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Investitur von Pfarrer Jens Keil am 20. Februar 2011 Antrittspredigt ...

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<strong>Investitur</strong> <strong>von</strong> <strong>Pfarrer</strong> <strong>Jens</strong> <strong>Keil</strong> <strong>am</strong> <strong>20.</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2011</strong> <strong>Antrittspredigt</strong> über Lukas 17,7-10<br />

„Das Wort Gottes kann man sich nicht aussuchen" - das ist eine Binsenweisheit, ein Allgemeinplatz - und<br />

manchmal trifft das auch die, die solche Binsenweisheiten und Allgemeinplätze gerne <strong>von</strong> der Kanzel<br />

verkünden. Der Predigttext für den Sonntagsgottesdienst kann sich der <strong>Pfarrer</strong> nicht aussuchen. Es gibt<br />

Ausnahmen -sicher - aber in der Regel wird in allen evangelischen Kirchen in Deutschland an diesem Morgen<br />

und in dieser Stunde über den gleichen Bibeltext nachgedacht. Liebe Gemeinde, ich versichere Ihnen, den<br />

Predigttext für heute hätte ich mir selbst nicht ausgesucht. Aber - „das Wort Gottes kann man sich nicht<br />

aussuchen". Und manchmal sind es ja nicht die schönen Geschichten wie vom vermeintlich verlorenen Sohn<br />

in den Armen des Vaters; Manchmal sind es nicht die schönen Worte und Bilder, die uns voranbringen,<br />

sondern die anstößigen Texte, die uns - eben - anstoßen, die uns aus der Fassung bringen. Zumal, wenn es<br />

ein Text ist, der immer wieder kehrt, an dem man sich im Leben mehrfach schon die Zehen wund und den Kopf<br />

angestoßen hat. Vor 12 Jahren war die heutige Bibelstelle der Predigttext meiner Prüfungspredigt in der<br />

Michael-Sebastianskirche in Neckarrems.<br />

Irgendjemand will mir also irgendetwas sagen. Ich lese nun den für den heutigen Sonntag vorgeschriebenen<br />

Predigttext aus dem 17. Kapitel des Lukasevangeliums die Verse 7 bis 10:<br />

Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld<br />

heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite<br />

mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst<br />

du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?<br />

So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte;<br />

wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.<br />

„Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet...?"<br />

Ich stelle fest: Niemand. Wenn Ihr einen hättet, würdet ihr zu ihm sagen: schürze dich und diene mir, bis ich<br />

gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken?<br />

Auch Niemand? Gottseidank. Natürlich - in unseren Zeiten sitzen Meister und Gesellen, Bauern und Knechte,<br />

Kappo und Arbeiter doch hoffentlich an einem Tisch.<br />

„Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?" Na - hoffentlich. Ein Chef ist ein schlechter<br />

Vorgesetzter, wenn er dem Mitarbeiter nicht seine Wertschätzung spüren lässt.<br />

Und wer hält sich <strong>am</strong> Ende für einen „unnützen Knecht?" respektive „unnütze Magd"?<br />

Auch niemand. Dafür sind wir zu selbstbewusst. Wir wissen, was wir zu leisten in der Lage sind, <strong>am</strong><br />

Arbeitsplatz und im Ehren<strong>am</strong>t, für den Verein und für die Kirche.<br />

Wow - gerade mal vier Bibelverse und jede Menge Widerspruch. So was kann man doch nicht predigen.<br />

Archaisch patriarchal - daran hat man allenfalls historisches Interesse.<br />

Worte aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit.<br />

Soviel zur Lebensnähe der Bibel und zur schweren Aufgabe eines <strong>Pfarrer</strong>s, sie den Menschen als<br />

lebenswichtig nahe zu bringen.<br />

Aber, liebe Gemeinde, bei allen Unterschieden ist d<strong>am</strong>als wie heute eines gleich - trotz der unterschiedlichen<br />

Lebenswelten und trotz der 2000 Jahre dazwischen. D<strong>am</strong>als wie heute haben sich die Menschen über dieses<br />

Gleichnis aufgeregt, haben sich daran gestoßen, haben sich die Gemüter daran erregt.<br />

Und Jesus wollte das. Jesus wollte anstößig sein, denn manchmal muss man angestoßen werden, um<br />

aufzubrechen, und manchmal muss man aufbrechen, um sich für das Leben und für Gott zu öffnen. Vielleicht<br />

muss uns manchmal jemand den Rost runterholen und aus der alten bedrängenden und bedrückenden<br />

Fassung bringen hinaus in das Land, das uns verheißen ist.<br />

Jesus war der Sohn eines Zimmermanns. Handwerker. Mittelstand also, aus der Bevölkerungsschicht, aus der<br />

die sogenannten Pharisäer ihre meisten Anhänger bezogen.<br />

Pharisäer, das waren fromme Menschen, die das Wort Gottes über alle Maßen liebten, die mit jeder Faser<br />

ihres Seins und in jeder Sekunde ihres Lebens die Gebote Gottes achten und ehren wollten. So sehr waren sie<br />

mit der Liebe zu ihrem Gott erfüllt, dass darunter bisweilen die Liebe zu den Menschen litt. Pharisäer- das heißt<br />

