Versuchsanleitung
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1<br />
Versuch 107<br />
Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode)<br />
1. Aufgaben<br />
1.1 Bestimmen Sie die Oberflächenspannung von H 2 O und von Spülmittellösungen unterschiedlicher<br />
Konzentrationen mit der Abreißmethode.<br />
1.2 Stellen Sie die Meßergebnisse graphisch dar.<br />
1.3 Bestimmen Sie die Oberflächenspannung von Wasser mit der Methode der kapillaren<br />
Steighöhe. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit Tabellenwerten.<br />
2. Grundlagen<br />
Stichworte:<br />
Oberflächenspannung, Adhäsionskraft, Kohäsionskraft, Benetzung, Kapillarität, Viskosität,<br />
Oberflächenenergie<br />
2.1 Kohäsion und Adhäsion<br />
Die Anziehungskräfte zwischen Atomen bzw. Molekülen in Flüssigkeiten sind verglichen mit<br />
denen in Festkörpern deutlich geringer. Während in festen Stoffen die Atome an ihre Plätze<br />
gebunden sind und nur Schwingungen um eine Ruhelage ausführen können, lassen sich<br />
Flüssigkeitsteilchen im allgemeinen leicht gegeneinander verschieben. Völlig frei beweglich<br />
sind sie dennoch nicht. Die Flüssigkeit kann zwar eine beliebige Form einnehmen, das<br />
Volumen bleibt dabei aber unverändert. Gegenüber Luft bzw. Vakuum oder anderen Stoffen<br />
bildet sie eine Oberfläche (bzw. Grenzfläche).<br />
Die Anziehung zwischen den Teilchen wird als Kohäsion bezeichnet. Ihr entgegen wirkt die<br />
thermische Eigenbewegung der Moleküle. Bei genügend hoher Temperatur können sich die<br />
Teilchen voneinander lösen, frei im Raum verteilen und bilden dann ein Gas. Die Kohäsion<br />
beruht in vielen Fällen auf sogenannten „Van-der-Waals-Kräften“. Bei Wasser und einigen<br />
anderen Stoffen sind es aber vor allem die (wesentlichen stärkeren) Wasserstoffbrückenbindungen,<br />
welche die Kohäsion verursachen, was einige herausragende Eigenschaften<br />
zur Folge hat.<br />
Dieselben Kräfte, die eine Flüssigkeit zusammenhalten, wirken in etwas anderer Weise auch<br />
zwischen Flüssigkeit und z.B. einer angrenzenden Gefäßwand. Diesen Effekt bezeichnet man<br />
als Adhäsion.
2 Versuch 10 7-Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode)<br />
Es sind vor allem zwei Erscheinungen, durch welche die Molekularkräfte makroskopisch<br />
sichtbar werden: die Viskosität (innere Reibung, vgl. Versuch 109) und die<br />
Oberflächenspannung.<br />
2.2 Oberflächenspannung<br />
Betrachtet man ein Molekül im Inneren einer Flüssigkeit, so ist die Resultierende der<br />
Anziehungskräfte Null, da die Nachbarmoleküle in alle Richtungen gleichmäßig verteilt sind.<br />
Für die Flüssigkeitsmoleküle in einer Grenzschicht (z.B. Oberfläche), deren Dicke dem<br />
Radius der Wirkungssphäre der Molekularkräfte entspricht, verschwindet dagegen die<br />
resultierende Kraft nicht.<br />
Um ein Molekül aus dem unbeeinflussten Inneren der Flüssigkeit an die Oberfläche zu<br />
schaffen, muß gegen die nach innen wirkenden Kräfte Arbeit geleistet werden. Daraus folgt,<br />
dass alle an der Oberfläche liegenden Moleküle einen gewissen Vorrat an potentieller<br />
Energie besitzen. Die freie Energie der Gesamtheit aller in der Oberfläche liegenden<br />
Moleküle ist der Größe der Oberfläche proportional und wird als Grenzflächen- oder<br />
Oberflächenenergie bezeichnet.<br />
