20.05.2014 Aufrufe

Ausgabe als PDF herunterladen - Evangelischer Pfarrverein in ...

Ausgabe als PDF herunterladen - Evangelischer Pfarrverein in ...

Ausgabe als PDF herunterladen - Evangelischer Pfarrverein in ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

2<br />

Mitteilungsblatt des Evangelischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s <strong>in</strong> Baden e.V.<br />

Februar 2013<br />

Seelsorgende brauchen e<strong>in</strong>en Ort,<br />

e<strong>in</strong>en Begegnungsraum,<br />

im dem sie sich selber gut<br />

aufgehoben fühlen,<br />

AUS DEM INHALT:<br />

■ Seelsorge an Seelsorgenden<br />

Pfarrberuf heute und morgen –<br />

Reflexionen zum Amt<br />

B<strong>als</strong>am für die eigene Seele –<br />

Anmerkungen für Seelsorgende<br />

Füße auf weitem Raum –<br />

Erfahrungen mit Pfarrkollegs<br />

■ Aus dem <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong><br />

■ Aus der Pfarrvertretung<br />

■ Rezensionen<br />

<strong>in</strong> dem sie unter dem Siegel<br />

der Verschwiegenheit,<br />

frei von Konkurrenz oder<br />

dienstlicher Kontrolle,<br />

frei auch von möglichen<br />

Ausbildungsanforderungen,<br />

ihre persönlichen,<br />

spirituellen und praxisbezogenen<br />

Fragen und Probleme zur Sprache<br />

br<strong>in</strong>gen können.<br />

Michael Klessmann


Editorial<br />

Liebe Leser<strong>in</strong>, lieber Leser!<br />

B<strong>als</strong>am für die Theologenseele – bezeich -<br />

nenderweise brauche ich e<strong>in</strong> bisschen<br />

länger, um zu überlegen, was das se<strong>in</strong><br />

könnte. Man müsste ja auch die Seele <strong>als</strong><br />

wund ansehen, sich dann seelenruhig h<strong>in</strong>legen,<br />

sich berühren und mit wohltuendem<br />

B<strong>als</strong>am e<strong>in</strong>reiben lassen. Fast zu <strong>in</strong>tim.<br />

Unsere Berufsseele ist der Geme<strong>in</strong>de,<br />

welcher auch immer, oft sehr ausgesetzt:<br />

Permanenter Outputdrang, Dauerkommunikation,<br />

manchmal persönlicher<br />

Ich-Striptease. Die aktuelle <strong>Ausgabe</strong> des<br />

Badischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblattes, die Sie<br />

jetzt <strong>in</strong> den Händen halten, möchte diesen<br />

Horizont e<strong>in</strong>er Seelsorge an Seelsorgenden<br />

etwas aufreißen, Sie zum Lesen und<br />

Nachdenken br<strong>in</strong>gen, wie Sie <strong>als</strong> Pfarrer<strong>in</strong><br />

und Pfarrer an Ihrer Berufsseele genährt<br />

und gepflegt werden, sei es durch<br />

Gew<strong>in</strong>n br<strong>in</strong>gende Fortbildungen, durch<br />

<strong>in</strong>stitutionelle Seelsorge, durch geistliche<br />

Begleitung oder durch Beratung <strong>in</strong> Supervision<br />

oder Coach<strong>in</strong>g. Dazu können Sie<br />

fünf Artikel lesen.<br />

Daneben wird die Diskussion um Toleranz,<br />

die uns <strong>als</strong> EKD-Jahresthema fortwährend<br />

begleiten darf, durch e<strong>in</strong>en Beitrag<br />

unseres kirchlichen Beauftragten im<br />

Landtag zum Thema Beschneidung fortgeführt.<br />

E<strong>in</strong> ehrender Nachruf sowie ei -<br />

nige Rezensionen, die Sie zur freien Lektüre<br />

verführen wollen, beschließen diese<br />

<strong>Ausgabe</strong> des <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblattes.<br />

Vielleicht ist ja dieses Heft <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong> wenig B<strong>als</strong>am für Ihre Theologenseele.<br />

Dass Sie dafür B<strong>als</strong>am f<strong>in</strong>den und<br />

auch geschenkt bekommen, das wünschen<br />

wir Ihnen. Verheißen ist es uns für die<br />

Post-Epiphaniaszeit: Die Geschenke der<br />

wieder schon fast vergessenen „heiligen<br />

drei Könige“ gelten auch uns, wenn wir<br />

uns zu Jesus stellen. Und – was ich zugegeben<br />

noch gar nicht wusste – Myrrhe<br />

gehört zu den B<strong>als</strong>amen. Wie gut und<br />

wohltuend!<br />

Für das Tandem <strong>in</strong> der Schriftleitung<br />

Ihr<br />

H<strong>in</strong>weis auf die<br />

übernächste <strong>Ausgabe</strong><br />

Die übernächste <strong>Ausgabe</strong> 5/2013<br />

widmet sich dem Thema<br />

„Kirche und Geme<strong>in</strong>de leiten“.<br />

Bitte senden Sie Ihre Beiträge,<br />

am besten <strong>als</strong> Word-Datei,<br />

bis spätestens zum<br />

8. April 2013<br />

an die Schriftleitung.<br />

Die kommende <strong>Ausgabe</strong><br />

(Doppelnummer) 3–4 / 2013<br />

zum Thema „Kirche und Recht“<br />

bef<strong>in</strong>det sich bereits <strong>in</strong> Vorbereitung.<br />

42 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Thema<br />

Mit se<strong>in</strong>en pastoraltheologischen Über -<br />

legungen zum Pfarrberuf br<strong>in</strong>gt Christian<br />

Grethle<strong>in</strong>, Professor für Praktische<br />

Theologie und Religionspädagogik an<br />

der Universität Münster, die strukturellen<br />

Veränderungen im evangelischen<br />

Pfarrberuf mit der Frage nach se<strong>in</strong>er<br />

zukünftigen <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung<br />

<strong>in</strong>s Gespräch – nicht ohne ihn zuvor<br />

geschichtlich betrachtet, gegenwärtige<br />

He raus forderungen <strong>in</strong> Gesellschaft und<br />

Kirche benannt und gegenwärtige Positionsbestimmungen<br />

diskutiert zu haben.<br />

Se<strong>in</strong> Fazit: Der Pfarrberuf ist wesentlich<br />

e<strong>in</strong> kommunikativer Beruf.<br />

Daraus zieht der Autor Schlussfolgerungen<br />

für die pastorale Aus-, Fortund<br />

Weiterbildung.<br />

Pfarrerse<strong>in</strong> heute und morgen –<br />

Herausforderungen für die<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Der evangelische Pfarrberuf und die Institution<br />

des Pastoralkollegs haben e<strong>in</strong>es<br />

geme<strong>in</strong>sam: sie s<strong>in</strong>d beide – soziologisch<br />

gesehen – Erfolgsmodelle. Die Reformation<br />

kreierte e<strong>in</strong>en neuen Beruf, der heute<br />

<strong>in</strong> hohem Ansehen steht, was sich die Reformatoren<br />

wohl nicht e<strong>in</strong>mal hätten träumen<br />

lassen. Seit Jahren rangiert der<br />

„Pfarrer“ auf der Berufsprestige-Liste des<br />

Allensbacher Instituts für Demoskopie –<br />

h<strong>in</strong>ter dem Arzt – auf Platz 2. 1 Und <strong>als</strong> Georg<br />

Merz im Oktober 1945 erstm<strong>als</strong> Pfarrer<br />

zu e<strong>in</strong>em Pastoralkolleg <strong>in</strong> Neuendettelsau<br />

zusammenrief, war ke<strong>in</strong>eswegs<br />

klar, dass sich dieses <strong>in</strong> kurzer Zeit zu e<strong>in</strong>er<br />

nicht nur <strong>in</strong> Deutschland weit verbreiteten<br />

kirchlichen E<strong>in</strong>richtung entwickeln<br />

würde. Also: zwei unerwartete Erfolgsgeschichten.<br />

Blickt man näher auf die Erfolgsgeschichten<br />

von Pfarrberuf und Pastoralkolleg<br />

so treten zwei ihnen geme<strong>in</strong>same<br />

Eigenschaften zu Tage:<br />

Beide s<strong>in</strong>d offenkundig e<strong>in</strong>em steten Wandel<br />

unterworfen. Der Prediger des 16. Jahr -<br />

hunderts, der mehr schlecht <strong>als</strong> recht<br />

durch Ackerbau und Viehzucht se<strong>in</strong>en Lebensunterhalt<br />

verdiente und gerade des<br />

Lesens kundig am Sonntag <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Dorf die Liturgie leitete und predigte, hat<br />

nur wenig mit e<strong>in</strong>er heutigen Pfarrer<strong>in</strong> zu<br />

tun, die <strong>in</strong> der Regel über zwanzig Jahre<br />

Ausbildung h<strong>in</strong>ter sich hat und mit e<strong>in</strong>em<br />

dem höheren Dienst entsprechenden Gehalt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großstädtischen Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />

arbeitet. Und auch die am Ideal der<br />

vita communis orientierte Geme<strong>in</strong>schaft<br />

der eben erst aus dem Krieg Heimgekehrten<br />

hat wohl wenig mehr <strong>als</strong> den Namen<br />

„Pastoralkolleg“ geme<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em<br />

heutigen liturgischen Zertifikatskurs. Pfarr -<br />

beruf und Pastoralkolleg haben sich demnach<br />

verändert, entsprechend dem Wandel<br />

im gesellschaftlichen und kulturellen<br />

Kontext. Zugleich stellt sich die Frage, ob<br />

dies h<strong>in</strong>reichend geschah.<br />

Denn – und dies ist die zweite Geme<strong>in</strong>samkeit<br />

– Erfolgsmodelle bekommen<br />

häufig im Lauf der Zeit e<strong>in</strong> Problem (wir<br />

können das gegenwärtig gut an Teilen der<br />

Automobil-Industrie studieren): sie haben<br />

e<strong>in</strong>e Tendenz, sich zu verselbstständigen<br />

und im schlimmsten Fall den Kontakt zu<br />

ihrer Umwelt zu verlieren. Probleme <strong>in</strong> der<br />

Ressourcen-Beschaffung weisen hierauf<br />

unübersehbar h<strong>in</strong>. Und tatsächlich be-<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

43


gegnen h<strong>in</strong>sichtlich der Pfarrer/<strong>in</strong>nen und<br />

der Pastoralkollegs Probleme bei der F<strong>in</strong>anzierung.<br />

Die heute feierlich begangene Neustrukturierung<br />

der pastoralen Fort- und Weiterbildung<br />

<strong>in</strong> vier deutschen evangelischen Kirchen<br />

kann so <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Schritt verstanden<br />

werden, das Erfolgsmodell Pastoralkolleg<br />

unter veränderten Umständen weiterzuführen,<br />

<strong>als</strong>o es kontextuell zu transformieren,<br />

und damit auch dem Erfolgsmodell<br />

Pfarrberuf neue Impulse zu geben. Bei e<strong>in</strong>er<br />

solchen Veränderung ist es gut, jenseits<br />

des Tagesgeschäfts e<strong>in</strong>mal zu e<strong>in</strong>er<br />

grundsätzlichen Reflexion <strong>in</strong>nezuhalten.<br />

Die folgenden pastoraltheologischen Über -<br />

legungen sollen e<strong>in</strong> Beitrag dazu se<strong>in</strong>, die<br />

wohl aus f<strong>in</strong>anziellen Gründen notwendige<br />

Strukturveränderung mit der Frage nach<br />

der <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung zu verb<strong>in</strong>den.<br />

Dazu will ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt den<br />

evangelischen Pfarrberuf <strong>in</strong> historischer<br />

und theologischer Tiefenschärfe genauer<br />

konturieren. In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt benenne<br />

ich e<strong>in</strong>ige gegenwärtige gesellschaftliche<br />

und kirchentheoretische Herausforderungen<br />

für diesen Beruf. Drittens<br />

diskutiere ich kurz zwei wichtige pastoraltheologische<br />

Vorschläge zu e<strong>in</strong>er Bestimmung<br />

des Pfarrberufs. Demgegenüber<br />

versuche ich dann den Pfarrberuf <strong>als</strong> e<strong>in</strong>en<br />

theologischen und damit wesentlich<br />

kommunikativen Beruf zu profilieren. Das<br />

hat auch – fünftens – für die pastorale<br />

Aus-, Fort- und Weiterbildung Bedeutung.<br />

1. Geschichtlicher H<strong>in</strong>tergrund<br />

In drei Perspektiven, e<strong>in</strong>er literarischen, e<strong>in</strong>er<br />

theologischen und e<strong>in</strong>er rollentheore -<br />

ti schen, will ich e<strong>in</strong>e geschichtliche Grun -<br />

dierung me<strong>in</strong>er Überlegungen versuchen,<br />

um wichtige Probleme <strong>in</strong> der pastoralen<br />

Praxis schärfer erfassen zu können. Dabei<br />

liegt der normative Schwerpunkt bei der<br />

Er<strong>in</strong>nerung an reformatorische E<strong>in</strong>sichten.<br />

1.1 Literarische Perspektive<br />

Der Beruf des evangelischen Pfarrers ist<br />

fast fünfhundert Jahre alt. Da er noch dazu<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle bei der Entwicklung<br />

moderner Berufsauffassung überhaupt<br />

spielte, 2 muss vermutet werden, dass sich<br />

gewisse Vorstellungen von ihm <strong>in</strong>s kulturelle<br />

Gedächtnis e<strong>in</strong>geschrieben haben.<br />

E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>schlägige Literatur kann<br />

hier aufklärend helfen.<br />

Wohl die nachhaltigste Wirkung hatten die<br />

drei unter dem Namen „Luise“ erschienenen<br />

„Idyllen vom redlichen Pfarrer von<br />

Grünau und se<strong>in</strong>er Tochter ‚Luise‘“, die<br />

der durch se<strong>in</strong>e Homer-Übersetzung bekannt<br />

gewordene Johann He<strong>in</strong>rich Voß<br />

1795 verfasst hatte: „das Bild e<strong>in</strong>er zärtlich<br />

übere<strong>in</strong>stimmenden Kle<strong>in</strong>familie im<br />

heiter Schönen e<strong>in</strong>er friedvoll-fruchtbaren<br />

Ländlichkeit, <strong>in</strong> gesicherter Position zwischen<br />

dem Schloß der adligen Patron<strong>in</strong><br />

und den dörflichen Knechten und Mägden,<br />

<strong>in</strong> sittsamer Moral und lebensfroher Wirklichkeit,<br />

die auch auf städtischen Luxus<br />

nicht asketisch zu verzichten braucht.“ 3 In<br />

der Tat: „Die ‚Luise‘ von J. H. Voß gehörte<br />

bis <strong>in</strong> das 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zum<br />

Schulkanon der bürgerlichen Bildung.“ 4<br />

Voß, selbst <strong>in</strong> bedrückten Verhältnissen<br />

lebend, malte hier e<strong>in</strong>e Idylle des Pfarrerse<strong>in</strong>s,<br />

die zugleich erhebliche Ansprüche<br />

an diesen Beruf impliziert. Er formte „…<br />

44 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


e<strong>in</strong> bürgerliches Wunschbild, e<strong>in</strong>e bürgerliche<br />

Utopie des e<strong>in</strong>fach-natürlichen und<br />

glücklichen Lebens, e<strong>in</strong> Kunstprodukt,<br />

aus dem die Sehnsucht, nicht die erfahrene<br />

Wirklichkeit sprach.“ 5<br />

Zwar folgten durchaus realistischere literarische<br />

Darstellungen. Doch selbst „Der<br />

Hungerpastor“ von Wilhelm Raabe (1864)<br />

schlägt letztlich e<strong>in</strong>en hohen Ton an, <strong>in</strong>dem<br />

er <strong>in</strong> dem Kandidaten bzw. späteren<br />

Grunzenower Pfarrer Hans Unwirsch das<br />

Ideal „brüderlich-schwesterlicher Christlichkeit“<br />

6 verherrlicht.<br />

Insgesamt begegnet <strong>in</strong> der Literatur – jeweils<br />

durch Schullektüre über Generationen<br />

nachdrücklich vermittelt – e<strong>in</strong> sehr attraktives<br />

Bild des evangelischen Pfarrberufs.<br />

Es handelt sich demnach bei Pfarrern<br />

um gebildete und auch bei Widerständen<br />

honorige Menschen, die <strong>in</strong> der<br />

pastoralen Aufgabe ihre Erfüllung f<strong>in</strong>den<br />

(bzw. fanden). Dazu kommt das Motiv des<br />

idyllischen Pfarrhauses <strong>als</strong> e<strong>in</strong>er ganzheitlichen<br />

Lebensform jenseits moderner<br />

Differenzierungen (und Irrungen).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs war dies weitgehend e<strong>in</strong>e ideale<br />

Konstruktion, mit wenig Anhalt an der<br />

Wirklichkeit. Bis <strong>in</strong>s 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

lebten vor allem Landpfarrer mit ihren<br />

Familien häufig am Rand des Existenzm<strong>in</strong>imums<br />

und mussten die meiste Zeit deshalb<br />

landwirtschaftlich arbeiten. Gebildete<br />

Beschaulichkeit war ihnen fremd.<br />

Könnte es se<strong>in</strong>, dass h<strong>in</strong>ter manchen Berufsenttäuschungen<br />

heutiger Pfarrer (und<br />

Pfarrer<strong>in</strong>nen) die skizzierte literarische<br />

Konstruktion e<strong>in</strong>er Idylle freier bürgerlicher<br />

Existenz steht? Noch <strong>in</strong> dem jüngst<br />

erschienenen Buch „Der Himmel ist ke<strong>in</strong><br />

Ort“ von Dieter Wellersdorf (2009) hat die<br />

Titelfigur, e<strong>in</strong> junger Pfarrer, zwar Schwierigkeiten<br />

mit dem Glauben und den Frauen,<br />

kann diesen Problemen aber ausgiebig<br />

nachgehen – Term<strong>in</strong>druck o. ä. kennt<br />

er nicht.<br />

Demgegenüber resümiert Wolfgang Marhold<br />

aus soziologischer Sicht wohl zu<br />

Recht: „Alles <strong>in</strong> allem betrachtet gibt es <strong>in</strong>des<br />

ke<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> der circa vierhunderttundfünfzigjährigen<br />

Geschichte des evangelischen<br />

Pfarrers …, <strong>in</strong> der se<strong>in</strong>e soziale<br />

Stellung <strong>in</strong>nerhalb der Gesellschaft <strong>in</strong>sgesamt<br />

so positiv e<strong>in</strong>geschätzt und so allgeme<strong>in</strong><br />

akzeptiert wurde wie <strong>in</strong> der unsrigen.“ 7<br />

1.2 Theologische Perspektive<br />

Der evangelische Pfarrberuf verdankt sich<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em konzeptionellen Profil dem reformatorischen<br />

Aufbruch. Von daher fehlt<br />

ihm e<strong>in</strong>e ontologische Begründung – wie<br />

etwa die durch das Weihe-Sakrament beim<br />

römisch-katholischen Priester. Streng genommen<br />

ist der Pfarrberuf <strong>in</strong> der evangelischen<br />

Kirche re<strong>in</strong> funktional bestimmt.<br />

So heißt es <strong>in</strong> Art V der Confessio Augus -<br />

tana knapp und präzise: „Ut hanc fidem<br />

consequamur, <strong>in</strong>stitutum est m<strong>in</strong>isterium<br />

docendi evangelii et porrigendi sacramen -<br />

ta.“ Der Pfarrberuf, für den dann <strong>in</strong> Art. XIV<br />

noch der ordentliche Ruf („rite vocatus“)<br />

vorgeschrieben wird, hat <strong>als</strong>o nur der Lehre<br />

des Evangeliums und der Feier der Sakramente<br />

und damit der Förderung des<br />

Glaubens zu dienen. Alles andere, was<br />

dann im Laufe der Zeit noch <strong>als</strong> Dienstauf -<br />

gaben h<strong>in</strong>zukam – übrigens e<strong>in</strong>schließ -<br />

lich der Seelsorge (<strong>in</strong> unserem heutigen<br />

Verständnis) 8 – ist sekundär. Von daher<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

45


esteht <strong>als</strong>o für die konkrete Ausgestaltung<br />

des Pfarrberufs – theologisch gesehen<br />

jedenfalls – große Freiheit.<br />

Dazu tritt noch e<strong>in</strong>e weitere reformatorische<br />

E<strong>in</strong>sicht, die immer wieder zu Proble -<br />

men im Bereich der genauen Bestimmung<br />

des Pfarrberufs <strong>in</strong> den evangelischen Kirchen<br />

führte. Entgegen der wesenhaften<br />

Differenz zwischen Klerikern und Laien<br />

bei den Altgläubigen entdeckten die Reformatoren<br />

<strong>in</strong> der Bibel die Auffassung<br />

vom allgeme<strong>in</strong>en Priestertum aller Getauften<br />

(1. Petr. 2,9). Demnach bedürfen<br />

die Getauften außer Jesus Christus ke<strong>in</strong>er<br />

heilsvermittelnden Instanz. Vielmehr s<strong>in</strong>d<br />

sie selbst gehalten, <strong>als</strong> „Priester“ zu fungieren,<br />

<strong>als</strong>o das Evangelium zu kommuni -<br />

zieren. Von daher verändert sich das Verhältnis<br />

zwischen dem pastoralen Beruf und<br />

den übrigen Geme<strong>in</strong>degliedern grund le -<br />

gend. Es gibt ke<strong>in</strong>e Über- bzw. Unterordnung<br />

mehr. Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht besteht<br />

nach reformatorischer Auffassung e<strong>in</strong>e<br />

Besonderheit des pastoralen Berufs, und<br />

zwar <strong>in</strong> der „Öffentlichkeit“ der Evangeliumskommunikation.<br />

Die „öffentliche Lehre“ und die sog. Sakramentsverwaltung<br />

<strong>als</strong> „öffentlicher“ Vollzug<br />

s<strong>in</strong>d den rechtmäßig Berufenen, <strong>in</strong><br />

der Regel eben den Pfarrer/<strong>in</strong>nen, vorbehalten.<br />

Dabei ist aber noch zu beachten,<br />

dass „publice“ unter den Bed<strong>in</strong>gungen des<br />

16. Jahrhunderts ke<strong>in</strong>eswegs vor allem<br />

die weite Verbreitung im Blick hatte, wie<br />

dies <strong>in</strong> der heutigen Mediengesellschaft<br />

üblich ist. Vielmehr ist „publice“ hier qualitativ<br />

bestimmt (so Luther bereits 1520 <strong>in</strong><br />

„De captivitate babylonica“: WA 6,566). Es<br />

geht darum, dass durch die Tätigkeit der<br />

Pfarrer verlässlich das kommuniziert wird,<br />

was E<strong>in</strong>sicht der kirchlichen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

ist. 9 Dabei war e<strong>in</strong> Bildungsgefälle<br />

zwischen Pfarrern und den anderen Geme<strong>in</strong>degliedern<br />

vorausgesetzt, das unter<br />

den Bed<strong>in</strong>gungen des Anstiegs formaler<br />

Bildung <strong>in</strong> der Gegenwart neue grundsätzliche<br />

Fragen aufwirft. 10<br />

Auf jeden Fall setzt die skizzierte Profilierung<br />

des Pfarrberufs zugleich e<strong>in</strong>en engen<br />

Zusammenhang mit den Menschen voraus,<br />

die eben diese Geme<strong>in</strong>schaft bilden,<br />

für die der Pfarrer spricht und handelt.<br />

Diese Interdependenz zwischen Pfarrer<br />

und Geme<strong>in</strong>de ist lange Zeit <strong>in</strong> der Pastoraltheologie<br />

