Ausgabe als PDF herunterladen - Evangelischer Pfarrverein in ...
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2<br />
Mitteilungsblatt des Evangelischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s <strong>in</strong> Baden e.V.<br />
Februar 2013<br />
Seelsorgende brauchen e<strong>in</strong>en Ort,<br />
e<strong>in</strong>en Begegnungsraum,<br />
im dem sie sich selber gut<br />
aufgehoben fühlen,<br />
AUS DEM INHALT:<br />
■ Seelsorge an Seelsorgenden<br />
Pfarrberuf heute und morgen –<br />
Reflexionen zum Amt<br />
B<strong>als</strong>am für die eigene Seele –<br />
Anmerkungen für Seelsorgende<br />
Füße auf weitem Raum –<br />
Erfahrungen mit Pfarrkollegs<br />
■ Aus dem <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong><br />
■ Aus der Pfarrvertretung<br />
■ Rezensionen<br />
<strong>in</strong> dem sie unter dem Siegel<br />
der Verschwiegenheit,<br />
frei von Konkurrenz oder<br />
dienstlicher Kontrolle,<br />
frei auch von möglichen<br />
Ausbildungsanforderungen,<br />
ihre persönlichen,<br />
spirituellen und praxisbezogenen<br />
Fragen und Probleme zur Sprache<br />
br<strong>in</strong>gen können.<br />
Michael Klessmann
Editorial<br />
Liebe Leser<strong>in</strong>, lieber Leser!<br />
B<strong>als</strong>am für die Theologenseele – bezeich -<br />
nenderweise brauche ich e<strong>in</strong> bisschen<br />
länger, um zu überlegen, was das se<strong>in</strong><br />
könnte. Man müsste ja auch die Seele <strong>als</strong><br />
wund ansehen, sich dann seelenruhig h<strong>in</strong>legen,<br />
sich berühren und mit wohltuendem<br />
B<strong>als</strong>am e<strong>in</strong>reiben lassen. Fast zu <strong>in</strong>tim.<br />
Unsere Berufsseele ist der Geme<strong>in</strong>de,<br />
welcher auch immer, oft sehr ausgesetzt:<br />
Permanenter Outputdrang, Dauerkommunikation,<br />
manchmal persönlicher<br />
Ich-Striptease. Die aktuelle <strong>Ausgabe</strong> des<br />
Badischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblattes, die Sie<br />
jetzt <strong>in</strong> den Händen halten, möchte diesen<br />
Horizont e<strong>in</strong>er Seelsorge an Seelsorgenden<br />
etwas aufreißen, Sie zum Lesen und<br />
Nachdenken br<strong>in</strong>gen, wie Sie <strong>als</strong> Pfarrer<strong>in</strong><br />
und Pfarrer an Ihrer Berufsseele genährt<br />
und gepflegt werden, sei es durch<br />
Gew<strong>in</strong>n br<strong>in</strong>gende Fortbildungen, durch<br />
<strong>in</strong>stitutionelle Seelsorge, durch geistliche<br />
Begleitung oder durch Beratung <strong>in</strong> Supervision<br />
oder Coach<strong>in</strong>g. Dazu können Sie<br />
fünf Artikel lesen.<br />
Daneben wird die Diskussion um Toleranz,<br />
die uns <strong>als</strong> EKD-Jahresthema fortwährend<br />
begleiten darf, durch e<strong>in</strong>en Beitrag<br />
unseres kirchlichen Beauftragten im<br />
Landtag zum Thema Beschneidung fortgeführt.<br />
E<strong>in</strong> ehrender Nachruf sowie ei -<br />
nige Rezensionen, die Sie zur freien Lektüre<br />
verführen wollen, beschließen diese<br />
<strong>Ausgabe</strong> des <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblattes.<br />
Vielleicht ist ja dieses Heft <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong><br />
kle<strong>in</strong> wenig B<strong>als</strong>am für Ihre Theologenseele.<br />
Dass Sie dafür B<strong>als</strong>am f<strong>in</strong>den und<br />
auch geschenkt bekommen, das wünschen<br />
wir Ihnen. Verheißen ist es uns für die<br />
Post-Epiphaniaszeit: Die Geschenke der<br />
wieder schon fast vergessenen „heiligen<br />
drei Könige“ gelten auch uns, wenn wir<br />
uns zu Jesus stellen. Und – was ich zugegeben<br />
noch gar nicht wusste – Myrrhe<br />
gehört zu den B<strong>als</strong>amen. Wie gut und<br />
wohltuend!<br />
Für das Tandem <strong>in</strong> der Schriftleitung<br />
Ihr<br />
H<strong>in</strong>weis auf die<br />
übernächste <strong>Ausgabe</strong><br />
Die übernächste <strong>Ausgabe</strong> 5/2013<br />
widmet sich dem Thema<br />
„Kirche und Geme<strong>in</strong>de leiten“.<br />
Bitte senden Sie Ihre Beiträge,<br />
am besten <strong>als</strong> Word-Datei,<br />
bis spätestens zum<br />
8. April 2013<br />
an die Schriftleitung.<br />
Die kommende <strong>Ausgabe</strong><br />
(Doppelnummer) 3–4 / 2013<br />
zum Thema „Kirche und Recht“<br />
bef<strong>in</strong>det sich bereits <strong>in</strong> Vorbereitung.<br />
42 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Thema<br />
Mit se<strong>in</strong>en pastoraltheologischen Über -<br />
legungen zum Pfarrberuf br<strong>in</strong>gt Christian<br />
Grethle<strong>in</strong>, Professor für Praktische<br />
Theologie und Religionspädagogik an<br />
der Universität Münster, die strukturellen<br />
Veränderungen im evangelischen<br />
Pfarrberuf mit der Frage nach se<strong>in</strong>er<br />
zukünftigen <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung<br />
<strong>in</strong>s Gespräch – nicht ohne ihn zuvor<br />
geschichtlich betrachtet, gegenwärtige<br />
He raus forderungen <strong>in</strong> Gesellschaft und<br />
Kirche benannt und gegenwärtige Positionsbestimmungen<br />
diskutiert zu haben.<br />
Se<strong>in</strong> Fazit: Der Pfarrberuf ist wesentlich<br />
e<strong>in</strong> kommunikativer Beruf.<br />
Daraus zieht der Autor Schlussfolgerungen<br />
für die pastorale Aus-, Fortund<br />
Weiterbildung.<br />
Pfarrerse<strong>in</strong> heute und morgen –<br />
Herausforderungen für die<br />
Fort- und Weiterbildung<br />
Der evangelische Pfarrberuf und die Institution<br />
des Pastoralkollegs haben e<strong>in</strong>es<br />
geme<strong>in</strong>sam: sie s<strong>in</strong>d beide – soziologisch<br />
gesehen – Erfolgsmodelle. Die Reformation<br />
kreierte e<strong>in</strong>en neuen Beruf, der heute<br />
<strong>in</strong> hohem Ansehen steht, was sich die Reformatoren<br />
wohl nicht e<strong>in</strong>mal hätten träumen<br />
lassen. Seit Jahren rangiert der<br />
„Pfarrer“ auf der Berufsprestige-Liste des<br />
Allensbacher Instituts für Demoskopie –<br />
h<strong>in</strong>ter dem Arzt – auf Platz 2. 1 Und <strong>als</strong> Georg<br />
Merz im Oktober 1945 erstm<strong>als</strong> Pfarrer<br />
zu e<strong>in</strong>em Pastoralkolleg <strong>in</strong> Neuendettelsau<br />
zusammenrief, war ke<strong>in</strong>eswegs<br />
klar, dass sich dieses <strong>in</strong> kurzer Zeit zu e<strong>in</strong>er<br />
nicht nur <strong>in</strong> Deutschland weit verbreiteten<br />
kirchlichen E<strong>in</strong>richtung entwickeln<br />
würde. Also: zwei unerwartete Erfolgsgeschichten.<br />
Blickt man näher auf die Erfolgsgeschichten<br />
von Pfarrberuf und Pastoralkolleg<br />
so treten zwei ihnen geme<strong>in</strong>same<br />
Eigenschaften zu Tage:<br />
Beide s<strong>in</strong>d offenkundig e<strong>in</strong>em steten Wandel<br />
unterworfen. Der Prediger des 16. Jahr -<br />
hunderts, der mehr schlecht <strong>als</strong> recht<br />
durch Ackerbau und Viehzucht se<strong>in</strong>en Lebensunterhalt<br />
verdiente und gerade des<br />
Lesens kundig am Sonntag <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Dorf die Liturgie leitete und predigte, hat<br />
nur wenig mit e<strong>in</strong>er heutigen Pfarrer<strong>in</strong> zu<br />
tun, die <strong>in</strong> der Regel über zwanzig Jahre<br />
Ausbildung h<strong>in</strong>ter sich hat und mit e<strong>in</strong>em<br />
dem höheren Dienst entsprechenden Gehalt<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großstädtischen Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />
arbeitet. Und auch die am Ideal der<br />
vita communis orientierte Geme<strong>in</strong>schaft<br />
der eben erst aus dem Krieg Heimgekehrten<br />
hat wohl wenig mehr <strong>als</strong> den Namen<br />
„Pastoralkolleg“ geme<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em<br />
heutigen liturgischen Zertifikatskurs. Pfarr -<br />
beruf und Pastoralkolleg haben sich demnach<br />
verändert, entsprechend dem Wandel<br />
im gesellschaftlichen und kulturellen<br />
Kontext. Zugleich stellt sich die Frage, ob<br />
dies h<strong>in</strong>reichend geschah.<br />
Denn – und dies ist die zweite Geme<strong>in</strong>samkeit<br />
– Erfolgsmodelle bekommen<br />
häufig im Lauf der Zeit e<strong>in</strong> Problem (wir<br />
können das gegenwärtig gut an Teilen der<br />
Automobil-Industrie studieren): sie haben<br />
e<strong>in</strong>e Tendenz, sich zu verselbstständigen<br />
und im schlimmsten Fall den Kontakt zu<br />
ihrer Umwelt zu verlieren. Probleme <strong>in</strong> der<br />
Ressourcen-Beschaffung weisen hierauf<br />
unübersehbar h<strong>in</strong>. Und tatsächlich be-<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
43
gegnen h<strong>in</strong>sichtlich der Pfarrer/<strong>in</strong>nen und<br />
der Pastoralkollegs Probleme bei der F<strong>in</strong>anzierung.<br />
Die heute feierlich begangene Neustrukturierung<br />
der pastoralen Fort- und Weiterbildung<br />
<strong>in</strong> vier deutschen evangelischen Kirchen<br />
kann so <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Schritt verstanden<br />
werden, das Erfolgsmodell Pastoralkolleg<br />
unter veränderten Umständen weiterzuführen,<br />
<strong>als</strong>o es kontextuell zu transformieren,<br />
und damit auch dem Erfolgsmodell<br />
Pfarrberuf neue Impulse zu geben. Bei e<strong>in</strong>er<br />
solchen Veränderung ist es gut, jenseits<br />
des Tagesgeschäfts e<strong>in</strong>mal zu e<strong>in</strong>er<br />
grundsätzlichen Reflexion <strong>in</strong>nezuhalten.<br />
Die folgenden pastoraltheologischen Über -<br />
legungen sollen e<strong>in</strong> Beitrag dazu se<strong>in</strong>, die<br />
wohl aus f<strong>in</strong>anziellen Gründen notwendige<br />
Strukturveränderung mit der Frage nach<br />
der <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung zu verb<strong>in</strong>den.<br />
Dazu will ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt den<br />
evangelischen Pfarrberuf <strong>in</strong> historischer<br />
und theologischer Tiefenschärfe genauer<br />
konturieren. In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt benenne<br />
ich e<strong>in</strong>ige gegenwärtige gesellschaftliche<br />
und kirchentheoretische Herausforderungen<br />
für diesen Beruf. Drittens<br />
diskutiere ich kurz zwei wichtige pastoraltheologische<br />
Vorschläge zu e<strong>in</strong>er Bestimmung<br />
des Pfarrberufs. Demgegenüber<br />
versuche ich dann den Pfarrberuf <strong>als</strong> e<strong>in</strong>en<br />
theologischen und damit wesentlich<br />
kommunikativen Beruf zu profilieren. Das<br />
hat auch – fünftens – für die pastorale<br />
Aus-, Fort- und Weiterbildung Bedeutung.<br />
1. Geschichtlicher H<strong>in</strong>tergrund<br />
In drei Perspektiven, e<strong>in</strong>er literarischen, e<strong>in</strong>er<br />
theologischen und e<strong>in</strong>er rollentheore -<br />
ti schen, will ich e<strong>in</strong>e geschichtliche Grun -<br />
dierung me<strong>in</strong>er Überlegungen versuchen,<br />
um wichtige Probleme <strong>in</strong> der pastoralen<br />
Praxis schärfer erfassen zu können. Dabei<br />
liegt der normative Schwerpunkt bei der<br />
Er<strong>in</strong>nerung an reformatorische E<strong>in</strong>sichten.<br />
1.1 Literarische Perspektive<br />
Der Beruf des evangelischen Pfarrers ist<br />
fast fünfhundert Jahre alt. Da er noch dazu<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle bei der Entwicklung<br />
moderner Berufsauffassung überhaupt<br />
spielte, 2 muss vermutet werden, dass sich<br />
gewisse Vorstellungen von ihm <strong>in</strong>s kulturelle<br />
Gedächtnis e<strong>in</strong>geschrieben haben.<br />
E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>schlägige Literatur kann<br />
hier aufklärend helfen.<br />
Wohl die nachhaltigste Wirkung hatten die<br />
drei unter dem Namen „Luise“ erschienenen<br />
„Idyllen vom redlichen Pfarrer von<br />
Grünau und se<strong>in</strong>er Tochter ‚Luise‘“, die<br />
der durch se<strong>in</strong>e Homer-Übersetzung bekannt<br />
gewordene Johann He<strong>in</strong>rich Voß<br />
1795 verfasst hatte: „das Bild e<strong>in</strong>er zärtlich<br />
übere<strong>in</strong>stimmenden Kle<strong>in</strong>familie im<br />
heiter Schönen e<strong>in</strong>er friedvoll-fruchtbaren<br />
Ländlichkeit, <strong>in</strong> gesicherter Position zwischen<br />
dem Schloß der adligen Patron<strong>in</strong><br />
und den dörflichen Knechten und Mägden,<br />
<strong>in</strong> sittsamer Moral und lebensfroher Wirklichkeit,<br />
die auch auf städtischen Luxus<br />
nicht asketisch zu verzichten braucht.“ 3 In<br />
der Tat: „Die ‚Luise‘ von J. H. Voß gehörte<br />
bis <strong>in</strong> das 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zum<br />
Schulkanon der bürgerlichen Bildung.“ 4<br />
Voß, selbst <strong>in</strong> bedrückten Verhältnissen<br />
lebend, malte hier e<strong>in</strong>e Idylle des Pfarrerse<strong>in</strong>s,<br />
die zugleich erhebliche Ansprüche<br />
an diesen Beruf impliziert. Er formte „…<br />
44 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
e<strong>in</strong> bürgerliches Wunschbild, e<strong>in</strong>e bürgerliche<br />
Utopie des e<strong>in</strong>fach-natürlichen und<br />
glücklichen Lebens, e<strong>in</strong> Kunstprodukt,<br />
aus dem die Sehnsucht, nicht die erfahrene<br />
Wirklichkeit sprach.“ 5<br />
Zwar folgten durchaus realistischere literarische<br />
Darstellungen. Doch selbst „Der<br />
Hungerpastor“ von Wilhelm Raabe (1864)<br />
schlägt letztlich e<strong>in</strong>en hohen Ton an, <strong>in</strong>dem<br />
er <strong>in</strong> dem Kandidaten bzw. späteren<br />
Grunzenower Pfarrer Hans Unwirsch das<br />
Ideal „brüderlich-schwesterlicher Christlichkeit“<br />
6 verherrlicht.<br />
Insgesamt begegnet <strong>in</strong> der Literatur – jeweils<br />
durch Schullektüre über Generationen<br />
nachdrücklich vermittelt – e<strong>in</strong> sehr attraktives<br />
Bild des evangelischen Pfarrberufs.<br />
Es handelt sich demnach bei Pfarrern<br />
um gebildete und auch bei Widerständen<br />
honorige Menschen, die <strong>in</strong> der<br />
pastoralen Aufgabe ihre Erfüllung f<strong>in</strong>den<br />
(bzw. fanden). Dazu kommt das Motiv des<br />
idyllischen Pfarrhauses <strong>als</strong> e<strong>in</strong>er ganzheitlichen<br />
Lebensform jenseits moderner<br />
Differenzierungen (und Irrungen).<br />
Allerd<strong>in</strong>gs war dies weitgehend e<strong>in</strong>e ideale<br />
Konstruktion, mit wenig Anhalt an der<br />
Wirklichkeit. Bis <strong>in</strong>s 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
lebten vor allem Landpfarrer mit ihren<br />
Familien häufig am Rand des Existenzm<strong>in</strong>imums<br />
und mussten die meiste Zeit deshalb<br />
landwirtschaftlich arbeiten. Gebildete<br />
Beschaulichkeit war ihnen fremd.<br />
Könnte es se<strong>in</strong>, dass h<strong>in</strong>ter manchen Berufsenttäuschungen<br />
heutiger Pfarrer (und<br />
Pfarrer<strong>in</strong>nen) die skizzierte literarische<br />
Konstruktion e<strong>in</strong>er Idylle freier bürgerlicher<br />
Existenz steht? Noch <strong>in</strong> dem jüngst<br />
erschienenen Buch „Der Himmel ist ke<strong>in</strong><br />
Ort“ von Dieter Wellersdorf (2009) hat die<br />
Titelfigur, e<strong>in</strong> junger Pfarrer, zwar Schwierigkeiten<br />
mit dem Glauben und den Frauen,<br />
kann diesen Problemen aber ausgiebig<br />
nachgehen – Term<strong>in</strong>druck o. ä. kennt<br />
er nicht.<br />
Demgegenüber resümiert Wolfgang Marhold<br />
aus soziologischer Sicht wohl zu<br />
Recht: „Alles <strong>in</strong> allem betrachtet gibt es <strong>in</strong>des<br />
ke<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> der circa vierhunderttundfünfzigjährigen<br />
Geschichte des evangelischen<br />
Pfarrers …, <strong>in</strong> der se<strong>in</strong>e soziale<br />
Stellung <strong>in</strong>nerhalb der Gesellschaft <strong>in</strong>sgesamt<br />
so positiv e<strong>in</strong>geschätzt und so allgeme<strong>in</strong><br />
akzeptiert wurde wie <strong>in</strong> der unsrigen.“ 7<br />
1.2 Theologische Perspektive<br />
Der evangelische Pfarrberuf verdankt sich<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em konzeptionellen Profil dem reformatorischen<br />
Aufbruch. Von daher fehlt<br />
ihm e<strong>in</strong>e ontologische Begründung – wie<br />
etwa die durch das Weihe-Sakrament beim<br />
römisch-katholischen Priester. Streng genommen<br />
ist der Pfarrberuf <strong>in</strong> der evangelischen<br />
Kirche re<strong>in</strong> funktional bestimmt.<br />
So heißt es <strong>in</strong> Art V der Confessio Augus -<br />
tana knapp und präzise: „Ut hanc fidem<br />
consequamur, <strong>in</strong>stitutum est m<strong>in</strong>isterium<br />
docendi evangelii et porrigendi sacramen -<br />
ta.“ Der Pfarrberuf, für den dann <strong>in</strong> Art. XIV<br />
noch der ordentliche Ruf („rite vocatus“)<br />
vorgeschrieben wird, hat <strong>als</strong>o nur der Lehre<br />
des Evangeliums und der Feier der Sakramente<br />
und damit der Förderung des<br />
Glaubens zu dienen. Alles andere, was<br />
dann im Laufe der Zeit noch <strong>als</strong> Dienstauf -<br />
gaben h<strong>in</strong>zukam – übrigens e<strong>in</strong>schließ -<br />
lich der Seelsorge (<strong>in</strong> unserem heutigen<br />
Verständnis) 8 – ist sekundär. Von daher<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
45
esteht <strong>als</strong>o für die konkrete Ausgestaltung<br />
des Pfarrberufs – theologisch gesehen<br />
jedenfalls – große Freiheit.<br />
Dazu tritt noch e<strong>in</strong>e weitere reformatorische<br />
E<strong>in</strong>sicht, die immer wieder zu Proble -<br />
men im Bereich der genauen Bestimmung<br />
des Pfarrberufs <strong>in</strong> den evangelischen Kirchen<br />
führte. Entgegen der wesenhaften<br />
Differenz zwischen Klerikern und Laien<br />
bei den Altgläubigen entdeckten die Reformatoren<br />
<strong>in</strong> der Bibel die Auffassung<br />
vom allgeme<strong>in</strong>en Priestertum aller Getauften<br />
(1. Petr. 2,9). Demnach bedürfen<br />
die Getauften außer Jesus Christus ke<strong>in</strong>er<br />
heilsvermittelnden Instanz. Vielmehr s<strong>in</strong>d<br />
sie selbst gehalten, <strong>als</strong> „Priester“ zu fungieren,<br />
<strong>als</strong>o das Evangelium zu kommuni -<br />
zieren. Von daher verändert sich das Verhältnis<br />
zwischen dem pastoralen Beruf und<br />
den übrigen Geme<strong>in</strong>degliedern grund le -<br />
gend. Es gibt ke<strong>in</strong>e Über- bzw. Unterordnung<br />
mehr. Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht besteht<br />
nach reformatorischer Auffassung e<strong>in</strong>e<br />
Besonderheit des pastoralen Berufs, und<br />
zwar <strong>in</strong> der „Öffentlichkeit“ der Evangeliumskommunikation.<br />
Die „öffentliche Lehre“ und die sog. Sakramentsverwaltung<br />
<strong>als</strong> „öffentlicher“ Vollzug<br />
s<strong>in</strong>d den rechtmäßig Berufenen, <strong>in</strong><br />
der Regel eben den Pfarrer/<strong>in</strong>nen, vorbehalten.<br />
Dabei ist aber noch zu beachten,<br />
dass „publice“ unter den Bed<strong>in</strong>gungen des<br />
16. Jahrhunderts ke<strong>in</strong>eswegs vor allem<br />
die weite Verbreitung im Blick hatte, wie<br />
dies <strong>in</strong> der heutigen Mediengesellschaft<br />
üblich ist. Vielmehr ist „publice“ hier qualitativ<br />
bestimmt (so Luther bereits 1520 <strong>in</strong><br />
„De captivitate babylonica“: WA 6,566). Es<br />
geht darum, dass durch die Tätigkeit der<br />
Pfarrer verlässlich das kommuniziert wird,<br />
was E<strong>in</strong>sicht der kirchlichen Geme<strong>in</strong>schaft<br />
ist. 9 Dabei war e<strong>in</strong> Bildungsgefälle<br />
zwischen Pfarrern und den anderen Geme<strong>in</strong>degliedern<br />
vorausgesetzt, das unter<br />
den Bed<strong>in</strong>gungen des Anstiegs formaler<br />
Bildung <strong>in</strong> der Gegenwart neue grundsätzliche<br />
Fragen aufwirft. 10<br />
Auf jeden Fall setzt die skizzierte Profilierung<br />
des Pfarrberufs zugleich e<strong>in</strong>en engen<br />
Zusammenhang mit den Menschen voraus,<br />
die eben diese Geme<strong>in</strong>schaft bilden,<br />
für die der Pfarrer spricht und handelt.<br />
Diese Interdependenz zwischen Pfarrer<br />
und Geme<strong>in</strong>de ist lange Zeit <strong>in</strong> der Pastoraltheologie<br />