Wenn man die Oberfläche einer Flüssigkeit vergrößert, so wird dabei die Oberflächen-energie<br />
vergrößert, das heißt, man muss Energie von außen zuführen. Zur Vergrößerung der<br />
Oberfläche um ΔA muss an der Flüssigkeit die Arbeit:<br />
ΔW = σ⋅Δ A<br />
(1)<br />
geleistet werden. Bei Verkleinerung der Grenzfläche um ΔA wird diese Arbeit wieder frei.<br />
Den Proportionalitätsfaktor σ nennt man spezifische Oberflächenenergie. Ihre Einheit ist Jm -2<br />
= Nm -1 .<br />
Versucht man eine Flüssigkeitslamelle der Länge l aus der Flüssigkeit zu ziehen, so ist dazu<br />
eine Tangentialkraft F notwendig. Man definiert das Verhältnis aus Tangentialkraft F und<br />
Länge der Oberflächenberandung (hier: zweifache (!) Lamellenlänge) als Oberflächenspannung<br />
σ und findet<br />
F<br />
σ= (2)<br />
2 ⋅ l<br />
Der Vergleich zeigt, daß spezifische Oberflächenenergie und Oberflächenspannung einander<br />
gleich sind!<br />
Die Oberflächenspannung ist sowohl von der Flüssigkeit selbst als auch von dem<br />
angrenzenden Stoff abhängig. Bei Angabe des Wertes für σ ist daher stets der angrenzende<br />
Stoff zu nennen. Die Oberflächenspannung kann nur dann als reine Materialeigenschaft der<br />
Flüssigkeit angesehen werden, wenn die Resultierende der Adhäsionskräfte F A vernachlässigbar<br />
klein gegen die Resultierende der Kohäsionskräfte F K ist (Beispiel: Grenzfläche<br />
Flüssigkeit - Luft).
Versuch 107 - Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode) 3<br />
Bemerkungen:<br />
- Der sichere (stabile) Gleichgewichtszustand irgendeines Systems ist dann<br />
erreicht, wenn die potentielle Energie des Systems am kleinsten ist; folglich ist eine<br />
Flüssigkeitsoberfläche dann im sicheren Gleichgewicht, wenn ihre Oberfläche den<br />
kleinstmöglichsten Wert hat. Auf dieser Tatsache beruht auch das Phänomen der<br />
Tropfenbildung, da eine Kugel bei gegebenem Volumen die kleinste Oberfläche<br />
aufweist.<br />
- Eine weitere Wirkung der Oberflächenspannung ist die Erscheinung der Kapillarität.<br />
Eine benetzende Flüssigkeit erfährt eine kapillare Erhebung (Kapillarattraktion);<br />
nichtbenetzende Flüssigkeiten, z.B. Quecksilber, erfahren eine Senkung (Kapillardepression).<br />
Die kapillare Erhebung und Senkung ist umso größer, je enger das<br />
Kapillarrohr ist. Sie wird durch die Grenzflächenspannung und den hierdurch bedingten<br />
Normaldruck der Grenzflächenspannung verursacht.<br />
2.3. Randwinkel, Benetzung<br />
Wenn die Kohäsionskräfte F K zwischen den Molekülen der Flüssigkeit größer sind als<br />
die Adhäsionskräfte F A zwischen den Flüssigkeitsmolekülen und den Bausteinen<br />
des angrenzenden Stoffes (Bild 1), wirkt auf ein Flüssigkeitsmolekül eine resultierende Kraft<br />
F senkrecht zur Oberfläche in das Innere der Flüssigkeit hinein. Die Flüssigkeit ist daher<br />
bestrebt, eine möglichst kleine Grenzfläche mit dem angrenzenden Stoff zu bilden. Im Falle<br />
des Bildes 1 bezeichnet man die Flüssigkeit als nicht benetzend für den angrenzenden festen<br />
Körper. Wird der Randwinkel ϕ gleich π, dass heißt F A Adhäsionskräfte F A<br />
Sind die Kohäsionskräfte F K kleiner als die Adhäsionskräfte F A (Bild 2), so wirkt auf ein<br />
Flüssigkeitsmolekül der Grenzschicht eine resultierende Kraft F senkrecht zur Oberfläche<br />
aus der Flüssigkeit heraus. Die beiden Stoffe bilden daher eine möglichst große<br />