übergangen bzw. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

autoritären Theorie des Amtes still gestellt<br />

worden, obgleich die Aufgabe der Seelsorge<br />

zunehmend an Bedeutung auch für<br />

das pastorale Selbstverständnis gewann.<br />

Erst kommunikationstheoretische Überlegungen<br />

führten zur Entdeckung dieses<br />

wichtigen Zusammenhanges. 11<br />

1.3 Rollentheoretische Perspektive<br />

Die beiden genannten Perspektiven weisen<br />

bei genauerem Verfolgen auf wichtige<br />

Voraussetzungen für die Pluriformität <strong>in</strong><br />

der tatsächlichen Ausgestaltung der pastoralen<br />

Rolle h<strong>in</strong>. Die Beschränkung der<br />

theologischen Bestimmung auf die Funktionalität<br />

h<strong>in</strong>sichtlich öffentlicher Lehre<br />

und Sakramentsfeier eröffnet e<strong>in</strong>en breiten<br />

Raum pluriformer Rollen-Entwürfe. Etwas<br />

spöttisch, aber <strong>in</strong> der Tendenz zutreffend<br />

weist Volker Drehsen auf den modischen<br />

Charakter der diesen Freiraum füllenden<br />

pastoralen Leitbilder: „Der gebil-<br />

46 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


dete Volkserzieher <strong>in</strong> der Aufklärung, der<br />

vollmächtige Seelsorger im Pietismus, der<br />

patriotische Prediger der Erweckungsbewegung,<br />

der soziologische Geme<strong>in</strong>depädagoge<br />

im Kulturprotestantismus, der theologische<br />

‚Fachmann‘ und Wort-Gottes-<br />

Prediger <strong>in</strong> der Dialektischen Theologie,<br />

der völkische Kirchenführer der ‚Deutschen<br />

Christen‘, der restaurative Frömmigkeits<strong>in</strong>tegrator<br />

oder kirchlich <strong>in</strong>novative<br />

Akademie-Kämpfer der unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit, der demokratische Teamleiter<br />

aus der sozialliberalen Ära der siebziger<br />

Jahre, der engagierte Sprecher<br />

ethisch orientierter Bürger<strong>in</strong>itiativen und<br />

sozialer Bewegungen der achtziger Jahre<br />

und – wie man schließlich für die neunziger<br />

Jahre h<strong>in</strong>zufügen könnte: – der betroffenheitskultische<br />

Seelsorger und mystagogische<br />

Protagonist unterschiedlichs -<br />

ter Spiritualitätsformen im Protestantis -<br />

mus.“ 12<br />

Dah<strong>in</strong>ter kann man negativ e<strong>in</strong>e Anpassung<br />

an den sog. Zeitgeist sehen – und etwa<br />

bei der Bewegung der sog. Deutschen<br />

Christen war die Konsequenz fatal –, aber<br />

auch freundlicher im E<strong>in</strong>zelnen durchaus<br />

gelungene Formen der Inkulturation der<br />

Evangeliumskommunikation entdecken.<br />

Man könnte diesen Befund auch darauf<br />

h<strong>in</strong> deuten, dass es sich beim Pfarrberuf –<br />

jedenfalls lange Zeit – ebenso um e<strong>in</strong>e<br />

Lebensform wie e<strong>in</strong>en Beruf handelte 13<br />

und deshalb die jeweilige Kultur notwendig<br />

<strong>in</strong> die Berufspraxis e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g. 14<br />

Löst man sich noch e<strong>in</strong>mal kurz von der<br />

eben behandelten Ebene der Rollen-Entwürfe<br />

und wendet sich den tatsächlichen,<br />

rechtlich vorgegebenen Aufgaben der Pfar -<br />

rer zu, so kann man noch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante<br />

Beobachtung machen. Neben den<br />

gleichsam iure div<strong>in</strong>o gegebenen Aufgaben,<br />

die <strong>in</strong> CA V genannt s<strong>in</strong>d, traten stets<br />

iure humano gegebene Aufgaben h<strong>in</strong>zu –<br />

und damit kommen die übrigen Geme<strong>in</strong>deglieder<br />

noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Blick:<br />

Lange Zeit gehörten zum Pfarrberuf<br />

selbstverständlich standesamtliche<br />

Funk tionen, erst beendet durch die Personenstandsgesetzgebung<br />

unter Bismarck.<br />

Über Jahrhunderte oblag den Pfarrern<br />

die Schulaufsicht, meist ergänzt durch<br />

eigene Unterrichtstätigkeit; erst die<br />

strikte Verstaatlichung des Schul we sens<br />

<strong>in</strong> der Weimarer Reichsver fassung begrenzte<br />

diese Aufgabe.<br />

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />

rückte dann das sog. Geme<strong>in</strong>deleben <strong>in</strong><br />

den Vordergrund; der Pfarrer wurde<br />

gleichsam zum Vere<strong>in</strong>svorsitzenden, mit<br />

den vielfältigen hierzu gehörigen Auf -<br />

gaben.<br />

In den letzten Jahrzehnten nehmen die<br />

Aufgaben <strong>in</strong> der <strong>in</strong>nerkirchlichen Verwaltung<br />

zu.<br />

schließlich formuliert das EKD-Impuls-<br />

Papier „Kirche der Freiheit“ klar die erwachsenenbildnerische<br />

Aufgabe der<br />

Be gleitung von Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen. 15 Betrachtet<br />

man die Arbeitspläne von heutigen<br />

Pfarrer/<strong>in</strong>nen im Geme<strong>in</strong>dedienst 16<br />

erkennt man schnell, dass <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren sich die Aufgaben iure humano<br />

addierten und die iure div<strong>in</strong>o, vielleicht<br />

besonders deutlich im Bereich der Kasualien,<br />

anspruchsvoller, weil nicht mehr<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

47


selbstverständlich agierbar wurden. Dass<br />

solcher Wandel das Zeitbudget vieler<br />

Pfarrer/<strong>in</strong>nen belastet und teilweise<br />

überfordert, ist e<strong>in</strong> Problem, das <strong>in</strong>dividuell<br />

nicht zu lösen ist, sondern struktureller<br />

Veränderungen bedarf. E<strong>in</strong> Indiz<br />

für e<strong>in</strong>en Reformbedarf an dieser Stelle<br />

ist die von Herbert L<strong>in</strong>dner diagnostizierte<br />

Flucht vor dem Geme<strong>in</strong>depfarramt<br />

<strong>in</strong> Funktionspfarrstellen. 17<br />

2. Gegenwärtige Herausforderungen<br />

Mit dem kurzen H<strong>in</strong>weis auf mögliche<br />

Überforderungen der Pfarrer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d<br />

wir endgültig <strong>in</strong> der Gegenwart angekommen.<br />

Ich will hier nur auf drei Problembereiche<br />

aufmerksam machen, die vermutlich<br />

zukünftig noch an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen<br />

dürften.<br />

2.1 Pfarrerse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Dienstleistungsgesellschaft<br />

Formal bestimmt gehört die pastorale Tätigkeit<br />

<strong>in</strong> den Bereich der sog. Dienstleistungen.<br />

Dieser Bereich ist <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren erheblichen Veränderungen unterworfen.<br />

Sie können exemplarisch an e<strong>in</strong>em<br />

Gewerbe verdeutlicht werden, mit dem<br />

Geme<strong>in</strong>depfarrer/<strong>in</strong>nen häufig zu tun haben<br />

und das zunehmend <strong>als</strong> Konkurrenz<br />

wahrgenommen wird: dem Bestattungsgewerbe.<br />

Ursprünglich e<strong>in</strong> Seitenzweig<br />

der Schre<strong>in</strong>erei (eben des Sargbaus) hat<br />

sich hier e<strong>in</strong>e eigene Form der Dienstleistung<br />

entwickelt, an der gut e<strong>in</strong>ige Tendenzen<br />

des Dienstleistungsbereichs im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

abgelesen werden können:<br />

Das Bestattungsgewerbe hat sich <strong>in</strong><br />

hohem Maß professionalisiert, bis h<strong>in</strong><br />

zu e<strong>in</strong>em entsprechenden Ausbildungsberuf.<br />

Es bietet e<strong>in</strong>en umfassenden Service<br />

im Umfeld e<strong>in</strong>es Todesfalles an. Dazu<br />

gehören auch psychologische Betreuung<br />

und teilweise lang dauernde Nachsorge.<br />

Standard ist die Erreichbarkeit e<strong>in</strong>es<br />

Bestattungsunternehmers rund um die<br />

Uhr.<br />

Schließlich kommen die Bestatter <strong>in</strong> hohem<br />

Maß den Wünschen und Bedürfnissen<br />

ihrer Kunden nach.<br />

Beispielhaft kann dies am ersten privaten<br />

Friedhof von Fritz Roth <strong>in</strong> Bergisch Gladbach<br />

studiert werden. 18 E<strong>in</strong> Haus mit jederzeit<br />

zugänglichen Abschiedsräumen,<br />

ständig präsentem Personal, großzügigem<br />

Waldgrundstück, e<strong>in</strong>em eigenen<br />

Haus für trauernde K<strong>in</strong>der und e<strong>in</strong>er sog.<br />

Schrei-Hütte, <strong>in</strong> der Trauernde ihren Gefühlen<br />

auch akustisch freien Lauf lassen<br />

können, gehören hier ebenso dazu wie<br />

das Angebot, e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Sarg zu<br />

bauen, Trauergruppen zu besuchen oder<br />

e<strong>in</strong>fach nur im Trauerwald zu verweilen.<br />

Insgesamt zeigt sich e<strong>in</strong>e ausgeprägte<br />

Orientierung an den Bedürfnissen der<br />

Kunden. Das klare Ziel ist, jedem H<strong>in</strong>terbliebenen<br />

zu dem ihm gemäßen Trauerprozess<br />

zu verhelfen. Dazu kann die Mithilfe<br />

e<strong>in</strong>es Pfarrers/e<strong>in</strong>er Pfarrer<strong>in</strong> gehören<br />

– oder eben nicht.<br />

Zusammengefasst: Ständige Erreichbarkeit<br />

und klare Orientierung an den Wünschen<br />

und Bedürfnissen der Menschen<br />

s<strong>in</strong>d wichtige Merkmale heutiger Dienstleistungsgesellschaft.<br />

48 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Das Aufkommen des Bestattungsgewerbes<br />

kann pastoraltheologisch auch <strong>als</strong><br />

Ausdruck dafür gelesen werden, dass –<br />

jedenfalls lange Zeit – Kirche dieser allgeme<strong>in</strong><br />

gesellschaftlichen Entwicklung<br />

nicht nachgekommen s<strong>in</strong>d. Es waren nicht<br />

nur E<strong>in</strong>zelfälle, dass Trauernde ke<strong>in</strong>en<br />

Pfarrer erreichten oder sie z. B. mit Musikwünschen<br />

auf Unverständnis bis Ablehnung<br />

stießen (ohne dass ihnen dies<br />

verständlich erklärt wurde).<br />

2.2 Pfarrerse<strong>in</strong> angesichts der<br />

Marg<strong>in</strong>alisierung von Kirche<br />

Das eben gewählte Beispiel der Entwicklung<br />

des Bestattungsgewerbes könnte<br />

auch – jedenfalls teilweise – dazu herangezogen<br />

werden, um e<strong>in</strong>en weiteren gesellschaftlichen<br />

Prozess zu veranschaulichen,<br />

der für den Pfarrberuf von Bedeutung<br />

ist: die Marg<strong>in</strong>alisierung von Kirche.<br />

Zwar wird die kirchliche Bestattung von<br />

den Menschen <strong>in</strong> hohem Maß <strong>in</strong> Anspruch<br />

genommen, 19 doch hat sie ihre Exklusivi -<br />

tät e<strong>in</strong>gebüßt. Es f<strong>in</strong>den mittlerweile auch<br />

Trauerfeiern ohne Pfarrer/<strong>in</strong> statt – und<br />

zwar nicht deshalb, weil e<strong>in</strong>e kirchliche<br />

Bestattung verweigert worden wäre, sondern<br />

weil die Menschen sich für andere<br />

Formen entschieden haben. Kirchliche<br />

Bestattung ist so von e<strong>in</strong>er selbstverständlichen<br />

(und sozial verb<strong>in</strong>dlichen) Zeremonie<br />

zu e<strong>in</strong>er Option neben anderen<br />

geworden, die <strong>in</strong> manchen Gegenden<br />

Deutschlands nur noch von e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheit<br />

nachgefragt wird.<br />

Aber auch sonst s<strong>in</strong>d Marg<strong>in</strong>alisierungsprozesse<br />

unübersehbar. Die Abschaffung<br />

des Buß- und Bettags <strong>als</strong> gesetzlicher<br />

Feiertag, die E<strong>in</strong>führung von LER <strong>in</strong> Brandenburg<br />

und jetzt Ethik <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>als</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

verb<strong>in</strong>dliche Unterrichtsfächer an<br />

der öffentlichen Schule – an Stelle e<strong>in</strong>es<br />

konfessionellen Religionsunterrichts – sowie<br />

die seit vierzig Jahren anhaltend hohen<br />

Kirchenaustrittszahlen s<strong>in</strong>d Spitzen<br />

e<strong>in</strong>es Eisbergs.<br />

Dabei ist für unser Thema wichtig, dass<br />

die erwähnte Spitzenposition der Pfarrer/ -<br />

<strong>in</strong>nen bei der Berufs-Prestige-Skala zu<br />

dieser Entwicklung <strong>in</strong> deutlicher Spannung<br />

steht. Offenkundig ist bei vielen Menschen<br />

die Akzeptanz der Pfarrer/<strong>in</strong>nen größer<br />

<strong>als</strong> die der Kirche <strong>als</strong> Institution bzw. Orga -<br />

nisation. Für religiöse Kommunikation spielt<br />

heute weniger deren <strong>in</strong>stitutionelle Verankerung<br />

<strong>als</strong> der persönliche Kontakt e<strong>in</strong>e<br />

Rolle. Zugespitzt formuliert: Stützte früher<br />

das Amt die Person des Pfarrers, hat sich<br />

dieses Verhältnis heute umgekehrt. Das<br />

bedeutet freilich auch, dass nicht goutiertes<br />

Verhalten e<strong>in</strong>es Pfarrers/e<strong>in</strong>er Pfarrer<strong>in</strong><br />

schnell zu grundsätzlicher Kritik an Kirche<br />

oder gar Christentum führt.<br />

Dass aus dieser Konstellation neue Anforderungen<br />

an die Pfarrer/<strong>in</strong>nen resultieren,<br />

liegt auf der Hand.<br />

Doch hat dies noch weiter gehende Konsequenzen.<br />

Von den reformatorischen Ursprüngen<br />

her def<strong>in</strong>iert sich der Pfarrberuf<br />

im Gegenüber zu den anderen Geme<strong>in</strong>degliedern<br />

durch se<strong>in</strong>e Gewähr dafür,<br />

dass er das Evangelium <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

mit der allgeme<strong>in</strong>en kirchlichen<br />

Lehre kommuniziert. H<strong>in</strong>tergrund dafür<br />

war e<strong>in</strong>e hierarchisch gegliederte Gesellschaftsformation<br />

mit großem formalem<br />

Bildungsgefälle. Das hat sich grundlegend<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

49


verändert. Heute kommt es vielen Menschen<br />

bei religiöser Kommunikation nicht<br />

auf die lehrmäßige Korrektheit an, sondern<br />

auf die persönliche Glaubwürdigkeit<br />

ihres Gegenübers und vor allem die<br />

Brauchbarkeit der Kommunikation für die<br />

Biographiearbeit. Vermutlich bahnt sich<br />

hier e<strong>in</strong>e tief greifende Umstellung des<br />

Verständnisses von Evangelium an: von<br />

der asymmetrisch „verkündigten“ Lehre<br />

zum symmetrisch strukturierten <strong>in</strong>terpersonalen<br />

Kommunikationsprozess. Letztere<br />

Kommunikationsform sche<strong>in</strong>t mehr<br />

dem des Wirkens Jesu zu entsprechen.<br />

Deshalb legt sich pastoraltheologisch nahe,<br />

die gegenwärtige Situation nicht zu<br />

diskreditieren, sondern <strong>in</strong> ihren Chancen<br />

auszuloten.<br />

Auf jeden Fall stellt der skizzierte Wandel<br />

neue Anforderungen an die Pfarrer/<strong>in</strong>nen,<br />

<strong>in</strong>dem er das Verhältnis zu den Geme<strong>in</strong>degliedern<br />

verändert. Kristian Fechtner<br />

hat dies für mich überzeugend am Beispiel<br />

der Kasualie Trauung entwickelt.<br />

Stand hier früher – neben der Kirchenzucht<br />

(!) – das Zelebrieren der vorgesehenen<br />

Agende im Vordergrund – was <strong>in</strong> dialektisch-theologischen<br />

Kreisen überaus<br />

kritisch gesehen wurde –, so geht es heute<br />

nach Fechtner „um liturgische Arbeit mit<br />

Beteiligten“. 20 Der Pfarrer/die Pfarrer<strong>in</strong><br />

weiß nicht besser, wie die Liturgie zu gestalten<br />

ist, sondern er/sie ist e<strong>in</strong>/e mit den<br />

Brautleuten Kooperierende/r auf dem Weg<br />

zu e<strong>in</strong>em dem Kasus entsprechenden Ablauf.<br />

Das setzt nicht nur Wissen um liturgische<br />

Formen und Traditionen voraus,<br />

sondern auch ritualtheoretische und kommunikationstheoretische<br />

Kenntnisse, verbunden<br />

mit e<strong>in</strong>em empathischen Interes-<br />

se an anderen Menschen und deren Biographie.<br />

2.3 Pfarrerse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Organisation Kirche<br />

Der zuletzt vorgetragene Gedankengang<br />

führt schließlich zu kirchenorganisato -<br />

rischen Problemen. Sie hängen mit den<br />

exemplarisch skizzierten gesellschaftli -<br />

chen Entwicklungen zusammen.<br />

Evangelische Kirche bemüht sich schon<br />

seit Ende des 19. Jahrhunderts darum,<br />

den veränderten gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

und kulturellen Formationen<br />

durch Reformen der eigenen Arbeit zu<br />

entsprechen. Ab der Mitte des 20. Jahrhundert<br />

bis <strong>in</strong> die achtziger Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

vollzog sich – auf dem H<strong>in</strong>tergrund allgeme<strong>in</strong>er<br />

ökonomischer Prosperität – dies<br />

nicht zuletzt durch die Errichtung neuer<br />

Arbeitsbereiche und Person<strong>als</strong>tellen. Das<br />

war durch großzügige Förderung kirchlicher<br />

Arbeit durch die öffentliche Hand<br />

möglich. Im diakonischen und pädagogischen<br />

Bereich lässt sich teilweise der Zusammenhang<br />

zwischen öffentlicher Förderung<br />

und E<strong>in</strong>richtung kirchlicher Arbeitsfelder<br />

genau nachweisen. Dabei geriet<br />

nicht selten die Frage der Zielstellung<br />

– und damit verbunden der Aufgaben<br />

sowie der Prioritätensetzungen – aus dem<br />

Blick. Die Frage: Warum soll sich Kirche<br />

hier engagieren? trat <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund.<br />

Die aus dieser Entwicklung resultierende,<br />

nicht zuletzt im Bereich der Pfarrstellen<br />

e<strong>in</strong>malige Expansionsphase evangelischer<br />

Kirchen <strong>in</strong> Deutschland 21 führte aber<br />

bald – <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Austritten, ökonomischen<br />

Schwächeperioden, Steuerre-<br />

50 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


formen und zunehmend der demographischen<br />

Entwicklung – zu erheblichen f<strong>in</strong>anziellen<br />

Problemen. Hierauf reagierten<br />

Synoden und Landeskirchenämter <strong>in</strong> vielfältiger<br />

Weise, nicht selten h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der Pfarrer/<strong>in</strong>nen:<br />

Es wurden Reduktionen unterschiedlicher<br />

Art im Bereich der Pfarrer-Besoldung<br />

vorgenommen. Isolde Karle hat<br />

professionstheoretisch sogar davor gewarnt,<br />

dass der „package-deal“, <strong>als</strong>o<br />

das Verhältnis von Vergütung und Aufwand<br />

e<strong>in</strong>er Tätigkeit, die Balance verliert.<br />

Dabei ist für sie <strong>in</strong>teressanterweise<br />

der öffentliche Dienst mit se<strong>in</strong>er Besoldung<br />

– immer noch – der Maßstab, nicht<br />

aber etwa die <strong>in</strong> der Regel erheblich<br />

schlechter dotierten und sozial weniger<br />

abgesicherten Beschäftigten bei humanitär,<br />

ökologisch oder anderweitig kulturell<br />

engagierten Organisationen.<br />

Gleichzeitig werden Pfarrstellen reduziert,<br />

durch Stellenstreichungen oder<br />

Reduktionen des Dienstauftrages. Hier<br />

wirft die Zunahme von Teilzeit-Pfarrstellen<br />

ganz eigene Probleme auf. 22 In der<br />

Praxis zeigt sich nämlich, dass die Seelenzahl<br />

e<strong>in</strong>er Kirchengeme<strong>in</strong>de nicht direkt<br />

mit dem pastoralen Arbeitsumfang<br />

korreliert. In Umfragen gaben In ha ber/<br />

<strong>in</strong>nen von Pfarrstellen im Umfang von<br />

50 %-Besoldung e<strong>in</strong>e weit über den dafür<br />

vorgesehenen Stundenumfang h<strong>in</strong>ausgehende<br />

Arbeitszeit an. 23 Da Teilzeit-Stellen<br />

– zum<strong>in</strong>dest EKD-weit –<br />

mehrheitlich von Frauen besetzt s<strong>in</strong>d,<br />

bekommt diese Entwicklung e<strong>in</strong>en problematischen<br />

gender-Aspekt.<br />

Noch gravierender für den Pfarrberuf<br />

dürfte die – im Zuge der F<strong>in</strong>anze<strong>in</strong>sparungen<br />

nicht gestellte – Frage se<strong>in</strong>, ob<br />

und wenn ja, unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

Pfarrer/<strong>in</strong>nen teilzeitbeschäftigt werden<br />

können. Auf jeden Fall s<strong>in</strong>d damit<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der Berufstradition, aber<br />

auch der am Beispiel des Bestattungsgewerbes<br />

geschilderten Entwicklung im<br />

Dienstleistungssektor erheb liche Probleme<br />

verbunden. Dass Landeskirchen<br />

sogar generell die Berufsanfänger/<strong>in</strong>nen<br />

auf reduzierten Stellen e<strong>in</strong>setzen,<br />

kann unter der Perspektive der Berufssozialisation<br />

– höflich formuliert – nur<br />

erstaunen. Will man tatsächlich von<br />

vornhere<strong>in</strong> den lange bewährten Zusammenhang<br />

von Beruf und Lebensform<br />

zerstören?<br />

Es sche<strong>in</strong>t mir nicht von der Hand zu weisen,<br />

dass die skizzierten Veränderungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des Pfarrberufs vor allem<br />

durch die f<strong>in</strong>anziellen Probleme der Kirchen,<br />

nicht aber durch e<strong>in</strong> gründliches<br />

Nachdenken über den Pfarrberuf verursacht<br />

s<strong>in</strong>d. Sie gefährden langfristig die<br />

Qualität pastoraler Arbeit und bedürfen<br />

deshalb kritischer Reflexion und Revision.<br />

Dabei zeigen die vorgetragenen Überlegungen,<br />

dass es bei Fragen des Pfarrberufs<br />

neben e<strong>in</strong>er pastoraltheologischen<br />

auch um e<strong>in</strong>e kirchentheoretische Herausforderung<br />

geht. Konkret s<strong>in</strong>d das Verhältnis<br />

von Pfarrer/<strong>in</strong> – sonstige Geme<strong>in</strong>deglieder<br />

und die grundsätzliche Frage<br />

nach dem Ziel und den daraus resultierenden<br />

Aufgaben von Kirche zu klären.<br />

3. Pastoraltheologische Vorschläge<br />

Die genannten Probleme führen mitten <strong>in</strong><br />

die gegenwärtige pastoraltheologische<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