übergangen bzw. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
autoritären Theorie des Amtes still gestellt<br />
worden, obgleich die Aufgabe der Seelsorge<br />
zunehmend an Bedeutung auch für<br />
das pastorale Selbstverständnis gewann.<br />
Erst kommunikationstheoretische Überlegungen<br />
führten zur Entdeckung dieses<br />
wichtigen Zusammenhanges. 11<br />
1.3 Rollentheoretische Perspektive<br />
Die beiden genannten Perspektiven weisen<br />
bei genauerem Verfolgen auf wichtige<br />
Voraussetzungen für die Pluriformität <strong>in</strong><br />
der tatsächlichen Ausgestaltung der pastoralen<br />
Rolle h<strong>in</strong>. Die Beschränkung der<br />
theologischen Bestimmung auf die Funktionalität<br />
h<strong>in</strong>sichtlich öffentlicher Lehre<br />
und Sakramentsfeier eröffnet e<strong>in</strong>en breiten<br />
Raum pluriformer Rollen-Entwürfe. Etwas<br />
spöttisch, aber <strong>in</strong> der Tendenz zutreffend<br />
weist Volker Drehsen auf den modischen<br />
Charakter der diesen Freiraum füllenden<br />
pastoralen Leitbilder: „Der gebil-<br />
46 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
dete Volkserzieher <strong>in</strong> der Aufklärung, der<br />
vollmächtige Seelsorger im Pietismus, der<br />
patriotische Prediger der Erweckungsbewegung,<br />
der soziologische Geme<strong>in</strong>depädagoge<br />
im Kulturprotestantismus, der theologische<br />
‚Fachmann‘ und Wort-Gottes-<br />
Prediger <strong>in</strong> der Dialektischen Theologie,<br />
der völkische Kirchenführer der ‚Deutschen<br />
Christen‘, der restaurative Frömmigkeits<strong>in</strong>tegrator<br />
oder kirchlich <strong>in</strong>novative<br />
Akademie-Kämpfer der unmittelbaren<br />
Nachkriegszeit, der demokratische Teamleiter<br />
aus der sozialliberalen Ära der siebziger<br />
Jahre, der engagierte Sprecher<br />
ethisch orientierter Bürger<strong>in</strong>itiativen und<br />
sozialer Bewegungen der achtziger Jahre<br />
und – wie man schließlich für die neunziger<br />
Jahre h<strong>in</strong>zufügen könnte: – der betroffenheitskultische<br />
Seelsorger und mystagogische<br />
Protagonist unterschiedlichs -<br />
ter Spiritualitätsformen im Protestantis -<br />
mus.“ 12<br />
Dah<strong>in</strong>ter kann man negativ e<strong>in</strong>e Anpassung<br />
an den sog. Zeitgeist sehen – und etwa<br />
bei der Bewegung der sog. Deutschen<br />
Christen war die Konsequenz fatal –, aber<br />
auch freundlicher im E<strong>in</strong>zelnen durchaus<br />
gelungene Formen der Inkulturation der<br />
Evangeliumskommunikation entdecken.<br />
Man könnte diesen Befund auch darauf<br />
h<strong>in</strong> deuten, dass es sich beim Pfarrberuf –<br />
jedenfalls lange Zeit – ebenso um e<strong>in</strong>e<br />
Lebensform wie e<strong>in</strong>en Beruf handelte 13<br />
und deshalb die jeweilige Kultur notwendig<br />
<strong>in</strong> die Berufspraxis e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g. 14<br />
Löst man sich noch e<strong>in</strong>mal kurz von der<br />
eben behandelten Ebene der Rollen-Entwürfe<br />
und wendet sich den tatsächlichen,<br />
rechtlich vorgegebenen Aufgaben der Pfar -<br />
rer zu, so kann man noch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante<br />
Beobachtung machen. Neben den<br />
gleichsam iure div<strong>in</strong>o gegebenen Aufgaben,<br />
die <strong>in</strong> CA V genannt s<strong>in</strong>d, traten stets<br />
iure humano gegebene Aufgaben h<strong>in</strong>zu –<br />
und damit kommen die übrigen Geme<strong>in</strong>deglieder<br />
noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Blick:<br />
Lange Zeit gehörten zum Pfarrberuf<br />
selbstverständlich standesamtliche<br />
Funk tionen, erst beendet durch die Personenstandsgesetzgebung<br />
unter Bismarck.<br />
Über Jahrhunderte oblag den Pfarrern<br />
die Schulaufsicht, meist ergänzt durch<br />
eigene Unterrichtstätigkeit; erst die<br />
strikte Verstaatlichung des Schul we sens<br />
<strong>in</strong> der Weimarer Reichsver fassung begrenzte<br />
diese Aufgabe.<br />
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />
rückte dann das sog. Geme<strong>in</strong>deleben <strong>in</strong><br />
den Vordergrund; der Pfarrer wurde<br />
gleichsam zum Vere<strong>in</strong>svorsitzenden, mit<br />
den vielfältigen hierzu gehörigen Auf -<br />
gaben.<br />
In den letzten Jahrzehnten nehmen die<br />
Aufgaben <strong>in</strong> der <strong>in</strong>nerkirchlichen Verwaltung<br />
zu.<br />
schließlich formuliert das EKD-Impuls-<br />
Papier „Kirche der Freiheit“ klar die erwachsenenbildnerische<br />
Aufgabe der<br />
Be gleitung von Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen. 15 Betrachtet<br />
man die Arbeitspläne von heutigen<br />
Pfarrer/<strong>in</strong>nen im Geme<strong>in</strong>dedienst 16<br />
erkennt man schnell, dass <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren sich die Aufgaben iure humano<br />
addierten und die iure div<strong>in</strong>o, vielleicht<br />
besonders deutlich im Bereich der Kasualien,<br />
anspruchsvoller, weil nicht mehr<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
47
selbstverständlich agierbar wurden. Dass<br />
solcher Wandel das Zeitbudget vieler<br />
Pfarrer/<strong>in</strong>nen belastet und teilweise<br />
überfordert, ist e<strong>in</strong> Problem, das <strong>in</strong>dividuell<br />
nicht zu lösen ist, sondern struktureller<br />
Veränderungen bedarf. E<strong>in</strong> Indiz<br />
für e<strong>in</strong>en Reformbedarf an dieser Stelle<br />
ist die von Herbert L<strong>in</strong>dner diagnostizierte<br />
Flucht vor dem Geme<strong>in</strong>depfarramt<br />
<strong>in</strong> Funktionspfarrstellen. 17<br />
2. Gegenwärtige Herausforderungen<br />
Mit dem kurzen H<strong>in</strong>weis auf mögliche<br />
Überforderungen der Pfarrer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d<br />
wir endgültig <strong>in</strong> der Gegenwart angekommen.<br />
Ich will hier nur auf drei Problembereiche<br />
aufmerksam machen, die vermutlich<br />
zukünftig noch an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen<br />
dürften.<br />
2.1 Pfarrerse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />
Dienstleistungsgesellschaft<br />
Formal bestimmt gehört die pastorale Tätigkeit<br />
<strong>in</strong> den Bereich der sog. Dienstleistungen.<br />
Dieser Bereich ist <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren erheblichen Veränderungen unterworfen.<br />
Sie können exemplarisch an e<strong>in</strong>em<br />
Gewerbe verdeutlicht werden, mit dem<br />
Geme<strong>in</strong>depfarrer/<strong>in</strong>nen häufig zu tun haben<br />
und das zunehmend <strong>als</strong> Konkurrenz<br />
wahrgenommen wird: dem Bestattungsgewerbe.<br />
Ursprünglich e<strong>in</strong> Seitenzweig<br />
der Schre<strong>in</strong>erei (eben des Sargbaus) hat<br />
sich hier e<strong>in</strong>e eigene Form der Dienstleistung<br />
entwickelt, an der gut e<strong>in</strong>ige Tendenzen<br />
des Dienstleistungsbereichs im Allgeme<strong>in</strong>en<br />
abgelesen werden können:<br />
Das Bestattungsgewerbe hat sich <strong>in</strong><br />
hohem Maß professionalisiert, bis h<strong>in</strong><br />
zu e<strong>in</strong>em entsprechenden Ausbildungsberuf.<br />
Es bietet e<strong>in</strong>en umfassenden Service<br />
im Umfeld e<strong>in</strong>es Todesfalles an. Dazu<br />
gehören auch psychologische Betreuung<br />
und teilweise lang dauernde Nachsorge.<br />
Standard ist die Erreichbarkeit e<strong>in</strong>es<br />
Bestattungsunternehmers rund um die<br />
Uhr.<br />
Schließlich kommen die Bestatter <strong>in</strong> hohem<br />
Maß den Wünschen und Bedürfnissen<br />
ihrer Kunden nach.<br />
Beispielhaft kann dies am ersten privaten<br />
Friedhof von Fritz Roth <strong>in</strong> Bergisch Gladbach<br />
studiert werden. 18 E<strong>in</strong> Haus mit jederzeit<br />
zugänglichen Abschiedsräumen,<br />
ständig präsentem Personal, großzügigem<br />
Waldgrundstück, e<strong>in</strong>em eigenen<br />
Haus für trauernde K<strong>in</strong>der und e<strong>in</strong>er sog.<br />
Schrei-Hütte, <strong>in</strong> der Trauernde ihren Gefühlen<br />
auch akustisch freien Lauf lassen<br />
können, gehören hier ebenso dazu wie<br />
das Angebot, e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Sarg zu<br />
bauen, Trauergruppen zu besuchen oder<br />
e<strong>in</strong>fach nur im Trauerwald zu verweilen.<br />
Insgesamt zeigt sich e<strong>in</strong>e ausgeprägte<br />
Orientierung an den Bedürfnissen der<br />
Kunden. Das klare Ziel ist, jedem H<strong>in</strong>terbliebenen<br />
zu dem ihm gemäßen Trauerprozess<br />
zu verhelfen. Dazu kann die Mithilfe<br />
e<strong>in</strong>es Pfarrers/e<strong>in</strong>er Pfarrer<strong>in</strong> gehören<br />
– oder eben nicht.<br />
Zusammengefasst: Ständige Erreichbarkeit<br />
und klare Orientierung an den Wünschen<br />
und Bedürfnissen der Menschen<br />
s<strong>in</strong>d wichtige Merkmale heutiger Dienstleistungsgesellschaft.<br />
48 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Das Aufkommen des Bestattungsgewerbes<br />
kann pastoraltheologisch auch <strong>als</strong><br />
Ausdruck dafür gelesen werden, dass –<br />
jedenfalls lange Zeit – Kirche dieser allgeme<strong>in</strong><br />
gesellschaftlichen Entwicklung<br />
nicht nachgekommen s<strong>in</strong>d. Es waren nicht<br />
nur E<strong>in</strong>zelfälle, dass Trauernde ke<strong>in</strong>en<br />
Pfarrer erreichten oder sie z. B. mit Musikwünschen<br />
auf Unverständnis bis Ablehnung<br />
stießen (ohne dass ihnen dies<br />
verständlich erklärt wurde).<br />
2.2 Pfarrerse<strong>in</strong> angesichts der<br />
Marg<strong>in</strong>alisierung von Kirche<br />
Das eben gewählte Beispiel der Entwicklung<br />
des Bestattungsgewerbes könnte<br />
auch – jedenfalls teilweise – dazu herangezogen<br />
werden, um e<strong>in</strong>en weiteren gesellschaftlichen<br />
Prozess zu veranschaulichen,<br />
der für den Pfarrberuf von Bedeutung<br />
ist: die Marg<strong>in</strong>alisierung von Kirche.<br />
Zwar wird die kirchliche Bestattung von<br />
den Menschen <strong>in</strong> hohem Maß <strong>in</strong> Anspruch<br />
genommen, 19 doch hat sie ihre Exklusivi -<br />
tät e<strong>in</strong>gebüßt. Es f<strong>in</strong>den mittlerweile auch<br />
Trauerfeiern ohne Pfarrer/<strong>in</strong> statt – und<br />
zwar nicht deshalb, weil e<strong>in</strong>e kirchliche<br />
Bestattung verweigert worden wäre, sondern<br />
weil die Menschen sich für andere<br />
Formen entschieden haben. Kirchliche<br />
Bestattung ist so von e<strong>in</strong>er selbstverständlichen<br />
(und sozial verb<strong>in</strong>dlichen) Zeremonie<br />
zu e<strong>in</strong>er Option neben anderen<br />
geworden, die <strong>in</strong> manchen Gegenden<br />
Deutschlands nur noch von e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheit<br />
nachgefragt wird.<br />
Aber auch sonst s<strong>in</strong>d Marg<strong>in</strong>alisierungsprozesse<br />
unübersehbar. Die Abschaffung<br />
des Buß- und Bettags <strong>als</strong> gesetzlicher<br />
Feiertag, die E<strong>in</strong>führung von LER <strong>in</strong> Brandenburg<br />
und jetzt Ethik <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>als</strong> allgeme<strong>in</strong><br />
verb<strong>in</strong>dliche Unterrichtsfächer an<br />
der öffentlichen Schule – an Stelle e<strong>in</strong>es<br />
konfessionellen Religionsunterrichts – sowie<br />
die seit vierzig Jahren anhaltend hohen<br />
Kirchenaustrittszahlen s<strong>in</strong>d Spitzen<br />
e<strong>in</strong>es Eisbergs.<br />
Dabei ist für unser Thema wichtig, dass<br />
die erwähnte Spitzenposition der Pfarrer/ -<br />
<strong>in</strong>nen bei der Berufs-Prestige-Skala zu<br />
dieser Entwicklung <strong>in</strong> deutlicher Spannung<br />
steht. Offenkundig ist bei vielen Menschen<br />
die Akzeptanz der Pfarrer/<strong>in</strong>nen größer<br />
<strong>als</strong> die der Kirche <strong>als</strong> Institution bzw. Orga -<br />
nisation. Für religiöse Kommunikation spielt<br />
heute weniger deren <strong>in</strong>stitutionelle Verankerung<br />
<strong>als</strong> der persönliche Kontakt e<strong>in</strong>e<br />
Rolle. Zugespitzt formuliert: Stützte früher<br />
das Amt die Person des Pfarrers, hat sich<br />
dieses Verhältnis heute umgekehrt. Das<br />
bedeutet freilich auch, dass nicht goutiertes<br />
Verhalten e<strong>in</strong>es Pfarrers/e<strong>in</strong>er Pfarrer<strong>in</strong><br />
schnell zu grundsätzlicher Kritik an Kirche<br />
oder gar Christentum führt.<br />
Dass aus dieser Konstellation neue Anforderungen<br />
an die Pfarrer/<strong>in</strong>nen resultieren,<br />
liegt auf der Hand.<br />
Doch hat dies noch weiter gehende Konsequenzen.<br />
Von den reformatorischen Ursprüngen<br />
her def<strong>in</strong>iert sich der Pfarrberuf<br />
im Gegenüber zu den anderen Geme<strong>in</strong>degliedern<br />
durch se<strong>in</strong>e Gewähr dafür,<br />
dass er das Evangelium <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />
mit der allgeme<strong>in</strong>en kirchlichen<br />
Lehre kommuniziert. H<strong>in</strong>tergrund dafür<br />
war e<strong>in</strong>e hierarchisch gegliederte Gesellschaftsformation<br />
mit großem formalem<br />
Bildungsgefälle. Das hat sich grundlegend<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
49
verändert. Heute kommt es vielen Menschen<br />
bei religiöser Kommunikation nicht<br />
auf die lehrmäßige Korrektheit an, sondern<br />
auf die persönliche Glaubwürdigkeit<br />
ihres Gegenübers und vor allem die<br />
Brauchbarkeit der Kommunikation für die<br />
Biographiearbeit. Vermutlich bahnt sich<br />
hier e<strong>in</strong>e tief greifende Umstellung des<br />
Verständnisses von Evangelium an: von<br />
der asymmetrisch „verkündigten“ Lehre<br />
zum symmetrisch strukturierten <strong>in</strong>terpersonalen<br />
Kommunikationsprozess. Letztere<br />
Kommunikationsform sche<strong>in</strong>t mehr<br />
dem des Wirkens Jesu zu entsprechen.<br />
Deshalb legt sich pastoraltheologisch nahe,<br />
die gegenwärtige Situation nicht zu<br />
diskreditieren, sondern <strong>in</strong> ihren Chancen<br />
auszuloten.<br />
Auf jeden Fall stellt der skizzierte Wandel<br />
neue Anforderungen an die Pfarrer/<strong>in</strong>nen,<br />
<strong>in</strong>dem er das Verhältnis zu den Geme<strong>in</strong>degliedern<br />
verändert. Kristian Fechtner<br />
hat dies für mich überzeugend am Beispiel<br />
der Kasualie Trauung entwickelt.<br />
Stand hier früher – neben der Kirchenzucht<br />
(!) – das Zelebrieren der vorgesehenen<br />
Agende im Vordergrund – was <strong>in</strong> dialektisch-theologischen<br />
Kreisen überaus<br />
kritisch gesehen wurde –, so geht es heute<br />
nach Fechtner „um liturgische Arbeit mit<br />
Beteiligten“. 20 Der Pfarrer/die Pfarrer<strong>in</strong><br />
weiß nicht besser, wie die Liturgie zu gestalten<br />
ist, sondern er/sie ist e<strong>in</strong>/e mit den<br />
Brautleuten Kooperierende/r auf dem Weg<br />
zu e<strong>in</strong>em dem Kasus entsprechenden Ablauf.<br />
Das setzt nicht nur Wissen um liturgische<br />
Formen und Traditionen voraus,<br />
sondern auch ritualtheoretische und kommunikationstheoretische<br />
Kenntnisse, verbunden<br />
mit e<strong>in</strong>em empathischen Interes-<br />
se an anderen Menschen und deren Biographie.<br />
2.3 Pfarrerse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />
Organisation Kirche<br />
Der zuletzt vorgetragene Gedankengang<br />
führt schließlich zu kirchenorganisato -<br />
rischen Problemen. Sie hängen mit den<br />
exemplarisch skizzierten gesellschaftli -<br />
chen Entwicklungen zusammen.<br />
Evangelische Kirche bemüht sich schon<br />
seit Ende des 19. Jahrhunderts darum,<br />
den veränderten gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
und kulturellen Formationen<br />
durch Reformen der eigenen Arbeit zu<br />
entsprechen. Ab der Mitte des 20. Jahrhundert<br />
bis <strong>in</strong> die achtziger Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
vollzog sich – auf dem H<strong>in</strong>tergrund allgeme<strong>in</strong>er<br />
ökonomischer Prosperität – dies<br />
nicht zuletzt durch die Errichtung neuer<br />
Arbeitsbereiche und Person<strong>als</strong>tellen. Das<br />
war durch großzügige Förderung kirchlicher<br />
Arbeit durch die öffentliche Hand<br />
möglich. Im diakonischen und pädagogischen<br />
Bereich lässt sich teilweise der Zusammenhang<br />
zwischen öffentlicher Förderung<br />
und E<strong>in</strong>richtung kirchlicher Arbeitsfelder<br />
genau nachweisen. Dabei geriet<br />
nicht selten die Frage der Zielstellung<br />
– und damit verbunden der Aufgaben<br />
sowie der Prioritätensetzungen – aus dem<br />
Blick. Die Frage: Warum soll sich Kirche<br />
hier engagieren? trat <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund.<br />
Die aus dieser Entwicklung resultierende,<br />
nicht zuletzt im Bereich der Pfarrstellen<br />
e<strong>in</strong>malige Expansionsphase evangelischer<br />
Kirchen <strong>in</strong> Deutschland 21 führte aber<br />
bald – <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Austritten, ökonomischen<br />
Schwächeperioden, Steuerre-<br />
50 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
formen und zunehmend der demographischen<br />
Entwicklung – zu erheblichen f<strong>in</strong>anziellen<br />
Problemen. Hierauf reagierten<br />
Synoden und Landeskirchenämter <strong>in</strong> vielfältiger<br />
Weise, nicht selten h<strong>in</strong>sichtlich der<br />
Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der Pfarrer/<strong>in</strong>nen:<br />
Es wurden Reduktionen unterschiedlicher<br />
Art im Bereich der Pfarrer-Besoldung<br />
vorgenommen. Isolde Karle hat<br />
professionstheoretisch sogar davor gewarnt,<br />
dass der „package-deal“, <strong>als</strong>o<br />
das Verhältnis von Vergütung und Aufwand<br />
e<strong>in</strong>er Tätigkeit, die Balance verliert.<br />
Dabei ist für sie <strong>in</strong>teressanterweise<br />
der öffentliche Dienst mit se<strong>in</strong>er Besoldung<br />
– immer noch – der Maßstab, nicht<br />
aber etwa die <strong>in</strong> der Regel erheblich<br />
schlechter dotierten und sozial weniger<br />
abgesicherten Beschäftigten bei humanitär,<br />
ökologisch oder anderweitig kulturell<br />
engagierten Organisationen.<br />
Gleichzeitig werden Pfarrstellen reduziert,<br />
durch Stellenstreichungen oder<br />
Reduktionen des Dienstauftrages. Hier<br />
wirft die Zunahme von Teilzeit-Pfarrstellen<br />
ganz eigene Probleme auf. 22 In der<br />
Praxis zeigt sich nämlich, dass die Seelenzahl<br />
e<strong>in</strong>er Kirchengeme<strong>in</strong>de nicht direkt<br />
mit dem pastoralen Arbeitsumfang<br />
korreliert. In Umfragen gaben In ha ber/<br />
<strong>in</strong>nen von Pfarrstellen im Umfang von<br />
50 %-Besoldung e<strong>in</strong>e weit über den dafür<br />
vorgesehenen Stundenumfang h<strong>in</strong>ausgehende<br />
Arbeitszeit an. 23 Da Teilzeit-Stellen<br />
– zum<strong>in</strong>dest EKD-weit –<br />
mehrheitlich von Frauen besetzt s<strong>in</strong>d,<br />
bekommt diese Entwicklung e<strong>in</strong>en problematischen<br />
gender-Aspekt.<br />
Noch gravierender für den Pfarrberuf<br />
dürfte die – im Zuge der F<strong>in</strong>anze<strong>in</strong>sparungen<br />
nicht gestellte – Frage se<strong>in</strong>, ob<br />
und wenn ja, unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
Pfarrer/<strong>in</strong>nen teilzeitbeschäftigt werden<br />
können. Auf jeden Fall s<strong>in</strong>d damit<br />
h<strong>in</strong>sichtlich der Berufstradition, aber<br />
auch der am Beispiel des Bestattungsgewerbes<br />
geschilderten Entwicklung im<br />
Dienstleistungssektor erheb liche Probleme<br />
verbunden. Dass Landeskirchen<br />
sogar generell die Berufsanfänger/<strong>in</strong>nen<br />
auf reduzierten Stellen e<strong>in</strong>setzen,<br />
kann unter der Perspektive der Berufssozialisation<br />
– höflich formuliert – nur<br />
erstaunen. Will man tatsächlich von<br />
vornhere<strong>in</strong> den lange bewährten Zusammenhang<br />
von Beruf und Lebensform<br />
zerstören?<br />
Es sche<strong>in</strong>t mir nicht von der Hand zu weisen,<br />
dass die skizzierten Veränderungen<br />
h<strong>in</strong>sichtlich des Pfarrberufs vor allem<br />
durch die f<strong>in</strong>anziellen Probleme der Kirchen,<br />