Grenzfläche. In diesem Falle bezeichnet man die Flüssigkeit als benetzend für den<br />
angrenzenden Stoff. Verschwindet der Randwinkel ϕ , das heißt F K
4 Versuch 10 7-Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode)<br />
Flüssigkeitsfilm an ihm haften, dessen Entfernung unter Umständen schwierig sein kann.<br />
Bild 2: Kohäsionskräfte F K < Adhäsionskräfte F A<br />
2.4 Abreißmethode<br />
Ein Platindraht der Länge l ist in einem Bügel eingelötet. Dieser wird an eine geeignete<br />
Zugvorrichtung (z.B. Spiralfederwaage) gehängt. Der Bügel soll soweit in die Flüssigkeit<br />
eintauchen, daß sich der ganze Platindraht unmittelbar unter der Oberfläche befindet. Es<br />
wird vorausgesetzt, dass die Flüssigkeit den Draht vollständig benetzt. Läßt man eine Kraft<br />
auf den Bügel wirken, so ist er bestrebt, eine Lamelle aus der Flüssigkeit herauszuziehen<br />
(Bild 3). Die dazu notwendige mechanische Arbeit beträgt:<br />
Die Oberflächenenergie ändert sich dabei um:<br />
(!Faktor 2, da die Lamelle Vorder- und Rückseite besitzt!)<br />
Der Gleichgewichtsfall ( W = W )<br />
mech<br />
ΔW mech<br />
= F ⋅Δ s<br />
(3)<br />
ΔW OF<br />
= σ⋅2l⋅Δ s<br />
(4)<br />
Δ Δ tritt dann ein, wenn gilt:<br />
OF<br />
F =<br />
σ ⋅ 2l<br />
(5)<br />
Ist die Kraft F kleiner, so wird die Oberfläche nur deformiert, ohne dass eine voll ausgebildete<br />
Lamelle entstehen kann. Sobald jedoch der Gleichgewichtszustand einmal erreicht ist,<br />
kann sich die nun entstandene Lamelle beliebig vergrößern (das Gleichgewicht existiert<br />
unabhängig von Δs), d.h. sie zerreißt innerhalb kurzer Zeit. Im Experiment nähern wir uns<br />
dem Gleichgewichtszustand schrittweise an und messen die Kraft F, bei der die Lamelle<br />
gerade noch nicht abreißt.
Versuch 107 - Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode) 5<br />
Bild 3: Abreißmethode<br />
Die Oberflächenspannung berechnet sich dann aus:<br />
F<br />
σ = (6)<br />
2l<br />
Für genaue Messungen muß eine korrigierte Formel verwendet werden, die das Gewicht der<br />
Lamelle sowie Randeffekte des Bügels berücksichtigt (vgl. /1/):<br />
F ⎡ F⋅ρ⋅g<br />
F ⎤<br />
σ = - r ⎢ -<br />
2 ⎥<br />
2l ⎣ l l ⎦<br />
(7)<br />
r ... Radius des Drahtes, ρ ... Dichte der Flüssigkeit<br />
2.5 Steighöhenmethode<br />
Eine Glaskapillare (Innenradius r) sei vollständig von der zu untersuchenden Flüssigkeit<br />
benetzt. Taucht man die Kapillare senkrecht in eine mit Flüssigkeit (hier Wasser) gefüllte<br />
Schale, steigt die Flüssigkeit in dem Kapillarrohr bis zu einer Höhe h über den äußeren<br />
Spiegel an.<br />
Bild 4: Steigenhöhenmethode
6 Versuch 10 7-Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode)<br />
Bei vollständiger Benetzung bildet die Flüssigkeitsoberfläche in der Kapillare einen<br />
Meniskus, der tangential an der Rohrwand endet. An dieser Benetzungsgrenze führt die<br />
Oberflächenspannung längs des Umfangs 2π r zu einer Zugkraft F σ , die in der Lage ist, das<br />
Gewicht F G einer Flüssigkeitssäule der Höhe h zu tragen.<br />
Mit F = 2 ⋅π⋅ σ<br />
r ⋅σ 2<br />
und FG<br />
=π⋅r ⋅ρ⋅g ⋅ h folgt nach Gleichsetzung ( Fσ = F G )<br />
2σ<br />
h = bzw.<br />
r ⋅ρ⋅ g<br />
ρ ⋅g ⋅r⋅h<br />
σ= (8)<br />
2<br />
Bei Berücksichtigung des Außenradius (R) der Kapillare und der Abmessungen der Schale<br />
(Kantenlängen a, b) erhält man folgende Formel:<br />