51


Diskussion. Vor allem zwei Konzepte haben,<br />

soweit ich sehen kann, nicht nur <strong>in</strong><br />

der Praktischen Theologie, sondern auch<br />

unter Pfarrer/<strong>in</strong>nen besonderes Interesse<br />

gefunden. Beide haben erhebliche Auswirkungen<br />

für die Gestaltung der pastoralen<br />

Fort- und Weiterbildung:<br />

3.1 „Anders“-Se<strong>in</strong> und „Führer“-Se<strong>in</strong><br />

<strong>als</strong> Verfehlen der symmetrischen<br />

Kommunikation<br />

Manfred Josuttis ist wahrsche<strong>in</strong>lich der<br />

Praktische Theologe, der sich am <strong>in</strong>tensivsten<br />

mit dem Pfarrberuf <strong>in</strong> immer neuen<br />

Anläufen ause<strong>in</strong>andergesetzt hat. In<br />

e<strong>in</strong>er 1982 vorgelegten Studie formulierte<br />

er griffig: „Der Pfarrer ist anders.“ Konkret<br />

gelang es ihm damit, <strong>in</strong> der Praxis empfundene<br />

Spannungen des Pfarrerse<strong>in</strong>s<br />

auf e<strong>in</strong>e griffige Formel zu br<strong>in</strong>gen und<br />

zugleich die hohe Bedeutung des Pfarrberufs<br />

herauszustellen.<br />

Nach der hier vorgelegten Analyse bestehen<br />

bei diesem Ansatz m<strong>in</strong>destens zwei<br />

Probleme: Die Betonung des Anders-Se<strong>in</strong><br />

impliziert e<strong>in</strong>e „gefährliche Tendenz zur<br />

Anmaßung und Selbstüberschätzung“. 24 In<br />

Josuttis’ weiterem pastoraltheologischen<br />

Werk wird diese Tendenz sogar noch stärker.<br />

1996 heißt es dann: „Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong><br />

führen <strong>in</strong> die Zone des Heiligen, die<br />

immer verborgen war, die aber <strong>in</strong> der modernen<br />

Gesellschaft verboten ist …“ 25<br />

Theologisch ist damit die reformatorische<br />

Erkenntnis verspielt, dass jeder Getaufte<br />

Priester ist; soziologisch empirisch wird<br />

durch die asymmetrische Kommunikationsform<br />

der für religiöse Praxis konstitutive<br />

Biographiebezug beh<strong>in</strong>dert.<br />

3.2 Profession Pfarrer/<strong>in</strong> <strong>als</strong><br />

Verfehlen neuerer Entwicklungen<br />

Isolde Karle ist es – entgegen Josuttis –<br />

durch den Bezugsrahmen soziologischer<br />

Professionstheorie zweifellos gelungen,<br />

den pastoraltheologischen Diskurs und<br />

damit den Pfarr-Beruf aus se<strong>in</strong>er Abseits-<br />

Stellung zu befreien. Viele Probleme der<br />

Pfarrer/<strong>in</strong>nen ersche<strong>in</strong>en diesen nur deshalb<br />

<strong>als</strong> berufstypisch, weil sie andere Berufe<br />

zu wenig kennen. 26 Zugleich wertet<br />

die Professions-Folie den Pfarrberuf auf,<br />

<strong>in</strong>dem sie dessen Besonderheit im Sachthema<br />

hervortreten lässt, und stärkt so<br />

dessen Inhaber/<strong>in</strong>nen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs berücksichtigt Karle zu wenig<br />

die unübersehbaren Tendenzen zur Deprofessionalisierung<br />

bzw. „Professionsbrüche“<br />

27 im Pfarrberuf, die mit dem Marg<strong>in</strong>alisierungsprozess<br />

von Kirche zusammenhängen.<br />

Die meisten Menschen<br />

setzen heute die Institution Kirche nicht –<br />

mehr – mit denen von Gericht oder Krankenhaus<br />

gleich. Während „Krankenhaus“<br />

und „Gericht“ nach wie vor zum „Muss“<br />

gehören, gilt für die Kirche eher e<strong>in</strong><br />

„Kann“. Das wirkt sich auch auf die beruflich<br />

dort Tätigen aus.<br />

Dazu wirft die <strong>in</strong>haltliche Bestimmung der<br />

an sich zu Recht hervorgehobenen „Sachthematik“<br />

pastoralen Handelns durch „die<br />

Verkündigung des Wortes Gottes“ 28 Probleme<br />

auf. Denn sie verdankt sich e<strong>in</strong>em<br />

deduktiv theologischen Ansatz, der unter<br />

bewusster Absehung konkreter Kommunikationsprozesse<br />

entworfen wurde. Von<br />

daher ersche<strong>in</strong>t Karles fulm<strong>in</strong>ant vorgetragene<br />

und wichtige E<strong>in</strong>sichten enthaltende<br />

Analyse <strong>in</strong>sgesamt merkwürdig<br />

52 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


ückwärtsgewandt und nur wenig geeignet,<br />

um Innovationen anzustoßen.<br />

4. Spezifische pastorale Aufgaben<br />

<strong>in</strong> der Gegenwart<br />

Beide kurz skizzierten pastoraltheologischen<br />

Konzepte enthalten wichtige E<strong>in</strong>sichten:<br />

Josuttis weist <strong>in</strong> unterschiedlicher<br />

Term<strong>in</strong>ologie auf die Besonderheit des<br />

Pfarrberufs h<strong>in</strong>. Sie ist <strong>in</strong>haltlich <strong>in</strong> der<br />

Spezifik des Evangeliums begründet, das<br />

stets auch gegenkulturelle Implikationen<br />

enthält. Umgekehrt macht Karle durch<br />

den Rekurs auf die Professionstheorie zu<br />

Recht darauf aufmerksam, dass es sich<br />

beim Pfarrberuf um e<strong>in</strong>en normalen Beruf<br />

handelt. Bei beiden Praktischen Theologen<br />

kommt jedoch die <strong>in</strong> verschiedener<br />

H<strong>in</strong>sicht sich stellende Aufgabe der Kommunikation<br />

mit anderen Menschen <strong>als</strong><br />

grundlegend für den Pfarrberuf zu wenig<br />

<strong>in</strong> den Blick. In der Sprache der reformatorischen<br />

Tradition ausgedrückt s<strong>in</strong>d beide<br />

noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bestimmung von „publice“<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er asymmetrischen Kommunikation<br />

befangen. Bei Josuttis ist der<br />

Pfarrer der Experte im Bereich des „Heiligen“,<br />

bei Karle h<strong>in</strong>sichtlich der sog. Sachthematik,<br />

die sie „Wort Gottes“ nennt.<br />

Demgegenüber ermöglicht die ursprünglich<br />

aus ökumenischem Kontext stammende,<br />

29 von Ernst Lange aufgegriffene 30 Formel<br />

der „Kommunikation des Evangeliums“<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Weiterführung, um das Geschehen,<br />

auf das die pastorale Tätigkeit<br />

orig<strong>in</strong>är zielt, genauer zu bestimmen. 31<br />

Wie bei jedem Kommunikationsgeschehen<br />

gehören zur „Kommunikation des<br />

Evangeliums“ unterschiedliche Faktoren.<br />

Entgegen dem immer noch <strong>in</strong> der Theologie<br />

weit verbreiteten Sender-Empfänger-<br />

Modell macht der uses-and-gratifications-<br />

Ansatz auf die konstitutive Bedeutung der<br />

Rezeption für Kommunikation aufmerksam.<br />

Menschen verb<strong>in</strong>den mit Kommunikation<br />

bestimmte Erwartungen, erhoffen<br />

sich e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n – „uses and gratifications“<br />

– und partizipieren demgemäß am<br />

kommunikativen Geschehen.<br />

Von hier aus stellt sich Frage nach der<br />

pastoralen Aufgabe <strong>in</strong> neuer Perspektive.<br />

Es geht jetzt nicht um e<strong>in</strong>en vom konkreten<br />

Kommunikationszusammenhang abstrahierten<br />

Auftrag o. ä., sondern ganz<br />

konkret um den spezifischen Beitrag des<br />

Pfarrers/der Pfarrer<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>em Kommunikationsgeschehen,<br />

eben der Kommunikation<br />

des Evangeliums. H<strong>in</strong>sichtlich der<br />

anderen Kommunizierenden br<strong>in</strong>gt der<br />

Pfarrer/die Pfarrer<strong>in</strong> hier nur e<strong>in</strong>e Besonderheit<br />

e<strong>in</strong>, nämlich dass er/sie e<strong>in</strong>e<br />

theologische Ausbildung genossen hat.<br />

Das alle<strong>in</strong> unterscheidet ihn von den Anderen,<br />

sonst nichts!<br />

Die im Theologiestudium erworbenen und<br />

im Vikariat vertieften und erweiterten<br />

Kenntnisse und E<strong>in</strong>sichten befähigen –<br />

dem Anspruch nach – dazu, Themen der<br />

heutigen Lebenswelt und Probleme der<br />

Menschen <strong>in</strong> die Perspektive des Reiches<br />

Gottes zu rücken. Theologie ist dabei von<br />

ihrer kommunikativen Aufgabe her funktional<br />

verstanden und nicht <strong>als</strong> die Repetition<br />

vorliegender Lehrbildung. Nach reformatorischem<br />

Verständnis zielt jedenfalls<br />

Theologie auf die Förderung der<br />

Kommunikation des Evangeliums und<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

53


verliert ohne diese Ausrichtung ihren besonderen<br />

Charakter. 32<br />

Das Ziel des Pfarrberufs ist es demnach,<br />

durch E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen theologischer E<strong>in</strong>sichten<br />

e<strong>in</strong>en Beitrag zur Kommunikation des<br />

Evangeliums zu leisten. Dabei handelt es<br />

sich <strong>als</strong>o um e<strong>in</strong> wechselseitiges, eben<br />

kommunikatives Geschehen. Vermutlich<br />

stellen die Kasualien heute das pastorale<br />

Handlungsfeld dar, bei dem die mit der<br />

Kommunikation des Evangeliums gegenwärtig<br />

verbundenen theologischen Herausforderungen<br />

am deutlichsten hervortreten.<br />

An den hier begangenen Übergängen<br />

im Leben treten viele Menschen <strong>in</strong><br />

Kontakt zur Kirche und öffnen sich so für<br />

die Deutung ihres Lebens durch das<br />

Evangelium. Ebenso bedarf das Kirchenjahr<br />

e<strong>in</strong>er sorgfältigen Gestaltung. Denn<br />

auch hier s<strong>in</strong>d vielfaches Bedürfnis nach<br />

Deutung und konkrete E<strong>in</strong>sichten des<br />

Evangeliums <strong>in</strong> hohem Maß korrelierbar.<br />

Herbert L<strong>in</strong>dner arbeitete präzise die daraus<br />

folgenden Konsequenzen für die Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />

heraus. 33<br />

Es geht <strong>als</strong>o wesentlich darum, <strong>in</strong> bestehende<br />

Kommunikationszusammenhänge<br />

die Perspektive des Reiches Gottes so<br />

e<strong>in</strong>zuzeichnen, dass daraus für die Kommunizierenden<br />

e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n für die eigene<br />

Lebenspraxis deutlich wird. Das „publice“<br />

der Lehre des Evangeliums im 16. Jahrhundert<br />

muss dazu aus e<strong>in</strong>em asymmetrischen<br />

Kommunikationszusammenhang<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en symmetrischen transformiert werden.<br />

Dabei ist nicht mehr der Rückbezug<br />

auf e<strong>in</strong>e statische Lehre, sondern der<br />

Kontakt zur konkreten Biographie der mit<br />

dem Pfarrer/der Pfarrer<strong>in</strong> Kommunizie-<br />

renden entscheidend. In beiden Modellen<br />

gilt jedoch gleichermaßen, dass Evangelium<br />

sowohl die Lehre <strong>als</strong> auch die Biographie<br />

weitet und nicht auf sie reduziert<br />

werden kann.<br />

Aus der Geschichte des Pfarrberufs geht<br />

hervor, dass zu dieser iure div<strong>in</strong>o geltenden<br />

Aufgabenstellung noch jeweils weitere,<br />

jetzt aber nicht konstitutive, sondern<br />

veränderbare Aufgaben h<strong>in</strong>zukommen.<br />

Dabei ist im 20. Jahrhundert e<strong>in</strong>e deut -<br />

liche Tendenz zur Verkirchlichung dieser<br />

zusätzlichen Funktionen zu konstatieren.<br />

Die allgeme<strong>in</strong> öffentlichen Aufgaben <strong>als</strong><br />

Standesbeamter und Lehrer bzw. Schul -<br />

aufseher wurden zu den kirchlichen e<strong>in</strong>es<br />

Vorsitzenden des „Vere<strong>in</strong>s“ Kirchengeme<strong>in</strong>de,<br />

der zunehmend Verwaltungstätigkeiten<br />

auszuführen hat. Hier sche<strong>in</strong>en<br />

mir die Vorschläge des EKD-Impuls-Papiers<br />

weiterführend. Die Betonung der<br />

erwachsenenbildnerischen Aufgabe ist gut<br />

<strong>in</strong> das Konzept „Kommunikation des Evan -<br />

geliums“ <strong>in</strong>tegrierbar. Das pastorale Bemühen<br />

um Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen könnte über<br />

deren Tätigkeit zu e<strong>in</strong>er Weitung der Ausstrahlung<br />

von Kirchengeme<strong>in</strong>den kommen.<br />

5. Konsequenzen für die pastorale<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Die am Beispiel der Kasualien gezeigte,<br />

jeweils grundlegende Verschränkung von<br />

theologischen E<strong>in</strong>sichten und konkreten<br />

Biographien <strong>in</strong> der Perspektive des Reiches<br />

Gottes bedarf theologischer Arbeit.<br />

Und dazu bedürfen die Pfarrer/<strong>in</strong>nen der<br />

Fort- und Weiterbildung.<br />

Um diese genauer zu fassen, ist nach<br />

dem vorher Ausgeführten zu bestimmen,<br />

54 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


wie sich „theologische Arbeit“ vollzieht.<br />

Sie besteht, wie könnte es anders se<strong>in</strong>,<br />

wesentlich aus kommunikativen Vollzügen:<br />

vor allem aus Lesen, Nachdenken,<br />

Meditation, Gebet sowie dem kollegialen<br />

Gespräch. Und dafür bedarf es der Zeit<br />

– und nicht nur dann, wenn zufällig e<strong>in</strong>e<br />

Zeitlücke entsteht. Denn hier handelt es<br />

sich um Tätigkeiten, die für den spezifisch<br />

pastoralen Beitrag zur Kommunikation<br />

des Evangeliums konstitutiv s<strong>in</strong>d und damit<br />

zur pastoralen Tätigkeit iure div<strong>in</strong>o gehören.<br />

Von daher macht die E<strong>in</strong>richtung<br />

von Pastoralkollegs und die Forderung<br />

der regelmäßigen Teilnahme an se<strong>in</strong>en<br />

Angeboten guten S<strong>in</strong>n. Die Arbeit im Pastoralkolleg<br />

hilft, dass die Besonderheit des<br />

Pfarrers/der Pfarrer<strong>in</strong> anderen Menschen<br />

gegenüber gefördert und ausgebaut wird:<br />

nämlich die theologische Bildung.<br />

Diese ist eng mit der Arbeit an der eigenen<br />

Person verbunden. Die von Mart<strong>in</strong> Luther<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vorrede zum 1. Band der Witten -<br />

berger <strong>Ausgabe</strong> se<strong>in</strong>er deutschen Schriften<br />

formulierte Trias „oratio – meditatio –<br />

tentatio“ zur Charakterisierung theologischen<br />

Studiums zeigt, dass dies ke<strong>in</strong>e<br />

neue Erkenntnis ist. Angesichts der Marg<strong>in</strong>alisierung<br />

der Bedeutung von Institutionen<br />

für die E<strong>in</strong>stellung von Menschen<br />

gew<strong>in</strong>nt sie sogar zunehmend an Gewicht.<br />

Diese Arbeit an der eigenen Person<br />

ist erfahrungsgemäß auf das kollegiale<br />

Gespräch angewiesen („colloquium fratrum<br />

mutuum“). Pastorale Fortbildungen<br />

haben hier ihren Ort. Sie können exemplarisch<br />

neue Formen der Arbeit an der<br />

Person eröffnen – Stichwort: Spiritualität –<br />

oder Impulse für bestehende oder zu <strong>in</strong>itiierende<br />

theologische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaf -<br />

ten von Pfarrer/<strong>in</strong>nen geben.<br />

Der hier skizzierte pastorale Beruf bedarf<br />

weiter – wie gezeigt – der Reflexion der<br />

Kommunikation mit anderen nichttheologisch<br />

ausgebildeten Menschen, etwa <strong>in</strong><br />

Form von Supervision. Dabei s<strong>in</strong>d nicht<br />

nur diejenigen geme<strong>in</strong>t, die sich sozial unmittelbar<br />

an der Kirchengeme<strong>in</strong>de beteiligen,<br />

sondern auch die, die den Weg nur<br />

selten <strong>in</strong> die Kirche f<strong>in</strong>den, meist nur im<br />

Zusammenhang mit Kasualien oder aus<br />

jahreszeitlichem Anlass <strong>in</strong> Kontakt zur Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />

treten. Kasual- und Jahreszeitbezug<br />

s<strong>in</strong>d hier nahe liegende, da<br />

bestehende Kontaktpunkte und entsprechend<br />

zu pflegen. Dass zu aktiver Kontaktpflege<br />

gute Erreichbarkeit gehört, geht<br />

aus dem zur modernen Dienstleistungsgesellschaft<br />

Ausgeführten hervor.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d aber diese Fortbildungsformen<br />

strikt an der besonderen Kompetenz von<br />

Pfarrer/<strong>in</strong>nen, eben ihrer theologischen<br />

Bildung, auszurichten. Das hat <strong>als</strong> Kehrseite,<br />

dass manche heute üblich gewordenen<br />

Tätigkeiten anderweitig, <strong>als</strong>o nicht<br />

durch Pfarrer/<strong>in</strong>nen, zu erledigen s<strong>in</strong>d –<br />

und so auch ke<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der pastoralen<br />

Fort- und Weiterbildung haben sollten.<br />

Uta Pohl-Patalong hat e<strong>in</strong>leuchtend vorgeschlagen,<br />

dass alles Gesellige, was<br />

herkömmlich <strong>als</strong> „Geme<strong>in</strong>deleben“ im<br />

„Geme<strong>in</strong>dehaus“ firmiert, durch andere<br />

Geme<strong>in</strong>deglieder veranstaltet und durchgeführt<br />

werden soll 34 – oder entfällt. Dies<br />

soll ke<strong>in</strong>eswegs die Bedeutung der Geselligkeit<br />

für e<strong>in</strong>e Kirchengeme<strong>in</strong>de schmä -<br />

lern. Doch ist nicht zu erkennen, welche<br />

besondere Qualifikationen Pfarrer/<strong>in</strong>nen<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

55


<strong>in</strong> diesem Bereich gegenüber anderen<br />

Geme<strong>in</strong>degliedern haben. Werden Sie<br />

durch das Theologie-Studium geselliger?<br />

Eben dies gilt für den Bereich der Verwaltung.<br />

Gewiss ist auch auf der Ebene e<strong>in</strong>er<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>de Verwaltung unerlässlich<br />

– und bietet manche wichtige Unterla -<br />

ge für die konkrete pastorale Praxis. Doch<br />

kann ich nicht erkennen, welche verwaltungsmäßige<br />

Qualifikation <strong>in</strong> der theologischen<br />

Ausbildung erworben wird. Deshalb<br />

ist es vordr<strong>in</strong>glich, Pfarrer/<strong>in</strong>nen von Verwaltungsaufgaben<br />

zu entlasten. E<strong>in</strong> Blick<br />

zu anderen sozial engagierten Organisationen<br />

deutet e<strong>in</strong>e Lösung für die praktische<br />

Umsetzung dieser Forderung an.<br />

Zunehmend engagieren sich sog. junge<br />

Alte, <strong>als</strong>o Pensionäre bzw. Rentner nach<br />

dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />

ehrenamtlich <strong>in</strong> Bereichen, für die sie berufliche<br />

Kompetenzen erworben haben.<br />

E<strong>in</strong> früherer Verwaltungsangestellter kann<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich qualitativ besser e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de<br />

verwalten <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Pfarrer/e<strong>in</strong>e<br />

Pfarrer<strong>in</strong>.<br />

Der Dreh- und Angelpunkt des hier vorgestellten<br />

Konzeptes von Pfarrerse<strong>in</strong> ist<br />

allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Theologie, die die Vermittlungsaufgabe<br />

<strong>in</strong>tegriert und nicht – etwa <strong>in</strong><br />

der immer noch üblichen Trennung sog.<br />

Fachwissenschaft und -didaktik – abspaltet.<br />

35 An ihrer Profilierung zu arbeiten, ist<br />

Aufgabe an verschiedenen Orten: an Theologischen<br />

Fakultäten, an Predigersem<strong>in</strong>aren,<br />

<strong>in</strong> Pastoralkollegs, <strong>in</strong> Pfarrkonventen,<br />

aber auch <strong>in</strong> kollegialen Gesprächen,<br />

beim Lesen von Büchern und Aufsätzen,<br />

beim Nachdenken und beim Gebet. Pfarrer/<strong>in</strong>nen<br />

s<strong>in</strong>d dann <strong>als</strong>o viatores – und ihre<br />

Begleitung dabei ist e<strong>in</strong>e vornehme und<br />

schöne Aufgabe, zu deren Erfüllung ich<br />

dem Kollegium des Pastoralkollegs viel<br />

Erfolg wünsche.<br />

n Christian Grethle<strong>in</strong><br />

1 S. genauer Christian Grethle<strong>in</strong>, Pfarrer – e<strong>in</strong> theologischer<br />

Beruf!, Frankfurt 2009, 84.<br />

2 S. 377f. Hans-Mart<strong>in</strong> Müller, Das evangelische<br />

Amtsverständnis und die Pfarrerrolle der Gegenwart,<br />

<strong>in</strong>: Ders., Bekenntnis – Kirche – Recht (Ius-<br />

Ecc 79), Tüb<strong>in</strong>gen 2005, 369–383, 377f.<br />

3 Fritz Mart<strong>in</strong>i, Pfarrer und Pfarrhaushalt, <strong>in</strong>: Mart<strong>in</strong><br />

Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische Pfarrhaus.<br />

E<strong>in</strong>e Kultur- und Sozialgeschichte, Stuttgart ²1991,<br />

127–148, 128.<br />

4 Ebd. 129.<br />

5 Ebd. 130.<br />

6 Ebd. 141.<br />

7 Wolfgang Marhold, Die soziale Stellung des Pfarrers,<br />

<strong>in</strong>: Mart<strong>in</strong> Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische<br />

Pfarrhaus, Stuttgart ²1991, 175–194, 177.<br />

8 S. zur Bedeutung e<strong>in</strong>er psychologisch orientierten<br />

Seelsorge Thomas Stahlberg, Seelsorge im Übergang<br />

zur „modernen Welt“. He<strong>in</strong>rich Adolf Köstl<strong>in</strong> und<br />