nicht aber durch e<strong>in</strong> gründliches<br />
Nachdenken über den Pfarrberuf verursacht<br />
s<strong>in</strong>d. Sie gefährden langfristig die<br />
Qualität pastoraler Arbeit und bedürfen<br />
deshalb kritischer Reflexion und Revision.<br />
Dabei zeigen die vorgetragenen Überlegungen,<br />
dass es bei Fragen des Pfarrberufs<br />
neben e<strong>in</strong>er pastoraltheologischen<br />
auch um e<strong>in</strong>e kirchentheoretische Herausforderung<br />
geht. Konkret s<strong>in</strong>d das Verhältnis<br />
von Pfarrer/<strong>in</strong> – sonstige Geme<strong>in</strong>deglieder<br />
und die grundsätzliche Frage<br />
nach dem Ziel und den daraus resultierenden<br />
Aufgaben von Kirche zu klären.<br />
3. Pastoraltheologische Vorschläge<br />
Die genannten Probleme führen mitten <strong>in</strong><br />
die gegenwärtige pastoraltheologische<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
51
Diskussion. Vor allem zwei Konzepte haben,<br />
soweit ich sehen kann, nicht nur <strong>in</strong><br />
der Praktischen Theologie, sondern auch<br />
unter Pfarrer/<strong>in</strong>nen besonderes Interesse<br />
gefunden. Beide haben erhebliche Auswirkungen<br />
für die Gestaltung der pastoralen<br />
Fort- und Weiterbildung:<br />
3.1 „Anders“-Se<strong>in</strong> und „Führer“-Se<strong>in</strong><br />
<strong>als</strong> Verfehlen der symmetrischen<br />
Kommunikation<br />
Manfred Josuttis ist wahrsche<strong>in</strong>lich der<br />
Praktische Theologe, der sich am <strong>in</strong>tensivsten<br />
mit dem Pfarrberuf <strong>in</strong> immer neuen<br />
Anläufen ause<strong>in</strong>andergesetzt hat. In<br />
e<strong>in</strong>er 1982 vorgelegten Studie formulierte<br />
er griffig: „Der Pfarrer ist anders.“ Konkret<br />
gelang es ihm damit, <strong>in</strong> der Praxis empfundene<br />
Spannungen des Pfarrerse<strong>in</strong>s<br />
auf e<strong>in</strong>e griffige Formel zu br<strong>in</strong>gen und<br />
zugleich die hohe Bedeutung des Pfarrberufs<br />
herauszustellen.<br />
Nach der hier vorgelegten Analyse bestehen<br />
bei diesem Ansatz m<strong>in</strong>destens zwei<br />
Probleme: Die Betonung des Anders-Se<strong>in</strong><br />
impliziert e<strong>in</strong>e „gefährliche Tendenz zur<br />
Anmaßung und Selbstüberschätzung“. 24 In<br />
Josuttis’ weiterem pastoraltheologischen<br />
Werk wird diese Tendenz sogar noch stärker.<br />
1996 heißt es dann: „Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong><br />
führen <strong>in</strong> die Zone des Heiligen, die<br />
immer verborgen war, die aber <strong>in</strong> der modernen<br />
Gesellschaft verboten ist …“ 25<br />
Theologisch ist damit die reformatorische<br />
Erkenntnis verspielt, dass jeder Getaufte<br />
Priester ist; soziologisch empirisch wird<br />
durch die asymmetrische Kommunikationsform<br />
der für religiöse Praxis konstitutive<br />
Biographiebezug beh<strong>in</strong>dert.<br />
3.2 Profession Pfarrer/<strong>in</strong> <strong>als</strong><br />
Verfehlen neuerer Entwicklungen<br />
Isolde Karle ist es – entgegen Josuttis –<br />
durch den Bezugsrahmen soziologischer<br />
Professionstheorie zweifellos gelungen,<br />
den pastoraltheologischen Diskurs und<br />
damit den Pfarr-Beruf aus se<strong>in</strong>er Abseits-<br />
Stellung zu befreien. Viele Probleme der<br />
Pfarrer/<strong>in</strong>nen ersche<strong>in</strong>en diesen nur deshalb<br />
<strong>als</strong> berufstypisch, weil sie andere Berufe<br />
zu wenig kennen. 26 Zugleich wertet<br />
die Professions-Folie den Pfarrberuf auf,<br />
<strong>in</strong>dem sie dessen Besonderheit im Sachthema<br />
hervortreten lässt, und stärkt so<br />
dessen Inhaber/<strong>in</strong>nen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs berücksichtigt Karle zu wenig<br />
die unübersehbaren Tendenzen zur Deprofessionalisierung<br />
bzw. „Professionsbrüche“<br />
27 im Pfarrberuf, die mit dem Marg<strong>in</strong>alisierungsprozess<br />
von Kirche zusammenhängen.<br />
Die meisten Menschen<br />
setzen heute die Institution Kirche nicht –<br />
mehr – mit denen von Gericht oder Krankenhaus<br />
gleich. Während „Krankenhaus“<br />
und „Gericht“ nach wie vor zum „Muss“<br />
gehören, gilt für die Kirche eher e<strong>in</strong><br />
„Kann“. Das wirkt sich auch auf die beruflich<br />
dort Tätigen aus.<br />
Dazu wirft die <strong>in</strong>haltliche Bestimmung der<br />
an sich zu Recht hervorgehobenen „Sachthematik“<br />
pastoralen Handelns durch „die<br />
Verkündigung des Wortes Gottes“ 28 Probleme<br />
auf. Denn sie verdankt sich e<strong>in</strong>em<br />
deduktiv theologischen Ansatz, der unter<br />
bewusster Absehung konkreter Kommunikationsprozesse<br />
entworfen wurde. Von<br />
daher ersche<strong>in</strong>t Karles fulm<strong>in</strong>ant vorgetragene<br />
und wichtige E<strong>in</strong>sichten enthaltende<br />
Analyse <strong>in</strong>sgesamt merkwürdig<br />
52 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
ückwärtsgewandt und nur wenig geeignet,<br />
um Innovationen anzustoßen.<br />
4. Spezifische pastorale Aufgaben<br />
<strong>in</strong> der Gegenwart<br />
Beide kurz skizzierten pastoraltheologischen<br />
Konzepte enthalten wichtige E<strong>in</strong>sichten:<br />
Josuttis weist <strong>in</strong> unterschiedlicher<br />
Term<strong>in</strong>ologie auf die Besonderheit des<br />
Pfarrberufs h<strong>in</strong>. Sie ist <strong>in</strong>haltlich <strong>in</strong> der<br />
Spezifik des Evangeliums begründet, das<br />
stets auch gegenkulturelle Implikationen<br />
enthält. Umgekehrt macht Karle durch<br />
den Rekurs auf die Professionstheorie zu<br />
Recht darauf aufmerksam, dass es sich<br />
beim Pfarrberuf um e<strong>in</strong>en normalen Beruf<br />
handelt. Bei beiden Praktischen Theologen<br />
kommt jedoch die <strong>in</strong> verschiedener<br />
H<strong>in</strong>sicht sich stellende Aufgabe der Kommunikation<br />
mit anderen Menschen <strong>als</strong><br />
grundlegend für den Pfarrberuf zu wenig<br />
<strong>in</strong> den Blick. In der Sprache der reformatorischen<br />
Tradition ausgedrückt s<strong>in</strong>d beide<br />
noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bestimmung von „publice“<br />
im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er asymmetrischen Kommunikation<br />
befangen. Bei Josuttis ist der<br />
Pfarrer der Experte im Bereich des „Heiligen“,<br />
bei Karle h<strong>in</strong>sichtlich der sog. Sachthematik,<br />
die sie „Wort Gottes“ nennt.<br />
Demgegenüber ermöglicht die ursprünglich<br />
aus ökumenischem Kontext stammende,<br />
29 von Ernst Lange aufgegriffene 30 Formel<br />
der „Kommunikation des Evangeliums“<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Weiterführung, um das Geschehen,<br />
auf das die pastorale Tätigkeit<br />
orig<strong>in</strong>är zielt, genauer zu bestimmen. 31<br />
Wie bei jedem Kommunikationsgeschehen<br />
gehören zur „Kommunikation des<br />
Evangeliums“ unterschiedliche Faktoren.<br />
Entgegen dem immer noch <strong>in</strong> der Theologie<br />
weit verbreiteten Sender-Empfänger-<br />
Modell macht der uses-and-gratifications-<br />
Ansatz auf die konstitutive Bedeutung der<br />
Rezeption für Kommunikation aufmerksam.<br />
Menschen verb<strong>in</strong>den mit Kommunikation<br />
bestimmte Erwartungen, erhoffen<br />
sich e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n – „uses and gratifications“<br />
– und partizipieren demgemäß am<br />
kommunikativen Geschehen.<br />
Von hier aus stellt sich Frage nach der<br />
pastoralen Aufgabe <strong>in</strong> neuer Perspektive.<br />
Es geht jetzt nicht um e<strong>in</strong>en vom konkreten<br />
Kommunikationszusammenhang abstrahierten<br />
Auftrag o. ä., sondern ganz<br />
konkret um den spezifischen Beitrag des<br />
Pfarrers/der Pfarrer<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>em Kommunikationsgeschehen,<br />
eben der Kommunikation<br />
des Evangeliums. H<strong>in</strong>sichtlich der<br />
anderen Kommunizierenden br<strong>in</strong>gt der<br />
Pfarrer/die Pfarrer<strong>in</strong> hier nur e<strong>in</strong>e Besonderheit<br />
e<strong>in</strong>, nämlich dass er/sie e<strong>in</strong>e<br />
theologische Ausbildung genossen hat.<br />
Das alle<strong>in</strong> unterscheidet ihn von den Anderen,<br />
sonst nichts!<br />
Die im Theologiestudium erworbenen und<br />
im Vikariat vertieften und erweiterten<br />
Kenntnisse und E<strong>in</strong>sichten befähigen –<br />
dem Anspruch nach – dazu, Themen der<br />
heutigen Lebenswelt und Probleme der<br />
Menschen <strong>in</strong> die Perspektive des Reiches<br />
Gottes zu rücken. Theologie ist dabei von<br />
ihrer kommunikativen Aufgabe her funktional<br />
verstanden und nicht <strong>als</strong> die Repetition<br />
vorliegender Lehrbildung. Nach reformatorischem<br />
Verständnis zielt jedenfalls<br />
Theologie auf die Förderung der<br />
Kommunikation des Evangeliums und<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
53
verliert ohne diese Ausrichtung ihren besonderen<br />
Charakter. 32<br />
Das Ziel des Pfarrberufs ist es demnach,<br />
durch E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen theologischer E<strong>in</strong>sichten<br />
e<strong>in</strong>en Beitrag zur Kommunikation des<br />
Evangeliums zu leisten. Dabei handelt es<br />
sich <strong>als</strong>o um e<strong>in</strong> wechselseitiges, eben<br />
kommunikatives Geschehen. Vermutlich<br />
stellen die Kasualien heute das pastorale<br />
Handlungsfeld dar, bei dem die mit der<br />
Kommunikation des Evangeliums gegenwärtig<br />
verbundenen theologischen Herausforderungen<br />
am deutlichsten hervortreten.<br />
An den hier begangenen Übergängen<br />
im Leben treten viele Menschen <strong>in</strong><br />
Kontakt zur Kirche und öffnen sich so für<br />
die Deutung ihres Lebens durch das<br />
Evangelium. Ebenso bedarf das Kirchenjahr<br />
e<strong>in</strong>er sorgfältigen Gestaltung. Denn<br />
auch hier s<strong>in</strong>d vielfaches Bedürfnis nach<br />
Deutung und konkrete E<strong>in</strong>sichten des<br />
Evangeliums <strong>in</strong> hohem Maß korrelierbar.<br />
Herbert L<strong>in</strong>dner arbeitete präzise die daraus<br />
folgenden Konsequenzen für die Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />
heraus. 33<br />
Es geht <strong>als</strong>o wesentlich darum, <strong>in</strong> bestehende<br />
Kommunikationszusammenhänge<br />
die Perspektive des Reiches Gottes so<br />
e<strong>in</strong>zuzeichnen, dass daraus für die Kommunizierenden<br />
e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n für die eigene<br />
Lebenspraxis deutlich wird. Das „publice“<br />
der Lehre des Evangeliums im 16. Jahrhundert<br />
muss dazu aus e<strong>in</strong>em asymmetrischen<br />
Kommunikationszusammenhang<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en symmetrischen transformiert werden.<br />
Dabei ist nicht mehr der Rückbezug<br />
auf e<strong>in</strong>e statische Lehre, sondern der<br />
Kontakt zur konkreten Biographie der mit<br />
dem Pfarrer/der Pfarrer<strong>in</strong> Kommunizie-<br />
renden entscheidend. In beiden Modellen<br />
gilt jedoch gleichermaßen, dass Evangelium<br />
sowohl die Lehre <strong>als</strong> auch die Biographie<br />
weitet und nicht auf sie reduziert<br />
werden kann.<br />
Aus der Geschichte des Pfarrberufs geht<br />
hervor, dass zu dieser iure div<strong>in</strong>o geltenden<br />
Aufgabenstellung noch jeweils weitere,<br />
jetzt aber nicht konstitutive, sondern<br />
veränderbare Aufgaben h<strong>in</strong>zukommen.<br />
Dabei ist im 20. Jahrhundert e<strong>in</strong>e deut -<br />
liche Tendenz zur Verkirchlichung dieser<br />
zusätzlichen Funktionen zu konstatieren.<br />
Die allgeme<strong>in</strong> öffentlichen Aufgaben <strong>als</strong><br />
Standesbeamter und Lehrer bzw. Schul -<br />
aufseher wurden zu den kirchlichen e<strong>in</strong>es<br />
Vorsitzenden des „Vere<strong>in</strong>s“ Kirchengeme<strong>in</strong>de,<br />
der zunehmend Verwaltungstätigkeiten<br />
auszuführen hat. Hier sche<strong>in</strong>en<br />
mir die Vorschläge des EKD-Impuls-Papiers<br />
weiterführend. Die Betonung der<br />
erwachsenenbildnerischen Aufgabe ist gut<br />
<strong>in</strong> das Konzept „Kommunikation des Evan -<br />
geliums“ <strong>in</strong>tegrierbar. Das pastorale Bemühen<br />
um Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen könnte über<br />
deren Tätigkeit zu e<strong>in</strong>er Weitung der Ausstrahlung<br />
von Kirchengeme<strong>in</strong>den kommen.<br />
5. Konsequenzen für die pastorale<br />
Fort- und Weiterbildung<br />
Die am Beispiel der Kasualien gezeigte,<br />
jeweils grundlegende Verschränkung von<br />
theologischen E<strong>in</strong>sichten und konkreten<br />
Biographien <strong>in</strong> der Perspektive des Reiches<br />
Gottes bedarf theologischer Arbeit.<br />
Und dazu bedürfen die Pfarrer/<strong>in</strong>nen der<br />
Fort- und Weiterbildung.<br />
Um diese genauer zu fassen, ist nach<br />
dem vorher Ausgeführten zu bestimmen,<br />
54 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
wie sich „theologische Arbeit“ vollzieht.<br />
Sie besteht, wie könnte es anders se<strong>in</strong>,<br />
wesentlich aus kommunikativen Vollzügen:<br />
vor allem aus Lesen, Nachdenken,<br />
Meditation, Gebet sowie dem kollegialen<br />
Gespräch. Und dafür bedarf es der Zeit<br />
– und nicht nur dann, wenn zufällig e<strong>in</strong>e<br />
Zeitlücke entsteht. Denn hier handelt es<br />
sich um Tätigkeiten, die für den spezifisch<br />
pastoralen Beitrag zur Kommunikation<br />
des Evangeliums konstitutiv s<strong>in</strong>d und damit<br />
zur pastoralen Tätigkeit iure div<strong>in</strong>o gehören.<br />
Von daher macht die E<strong>in</strong>richtung<br />
von Pastoralkollegs und die Forderung<br />
der regelmäßigen Teilnahme an se<strong>in</strong>en<br />
Angeboten guten S<strong>in</strong>n. Die Arbeit im Pastoralkolleg<br />
hilft, dass die Besonderheit des<br />
Pfarrers/der Pfarrer<strong>in</strong> anderen Menschen<br />
gegenüber gefördert und ausgebaut wird:<br />
nämlich die theologische Bildung.<br />
Diese ist eng mit der Arbeit an der eigenen<br />
Person verbunden. Die von Mart<strong>in</strong> Luther<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vorrede zum 1. Band der Witten -<br />
berger <strong>Ausgabe</strong> se<strong>in</strong>er deutschen Schriften<br />
formulierte Trias „oratio – meditatio –<br />
tentatio“ zur Charakterisierung theologischen<br />
Studiums zeigt, dass dies ke<strong>in</strong>e<br />
neue Erkenntnis ist. Angesichts der Marg<strong>in</strong>alisierung<br />
der Bedeutung von Institutionen<br />
für die E<strong>in</strong>stellung von Menschen<br />
gew<strong>in</strong>nt sie sogar zunehmend an Gewicht.<br />
Diese Arbeit an der eigenen Person<br />
ist erfahrungsgemäß auf das kollegiale<br />
Gespräch angewiesen („colloquium fratrum<br />
mutuum“). Pastorale Fortbildungen<br />
haben hier ihren Ort. Sie können exemplarisch<br />
neue Formen der Arbeit an der<br />
Person eröffnen – Stichwort: Spiritualität –<br />
oder Impulse für bestehende oder zu <strong>in</strong>itiierende<br />
theologische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaf -<br />
ten von Pfarrer/<strong>in</strong>nen geben.<br />
Der hier skizzierte pastorale Beruf bedarf<br />
weiter – wie gezeigt – der Reflexion der<br />
Kommunikation mit anderen nichttheologisch<br />
ausgebildeten Menschen, etwa <strong>in</strong><br />
Form von Supervision. Dabei s<strong>in</strong>d nicht<br />
nur diejenigen geme<strong>in</strong>t, die sich sozial unmittelbar<br />
an der Kirchengeme<strong>in</strong>de beteiligen,<br />
sondern auch die, die den Weg nur<br />
selten <strong>in</strong> die Kirche f<strong>in</strong>den, meist nur im<br />
Zusammenhang mit Kasualien oder aus<br />
jahreszeitlichem Anlass <strong>in</strong> Kontakt zur Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />
treten. Kasual- und Jahreszeitbezug<br />
s<strong>in</strong>d hier nahe liegende, da<br />
bestehende Kontaktpunkte und entsprechend<br />
zu pflegen. Dass zu aktiver Kontaktpflege<br />
gute Erreichbarkeit gehört, geht<br />
aus dem zur modernen Dienstleistungsgesellschaft<br />
Ausgeführten hervor.<br />
Dabei s<strong>in</strong>d aber diese Fortbildungsformen<br />
strikt an der besonderen Kompetenz von<br />
Pfarrer/<strong>in</strong>nen, eben ihrer theologischen<br />
Bildung, auszurichten. Das hat <strong>als</strong> Kehrseite,<br />
dass manche heute üblich gewordenen<br />
Tätigkeiten anderweitig, <strong>als</strong>o nicht<br />
durch Pfarrer/<strong>in</strong>nen, zu erledigen s<strong>in</strong>d –<br />
und so auch ke<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der pastoralen<br />
Fort- und Weiterbildung haben sollten.<br />
Uta Pohl-Patalong hat e<strong>in</strong>leuchtend vorgeschlagen,<br />
dass alles Gesellige, was<br />
herkömmlich <strong>als</strong> „Geme<strong>in</strong>deleben“ im<br />
„Geme<strong>in</strong>dehaus“ firmiert, durch andere<br />
Geme<strong>in</strong>deglieder veranstaltet und durchgeführt<br />
werden soll 34 – oder entfällt. Dies<br />
soll ke<strong>in</strong>eswegs die Bedeutung der Geselligkeit<br />
für e<strong>in</strong>e Kirchengeme<strong>in</strong>de schmä -<br />
lern. Doch ist nicht zu erkennen, welche<br />
besondere Qualifikationen Pfarrer/<strong>in</strong>nen<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
55
<strong>in</strong> diesem Bereich gegenüber anderen<br />
Geme<strong>in</strong>degliedern haben. Werden Sie<br />
durch das Theologie-Studium geselliger?<br />
Eben dies gilt für den Bereich der Verwaltung.<br />
Gewiss ist auch auf der Ebene e<strong>in</strong>er<br />
Kirchengeme<strong>in</strong>de Verwaltung unerlässlich<br />
– und bietet manche wichtige Unterla -<br />
ge für die konkrete pastorale Praxis. Doch<br />
kann ich nicht erkennen, welche verwaltungsmäßige<br />
Qualifikation <strong>in</strong> der theologischen<br />
Ausbildung erworben wird. Deshalb<br />
ist es vordr<strong>in</strong>glich, Pfarrer/<strong>in</strong>nen von Verwaltungsaufgaben<br />
zu entlasten. E<strong>in</strong> Blick<br />
zu anderen sozial engagierten Organisationen<br />
deutet e<strong>in</strong>e Lösung für die praktische<br />
Umsetzung dieser Forderung an.<br />
Zunehmend engagieren sich sog. junge<br />
Alte, <strong>als</strong>o Pensionäre bzw. Rentner nach<br />
dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />
ehrenamtlich <strong>in</strong> Bereichen, für die sie berufliche<br />
Kompetenzen erworben haben.<br />
E<strong>in</strong> früherer Verwaltungsangestellter kann<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich qualitativ besser e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de<br />
verwalten <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Pfarrer/e<strong>in</strong>e<br />
Pfarrer<strong>in</strong>.<br />
Der Dreh- und Angelpunkt des hier vorgestellten<br />
Konzeptes von Pfarrerse<strong>in</strong> ist<br />
allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Theologie, die die Vermittlungsaufgabe<br />
<strong>in</strong>tegriert und nicht – etwa <strong>in</strong><br />
der immer noch üblichen Trennung sog.<br />
Fachwissenschaft und -didaktik – abspaltet.<br />
35 An ihrer Profilierung zu arbeiten, ist<br />
Aufgabe an verschiedenen Orten: an Theologischen<br />
Fakultäten, an Predigersem<strong>in</strong>aren,<br />
<strong>in</strong> Pastoralkollegs, <strong>in</strong> Pfarrkonventen,<br />
aber auch <strong>in</strong> kollegialen Gesprächen,<br />
beim Lesen von Büchern und Aufsätzen,<br />
beim Nachdenken und beim Gebet. Pfarrer/<strong>in</strong>nen<br />
s<strong>in</strong>d dann <strong>als</strong>o viatores – und ihre<br />
Begleitung dabei ist e<strong>in</strong>e vornehme und<br />
schöne Aufgabe, zu deren Erfüllung ich<br />
dem Kollegium des Pastoralkollegs viel<br />
Erfolg wünsche.<br />
n Christian Grethle<strong>in</strong><br />
1 S. genauer Christian Grethle<strong>in</strong>, Pfarrer – e<strong>in</strong> theologischer<br />
Beruf!, Frankfurt 2009, 84.<br />
2 S. 377f. Hans-Mart<strong>in</strong> Müller, Das evangelische<br />
Amtsverständnis und die Pfarrerrolle der Gegenwart,<br />
<strong>in</strong>: Ders., Bekenntnis – Kirche – Recht (Ius-<br />
Ecc 79), Tüb<strong>in</strong>gen 2005, 369–383, 377f.<br />
3 Fritz Mart<strong>in</strong>i, Pfarrer und Pfarrhaushalt, <strong>in</strong>: Mart<strong>in</strong><br />
Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische Pfarrhaus.<br />
E<strong>in</strong>e Kultur- und Sozialgeschichte, Stuttgart ²1991,<br />
127–148, 128.<br />
4 Ebd. 129.<br />
5 Ebd. 130.<br />
6 Ebd. 141.<br />
7 Wolfgang Marhold, Die soziale Stellung des Pfarrers,<br />
<strong>in</strong>: Mart<strong>in</strong> Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische<br />
Pfarrhaus, Stuttgart ²1991, 175–194, 177.<br />
8 S. zur Bedeutung e<strong>in</strong>er psychologisch orientierten<br />
Seelsorge Thomas Stahlberg, Seelsorge im Übergang<br />
zur „modernen Welt“. He<strong>in</strong>rich Adolf Köstl<strong>in</strong> und<br />
Otto Baumgarten im Kontext der Praktischen Theologie<br />
um 1900 (APTh 32), Gött<strong>in</strong>gen 1998, 56–82.<br />
9 S. H.-M. Müller (Anm. 2) 375.<br />
10 S. unter Bezug auf Christian Palmers Pastoraltheologie<br />
Henn<strong>in</strong>g Luther, Pfarrer und Geme<strong>in</strong>de. Protestantische<br />
Gedanken zu e<strong>in</strong>em ungeklärten Verhältnis,<br />
<strong>in</strong>: EvTh 44 (1984), 26–45, 45.<br />
11 Grundlegend hierfür nach wie vor ebd.<br />
12 Volker Drehsen, Vom Amt zur Person: Wandlungen<br />
<strong>in</strong> der Amtsstruktur der protestantischen Volkskirche.<br />
E<strong>in</strong>e Standortbestimmung des Pfarrberufs aus<br />
praktisch-theologischer Sicht, <strong>in</strong>: IJPT2 (1998), 263–<br />
280, 264f.<br />
13 S. zu dieser Bestimmung Ingrid Lukatis, Pfarrer/<strong>in</strong> –<br />
Berufs- oder Lebensform, <strong>in</strong>: DtPfrBl 100 (2000),<br />
531–537.<br />
56 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
14 Theologisch könnten diese verschiedenen, die jeweiligen<br />
gesellschaftlichen und kulturellen Rahmen -<br />
bed<strong>in</strong>gungen widerspiegelnden Rollen-Entwürfe<br />
auch <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>lösung des von Paulus <strong>in</strong> Gal 6,17<br />
entworfenen Programms der Verkörperung des<br />
Evangeliums durch ihn <strong>in</strong>terpretiert werden. Isolde<br />
Karle schreibt: „Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen symbolisieren<br />
das christliche Programm und Wirklichkeitsverständnis<br />
konkret an ihrem Leib. Sie stellen körperlich<br />
und wahrnehmbar Religion und Kirche dar und<br />
<strong>in</strong>szenieren das Evangelium. … Im H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong>e<br />
bedrängenden Leidenserfahrungen schreibt Paulus,<br />
daß er die Malzeichen Jesu an se<strong>in</strong>em Leibe<br />
trage (Gal 6,17) …“ (Isolde Karle, Der Pfarrberuf <strong>als</strong><br />
Profession. E<strong>in</strong>e Berufstheorie im Kontext der modernen<br />
Gesellschaft [PThK 3], Gütersloh 2001, 70).<br />
15 Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische<br />
Kirche im 21. Jahrhundert. E<strong>in</strong> Impulspapier<br />
des Rates der EKD, o.O. o.J. (2006), 5. Leuchtfeuer<br />
(68).<br />
16 S. ausführlich Dieter Becker/Karl-Wilhelm Dahm/<br />
Friederike Erichsen-Wendt (Hg.), Arbeitszeiten im<br />
heutigen Pfarrberuf – Empirische E<strong>in</strong>sichten und<br />
Analysen zur Gestaltung pastoraler Arbeit (EuPK<br />
5),Frankfurt 2009.<br />
17 Herbert L<strong>in</strong>dner, Kirche am Ort. E<strong>in</strong> Entwicklungsprogramm<br />
für Ortsgeme<strong>in</strong>den, Stuttgart ²2000, 94.<br />
18 S. Fritz Roth, Das Haus der menschlichen Begleitung,<br />
Bergisch Gladbach ³2008.<br />
19 Zu genauen Zahlen s. Christian Grethle<strong>in</strong>, Grund<strong>in</strong>formation<br />
Kasualien, Gött<strong>in</strong>gen 2007, 293f.<br />
20 S. zum dah<strong>in</strong>ter stehenden Gesamtkonzept Kristian<br />
Fechtner, Kirche von Fall zu Fall. Kasualpraxis <strong>in</strong><br />
der Gegenwart – e<strong>in</strong>e Orientierung, Gütersloh 2003,<br />
121–142.<br />
21 EKD-weit stieg die Zahl der im aktiven Dienst tätigen<br />
Theolog/<strong>in</strong>nen von 13.700 (1968) auf 18.520 (1990),<br />
wobei die Relation zwischen Pfarrer/<strong>in</strong>nen und<br />
Geme<strong>in</strong>deglieder sich auf Grund des erheblichen<br />
Rückgangs der Kirchenmitglieder <strong>in</strong> diesem Zeitraum<br />
noch dramatischer verändert: Kamen 1968<br />
47 Pfarrer/<strong>in</strong>nen auf 100.000 Mitglieder, so waren<br />
dies (für Westdeutschland) 1990 bereits 74 und<br />
2000 für Gesamtdeutschland 90 (Karl-Wilhelm<br />
Dahm, Pfarrer/Pfarrer<strong>in</strong> VI. Statistisch, <strong>in</strong>: 4 RGG 6<br />
[2003], 1204–1212, 1205–1208).<br />
22 S. Johanna Beyer, Teildienst <strong>als</strong> Spitze des Eisbergs.<br />
Nicht Professionalität <strong>in</strong> die Frage – aber Profes -<br />
sion, <strong>in</strong>: DtPfrBl 101 (2000), 283–290.<br />
23 S. D. Becker, Pfarrberufe zwischen Praxis und<br />
Theorie. Personalplanung <strong>in</strong> theologisch-kirchlicher<br />
und organisationsstrategischer Sicht (EuKP 3),<br />
Frankfurt 2007, 195.<br />
24 Vgl. H. Luther (Anm. 10) 35.<br />
25 Manfred Josuttis, Die E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Leben.<br />
Pas toraltheologie zwischen Phänomenologie und<br />
Spiritualität, Gütersloh 1996, 20.<br />
26 S. z. B. Jan Hermel<strong>in</strong>k, Pfarrer <strong>als</strong> Manager? Gew<strong>in</strong>n<br />
und Grenzen e<strong>in</strong>er betriebswirtschaftlichen<br />
Perspektive auf das Pfarramt, <strong>in</strong>: ZThK 95 (1998),<br />
536–564.<br />
27 Peter Höhmann, Professionsbrüche im Pfarrberuf,<br />
<strong>in</strong>: Dieter Becker/Richard Dautermann (Hg.), Berufszufriedenheit<br />
im heutigen Pfarrberuf, Frankfurt<br />
2005, 53–75.<br />
28 S. I. Karle (Anm. 14), 169 (ohne Kursivsetzung des<br />
Orig<strong>in</strong><strong>als</strong>).<br />
29 S. Henrik Kraemer, Die Kommunikation des christlichen<br />
Glaubens, Zürich 1958 (engl. 1956), 47.<br />
30 S. Ernst Lange, Kommunikation des Evangeliums,<br />
<strong>in</strong>: Ders., Kirche für die Welt, hg. v. Rüdiger Schloz,<br />
München 1981, 101-129. E<strong>in</strong>e wichtige, semiotisch<br />
<strong>in</strong>spirierte Weiterentwicklung dieser Formel f<strong>in</strong>det<br />
sich bei Wilfried Engemann, Personen und Zeichen<br />
im Prozess der Kommunikation des Evangeliums.<br />
Praktische Theologie <strong>als</strong> Theorie der Lebensäußerungen<br />
der Geme<strong>in</strong>de, <strong>in</strong>: Ders., Personen, Zeichen<br />
und das Evangelium. Argumentationsmuster der<br />
Praktischen Theologie (AprTh 23), Leipzig 2003,<br />
37–50.<br />
31 Demgegenüber fehlen etwa der von Karle genannten<br />
Sachthematik „Wort Gottes“ die dialogischen,<br />
aber auch <strong>in</strong> den nonverbalen Bereich reichenden<br />
Konnotationen.<br />
32 S. genauer: Christian Grethle<strong>in</strong>, Theologie und Didak<br />
tik, <strong>in</strong>: ZThK 104 (2007), 503–525.<br />
33 H. L<strong>in</strong>dner (Anm. 17).<br />
34 Uta Pohl-Patalong, Ortsgeme<strong>in</strong>de und übergeme<strong>in</strong>dliche<br />
Arbeit im Konflikt. E<strong>in</strong>e Analyse der Argumentationen<br />
und e<strong>in</strong> alternatives Modell, Gött<strong>in</strong>gen 2003,<br />
232–238.<br />
35 S. hierzu me<strong>in</strong>en Versuch (Anm. 32). Christian Greth -<br />
le<strong>in</strong>, Münster<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
57
Thema<br />
B<strong>als</strong>am für die eigene Seele<br />
E<strong>in</strong>ige Anmerkungen zur Seelsorge<br />
für Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger<br />
Das landeskirchliche Zentrum für Seelsorge<br />
hat zur Aufgabe, kirchliche Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />
und Mitarbeiter <strong>in</strong> Beruf und<br />
Ehrenamt für ihre Seelsorgearbeit zu<br />
stärken und fortzubilden. Dabei ist deutlich,<br />
dass Seelsorge e<strong>in</strong>e anspruchsvolle,<br />
anstrengende und kraftraubende<br />
Aufgabe ist. Für Seelsorger/<strong>in</strong>nen muss<br />
etwas „zurückfließen“, wenn sie so viel<br />
geben. Die Kirche hat strukturell dafür<br />
zu sorgen, dass Seelsorger/<strong>in</strong>nen Pflege<br />
für ihre eigene Seele erhalten. Dabei<br />
spielt besonders e<strong>in</strong>e Kultur der gegenseitigen<br />
Wertschätzung e<strong>in</strong>e übergeordnete<br />
Rolle.<br />
„Glauben Sie, dass es der breiten Öffentlichkeit<br />
bekannt ist, was Kirche alles leistet?“,<br />
fragte unsere Sekretär<strong>in</strong> im Zentrum<br />
für Seelsorge. Wir saßen an der geplanten<br />
„Seelsorge-Gesamtkonzeption“, <strong>in</strong> der erst -<br />
m<strong>als</strong> alle kirchlichen Seelsorgefelder dargestellt<br />
werden. In vielen Bereichen der<br />
badischen Landeskirche und ihrer Diakonie<br />
wird seelsorglich gearbeitet, beruflich<br />
und ehrenamtlich. In der Geme<strong>in</strong>de, im<br />
Krankenhaus, bei der Telefonseelsorge,<br />
im Altenheim, im Gefängnis – um nur e<strong>in</strong>ige<br />
wenige Beispiele zu nennen. Die Frage<br />
unserer Sekretär<strong>in</strong> war durchaus wertschätzend<br />
geme<strong>in</strong>t. Zugleich legte sie jedoch<br />
den F<strong>in</strong>ger auf e<strong>in</strong>en wunden Punkt:<br />
Oft mangelt es an öffentlicher Wahrnehmung<br />
und Wertschätzung für das, was<br />
Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger leisten.<br />
Denn Seelsorge f<strong>in</strong>det vor allem im Verborgenen<br />
statt. Immer wieder auch haben<br />
Seelsorgende den „E<strong>in</strong>druck mangelnder<br />
Wertschätzung durch Geme<strong>in</strong>de und Kirchenleitung“,<br />
wie e<strong>in</strong>e Broschüre des Personalreferats<br />
zur Salutogenese treffend<br />
bemerkt. Wahrnehmung und Wertschätzung<br />
s<strong>in</strong>d jedoch wichtige Faktoren für<br />
Arbeitszufriedenheit, Motivation und Burnoutprävention.<br />
Mehr noch: Sie s<strong>in</strong>d für<br />
die Seelsorge selbst wesentlich. So heißt<br />
es In der Konzeption des Zentrums für<br />
Seelsorge:<br />
„Menschen s<strong>in</strong>d Beziehungswesen. Ihr<br />
Leben gew<strong>in</strong>nt Gestalt <strong>in</strong> der Beziehung<br />
zu Gott, zu den Mitmenschen und zu sich<br />
selbst. Seelische Wirklichkeit ist Beziehungswirklichkeit<br />
… Nicht wahrgenommen<br />
und anerkannt zu werden bedroht das Leben.<br />
Seelsorge ist <strong>als</strong>o zunächst, und das<br />
ist nicht ihr ger<strong>in</strong>gster Teil: Wahrnehmen<br />
und Annehmen. Jemanden <strong>in</strong> die sem umfassenden<br />
S<strong>in</strong>n anzusehen und dadurch<br />
wahrzunehmen, kann <strong>in</strong> der Seelsorge<br />
heißen, ihm dadurch e<strong>in</strong> Ansehen zu geben,<br />
so wie er oder sie bei Gott immer<br />
schon e<strong>in</strong> Ansehen hat. Dabei kann sich<br />
das Ansehen auf sehr leidvolle D<strong>in</strong>ge beziehen<br />
im S<strong>in</strong>ne von „der Herr hat me<strong>in</strong><br />
Elend angesehen“ (Ps 31,8 u. ö.) oder<br />
auch auf sehr freudvolle im S<strong>in</strong>ne von „du<br />
machst groß die Freude“ (Jes 9,2) und auf<br />
alle Nuancen dazwischen. Insofern erstreckt<br />
sich Seelsorge auf alle Bereiche<br />
des Lebens, auch auf die alltäglichen. Sie<br />
ereignet sich <strong>in</strong> der Warteschlange im<br />
Supermarkt, im Gespräch ‚über den Gartenzaun‘,<br />
im Lehrerzimmer <strong>in</strong> der Pause.<br />
Seelsorge begleitet Menschen auch <strong>in</strong> ih-<br />
58 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
en beglückenden und erfolgreichen Erfahrungen<br />
und lädt sie dazu e<strong>in</strong>, alles, was<br />
zum Leben gehört, mit Gott <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
zu br<strong>in</strong>gen.“ (mehr unter: www.ekiba.de,<br />
Bildung, Zentrum für Seelsorge, Über uns,<br />
Unsere Konzeption)<br />
Was hier <strong>in</strong> aller Kürze skizziert ist, zeigt<br />
bereits: Seelsorge ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, die<br />
Erfüllung und Freude br<strong>in</strong>gen kann. Sie ist<br />
aber auch e<strong>in</strong> anspruchsvolles und anstrengendes<br />
„Geschäft“. Wer andere „wahrnehmen<br />
und annehmen“ soll, kann dies<br />
wohl auf Dauer nur tun, wenn er bzw. sie<br />
selbst Wahrnehmung, Annahme und Wertschätzung<br />
erfährt. Wer sich anderen <strong>in</strong><br />
Liebe zuwenden will, <strong>in</strong> allen Lebenslagen<br />
zuhören und reden, e<strong>in</strong>fühlen, begleiten<br />
und trösten soll, sollte dies auch für sich<br />
selbst erfahren können. Seelsorgende<br />
brauchen selbst Seelsorge, um all das<br />
leisten zu können. Sie brauchen geistliche<br />
Stärkung und Möglichkeiten, „aufzutanken“.<br />
Jesus hat es vorgemacht: Er hat sich<br />
regelmäßig zurückgezogen, um zu beten<br />
und Kraft zu schöpfen, damit er wieder mit<br />
voller Kraft für andere da se<strong>in</strong> konnte.<br />
Wenn ich <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong> mit Menschen<br />
<strong>in</strong> unterschiedlichsten Lebenssituationen<br />
arbeite, dann kostet das Kraft und geht<br />
nur unter E<strong>in</strong>satz me<strong>in</strong>er ganzen Person.<br />
Will ich das auf Dauer durchhalten und mir<br />
dazu auch noch die Freude und Motivation<br />
erhalten, dann muss etwas zurückfließen.<br />
E<strong>in</strong> elementares Bild dafür kann<br />
der Schalenbrunnen im Kreuzgang des<br />
Klosters Maulbronn se<strong>in</strong>: Aus e<strong>in</strong>er Schale<br />
fließt Wasser <strong>in</strong> die nächste. Diese gibt<br />
wiederum ihr Wasser weiter, solange sie<br />
selbst gefüllt wird. Trocknet sie aus, kann<br />
sie nichts mehr geben. Auch <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong><br />
kann ich nur etwas weitergeben,<br />
wenn ich etwas empfange. Ich lebe und<br />
gebe von dem, was mir gegeben ist und<br />
immer wieder gegeben wird. Dazu gehören<br />
me<strong>in</strong>e Gaben, me<strong>in</strong>e Charismen. Sie<br />
s<strong>in</strong>d „Konkretionen und Individuationen<br />
der Gnade“ Gottes (Ernst Käsemann). Auf<br />
das Bild des Schalenbrunnens bezogen:<br />
Die Gnade Gottes fließt mir zu, wird <strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>em persönlichen Handeln und Wirken<br />
konkret und lässt mich etwas davon<br />
weitergeben an andere. Dabei soll nicht<br />
vergessen werden, dass im Begriff „charis“<br />
neben der Gnade auch die Freude<br />
steckt: Beides soll fließen können, wenn<br />
ich von me<strong>in</strong>en Gaben Gebrauch mache.<br />
Wo aber kann ich persönlich etwas von der<br />
Gnade und der Freude Gottes erfahren?<br />
Hier ist eben die Seelsorge für Seelsorger/<br />
<strong>in</strong>nen gefragt. Sie ist e<strong>in</strong> weites Feld. Vieles<br />
gehört dazu, was die eigene Seele nährt<br />
und stärkt, ihr Ermutigung und Orientierung<br />
gibt und die Schalen wieder auffüllen<br />
kann. In diesem weiten Feld möchten wir<br />
nun e<strong>in</strong>ige Pflöcke e<strong>in</strong>schlagen, ohne<br />
Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.<br />
Was die Seele e<strong>in</strong>es jeden Menschen<br />
braucht, ist im E<strong>in</strong>zelnen nur <strong>in</strong>dividuell zu<br />
sagen. Als Arbeitgeber<strong>in</strong> hat die Kirche jedoch<br />
die Verpflichtung auch strukturell dafür<br />
zu sorgen, dass jede Seelsorger<strong>in</strong> und<br />
jeder Seelsorger Pflege für die eigene<br />
Seele erhalten kann. Die Seelsorgenden<br />
haben ihrerseits die Verantwortung zur<br />
Selbstfürsorge, <strong>in</strong>dem sie diese Angebote<br />
auch wahrnehmen. „Die erste Seele,<br />
die dir anvertraut ist, ist de<strong>in</strong>e eigene“.<br />
Was e<strong>in</strong>fach kl<strong>in</strong>gt, ist es gar nicht immer,<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
59
denn manchen fällt es schwer, gegenüber<br />
der Geme<strong>in</strong>de oder im Kollegenkreis oder<br />
gegenüber dem Dekan/der Dekan<strong>in</strong> die<br />
eigenen Bedürfnisse durchzusetzen, selbst<br />
wenn sie sie kennen. Wie wichtig mir die<br />
Sorge an me<strong>in</strong>er eigenen Seele ist, zeigt<br />
sich auch dar<strong>in</strong>, was ich dafür bereit b<strong>in</strong> an<br />
Kosten, Mühen und Zeit zu <strong>in</strong>vestieren.<br />
Nicht alles kostet gleich viel von allem,<br />
aber <strong>in</strong> jedem Fall werde ich <strong>als</strong> Seelsorgende/r<br />
Entscheidungen treffen müssen.<br />
Dazu ist es nützlich, sich mit etwas Zeit<br />
zunächst selbst zu befragen, von wo ich<br />
derzeit Pflege me<strong>in</strong>er Seele brauche.<br />
Brauche ich Fort- und Weiterbildung, Su -<br />
per vision und Beratung um me<strong>in</strong>e Seelsorgearbeit<br />
künftig qualifizierter tun zu<br />
können? Die Freude, die aus dem Wissen<br />
und Gefühl entsteht, dass ich me<strong>in</strong> Handwerk<br />
beherrsche, „etwas kann“, „kompetente“<br />
Seelsorge zur Verfügung stellen<br />
kann, ist ke<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger B<strong>als</strong>amfaktor.<br />
Vielleicht geht es aber gar nicht um die<br />
Qualität me<strong>in</strong>er Seelsorge, sondern um<br />
Quantität? Habe ich zu viele Seelsorgefälle<br />
und bräuchte ich mehr Erholung,<br />
Auszeit, freie Zeiten? Oder kann ich <strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>em Arbeitsfeld eigentlich zu wenig<br />
Seelsorge machen, weil ständig andere<br />
Arbeiten anfallen und das kratzt an me<strong>in</strong>em<br />
Selbstverständnis <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong>?<br />
Quantitätsfragen werden immer dann zu<br />
Qualitätsfragen, wenn es e<strong>in</strong> zu viel oder<br />
zu wenig gibt. Und wie sorge ich dann entweder<br />
für die Umschichtung me<strong>in</strong>er Arbeit<br />
(und wer könnte mir dabei helfen?) oder<br />
für mehr Auszeit, Freiheit, Auftanken?<br />
Vielleicht ist nicht Qualität oder Quantität<br />
me<strong>in</strong>e Frage <strong>in</strong> der Selbstfürsorge, son-<br />
dern Orientierung? Braucht me<strong>in</strong>e Seele<br />
bei dem, was ich an „geistlichem Output“<br />
zu leisten habe, dr<strong>in</strong>gend mal „geistlichen<br />
Input“? Und wie kann ich da was für mich<br />
tun? Brauche ich etwas Kurzfristiges oder<br />
längerfristig etwas für me<strong>in</strong>en Alltag?<br />
Vielleicht muss ich auch den Kontakt zu<br />
me<strong>in</strong>en eigenen WeggefährtInnen verbessern,<br />
um weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Seelsorge selbst<br />
e<strong>in</strong> guter Weggefährte, e<strong>in</strong>e gute Weggefährt<strong>in</strong><br />
zu se<strong>in</strong>? Privaten und beruflichen<br />
nichtfunktionalen Umgang braucht die<br />
Seele, oder schlicht: Liebe und Geme<strong>in</strong>schaft<br />
anderer Menschen. Reicht mir das,<br />
was ich habe? Wie kriege ich mehr oder<br />
anderen menschlichen Kontakt, wenn es<br />
das ist, was me<strong>in</strong>e Seele pflegt?<br />
Und die Er<strong>in</strong>nerung Theresa von Avilas<br />
nicht zu vergessen, wir sollten freundlich<br />
zu unseren Körpern se<strong>in</strong>, damit unsere<br />
Seelen Lust haben, dar<strong>in</strong> zu wohnen: habe<br />
ich genügend körperliche Pflege <strong>in</strong> jeglicher<br />
H<strong>in</strong>sicht? Soviel, dass mir auch <strong>als</strong><br />
Seelsorger<strong>in</strong> und Seelsorger bei me<strong>in</strong>er<br />
Arbeit präsent ist, dass Seelsorge immer<br />
auch Leibsorge ist?<br />
Es lohnt sich zum Thema „Seelsorge für<br />
Seelsorgende“ e<strong>in</strong>e solche Selbsterforschung<br />
zu betreiben, um heraus zu bekommen,<br />
welche Seelsorge ich <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong><br />
für mich brauche. Kle<strong>in</strong>e alltägliche<br />
D<strong>in</strong>ge (wie z. B. gut gekochte und <strong>in</strong><br />
angenehmer Umgebung e<strong>in</strong>genommene<br />
Mahlzeiten oder die halbe Stunde unter<br />
dem Kopfhörer mit der Musik, die ich mag,<br />
jede Woche 90 M<strong>in</strong>uten zum S<strong>in</strong>gen oder<br />
Schwimmen gehen) s<strong>in</strong>d dabei m<strong>in</strong>des-<br />
60 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
tens so hilfreich wie größere Maßnahmen<br />
(Umstrukturierung me<strong>in</strong>er Arbeit, e<strong>in</strong>e<br />
Fortbildung mit dem Ziel „Seelsorge für<br />
Seelsorger/<strong>in</strong>nen“ beim Zentrum für Seelsorge<br />
