Konzeption Elternberatung (PDF 437 kB) - PiB
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konzeption<br />
<strong>Elternberatung</strong><br />
Ein Angebot zur Beratung von Eltern, deren Kinder<br />
nach § 33 SGB VIII in auf Dauer angelegter Vollzeitpflege<br />
in Pflegefamilien untergebracht sind
Inhalt<br />
1. Gegenstand 3<br />
2. Rechtliche Grundlagen 3<br />
3. Fachliche Grundannahmen 3<br />
4. <strong>Elternberatung</strong> bei <strong>PiB</strong> 4<br />
4.1 Aufgaben der <strong>Elternberatung</strong> 5<br />
4.2 Ziele und Inhalte der <strong>Elternberatung</strong> 6<br />
4.3 Angebote der <strong>Elternberatung</strong> 7<br />
4.4 <strong>PiB</strong>-interne Kooperation 9<br />
4.5 Qualitätssicherung 9<br />
5. Besuchskontakte 9<br />
5.1 Bedeutung von Besuchskontakten 9<br />
5.2 Herausforderung Besuchskontakt 10<br />
5.3 Rolle und Aufgaben von <strong>PiB</strong> 10<br />
5.4 Aufnahme von Besuchskontakten 11<br />
5.5 Gestaltung von Besuchskontakten 11<br />
5.6 Anforderungen an die Beteiligten 13<br />
5.7 Rollen und Aufgaben der Beteiligten 13<br />
5.8 Umgang mit Konflikten 14<br />
5.9 Aussetzung der Kontakte 14<br />
5.10 Ablehnung der Kontakte durch das Kind 14<br />
5.11 Besuchskontakte in anderen Pflegeformen 15<br />
5.12 Ablauf von Besuchskontakten 16<br />
6. Biografiearbeit mit Pflegekindern 17<br />
6.1 Die Ausgangssituation 17<br />
6.2 Rekonstruktion von Daten und Fakten 18<br />
6.3 Rekonstruktion von narrativ Erlebtem 18<br />
6.4 Methoden der Biografiearbeit 20<br />
7. Qualitätssicherung 22<br />
7.1 Qualitätssicherung durch personelle Eignung und Maßnahmen 22<br />
7.2 Qualitätssicherung durch organisationsbezogene Maßnahmen 22<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
2
1. Gegenstand<br />
In der folgenden <strong>Konzeption</strong> geht es um ein Beratungsangebot für Eltern von Kindern,<br />
die nach § 33 SGB VIII in auf Dauer angelegter Vollzeitpflege in Pflegefamilien<br />
untergebracht sind. Zu den Aufgaben der <strong>PiB</strong> – Pflegekinder in Bremen gemeinnützige<br />
GmbH gehört es, für die Kinder passende Pflegefamilien zu finden und die<br />
Pflegeverhältnisse über meist lange Zeiträume zu begleiten und zu unterstützen.<br />
2. Rechtliche Grundlagen<br />
Die <strong>Elternberatung</strong> als ein Angebot zur Arbeit mit dem ergänzenden Familiensystem<br />
bezieht sich auf § 37 SGB VIII, §§ 1626, 1684 BGB sowie das Übereinkommen<br />
über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention).<br />
3. Fachliche Grundannahmen<br />
Wenn Kinder nicht mehr bei ihren Eltern leben können, ist im Vorfeld immer viel<br />
passiert. Ein Kind aus einer Familie zu nehmen, gehört zu den weitest reichenden<br />
Interventionen, die die Kinder- und Jugendhilfe kennt. Sie greift als eine Maßnahme<br />
zur Sicherung des Kindeswohls, wenn viele Lösungsversuche in Form von ambulanten<br />
Hilfen keine ausreichende Wirkung erzielt haben.<br />
Für die innere Wirklichkeit des Kindes beendet der Wechsel in eine Pflegefamilie<br />
nicht seine bisherigen inneren Zugehörigkeiten. Im besten Falle kann es die neue<br />
Situation als eine Erweiterung seines Familiensystems erleben, geht neue Bindungen<br />
ein und integriert die Situation im Laufe der Zeit in seine persönliche Identitätsentwicklung.<br />
Damit das geschehen kann, müssen verschiedene Voraussetzungen<br />
gegeben sein:<br />
Die leiblichen Eltern brauchen in dem neuen, hochkomplexen System<br />
einen stimmigen Platz.<br />
Eine zustimmende Haltung der Eltern ermöglicht es dem Kind, in der<br />
Pflegefamilie anzukommen, ohne in innere Loyalitätskonflikte mit dem<br />
bisherigen zu geraten.<br />
Eine dem Kind und der Situation angemessene Besuchskontaktregelung<br />