Otto Baumgarten im Kontext der Praktischen Theologie<br />

um 1900 (APTh 32), Gött<strong>in</strong>gen 1998, 56–82.<br />

9 S. H.-M. Müller (Anm. 2) 375.<br />

10 S. unter Bezug auf Christian Palmers Pastoraltheologie<br />

Henn<strong>in</strong>g Luther, Pfarrer und Geme<strong>in</strong>de. Protestantische<br />

Gedanken zu e<strong>in</strong>em ungeklärten Verhältnis,<br />

<strong>in</strong>: EvTh 44 (1984), 26–45, 45.<br />

11 Grundlegend hierfür nach wie vor ebd.<br />

12 Volker Drehsen, Vom Amt zur Person: Wandlungen<br />

<strong>in</strong> der Amtsstruktur der protestantischen Volkskirche.<br />

E<strong>in</strong>e Standortbestimmung des Pfarrberufs aus<br />

praktisch-theologischer Sicht, <strong>in</strong>: IJPT2 (1998), 263–<br />

280, 264f.<br />

13 S. zu dieser Bestimmung Ingrid Lukatis, Pfarrer/<strong>in</strong> –<br />

Berufs- oder Lebensform, <strong>in</strong>: DtPfrBl 100 (2000),<br />

531–537.<br />

56 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


14 Theologisch könnten diese verschiedenen, die jeweiligen<br />

gesellschaftlichen und kulturellen Rahmen -<br />

bed<strong>in</strong>gungen widerspiegelnden Rollen-Entwürfe<br />

auch <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>lösung des von Paulus <strong>in</strong> Gal 6,17<br />

entworfenen Programms der Verkörperung des<br />

Evangeliums durch ihn <strong>in</strong>terpretiert werden. Isolde<br />

Karle schreibt: „Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen symbolisieren<br />

das christliche Programm und Wirklichkeitsverständnis<br />

konkret an ihrem Leib. Sie stellen körperlich<br />

und wahrnehmbar Religion und Kirche dar und<br />

<strong>in</strong>szenieren das Evangelium. … Im H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong>e<br />

bedrängenden Leidenserfahrungen schreibt Paulus,<br />

daß er die Malzeichen Jesu an se<strong>in</strong>em Leibe<br />

trage (Gal 6,17) …“ (Isolde Karle, Der Pfarrberuf <strong>als</strong><br />

Profession. E<strong>in</strong>e Berufstheorie im Kontext der modernen<br />

Gesellschaft [PThK 3], Gütersloh 2001, 70).<br />

15 Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische<br />

Kirche im 21. Jahrhundert. E<strong>in</strong> Impulspapier<br />

des Rates der EKD, o.O. o.J. (2006), 5. Leuchtfeuer<br />

(68).<br />

16 S. ausführlich Dieter Becker/Karl-Wilhelm Dahm/<br />

Friederike Erichsen-Wendt (Hg.), Arbeitszeiten im<br />

heutigen Pfarrberuf – Empirische E<strong>in</strong>sichten und<br />

Analysen zur Gestaltung pastoraler Arbeit (EuPK<br />

5),Frankfurt 2009.<br />

17 Herbert L<strong>in</strong>dner, Kirche am Ort. E<strong>in</strong> Entwicklungsprogramm<br />

für Ortsgeme<strong>in</strong>den, Stuttgart ²2000, 94.<br />

18 S. Fritz Roth, Das Haus der menschlichen Begleitung,<br />

Bergisch Gladbach ³2008.<br />

19 Zu genauen Zahlen s. Christian Grethle<strong>in</strong>, Grund<strong>in</strong>formation<br />

Kasualien, Gött<strong>in</strong>gen 2007, 293f.<br />

20 S. zum dah<strong>in</strong>ter stehenden Gesamtkonzept Kristian<br />

Fechtner, Kirche von Fall zu Fall. Kasualpraxis <strong>in</strong><br />

der Gegenwart – e<strong>in</strong>e Orientierung, Gütersloh 2003,<br />

121–142.<br />

21 EKD-weit stieg die Zahl der im aktiven Dienst tätigen<br />

Theolog/<strong>in</strong>nen von 13.700 (1968) auf 18.520 (1990),<br />

wobei die Relation zwischen Pfarrer/<strong>in</strong>nen und<br />

Geme<strong>in</strong>deglieder sich auf Grund des erheblichen<br />

Rückgangs der Kirchenmitglieder <strong>in</strong> diesem Zeitraum<br />

noch dramatischer verändert: Kamen 1968<br />

47 Pfarrer/<strong>in</strong>nen auf 100.000 Mitglieder, so waren<br />

dies (für Westdeutschland) 1990 bereits 74 und<br />

2000 für Gesamtdeutschland 90 (Karl-Wilhelm<br />

Dahm, Pfarrer/Pfarrer<strong>in</strong> VI. Statistisch, <strong>in</strong>: 4 RGG 6<br />

[2003], 1204–1212, 1205–1208).<br />

22 S. Johanna Beyer, Teildienst <strong>als</strong> Spitze des Eisbergs.<br />

Nicht Professionalität <strong>in</strong> die Frage – aber Profes -<br />

sion, <strong>in</strong>: DtPfrBl 101 (2000), 283–290.<br />

23 S. D. Becker, Pfarrberufe zwischen Praxis und<br />

Theorie. Personalplanung <strong>in</strong> theologisch-kirchlicher<br />

und organisationsstrategischer Sicht (EuKP 3),<br />

Frankfurt 2007, 195.<br />

24 Vgl. H. Luther (Anm. 10) 35.<br />

25 Manfred Josuttis, Die E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Leben.<br />

Pas toraltheologie zwischen Phänomenologie und<br />

Spiritualität, Gütersloh 1996, 20.<br />

26 S. z. B. Jan Hermel<strong>in</strong>k, Pfarrer <strong>als</strong> Manager? Gew<strong>in</strong>n<br />

und Grenzen e<strong>in</strong>er betriebswirtschaftlichen<br />

Perspektive auf das Pfarramt, <strong>in</strong>: ZThK 95 (1998),<br />

536–564.<br />

27 Peter Höhmann, Professionsbrüche im Pfarrberuf,<br />

<strong>in</strong>: Dieter Becker/Richard Dautermann (Hg.), Berufszufriedenheit<br />

im heutigen Pfarrberuf, Frankfurt<br />

2005, 53–75.<br />

28 S. I. Karle (Anm. 14), 169 (ohne Kursivsetzung des<br />

Orig<strong>in</strong><strong>als</strong>).<br />

29 S. Henrik Kraemer, Die Kommunikation des christlichen<br />

Glaubens, Zürich 1958 (engl. 1956), 47.<br />

30 S. Ernst Lange, Kommunikation des Evangeliums,<br />

<strong>in</strong>: Ders., Kirche für die Welt, hg. v. Rüdiger Schloz,<br />

München 1981, 101-129. E<strong>in</strong>e wichtige, semiotisch<br />

<strong>in</strong>spirierte Weiterentwicklung dieser Formel f<strong>in</strong>det<br />

sich bei Wilfried Engemann, Personen und Zeichen<br />

im Prozess der Kommunikation des Evangeliums.<br />

Praktische Theologie <strong>als</strong> Theorie der Lebensäußerungen<br />

der Geme<strong>in</strong>de, <strong>in</strong>: Ders., Personen, Zeichen<br />

und das Evangelium. Argumentationsmuster der<br />

Praktischen Theologie (AprTh 23), Leipzig 2003,<br />

37–50.<br />

31 Demgegenüber fehlen etwa der von Karle genannten<br />

Sachthematik „Wort Gottes“ die dialogischen,<br />

aber auch <strong>in</strong> den nonverbalen Bereich reichenden<br />

Konnotationen.<br />

32 S. genauer: Christian Grethle<strong>in</strong>, Theologie und Didak<br />

tik, <strong>in</strong>: ZThK 104 (2007), 503–525.<br />

33 H. L<strong>in</strong>dner (Anm. 17).<br />

34 Uta Pohl-Patalong, Ortsgeme<strong>in</strong>de und übergeme<strong>in</strong>dliche<br />

Arbeit im Konflikt. E<strong>in</strong>e Analyse der Argumentationen<br />

und e<strong>in</strong> alternatives Modell, Gött<strong>in</strong>gen 2003,<br />

232–238.<br />

35 S. hierzu me<strong>in</strong>en Versuch (Anm. 32). Christian Greth -<br />

le<strong>in</strong>, Münster<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

57


Thema<br />

B<strong>als</strong>am für die eigene Seele<br />

E<strong>in</strong>ige Anmerkungen zur Seelsorge<br />

für Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger<br />

Das landeskirchliche Zentrum für Seelsorge<br />

hat zur Aufgabe, kirchliche Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

und Mitarbeiter <strong>in</strong> Beruf und<br />

Ehrenamt für ihre Seelsorgearbeit zu<br />

stärken und fortzubilden. Dabei ist deutlich,<br />

dass Seelsorge e<strong>in</strong>e anspruchsvolle,<br />

anstrengende und kraftraubende<br />

Aufgabe ist. Für Seelsorger/<strong>in</strong>nen muss<br />

etwas „zurückfließen“, wenn sie so viel<br />

geben. Die Kirche hat strukturell dafür<br />

zu sorgen, dass Seelsorger/<strong>in</strong>nen Pflege<br />

für ihre eigene Seele erhalten. Dabei<br />

spielt besonders e<strong>in</strong>e Kultur der gegenseitigen<br />

Wertschätzung e<strong>in</strong>e übergeordnete<br />

Rolle.<br />

„Glauben Sie, dass es der breiten Öffentlichkeit<br />

bekannt ist, was Kirche alles leistet?“,<br />

fragte unsere Sekretär<strong>in</strong> im Zentrum<br />

für Seelsorge. Wir saßen an der geplanten<br />

„Seelsorge-Gesamtkonzeption“, <strong>in</strong> der erst -<br />

m<strong>als</strong> alle kirchlichen Seelsorgefelder dargestellt<br />

werden. In vielen Bereichen der<br />

badischen Landeskirche und ihrer Diakonie<br />

wird seelsorglich gearbeitet, beruflich<br />

und ehrenamtlich. In der Geme<strong>in</strong>de, im<br />

Krankenhaus, bei der Telefonseelsorge,<br />

im Altenheim, im Gefängnis – um nur e<strong>in</strong>ige<br />

wenige Beispiele zu nennen. Die Frage<br />

unserer Sekretär<strong>in</strong> war durchaus wertschätzend<br />

geme<strong>in</strong>t. Zugleich legte sie jedoch<br />

den F<strong>in</strong>ger auf e<strong>in</strong>en wunden Punkt:<br />

Oft mangelt es an öffentlicher Wahrnehmung<br />

und Wertschätzung für das, was<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger leisten.<br />

Denn Seelsorge f<strong>in</strong>det vor allem im Verborgenen<br />

statt. Immer wieder auch haben<br />

Seelsorgende den „E<strong>in</strong>druck mangelnder<br />

Wertschätzung durch Geme<strong>in</strong>de und Kirchenleitung“,<br />

wie e<strong>in</strong>e Broschüre des Personalreferats<br />

zur Salutogenese treffend<br />

bemerkt. Wahrnehmung und Wertschätzung<br />

s<strong>in</strong>d jedoch wichtige Faktoren für<br />

Arbeitszufriedenheit, Motivation und Burnoutprävention.<br />

Mehr noch: Sie s<strong>in</strong>d für<br />

die Seelsorge selbst wesentlich. So heißt<br />

es In der Konzeption des Zentrums für<br />

Seelsorge:<br />

„Menschen s<strong>in</strong>d Beziehungswesen. Ihr<br />

Leben gew<strong>in</strong>nt Gestalt <strong>in</strong> der Beziehung<br />

zu Gott, zu den Mitmenschen und zu sich<br />

selbst. Seelische Wirklichkeit ist Beziehungswirklichkeit<br />

… Nicht wahrgenommen<br />

und anerkannt zu werden bedroht das Leben.<br />

Seelsorge ist <strong>als</strong>o zunächst, und das<br />

ist nicht ihr ger<strong>in</strong>gster Teil: Wahrnehmen<br />

und Annehmen. Jemanden <strong>in</strong> die sem umfassenden<br />

S<strong>in</strong>n anzusehen und dadurch<br />

wahrzunehmen, kann <strong>in</strong> der Seelsorge<br />

heißen, ihm dadurch e<strong>in</strong> Ansehen zu geben,<br />

so wie er oder sie bei Gott immer<br />

schon e<strong>in</strong> Ansehen hat. Dabei kann sich<br />

das Ansehen auf sehr leidvolle D<strong>in</strong>ge beziehen<br />

im S<strong>in</strong>ne von „der Herr hat me<strong>in</strong><br />

Elend angesehen“ (Ps 31,8 u. ö.) oder<br />

auch auf sehr freudvolle im S<strong>in</strong>ne von „du<br />

machst groß die Freude“ (Jes 9,2) und auf<br />

alle Nuancen dazwischen. Insofern erstreckt<br />

sich Seelsorge auf alle Bereiche<br />

des Lebens, auch auf die alltäglichen. Sie<br />

ereignet sich <strong>in</strong> der Warteschlange im<br />

Supermarkt, im Gespräch ‚über den Gartenzaun‘,<br />

im Lehrerzimmer <strong>in</strong> der Pause.<br />

Seelsorge begleitet Menschen auch <strong>in</strong> ih-<br />

58 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


en beglückenden und erfolgreichen Erfahrungen<br />

und lädt sie dazu e<strong>in</strong>, alles, was<br />

zum Leben gehört, mit Gott <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

zu br<strong>in</strong>gen.“ (mehr unter: www.ekiba.de,<br />

Bildung, Zentrum für Seelsorge, Über uns,<br />

Unsere Konzeption)<br />

Was hier <strong>in</strong> aller Kürze skizziert ist, zeigt<br />

bereits: Seelsorge ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, die<br />

Erfüllung und Freude br<strong>in</strong>gen kann. Sie ist<br />

aber auch e<strong>in</strong> anspruchsvolles und anstrengendes<br />

„Geschäft“. Wer andere „wahrnehmen<br />

und annehmen“ soll, kann dies<br />

wohl auf Dauer nur tun, wenn er bzw. sie<br />

selbst Wahrnehmung, Annahme und Wertschätzung<br />

erfährt. Wer sich anderen <strong>in</strong><br />

Liebe zuwenden will, <strong>in</strong> allen Lebenslagen<br />

zuhören und reden, e<strong>in</strong>fühlen, begleiten<br />

und trösten soll, sollte dies auch für sich<br />

selbst erfahren können. Seelsorgende<br />

brauchen selbst Seelsorge, um all das<br />

leisten zu können. Sie brauchen geistliche<br />

Stärkung und Möglichkeiten, „aufzutanken“.<br />

Jesus hat es vorgemacht: Er hat sich<br />

regelmäßig zurückgezogen, um zu beten<br />

und Kraft zu schöpfen, damit er wieder mit<br />

voller Kraft für andere da se<strong>in</strong> konnte.<br />

Wenn ich <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong> mit Menschen<br />

<strong>in</strong> unterschiedlichsten Lebenssituationen<br />

arbeite, dann kostet das Kraft und geht<br />

nur unter E<strong>in</strong>satz me<strong>in</strong>er ganzen Person.<br />

Will ich das auf Dauer durchhalten und mir<br />

dazu auch noch die Freude und Motivation<br />

erhalten, dann muss etwas zurückfließen.<br />

E<strong>in</strong> elementares Bild dafür kann<br />

der Schalenbrunnen im Kreuzgang des<br />

Klosters Maulbronn se<strong>in</strong>: Aus e<strong>in</strong>er Schale<br />

fließt Wasser <strong>in</strong> die nächste. Diese gibt<br />

wiederum ihr Wasser weiter, solange sie<br />

selbst gefüllt wird. Trocknet sie aus, kann<br />

sie nichts mehr geben. Auch <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong><br />

kann ich nur etwas weitergeben,<br />

wenn ich etwas empfange. Ich lebe und<br />

gebe von dem, was mir gegeben ist und<br />

immer wieder gegeben wird. Dazu gehören<br />

me<strong>in</strong>e Gaben, me<strong>in</strong>e Charismen. Sie<br />

s<strong>in</strong>d „Konkretionen und Individuationen<br />

der Gnade“ Gottes (Ernst Käsemann). Auf<br />

das Bild des Schalenbrunnens bezogen:<br />

Die Gnade Gottes fließt mir zu, wird <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em persönlichen Handeln und Wirken<br />

konkret und lässt mich etwas davon<br />

weitergeben an andere. Dabei soll nicht<br />

vergessen werden, dass im Begriff „charis“<br />

neben der Gnade auch die Freude<br />

steckt: Beides soll fließen können, wenn<br />

ich von me<strong>in</strong>en Gaben Gebrauch mache.<br />

Wo aber kann ich persönlich etwas von der<br />

Gnade und der Freude Gottes erfahren?<br />

Hier ist eben die Seelsorge für Seelsorger/<br />

<strong>in</strong>nen gefragt. Sie ist e<strong>in</strong> weites Feld. Vieles<br />

gehört dazu, was die eigene Seele nährt<br />

und stärkt, ihr Ermutigung und Orientierung<br />

gibt und die Schalen wieder auffüllen<br />

kann. In diesem weiten Feld möchten wir<br />

nun e<strong>in</strong>ige Pflöcke e<strong>in</strong>schlagen, ohne<br />

Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.<br />

Was die Seele e<strong>in</strong>es jeden Menschen<br />

braucht, ist im E<strong>in</strong>zelnen nur <strong>in</strong>dividuell zu<br />

sagen. Als Arbeitgeber<strong>in</strong> hat die Kirche jedoch<br />

die Verpflichtung auch strukturell dafür<br />

zu sorgen, dass jede Seelsorger<strong>in</strong> und<br />

jeder Seelsorger Pflege für die eigene<br />

Seele erhalten kann. Die Seelsorgenden<br />

haben ihrerseits die Verantwortung zur<br />

Selbstfürsorge, <strong>in</strong>dem sie diese Angebote<br />

auch wahrnehmen. „Die erste Seele,<br />

die dir anvertraut ist, ist de<strong>in</strong>e eigene“.<br />

Was e<strong>in</strong>fach kl<strong>in</strong>gt, ist es gar nicht immer,<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

59


denn manchen fällt es schwer, gegenüber<br />

der Geme<strong>in</strong>de oder im Kollegenkreis oder<br />

gegenüber dem Dekan/der Dekan<strong>in</strong> die<br />

eigenen Bedürfnisse durchzusetzen, selbst<br />

wenn sie sie kennen. Wie wichtig mir die<br />

Sorge an me<strong>in</strong>er eigenen Seele ist, zeigt<br />

sich auch dar<strong>in</strong>, was ich dafür bereit b<strong>in</strong> an<br />

Kosten, Mühen und Zeit zu <strong>in</strong>vestieren.<br />

Nicht alles kostet gleich viel von allem,<br />

aber <strong>in</strong> jedem Fall werde ich <strong>als</strong> Seelsorgende/r<br />

Entscheidungen treffen müssen.<br />

Dazu ist es nützlich, sich mit etwas Zeit<br />

zunächst selbst zu befragen, von wo ich<br />

derzeit Pflege me<strong>in</strong>er Seele brauche.<br />

Brauche ich Fort- und Weiterbildung, Su -<br />

per vision und Beratung um me<strong>in</strong>e Seelsorgearbeit<br />

künftig qualifizierter tun zu<br />

können? Die Freude, die aus dem Wissen<br />

und Gefühl entsteht, dass ich me<strong>in</strong> Handwerk<br />

beherrsche, „etwas kann“, „kompetente“<br />

Seelsorge zur Verfügung stellen<br />

kann, ist ke<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger B<strong>als</strong>amfaktor.<br />

Vielleicht geht es aber gar nicht um die<br />

Qualität me<strong>in</strong>er Seelsorge, sondern um<br />

Quantität? Habe ich zu viele Seelsorgefälle<br />

und bräuchte ich mehr Erholung,<br />

Auszeit, freie Zeiten? Oder kann ich <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em Arbeitsfeld eigentlich zu wenig<br />

Seelsorge machen, weil ständig andere<br />

Arbeiten anfallen und das kratzt an me<strong>in</strong>em<br />

Selbstverständnis <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong>?<br />

Quantitätsfragen werden immer dann zu<br />

Qualitätsfragen, wenn es e<strong>in</strong> zu viel oder<br />

zu wenig gibt. Und wie sorge ich dann entweder<br />

für die Umschichtung me<strong>in</strong>er Arbeit<br />

(und wer könnte mir dabei helfen?) oder<br />

für mehr Auszeit, Freiheit, Auftanken?<br />

Vielleicht ist nicht Qualität oder Quantität<br />

me<strong>in</strong>e Frage <strong>in</strong> der Selbstfürsorge, son-<br />

dern Orientierung? Braucht me<strong>in</strong>e Seele<br />

bei dem, was ich an „geistlichem Output“<br />

zu leisten habe, dr<strong>in</strong>gend mal „geistlichen<br />

Input“? Und wie kann ich da was für mich<br />

tun? Brauche ich etwas Kurzfristiges oder<br />

längerfristig etwas für me<strong>in</strong>en Alltag?<br />

Vielleicht muss ich auch den Kontakt zu<br />

me<strong>in</strong>en eigenen WeggefährtInnen verbessern,<br />

um weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Seelsorge selbst<br />

e<strong>in</strong> guter Weggefährte, e<strong>in</strong>e gute Weggefährt<strong>in</strong><br />

zu se<strong>in</strong>? Privaten und beruflichen<br />

nichtfunktionalen Umgang braucht die<br />

Seele, oder schlicht: Liebe und Geme<strong>in</strong>schaft<br />

anderer Menschen. Reicht mir das,<br />

was ich habe? Wie kriege ich mehr oder<br />

anderen menschlichen Kontakt, wenn es<br />

das ist, was me<strong>in</strong>e Seele pflegt?<br />

Und die Er<strong>in</strong>nerung Theresa von Avilas<br />

nicht zu vergessen, wir sollten freundlich<br />

zu unseren Körpern se<strong>in</strong>, damit unsere<br />

Seelen Lust haben, dar<strong>in</strong> zu wohnen: habe<br />

ich genügend körperliche Pflege <strong>in</strong> jeglicher<br />

H<strong>in</strong>sicht? Soviel, dass mir auch <strong>als</strong><br />

Seelsorger<strong>in</strong> und Seelsorger bei me<strong>in</strong>er<br />

Arbeit präsent ist, dass Seelsorge immer<br />

auch Leibsorge ist?<br />

Es lohnt sich zum Thema „Seelsorge für<br />

Seelsorgende“ e<strong>in</strong>e solche Selbsterforschung<br />

zu betreiben, um heraus zu bekommen,<br />

welche Seelsorge ich <strong>als</strong> Seelsorger/<strong>in</strong><br />

für mich brauche. Kle<strong>in</strong>e alltägliche<br />

D<strong>in</strong>ge (wie z. B. gut gekochte und <strong>in</strong><br />

angenehmer Umgebung e<strong>in</strong>genommene<br />

Mahlzeiten oder die halbe Stunde unter<br />

dem Kopfhörer mit der Musik, die ich mag,<br />

jede Woche 90 M<strong>in</strong>uten zum S<strong>in</strong>gen oder<br />

Schwimmen gehen) s<strong>in</strong>d dabei m<strong>in</strong>des-<br />

60 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


tens so hilfreich wie größere Maßnahmen<br />

(Umstrukturierung me<strong>in</strong>er Arbeit, e<strong>in</strong>e<br />

Fortbildung mit dem Ziel „Seelsorge für<br />

Seelsorger/<strong>in</strong>nen“ beim Zentrum für Seelsorge<br />

oder der Fachstelle Geistliches Leben,<br />

e<strong>in</strong> Aufenthalt im Haus Respiratio,<br />

e<strong>in</strong>e längerfristige geistliche Begleitung).<br />

(Mehr unter: www.zfs-baden.de, www.ekiba.de,<br />

Start, Glaube & Spiritualität, Geistliches<br />

Leben; www.respiratio.de)<br />

Woher erhalte ich die Wertschätzung für<br />

me<strong>in</strong>e Arbeit und was tue ich dafür, dass<br />

ich diese auch kriege? Dauernde Erfahrung<br />

von „Undank ist der Welt Lohn“ demotiviert<br />

den engagiertesten Seelsorger.<br />

In der Seelsorge ist das Thema beson -<br />

ders virulent, denn sie ist zum Teil „unsichtbare“<br />

Arbeit. Und da, wo sie aufsuchende<br />

Seelsorge ist, ist sie zunächst nicht<br />

erbeten, e<strong>in</strong>e „Gegenleistung“ <strong>in</strong> Form von<br />

