Diskussionen in sämtlichen wissenschaftlichen Disziplinen, nicht zuletzt<br />
auch in der Philosophie. Karl Jaspers unterscheidet vier Formen von Schuld: Die Schuld des Einzelnen, die<br />
metaphysische Schuld (im Sinne von fehlender Solidarität), die kollektive Schuld und schließlich die<br />
politische Schuld, welche laut Jaspers im Vordergrund stehe.<br />
In Anlehnung an Jaspers Diskurs geht es im Folgenden um den Begriff des „negativen Geschichtszeichens“.<br />
Dieser bezeichnet ein eklatantes historisches Ereignis, das eine Veränderung der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse und vor allem im Bewusstsein verursache. Ein solches negatives Geschichtszeichen sei zum<br />
Beispiel die Erfindung der Atombombe. Adorno sehe beispielsweise in Auschwitz dieses negative Zeichen,<br />
worin sich wiederum das „Extreme“ einer bestimmten Periode äußert.<br />
Die Problematik des Nachvollzugs der Konsequenzen von negativen Geschichtszeichen zeige sich unter<br />
anderem auch in der Diskrepanz von „Erlebniswelt und Wirkfeld“, Begriffe, die Romano Gordini in seinem<br />
Buch „Das Ende der Neuzeit“ verwende. Erlebniswelt meint demnach das Vorstellbare, basierend auf dem<br />
menschlichen Verstand, das Wirkfeld hingegen die tatsächliche Konsequenz. Professor Gamm verdeutlicht<br />
diese Theorie durch ein praktisches Beispiel; spricht man von einer Millionen toter Menschen bleibt diese<br />
Zahl für uns abstrakt, also kaum vorstellbar. Unsere Möglichkeiten des Nachvollzugs seien derart begrenzt,<br />
dass wir die Unendlichkeit eines Wirkfeldes niemals gänzlich erfassen können. Diese Bestimmung sei<br />
vergleichbar mit der begrifflichen Teilung von Hans Blumenberg, nach welcher sich „Erfahrungsraum“ und<br />
„Erwartungsraum“ gegenüberstünden. In all diesen Diskursen zeigt sich demnach eine „Lücke“ zwischen<br />
Wissen und Wissensfolgen. Gerade diese Lücke stelle das Extrem einer jeden Zeit dar, und eben auch das<br />
Extreme in Bezug auf Auschwitz.<br />
Die grundsätzliche Frage, die sich an solche Überlegungen anschließen müsse, sei die, wie Philosophie<br />
angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch möglich ist.<br />
Nach diesem Überblick über den historischen Hintergrund einer Philosophie nach Auschwitz thematisiert<br />
Professor Gamm im zweiten Teil der heutigen Vorlesung die Praktische Philosophie.<br />
Die Diskussion um das „negativen Geschichtszeichen Auschwitz“ führte im 20. Jahrhundert zu neuen<br />
Aspekten in den Geisteswissenschaften. Die vom 18. bis ins 19. Jahrhundert vorherrschende Frage nach der<br />
„Freiheit“ wurde von der Frage nach „Gerechtigkeit“ abgelöst. Nicht der Nationalsozialismus allein führte zu<br />
dieser Frage, sondern auch zuvor Kolonialismus und Rassismus. Verbunden mit der Gerechtigkeitsidee sei die<br />
Frage nach den „Anderen“. Dieses Thema beschäftigte vor allem die Philosophie und Soziologie. In der neuen<br />
Diskussion im 20. Jahrhundert ginge es um die Frage, wer die „Anderen“ sind, und in welcher Beziehung sie<br />
zu mir als Individuum stehen. Es ginge um das menschliche Bedürfnis nach Ein- beziehungsweise Zuordnung.<br />
Dieses Bedürfnis zwinge uns sozusagen zu einer Entscheidung; ist der „Andere“ Freund, Feind, Partner oder<br />
einfach ein Fremder? Das Problem bestehe vordergründig darin, dieses „Anderssein“ zu verstehen, durch<br />
Fragen wie: „Warum ist dieser Mensch anders?“ oder „worin besteht dessen Anderssein?“ (…).<br />
An diese Reflexion schließt sich nun die eigentliche Frage der Praktischen Philosophie an: „Wie kann man<br />