oder der Fachstelle Geistliches Leben,<br />
e<strong>in</strong> Aufenthalt im Haus Respiratio,<br />
e<strong>in</strong>e längerfristige geistliche Begleitung).<br />
(Mehr unter: www.zfs-baden.de, www.ekiba.de,<br />
Start, Glaube & Spiritualität, Geistliches<br />
Leben; www.respiratio.de)<br />
Woher erhalte ich die Wertschätzung für<br />
me<strong>in</strong>e Arbeit und was tue ich dafür, dass<br />
ich diese auch kriege? Dauernde Erfahrung<br />
von „Undank ist der Welt Lohn“ demotiviert<br />
den engagiertesten Seelsorger.<br />
In der Seelsorge ist das Thema beson -<br />
ders virulent, denn sie ist zum Teil „unsichtbare“<br />
Arbeit. Und da, wo sie aufsuchende<br />
Seelsorge ist, ist sie zunächst nicht<br />
erbeten, e<strong>in</strong>e „Gegenleistung“ <strong>in</strong> Form von<br />
Wertschätzung von daher manchmal nicht<br />
im Blick. Deshalb gibt es trotzdem oft e<strong>in</strong><br />
zufriedenes und wertschätzendes Dankeschön<br />
für unsere seelsorglichen Gespräche,<br />
Wahrnehmungen und Aufmerksamkeiten.<br />
Es lohnt sich, diese systematisch<br />
e<strong>in</strong>zusammeln und sichtbar zu machen,<br />
e<strong>in</strong>e P<strong>in</strong>nwand voll Dankesworte, e<strong>in</strong> Korb,<br />
<strong>in</strong> dem ich die schriftlichen Dankeschöns<br />
sammele, e<strong>in</strong>e Schnur, an der ich Dankeskarten<br />
aufhänge, ich könnte auch regelmäßig<br />
für mich selbst (und den Ältestenkreis)<br />
zusammenzählen, wie viel genau<br />
an Spenden bei seelsorglichen Kontakten<br />
für die Geme<strong>in</strong>de gegeben worden<br />
ist, manche Besuchte bedanken sich mit<br />
dieser direkten materiellen Wertschätzung<br />
etc. (Wer beim Lesen dieser Vorschläge<br />
von e<strong>in</strong>em Gefühl von Pe<strong>in</strong>lichkeit<br />
erfasst worden ist, ist vermutlich an<br />
die eigene Bedürftigkeit gestoßen. Das<br />
fühlt sich für uns westliche, zu Autonomie<br />
erzogene Menschen nie gut an, aber vielleicht<br />
hilft die Ermutigung des Psalmisten:<br />
„de<strong>in</strong> Angesicht soll nicht schamrot werden“<br />
(Ps 34,6), um zur eigenen Bedürftigkeit<br />
stehen zu können?!).<br />
Der direkte Dank ist e<strong>in</strong> Geschenk, lässt<br />
sich nicht e<strong>in</strong>klagen und darum wertvoll<br />
genug, damit das Büro zu schmücken.<br />
Das E<strong>in</strong>sammeln und Sichtbar-machen<br />
von wertschätzenden Worten und Anerkennung<br />
ist wichtig, damit ihre Wirkung<br />
zur Geltung kommen kann. Forschungen<br />
sagen, dass wir auf e<strong>in</strong>e kritische Rückmeldung<br />
schon hirnphysiologisch erheblich<br />
stärker reagieren <strong>als</strong> auf e<strong>in</strong>e wertschätzende.<br />
Fünf wertschätzende Rückmeldungen<br />
haben <strong>in</strong> der Intensität dieselbe<br />
Wirkung wie e<strong>in</strong>e kritische. Ke<strong>in</strong> Wunder,<br />
dass es uns mitunter vorkommt, <strong>als</strong><br />
hätten wir permanent zu wenig Wertschätzung,<br />
auch ohne überdurchschnittliche<br />
narzisstische Kränkung. Und Vorgesetzte<br />
können tatsächlich viel dazu tun,<br />
die Seelen ihrer Mitarbeitenden zu pflegen,<br />
<strong>in</strong>dem sie Kritik und Wertschätzung<br />
im Verhältnis 1:5 verteilen.<br />
Insgesamt gilt <strong>in</strong> Organisationen mit flachen<br />
Hierarchien, <strong>in</strong> denen die materielle<br />
Wertschätzung ausfällt (fehlende Bezahlung<br />
bei ehrenamtlicher Arbeit, fehlende<br />
Möglichkeit von leistungsgerechter Bezahlung<br />
bei Hauptamtlichen, fehlende berufliche<br />
Aufstiegsmöglichkeiten), dass die<br />
Motivation zur Arbeit bei den Mitarbeitenden<br />
zum<strong>in</strong>dest teilweise <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sisch vor-<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
61
Aus dem <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong><br />
handen se<strong>in</strong> muss. Anerkennung und<br />
Wertschätzung müssen reziprok gelebt<br />
werden, wo sollten sie sonst herkommen?<br />
Anders ausgedrückt: wer bei der Kirche<br />
arbeitet, sollte das immer noch <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />
um des Himmelreiches willen tun (darunter<br />
lässt sich vieles verstehen, präsentisch<br />
wie futurisch Eschatologisches) und<br />
nicht um Anerkennung und Wertschätzung<br />
zu kriegen. Und: Wertschätzung „von<br />
oben nach unten“ funktioniert <strong>in</strong> der Regel<br />
nicht sehr gut, diese zu erwarten ist daher<br />
nicht besonders zielführend.<br />
Unbestritten bleibt gleichzeitig, dass wir<br />
<strong>als</strong> Menschen Anerkennung und Wertschätzung<br />
brauchen und am besten kriegen<br />
wir die, <strong>in</strong>dem wir wechselseitig ständig<br />
an e<strong>in</strong>er Kultur der Wertschätzung mitbauen.<br />
Also: wertschätzen wir doch unsere<br />
Vorgesetzten, die von uns abhängigen<br />
MitarbeiterInnen, die Hauptamtlichen, die<br />
Ehrenamtlichen, die Menschen im EOK,<br />
die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen (und uns<br />
selbst!) so oft und so viel wir das ehrlichen<br />
Herzens können. Aus dem Wald, <strong>in</strong> den<br />
wir da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>pfeifen, kommt es def<strong>in</strong>itiv<br />
zurück.<br />
n Sab<strong>in</strong>e Kast-Streib,<br />
Dagmar Kreitzscheck, Heidelberg<br />
Krankenhilfe-Abschluss 2012<br />
Bei 7.424 bearbeiteten Anträgen, etwas<br />
mehr <strong>als</strong> im Vorjahr, erreichte die Krankenhilfe<br />
des <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s 4,4 Mio €, das ist<br />
<strong>in</strong> etwa wieder das Vorjahresniveau.<br />
Die Anträge wurden wie immer sehr zuverlässig<br />
und schnell von Frau Krempel<br />
bearbeitet. Wenn ke<strong>in</strong>e Unklarheiten auftreten,<br />
bei denen Rückfragen erforderlich<br />
s<strong>in</strong>d und uns alle Blätter des Beihilfebescheides<br />
im Orig<strong>in</strong>al vorliegen, beträgt die<br />
durchschnittliche Bearbeitungszeit etwa<br />
14 Tage.<br />
Häufig werden wir kontaktiert, wenn es<br />
um Anfragen geht, welche Kosten <strong>in</strong> welcher<br />
Höhe beihilfefähig s<strong>in</strong>d oder warum<br />
nicht alle Kosten <strong>als</strong> beihilfefähig anerkannt<br />
wurden. Diese Anfragen bitten wir,<br />
an Ihre Beihilfestelle (meist der KVBW <strong>in</strong><br />
Karlsruhe oder LBV <strong>in</strong> Fellbach/Stuttgart)<br />
zu richten. Das ist die festsetzende Stelle.<br />
Wir erkennen die Festsetzungen der Beihilfestelle<br />
an. Pflegekosten s<strong>in</strong>d entsprechend<br />
zu kennzeichnen <strong>als</strong> „Pflege“. Hier<br />
ist es erforderlich, Belege vorzulegen.<br />
Wir bitten auch von telefonischen Nachfragen<br />
über den Stand der Bearbeitung<br />
abzusehen, denn die Nachforschungen<br />
s<strong>in</strong>d zeit<strong>in</strong>tensiv. Erst bei e<strong>in</strong>er Bearbeitungszeit<br />
von mehr <strong>als</strong> vier Wochen ist e<strong>in</strong>e<br />
Nachfrage s<strong>in</strong>nvoll, ob eventuell etwas<br />
auf dem Postweg verloren gegangen ist.<br />
Der Postweg wird nicht unwesentlich beschleunigt,<br />
wenn statt der Straße unser<br />
Postfach 22 26 <strong>in</strong> 76010 Karlsruhe angegeben<br />
wird. Beachten Sie ab 1. Januar<br />
2013 das neue Porto von 58 Ct für Standardbriefe<br />
bis 20 g.<br />
62 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Thema<br />
Füße auf weitem Raum<br />
Pfarrer Christoph Lang hat das Angebot<br />
der kontemplativen Pfarrkollegs <strong>in</strong> Anspruch<br />
genommen, um für se<strong>in</strong>e Seelsorger-Seele<br />
zu sorgen. Se<strong>in</strong> Erfahrungsbericht<br />
lässt ke<strong>in</strong>en Zweifel an<br />
deren S<strong>in</strong>n und Bedeutung für die berufliche<br />
und persönliche Existenz von<br />
Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrern.<br />
„Du stellst me<strong>in</strong>e Füße auf weiten Raum“<br />
– dieses Wort aus Psalm 31 kommt mir <strong>in</strong><br />
den S<strong>in</strong>n, wenn ich an E<strong>in</strong>kehrzeiten im<br />
Kloster Kirchberg oder auf dem Hohrodberg<br />
<strong>in</strong> den Hochvogesen denke. Schon<br />
zweimal habe ich die Chance genutzt, bei<br />
e<strong>in</strong>em der angebotenen „kontemplativen<br />
Pfarrkolllegs“ dabei zu se<strong>in</strong>.<br />
Für den weiten Raum sorgte jeweils nicht<br />
nur die umsichtige Planung und Leitung<br />
durch den Kollegen Wolfgang Max von<br />
der Fachstelle Geistliches Leben <strong>in</strong> unserer<br />
Landeskirche. Der weite Raum, das ist<br />
für mich auch die herrliche Landschaft, <strong>in</strong><br />
der ich mich e<strong>in</strong>mal rund um das Kloster<br />
Kirchberg, das andere Mal <strong>in</strong> den Bergen<br />
der Hochvogesen bewegen durfte. Der<br />
weite Raum, damit me<strong>in</strong>e ich auch die<br />
Struktur der Tagzeitengebete im Kloster<br />
Kirchberg oder – <strong>in</strong> schlichterer Weise –<br />
bei den Schwestern der Evangelischen<br />
Kommunität auf dem Hohrodberg. Deren<br />
große Gastfreundschaft und e<strong>in</strong>e von den<br />
Seligpreisungen geprägte Spiritualität des<br />
Alltags waren bee<strong>in</strong>druckend und eröff -<br />
neten neue Räume. Geme<strong>in</strong>sames Hören<br />
auf spirituelle Impulse, aber vor allem auch<br />
e<strong>in</strong>sames und geme<strong>in</strong>sames Schweigen<br />
prägten jeweils die Tage. Und wenn aus<br />
dem geme<strong>in</strong>samen Sitzen oder Liegen <strong>in</strong><br />
der Stille e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> leises Schnarchen erklang,<br />
dann war dies bestimmt e<strong>in</strong> gesegneter<br />
Schlaf (gemäß Ps 127, 2b) – wie<br />
gut, wenn dies auch se<strong>in</strong> darf!<br />
M<strong>in</strong>destens so wichtig wie dieser weite<br />
Raum zum Da-Se<strong>in</strong>, zum Sitzen <strong>in</strong> der<br />
Stille, zum Ausruhen war und ist für mich<br />
die Bewegung. Ob <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Leibarbeit<br />
oder beim Gehen <strong>in</strong> der Natur: den<br />
Füßen, dem ganzen Leib und der Seele<br />
tat und tut es e<strong>in</strong>fach gut, im weitem Raum<br />
der Schöpfung unterwegs zu se<strong>in</strong>. Mich zu<br />
spüren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfassenden S<strong>in</strong>n, auf<br />
den Atem zu achten, mit me<strong>in</strong>em Innersten<br />
<strong>in</strong> gutem Kontakt zu se<strong>in</strong>. Vieles von<br />
dem, was ich dort ausprobieren konnte,<br />
wirkt nach <strong>in</strong> der alltäglichen Praxis von<br />
Aktion und Kontemplation. Das Atemholen<br />
für Leib und Seele jenseits von Produktivität<br />
und Rollenerwartung, abseits<br />
von Term<strong>in</strong>druck und Erfolgsüberlegungen<br />
habe ich <strong>als</strong> das erlebt, was mir für<br />
me<strong>in</strong> Leben und Arbeiten neue Impulse<br />
gegeben hat: <strong>als</strong> im besten S<strong>in</strong>ne des<br />
Wortes Seelsorge an Seelsorgern.<br />
n Christoph Lang,<br />
Eggenste<strong>in</strong>-Leopoldshafen<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
63
Thema<br />
B<strong>als</strong>am aus anderen Landeskirchen<br />
In allen Gliedkirchen hat die Frage nach<br />
Begleitung von Seelsorger/<strong>in</strong>nen und<br />
Pfarrer/<strong>in</strong>nen ihren spezifischen Ort.<br />
Pastoralkollegs, Institute für Aus-, Fortund<br />
Weiterbildung, Stabstellen für Personalförderung<br />
oder wie <strong>in</strong> Baden auch<br />
e<strong>in</strong> Zentrum für Seelsorge versuchen,<br />
dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen.<br />
Zwei ausgewählte Beispiele illustrieren<br />
dies: <strong>in</strong> der Württembergischen<br />
Landeskirche geht es dezidiert um „Seel -<br />
sorge an Seelsorgenden“ und <strong>in</strong> der<br />
Westfälischen Kirche gibt es unter anderem<br />
e<strong>in</strong> Modell für die Begleitung von<br />
Berufse<strong>in</strong>steigern.<br />
Württembergische Landeskirche<br />
(aus der Homepage der württembergischen<br />
Landeskirche und v. a. des württem -<br />
bergischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s)<br />
www.elk-wue.de<br />
Seelsorge an Seelsorgenden<br />
„Seelsorge an Seelsorgenden“ ist e<strong>in</strong><br />
Angebot für Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen und<br />
kann zu E<strong>in</strong>zelgesprächen und Teambegleitungen<br />
genutzt werden. Das Angebot<br />
unterstützt Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer <strong>in</strong><br />
ihrem Berufsalltag dabei, verschiedene<br />
Aspekte und Fragen zu erörtern wie<br />
beispielsweise Themen „gut se<strong>in</strong> wollen –<br />
gut se<strong>in</strong> müssen“.<br />
Dabei kann es darum gehen, den Alltag zu<br />
sortieren, bei Stellenwechsel Ideen zu<br />
überprüfen, <strong>in</strong> Krisensituationen zu bestehen<br />
und vieles mehr. Dort gibt es Raum<br />
und Zeit, Neues anzudenken, Altes zu<br />
verabschieden, sich selbst zu verzeihen<br />
und alternative Schritte vorzudenken …<br />
Seelsorgende an Seelsorgenden<br />
Seelsorge ist ja neben Verkündigung und<br />
Bildung e<strong>in</strong>e zentrale Aufgabe der Pfarrer<br />
und Pfarrer<strong>in</strong>nen und vielen Verantwortlichen<br />
der Diakonie. Immer wieder gibt es<br />
die Frage: Wer unterstützt sie denn – die<br />
Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Landeskirche<br />
Württemberg bei Ihrem Auftrag, bei<br />
komplizierten Seelsorgegesprächen, <strong>in</strong><br />
Konfliktsituationen, etc.<br />
Das Anliegen „Seelsorge an Seelsorgenden“<br />
wurde vom <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong> immer wieder<br />
angemahnt und formuliert. Seit 1992 gibt<br />
es Kollegen und Kolleg<strong>in</strong>nen, die diesen<br />
Auftrag hatten und haben:<br />
Die Landeskirche hat zur Zeit drei Stellen<br />
mit jeweils unterschiedlichem Zuschnitt –<br />
je nach Prälatur und Situation zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Dieses Angebot ist e<strong>in</strong>e Möglichkeit und<br />
kann genutzt werden – etwa um<br />
• etwas mal durchzusprechen<br />
• e<strong>in</strong>en Blick von außen abzufragen<br />
• <strong>in</strong> Zeiten der Umorientierung e<strong>in</strong>en Fokus<br />
zu f<strong>in</strong>den<br />
• Theologie und Seelsorge neu denken<br />
zu dürfen<br />
• e<strong>in</strong>e Konfliktsituation zu benennen<br />
• e<strong>in</strong>e Bewerbungssituation zu planen<br />
• die Reflexion der eigenen Seelsorgetätigkeit<br />
voranzutreiben<br />
64 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Seelsorge an Seelsorgende<br />
kann hilfreich se<strong>in</strong>:<br />
• <strong>als</strong> persönliche Begleitung E<strong>in</strong>zelner<br />
• <strong>in</strong> Zeiten der Veränderung<br />
• <strong>in</strong> Konfliktsituationen<br />
• präventiv … wenn irgend etwas anders<br />
ist <strong>als</strong> gedacht …<br />
• für Ehepartner/<strong>in</strong>nen von Seelsorgenden,<br />
die von Problemen ihrer Partner/-<br />
<strong>in</strong>nen betroffen s<strong>in</strong>d<br />
• für vorgesetzte Personen, die Rat suchen<br />
wegen kirchlichen Mitarbeiter /<strong>in</strong>nen<br />
Anliegen ist es:<br />
• Kontakte und Gespräche anzubieten<br />
• Seelsorgende zu unterstützen im achtsamen<br />
Umgang mit sich selbst<br />
• ‚Burnout-Prävention‘ zu ermöglichen<br />
• sensibles Entwickeln von Ressourcen<br />
gegenüber Erschöpfung und dem Gefühl<br />
‚von Zuviel‘ aufzubauen<br />
• mit Krisen umsichtig umzugehen<br />
• Beratung von Teams anzubieten<br />
• Begleitung und Förderung von Intervisions-<br />
oder Supervisionsgruppen zu <strong>in</strong>itiieren<br />
• Prävention oder Unterstützung <strong>in</strong> der<br />
Situation durch Beratungs- und Referententätigkeit<br />
Bildung zum Thema Seelsorge:<br />
Berufsbegleitende Seelsorgekurse für den<br />
Pfarrdienst<br />
• Seelsorge <strong>als</strong> Thema ‚vor-Ort‘ (‚near/on<br />
the job‘)<br />
• E<strong>in</strong>führungen zum Thema Qualifizierung<br />
von Ehrenamtlichen für Krankenhaus,<br />
Geme<strong>in</strong>de und Sonderdienst<br />
• Begleitung im Umgang mit Besuchsdiensten<br />
• Neue Anregungen für den Bereich der<br />
Seelsorge<br />
• Beratung/Seelsorge und Coach<strong>in</strong>g<br />
Seelsorge, Beratung, Supervision und Coach<strong>in</strong>g<br />
ist weitgehend auf das Gespräch<br />
angewiesen – und e<strong>in</strong> Gespräch <strong>als</strong> solches<br />
ist e<strong>in</strong> hoch empf<strong>in</strong>dliches Medium:<br />
Man weiß nie, was aus e<strong>in</strong>em Gespräch<br />
wird, ob die Verständigung gel<strong>in</strong>gt oder<br />
nicht, ob es Konsequenzen zeigt oder<br />
nicht. Und sicher es gibt das manchmal<br />
auch das folgenlose Darüber-Reden, aber<br />
oft entfalten wenige Worte e<strong>in</strong>e ungeahnte<br />
Wirkung und zeigen neue Wege.<br />
In dem Ohnmacht und Hilflosigkeit, Wut<br />
und Unsicherheit angeguckt wird, erweist<br />
sich Seelsorge oder Supervision <strong>als</strong> hilfreich<br />
und machtvoll.<br />
Für Seelsorgende ist e<strong>in</strong>e differenzierte<br />
Selbst- und Fremdwahrnehmung <strong>in</strong> Bezug<br />
auf sich selber entscheidend. Die gilt<br />
aber auch auf die eigene Geschlechtsrolle<br />
im Kontext des Arbeitsfeldes und die Auswirkungen<br />
auf die Gegenüber („gender<br />
awareness“). Den vielen eigenen Themen,<br />
auch theologisch, nachzugehen ist anregend<br />
und hilft für viele Situationen.<br />
Aus der Westfälischen Kirche<br />
Institut für Aus-, Fort- und<br />
Weiterbildung der EKvW<br />
Iserlohner Str. 25, 58239 Schwerte<br />
Fon: (0 23 04) 755-141/142<br />
Fax: (0 23 04) 755-157<br />
<strong>in</strong>stitut-afw@<strong>in</strong>stitut-afw.de<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
65
Was bieten wir unter anderem an?<br />
Berufse<strong>in</strong>stiegsberatung<br />
Für Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer geht es nach<br />
dem Ende des Vikariats und dem Beg<strong>in</strong>n<br />
des Probedienstes darum, die nächsten<br />
Schritte auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuell passenden<br />
Berufsweg zu gehen. Mitarbeitende anderer<br />
Berufsgruppen sehen sich nach<br />
dem Studium oder e<strong>in</strong>er Phase von Praktika,<br />
Anerkennungsjahr o. ä. beim E<strong>in</strong>stieg<br />
<strong>in</strong> das erste dauerhafte Arbeitsverhältnis<br />
mit ähnlichen Fragen konfrontiert.<br />
Für Sie steht es an, die bislang erworbenen<br />
Fähigkeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e stärker eigenverantwortliche<br />
Berufspraxis zu überführen, sich<br />
persönlich weiter zu entwickeln und die<br />
nächsten Handlungsoptionen zu entfalten.<br />
Personalberatung unterstützt Sie <strong>in</strong> dieser<br />
wichtigen Phase des beruflichen Übergangs<br />
dar<strong>in</strong>, den persönlichen beruflichen<br />
Ausgangspunkt gut <strong>in</strong> den Blick zu bekommen,<br />
die eigenen Entwicklungspo ten -<br />
tiale bewusst wahrzunehmen und sich <strong>in</strong><br />
der weiteren beruflichen Suche zu orien -<br />
tieren.<br />
Die Beratung bietet Raum, um<br />
• erworbene Kompetenzen gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend<br />
zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen und weiterauszubauen,<br />
• auf e<strong>in</strong>e gute Verortung Ihrer Potentiale<br />
<strong>in</strong> Ihrer beruflichen Laufbahnplanung<br />
zu achten,<br />
• den Rahmen realer Möglichkeiten gezielter<br />
e<strong>in</strong>schätzen zu können und berufliche<br />
Entfaltungsmöglichkeiten zu erschließen.<br />
(Kommentar: Moderat, statt<br />
Superlative, die können wir eh nicht<br />
bieten.)<br />
Laufbahnberatung<br />
Auch ohne e<strong>in</strong>en konkreten Wunsch oder<br />
Anlass zur Veränderung kann e<strong>in</strong>e Beratung<br />
hilfreich se<strong>in</strong>: Wenn Sie nach e<strong>in</strong>em<br />
längeren persönlichen Berufsweg e<strong>in</strong>mal<br />
<strong>in</strong>nehalten möchten, um e<strong>in</strong>e Standortbestimmung<br />
für sich vorzunehmen.Wenn<br />
Sie Erreichtes bewerten und erworbene<br />
Kompetenzen und Erfahrungen <strong>in</strong> den<br />
Blick bekommen möchten. Oder wenn<br />
Sie e<strong>in</strong>e bessere Grundlage für möglicherweise<br />