Wertschätzung von daher manchmal nicht<br />

im Blick. Deshalb gibt es trotzdem oft e<strong>in</strong><br />

zufriedenes und wertschätzendes Dankeschön<br />

für unsere seelsorglichen Gespräche,<br />

Wahrnehmungen und Aufmerksamkeiten.<br />

Es lohnt sich, diese systematisch<br />

e<strong>in</strong>zusammeln und sichtbar zu machen,<br />

e<strong>in</strong>e P<strong>in</strong>nwand voll Dankesworte, e<strong>in</strong> Korb,<br />

<strong>in</strong> dem ich die schriftlichen Dankeschöns<br />

sammele, e<strong>in</strong>e Schnur, an der ich Dankeskarten<br />

aufhänge, ich könnte auch regelmäßig<br />

für mich selbst (und den Ältestenkreis)<br />

zusammenzählen, wie viel genau<br />

an Spenden bei seelsorglichen Kontakten<br />

für die Geme<strong>in</strong>de gegeben worden<br />

ist, manche Besuchte bedanken sich mit<br />

dieser direkten materiellen Wertschätzung<br />

etc. (Wer beim Lesen dieser Vorschläge<br />

von e<strong>in</strong>em Gefühl von Pe<strong>in</strong>lichkeit<br />

erfasst worden ist, ist vermutlich an<br />

die eigene Bedürftigkeit gestoßen. Das<br />

fühlt sich für uns westliche, zu Autonomie<br />

erzogene Menschen nie gut an, aber vielleicht<br />

hilft die Ermutigung des Psalmisten:<br />

„de<strong>in</strong> Angesicht soll nicht schamrot werden“<br />

(Ps 34,6), um zur eigenen Bedürftigkeit<br />

stehen zu können?!).<br />

Der direkte Dank ist e<strong>in</strong> Geschenk, lässt<br />

sich nicht e<strong>in</strong>klagen und darum wertvoll<br />

genug, damit das Büro zu schmücken.<br />

Das E<strong>in</strong>sammeln und Sichtbar-machen<br />

von wertschätzenden Worten und Anerkennung<br />

ist wichtig, damit ihre Wirkung<br />

zur Geltung kommen kann. Forschungen<br />

sagen, dass wir auf e<strong>in</strong>e kritische Rückmeldung<br />

schon hirnphysiologisch erheblich<br />

stärker reagieren <strong>als</strong> auf e<strong>in</strong>e wertschätzende.<br />

Fünf wertschätzende Rückmeldungen<br />

haben <strong>in</strong> der Intensität dieselbe<br />

Wirkung wie e<strong>in</strong>e kritische. Ke<strong>in</strong> Wunder,<br />

dass es uns mitunter vorkommt, <strong>als</strong><br />

hätten wir permanent zu wenig Wertschätzung,<br />

auch ohne überdurchschnittliche<br />

narzisstische Kränkung. Und Vorgesetzte<br />

können tatsächlich viel dazu tun,<br />

die Seelen ihrer Mitarbeitenden zu pflegen,<br />

<strong>in</strong>dem sie Kritik und Wertschätzung<br />

im Verhältnis 1:5 verteilen.<br />

Insgesamt gilt <strong>in</strong> Organisationen mit flachen<br />

Hierarchien, <strong>in</strong> denen die materielle<br />

Wertschätzung ausfällt (fehlende Bezahlung<br />

bei ehrenamtlicher Arbeit, fehlende<br />

Möglichkeit von leistungsgerechter Bezahlung<br />

bei Hauptamtlichen, fehlende berufliche<br />

Aufstiegsmöglichkeiten), dass die<br />

Motivation zur Arbeit bei den Mitarbeitenden<br />

zum<strong>in</strong>dest teilweise <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sisch vor-<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

61


Aus dem <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong><br />

handen se<strong>in</strong> muss. Anerkennung und<br />

Wertschätzung müssen reziprok gelebt<br />

werden, wo sollten sie sonst herkommen?<br />

Anders ausgedrückt: wer bei der Kirche<br />

arbeitet, sollte das immer noch <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

um des Himmelreiches willen tun (darunter<br />

lässt sich vieles verstehen, präsentisch<br />

wie futurisch Eschatologisches) und<br />

nicht um Anerkennung und Wertschätzung<br />

zu kriegen. Und: Wertschätzung „von<br />

oben nach unten“ funktioniert <strong>in</strong> der Regel<br />

nicht sehr gut, diese zu erwarten ist daher<br />

nicht besonders zielführend.<br />

Unbestritten bleibt gleichzeitig, dass wir<br />

<strong>als</strong> Menschen Anerkennung und Wertschätzung<br />

brauchen und am besten kriegen<br />

wir die, <strong>in</strong>dem wir wechselseitig ständig<br />

an e<strong>in</strong>er Kultur der Wertschätzung mitbauen.<br />

Also: wertschätzen wir doch unsere<br />

Vorgesetzten, die von uns abhängigen<br />

MitarbeiterInnen, die Hauptamtlichen, die<br />

Ehrenamtlichen, die Menschen im EOK,<br />

die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen (und uns<br />

selbst!) so oft und so viel wir das ehrlichen<br />

Herzens können. Aus dem Wald, <strong>in</strong> den<br />

wir da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>pfeifen, kommt es def<strong>in</strong>itiv<br />

zurück.<br />

n Sab<strong>in</strong>e Kast-Streib,<br />

Dagmar Kreitzscheck, Heidelberg<br />

Krankenhilfe-Abschluss 2012<br />

Bei 7.424 bearbeiteten Anträgen, etwas<br />

mehr <strong>als</strong> im Vorjahr, erreichte die Krankenhilfe<br />

des <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s 4,4 Mio €, das ist<br />

<strong>in</strong> etwa wieder das Vorjahresniveau.<br />

Die Anträge wurden wie immer sehr zuverlässig<br />

und schnell von Frau Krempel<br />

bearbeitet. Wenn ke<strong>in</strong>e Unklarheiten auftreten,<br />

bei denen Rückfragen erforderlich<br />

s<strong>in</strong>d und uns alle Blätter des Beihilfebescheides<br />

im Orig<strong>in</strong>al vorliegen, beträgt die<br />

durchschnittliche Bearbeitungszeit etwa<br />

14 Tage.<br />

Häufig werden wir kontaktiert, wenn es<br />

um Anfragen geht, welche Kosten <strong>in</strong> welcher<br />

Höhe beihilfefähig s<strong>in</strong>d oder warum<br />

nicht alle Kosten <strong>als</strong> beihilfefähig anerkannt<br />

wurden. Diese Anfragen bitten wir,<br />

an Ihre Beihilfestelle (meist der KVBW <strong>in</strong><br />

Karlsruhe oder LBV <strong>in</strong> Fellbach/Stuttgart)<br />

zu richten. Das ist die festsetzende Stelle.<br />

Wir erkennen die Festsetzungen der Beihilfestelle<br />

an. Pflegekosten s<strong>in</strong>d entsprechend<br />

zu kennzeichnen <strong>als</strong> „Pflege“. Hier<br />

ist es erforderlich, Belege vorzulegen.<br />

Wir bitten auch von telefonischen Nachfragen<br />

über den Stand der Bearbeitung<br />

abzusehen, denn die Nachforschungen<br />

s<strong>in</strong>d zeit<strong>in</strong>tensiv. Erst bei e<strong>in</strong>er Bearbeitungszeit<br />

von mehr <strong>als</strong> vier Wochen ist e<strong>in</strong>e<br />

Nachfrage s<strong>in</strong>nvoll, ob eventuell etwas<br />

auf dem Postweg verloren gegangen ist.<br />

Der Postweg wird nicht unwesentlich beschleunigt,<br />

wenn statt der Straße unser<br />

Postfach 22 26 <strong>in</strong> 76010 Karlsruhe angegeben<br />

wird. Beachten Sie ab 1. Januar<br />

2013 das neue Porto von 58 Ct für Standardbriefe<br />

bis 20 g.<br />

62 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Thema<br />

Füße auf weitem Raum<br />

Pfarrer Christoph Lang hat das Angebot<br />

der kontemplativen Pfarrkollegs <strong>in</strong> Anspruch<br />

genommen, um für se<strong>in</strong>e Seelsorger-Seele<br />

zu sorgen. Se<strong>in</strong> Erfahrungsbericht<br />

lässt ke<strong>in</strong>en Zweifel an<br />

deren S<strong>in</strong>n und Bedeutung für die berufliche<br />

und persönliche Existenz von<br />

Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrern.<br />

„Du stellst me<strong>in</strong>e Füße auf weiten Raum“<br />

– dieses Wort aus Psalm 31 kommt mir <strong>in</strong><br />

den S<strong>in</strong>n, wenn ich an E<strong>in</strong>kehrzeiten im<br />

Kloster Kirchberg oder auf dem Hohrodberg<br />

<strong>in</strong> den Hochvogesen denke. Schon<br />

zweimal habe ich die Chance genutzt, bei<br />

e<strong>in</strong>em der angebotenen „kontemplativen<br />

Pfarrkolllegs“ dabei zu se<strong>in</strong>.<br />

Für den weiten Raum sorgte jeweils nicht<br />

nur die umsichtige Planung und Leitung<br />

durch den Kollegen Wolfgang Max von<br />

der Fachstelle Geistliches Leben <strong>in</strong> unserer<br />

Landeskirche. Der weite Raum, das ist<br />

für mich auch die herrliche Landschaft, <strong>in</strong><br />

der ich mich e<strong>in</strong>mal rund um das Kloster<br />

Kirchberg, das andere Mal <strong>in</strong> den Bergen<br />

der Hochvogesen bewegen durfte. Der<br />

weite Raum, damit me<strong>in</strong>e ich auch die<br />

Struktur der Tagzeitengebete im Kloster<br />

Kirchberg oder – <strong>in</strong> schlichterer Weise –<br />

bei den Schwestern der Evangelischen<br />

Kommunität auf dem Hohrodberg. Deren<br />

große Gastfreundschaft und e<strong>in</strong>e von den<br />

Seligpreisungen geprägte Spiritualität des<br />

Alltags waren bee<strong>in</strong>druckend und eröff -<br />

neten neue Räume. Geme<strong>in</strong>sames Hören<br />

auf spirituelle Impulse, aber vor allem auch<br />

e<strong>in</strong>sames und geme<strong>in</strong>sames Schweigen<br />

prägten jeweils die Tage. Und wenn aus<br />

dem geme<strong>in</strong>samen Sitzen oder Liegen <strong>in</strong><br />

der Stille e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> leises Schnarchen erklang,<br />

dann war dies bestimmt e<strong>in</strong> gesegneter<br />

Schlaf (gemäß Ps 127, 2b) – wie<br />

gut, wenn dies auch se<strong>in</strong> darf!<br />

M<strong>in</strong>destens so wichtig wie dieser weite<br />

Raum zum Da-Se<strong>in</strong>, zum Sitzen <strong>in</strong> der<br />

Stille, zum Ausruhen war und ist für mich<br />

die Bewegung. Ob <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Leibarbeit<br />

oder beim Gehen <strong>in</strong> der Natur: den<br />

Füßen, dem ganzen Leib und der Seele<br />

tat und tut es e<strong>in</strong>fach gut, im weitem Raum<br />

der Schöpfung unterwegs zu se<strong>in</strong>. Mich zu<br />

spüren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfassenden S<strong>in</strong>n, auf<br />

den Atem zu achten, mit me<strong>in</strong>em Innersten<br />

<strong>in</strong> gutem Kontakt zu se<strong>in</strong>. Vieles von<br />

dem, was ich dort ausprobieren konnte,<br />

wirkt nach <strong>in</strong> der alltäglichen Praxis von<br />

Aktion und Kontemplation. Das Atemholen<br />

für Leib und Seele jenseits von Produktivität<br />

und Rollenerwartung, abseits<br />

von Term<strong>in</strong>druck und Erfolgsüberlegungen<br />

habe ich <strong>als</strong> das erlebt, was mir für<br />

me<strong>in</strong> Leben und Arbeiten neue Impulse<br />

gegeben hat: <strong>als</strong> im besten S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes Seelsorge an Seelsorgern.<br />

n Christoph Lang,<br />

Eggenste<strong>in</strong>-Leopoldshafen<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

63


Thema<br />

B<strong>als</strong>am aus anderen Landeskirchen<br />

In allen Gliedkirchen hat die Frage nach<br />

Begleitung von Seelsorger/<strong>in</strong>nen und<br />

Pfarrer/<strong>in</strong>nen ihren spezifischen Ort.<br />

Pastoralkollegs, Institute für Aus-, Fortund<br />

Weiterbildung, Stabstellen für Personalförderung<br />

oder wie <strong>in</strong> Baden auch<br />

e<strong>in</strong> Zentrum für Seelsorge versuchen,<br />

dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen.<br />

Zwei ausgewählte Beispiele illustrieren<br />

dies: <strong>in</strong> der Württembergischen<br />

Landeskirche geht es dezidiert um „Seel -<br />

sorge an Seelsorgenden“ und <strong>in</strong> der<br />

Westfälischen Kirche gibt es unter anderem<br />

e<strong>in</strong> Modell für die Begleitung von<br />

Berufse<strong>in</strong>steigern.<br />

Württembergische Landeskirche<br />

(aus der Homepage der württembergischen<br />

Landeskirche und v. a. des württem -<br />

bergischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s)<br />

www.elk-wue.de<br />

Seelsorge an Seelsorgenden<br />

„Seelsorge an Seelsorgenden“ ist e<strong>in</strong><br />

Angebot für Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen und<br />

kann zu E<strong>in</strong>zelgesprächen und Teambegleitungen<br />

genutzt werden. Das Angebot<br />

unterstützt Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer <strong>in</strong><br />

ihrem Berufsalltag dabei, verschiedene<br />

Aspekte und Fragen zu erörtern wie<br />

beispielsweise Themen „gut se<strong>in</strong> wollen –<br />

gut se<strong>in</strong> müssen“.<br />

Dabei kann es darum gehen, den Alltag zu<br />

sortieren, bei Stellenwechsel Ideen zu<br />

überprüfen, <strong>in</strong> Krisensituationen zu bestehen<br />

und vieles mehr. Dort gibt es Raum<br />

und Zeit, Neues anzudenken, Altes zu<br />

verabschieden, sich selbst zu verzeihen<br />

und alternative Schritte vorzudenken …<br />

Seelsorgende an Seelsorgenden<br />

Seelsorge ist ja neben Verkündigung und<br />

Bildung e<strong>in</strong>e zentrale Aufgabe der Pfarrer<br />

und Pfarrer<strong>in</strong>nen und vielen Verantwortlichen<br />

der Diakonie. Immer wieder gibt es<br />

die Frage: Wer unterstützt sie denn – die<br />

Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Landeskirche<br />

Württemberg bei Ihrem Auftrag, bei<br />

komplizierten Seelsorgegesprächen, <strong>in</strong><br />

Konfliktsituationen, etc.<br />

Das Anliegen „Seelsorge an Seelsorgenden“<br />

wurde vom <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong> immer wieder<br />

angemahnt und formuliert. Seit 1992 gibt<br />

es Kollegen und Kolleg<strong>in</strong>nen, die diesen<br />

Auftrag hatten und haben:<br />

Die Landeskirche hat zur Zeit drei Stellen<br />

mit jeweils unterschiedlichem Zuschnitt –<br />

je nach Prälatur und Situation zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Dieses Angebot ist e<strong>in</strong>e Möglichkeit und<br />

kann genutzt werden – etwa um<br />

• etwas mal durchzusprechen<br />

• e<strong>in</strong>en Blick von außen abzufragen<br />

• <strong>in</strong> Zeiten der Umorientierung e<strong>in</strong>en Fokus<br />

zu f<strong>in</strong>den<br />

• Theologie und Seelsorge neu denken<br />

zu dürfen<br />

• e<strong>in</strong>e Konfliktsituation zu benennen<br />

• e<strong>in</strong>e Bewerbungssituation zu planen<br />

• die Reflexion der eigenen Seelsorgetätigkeit<br />

voranzutreiben<br />

64 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Seelsorge an Seelsorgende<br />

kann hilfreich se<strong>in</strong>:<br />

• <strong>als</strong> persönliche Begleitung E<strong>in</strong>zelner<br />

• <strong>in</strong> Zeiten der Veränderung<br />

• <strong>in</strong> Konfliktsituationen<br />

• präventiv … wenn irgend etwas anders<br />

ist <strong>als</strong> gedacht …<br />

• für Ehepartner/<strong>in</strong>nen von Seelsorgenden,<br />

die von Problemen ihrer Partner/-<br />

<strong>in</strong>nen betroffen s<strong>in</strong>d<br />

• für vorgesetzte Personen, die Rat suchen<br />

wegen kirchlichen Mitarbeiter /<strong>in</strong>nen<br />

Anliegen ist es:<br />

• Kontakte und Gespräche anzubieten<br />

• Seelsorgende zu unterstützen im achtsamen<br />

Umgang mit sich selbst<br />

• ‚Burnout-Prävention‘ zu ermöglichen<br />

• sensibles Entwickeln von Ressourcen<br />

gegenüber Erschöpfung und dem Gefühl<br />

‚von Zuviel‘ aufzubauen<br />

• mit Krisen umsichtig umzugehen<br />

• Beratung von Teams anzubieten<br />

• Begleitung und Förderung von Intervisions-<br />

oder Supervisionsgruppen zu <strong>in</strong>itiieren<br />

• Prävention oder Unterstützung <strong>in</strong> der<br />

Situation durch Beratungs- und Referententätigkeit<br />

Bildung zum Thema Seelsorge:<br />

Berufsbegleitende Seelsorgekurse für den<br />

Pfarrdienst<br />

• Seelsorge <strong>als</strong> Thema ‚vor-Ort‘ (‚near/on<br />

the job‘)<br />

• E<strong>in</strong>führungen zum Thema Qualifizierung<br />

von Ehrenamtlichen für Krankenhaus,<br />

Geme<strong>in</strong>de und Sonderdienst<br />

• Begleitung im Umgang mit Besuchsdiensten<br />

• Neue Anregungen für den Bereich der<br />

Seelsorge<br />

• Beratung/Seelsorge und Coach<strong>in</strong>g<br />

Seelsorge, Beratung, Supervision und Coach<strong>in</strong>g<br />

ist weitgehend auf das Gespräch<br />

angewiesen – und e<strong>in</strong> Gespräch <strong>als</strong> solches<br />

ist e<strong>in</strong> hoch empf<strong>in</strong>dliches Medium:<br />

Man weiß nie, was aus e<strong>in</strong>em Gespräch<br />

wird, ob die Verständigung gel<strong>in</strong>gt oder<br />

nicht, ob es Konsequenzen zeigt oder<br />

nicht. Und sicher es gibt das manchmal<br />

auch das folgenlose Darüber-Reden, aber<br />

oft entfalten wenige Worte e<strong>in</strong>e ungeahnte<br />

Wirkung und zeigen neue Wege.<br />

In dem Ohnmacht und Hilflosigkeit, Wut<br />

und Unsicherheit angeguckt wird, erweist<br />

sich Seelsorge oder Supervision <strong>als</strong> hilfreich<br />

und machtvoll.<br />

Für Seelsorgende ist e<strong>in</strong>e differenzierte<br />

Selbst- und Fremdwahrnehmung <strong>in</strong> Bezug<br />

auf sich selber entscheidend. Die gilt<br />

aber auch auf die eigene Geschlechtsrolle<br />

im Kontext des Arbeitsfeldes und die Auswirkungen<br />

auf die Gegenüber („gender<br />

awareness“). Den vielen eigenen Themen,<br />

auch theologisch, nachzugehen ist anregend<br />

und hilft für viele Situationen.<br />

Aus der Westfälischen Kirche<br />

Institut für Aus-, Fort- und<br />

Weiterbildung der EKvW<br />

Iserlohner Str. 25, 58239 Schwerte<br />

Fon: (0 23 04) 755-141/142<br />

Fax: (0 23 04) 755-157<br />

<strong>in</strong>stitut-afw@<strong>in</strong>stitut-afw.de<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

65


Was bieten wir unter anderem an?<br />

Berufse<strong>in</strong>stiegsberatung<br />

Für Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer geht es nach<br />

dem Ende des Vikariats und dem Beg<strong>in</strong>n<br />

des Probedienstes darum, die nächsten<br />

Schritte auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuell passenden<br />

Berufsweg zu gehen. Mitarbeitende anderer<br />

Berufsgruppen sehen sich nach<br />

dem Studium oder e<strong>in</strong>er Phase von Praktika,<br />

Anerkennungsjahr o. ä. beim E<strong>in</strong>stieg<br />

<strong>in</strong> das erste dauerhafte Arbeitsverhältnis<br />

mit ähnlichen Fragen konfrontiert.<br />

Für Sie steht es an, die bislang erworbenen<br />

Fähigkeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e stärker eigenverantwortliche<br />

Berufspraxis zu überführen, sich<br />

persönlich weiter zu entwickeln und die<br />

nächsten Handlungsoptionen zu entfalten.<br />

Personalberatung unterstützt Sie <strong>in</strong> dieser<br />

wichtigen Phase des beruflichen Übergangs<br />

dar<strong>in</strong>, den persönlichen beruflichen<br />

Ausgangspunkt gut <strong>in</strong> den Blick zu bekommen,<br />

die eigenen Entwicklungspo ten -<br />

tiale bewusst wahrzunehmen und sich <strong>in</strong><br />

der weiteren beruflichen Suche zu orien -<br />

tieren.<br />

Die Beratung bietet Raum, um<br />

• erworbene Kompetenzen gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend<br />

zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen und weiterauszubauen,<br />

• auf e<strong>in</strong>e gute Verortung Ihrer Potentiale<br />

<strong>in</strong> Ihrer beruflichen Laufbahnplanung<br />

zu achten,<br />

• den Rahmen realer Möglichkeiten gezielter<br />

e<strong>in</strong>schätzen zu können und berufliche<br />

Entfaltungsmöglichkeiten zu erschließen.<br />

(Kommentar: Moderat, statt<br />

Superlative, die können wir eh nicht<br />

bieten.)<br />

Laufbahnberatung<br />

Auch ohne e<strong>in</strong>en konkreten Wunsch oder<br />

Anlass zur Veränderung kann e<strong>in</strong>e Beratung<br />

hilfreich se<strong>in</strong>: Wenn Sie nach e<strong>in</strong>em<br />

längeren persönlichen Berufsweg e<strong>in</strong>mal<br />

<strong>in</strong>nehalten möchten, um e<strong>in</strong>e Standortbestimmung<br />

für sich vorzunehmen.Wenn<br />

Sie Erreichtes bewerten und erworbene<br />

Kompetenzen und Erfahrungen <strong>in</strong> den<br />

Blick bekommen möchten. Oder wenn<br />

Sie e<strong>in</strong>e bessere Grundlage für möglicherweise<br />

anstehende Entscheidungen<br />

<strong>in</strong> der weiteren Laufbahn bekommen<br />

möchten.<br />

Personalberatung unterstützt Sie dabei,<br />

Ihren eigenen beruflichen Werdegang <strong>in</strong><br />

den Erfahrungen der Vergangenheit, den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen der Gegenwart und den<br />