„die Abgesonderten". Sie wollten mit den anderen nichts zu tun haben, mit den Sündern, Zöllnern, Pharisäern,<br />

Hirten, mit denen, die die Gebote nicht halten wollten oder konnten, aus welchen Gründen auch immer.<br />

Jesus sprach oft mit ihnen - vielleicht weil ihn deren Liebe zu Gott rührte. Er stritt mit ihnen um die Liebe zu den<br />

Menschen. Die Pharisäer - sie sind der ältere Sohn, der nicht zu dem Fest des Vaters geht, das dieser für den<br />

zurückgekehrten Sohn gibt. Sie sind die Arbeiter im Weinberg, die den ganzen Tag Arbeit hatten und die <strong>am</strong><br />

Ende nur genauso viel bekommen wie die, die nur eine Stunde im Weinberg waren - nämlich genug zum<br />

Leben.<br />

Seid ihr neidisch, weil ich so gnädig bin, fragt sie der Herr?<br />

Ja - das waren sie - neidisch - und verärgert über Jesus, der den gnädigen Gott verkündete. Für sie werde Gott<br />

ein Fest feiern als Belohnung für ihr Leben im Dienste Gottes, und nicht für den reuigen Sünder. Natürlich<br />

würden sie vom Herrn <strong>am</strong> Ende mehr bekommen als diejenigen, die nur kurze Zeit im Weinberg des Herrn<br />

arbeiten.


Jesus kritisiert sie scharf. Das ist die Botschaft dieses Gleichnisses, dieses Bildes aus einer anderen Welt, in<br />

der es noch Knechte und Herren gab. Bedankt sich der Herr bei seinem Knecht nach getaner Arbeit? Natürlich<br />

nicht. Wird er ihn an seinen Tisch bitten? Natürlich nicht. Diese Fragen waren d<strong>am</strong>als rein rhetorischer Natur.<br />

Beschrieben wird die für die d<strong>am</strong>alige Zeit übliche Normalität.<br />

Der Skandal kommt <strong>am</strong> Ende: Genauso wird euch Gott auch nicht bevorzugen dafür, dass ihr die Gebote<br />

gehalten habt, dass ihr täglich gebetet habt, dass ihr immer den Gottesdienst besucht habt, dass ihr euch für<br />

die Gemeinde engagiert habt. Erwartet dafür keinen Dank. Im Gegenteil - das war nur selbstverständlich.<br />

Wir schlucken. Unser Engagement für die Kirche ganz selbstverständlich? Ach - nicht nur für die Kirche -<br />

ehren<strong>am</strong>tliches bürgerliches Engagement überhaupt - nur ganz selbstverständlich? Dann können wir uns ja<br />

die Mitarbeiterabende und das Bundesverdienstkreuz sparen.<br />

Wir schlucken und rufen natürlich spontan: Nein. Das ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Wenn jemand<br />

seine freie Zeit für die Allgemeinheit opfert, kann er dafür natürlich Dank und Wertschätzung erwarten.<br />

Schon wieder regt sich Widerspruch - Widerspruch, der gewünscht ist, <strong>von</strong> Jesus provoziert, weil er uns zum<br />

Nachdenken zwingt. Wir werden kritisch hinterfragt, warum wir glauben? Warum wir hier sind? Warum wir tun,<br />

was wir tun?<br />

Ist es persönliche Überzeugung und eine erwachsene Entscheidung - das will ich tun, weil es gut und richtig ist<br />

und weil es getan werden muss - oder ist es das brave Kind in uns, das unser Handeln bestimmt und das<br />

immer nur das tut, <strong>von</strong> dem es meint, das Papa und M<strong>am</strong>a es dafür lieben?<br />

Dieses Kind gibt es immer noch in uns - auch wenn wir schon lange keine Kinder mehr sind. Es ist das Kind,<br />

das geliebt werden will und das alles dafür tut, um diese Liebe zu bekommen. Es ist dieses Kind in uns, das<br />

glaubt, dass wir uns tatsächliche Liebe verdienen, „erkaufen" können.<br />

Es ist dieses Kind, das dich nicht „Nein" sagen lässt, das dich Dinge tun lässt, die du im Grund unseres<br />

Herzens gar nicht tun willst. Es ist dieses Kind in dir, das dich dem Konflikt aus dem Weg gehen lässt, obwohl<br />

ihn durchzustehen dringend geboten wäre.<br />

Und Jesus fragt die Zuhörerinnen und Zuhörer - fragt uns: Was bestimmt dein Handeln und deinen Glauben?<br />