anstehende Entscheidungen<br />
<strong>in</strong> der weiteren Laufbahn bekommen<br />
möchten.<br />
Personalberatung unterstützt Sie dabei,<br />
Ihren eigenen beruflichen Werdegang <strong>in</strong><br />
den Erfahrungen der Vergangenheit, den<br />
Bed<strong>in</strong>gungen der Gegenwart und den<br />
Möglichkeiten der Zukunft aufe<strong>in</strong>ander zu<br />
beziehen.<br />
Die Beratung bietet Raum, um<br />
• die eigenen Erfahrungen und Entwicklungen<br />
des Berufsweges bewusst zu<br />
reflektieren.<br />
• sich der eigenen Potentiale und Fähigkeiten<br />
zu vergewissern.<br />
• zur Bildung von mittel- und langfristigen<br />
Perspektiven für die weitere beruflichen<br />
Ziele, Interessen und Entwicklungen.<br />
Stellenwechselberatung<br />
Anlässe für e<strong>in</strong>en Wunsch nach Wechsel<br />
können vielfältig se<strong>in</strong>: Erweiterung des<br />
beruflichen Horizontes, Veränderung privater<br />
Lebensbed<strong>in</strong>gungen, aber auch Krisen<br />
und Konflikte, seien sie konkret oder<br />
noch nicht greifbar.<br />
Personalberatung unterstützt Sie dabei,<br />
sich rechtzeitig zu orientieren. Klarheit über<br />
66 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
eigene Potentiale, Ziele und Werte hilft bei<br />
der Suche nach geeigneten Stellen. Möglicherweise<br />
ist e<strong>in</strong>e Klärung belastender<br />
Situationen s<strong>in</strong>nvoll, um Barrieren für die<br />
Zukunft zu identifizieren und Bearbeitungs -<br />
möglichkeiten zu f<strong>in</strong>den.<br />
Die Beratung bietet Raum,<br />
• auf der Grundlage e<strong>in</strong>er umfassenden<br />
Betrachtung der eigenen beruflichen Erfahrungen,<br />
Fähigkeiten, Ziele und Werte<br />
sowie der Bedürfnisse des privaten<br />
Kontextes e<strong>in</strong> eigenes „Passungsprofil“<br />
für e<strong>in</strong>e mögliche Stelle zu entwerfen,<br />
• Entscheidungen <strong>in</strong> Bezug auf konkrete<br />
Stellenbewerbungen gut reflektiert zu<br />
treffen,<br />
• Gegebenenfalls berufliche Entwicklungsmöglichkeiten<br />
am bestehenden<br />
Ort <strong>als</strong> Alternative zum Stellenwechsel<br />
zu identifizieren.<br />
Bewerbungscoach<strong>in</strong>g<br />
Ist e<strong>in</strong>e konkrete Stelle im Blick, geht es<br />
darum, unter Berücksichtigung des persönlichen<br />
Profils und der Erwartungen die<br />
e<strong>in</strong>zelnen Schritte und Elemente des Bewerbungsprozesses<br />
zu planen und zu gestalten.<br />
Personalberatung begleitet Sie im ge -<br />
samten Bewerbungsprozess mit dem Ziel<br />
e<strong>in</strong>er angemessenen Bewerbung, <strong>in</strong> der<br />
die beidseitigen Angebote und Erwartungen<br />
realistisch e<strong>in</strong>geschätzt werden. Ziel<br />
ist es, dass Ihre Bewerbung e<strong>in</strong> guter Start<br />
für e<strong>in</strong>e langfristige Zusammenarbeit wird.<br />
• die Erarbeitung von passenden Bewerbungsunterlagen<br />
• die Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch<br />
Anschluss-Bewerbungscoach<strong>in</strong>g<br />
Im Falle e<strong>in</strong>er erfolgreichen Bewerbung<br />
kann sich e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>stiegscoach<strong>in</strong>g anschließen,<br />
das unter anderem die ersten Schritte<br />
der Orientierung <strong>in</strong> der neuen Stelle und<br />
den Umgang mit neuen Erwartungen thematisiert.<br />
Konnte e<strong>in</strong>e Bewerbung nicht<br />
zu ihrem Ziel kommen, werden die ge won -<br />
nenen Erfahrungen geme<strong>in</strong>sam ausgewertet,<br />
um sie für den weiteren Berufsweg<br />
nutzbar zu machen.<br />
Die Beratung begleitet<br />
• die Reflexion des eigenen berufsbezogenen<br />
Persönlichkeitsprofils<br />
• die Reflexion der neuen Aufgaben und<br />
der neuen Rolle anhand des eigenen<br />
Profils<br />
• die Reflexion der Belastungsgrenzen<br />
und Gestaltungsspielräume<br />
Die Beratung begleitet<br />
• den Entwurf e<strong>in</strong>er geeigneten Bewerbungsstrategie<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
67
Thema<br />
Das Konzept<br />
Das Haus „Respiratio“, dessen Andachtsraum<br />
auf dem Titelbild unserer<br />
aktuellen <strong>Ausgabe</strong> zu sehen ist, wird<br />
von den evangelischen Landeskirchen<br />
Baden, Bayern und Württemberg getragen.<br />
Auf dem Schwanberg gelegen,<br />
bietet das Haus kirchlichen Mitarbeitenden<br />
<strong>in</strong> Krisensituationen Auszeiten<br />
an, um neue Wege für die Bewältigung<br />
des beruflichen und persönlichen Alltags<br />
zu entdecken.<br />
Respiratio (lat. respirare: aufatmen, sich<br />
erholen) ist e<strong>in</strong>e stationär-therapeutische<br />
E<strong>in</strong>richtung, die hauptamtlich-kirchlichen<br />
MitarbeiterInnen die Möglichkeit bietet,<br />
neuen Atem zu schöpfen und zur Ruhe zu<br />
kommen. Die Bearbeitung emotionaler<br />
Probleme soll dazu befähigen, die Belastungen<br />
des beruflichen und familiären Alltags<br />
wieder besser bewältigen zu können.<br />
Das tiefenpsychologisch orientierte – aber<br />
multimodal ausgerichtete – Programm<br />
von Respiratio fördert das Verständnis für<br />
<strong>in</strong>nerseelische Konflikte und deren Auswirkungen<br />
auf das zwischenmenschliche<br />
Verhalten. Es regt dazu an, durch wohlwollend-kritische<br />
Selbstreflexion und <strong>in</strong> -<br />
ter personelles Lernen dysfunktionale Verhaltens-,<br />
Erlebens- und Denkmuster zu<br />
identifizieren und zu verändern.<br />
Die <strong>in</strong>tegrale Ausrichtung von Respiratio<br />
spricht Geist, Leib und Seele an und bietet<br />
Raum für spirituelle Erfahrungen. Als<br />
professionell durchgeführte Psychotherapie<br />
unterscheidet sich der pastoraltherapeutische<br />
Ansatz von Respiratio jedoch<br />
deutlich von Formen der Geistlichen Begleitung<br />
und anderen spirituell-supportiven<br />
Angeboten.<br />
Das Zusammenleben im Haus „Respiratio“<br />
soll e<strong>in</strong>e zur Veränderung ermutigende<br />
Atmosphäre schaffen und durch das Er -<br />
leben von Begegnung, Teilnehmen, Gren -<br />
zen-Erkennen und Kommunizieren zu<br />
heilsamen Beziehungserfahrungen führen.<br />
Im Interaktionsfeld der Gruppe können<br />
eigene emotionale Bedürfnisse wahr -<br />
genom men und ihre sozial verantwortliche<br />
Durchsetzung geübt werden. Ziel der geme<strong>in</strong>samen<br />
therapeutischen Arbeit ist es,<br />
persönliche Selbstheilungskräfte und vorhandene<br />
Res sourcen neu nutzen zu können,<br />
um körperlich, psychisch und spirituell<br />
zu genesen und den tägli chen <strong>in</strong>neren<br />
und äußeren Anforderungen mit resilienter<br />
Stärke zu begegnen.<br />
Bestandteile der Kurse s<strong>in</strong>d: erleb nis orien -<br />
tierte Gruppenarbeit und therapeutischseelsorgerliche<br />
E<strong>in</strong>zelgespräche – ergänzt<br />
durch atemtherapeutische, kreativ- oder<br />
bewegungstherapeutische Angebote. Neben<br />
der täglichen Bes<strong>in</strong>nung im Haus „Res -<br />
piratio“ gibt es die Möglichkeit, an den Tagzeitengebeten<br />
der Schwestern der „Communität<br />
Casteller R<strong>in</strong>g“ <strong>in</strong> der benachbarten<br />
St. Michaelskirche teilzunehmen.<br />
Voraussetzung für die Aufnahme ist die<br />
Bereitschaft, sich mit der problematischen<br />
Lebenssituation und mit dem eigenen Verhalten<br />
achtsam und kritisch ause<strong>in</strong>anderzusetzen<br />
und sich im geschützten Rahmen<br />
der Therapiegruppe auf neue emotionale<br />
Lernerfahrungen e<strong>in</strong>zulassen.<br />
n Haus „Respiratio“<br />
Leitung: Dr. Hans-Friedrich Stängle<br />
Auf dem Schwanberg, 97348 Rödelsee<br />
Tel. 09323-32-250, www.respiratio.de<br />
68 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Aus der Pfarrvertretung<br />
Wechsel an der Spitze der Pfarrvertretung: neuer Vorsitz<br />
In ihrer konstituierenden Sitzung Ende<br />
November 2012 hat sich die Pfarrvertretung<br />
e<strong>in</strong>e neue Spitze gewählt. Im Vorsitz<br />
wird künftig Ulrike Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs den bisherigen<br />
Vorsitzenden Re<strong>in</strong>hard Sutter ablösen,<br />
der fünfzehn Jahre lang dieses Amt<br />
<strong>in</strong>nehatte und ausfüllte. Stellvertreter im<br />
Vorsitz ist neu Manfred Kuhn.<br />
Ulrike Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<br />
Manfred Kuhn<br />
Damit hat die im Oktober gewählte Pfarrvertretung<br />
e<strong>in</strong>en Anfang <strong>in</strong> ihrer neuen<br />
Wahlperiode gesetzt, um <strong>in</strong> Zukunft <strong>in</strong> der<br />
gewachsenen Kont<strong>in</strong>uität, aber auch mit<br />
frischem W<strong>in</strong>d die Interessen der Pfarrschaft<br />
<strong>in</strong> unserer Landeskirche zu ver -<br />
treten.<br />
In der ersten Arbeitssitzung am 31. Januar<br />
wird die Pfarrvertretung über die Themen -<br />
schwerpunkte der begonnenen Wahlperiode<br />
beraten. Aus aktuellem Anlass gehören<br />
dazu voraussichtlich die Frage der<br />
Mietwertbestimmung von Pfarrhäusern<br />
und die per Rundschreiben angekündigte<br />
Übernahme des Haushaltsbegleitgesetzes<br />
2013/14 des Landes Baden-Württemberg.<br />
Von grundsätzlicher Bedeutung schei nen<br />
Themen wie die Pensionsregelung, Transparenz<br />
bei Personalentscheidungen, Berufsbild<br />
der Pfarrer<strong>in</strong>/des Pfarrers und die<br />
Leistungsfähigkeit der landeskirchlichen<br />
Versorgungsstiftung zu se<strong>in</strong>. Ergänzungen<br />
und Priorisierungen f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der nächs -<br />
ten Sitzung statt.<br />
Wir freuen uns über Anregungen und<br />
Rückmeldungen der Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />
die die Arbeit der Pfarrvertretung<br />
begleiten und unterstützen.<br />
Erreichbar ist die Pfarrvertretung unter:<br />
Ulrike Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<br />
Ev. Markusgeme<strong>in</strong>de Karlsruhe<br />
Hübschstraße 8, 76135 Karlsruhe<br />
Telefon (07 21) 845 405<br />
bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs@markusgeme<strong>in</strong>de-karlsruhe.de<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
69
Zur Diskussion<br />
Die Debatte um die Beschneidung hat,<br />
rechtlich betrachtet, e<strong>in</strong> Ende gefunden.<br />
Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er weiteren, besseren Verständigung<br />
über e<strong>in</strong>en religiösen Wertekanon<br />
ist sie notwendiger Weise<br />
weiterzuführen. Das me<strong>in</strong>t Kirchenrat<br />
Volker Ste<strong>in</strong>brecher, <strong>Evangelischer</strong> Beauftragter<br />
der Evangelischen Landeskirchen<br />
<strong>in</strong> Baden-Württemberg bei<br />
Landtag und Landesregierung <strong>in</strong> Stuttgart<br />
und ruft im Themenjahr ‚Reformation<br />
und Toleranz‘ zum weiteren Gespräch<br />
über den Wert von Religion und<br />
der Funktion von Kirche <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />
auch <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>den auf.<br />
Die Beschneidungsdebatte<br />
und ihre Folgen – Alles (nur)<br />
e<strong>in</strong>e Frage der Toleranz?<br />
Mit Urteil vom 7. Mai 2012 hatte das Landgericht<br />
Köln entschieden, bei der religiös<br />
begründeten Beschneidung handele es<br />
sich um e<strong>in</strong>e rechtswidrige Körperverletzung<br />
im S<strong>in</strong>ne von § 223 Abs.1 StGB. Diese<br />
Entscheidung wurde heftig kritisiert<br />
und diskutiert. Kritiker sagen: Mit dem Urteil<br />
habe der Staat unzulässig <strong>in</strong> das<br />
Recht der Religionsfreiheit e<strong>in</strong>gegriffen.<br />
Weiterh<strong>in</strong> wurde gesagt, die Beschneidung<br />
sei e<strong>in</strong> religiös konstitutives, körperlich<br />
sichtbares Siegel des Bundes mit<br />
Gott, dessen ritueller Vollzug am achten<br />
Tag nach der Geburt nicht zur Disposition<br />
steht. Manche Kritiker bestreiten auch den<br />
Tatbestand der Körperverletzung, es handele<br />
sich vielmehr um e<strong>in</strong> sozialadäquates<br />
Verhalten. Zudem werde das Erziehungsrecht<br />
der Eltern (Artikel 6 Abs.2 GG)<br />
unzumutbar bee<strong>in</strong>trächtigt. Der E<strong>in</strong>griff sei<br />
e<strong>in</strong>e Lappalie, vergleichbar zum Beispiel<br />
mit dem Stechen von Ohrlöchern.<br />
Es gab jedoch auch Stimmen, die das Urteil<br />
des Landgerichtes befürworten: Viele<br />
Ärzte (vor allem K<strong>in</strong>derärzte) haben darauf<br />
h<strong>in</strong>gewiesen, dass zu den Folgen der<br />
Beschneidung vielfach „bleibende genitale<br />
Beschädigungen und seelische und sexuelle<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigungen“ gehören. Die<br />
Befürworter des Urteil berufen sich auf Artikel<br />
4 GG: Auch e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d sei Träger<br />
der negativen Religionsfreiheit, die Beschneidung<br />
greife irreversibel <strong>in</strong> dieses<br />
Recht des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>.<br />
Was hat <strong>als</strong>o Vorrang? Die <strong>in</strong> Jahrhunderten<br />
gewachsene religiöse Pflicht zur<br />
Beschneidung oder die Pflicht des Staates,<br />
die körperliche Unversehrtheit e<strong>in</strong>es<br />
K<strong>in</strong>des zu schützen?<br />
E<strong>in</strong> vor wenigen Wochen vom Bundestag<br />
und Bundesrat verabschiedetes Gesetz<br />
versucht nun den bestehenden Wertekonflikt<br />
und die daraus resultierende<br />
Rechtsunsicherheit zu lösen. Im Kern ist<br />
danach der E<strong>in</strong>griff zulässig und straffrei,<br />
wenn er nach den Regeln der ärztlichen<br />
Kunst erfolgt und das K<strong>in</strong>deswohl nicht<br />
gefährdet ist. Und das ist <strong>in</strong> der Personensorge<br />
der Eltern, <strong>als</strong>o zivilrechtlich,<br />
geregelt und nicht im Strafrecht.<br />
Ist damit die Debatte beendet? Zu Fragen<br />
der Beschneidung <strong>in</strong> gewisser Weise<br />
schon. Nun können Juden und Muslime <strong>in</strong><br />
Deutschland rechtmäßig weiter ihre männ -<br />
lichen Knaben beschneiden lassen. Auf<br />
70 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
der anderen Seite hat die öffentliche Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
um das Thema Beschneidung<br />
jedoch auch gezeigt, dass es<br />
e<strong>in</strong>en großen Graben der Verständnislosigkeit<br />
zwischen traditionell religiös verhafteten<br />
Menschen und „den Anderen“ <strong>in</strong><br />
unserem Land gibt. Die ausgetauschten<br />
Argumente waren und s<strong>in</strong>d für die jeweils<br />
andere Seite nicht nachvollziehbar, weil<br />
es an der Verständigung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen<br />
„religiösen“ Wertekanons fehlt – und<br />
zwar unabhängig davon, ob es um die<br />
Ausübung christlicher, jüdischer oder mus -<br />
limischer Traditionen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
geht. Das Beschneidungsurteil „spal -<br />
tet Deutschland“, titelte der Berl<strong>in</strong>er Tagespiegel<br />
am 22. Juli vergangenen Jahres.<br />
Die Diskussion geht quer durch die<br />
Familien, Generationen und gesellschaftlichen<br />
Milieus und stellt die Frage nach<br />
dem Wert von Religion und der Funktion<br />
von Kirche für unseren Staat angesichts<br />
e<strong>in</strong>er zunehmenden Anzahl von Menschen,<br />
die sich ke<strong>in</strong>er religiösen oder gar<br />
kirchlichen Institution mehr zurechnen,<br />
ganz neu.<br />
M<strong>in</strong>isterpräsident W<strong>in</strong>fried Kretschmann<br />
hat deshalb bereits se<strong>in</strong> Interesse an e<strong>in</strong>em<br />
zwischen Kirche – Politik – und Gesellschaft<br />
geführten Dialog zum Thema<br />
bekundet, und Landesbischof Fischer hat<br />
mit der thematischen Gestaltung des zurückliegenden<br />
Jahresempfangs im Dezember<br />
des vergangenen Jahres bereits<br />
e<strong>in</strong> erstes, e<strong>in</strong>drückliches „Ausrufezeichen“<br />
zu Beg<strong>in</strong>n des neuen Kirchenjahres<br />
„Reformation und Toleranz“ gesetzt: Kirche<br />
fördert gel<strong>in</strong>gende Integration <strong>in</strong> Baden-Württemberg.<br />
Die präsentierten Zeugenworte<br />
beim Festakt waren <strong>in</strong> der Tat<br />
überzeugend. Für die politisch Verantwortlichen<br />
<strong>in</strong> unserem Land ist es deshalb<br />
<strong>in</strong>teressant, zum Thema Toleranz mit den<br />
kirchlich Verantwortlichen über folgende<br />
Fragen <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen: Welchen<br />
Beitrag können und wollen Kirche<br />
und Politik zu e<strong>in</strong>em gel<strong>in</strong>gendem Mite<strong>in</strong>ander<br />
<strong>in</strong> unserem Land leisten und wo<br />
s<strong>in</strong>d die Grenzen?<br />
Ich möchte Sie, liebe Kolleg<strong>in</strong>nen und Kol -<br />
legen herzlich zu diesen Gesprächen <strong>in</strong><br />
Ihren Geme<strong>in</strong>den und <strong>in</strong> Landkreisen gerade<br />
im Themenjahr Reformation und Toleranz<br />
ermuntern. Die Debatte ist eröffnet.<br />
n Volker Ste<strong>in</strong>brecher, Stuttgart<br />
Dazu e<strong>in</strong> Veranstaltungstipp aus dem<br />
Programm der Evangelischen Akademie<br />
Bad Herrenalb:<br />
Beschneidung:<br />
Argumentationsl<strong>in</strong>ien des neuen<br />
Gesetzes, 7. März 2013,<br />
Landesbibliothek, Karlsruhe.<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
71
Buchbesprechung<br />
Mart<strong>in</strong> Heimbucher,<br />
Christoph Schneider-Harpprecht,<br />
Aleida Siller (Hrsg.):<br />
Zugänge zum<br />
Heidelberger Katechismus<br />
Geschichte, Themen, Unterricht.<br />
E<strong>in</strong> Handbuch für die Praxis mit<br />
Unterrichtsentwürfen auf CD-ROM,<br />
Neukirchener Verlagsgesellschaft,<br />
Neukirchen-Vlyn 2012, 304 Seiten,<br />
30 Euro<br />
Erstaunlich viele Beiträge, darunter auch<br />
aus „badischer Feder“ enthält dieser Sammelband.<br />
Mit Recht schreiben der badische<br />
Landesbischof und der Moderator<br />
des Reformierten Bundes <strong>in</strong> ihrem Geleitwort:<br />
„Bereits e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> das Inhaltsverzeichnis<br />
macht neugierig.“ Dieser reichhaltige<br />
Stoff ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne „Zugänge“ gegliedert:<br />
persönliche, historische, theologische<br />
und praktische. Das Buch wendet<br />
sich an die „Unterrichtenden <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>de,<br />
Schule und Erwachsenenbildung“, um „<strong>in</strong><br />
den alten Formulierungen von neuem Erhellendes<br />
zu entdecken“. Re<strong>in</strong> formal fällt<br />
an dem Buch angenehm auf, dass die e<strong>in</strong>zelnen<br />
Beiträge dadurch gegliedert s<strong>in</strong>d,<br />
dass sie neben den Zwischenüberschriften<br />
kle<strong>in</strong>ere Teaser enthalten, die auf den<br />
Inhalt des Abschnitts nicht nur aufmerksam,<br />
sondern neugierig machen. Am Ende<br />
jedes Beitrags f<strong>in</strong>det sich neben Literaturangaben<br />
e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf die mitgelieferte<br />
CD-ROM mit unterschiedlichsten<br />
Materialien: Bildern, Spielen, Unterrichtsentwürfen<br />
usw.<br />
Im ersten Beitrag schreibt die Wuppertaler<br />
Pfarrer<strong>in</strong> Sylvia Bukowski „von der Lust<br />
an e<strong>in</strong>em Katechismus für heute zu<br />
schreiben“. Sie empf<strong>in</strong>det <strong>in</strong> ihrer Arbeit<br />
den Zwiespalt zwischen der Glaubenssprache<br />
früherer Zeiten und dem Subjektivismus<br />
heutiger Beliebigkeit und will diesem<br />
„Wildwuchs“ mit Hilfe e<strong>in</strong>es „Gartenhandbuchs“,<br />
mit dem sie den Heidelberger<br />
Katechismus (HK) vergleicht, zu Leibe<br />
rücken. Die Fragen des HK sollen dabei<br />
überprüft werden, „ob und <strong>in</strong>wiefern<br />
sie noch ausdrücken, was Menschen heute<br />
am Glauben <strong>in</strong>teressiert oder verunsichert“,<br />
– e<strong>in</strong> beherzigenswertes Vorhaben,<br />
gerade auch im Blick auf Jugendliche!<br />
Klaas Huiz<strong>in</strong>g schildert gekonnt e<strong>in</strong>en<br />
fußballbegnadeten Klassenkameraden<br />
– nur um die Er<strong>in</strong>nerung an ihn beim<br />
Aufschlagen des alten Katechismus nach<br />
Jahren wachzurufen? E<strong>in</strong> ehemaliger<br />
Landessuper<strong>in</strong>tendent vergleicht den Katechismus<br />
mit e<strong>in</strong>er musikalischen Komposition<br />