σ =<br />
3. Versuchsdurchführung<br />
3.1 Ansetzen der Lösungen<br />
ρ ⋅ g ⋅ r ⋅ h<br />
⎛ r a+ b + R<br />
2 ⎜ 1 -<br />
2<br />
⎝ ab-π<br />
R<br />
( π )<br />
⎞<br />
⎟<br />
⎠<br />
(9)<br />
Eine Ausgangslösung (1 ... 10 %) aus einem handelsüblichen Spülmittel und destilliertem<br />
Wasser ist am Versuchsplatz vorhanden. Durch Zugabe von destilliertem Wasser können die<br />
erforderlichen geringen Konzentrationen c der Versuchslösungen hergestellt werden. Die<br />
genauen Werte werden vom Assistenten vorgegeben bzw. liegen am Versuchsplatz aus.<br />
3.2 Abreißmethode<br />
Die Messung erfolgt mit einer Spiralfederwaage, deren Zugkraft kontinuierlich verändert<br />
werden kann. Der Drahtbügel ist mit größter Vorsicht zu behandeln (Pinzette verwenden,<br />
Platindraht nicht berühren!). Die Länge l ist vorgegeben. Nachdem der Bügel an die Waage<br />
gehängt und in die zu untersuchende Flüssigkeit eingetaucht wurde (der Draht muß sich<br />
merklich in der Flüssigkeit, nicht direkt an der Oberfläche befinden), wird die Kraft m o ⋅g, die<br />
sich aus der Summe von Bügelgewicht und Auftrieb ergibt, bestimmt. Anschließend wird der<br />
Draht an die Oberfläche gebracht und vorsichtig aus der Flüssigkeit herausgezogen. Die<br />
Zugkraft m⋅g vor dem Abreißen der Lamelle wird gemessen. Die Oberflächenspannung der<br />
Flüssigkeit ergibt sich dann nach folgender Gleichung:<br />
(m - m ) ⋅ g<br />
2l<br />
0<br />
σ =<br />
(10)<br />
Alle Messungen sind mehrmals durchzuführen. Stellen Sie die Abhängigkeit σ(c) grafisch<br />
dar und diskutieren Sie die Ergebnisse!
Versuch 107 - Oberflächenspannung (Bügel- und Steighöhenmethode) 7<br />
3.3 Steighöhenmethode<br />
Zur Messung des Innendurchmessers der Glaskapillare dient ein Messmikroskop. Man stellt<br />
die Kapillaröffnung im Mikroskop scharf ein und misst den Innendurchmesser mit der<br />
Okularskala (Messung ist mehrfach durchführen und zu mitteln!). Anschließend wird die<br />
Okularskala mit einem Objektmikrometer wie folgt geeicht: Objektmikrometer im Mikroskop<br />
scharf stellen, mit der Okularskala zur Deckung bringen, geeignet ablesen (z.B. 100<br />
Skalenteile der Okularskala entsprechen „x“-mm in der Objektebene. So können Skalenwerte<br />
in mm umgerechnet werden! Bitte beachten, dass in Gl.8 stets der Radius der Kapillare<br />
eingeht, also r = d !<br />
2<br />
Danach taucht man die Kapillare senkrecht in die mit destilliertem Wasser gefüllte Küvette<br />
und bestimmt die Steighöhe (mehrmals wiederholen!) Dabei ist darauf zu achten, daß die<br />
Kapillare vor der Messung vollständig benetzt sein muß (Wasser nach oben saugen und<br />
Einstellung der Steighöhe von oben her abwarten). Die Berechnung von σ erfolgt nach Gl. 8.<br />
Wiederholen Sie die Messung mit Kapillaren anderen Durchmessers!<br />
Alle Messwerte und Ergebnisse sind mit Genauigkeitsangaben zu versehen!<br />
3.4 Korrektur systematischer Fehler<br />
Schätzen Sie ab, ob die Verwendung der korrigierten Gleichungen (Gl. 7 und 9) erforderlich<br />
ist, und korrigieren Sie gegebenenfalls Ihre Ergebnisse!<br />
___________________________________________________________________________<br />
Der Radius des Platindrahtes beträgt: r = 0,1 mm.<br />
Tabellenwert für H 2 O :<br />
σ= 0.073<br />
N<br />
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