dem Anderen gerecht werden?“. In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff der sozialen Gerechtigkeit<br />
erheblich an Bedeutung. Professor Gamm fasst dieses Problem wie folgt zusammen: „Das Selbst und die<br />
Anderen“. Dieses Spannungsverhältnis sei das zentrale Thema der Philosophie im 20. Jahrhundert.<br />
© Online Writing Lab, TU Darmstadt<br />
Modul: Protokollieren im Philosophieseminar
Im Folgenden werden die philosophischen Grundideen zum Versuch einer Beantwortung dieser Frage<br />
dargestellt. Professor Gamm gibt zunächst zu bedenken, dass der vermeintlich „Andere“ jeweils nur in Bezug<br />
auf ein konkretes Selbst „fremd“ ist, nicht jedoch fremd an sich sei.<br />
Wie auf die Frage nach dem Umgang mit Fremdheit beziehungsweise Anderssein im geisteswissenschaftlichen<br />
Diskurs reagiert wurde, wird im Folgenden am Beispiel von Emmanuel Lévinas<br />
aufgezeigt. Das Problem bestehe demnach darin, dass wir andere Menschen immer nur über uns selbst<br />
verstehen (können). Das Ich sei Ausgangspunkt jeglichen Denkens und Handelns, und damit auch<br />
Ausgangspunkt der Philosophie und der anderen Wissenschaften. Zur Verdeutlichung dieses „Dilemmas“<br />
benutzte Lévinas die Metapher eines U-Bootes. Man sei als Individuum in die eigene Welt derart<br />
eingeschlossen, dass man mit sich stets allein bleibe. Man könne andere niemals erreichen und ohne<br />
Selbstbezug wahrnehmen. Diese Tatsache führe dazu, dass wir auf irgendeine Art und Weise versuchen, mit<br />
dem Fremden umzugehen. Etwas, das nicht zum Instrumentarium unseres eigenen U-Bootes passe, versuchen<br />
wir entweder anzupassen oder auszugrenzen. Damit sind die zwei wesentlichen Strategien angesprochen, um<br />
dem Anderen ein Stück weit seine „Fremdheit“ zu nehmen. Eine mögliche Reaktion stellt demnach „gleich<br />
machen“, also vereinnahmen dar, die andere das „vom Leib halten“, also abwehren und unterwerfen.<br />
Im Umgang mit Fremdheit konstatiert Emmanuel Lévinas einen immer vorhandenen Grundzug von Gewalt.<br />
Die Strategie der Ausgrenzung sei eine typisch menschliche Reaktion, da etwas Unbekanntes Unsicherheit<br />
hervorrufe. Grund für das Bedürfnis einer Reaktion auf das Fremde ist nach Lévinas das Denken. Denken<br />
mache Dinge „verfügbar“ in dem Sinne, dass der Mensch dadurch Dinge beherrschen und einordnen möchte.<br />
Diese kategoriale Einordnung sei für das eigene Selbstbild enorm wichtig, da wir unser Ich über die<br />
Relationen zu anderen definieren.<br />
Der extremste Umgang mit Anderssein stellt der Wunsch nach Vernichtung dar, der als letzte Konsequenz<br />
bestehen bleibt, wenn die Fremdheit durch Vereinnahmung und Unterwerfung nicht relativiert werden konnte.<br />
Durch Denken die Dinge verfügbar zu machen, kann zusammenfassend als „Bemächtigungsstrategie“<br />
bezeichnet werden, welche verschiedene Formen der Rationalisierung beinhaltet. Durch gedankliche Prozesse<br />
wie Verstehen, Einordnen und Erklären, könne das Andere seine Fremdheit verlieren, und wäre dann nach<br />
Lévinas „identisch mit demselben“, was einer schließlichen „Rückkehr zu sich selbst“ gleichkäme.<br />
Zum Abschluss der Vorlesung gibt Professor Gamm die Frage zu bedenken, welche unter anderem die Ethik<br />
von Lévinas weiter bestimmte: „Gibt es doch einen (friedlichen) Weg auf den Anderen zu treffen?"<br />
Datum:<br />
Unterschrift:<br />
© Online Writing Lab, TU Darmstadt<br />
Modul: Protokollieren im Philosophieseminar