und rühmt se<strong>in</strong>e „schöne, sangliche<br />
Sprache“.<br />
Die historischen Zugänge werden mit e<strong>in</strong>em<br />
Beitrag zum theologischen Werdegang<br />
des Hauptverfassers des HK, Zacha -<br />
rias Urs<strong>in</strong>us, eröffnet, der theologisch „zwi -<br />
schen Calv<strong>in</strong> und Melanchthon“ stand.<br />
Man merkt den vielen E<strong>in</strong>zelheiten des<br />
dennoch gut lesbaren, flüssig geschriebenen<br />
Beitrags von Johannes Ehmann die<br />
Handschrift des Kirchenhistorikers an. Er<br />
zeichnet nicht nur den Weg des Breslauers<br />
über Wittenberg, Genf und Paris nach<br />
Heidelberg, sondern nach e<strong>in</strong>em kurzen<br />
lutherischen Intermezzo des Heidelberger<br />
Hofs nach Neustadt, wo er 1583 starb.<br />
Se<strong>in</strong> eigentliches Anliegen e<strong>in</strong>er gesamtevangelischen<br />
Synode wurde durch die<br />
lutherische Konkordienformel mit ihrer<br />
deutlichen Abgrenzung gegen die Refor-<br />
72 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
mierten allerd<strong>in</strong>gs durchkreuzt. Matthias<br />
Freudenberg hebt <strong>als</strong> Charakteristikum<br />
reformierter Katechismen hervor, dass sie<br />
mit e<strong>in</strong>er persönlichen Fragestellung beg<strong>in</strong>nen;<br />
damit wird „die Lehre aus dem Käfig<br />
spröder Abgeschlossenheit zu e<strong>in</strong>er<br />
Lebensäußerung befreit.“ Ob man allerd<strong>in</strong>gs<br />
sagen kann, dass „Gott gewiss auch<br />
um se<strong>in</strong>er selbst willen <strong>in</strong>teressant ist“,<br />
muss ernsthaft gefragt werden, da wir von<br />
Gott immer nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er uns zugewandten<br />
Seite wissen und wissen können – alles<br />
andere wäre spekulative Philosophie.<br />
Inhaltlich hebt er drei Fragenkreise <strong>in</strong> reformierten<br />
Katechismen hervor: die Frage<br />
nach der Person des Glaubenden, nach<br />
den vergewissernden Zeichen sowie die<br />
Lust zur Befolgung des Willens Gottes.<br />
Hier gibt es auch Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ien zu<br />
Bernd Schröders Beitrag unter den theologischen<br />
Zugängen, der unter dem Titel<br />
„Theologien der Fragen“ das Fragen <strong>als</strong><br />
Geme<strong>in</strong>samkeit zwischen Juden und dem<br />
HK hervorhebt, wenn er auch bemängelt,<br />
dass dessen Fragen meistens geschlossene<br />
Fragen s<strong>in</strong>d.<br />
Auf der anderen Seite ist die positive Wertung<br />
der göttlichen Tora kennzeichnend.<br />
Andreas Mühl<strong>in</strong>g zeigt, dass bereits Ott -<br />
he<strong>in</strong>rich Verb<strong>in</strong>dung zu Bull<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> Zürich<br />
hatte. Er zeichnet die Frömmigkeitsentwicklung<br />
se<strong>in</strong>es Nachfolgers Friedrich III.<br />
und dessen Kirchenpolitik nach und weist<br />
die kirchenpolitische Bedeutung des HK<br />
auf. Bull<strong>in</strong>gers E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> Heidelberg hatte<br />
weiterh<strong>in</strong> bestanden. Er stimmte ihm<br />
daher auch freudig kräftig zu. Christroph<br />
Strohm schlägt den Bogen von Luthers<br />
Priestertum aller Gläubigen zu dem ge-<br />
me<strong>in</strong>samen Anliegen reformatorischer<br />
Katechismen <strong>als</strong> Kompendien „elementaren<br />
Glaubenswissens (…) <strong>in</strong> pluraler Gestalt“.<br />
Wer sich über Gebrauch und Verbreitung<br />
des HK <strong>in</strong>formieren möchte, ist<br />
bei Hans Georg Ulrichs an der richtigen<br />
Adresse. Besonders <strong>in</strong>teressant ist dabei<br />
auch der Aspekt des HK im Kirchenkampf.<br />
Bemerkenswert ist auch, was Heike und<br />
Udo Wennemuth über die Beziehung zwischen<br />
Katechismen, <strong>in</strong>sbesondere den<br />
HK, und Gesangbüchern schreiben.<br />
Magdalene Frettlöh macht im ersten Beitrag<br />
der „theologischen Zugänge“ auf den<br />
Umfang aufmerksam, den die Sakramentsfragen<br />
im HK e<strong>in</strong>nehmen. Sie betrachtet<br />
dies unter dem Gesichtspunkt<br />
„Leiblichkeit“ und Vergewisserung“. Mit<br />
dem H<strong>in</strong>weis auf den „Heiligen Geist <strong>als</strong><br />
Akteur der Vergewisserung“ wird auch e<strong>in</strong><br />
wichtiger Beitrag zu dem müßigen Streit<br />
um „Realpräsenz“ geleistet. Vielleicht hängt<br />
die Vielzahl der Sakramentsfragen auch<br />
mit dem auslösenden Moment zu diesem<br />
Katechismus zusammen. Hans-Mart<strong>in</strong><br />
Gutmann setzt sich mit der Diskussion um<br />
das „Opfer Christi“ sowie mit der Frage<br />
ause<strong>in</strong>ander, „Erreicht die Evan gelische<br />
Zentralbotschaft heute noch die Herzen<br />
und Köpfe?“<br />
Die Vielfalt der angesprochenen Themen<br />
dürfte damit bereits angeklungen se<strong>in</strong>;<br />
weitere <strong>in</strong>teressante Fragen können nur<br />
angedeutet werden, so etwa die „Dankbarkeit“<br />
<strong>als</strong> „Grundlegung der Ethik“ oder<br />
die Stichwörter „Mittler und Erlöser“ <strong>als</strong><br />
Ausdruck der „geglaubten Realität der<br />
göttlichen Barmherzigkeit“. Herausgegrif-<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
73
Buchbesprechung<br />
fen seien daher nur noch zwei Beiträge<br />
badischer Theologen im Kapitel „Praktische<br />
Zugänge“.<br />
Uwe Hauser macht im Anschluss an Assmanns<br />
Begriff vom kollektiven Gedächtnis<br />
und Elementen des Deuteronomiums verschiedene<br />
Schritte des Lernens deutlich.<br />
Dabei versteht er den HK <strong>als</strong> „verschränk -<br />
tes Gespräch“. Wichtig ist ihm die „Umkehr<br />
der Fragerichtung“ vom K<strong>in</strong>d an die<br />
Eltern. Kann e<strong>in</strong> Katechismus dabei Eltern<br />
und Lehrer(<strong>in</strong>nen) vor pe<strong>in</strong>licher Sprachlosigkeit<br />
bewahren? Er verweist auf die<br />
Notwendigkeit, mit K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> deren Alltagssprache<br />
zu sprechen und reflektiert<br />
den HK im Licht der „K<strong>in</strong>dertheologie“.<br />
Dabei macht er das nötige „Vorwissen“<br />
durch Kenntnis biblischer Erzählungen<br />
bewusst. Götz Häuser reflektiert derzeitige<br />
„Glaubenskurse“ der Erwachsenenbildung<br />
im Licht des HK. Er verweist auf die<br />
Scharnierfunktion des Trostes (vgl. Hk<br />
Frage 1) zwischen Glauben und Lebenswelt,<br />
auf das Verhältnis von Wissen und<br />
persönlichem Glauben sowie die heute<br />
<strong>als</strong> „fremdartig“ empfundene Frage-Antwort-Struktur,<br />
aber auch auf die Problematik<br />
der Abhör-Praxis.<br />
Alles <strong>in</strong> allem e<strong>in</strong> echtes Handbuch für<br />
vielfältige Anwendungsmöglichkeiten <strong>in</strong><br />
der Praxis und Anregungen zum persönlichen<br />
Weiterdenken.<br />
n Hans Maaß, Karlsruhe<br />
Manfred Baumert:<br />
Natürlich – übernatürlich:<br />
Charismen entdecken und<br />
weiterentwickeln.<br />
E<strong>in</strong> praktisch-theologischer Beitrag<br />
aus systematisch-theologischer<br />
Perspektive mit empirischer<br />
Konkretion.<br />
Europäische Hochschulschriften.<br />
Reihe 23: Theologie. Bd. 921.<br />
Frankfurt/M: Peter Lang, 2011, XXVI,<br />
514 Seiten, zahlreiche Tabellen und<br />
Grafiken, 84,80 Euro<br />
Das vorliegende Buch ist e<strong>in</strong>e überarbeitete<br />
Fassung e<strong>in</strong>er im Oktober 2009 von<br />
der Praktisch – Theologischen Fakultät<br />
der Fern – University of South Africa <strong>in</strong><br />
Pretoria angenommenen Dissertation, der<br />
Verfasser Studienleiter am Theologischen<br />
Sem<strong>in</strong>ar Adelshofen. Manfred Baumert<br />
war vor se<strong>in</strong>em Theologiestudium <strong>als</strong> Vermessungstechniker<br />
lange Jahre ehrenamtlich<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er badischen Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />
aktiv. Der auch <strong>in</strong> evangelischen<br />
Kreisen bekannte Freiburger Professor<br />
für Theologie und Soziologie Dr. Dr. Michael<br />
N. Ebertz hat das Erstgutachten geschrieben.<br />
Im Rahmen der Abfassung erfolgte<br />
e<strong>in</strong>e empirische Studie im Kontext<br />
der badischen Landeskirche mit 250 Pfarrer<strong>in</strong>nen<br />
und Pfarrern sowie Ehrenamtlichen.<br />
Sie stellt daher <strong>in</strong> der Fülle der Veröffentlichungen<br />
zu Fragen der Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />
e<strong>in</strong> Novum dar.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n erarbeitet der Verfasser <strong>in</strong> der<br />
„Historischen Nachfrage“ (S. 23–89) fundamentaltheologische,<br />
soziologische und<br />
pragmatische Typologien <strong>in</strong> der Frage<br />
74 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
nach dem Verständnis und dem Erkennen<br />
der Gaben, ausgehend vom 2. bis 4.<br />
Jahrhundert mit dem Amtscharisma des<br />
Bischofs, freien Charismen mit missionarischer<br />
Zielsetzung und dem mönchischen<br />
Charisma der Gottesbeziehung. Die Umbruchsituation<br />
dieser Zeit zwischen wandernden<br />
Charismatikern und der etablierten<br />
Bischofskirche kennzeichnet diese<br />
drei Hauptstränge von Charismen.<br />
Bei Thomas von Aqu<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong>e Dialektik<br />
zwischen natürlichen und geistlichen Gaben<br />
erkennbar . Mit besonderer Betonung<br />
der Tugend <strong>als</strong> Gabe des menschlichen<br />
Geistes durch die Schöpfung bewirkt,<br />
erhalten die Gnadengaben bei Thomas<br />
ethische Züge. Gemäß se<strong>in</strong>er Rechtfertigungslehre<br />
f<strong>in</strong>det sich bei M. Luther e<strong>in</strong><br />
personal – relationales Gabenverständnis<br />
<strong>in</strong> verschiedener Weise: soteriologisch<br />
wie bei den Kirchenvätern <strong>als</strong> rettende<br />
Heilsgabe; damit eng verbunden Gaben<br />
des Geistes für das Leben <strong>in</strong> der Nachfolge,<br />
pneumatologisch im S<strong>in</strong>ne von 1. Kor. 12<br />
und schöpfungstheologisch <strong>in</strong> der anthropologischen<br />
Dimension (S. 30–56). Im<br />
Grunde f<strong>in</strong>den wir bei Luther e<strong>in</strong>e tr<strong>in</strong>itarische<br />
Entfaltung der Gaben. Sie s<strong>in</strong>d <strong>als</strong>o<br />
schöpfungstheologisch bereits bei der<br />
Geburt allen Menschen gegeben. Davon<br />
getrennt werden die Geistesgaben bei der<br />
Taufe aufgrund der Erlösung <strong>in</strong> Christus<br />
zugeeignet, die aber erst <strong>in</strong> der Dimension<br />
des Glaubens durch Gottes Gnade und<br />
Kraft zu ihrer Bestimmung kommen. Nach<br />
Luther stehen allen Menschen Gaben<br />
Gottes zur Verfügung, die sich <strong>als</strong> Schöpfungsgaben<br />
erst durch die Taufe zu Charismen<br />
qualifizieren.<br />
In se<strong>in</strong>em historischen Abriss geht Baumert<br />
auf weitere Positionen (M. Weber,<br />
Rahner, Schleiermacher) e<strong>in</strong>. Schleiermacher<br />
ist <strong>als</strong> Psychologe gelesen vor allem<br />
deshalb <strong>in</strong>teressant, weil er verdeutlicht,<br />
wie das Selbstbewusstse<strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>deglieder<br />
mit dem wechselseitigen<br />
Erkennen der Charismen <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft<br />
zusammenhängt (S. 57–62), was<br />
der empirische Befund <strong>in</strong> dieser Arbeit<br />
später bestätigt. Bemerkenswert ist ebenso<br />
das Ergebnis bei Z<strong>in</strong>zendorf. Die Entdeckung<br />
der Charismen geschieht im lebendigen<br />
Wechselspiel von Institution,<br />
Kommunikation und Inspiration.<br />
Der gegenwärtige Forschungsstand (S.<br />
91–114)kennzeichnet Charismen <strong>als</strong> e<strong>in</strong><br />
„theologisch – schillernden“ Begriff (S. 91).<br />
„Dialektisch – fragmentarisch“ werden<br />
übernatürliche und natürliche Fähigkeiten<br />
verbunden (Obenauer), „<strong>in</strong>klusivistisch“<br />
wird der Geist des Schöpfers und der<br />
Pf<strong>in</strong>gstgeist allen Menschen <strong>in</strong> allen Kulturen<br />
gegeben(Moltmann), e<strong>in</strong> „extraord<strong>in</strong>äres“<br />
Verständnis wird <strong>in</strong> der Pf<strong>in</strong>gstbewegung<br />
sichtbar (Menzies), die gegenwärtige<br />
christozentrisch heiligende Dimension<br />
der Gaben nimmt den Ansatz<br />
von M. Luther auf (Herbst). Möllers Verständnis<br />
fällt aus dem Rahmen: Der Gottesdienst<br />
wird gefeiert <strong>als</strong> e<strong>in</strong> gegenseitiger<br />
Begabungsprozess zur Ehre Gottes.<br />
Die Charismen s<strong>in</strong>d Chancen zur Selbstentfaltung.<br />
Auf diese Analyse folgt die Exegese des<br />
Alten und Neuen Testaments (S. 115 –<br />
140): Die Gottebenbildlichkeit verleiht<br />
Menschen universelle Kultur schaffende<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
75
Begabungen; die Ganzheitlichkeit des<br />
Menschen <strong>in</strong>tegriert Charismen, denen<br />
geistlicher Charakter zuwächst aufgrund<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Berufung durch Gott.<br />
Im Neuen Testament wird das Entdecken<br />
der Charismen <strong>in</strong> den Proömien – <strong>als</strong>o im<br />
Rückblick auf die Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />
festgestellt –, <strong>in</strong> der Doxologie sowie<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Paränesen beschrieben.<br />
Dabei tritt die tr<strong>in</strong>itarische Dimension der<br />
Charismen hervor. Sie konkretisiert sich <strong>in</strong><br />
der „Ich – Identität“, der „Ich – Du – Beziehung“<br />
und zielt auf die „Wir – Gestalt“ der<br />
Geme<strong>in</strong>de/Geme<strong>in</strong>schaft (S. 120–140).<br />
Besonders erwähnenswert ist die Exegese<br />
zu 1. Kor. 12, 22. Die Erkenntnis der<br />
gerade unsche<strong>in</strong>baren Charismen <strong>in</strong> der<br />
Wechselbeziehung von Eigen- und Fremd -<br />
wahrnehmung wird korrigiert <strong>in</strong> der offenbarenden<br />
Perspektive von Kreuz und Auferstehung<br />
(S.133).<br />
Anschließend werden gegenwärtige Gabentests<br />
analysiert. Es s<strong>in</strong>d die Modelle<br />
von Bill Hybels („gaben<strong>in</strong>tegrierte Persönlichkeit“),<br />
Christian A. Schwarz („determ<strong>in</strong>iert<br />
– tr<strong>in</strong>itarisches Gabenmodell“), der<br />
„kybernetische Ansatz“ (Eph. 4, 11) sowie<br />
Gabentests <strong>in</strong> der kirchlichen Jugendarbeit<br />
und der badischen Landeskirche<br />
(S.141–190).<br />
Die beiden folgenden Kapitel dienen der<br />
eigenen empirischen Konkretion <strong>in</strong> diesem<br />
Fall der Evang. Landeskirche <strong>in</strong> Baden.<br />
Neben der grundsätzlichen Diskussion<br />
des Verhältnisses von Empirie und<br />
Theologie werden das Forschungsdesign<br />
benannt sowie Voruntersuchung, Evaluation<br />
und Auswahlkriterien der beteiligten<br />
Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer beschrieben.<br />
Spannend wird es, wenn die verschiedenen<br />
Ansätze zum Abschluss des Kapitels<br />
zwischen der Fremdwahrnehmung von<br />
Hauptamtlichen und der eigenen Selbste<strong>in</strong>schätzung<br />
der Geme<strong>in</strong>deglieder verglichen<br />
werden.<br />
Für die Geme<strong>in</strong>dearbeit ist das Ergebnis<br />
der Umfrage von em<strong>in</strong>enter Bedeutung.<br />
Es bedeutet e<strong>in</strong>en radikalen Perspektivwechsel:<br />
Je klarer die Geme<strong>in</strong>deleitung<br />
ihre Zukunftsziele formuliert, umso deutlicher<br />
s<strong>in</strong>d die Erwartungen an e<strong>in</strong>e gabenorientierte<br />
Mitarbeit, verbunden mit e<strong>in</strong>er<br />
grundlegenden Veränderung im Verhältnis<br />
zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen.<br />
Diese Neuorientierung hat Folgen. Sie<br />
schließt bei Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrern den<br />
Verzicht auf e<strong>in</strong>e autonome Arbeitsweise<br />
e<strong>in</strong>, bei der sie alle Aufgaben selbst ausführen<br />
oder kontrollieren wollen. Teamarbeit<br />
ist neu aufzubauen, Kommunikation<br />
geschieht auf Augenhöhe, Mitarbeitende<br />
s<strong>in</strong>d fachlich, geme<strong>in</strong>depädagogisch und<br />
geistlich zu begleiten. Ihre Anerkennung<br />
setzt Kräfte und Motivation frei. Dazu zählt<br />
auch e<strong>in</strong> Aussprechen der Anerkennung<br />
öffentlich vor der Geme<strong>in</strong>de und der entsprechende<br />
Dank an Mitarbeitende sowie<br />
klare Absprachen, Kompetenzen und zielgerichtete<br />
Schulung, Zielsetzung, Erfolgskontrolle<br />
und Mitarbeitergespräche. Denn<br />
Charismen werden gerade im Rückblick<br />
auf die persönliche Lebensgeschichte erkannt<br />
und entdeckt.<br />
So endet die Dissertation mit heraus -<br />
fordernden Thesen für die theologische<br />
76 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Buchbesprechung<br />
Ausbildung und für die Ortsgeme<strong>in</strong>den<br />
(S. 395–439). Zuletzt zeigt der Verfasser<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenständigen Ausblick, wie die<br />
tr<strong>in</strong>itarische Dimension der Charismen<br />
str<strong>in</strong>gent der missionarischen Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />
dient: Sammlung schöpfungsbegabter<br />
Menschen <strong>in</strong> ihren unterschiedlichen<br />
Milieus und an den Rändern<br />
der Kirche durch ergänzende Zusammenarbeit<br />
mit Christen (Konvivenz) bis h<strong>in</strong> zur<br />
partizipierenden Beteiligung <strong>in</strong> der Kirchengeme<strong>in</strong>de.<br />
Im Vertrauen auf das Evangelium<br />
folgt die Sendung <strong>als</strong> tr<strong>in</strong>itarisch begabte<br />
Mitarbeiter. Damit fällt der Unterschied<br />
zwischen den sog. übernatürlichen<br />
Geistesgaben und natürlichen Fähigkeiten,<br />
was <strong>in</strong> der Arbeit ausreichend begründet<br />
wird.<br />
Ihr klarer Aufbau mit vielen praktischen<br />
Impulsen zum Geme<strong>in</strong>dealltag erlaubt,<br />
dass man Themen auszugsweise erarbeiten<br />
kann. Ihre Anschaffung ist trotz des<br />
Preises von großem Gew<strong>in</strong>n für Hauptamtliche.<br />
n Bernhard Würfel, Pforzheim<br />
Glo. Die Bibel<br />
(3 DVD-ROM), SCM R.Brockhaus,<br />
3. Auflage 2012, 79,95 Euro<br />
Wozu e<strong>in</strong>e Multimedia-Bibel, wenn viele<br />
Medien und Informationen im Internet frei<br />
zugänglich s<strong>in</strong>d? Mit dieser kritischen Frage<br />
<strong>in</strong>stalliere ich die neue Bibel-Software<br />
„Glo“. Name, Layout und Vermarktung<br />
des Produktes sche<strong>in</strong>en auf die Generation<br />
zu zielen, die im digitalen Zeitalter<br />
groß wurde und <strong>in</strong> der Regel Smartphone<br />
bzw. Tablet statt Term<strong>in</strong>kalender und Notizbuch<br />
bei sich hat. Nach der e<strong>in</strong>fachen<br />
und problemlosen Installation (getestet<br />
bei W<strong>in</strong> 7 und W<strong>in</strong> 8) bestätigt sich dieser<br />
E<strong>in</strong>druck. Die Navigation <strong>in</strong>nerhalb des<br />
Programmes ist <strong>in</strong>tuitiv schnell erlernbar<br />
und er<strong>in</strong>nert mit Hyperl<strong>in</strong>ks, Toolbar, Home-<br />
Icon, Wisch-Gesten, Thumbnails und Verlaufs-Funktion<br />
an Tablets und Webbrowser.<br />
Endlich e<strong>in</strong>e Bibel-Software, die nicht mehr<br />
an W<strong>in</strong> 3.11 er<strong>in</strong>nert und mit vielen Fenstern<br />
oder unübersichtlichen Menüs nervt.<br />
Der Startbildschirm eröffnet den Zugang<br />
zu den sogenannten „fünf Welten“ von Glo:<br />
1. Bibel<br />
Durch die übersichtliche Gestaltung (natürlich<br />
nur bei nicht zu kle<strong>in</strong>er Bildschirmdiagonale)<br />
kann man mit zwei Klicks zur<br />
gesuchten Bibelstelle navigieren. Die Textdarstellung<br />
ist ansprechend und erlaubt,<br />
auch längere Passagen am Bildschirm zu<br />
lesen. In der unteren Bildschirmhälfte wird<br />
automatisch der Kommentar der „Bibel<br />
fürs Leben“ angezeigt. Es handelt sich dabei<br />
um e<strong>in</strong>e gut verständliche Auslegung,<br />
die sich an Bibelleser ohne theologische<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
77
Vorbildung wendet, aber auch „Bibel-Kennern“<br />
zum Teil <strong>in</strong>teressante Perspektiven<br />
eröffnet. Neben dem Kommentar werden<br />
mediale Inhalte dargestellt: Fotos, Karten,<br />
3-D-Touren oder Kunstwerke. Hier zeigt<br />