Möglichkeiten der Zukunft aufe<strong>in</strong>ander zu<br />

beziehen.<br />

Die Beratung bietet Raum, um<br />

• die eigenen Erfahrungen und Entwicklungen<br />

des Berufsweges bewusst zu<br />

reflektieren.<br />

• sich der eigenen Potentiale und Fähigkeiten<br />

zu vergewissern.<br />

• zur Bildung von mittel- und langfristigen<br />

Perspektiven für die weitere beruflichen<br />

Ziele, Interessen und Entwicklungen.<br />

Stellenwechselberatung<br />

Anlässe für e<strong>in</strong>en Wunsch nach Wechsel<br />

können vielfältig se<strong>in</strong>: Erweiterung des<br />

beruflichen Horizontes, Veränderung privater<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen, aber auch Krisen<br />

und Konflikte, seien sie konkret oder<br />

noch nicht greifbar.<br />

Personalberatung unterstützt Sie dabei,<br />

sich rechtzeitig zu orientieren. Klarheit über<br />

66 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


eigene Potentiale, Ziele und Werte hilft bei<br />

der Suche nach geeigneten Stellen. Möglicherweise<br />

ist e<strong>in</strong>e Klärung belastender<br />

Situationen s<strong>in</strong>nvoll, um Barrieren für die<br />

Zukunft zu identifizieren und Bearbeitungs -<br />

möglichkeiten zu f<strong>in</strong>den.<br />

Die Beratung bietet Raum,<br />

• auf der Grundlage e<strong>in</strong>er umfassenden<br />

Betrachtung der eigenen beruflichen Erfahrungen,<br />

Fähigkeiten, Ziele und Werte<br />

sowie der Bedürfnisse des privaten<br />

Kontextes e<strong>in</strong> eigenes „Passungsprofil“<br />

für e<strong>in</strong>e mögliche Stelle zu entwerfen,<br />

• Entscheidungen <strong>in</strong> Bezug auf konkrete<br />

Stellenbewerbungen gut reflektiert zu<br />

treffen,<br />

• Gegebenenfalls berufliche Entwicklungsmöglichkeiten<br />

am bestehenden<br />

Ort <strong>als</strong> Alternative zum Stellenwechsel<br />

zu identifizieren.<br />

Bewerbungscoach<strong>in</strong>g<br />

Ist e<strong>in</strong>e konkrete Stelle im Blick, geht es<br />

darum, unter Berücksichtigung des persönlichen<br />

Profils und der Erwartungen die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Schritte und Elemente des Bewerbungsprozesses<br />

zu planen und zu gestalten.<br />

Personalberatung begleitet Sie im ge -<br />

samten Bewerbungsprozess mit dem Ziel<br />

e<strong>in</strong>er angemessenen Bewerbung, <strong>in</strong> der<br />

die beidseitigen Angebote und Erwartungen<br />

realistisch e<strong>in</strong>geschätzt werden. Ziel<br />

ist es, dass Ihre Bewerbung e<strong>in</strong> guter Start<br />

für e<strong>in</strong>e langfristige Zusammenarbeit wird.<br />

• die Erarbeitung von passenden Bewerbungsunterlagen<br />

• die Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch<br />

Anschluss-Bewerbungscoach<strong>in</strong>g<br />

Im Falle e<strong>in</strong>er erfolgreichen Bewerbung<br />

kann sich e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>stiegscoach<strong>in</strong>g anschließen,<br />

das unter anderem die ersten Schritte<br />

der Orientierung <strong>in</strong> der neuen Stelle und<br />

den Umgang mit neuen Erwartungen thematisiert.<br />

Konnte e<strong>in</strong>e Bewerbung nicht<br />

zu ihrem Ziel kommen, werden die ge won -<br />

nenen Erfahrungen geme<strong>in</strong>sam ausgewertet,<br />

um sie für den weiteren Berufsweg<br />

nutzbar zu machen.<br />

Die Beratung begleitet<br />

• die Reflexion des eigenen berufsbezogenen<br />

Persönlichkeitsprofils<br />

• die Reflexion der neuen Aufgaben und<br />

der neuen Rolle anhand des eigenen<br />

Profils<br />

• die Reflexion der Belastungsgrenzen<br />

und Gestaltungsspielräume<br />

Die Beratung begleitet<br />

• den Entwurf e<strong>in</strong>er geeigneten Bewerbungsstrategie<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

67


Thema<br />

Das Konzept<br />

Das Haus „Respiratio“, dessen Andachtsraum<br />

auf dem Titelbild unserer<br />

aktuellen <strong>Ausgabe</strong> zu sehen ist, wird<br />

von den evangelischen Landeskirchen<br />

Baden, Bayern und Württemberg getragen.<br />

Auf dem Schwanberg gelegen,<br />

bietet das Haus kirchlichen Mitarbeitenden<br />

<strong>in</strong> Krisensituationen Auszeiten<br />

an, um neue Wege für die Bewältigung<br />

des beruflichen und persönlichen Alltags<br />

zu entdecken.<br />

Respiratio (lat. respirare: aufatmen, sich<br />

erholen) ist e<strong>in</strong>e stationär-therapeutische<br />

E<strong>in</strong>richtung, die hauptamtlich-kirchlichen<br />

MitarbeiterInnen die Möglichkeit bietet,<br />

neuen Atem zu schöpfen und zur Ruhe zu<br />

kommen. Die Bearbeitung emotionaler<br />

Probleme soll dazu befähigen, die Belastungen<br />

des beruflichen und familiären Alltags<br />

wieder besser bewältigen zu können.<br />

Das tiefenpsychologisch orientierte – aber<br />

multimodal ausgerichtete – Programm<br />

von Respiratio fördert das Verständnis für<br />

<strong>in</strong>nerseelische Konflikte und deren Auswirkungen<br />

auf das zwischenmenschliche<br />

Verhalten. Es regt dazu an, durch wohlwollend-kritische<br />

Selbstreflexion und <strong>in</strong> -<br />

ter personelles Lernen dysfunktionale Verhaltens-,<br />

Erlebens- und Denkmuster zu<br />

identifizieren und zu verändern.<br />

Die <strong>in</strong>tegrale Ausrichtung von Respiratio<br />

spricht Geist, Leib und Seele an und bietet<br />

Raum für spirituelle Erfahrungen. Als<br />

professionell durchgeführte Psychotherapie<br />

unterscheidet sich der pastoraltherapeutische<br />

Ansatz von Respiratio jedoch<br />

deutlich von Formen der Geistlichen Begleitung<br />

und anderen spirituell-supportiven<br />

Angeboten.<br />

Das Zusammenleben im Haus „Respiratio“<br />

soll e<strong>in</strong>e zur Veränderung ermutigende<br />

Atmosphäre schaffen und durch das Er -<br />

leben von Begegnung, Teilnehmen, Gren -<br />

zen-Erkennen und Kommunizieren zu<br />

heilsamen Beziehungserfahrungen führen.<br />

Im Interaktionsfeld der Gruppe können<br />

eigene emotionale Bedürfnisse wahr -<br />

genom men und ihre sozial verantwortliche<br />

Durchsetzung geübt werden. Ziel der geme<strong>in</strong>samen<br />

therapeutischen Arbeit ist es,<br />

persönliche Selbstheilungskräfte und vorhandene<br />

Res sourcen neu nutzen zu können,<br />

um körperlich, psychisch und spirituell<br />

zu genesen und den tägli chen <strong>in</strong>neren<br />

und äußeren Anforderungen mit resilienter<br />

Stärke zu begegnen.<br />

Bestandteile der Kurse s<strong>in</strong>d: erleb nis orien -<br />

tierte Gruppenarbeit und therapeutischseelsorgerliche<br />

E<strong>in</strong>zelgespräche – ergänzt<br />

durch atemtherapeutische, kreativ- oder<br />

bewegungstherapeutische Angebote. Neben<br />

der täglichen Bes<strong>in</strong>nung im Haus „Res -<br />

piratio“ gibt es die Möglichkeit, an den Tagzeitengebeten<br />

der Schwestern der „Communität<br />

Casteller R<strong>in</strong>g“ <strong>in</strong> der benachbarten<br />

St. Michaelskirche teilzunehmen.<br />

Voraussetzung für die Aufnahme ist die<br />

Bereitschaft, sich mit der problematischen<br />

Lebenssituation und mit dem eigenen Verhalten<br />

achtsam und kritisch ause<strong>in</strong>anderzusetzen<br />

und sich im geschützten Rahmen<br />

der Therapiegruppe auf neue emotionale<br />

Lernerfahrungen e<strong>in</strong>zulassen.<br />

n Haus „Respiratio“<br />

Leitung: Dr. Hans-Friedrich Stängle<br />

Auf dem Schwanberg, 97348 Rödelsee<br />

Tel. 09323-32-250, www.respiratio.de<br />

68 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Aus der Pfarrvertretung<br />

Wechsel an der Spitze der Pfarrvertretung: neuer Vorsitz<br />

In ihrer konstituierenden Sitzung Ende<br />

November 2012 hat sich die Pfarrvertretung<br />

e<strong>in</strong>e neue Spitze gewählt. Im Vorsitz<br />

wird künftig Ulrike Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs den bisherigen<br />

Vorsitzenden Re<strong>in</strong>hard Sutter ablösen,<br />

der fünfzehn Jahre lang dieses Amt<br />

<strong>in</strong>nehatte und ausfüllte. Stellvertreter im<br />

Vorsitz ist neu Manfred Kuhn.<br />

Ulrike Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<br />

Manfred Kuhn<br />

Damit hat die im Oktober gewählte Pfarrvertretung<br />

e<strong>in</strong>en Anfang <strong>in</strong> ihrer neuen<br />

Wahlperiode gesetzt, um <strong>in</strong> Zukunft <strong>in</strong> der<br />

gewachsenen Kont<strong>in</strong>uität, aber auch mit<br />

frischem W<strong>in</strong>d die Interessen der Pfarrschaft<br />

<strong>in</strong> unserer Landeskirche zu ver -<br />

treten.<br />

In der ersten Arbeitssitzung am 31. Januar<br />

wird die Pfarrvertretung über die Themen -<br />

schwerpunkte der begonnenen Wahlperiode<br />

beraten. Aus aktuellem Anlass gehören<br />

dazu voraussichtlich die Frage der<br />

Mietwertbestimmung von Pfarrhäusern<br />

und die per Rundschreiben angekündigte<br />

Übernahme des Haushaltsbegleitgesetzes<br />

2013/14 des Landes Baden-Württemberg.<br />

Von grundsätzlicher Bedeutung schei nen<br />

Themen wie die Pensionsregelung, Transparenz<br />

bei Personalentscheidungen, Berufsbild<br />

der Pfarrer<strong>in</strong>/des Pfarrers und die<br />

Leistungsfähigkeit der landeskirchlichen<br />

Versorgungsstiftung zu se<strong>in</strong>. Ergänzungen<br />

und Priorisierungen f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der nächs -<br />

ten Sitzung statt.<br />

Wir freuen uns über Anregungen und<br />

Rückmeldungen der Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />

die die Arbeit der Pfarrvertretung<br />

begleiten und unterstützen.<br />

Erreichbar ist die Pfarrvertretung unter:<br />

Ulrike Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<br />

Ev. Markusgeme<strong>in</strong>de Karlsruhe<br />

Hübschstraße 8, 76135 Karlsruhe<br />

Telefon (07 21) 845 405<br />

bru<strong>in</strong><strong>in</strong>gs@markusgeme<strong>in</strong>de-karlsruhe.de<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

69


Zur Diskussion<br />

Die Debatte um die Beschneidung hat,<br />

rechtlich betrachtet, e<strong>in</strong> Ende gefunden.<br />

Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er weiteren, besseren Verständigung<br />

über e<strong>in</strong>en religiösen Wertekanon<br />

ist sie notwendiger Weise<br />

weiterzuführen. Das me<strong>in</strong>t Kirchenrat<br />

Volker Ste<strong>in</strong>brecher, <strong>Evangelischer</strong> Beauftragter<br />

der Evangelischen Landeskirchen<br />

<strong>in</strong> Baden-Württemberg bei<br />

Landtag und Landesregierung <strong>in</strong> Stuttgart<br />

und ruft im Themenjahr ‚Reformation<br />

und Toleranz‘ zum weiteren Gespräch<br />

über den Wert von Religion und<br />

der Funktion von Kirche <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

auch <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>den auf.<br />

Die Beschneidungsdebatte<br />

und ihre Folgen – Alles (nur)<br />

e<strong>in</strong>e Frage der Toleranz?<br />

Mit Urteil vom 7. Mai 2012 hatte das Landgericht<br />

Köln entschieden, bei der religiös<br />

begründeten Beschneidung handele es<br />

sich um e<strong>in</strong>e rechtswidrige Körperverletzung<br />

im S<strong>in</strong>ne von § 223 Abs.1 StGB. Diese<br />

Entscheidung wurde heftig kritisiert<br />

und diskutiert. Kritiker sagen: Mit dem Urteil<br />

habe der Staat unzulässig <strong>in</strong> das<br />

Recht der Religionsfreiheit e<strong>in</strong>gegriffen.<br />

Weiterh<strong>in</strong> wurde gesagt, die Beschneidung<br />

sei e<strong>in</strong> religiös konstitutives, körperlich<br />

sichtbares Siegel des Bundes mit<br />

Gott, dessen ritueller Vollzug am achten<br />

Tag nach der Geburt nicht zur Disposition<br />

steht. Manche Kritiker bestreiten auch den<br />

Tatbestand der Körperverletzung, es handele<br />

sich vielmehr um e<strong>in</strong> sozialadäquates<br />

Verhalten. Zudem werde das Erziehungsrecht<br />

der Eltern (Artikel 6 Abs.2 GG)<br />

unzumutbar bee<strong>in</strong>trächtigt. Der E<strong>in</strong>griff sei<br />

e<strong>in</strong>e Lappalie, vergleichbar zum Beispiel<br />

mit dem Stechen von Ohrlöchern.<br />

Es gab jedoch auch Stimmen, die das Urteil<br />

des Landgerichtes befürworten: Viele<br />

Ärzte (vor allem K<strong>in</strong>derärzte) haben darauf<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, dass zu den Folgen der<br />

Beschneidung vielfach „bleibende genitale<br />

Beschädigungen und seelische und sexuelle<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen“ gehören. Die<br />

Befürworter des Urteil berufen sich auf Artikel<br />

4 GG: Auch e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d sei Träger<br />

der negativen Religionsfreiheit, die Beschneidung<br />

greife irreversibel <strong>in</strong> dieses<br />

Recht des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>.<br />

Was hat <strong>als</strong>o Vorrang? Die <strong>in</strong> Jahrhunderten<br />

gewachsene religiöse Pflicht zur<br />

Beschneidung oder die Pflicht des Staates,<br />

die körperliche Unversehrtheit e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des zu schützen?<br />

E<strong>in</strong> vor wenigen Wochen vom Bundestag<br />

und Bundesrat verabschiedetes Gesetz<br />

versucht nun den bestehenden Wertekonflikt<br />

und die daraus resultierende<br />

Rechtsunsicherheit zu lösen. Im Kern ist<br />

danach der E<strong>in</strong>griff zulässig und straffrei,<br />

wenn er nach den Regeln der ärztlichen<br />

Kunst erfolgt und das K<strong>in</strong>deswohl nicht<br />

gefährdet ist. Und das ist <strong>in</strong> der Personensorge<br />

der Eltern, <strong>als</strong>o zivilrechtlich,<br />

geregelt und nicht im Strafrecht.<br />

Ist damit die Debatte beendet? Zu Fragen<br />

der Beschneidung <strong>in</strong> gewisser Weise<br />

schon. Nun können Juden und Muslime <strong>in</strong><br />

Deutschland rechtmäßig weiter ihre männ -<br />

lichen Knaben beschneiden lassen. Auf<br />

70 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


der anderen Seite hat die öffentliche Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

um das Thema Beschneidung<br />

jedoch auch gezeigt, dass es<br />

e<strong>in</strong>en großen Graben der Verständnislosigkeit<br />

zwischen traditionell religiös verhafteten<br />

Menschen und „den Anderen“ <strong>in</strong><br />

unserem Land gibt. Die ausgetauschten<br />

Argumente waren und s<strong>in</strong>d für die jeweils<br />

andere Seite nicht nachvollziehbar, weil<br />

es an der Verständigung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen<br />

„religiösen“ Wertekanons fehlt – und<br />

zwar unabhängig davon, ob es um die<br />

Ausübung christlicher, jüdischer oder mus -<br />

limischer Traditionen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

geht. Das Beschneidungsurteil „spal -<br />

tet Deutschland“, titelte der Berl<strong>in</strong>er Tagespiegel<br />

am 22. Juli vergangenen Jahres.<br />

Die Diskussion geht quer durch die<br />

Familien, Generationen und gesellschaftlichen<br />

Milieus und stellt die Frage nach<br />

dem Wert von Religion und der Funktion<br />

von Kirche für unseren Staat angesichts<br />

e<strong>in</strong>er zunehmenden Anzahl von Menschen,<br />

die sich ke<strong>in</strong>er religiösen oder gar<br />

kirchlichen Institution mehr zurechnen,<br />

ganz neu.<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident W<strong>in</strong>fried Kretschmann<br />

hat deshalb bereits se<strong>in</strong> Interesse an e<strong>in</strong>em<br />

zwischen Kirche – Politik – und Gesellschaft<br />

geführten Dialog zum Thema<br />

bekundet, und Landesbischof Fischer hat<br />

mit der thematischen Gestaltung des zurückliegenden<br />

Jahresempfangs im Dezember<br />

des vergangenen Jahres bereits<br />

e<strong>in</strong> erstes, e<strong>in</strong>drückliches „Ausrufezeichen“<br />

zu Beg<strong>in</strong>n des neuen Kirchenjahres<br />

„Reformation und Toleranz“ gesetzt: Kirche<br />

fördert gel<strong>in</strong>gende Integration <strong>in</strong> Baden-Württemberg.<br />

Die präsentierten Zeugenworte<br />

beim Festakt waren <strong>in</strong> der Tat<br />

überzeugend. Für die politisch Verantwortlichen<br />

<strong>in</strong> unserem Land ist es deshalb<br />

<strong>in</strong>teressant, zum Thema Toleranz mit den<br />

kirchlich Verantwortlichen über folgende<br />

Fragen <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen: Welchen<br />

Beitrag können und wollen Kirche<br />

und Politik zu e<strong>in</strong>em gel<strong>in</strong>gendem Mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> unserem Land leisten und wo<br />

s<strong>in</strong>d die Grenzen?<br />

Ich möchte Sie, liebe Kolleg<strong>in</strong>nen und Kol -<br />

legen herzlich zu diesen Gesprächen <strong>in</strong><br />

Ihren Geme<strong>in</strong>den und <strong>in</strong> Landkreisen gerade<br />

im Themenjahr Reformation und Toleranz<br />

ermuntern. Die Debatte ist eröffnet.<br />

n Volker Ste<strong>in</strong>brecher, Stuttgart<br />

Dazu e<strong>in</strong> Veranstaltungstipp aus dem<br />

Programm der Evangelischen Akademie<br />

Bad Herrenalb:<br />

Beschneidung:<br />

Argumentationsl<strong>in</strong>ien des neuen<br />

Gesetzes, 7. März 2013,<br />

Landesbibliothek, Karlsruhe.<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

71


Buchbesprechung<br />

Mart<strong>in</strong> Heimbucher,<br />

Christoph Schneider-Harpprecht,<br />

Aleida Siller (Hrsg.):<br />

Zugänge zum<br />

Heidelberger Katechismus<br />

Geschichte, Themen, Unterricht.<br />

E<strong>in</strong> Handbuch für die Praxis mit<br />

Unterrichtsentwürfen auf CD-ROM,<br />

Neukirchener Verlagsgesellschaft,<br />

Neukirchen-Vlyn 2012, 304 Seiten,<br />

30 Euro<br />

Erstaunlich viele Beiträge, darunter auch<br />

aus „badischer Feder“ enthält dieser Sammelband.<br />

Mit Recht schreiben der badische<br />

Landesbischof und der Moderator<br />

des Reformierten Bundes <strong>in</strong> ihrem Geleitwort:<br />

„Bereits e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> das Inhaltsverzeichnis<br />

macht neugierig.“ Dieser reichhaltige<br />

Stoff ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne „Zugänge“ gegliedert:<br />

persönliche, historische, theologische<br />

und praktische. Das Buch wendet<br />

sich an die „Unterrichtenden <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>de,<br />

Schule und Erwachsenenbildung“, um „<strong>in</strong><br />

den alten Formulierungen von neuem Erhellendes<br />

zu entdecken“. Re<strong>in</strong> formal fällt<br />

an dem Buch angenehm auf, dass die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Beiträge dadurch gegliedert s<strong>in</strong>d,<br />

dass sie neben den Zwischenüberschriften<br />

kle<strong>in</strong>ere Teaser enthalten, die auf den<br />

Inhalt des Abschnitts nicht nur aufmerksam,<br />

sondern neugierig machen. Am Ende<br />

jedes Beitrags f<strong>in</strong>det sich neben Literaturangaben<br />

e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf die mitgelieferte<br />

CD-ROM mit unterschiedlichsten<br />

Materialien: Bildern, Spielen, Unterrichtsentwürfen<br />

usw.<br />

Im ersten Beitrag schreibt die Wuppertaler<br />

Pfarrer<strong>in</strong> Sylvia Bukowski „von der Lust<br />

an e<strong>in</strong>em Katechismus für heute zu<br />

schreiben“. Sie empf<strong>in</strong>det <strong>in</strong> ihrer Arbeit<br />

den Zwiespalt zwischen der Glaubenssprache<br />

früherer Zeiten und dem Subjektivismus<br />

heutiger Beliebigkeit und will diesem<br />

„Wildwuchs“ mit Hilfe e<strong>in</strong>es „Gartenhandbuchs“,<br />

mit dem sie den Heidelberger<br />

Katechismus (HK) vergleicht, zu Leibe<br />

rücken. Die Fragen des HK sollen dabei<br />

überprüft werden, „ob und <strong>in</strong>wiefern<br />

sie noch ausdrücken, was Menschen heute<br />

am Glauben <strong>in</strong>teressiert oder verunsichert“,<br />

– e<strong>in</strong> beherzigenswertes Vorhaben,<br />

gerade auch im Blick auf Jugendliche!<br />

Klaas Huiz<strong>in</strong>g schildert gekonnt e<strong>in</strong>en<br />

fußballbegnadeten Klassenkameraden<br />

– nur um die Er<strong>in</strong>nerung an ihn beim<br />

Aufschlagen des alten Katechismus nach<br />

Jahren wachzurufen? E<strong>in</strong> ehemaliger<br />

Landessuper<strong>in</strong>tendent vergleicht den Katechismus<br />

mit e<strong>in</strong>er musikalischen Komposition<br />

und rühmt se<strong>in</strong>e „schöne, sangliche<br />

Sprache“.<br />

Die historischen Zugänge werden mit e<strong>in</strong>em<br />

Beitrag zum theologischen Werdegang<br />

des Hauptverfassers des HK, Zacha -<br />

rias Urs<strong>in</strong>us, eröffnet, der theologisch „zwi -<br />

schen Calv<strong>in</strong> und Melanchthon“ stand.<br />

Man merkt den vielen E<strong>in</strong>zelheiten des<br />

dennoch gut lesbaren, flüssig geschriebenen<br />

Beitrags von Johannes Ehmann die<br />

Handschrift des Kirchenhistorikers an. Er<br />

zeichnet nicht nur den Weg des Breslauers<br />

über Wittenberg, Genf und Paris nach<br />

Heidelberg, sondern nach e<strong>in</strong>em kurzen<br />

lutherischen Intermezzo des Heidelberger<br />

Hofs nach Neustadt, wo er 1583 starb.<br />

Se<strong>in</strong> eigentliches Anliegen e<strong>in</strong>er gesamtevangelischen<br />