Ist es wirklich die Liebe zu Gott oder geht es euch nur um-euch selbst? Haltet ihr die Gebote aus Überzeugung<br />

<strong>von</strong> deren Richtigkeit oder weil ihr belohnt werden wollt? Oder habt ihr gar Angst vor der Strafe? Das heißt - ihr<br />

tut es gar nicht aus Liebe zu Gott, sondern aus Liebe zu euch selbst? Wollt ihr mit eurem Tun Gott bestechen,<br />

ihn manipulieren? Meint ihr im Ernst, ihr könntet euch auf diese Weise Gottes Liebe erkaufen?<br />

Sie merken, liebe Gemeinde, wo das hinführt. Auch wir werden hinterfragt: Was sind die Motive unseres Tun<br />

und Lassen, unseres Engagements in Kirche und Gesellschaft? Tun<br />

wir es aus Überzeugung? Geht es ums Prestige? Oder hoffen wir im Ernst, das uns irgendjemand dafür mehr<br />

liebt, dass Gott uns dafür mehr liebt?<br />

Sind wir erwachsen und entscheiden in Freiheit oder werden wir getrieben <strong>von</strong> diesem kleinen selbstsüchtigen<br />

Kind, das sich so furchtbar irrt, weil man Liebe sich ja nicht erkaufen kann?<br />

Wenn wir dem Kind in uns nicht den Erwachsenen an die Seite stellen, ist früher oder später die<br />

Unzufriedenheit vorprogr<strong>am</strong>miert. Wir werden enttäuscht werden. Nun engagiere ich mich seit Jahrzehnten für<br />

die Kirchengemeinde und der <strong>Pfarrer</strong> vergisst meinen Geburtstag. Der Partner schätzt nicht Wert, was ich<br />

tagtäglich für ihn tue. Für die Kinder bin ich nur der Dienstbote und die Putzfrau. Keiner dankt es mir. „Undank<br />

ist der Welten lohnt" lautet das dazu passende Sprichwort.<br />

Daran kann man zerbrechen. Das kann einem das Leben vermiesen. Ein halbes Leben lang versuchte Martin<br />

Luther es seinem strengen Vater im Himmel Recht zu machen und wäre daran fast zerbrochen.<br />

Jesus will uns befreien <strong>von</strong> diesem kindlichen unbarmherzigen größenwahnsinnigen Irrtum, wir könnten uns<br />

die Liebe und die Anerkennung erkaufen - die <strong>von</strong> Gott wie die <strong>von</strong> Menschen gleichermaßen. Das ist<br />

erwachsen, liebe Gemeinde, dass wir das erkennen und einsehen.<br />

Nichts anderes ist doch die evangelische Erkenntnis des „allein aus Gnade". Letztlich ist Liebe doch immer<br />

Gnade. Nicht Schminke und nicht Schönheit, nicht Aussehen noch Verhalten können wahre Liebe erwirken.<br />

Und so werden wir <strong>von</strong> dem braven Kind in uns befreit zur evangelischen Freiheit.<br />

Wir versuchen die Gebote zu halten nicht weil wir müssen, sondern weil wir überzeugt sind, dass sie der Weg<br />

sind zu einem friedlichen Zus<strong>am</strong>menleben. Wir besuchen den Gottesdienst nicht, weil wir dazu gezwungen<br />

werden, sondern weil er uns hoffentlich gut tut, weil es Dienst Gottes ist an uns.<br />

Sorry, Konfirmanden, das gilt nicht für euch. Dieses eine Jahr ist eine Ausnahme.<br />

Wer sich in der Kirchengemeinde oder in der Gesellschaft ehren<strong>am</strong>tlich engagiert darf das tun, weil die Arbeit<br />

und die Menschen ihn oder sie erfüllen und nicht weil irgendwann dafür öffentlich gedankt wird.<br />

Aber umso schöner, wenn das dann hoffentlich trotzdem jemand tut.<br />

Nein - und wir erwarten nicht, dass man uns in der Wirtschaft dafür liebt, wenn wir für den freien Sonntag<br />

streiten. Aber wir tun es trotzdem, weil wir da<strong>von</strong> überzeugt sind, dass ein freier Sonntag gut ist für alle.<br />

Natürlich werden der brave Junge und das brave Mädchen in uns immer wieder kommen. Das geht gar nicht<br />

anders und oft ist das auch gut so. Wir sollten es lieb haben - es ist ja nur ein Kind.<br />

Aber genauso wichtig ist es, dass wir uns dann da<strong>von</strong> befreien lassen, wenn es uns tyrannisiert, bedrängt und<br />

bedrückt. Und weil wir das oft nicht hinbekommen, ist es gut, wenn uns jemand anstößt, uns aus der Fassung<br />

bringt - und wenn es Gott ist, ist es in jedem Fall heils<strong>am</strong>. Gut, dass man sich Gottes Wort nicht aussuchen<br />

kann. Amen

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