ermöglicht eine Beziehungskontinuität bzw. -entwicklung, die dem Erleben<br />
von Zughörigkeit zum Herkunftssystem und der Pflege positiver Bindungen<br />
Raum gibt und zudem eine Grundlage schafft, die auch Auseinandersetzungen<br />
mit vergangenen und gegenwärtigen Realitäten zulässt.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
3
Die Möglichkeit, Kenntnisse und Eindrücke von der eigenen Biografie zu<br />
erlangen, um diese altersangemessen und in dynamischer Weise für die<br />
eigene Identitätsentwicklung zu nutzen.<br />
Um diese Voraussetzungen zu realisieren, braucht es die Mitarbeit aller Beteiligten.<br />
Die Eltern sind bei dieser anspruchsvollen Aufgabe ebenso wie die Pflegeeltern auf<br />
fachlich-pädagogische Unterstützung angewiesen. Zusätzlich zur Fachberatung für<br />
die Pflegefamilie stellt <strong>PiB</strong> jetzt auch den Eltern eine Beraterin an die Seite, um sie in<br />
ihrer individuellen Situation, mit ihren Fragen und Anliegen und insbesondere bei<br />
der Neudefinition ihrer Rolle und ihren Aufgaben zu begleiten und unterstützen.<br />
Die vorliegende <strong>Konzeption</strong> beschreibt folgende Schwerpunkte:<br />
<strong>Elternberatung</strong> bei <strong>PiB</strong><br />
Besuchskontakte und<br />
Biografiearbeit mit Pflegekindern.<br />
4. <strong>Elternberatung</strong> bei <strong>PiB</strong><br />
Die <strong>Elternberatung</strong> richtet sich grundsätzlich an alle Eltern, deren Kind in einem auf<br />
Dauer angelegten Pflegeverhältnis untergebracht ist. Dies gilt unabhängig davon,<br />
was zur Kindeswohlgefährdung und damit zur Herausnahme des Kindes geführt<br />
hat. Im Mittelpunkt der Beratung stehen die Gestaltung und der Umgang mit der<br />
Situation und dem Ziel, sie zu stabilisieren.<br />
Die Qualität der Zusammenarbeit mit den Eltern, ihre Einbeziehung und das Verhältnis<br />
zwischen Eltern und Pflegefamilie haben kurz- und langfristig entscheidenden<br />
Einfluss auf die Identitätsentwicklung des Pflegekindes. Das Angebot der<br />
<strong>Elternberatung</strong> soll es allen Beteiligten von Anfang an leichter machen, akzeptierend<br />
und wertschätzend miteinander umzugehen, verlässliche Vereinbarungen<br />
zu treffen, Nähe und Distanz zu regulieren, um so für das Kind in unterschiedlicher<br />
Weise Verantwortung übernehmen zu können.<br />
Um von Anfang an bestmögliche Bedingungen für das Gelingen des Pflegeverhältnisses<br />
zu gewährleisten, unterstützt die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> die Beteiligten mit einem<br />
differenzierten Beratungs- und Begleitungsangebot. Dazu gehören die<br />
Einzel- und Gruppenberatung für die leiblichen Eltern,<br />
Vorbereitung und Begleitung der Besuchskontakte,<br />
Anleitung und Unterstützung von Eltern in der Biografiearbeit.<br />
Die inhaltliche Ausrichtung, die Qualitätsanforderungen und die organisatorischen<br />
Abläufe dieser drei Themenschwerpunkte sind in dieser <strong>Konzeption</strong> beschrieben 1 .<br />
1 Die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> ist eine Querschnittsaufgabe in der Abteilung Vollzeitpflege. Sie betrifft verschiedene Pflegeformen<br />
in unterschiedlicher Weise. Die fachlichen <strong>Konzeption</strong>en aller Pflegeformen sind einsehbar unter Broschüren auf www.pibbremen.de.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
4
4.1 Aufgaben der <strong>Elternberatung</strong><br />
Im Folgenden wird aus den unterschiedlichen Perspektiven des Kindes, der Eltern<br />
und der Pflegeeltern skizziert, welcher Bedarf und welche Bedürfnisse in der <strong>Elternberatung</strong><br />
bearbeitet werden.<br />
Die Kinder: Kinder bleiben die Kinder ihrer Eltern, auch wenn diese nicht gut für sie<br />
sorgen konnten. Und sie bleiben es auch dann, wenn sie aus den Familien herausgenommen<br />