Synode wurde durch die<br />

lutherische Konkordienformel mit ihrer<br />

deutlichen Abgrenzung gegen die Refor-<br />

72 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


mierten allerd<strong>in</strong>gs durchkreuzt. Matthias<br />

Freudenberg hebt <strong>als</strong> Charakteristikum<br />

reformierter Katechismen hervor, dass sie<br />

mit e<strong>in</strong>er persönlichen Fragestellung beg<strong>in</strong>nen;<br />

damit wird „die Lehre aus dem Käfig<br />

spröder Abgeschlossenheit zu e<strong>in</strong>er<br />

Lebensäußerung befreit.“ Ob man allerd<strong>in</strong>gs<br />

sagen kann, dass „Gott gewiss auch<br />

um se<strong>in</strong>er selbst willen <strong>in</strong>teressant ist“,<br />

muss ernsthaft gefragt werden, da wir von<br />

Gott immer nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er uns zugewandten<br />

Seite wissen und wissen können – alles<br />

andere wäre spekulative Philosophie.<br />

Inhaltlich hebt er drei Fragenkreise <strong>in</strong> reformierten<br />

Katechismen hervor: die Frage<br />

nach der Person des Glaubenden, nach<br />

den vergewissernden Zeichen sowie die<br />

Lust zur Befolgung des Willens Gottes.<br />

Hier gibt es auch Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ien zu<br />

Bernd Schröders Beitrag unter den theologischen<br />

Zugängen, der unter dem Titel<br />

„Theologien der Fragen“ das Fragen <strong>als</strong><br />

Geme<strong>in</strong>samkeit zwischen Juden und dem<br />

HK hervorhebt, wenn er auch bemängelt,<br />

dass dessen Fragen meistens geschlossene<br />

Fragen s<strong>in</strong>d.<br />

Auf der anderen Seite ist die positive Wertung<br />

der göttlichen Tora kennzeichnend.<br />

Andreas Mühl<strong>in</strong>g zeigt, dass bereits Ott -<br />

he<strong>in</strong>rich Verb<strong>in</strong>dung zu Bull<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> Zürich<br />

hatte. Er zeichnet die Frömmigkeitsentwicklung<br />

se<strong>in</strong>es Nachfolgers Friedrich III.<br />

und dessen Kirchenpolitik nach und weist<br />

die kirchenpolitische Bedeutung des HK<br />

auf. Bull<strong>in</strong>gers E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> Heidelberg hatte<br />

weiterh<strong>in</strong> bestanden. Er stimmte ihm<br />

daher auch freudig kräftig zu. Christroph<br />

Strohm schlägt den Bogen von Luthers<br />

Priestertum aller Gläubigen zu dem ge-<br />

me<strong>in</strong>samen Anliegen reformatorischer<br />

Katechismen <strong>als</strong> Kompendien „elementaren<br />

Glaubenswissens (…) <strong>in</strong> pluraler Gestalt“.<br />

Wer sich über Gebrauch und Verbreitung<br />

des HK <strong>in</strong>formieren möchte, ist<br />

bei Hans Georg Ulrichs an der richtigen<br />

Adresse. Besonders <strong>in</strong>teressant ist dabei<br />

auch der Aspekt des HK im Kirchenkampf.<br />

Bemerkenswert ist auch, was Heike und<br />

Udo Wennemuth über die Beziehung zwischen<br />

Katechismen, <strong>in</strong>sbesondere den<br />

HK, und Gesangbüchern schreiben.<br />

Magdalene Frettlöh macht im ersten Beitrag<br />

der „theologischen Zugänge“ auf den<br />

Umfang aufmerksam, den die Sakramentsfragen<br />

im HK e<strong>in</strong>nehmen. Sie betrachtet<br />

dies unter dem Gesichtspunkt<br />

„Leiblichkeit“ und Vergewisserung“. Mit<br />

dem H<strong>in</strong>weis auf den „Heiligen Geist <strong>als</strong><br />

Akteur der Vergewisserung“ wird auch e<strong>in</strong><br />

wichtiger Beitrag zu dem müßigen Streit<br />

um „Realpräsenz“ geleistet. Vielleicht hängt<br />

die Vielzahl der Sakramentsfragen auch<br />

mit dem auslösenden Moment zu diesem<br />

Katechismus zusammen. Hans-Mart<strong>in</strong><br />

Gutmann setzt sich mit der Diskussion um<br />

das „Opfer Christi“ sowie mit der Frage<br />

ause<strong>in</strong>ander, „Erreicht die Evan gelische<br />

Zentralbotschaft heute noch die Herzen<br />

und Köpfe?“<br />

Die Vielfalt der angesprochenen Themen<br />

dürfte damit bereits angeklungen se<strong>in</strong>;<br />

weitere <strong>in</strong>teressante Fragen können nur<br />

angedeutet werden, so etwa die „Dankbarkeit“<br />

<strong>als</strong> „Grundlegung der Ethik“ oder<br />

die Stichwörter „Mittler und Erlöser“ <strong>als</strong><br />

Ausdruck der „geglaubten Realität der<br />

göttlichen Barmherzigkeit“. Herausgegrif-<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

73


Buchbesprechung<br />

fen seien daher nur noch zwei Beiträge<br />

badischer Theologen im Kapitel „Praktische<br />

Zugänge“.<br />

Uwe Hauser macht im Anschluss an Assmanns<br />

Begriff vom kollektiven Gedächtnis<br />

und Elementen des Deuteronomiums verschiedene<br />

Schritte des Lernens deutlich.<br />

Dabei versteht er den HK <strong>als</strong> „verschränk -<br />

tes Gespräch“. Wichtig ist ihm die „Umkehr<br />

der Fragerichtung“ vom K<strong>in</strong>d an die<br />

Eltern. Kann e<strong>in</strong> Katechismus dabei Eltern<br />

und Lehrer(<strong>in</strong>nen) vor pe<strong>in</strong>licher Sprachlosigkeit<br />

bewahren? Er verweist auf die<br />

Notwendigkeit, mit K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> deren Alltagssprache<br />

zu sprechen und reflektiert<br />

den HK im Licht der „K<strong>in</strong>dertheologie“.<br />

Dabei macht er das nötige „Vorwissen“<br />

durch Kenntnis biblischer Erzählungen<br />

bewusst. Götz Häuser reflektiert derzeitige<br />

„Glaubenskurse“ der Erwachsenenbildung<br />

im Licht des HK. Er verweist auf die<br />

Scharnierfunktion des Trostes (vgl. Hk<br />

Frage 1) zwischen Glauben und Lebenswelt,<br />

auf das Verhältnis von Wissen und<br />

persönlichem Glauben sowie die heute<br />

<strong>als</strong> „fremdartig“ empfundene Frage-Antwort-Struktur,<br />

aber auch auf die Problematik<br />

der Abhör-Praxis.<br />

Alles <strong>in</strong> allem e<strong>in</strong> echtes Handbuch für<br />

vielfältige Anwendungsmöglichkeiten <strong>in</strong><br />

der Praxis und Anregungen zum persönlichen<br />

Weiterdenken.<br />

n Hans Maaß, Karlsruhe<br />

Manfred Baumert:<br />

Natürlich – übernatürlich:<br />

Charismen entdecken und<br />

weiterentwickeln.<br />

E<strong>in</strong> praktisch-theologischer Beitrag<br />

aus systematisch-theologischer<br />

Perspektive mit empirischer<br />

Konkretion.<br />

Europäische Hochschulschriften.<br />

Reihe 23: Theologie. Bd. 921.<br />

Frankfurt/M: Peter Lang, 2011, XXVI,<br />

514 Seiten, zahlreiche Tabellen und<br />

Grafiken, 84,80 Euro<br />

Das vorliegende Buch ist e<strong>in</strong>e überarbeitete<br />

Fassung e<strong>in</strong>er im Oktober 2009 von<br />

der Praktisch – Theologischen Fakultät<br />

der Fern – University of South Africa <strong>in</strong><br />

Pretoria angenommenen Dissertation, der<br />

Verfasser Studienleiter am Theologischen<br />

Sem<strong>in</strong>ar Adelshofen. Manfred Baumert<br />

war vor se<strong>in</strong>em Theologiestudium <strong>als</strong> Vermessungstechniker<br />

lange Jahre ehrenamtlich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er badischen Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />

aktiv. Der auch <strong>in</strong> evangelischen<br />

Kreisen bekannte Freiburger Professor<br />

für Theologie und Soziologie Dr. Dr. Michael<br />

N. Ebertz hat das Erstgutachten geschrieben.<br />

Im Rahmen der Abfassung erfolgte<br />

e<strong>in</strong>e empirische Studie im Kontext<br />

der badischen Landeskirche mit 250 Pfarrer<strong>in</strong>nen<br />

und Pfarrern sowie Ehrenamtlichen.<br />

Sie stellt daher <strong>in</strong> der Fülle der Veröffentlichungen<br />

zu Fragen der Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />

e<strong>in</strong> Novum dar.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n erarbeitet der Verfasser <strong>in</strong> der<br />

„Historischen Nachfrage“ (S. 23–89) fundamentaltheologische,<br />

soziologische und<br />

pragmatische Typologien <strong>in</strong> der Frage<br />

74 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


nach dem Verständnis und dem Erkennen<br />

der Gaben, ausgehend vom 2. bis 4.<br />

Jahrhundert mit dem Amtscharisma des<br />

Bischofs, freien Charismen mit missionarischer<br />

Zielsetzung und dem mönchischen<br />

Charisma der Gottesbeziehung. Die Umbruchsituation<br />

dieser Zeit zwischen wandernden<br />

Charismatikern und der etablierten<br />

Bischofskirche kennzeichnet diese<br />

drei Hauptstränge von Charismen.<br />

Bei Thomas von Aqu<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong>e Dialektik<br />

zwischen natürlichen und geistlichen Gaben<br />

erkennbar . Mit besonderer Betonung<br />

der Tugend <strong>als</strong> Gabe des menschlichen<br />

Geistes durch die Schöpfung bewirkt,<br />

erhalten die Gnadengaben bei Thomas<br />

ethische Züge. Gemäß se<strong>in</strong>er Rechtfertigungslehre<br />

f<strong>in</strong>det sich bei M. Luther e<strong>in</strong><br />

personal – relationales Gabenverständnis<br />

<strong>in</strong> verschiedener Weise: soteriologisch<br />

wie bei den Kirchenvätern <strong>als</strong> rettende<br />

Heilsgabe; damit eng verbunden Gaben<br />

des Geistes für das Leben <strong>in</strong> der Nachfolge,<br />

pneumatologisch im S<strong>in</strong>ne von 1. Kor. 12<br />

und schöpfungstheologisch <strong>in</strong> der anthropologischen<br />

Dimension (S. 30–56). Im<br />

Grunde f<strong>in</strong>den wir bei Luther e<strong>in</strong>e tr<strong>in</strong>itarische<br />

Entfaltung der Gaben. Sie s<strong>in</strong>d <strong>als</strong>o<br />

schöpfungstheologisch bereits bei der<br />

Geburt allen Menschen gegeben. Davon<br />

getrennt werden die Geistesgaben bei der<br />

Taufe aufgrund der Erlösung <strong>in</strong> Christus<br />

zugeeignet, die aber erst <strong>in</strong> der Dimension<br />

des Glaubens durch Gottes Gnade und<br />

Kraft zu ihrer Bestimmung kommen. Nach<br />

Luther stehen allen Menschen Gaben<br />

Gottes zur Verfügung, die sich <strong>als</strong> Schöpfungsgaben<br />

erst durch die Taufe zu Charismen<br />

qualifizieren.<br />

In se<strong>in</strong>em historischen Abriss geht Baumert<br />

auf weitere Positionen (M. Weber,<br />

Rahner, Schleiermacher) e<strong>in</strong>. Schleiermacher<br />

ist <strong>als</strong> Psychologe gelesen vor allem<br />

deshalb <strong>in</strong>teressant, weil er verdeutlicht,<br />

wie das Selbstbewusstse<strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>deglieder<br />

mit dem wechselseitigen<br />

Erkennen der Charismen <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft<br />

zusammenhängt (S. 57–62), was<br />

der empirische Befund <strong>in</strong> dieser Arbeit<br />

später bestätigt. Bemerkenswert ist ebenso<br />

das Ergebnis bei Z<strong>in</strong>zendorf. Die Entdeckung<br />

der Charismen geschieht im lebendigen<br />

Wechselspiel von Institution,<br />

Kommunikation und Inspiration.<br />

Der gegenwärtige Forschungsstand (S.<br />

91–114)kennzeichnet Charismen <strong>als</strong> e<strong>in</strong><br />

„theologisch – schillernden“ Begriff (S. 91).<br />

„Dialektisch – fragmentarisch“ werden<br />

übernatürliche und natürliche Fähigkeiten<br />

verbunden (Obenauer), „<strong>in</strong>klusivistisch“<br />

wird der Geist des Schöpfers und der<br />

Pf<strong>in</strong>gstgeist allen Menschen <strong>in</strong> allen Kulturen<br />

gegeben(Moltmann), e<strong>in</strong> „extraord<strong>in</strong>äres“<br />

Verständnis wird <strong>in</strong> der Pf<strong>in</strong>gstbewegung<br />

sichtbar (Menzies), die gegenwärtige<br />

christozentrisch heiligende Dimension<br />

der Gaben nimmt den Ansatz<br />

von M. Luther auf (Herbst). Möllers Verständnis<br />

fällt aus dem Rahmen: Der Gottesdienst<br />

wird gefeiert <strong>als</strong> e<strong>in</strong> gegenseitiger<br />

Begabungsprozess zur Ehre Gottes.<br />

Die Charismen s<strong>in</strong>d Chancen zur Selbstentfaltung.<br />

Auf diese Analyse folgt die Exegese des<br />

Alten und Neuen Testaments (S. 115 –<br />

140): Die Gottebenbildlichkeit verleiht<br />

Menschen universelle Kultur schaffende<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

75


Begabungen; die Ganzheitlichkeit des<br />

Menschen <strong>in</strong>tegriert Charismen, denen<br />

geistlicher Charakter zuwächst aufgrund<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Berufung durch Gott.<br />

Im Neuen Testament wird das Entdecken<br />

der Charismen <strong>in</strong> den Proömien – <strong>als</strong>o im<br />

Rückblick auf die Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />

festgestellt –, <strong>in</strong> der Doxologie sowie<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Paränesen beschrieben.<br />

Dabei tritt die tr<strong>in</strong>itarische Dimension der<br />

Charismen hervor. Sie konkretisiert sich <strong>in</strong><br />

der „Ich – Identität“, der „Ich – Du – Beziehung“<br />

und zielt auf die „Wir – Gestalt“ der<br />

Geme<strong>in</strong>de/Geme<strong>in</strong>schaft (S. 120–140).<br />

Besonders erwähnenswert ist die Exegese<br />

zu 1. Kor. 12, 22. Die Erkenntnis der<br />

gerade unsche<strong>in</strong>baren Charismen <strong>in</strong> der<br />

Wechselbeziehung von Eigen- und Fremd -<br />

wahrnehmung wird korrigiert <strong>in</strong> der offenbarenden<br />

Perspektive von Kreuz und Auferstehung<br />

(S.133).<br />

Anschließend werden gegenwärtige Gabentests<br />

analysiert. Es s<strong>in</strong>d die Modelle<br />

von Bill Hybels („gaben<strong>in</strong>tegrierte Persönlichkeit“),<br />

Christian A. Schwarz („determ<strong>in</strong>iert<br />

– tr<strong>in</strong>itarisches Gabenmodell“), der<br />

„kybernetische Ansatz“ (Eph. 4, 11) sowie<br />

Gabentests <strong>in</strong> der kirchlichen Jugendarbeit<br />

und der badischen Landeskirche<br />

(S.141–190).<br />

Die beiden folgenden Kapitel dienen der<br />

eigenen empirischen Konkretion <strong>in</strong> diesem<br />

Fall der Evang. Landeskirche <strong>in</strong> Baden.<br />

Neben der grundsätzlichen Diskussion<br />

des Verhältnisses von Empirie und<br />

Theologie werden das Forschungsdesign<br />

benannt sowie Voruntersuchung, Evaluation<br />

und Auswahlkriterien der beteiligten<br />

Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer beschrieben.<br />

Spannend wird es, wenn die verschiedenen<br />

Ansätze zum Abschluss des Kapitels<br />

zwischen der Fremdwahrnehmung von<br />

Hauptamtlichen und der eigenen Selbste<strong>in</strong>schätzung<br />

der Geme<strong>in</strong>deglieder verglichen<br />

werden.<br />

Für die Geme<strong>in</strong>dearbeit ist das Ergebnis<br />

der Umfrage von em<strong>in</strong>enter Bedeutung.<br />

Es bedeutet e<strong>in</strong>en radikalen Perspektivwechsel:<br />

Je klarer die Geme<strong>in</strong>deleitung<br />

ihre Zukunftsziele formuliert, umso deutlicher<br />

s<strong>in</strong>d die Erwartungen an e<strong>in</strong>e gabenorientierte<br />

Mitarbeit, verbunden mit e<strong>in</strong>er<br />

grundlegenden Veränderung im Verhältnis<br />

zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen.<br />

Diese Neuorientierung hat Folgen. Sie<br />

schließt bei Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrern den<br />

Verzicht auf e<strong>in</strong>e autonome Arbeitsweise<br />

e<strong>in</strong>, bei der sie alle Aufgaben selbst ausführen<br />

oder kontrollieren wollen. Teamarbeit<br />

ist neu aufzubauen, Kommunikation<br />

geschieht auf Augenhöhe, Mitarbeitende<br />

s<strong>in</strong>d fachlich, geme<strong>in</strong>depädagogisch und<br />

geistlich zu begleiten. Ihre Anerkennung<br />

setzt Kräfte und Motivation frei. Dazu zählt<br />

auch e<strong>in</strong> Aussprechen der Anerkennung<br />

öffentlich vor der Geme<strong>in</strong>de und der entsprechende<br />

Dank an Mitarbeitende sowie<br />

klare Absprachen, Kompetenzen und zielgerichtete<br />

Schulung, Zielsetzung, Erfolgskontrolle<br />

und Mitarbeitergespräche. Denn<br />

Charismen werden gerade im Rückblick<br />

auf die persönliche Lebensgeschichte erkannt<br />

und entdeckt.<br />

So endet die Dissertation mit heraus -<br />

fordernden Thesen für die theologische<br />

76 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Buchbesprechung<br />

Ausbildung und für die Ortsgeme<strong>in</strong>den<br />

(S. 395–439). Zuletzt zeigt der Verfasser<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenständigen Ausblick, wie die<br />

tr<strong>in</strong>itarische Dimension der Charismen<br />

str<strong>in</strong>gent der missionarischen Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />

dient: Sammlung schöpfungsbegabter<br />

Menschen <strong>in</strong> ihren unterschiedlichen<br />

Milieus und an den Rändern<br />

der Kirche durch ergänzende Zusammenarbeit<br />

mit Christen (Konvivenz) bis h<strong>in</strong> zur<br />

partizipierenden Beteiligung <strong>in</strong> der Kirchengeme<strong>in</strong>de.<br />

Im Vertrauen auf das Evangelium<br />

folgt die Sendung <strong>als</strong> tr<strong>in</strong>itarisch begabte<br />

Mitarbeiter. Damit fällt der Unterschied<br />

zwischen den sog. übernatürlichen<br />

Geistesgaben und natürlichen Fähigkeiten,<br />

was <strong>in</strong> der Arbeit ausreichend begründet<br />

wird.<br />

Ihr klarer Aufbau mit vielen praktischen<br />

Impulsen zum Geme<strong>in</strong>dealltag erlaubt,<br />

dass man Themen auszugsweise erarbeiten<br />

kann. Ihre Anschaffung ist trotz des<br />

Preises von großem Gew<strong>in</strong>n für Hauptamtliche.<br />

n Bernhard Würfel, Pforzheim<br />

Glo. Die Bibel<br />

(3 DVD-ROM), SCM R.Brockhaus,<br />

3. Auflage 2012, 79,95 Euro<br />

Wozu e<strong>in</strong>e Multimedia-Bibel, wenn viele<br />

Medien und Informationen im Internet frei<br />

zugänglich s<strong>in</strong>d? Mit dieser kritischen Frage<br />

<strong>in</strong>stalliere ich die neue Bibel-Software<br />

„Glo“. Name, Layout und Vermarktung<br />

des Produktes sche<strong>in</strong>en auf die Generation<br />

zu zielen, die im digitalen Zeitalter<br />

groß wurde und <strong>in</strong> der Regel Smartphone<br />

bzw. Tablet statt Term<strong>in</strong>kalender und Notizbuch<br />

bei sich hat. Nach der e<strong>in</strong>fachen<br />

und problemlosen Installation (getestet<br />

bei W<strong>in</strong> 7 und W<strong>in</strong> 8) bestätigt sich dieser<br />

E<strong>in</strong>druck. Die Navigation <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Programmes ist <strong>in</strong>tuitiv schnell erlernbar<br />

und er<strong>in</strong>nert mit Hyperl<strong>in</strong>ks, Toolbar, Home-<br />

Icon, Wisch-Gesten, Thumbnails und Verlaufs-Funktion<br />

an Tablets und Webbrowser.<br />

Endlich e<strong>in</strong>e Bibel-Software, die nicht mehr<br />

an W<strong>in</strong> 3.11 er<strong>in</strong>nert und mit vielen Fenstern<br />

oder unübersichtlichen Menüs nervt.<br />

Der Startbildschirm eröffnet den Zugang<br />

zu den sogenannten „fünf Welten“ von Glo:<br />

1. Bibel<br />

Durch die übersichtliche Gestaltung (natürlich<br />

nur bei nicht zu kle<strong>in</strong>er Bildschirmdiagonale)<br />

kann man mit zwei Klicks zur<br />

gesuchten Bibelstelle navigieren. Die Textdarstellung<br />

ist ansprechend und erlaubt,<br />

auch längere Passagen am Bildschirm zu<br />

lesen. In der unteren Bildschirmhälfte wird<br />

automatisch der Kommentar der „Bibel<br />

fürs Leben“ angezeigt. Es handelt sich dabei<br />

um e<strong>in</strong>e gut verständliche Auslegung,<br />

die sich an Bibelleser ohne theologische<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

77


Vorbildung wendet, aber auch „Bibel-Kennern“<br />

zum Teil <strong>in</strong>teressante Perspektiven<br />

eröffnet. Neben dem Kommentar werden<br />

mediale Inhalte dargestellt: Fotos, Karten,<br />

3-D-Touren oder Kunstwerke. Hier zeigt<br />

sich die Stärke von Glo: Die Vernetzung mit<br />

multimedialen Inhalten. Mehrere Schwach -<br />

stellen s<strong>in</strong>d aber zu vermerken. Glo bietet<br />

nur zwei deutsche Bibelübersetzungen:<br />

die revidierte Elberfelder und Neue-Leben-Übersetzung.<br />

Laut Herstellerangaben<br />

werden weitere folgen. Die Übersetzungen<br />

s<strong>in</strong>d nur alternativ und nicht parallel<br />

darstellbar. Außerdem fehlt vollständig<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerbiblisches Verweissystem,<br />

das z. B. Parallelstellen, atl. Zitate und Anspielungen<br />

benennt. Das gleiche gilt für<br />

den Kommentar. Werden dort weiterführende<br />

Bibelstellen genannt, können sie<br />

nicht durch Anklicken aufgeschlagen oder<br />

durch Überfahren angezeigt, sondern<br />

müssen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Suche aufgerufen<br />

werden. Schließlich ist die Wortsuche<br />

nicht lemmatisiert, d. h. Wörter können nicht<br />

nach Wortstamm unabhängig von der<br />

grammatischen Form gesucht werden.<br />

Tiefergehendes Bibelstudium ist so leider<br />

nicht möglich.<br />

2. Zeitleiste<br />

Die Zeitleiste stellt wichtige biblische Ereignisse<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitstrahl dar, gruppiert<br />