sich die Stärke von Glo: Die Vernetzung mit<br />
multimedialen Inhalten. Mehrere Schwach -<br />
stellen s<strong>in</strong>d aber zu vermerken. Glo bietet<br />
nur zwei deutsche Bibelübersetzungen:<br />
die revidierte Elberfelder und Neue-Leben-Übersetzung.<br />
Laut Herstellerangaben<br />
werden weitere folgen. Die Übersetzungen<br />
s<strong>in</strong>d nur alternativ und nicht parallel<br />
darstellbar. Außerdem fehlt vollständig<br />
e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerbiblisches Verweissystem,<br />
das z. B. Parallelstellen, atl. Zitate und Anspielungen<br />
benennt. Das gleiche gilt für<br />
den Kommentar. Werden dort weiterführende<br />
Bibelstellen genannt, können sie<br />
nicht durch Anklicken aufgeschlagen oder<br />
durch Überfahren angezeigt, sondern<br />
müssen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Suche aufgerufen<br />
werden. Schließlich ist die Wortsuche<br />
nicht lemmatisiert, d. h. Wörter können nicht<br />
nach Wortstamm unabhängig von der<br />
grammatischen Form gesucht werden.<br />
Tiefergehendes Bibelstudium ist so leider<br />
nicht möglich.<br />
2. Zeitleiste<br />
Die Zeitleiste stellt wichtige biblische Ereignisse<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitstrahl dar, gruppiert<br />
<strong>in</strong> Zeitepochen. Die Urgeschichte von der<br />
Schöpfung bis Noah (2.500 v. Chr.) bleibt<br />
undatiert, das letzte Ereignis ist der Tod<br />
des Apostels Johannes (100 n. Chr.). Die<br />
Zeitleiste bietet e<strong>in</strong>e schnelle Information<br />
über die Entstehungszeit e<strong>in</strong>er Schrift<br />
oder die Datierung e<strong>in</strong>es Ereignisses.<br />
Mehr aber auch nicht. Glo nennt fast kei-<br />
ne Daten aus der Weltgeschichte, wie<br />
z. B. Regierungsdaten fremder Herrscher<br />
oder epochale Ereignisse, die E<strong>in</strong>fluss auf<br />
die biblische Geschichte hatten. So hängt<br />
diese frei schwebend im geschichtslosen<br />
Raum. Die umständliche Navigation <strong>in</strong> ner -<br />
halb der Zeitleiste macht dieses Tool m. E.<br />
fast gänzlich unbrauchbar. Die chronologischen<br />
Tabellen im Anhang der meisten<br />
(Studien-)Bibeln s<strong>in</strong>d durchweg s<strong>in</strong>nvoller.<br />
3. Atlas<br />
Die Atlas-Welt markiert biblische Orte im<br />
Satellitenbild, das e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> geographische<br />
Besonderheiten ermöglicht<br />
(z. B. Vegetation, Geologie). Beim weiteren<br />
Heranzoomen wechselt die Ansicht<br />
allerd<strong>in</strong>gs zur aktuellen Straßenkarte. Für<br />
e<strong>in</strong>e biblische Recherche ist dies nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />
hilfreich und erforderlich. Laut<br />
Herstellerangaben soll dieses Defizit bald<br />
behoben werden. Weiter führen hier die<br />
Zeitleiste am unteren Bildschirmrand und<br />
die Verknüpfung mit weiteren Medien<strong>in</strong>halten.<br />
Durch e<strong>in</strong>en Klick auf e<strong>in</strong>e Stadt<br />
erhält man sofort Zugang zu Fotos, entsprechenden<br />
Bibelstellen, Lexikonartikeln<br />
(aus dem „Lexikon zur Bibel“ von G. Maier<br />
und F. Rienecken) und 3-D-Touren –<br />
soweit vorhanden.<br />
4. Themen<br />
Diese Welt ist <strong>in</strong> vier Segmente untergliedert:<br />
Bibel, Gott, Glaube, Beziehungen.<br />
Jede von ihnen enthält Themenkomplexe,<br />
denen Bibelstellen und Medien<strong>in</strong>halte im<br />
Stil e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>dmap zugeordnet s<strong>in</strong>d. So<br />
führt zum Beispiel die Navigation über<br />
Gott – Jesus Christus – Gottheit zu 23 Bibelstellen,<br />
e<strong>in</strong>em Lexikonartikel und 5<br />
78 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Kunstwerken, z. B. Cesaris Verklärung<br />
Christi. Die Auswahl, thematische Gliederung<br />
und die Zuordnung der Bibelstellen<br />
bzw. Medien ist aber oft nicht nachvollziehbar.<br />
„Erlösung“ ist dem Segment<br />
„Gott“ zugeordnet, „Schöpfung“ und „Sünde“<br />
aber „Glauben“. Das Stichwort „das<br />
Ausmaß der Erlösung“ führt zum Lexikonartikel<br />
„Liebe, lieben“ und zu drei Kunstwerken,<br />
die den großen Versöhnungstag<br />
darstellen. Beim Thema „das Blut von<br />
Christus“, das diese Verknüpfung eher nahelegt<br />
hätte, fehlt sie ebenso wie z. B. der<br />
Verweis auf die Lexikonartikel „Blut“ oder<br />
„Versöhnung“. Befremdlich wirken die<br />
Ausführlichkeit, mit der das Thema „Bib -<br />
lische Kriegsführung“ entfaltet wird, und<br />
die theologische Differenzierung von Endzeittheorien<br />
(Prämillennialismus, Amillenianismus<br />
und Postmillennialismus).<br />
5. Medien<br />
Die Medien-Welt ist die eigentliche Stärke<br />
von Glo. Alle Medien<strong>in</strong>halte s<strong>in</strong>d kommentiert,<br />
hochauflösend und können mit<br />
e<strong>in</strong>er programm<strong>in</strong>ternen Funktion zu e<strong>in</strong>er<br />
Präsentation zusammengefügt werden.<br />
Die 2.377 Fotos zeigen v. a. historische<br />
Monumente und archäologische Funde.<br />
Die 712 Kunstwerke stammen aus allen<br />
Epochen der Kunstgeschichte seit der Renaissance.<br />
Sie enthalten u. a. viele aussagekräftige<br />
Bilder von Doré, aber auch<br />
szenische Darstellung biblischer Ereignis -<br />
se mittels Computergrafik. Die 547 3-D-<br />
Touren ermöglichen e<strong>in</strong>en virtuellen Spaziergang<br />
z. B. durch das Zeltheiligtum und<br />
den Tempel des Herodes, aber auch durch<br />
den heutigen Felsendom, die Grabeskirche,<br />
die Sixt<strong>in</strong>ische Kapelle oder die Rui-<br />
nen von Massada. Dieses e<strong>in</strong>zigartige<br />
Fea ture eröffnet bislang unbekannte Perspektiven<br />
und Erkenntnisse. Die 143 Karten<br />
s<strong>in</strong>d wiederum nur teilweise erhellend.<br />
Sie stellen v. a. Reiserouten biblischer<br />
Figuren dar. Es fehlen aber historische<br />
Karten, die z. B. die Grenzen des baby -<br />
lonischen Reiches oder der römischen<br />
Prov<strong>in</strong>zen markieren (diese werden z. T.<br />
f<strong>als</strong>ch lokalisiert).<br />
Vorbildlich: Mit dem Erwerb von Glo erhält<br />
der Käufer die Lizenz, die Software auf<br />
vier Geräten zu <strong>in</strong>stallieren. Bisher verfügbar<br />
s<strong>in</strong>d die W<strong>in</strong>dows und Mac-Ver -<br />
sionen, die Apps für iOS und Android sollen<br />
folgen. E<strong>in</strong>stellungen, Notizbuch und<br />
Präsentationen werden automatisch zwischen<br />
den verschiedenen Geräten synchronisiert.<br />
Fazit:<br />
Die moderne Benutzeroberfläche, die Medienwelt<br />
und die Artikel des „Lexikons zur<br />
Bibel“ machen Glo attraktiv, alle anderen<br />
Features s<strong>in</strong>d weniger hilfreich. Jeder muss<br />
selbst entscheiden, ob er bereit ist, dafür<br />
knapp 80 Euro zu bezahlen.<br />
n Dirk Kellner, Ste<strong>in</strong>en<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
79
Buchbesprechung<br />
Klaas Huiz<strong>in</strong>g:<br />
Me<strong>in</strong> Süßk<strong>in</strong>d<br />
E<strong>in</strong> Jesusroman<br />
Gütersloher Verlagshaus 2012,<br />
240 Seiten, 19,99 Euro<br />
Gott bewahre: E<strong>in</strong> Jesusroman! Man hat<br />
da ja schon mancherlei gelesen: eso -<br />
terisches Geraune oder frömmelnde Verkündigung,<br />
die beide niemand so richtig<br />
braucht. Jesusromane s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Wagnis,<br />
für deren Leser wie für ihre Autoren. Klaas<br />
Huiz<strong>in</strong>g ist es e<strong>in</strong>gegangen – und was dabei<br />
herausgekommen ist, überrascht und<br />
ist ausgesprochen lesenswert!<br />
Schon, weil Huiz<strong>in</strong>g nicht die (dem e<strong>in</strong>en<br />
oder der anderen noch) vertraute Lebensgeschichte<br />
Jesu, wie die Evangelien sie<br />
berichten, zur Vorlage hat, sondern die<br />
Geschichte davor erzählt: K<strong>in</strong>dheit und<br />
Jugend. Und Jesus <strong>als</strong> der junge Mann,<br />
der das Bauhandwerk se<strong>in</strong>es Vaters lernt,<br />
der die erste Liebe erlebt, der an sich entdeckt,<br />
dass er die Gabe des Wortes und<br />
des Heilens besitzt. Dieser Jesus ist etwas<br />
widerständig, er lehnt den Vater ab,<br />
von se<strong>in</strong>er Mutter (die ihre Pläne hat) wird<br />
er für verrückt erklärt. Thomas Manns Programm<br />
für se<strong>in</strong>e Joseph-Tetralogie, die<br />
„Humanisierung des Mythos“, f<strong>in</strong>det bei<br />
Klaas Huiz<strong>in</strong>g ihren fe<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nigen Niederschlag.<br />
Dass Jesu Vater der „Gesprenkelte“<br />
heißt, er<strong>in</strong>nert durchaus daran, und<br />
Huiz<strong>in</strong>gs Ironie ist gewiss beim Zauberer<br />
<strong>in</strong> die Lehre gegangen. Und weil Huiz<strong>in</strong>g<br />
Humor hat, ist dies ke<strong>in</strong> schwermütig-lastender<br />
Jesusbildungsroman geworden.<br />
Menschlich-Allzumenschliches lässt sich<br />
lesen, und der Autor gibt dem Schalk bis<br />
<strong>in</strong>s sprachliche Detail, bis <strong>in</strong>s literarische<br />
Zitat h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> erfreulichen Spielraum (In<br />
Sepphoris wohnt Jesus e<strong>in</strong>em Lustspiel<br />
von „Areoplans“ bei, er baut mit an e<strong>in</strong>er<br />
Villa, mit römischem Brunnen dar<strong>in</strong>: „…<br />
und fallend gießt er voll der Marmorschale<br />
Rund und übergießt sie sacht“. Köstlich!)<br />
Da schreibt e<strong>in</strong> theologisch hochversierter<br />
Literat auf der Höhe unserer Zeit. Der Dialog<br />
zwischen theologischer Tradition und<br />
(Post-)Moderne ist auch stilbildend: Überraschende<br />
Kapitelüberschriften, die der<br />
Jahrtausende alten Geschichte sche<strong>in</strong>bar<br />
entgegenstehen und fromme Spracherwartungen<br />
enttäuschen („F<strong>als</strong>ch gewickelt“,<br />
„Arche now“, „Jeshua hat den Blues“<br />
u. a.), ziehen das Erzählte <strong>in</strong> unsere Zeit.<br />
Zugleich fügt sich die Geschichte, <strong>in</strong>dem<br />
Huiz<strong>in</strong>g letzte Sätze und Wendungen vorangehender<br />
Kapitel im jeweils nächsten<br />
aufgreift – wer mag, kann sich an die „dei“-<br />
Figur (dei – Griechisch: Es muss!) des<br />
Matthäusevangeliums er<strong>in</strong>nern lassen.<br />
Diese Geschichte hat tatsächlich ihre Notwendigkeit,<br />
Jesus ist ganz konsequent <strong>als</strong><br />
der Menschgewordene gedacht und beschrieben,<br />
mit Brüchen und Umwegen,<br />
Verwunderung und Zweifeln. Der Autor<br />
lebt mit dem Jesus der Evangelien offensichtlich<br />
auf so vertrautem Fuß, dass er<br />
se<strong>in</strong>en Weg dah<strong>in</strong> plausibel erzählt.<br />
Wie das <strong>in</strong> Jesusromanen selten geschieht.<br />
In diesem schon. Er lohnt das<br />
Wagnis, ihn zu lesen. Gott befohlen!<br />
n Thomas Weiß, Baden-Baden<br />
80 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
In memoriam<br />
Ekkehard Zitt<br />
* 18.2.1939 † 10.11.2012<br />
E<strong>in</strong>e große Trauergeme<strong>in</strong>de nahm am<br />
16. November 2012 im Gottesdienstraum<br />
der Ev. Stadtmission <strong>in</strong> Pforzheim vom<br />
Pfarrer i. R. Ekkehard Zitt Abschied. Die<br />
Beerdigung hielt Stadtmissionar Uli Limpf.<br />
Er begann mit dem Konfirmationsspruch<br />
von Ekkehard Zitt:<br />
„Vor allen D<strong>in</strong>gen aber ergreift den Schild<br />
des Glaubens, mit dem ihr auslöschen<br />
könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und<br />
nehmt den Helm des Heils und das<br />
Schwert des Geistes, welches ist das<br />
Wort Gottes“ (Epheser 6, 16.17).<br />
Er endete mit dem Wort, das auf Wunsch<br />
von Ekkehard Zitt über der Todesanzeige<br />
stand:<br />
„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe<br />
ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“<br />
(Jeremia 31, 3).<br />
Ekkehard Zitt wurde am 18.2.1939 <strong>als</strong><br />
Zweitjüngster der vier K<strong>in</strong>der von Robert<br />
und Gertrud Zitt <strong>in</strong> Legelshurst geboren.<br />
Da der Vater e<strong>in</strong>ige Jahre später an die<br />
Luthergeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Freiburg versetzt wurde,<br />
ist Ekkehard <strong>in</strong> Freiburg aufgewachsen,<br />
g<strong>in</strong>g dort zur Schule und wurde dort<br />
konfirmiert. Er beschloss – wie schon se<strong>in</strong><br />
älterer Bruder – <strong>in</strong> die Fußstapfen des Vaters<br />
zu treten und studierte Theologie <strong>in</strong><br />
Heidelberg, Tüb<strong>in</strong>gen und Basel. Bereits<br />
<strong>als</strong> 24-jähriger wurde er ord<strong>in</strong>iert und war<br />
lange Zeit der jüngste Pfarrer der Landeskirche.<br />
Nach Vikarsstellen <strong>in</strong> Müllheim und<br />
Lörrach wurde er am 1.11.1965 Pfarrer <strong>in</strong><br />
Unteröwisheim. Am 24.4.1964 heiratete<br />
er se<strong>in</strong>e Jugendliebe Helga, geb. Justmann.<br />
Dem Paar wurde im Laufe der Jahre<br />
4 K<strong>in</strong>der geschenkt. Im Jahre 1971<br />
übernahm Ekkehard Zitt die Pfarrstelle <strong>in</strong><br />
der Paulusgeme<strong>in</strong>de Pforzheim. Es war<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Arbeit, die er <strong>in</strong> der dort zu<br />
bewältigen hatte und – wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ganzen<br />
Berufsleben – mit großer Unterstützung<br />
durch se<strong>in</strong>e Frau auch bewältigen<br />
konnte. Neben der Geme<strong>in</strong>dearbeit war er<br />
für die Gehörlosenseelsorge <strong>in</strong> der Region<br />
zuständig und war Gründer und Leiter<br />
der Pforzheimer Diakoniestation.<br />
In die Pforzheimer Zeit fiel der Kontakt zu<br />
„Geistlichen Geme<strong>in</strong>deerneuerung“. Mit<br />
se<strong>in</strong>en Kollegen Johannes Kühlewe<strong>in</strong>,<br />
Karl-Ludwig Simon und Werner Widder<br />
hielt er e<strong>in</strong>en ersten Segnungs- und Lobpreisgottesdienst<br />
<strong>in</strong> der Pauluskirche ab.<br />
Diese Arbeit hat se<strong>in</strong> geistliches Leben<br />
und das se<strong>in</strong>er Frau forth<strong>in</strong> stark geprägt.<br />
Es ist ihm zu verdanken, dass die Anliegen<br />
der „Geistlichen Geme<strong>in</strong>deerneuerung“<br />
auch <strong>in</strong> unserer badischen Landeskirche<br />
Fuß gefasst haben.<br />
1985 wurde Ekkehard Zitt <strong>als</strong> Pfarrer an<br />
der Jakobuskirche <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten gewählt.<br />
Die Arbeit war naturgemäß <strong>in</strong> der<br />
Diaspora und geprägt durch den Kontakt<br />
zu vielen Kurgästen ganz anders, aber<br />
doch auch sehr <strong>in</strong>tensiv.<br />
Mit der Gottesgabe der Musik war Ekkehard<br />
Zitt besonders gesegnet. Er konnte<br />
Geige und Klavier spielen. Mit Chorälen,<br />
geblasen auf se<strong>in</strong>er Trompete, hat er <strong>in</strong><br />
H<strong>in</strong>terzarten, <strong>als</strong> es dort noch ke<strong>in</strong> Glockenspiel<br />
gab, die Geme<strong>in</strong>de zum Got-<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />
81
tesdienst e<strong>in</strong>geladen. Wie viele ältere und<br />
kranke Geme<strong>in</strong>deglieder wurden vom<br />
Ehepaar Zitt durch e<strong>in</strong> Lied oder Musik auf<br />
Streichpsalter und Flöte erfreut und getröstet.<br />
Dass Ekkehard Zitt getragen war von e<strong>in</strong>em<br />
ganz fundierten Glauben an Jesus<br />
Christus, hat man se<strong>in</strong>en Predigten und<br />
Andachten immer abgespürt. Zugleich<br />
war er den Menschen nahe und konnte,<br />
auch durch se<strong>in</strong>e gelegentlich recht witzige<br />
und spritzige Art, bei Geme<strong>in</strong>degliedern<br />
aller Generationen Glauben wecken<br />
und vertiefen.<br />
1999 konnte Ekkehard Zitt <strong>in</strong> den Vorruhestand<br />
treten, und die Nähe zu den K<strong>in</strong>dern<br />
legte Pforzheim <strong>als</strong> Wohnort nahe.<br />
Leider gab es dann im Juli 2002 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Leben <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>en betrüblichen E<strong>in</strong>schnitt,<br />
<strong>als</strong> Ekkehard Zitt bei der Rückfahrt<br />
von e<strong>in</strong>er Seniorenfreizeit durch e<strong>in</strong>en<br />
Autounfall schwer verletzt wurde. Viele<br />
Gebete und die <strong>in</strong>tensive Hilfe durch<br />
se<strong>in</strong>e Frau trugen dazu bei, dass ihm wunderbarerweise<br />
doch noch e<strong>in</strong>ige lebenswerte,<br />
wenn auch <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>geschränkte<br />
Jahre geschenkt wurden. Nach<br />
kurzer, schwerer Krankheit hat ihn am<br />
10.11.12 Gottes Liebe zu sich gezogen<br />
(Jeremia 31,3).<br />
E<strong>in</strong>e große Trauergeme<strong>in</strong>de brachte ihren<br />
Dank bei der Beerdigung zum Ausdruck.<br />
Dekan i. R. Dr. Johannes Kühlewe<strong>in</strong><br />
dankte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Grußwort für die<br />
Kurskollegen des Examenskurses 1963 b,<br />
die seit 50 Jahren <strong>in</strong>tensiv mite<strong>in</strong>ander<br />
verbunden s<strong>in</strong>d.<br />
Durch Lob- und Danklieder, sowie Lobpreislieder,<br />
begleitet von Mitgliedern des<br />
Lobpreisteams der Pforzheimer Stadtmission,<br />
und nicht zuletzt durch e<strong>in</strong>en Posaunenchor,<br />
der am Grab Osterlieder<br />
spielte, konnte die Familie und die Trauergeme<strong>in</strong>de<br />
dankbar und getröstet von<br />
Ekkehard Zitt Abschied nehmen.<br />
n Johannes Kühlewe<strong>in</strong>, Heidelberg<br />
82 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013
Zu guter Letzt<br />
(Frage) 203.<br />
Gibt der Glaube Lebensfreude?<br />
Glaube ist Dankbarkeit für das Leben.<br />
Wer sich nicht freuen kann,<br />
kann niemandem Freude bereiten.<br />
Wer nicht Essen und Tr<strong>in</strong>ken genießt,<br />
steht <strong>in</strong> Gefahr, depressiv<br />
zu werden und unfähig,<br />
Verantwortung zu übernehmen.<br />
Er kann niemandem helfen,<br />
sondern ist auf Hilfe angewiesen.<br />
Umgekehrt gilt:<br />
Verantwortliche Arbeit steigert<br />
den Genuss.<br />
Wer an e<strong>in</strong>er Sonate arbeitet,<br />
bis alle Passagen gel<strong>in</strong>gen,<br />
erlebt größere Freude,<br />
<strong>als</strong> wer sie nur abspielt.<br />
Direkt angestrebter Genuss<br />
zerfällt direkt.<br />
Indirekter Genuss, der sich bei<br />
harter Arbeit e<strong>in</strong>stellt,<br />
wirkt umso länger.<br />
In beide Richtungen gilt:<br />
Solange wir nur genießen,<br />
um danach Verantwortung zu<br />
übernehmen,<br />
oder arbeiten, um später zu genießen,<br />
leben wir nicht <strong>in</strong> der Gegenwart.<br />
Dankbarkeit empfängt alles<br />
um se<strong>in</strong>er selbst willen.<br />
Dankbarkeit ist religiöser Hedonismus.<br />
Wer sich von Dankbarkeit<br />
durchfluten lässt,<br />
dem öffnen sich Oasen der Freude<br />
hier und jetzt<br />
<strong>in</strong> der Wüste des Lebens.<br />
Gerd Theißen<br />
Schriftleitung: Andrea Knauber und Dr. Jochen Kunath<br />
Dr. Jochen Kunath, Markgrafenstr. 18 b, 79115 Freiburg. Tel.: 07 61/4 59 69-0, Fax: 07 61/4 59 69-69<br />
Andrea Knauber, Im Brüchle 11, 76646 Bruchsal. Tel.: 0 72 57/90 30 70, Fax: 0 72 57/92 43 30<br />
Textbeiträge senden Sie bitte an: schriftleitung@pfarrvere<strong>in</strong>-baden.de<br />
Herausgeber: Vorstand des Evangelischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s <strong>in</strong> Baden e. V., Vorsitzender: Pfarrer Matthias Schärr;<br />
Geschäftsstelle: Postfach 2226, 76010 Karlsruhe, Tel.: 07 21/84 88 63, Fax: 07 21/84 43 36<br />
Sitz: Re<strong>in</strong>hold-Frank-Straße 35, 76133 Karlsruhe, www.pfarrvere<strong>in</strong>-baden.de, E-Mail: <strong>in</strong>fo@pfarrvere<strong>in</strong>-baden.de<br />
Grafik, Gestaltung und Versand: Perfect Page, Kaiserstraße 88, 76133 Karlsruhe<br />
Text-/Bildnachweis: Titelspruch: Michael Klessmann, Seelsorge, Neukirchener Verlag 2008, S. 467;<br />
Titelbild: Haus Respiratio auf dem Schwanberg; Zu guter Letzt: Gerd Theißen, Glaubenssätze. E<strong>in</strong> kritischer<br />
Katechismus, Gütersloher Verlagshaus <strong>in</strong> der Verlagsgruppe Random House, München. S. 363–364.<br />
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.<br />
Auflage: 2110 auf chlorfreiem Papier<br />
Herstellung: Druckerei Woge, Ettl<strong>in</strong>ger Straße 30,<br />
76307 Karlsbad-Langenste<strong>in</strong>bach