<strong>in</strong> Zeitepochen. Die Urgeschichte von der<br />

Schöpfung bis Noah (2.500 v. Chr.) bleibt<br />

undatiert, das letzte Ereignis ist der Tod<br />

des Apostels Johannes (100 n. Chr.). Die<br />

Zeitleiste bietet e<strong>in</strong>e schnelle Information<br />

über die Entstehungszeit e<strong>in</strong>er Schrift<br />

oder die Datierung e<strong>in</strong>es Ereignisses.<br />

Mehr aber auch nicht. Glo nennt fast kei-<br />

ne Daten aus der Weltgeschichte, wie<br />

z. B. Regierungsdaten fremder Herrscher<br />

oder epochale Ereignisse, die E<strong>in</strong>fluss auf<br />

die biblische Geschichte hatten. So hängt<br />

diese frei schwebend im geschichtslosen<br />

Raum. Die umständliche Navigation <strong>in</strong> ner -<br />

halb der Zeitleiste macht dieses Tool m. E.<br />

fast gänzlich unbrauchbar. Die chronologischen<br />

Tabellen im Anhang der meisten<br />

(Studien-)Bibeln s<strong>in</strong>d durchweg s<strong>in</strong>nvoller.<br />

3. Atlas<br />

Die Atlas-Welt markiert biblische Orte im<br />

Satellitenbild, das e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> geographische<br />

Besonderheiten ermöglicht<br />

(z. B. Vegetation, Geologie). Beim weiteren<br />

Heranzoomen wechselt die Ansicht<br />

allerd<strong>in</strong>gs zur aktuellen Straßenkarte. Für<br />

e<strong>in</strong>e biblische Recherche ist dies nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />

hilfreich und erforderlich. Laut<br />

Herstellerangaben soll dieses Defizit bald<br />

behoben werden. Weiter führen hier die<br />

Zeitleiste am unteren Bildschirmrand und<br />

die Verknüpfung mit weiteren Medien<strong>in</strong>halten.<br />

Durch e<strong>in</strong>en Klick auf e<strong>in</strong>e Stadt<br />

erhält man sofort Zugang zu Fotos, entsprechenden<br />

Bibelstellen, Lexikonartikeln<br />

(aus dem „Lexikon zur Bibel“ von G. Maier<br />

und F. Rienecken) und 3-D-Touren –<br />

soweit vorhanden.<br />

4. Themen<br />

Diese Welt ist <strong>in</strong> vier Segmente untergliedert:<br />

Bibel, Gott, Glaube, Beziehungen.<br />

Jede von ihnen enthält Themenkomplexe,<br />

denen Bibelstellen und Medien<strong>in</strong>halte im<br />

Stil e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>dmap zugeordnet s<strong>in</strong>d. So<br />

führt zum Beispiel die Navigation über<br />

Gott – Jesus Christus – Gottheit zu 23 Bibelstellen,<br />

e<strong>in</strong>em Lexikonartikel und 5<br />

78 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Kunstwerken, z. B. Cesaris Verklärung<br />

Christi. Die Auswahl, thematische Gliederung<br />

und die Zuordnung der Bibelstellen<br />

bzw. Medien ist aber oft nicht nachvollziehbar.<br />

„Erlösung“ ist dem Segment<br />

„Gott“ zugeordnet, „Schöpfung“ und „Sünde“<br />

aber „Glauben“. Das Stichwort „das<br />

Ausmaß der Erlösung“ führt zum Lexikonartikel<br />

„Liebe, lieben“ und zu drei Kunstwerken,<br />

die den großen Versöhnungstag<br />

darstellen. Beim Thema „das Blut von<br />

Christus“, das diese Verknüpfung eher nahelegt<br />

hätte, fehlt sie ebenso wie z. B. der<br />

Verweis auf die Lexikonartikel „Blut“ oder<br />

„Versöhnung“. Befremdlich wirken die<br />

Ausführlichkeit, mit der das Thema „Bib -<br />

lische Kriegsführung“ entfaltet wird, und<br />

die theologische Differenzierung von Endzeittheorien<br />

(Prämillennialismus, Amillenianismus<br />

und Postmillennialismus).<br />

5. Medien<br />

Die Medien-Welt ist die eigentliche Stärke<br />

von Glo. Alle Medien<strong>in</strong>halte s<strong>in</strong>d kommentiert,<br />

hochauflösend und können mit<br />

e<strong>in</strong>er programm<strong>in</strong>ternen Funktion zu e<strong>in</strong>er<br />

Präsentation zusammengefügt werden.<br />

Die 2.377 Fotos zeigen v. a. historische<br />

Monumente und archäologische Funde.<br />

Die 712 Kunstwerke stammen aus allen<br />

Epochen der Kunstgeschichte seit der Renaissance.<br />

Sie enthalten u. a. viele aussagekräftige<br />

Bilder von Doré, aber auch<br />

szenische Darstellung biblischer Ereignis -<br />

se mittels Computergrafik. Die 547 3-D-<br />

Touren ermöglichen e<strong>in</strong>en virtuellen Spaziergang<br />

z. B. durch das Zeltheiligtum und<br />

den Tempel des Herodes, aber auch durch<br />

den heutigen Felsendom, die Grabeskirche,<br />

die Sixt<strong>in</strong>ische Kapelle oder die Rui-<br />

nen von Massada. Dieses e<strong>in</strong>zigartige<br />

Fea ture eröffnet bislang unbekannte Perspektiven<br />

und Erkenntnisse. Die 143 Karten<br />

s<strong>in</strong>d wiederum nur teilweise erhellend.<br />

Sie stellen v. a. Reiserouten biblischer<br />

Figuren dar. Es fehlen aber historische<br />

Karten, die z. B. die Grenzen des baby -<br />

lonischen Reiches oder der römischen<br />

Prov<strong>in</strong>zen markieren (diese werden z. T.<br />

f<strong>als</strong>ch lokalisiert).<br />

Vorbildlich: Mit dem Erwerb von Glo erhält<br />

der Käufer die Lizenz, die Software auf<br />

vier Geräten zu <strong>in</strong>stallieren. Bisher verfügbar<br />

s<strong>in</strong>d die W<strong>in</strong>dows und Mac-Ver -<br />

sionen, die Apps für iOS und Android sollen<br />

folgen. E<strong>in</strong>stellungen, Notizbuch und<br />

Präsentationen werden automatisch zwischen<br />

den verschiedenen Geräten synchronisiert.<br />

Fazit:<br />

Die moderne Benutzeroberfläche, die Medienwelt<br />

und die Artikel des „Lexikons zur<br />

Bibel“ machen Glo attraktiv, alle anderen<br />

Features s<strong>in</strong>d weniger hilfreich. Jeder muss<br />

selbst entscheiden, ob er bereit ist, dafür<br />

knapp 80 Euro zu bezahlen.<br />

n Dirk Kellner, Ste<strong>in</strong>en<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

79


Buchbesprechung<br />

Klaas Huiz<strong>in</strong>g:<br />

Me<strong>in</strong> Süßk<strong>in</strong>d<br />

E<strong>in</strong> Jesusroman<br />

Gütersloher Verlagshaus 2012,<br />

240 Seiten, 19,99 Euro<br />

Gott bewahre: E<strong>in</strong> Jesusroman! Man hat<br />

da ja schon mancherlei gelesen: eso -<br />

terisches Geraune oder frömmelnde Verkündigung,<br />

die beide niemand so richtig<br />

braucht. Jesusromane s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Wagnis,<br />

für deren Leser wie für ihre Autoren. Klaas<br />

Huiz<strong>in</strong>g ist es e<strong>in</strong>gegangen – und was dabei<br />

herausgekommen ist, überrascht und<br />

ist ausgesprochen lesenswert!<br />

Schon, weil Huiz<strong>in</strong>g nicht die (dem e<strong>in</strong>en<br />

oder der anderen noch) vertraute Lebensgeschichte<br />

Jesu, wie die Evangelien sie<br />

berichten, zur Vorlage hat, sondern die<br />

Geschichte davor erzählt: K<strong>in</strong>dheit und<br />

Jugend. Und Jesus <strong>als</strong> der junge Mann,<br />

der das Bauhandwerk se<strong>in</strong>es Vaters lernt,<br />

der die erste Liebe erlebt, der an sich entdeckt,<br />

dass er die Gabe des Wortes und<br />

des Heilens besitzt. Dieser Jesus ist etwas<br />

widerständig, er lehnt den Vater ab,<br />

von se<strong>in</strong>er Mutter (die ihre Pläne hat) wird<br />

er für verrückt erklärt. Thomas Manns Programm<br />

für se<strong>in</strong>e Joseph-Tetralogie, die<br />

„Humanisierung des Mythos“, f<strong>in</strong>det bei<br />

Klaas Huiz<strong>in</strong>g ihren fe<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nigen Niederschlag.<br />

Dass Jesu Vater der „Gesprenkelte“<br />

heißt, er<strong>in</strong>nert durchaus daran, und<br />

Huiz<strong>in</strong>gs Ironie ist gewiss beim Zauberer<br />

<strong>in</strong> die Lehre gegangen. Und weil Huiz<strong>in</strong>g<br />

Humor hat, ist dies ke<strong>in</strong> schwermütig-lastender<br />

Jesusbildungsroman geworden.<br />

Menschlich-Allzumenschliches lässt sich<br />

lesen, und der Autor gibt dem Schalk bis<br />

<strong>in</strong>s sprachliche Detail, bis <strong>in</strong>s literarische<br />

Zitat h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> erfreulichen Spielraum (In<br />

Sepphoris wohnt Jesus e<strong>in</strong>em Lustspiel<br />

von „Areoplans“ bei, er baut mit an e<strong>in</strong>er<br />

Villa, mit römischem Brunnen dar<strong>in</strong>: „…<br />

und fallend gießt er voll der Marmorschale<br />

Rund und übergießt sie sacht“. Köstlich!)<br />

Da schreibt e<strong>in</strong> theologisch hochversierter<br />

Literat auf der Höhe unserer Zeit. Der Dialog<br />

zwischen theologischer Tradition und<br />

(Post-)Moderne ist auch stilbildend: Überraschende<br />

Kapitelüberschriften, die der<br />

Jahrtausende alten Geschichte sche<strong>in</strong>bar<br />

entgegenstehen und fromme Spracherwartungen<br />

enttäuschen („F<strong>als</strong>ch gewickelt“,<br />

„Arche now“, „Jeshua hat den Blues“<br />

u. a.), ziehen das Erzählte <strong>in</strong> unsere Zeit.<br />

Zugleich fügt sich die Geschichte, <strong>in</strong>dem<br />

Huiz<strong>in</strong>g letzte Sätze und Wendungen vorangehender<br />

Kapitel im jeweils nächsten<br />

aufgreift – wer mag, kann sich an die „dei“-<br />

Figur (dei – Griechisch: Es muss!) des<br />

Matthäusevangeliums er<strong>in</strong>nern lassen.<br />

Diese Geschichte hat tatsächlich ihre Notwendigkeit,<br />

Jesus ist ganz konsequent <strong>als</strong><br />

der Menschgewordene gedacht und beschrieben,<br />

mit Brüchen und Umwegen,<br />

Verwunderung und Zweifeln. Der Autor<br />

lebt mit dem Jesus der Evangelien offensichtlich<br />

auf so vertrautem Fuß, dass er<br />

se<strong>in</strong>en Weg dah<strong>in</strong> plausibel erzählt.<br />

Wie das <strong>in</strong> Jesusromanen selten geschieht.<br />

In diesem schon. Er lohnt das<br />

Wagnis, ihn zu lesen. Gott befohlen!<br />

n Thomas Weiß, Baden-Baden<br />

80 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


In memoriam<br />

Ekkehard Zitt<br />

* 18.2.1939 † 10.11.2012<br />

E<strong>in</strong>e große Trauergeme<strong>in</strong>de nahm am<br />

16. November 2012 im Gottesdienstraum<br />

der Ev. Stadtmission <strong>in</strong> Pforzheim vom<br />

Pfarrer i. R. Ekkehard Zitt Abschied. Die<br />

Beerdigung hielt Stadtmissionar Uli Limpf.<br />

Er begann mit dem Konfirmationsspruch<br />

von Ekkehard Zitt:<br />

„Vor allen D<strong>in</strong>gen aber ergreift den Schild<br />

des Glaubens, mit dem ihr auslöschen<br />

könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und<br />

nehmt den Helm des Heils und das<br />

Schwert des Geistes, welches ist das<br />

Wort Gottes“ (Epheser 6, 16.17).<br />

Er endete mit dem Wort, das auf Wunsch<br />

von Ekkehard Zitt über der Todesanzeige<br />

stand:<br />

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe<br />

ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“<br />

(Jeremia 31, 3).<br />

Ekkehard Zitt wurde am 18.2.1939 <strong>als</strong><br />

Zweitjüngster der vier K<strong>in</strong>der von Robert<br />

und Gertrud Zitt <strong>in</strong> Legelshurst geboren.<br />

Da der Vater e<strong>in</strong>ige Jahre später an die<br />

Luthergeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Freiburg versetzt wurde,<br />

ist Ekkehard <strong>in</strong> Freiburg aufgewachsen,<br />

g<strong>in</strong>g dort zur Schule und wurde dort<br />

konfirmiert. Er beschloss – wie schon se<strong>in</strong><br />

älterer Bruder – <strong>in</strong> die Fußstapfen des Vaters<br />

zu treten und studierte Theologie <strong>in</strong><br />

Heidelberg, Tüb<strong>in</strong>gen und Basel. Bereits<br />

<strong>als</strong> 24-jähriger wurde er ord<strong>in</strong>iert und war<br />

lange Zeit der jüngste Pfarrer der Landeskirche.<br />

Nach Vikarsstellen <strong>in</strong> Müllheim und<br />

Lörrach wurde er am 1.11.1965 Pfarrer <strong>in</strong><br />

Unteröwisheim. Am 24.4.1964 heiratete<br />

er se<strong>in</strong>e Jugendliebe Helga, geb. Justmann.<br />

Dem Paar wurde im Laufe der Jahre<br />

4 K<strong>in</strong>der geschenkt. Im Jahre 1971<br />

übernahm Ekkehard Zitt die Pfarrstelle <strong>in</strong><br />

der Paulusgeme<strong>in</strong>de Pforzheim. Es war<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Arbeit, die er <strong>in</strong> der dort zu<br />

bewältigen hatte und – wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ganzen<br />

Berufsleben – mit großer Unterstützung<br />

durch se<strong>in</strong>e Frau auch bewältigen<br />

konnte. Neben der Geme<strong>in</strong>dearbeit war er<br />

für die Gehörlosenseelsorge <strong>in</strong> der Region<br />

zuständig und war Gründer und Leiter<br />

der Pforzheimer Diakoniestation.<br />

In die Pforzheimer Zeit fiel der Kontakt zu<br />

„Geistlichen Geme<strong>in</strong>deerneuerung“. Mit<br />

se<strong>in</strong>en Kollegen Johannes Kühlewe<strong>in</strong>,<br />

Karl-Ludwig Simon und Werner Widder<br />

hielt er e<strong>in</strong>en ersten Segnungs- und Lobpreisgottesdienst<br />

<strong>in</strong> der Pauluskirche ab.<br />

Diese Arbeit hat se<strong>in</strong> geistliches Leben<br />

und das se<strong>in</strong>er Frau forth<strong>in</strong> stark geprägt.<br />

Es ist ihm zu verdanken, dass die Anliegen<br />

der „Geistlichen Geme<strong>in</strong>deerneuerung“<br />

auch <strong>in</strong> unserer badischen Landeskirche<br />

Fuß gefasst haben.<br />

1985 wurde Ekkehard Zitt <strong>als</strong> Pfarrer an<br />

der Jakobuskirche <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten gewählt.<br />

Die Arbeit war naturgemäß <strong>in</strong> der<br />

Diaspora und geprägt durch den Kontakt<br />

zu vielen Kurgästen ganz anders, aber<br />

doch auch sehr <strong>in</strong>tensiv.<br />

Mit der Gottesgabe der Musik war Ekkehard<br />

Zitt besonders gesegnet. Er konnte<br />

Geige und Klavier spielen. Mit Chorälen,<br />

geblasen auf se<strong>in</strong>er Trompete, hat er <strong>in</strong><br />

H<strong>in</strong>terzarten, <strong>als</strong> es dort noch ke<strong>in</strong> Glockenspiel<br />

gab, die Geme<strong>in</strong>de zum Got-<br />

<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013<br />

81


tesdienst e<strong>in</strong>geladen. Wie viele ältere und<br />

kranke Geme<strong>in</strong>deglieder wurden vom<br />

Ehepaar Zitt durch e<strong>in</strong> Lied oder Musik auf<br />

Streichpsalter und Flöte erfreut und getröstet.<br />

Dass Ekkehard Zitt getragen war von e<strong>in</strong>em<br />

ganz fundierten Glauben an Jesus<br />

Christus, hat man se<strong>in</strong>en Predigten und<br />

Andachten immer abgespürt. Zugleich<br />

war er den Menschen nahe und konnte,<br />

auch durch se<strong>in</strong>e gelegentlich recht witzige<br />

und spritzige Art, bei Geme<strong>in</strong>degliedern<br />

aller Generationen Glauben wecken<br />

und vertiefen.<br />

1999 konnte Ekkehard Zitt <strong>in</strong> den Vorruhestand<br />

treten, und die Nähe zu den K<strong>in</strong>dern<br />

legte Pforzheim <strong>als</strong> Wohnort nahe.<br />

Leider gab es dann im Juli 2002 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Leben <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>en betrüblichen E<strong>in</strong>schnitt,<br />

<strong>als</strong> Ekkehard Zitt bei der Rückfahrt<br />

von e<strong>in</strong>er Seniorenfreizeit durch e<strong>in</strong>en<br />

Autounfall schwer verletzt wurde. Viele<br />

Gebete und die <strong>in</strong>tensive Hilfe durch<br />

se<strong>in</strong>e Frau trugen dazu bei, dass ihm wunderbarerweise<br />

doch noch e<strong>in</strong>ige lebenswerte,<br />

wenn auch <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>geschränkte<br />

Jahre geschenkt wurden. Nach<br />

kurzer, schwerer Krankheit hat ihn am<br />

10.11.12 Gottes Liebe zu sich gezogen<br />

(Jeremia 31,3).<br />

E<strong>in</strong>e große Trauergeme<strong>in</strong>de brachte ihren<br />

Dank bei der Beerdigung zum Ausdruck.<br />

Dekan i. R. Dr. Johannes Kühlewe<strong>in</strong><br />

dankte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Grußwort für die<br />

Kurskollegen des Examenskurses 1963 b,<br />

die seit 50 Jahren <strong>in</strong>tensiv mite<strong>in</strong>ander<br />

verbunden s<strong>in</strong>d.<br />

Durch Lob- und Danklieder, sowie Lobpreislieder,<br />

begleitet von Mitgliedern des<br />

Lobpreisteams der Pforzheimer Stadtmission,<br />

und nicht zuletzt durch e<strong>in</strong>en Posaunenchor,<br />

der am Grab Osterlieder<br />

spielte, konnte die Familie und die Trauergeme<strong>in</strong>de<br />

dankbar und getröstet von<br />

Ekkehard Zitt Abschied nehmen.<br />

n Johannes Kühlewe<strong>in</strong>, Heidelberg<br />

82 <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>sblatt 2/2013


Zu guter Letzt<br />

(Frage) 203.<br />

Gibt der Glaube Lebensfreude?<br />

Glaube ist Dankbarkeit für das Leben.<br />

Wer sich nicht freuen kann,<br />

kann niemandem Freude bereiten.<br />

Wer nicht Essen und Tr<strong>in</strong>ken genießt,<br />

steht <strong>in</strong> Gefahr, depressiv<br />

zu werden und unfähig,<br />

Verantwortung zu übernehmen.<br />

Er kann niemandem helfen,<br />

sondern ist auf Hilfe angewiesen.<br />

Umgekehrt gilt:<br />

Verantwortliche Arbeit steigert<br />

den Genuss.<br />

Wer an e<strong>in</strong>er Sonate arbeitet,<br />

bis alle Passagen gel<strong>in</strong>gen,<br />

erlebt größere Freude,<br />

<strong>als</strong> wer sie nur abspielt.<br />

Direkt angestrebter Genuss<br />

zerfällt direkt.<br />

Indirekter Genuss, der sich bei<br />

harter Arbeit e<strong>in</strong>stellt,<br />

wirkt umso länger.<br />

In beide Richtungen gilt:<br />

Solange wir nur genießen,<br />

um danach Verantwortung zu<br />

übernehmen,<br />

oder arbeiten, um später zu genießen,<br />

leben wir nicht <strong>in</strong> der Gegenwart.<br />

Dankbarkeit empfängt alles<br />

um se<strong>in</strong>er selbst willen.<br />

Dankbarkeit ist religiöser Hedonismus.<br />

Wer sich von Dankbarkeit<br />

durchfluten lässt,<br />

dem öffnen sich Oasen der Freude<br />

hier und jetzt<br />

<strong>in</strong> der Wüste des Lebens.<br />

Gerd Theißen<br />

Schriftleitung: Andrea Knauber und Dr. Jochen Kunath<br />

Dr. Jochen Kunath, Markgrafenstr. 18 b, 79115 Freiburg. Tel.: 07 61/4 59 69-0, Fax: 07 61/4 59 69-69<br />

Andrea Knauber, Im Brüchle 11, 76646 Bruchsal. Tel.: 0 72 57/90 30 70, Fax: 0 72 57/92 43 30<br />

Textbeiträge senden Sie bitte an: schriftleitung@pfarrvere<strong>in</strong>-baden.de<br />

Herausgeber: Vorstand des Evangelischen <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s <strong>in</strong> Baden e. V., Vorsitzender: Pfarrer Matthias Schärr;<br />

Geschäftsstelle: Postfach 2226, 76010 Karlsruhe, Tel.: 07 21/84 88 63, Fax: 07 21/84 43 36<br />

Sitz: Re<strong>in</strong>hold-Frank-Straße 35, 76133 Karlsruhe, www.pfarrvere<strong>in</strong>-baden.de, E-Mail: <strong>in</strong>fo@pfarrvere<strong>in</strong>-baden.de<br />

Grafik, Gestaltung und Versand: Perfect Page, Kaiserstraße 88, 76133 Karlsruhe<br />

Text-/Bildnachweis: Titelspruch: Michael Klessmann, Seelsorge, Neukirchener Verlag 2008, S. 467;<br />

Titelbild: Haus Respiratio auf dem Schwanberg; Zu guter Letzt: Gerd Theißen, Glaubenssätze. E<strong>in</strong> kritischer<br />

Katechismus, Gütersloher Verlagshaus <strong>in</strong> der Verlagsgruppe Random House, München. S. 363–364.<br />

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.<br />

Auflage: 2110 auf chlorfreiem Papier<br />

Herstellung: Druckerei Woge, Ettl<strong>in</strong>ger Straße 30,<br />

76307 Karlsbad-Langenste<strong>in</strong>bach

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!