werden mussten und in Pflegefamilien leben. Damit ein Kind eine<br />
solche Trennung angemessen verarbeiten kann, braucht es auf Seiten der erwachsenen<br />
Beteiligten ein hohes Maß an Empathie und Achtsamkeit. Kindern nützt weder<br />
eine pauschale Negativbeschreibung noch eine Idealisierung ihrer Eltern. Von<br />
einem geschützten Ort aus brauchen sie die Möglichkeit, sich mit ihren Wurzeln,<br />
ihrer Vergangenheit und dem Handeln ihrer Eltern auseinanderzusetzen. Sie brauchen<br />
die Erfahrung, dass ein Teil ihrer Identität seine Wurzeln in der familiären Geschichte<br />
hat, andere Teile aber hinzukommen und diese der eigenen Beeinflussung<br />
unterliegen. Das Gelingen einer positiven, stabilen Identitätsentwicklung der Kinder<br />
ist eng gekoppelt an die Haltung und das Verhalten der Eltern und Pflegeeltern.<br />
Kindern tut es gut, wenn Pflegeeltern in realistischer aber auch differenzierter Weise<br />
von ihren Eltern sprechen. Ebenso positiv ist es für Kinder, wenn sie die Erfahrung<br />
machen, dass sich ihre Eltern in kritischer Weise mit sich selber und ihrem Verhalten<br />
auseinandersetzen. Die <strong>Elternberatung</strong> bei <strong>PiB</strong> unterstützt Eltern in diesem Prozess<br />
und stärkt sie darin, Verantwortung für ihr Leben ohne anwesendes Kind zu übernehmen.<br />
Eltern spielen eine wichtige Rolle, damit Kinder in emotionaler Loyalität<br />
und Verbundenheit zu zwei Familiensystemen leben können.<br />
Die Eltern: Wenn ein Kind auf Dauer in einer Pflegefamilie leben soll, ist es umgeben<br />
von unterschiedlichen Elternrepräsentationen. Die Diplom-Psychologin und Familientherapeutin<br />
Irmela Wiemann 1 bezeichnet dies in folgendem Schaubild als „Vier<br />
Dimensionen der Elternschaft“.<br />
Die vier Dimensionen der Elternschaft<br />
Leibliche Eltern<br />
Von Ihnen hat jedes<br />
Kind sein Leben<br />
bekommen<br />
Seelisch-soziale<br />
Eltern (Pflegeeltern)<br />
Sie leben jedenTag mit<br />
dem Kind zusammen<br />
Kind<br />
Rechtliche Eltern<br />
Sie bestimmen für<br />
das Kind in den<br />
großen Frage des<br />
Lebens<br />
Zahlende Eltern<br />
Sie geben das Geld,<br />
das ein Kind zum<br />
Leben braucht<br />
1 Weitere Informationen sind einsehbar unter www.irmela.wiemann.de<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
5
Um für das Kind die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen, müssen sich die<br />
erwachsenen Beteiligten darüber im Klaren sein, welche Rolle und Aufgaben sie<br />
innerhalb des Systems wahrzunehmen haben. Für institutionelle Vertreter (Vormünder,<br />
Amt für Soziale Dienste Bremen) ist das durch mehr oder weniger eindeutiges<br />
Regelwerk geklärt, und auch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Pflegeeltern<br />
sind festgelegt. Leibliche Eltern, die ein Kind abgeben mussten, erleben<br />
ihre Wirklichkeit aber in erster Linie durch den Entzug von Aufgaben und Verantwortlichkeiten,<br />
und für ein Elternleben ohne anwesendes Kind gibt es bislang kein<br />
Rollenmodell. Mit Eltern, deren Kind jetzt woanders lebt, muss neu definiert werden,<br />
welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten sie in Zukunft wahrnehmen wollen,<br />
sollen und können. Die <strong>Elternberatung</strong> bei <strong>PiB</strong> unterstützt Eltern und Pflegeeltern<br />
dabei, neue Regeln für die Gestaltung des Alltags zu entwickeln, die die Eltern in<br />
angemessener und stimmiger Weise einbindet, obwohl die Alltagsverantwortung<br />
für das Kind jetzt bei den Pflegeeltern liegt.<br />
Die Pflegeeltern: Wenn Pflegeeltern ein Kind aufnehmen, brauchen sie Zeit, um<br />
eine neue Stabilität in den eigenen familiären Strukturen entwickeln zu können.<br />
Das gilt im Übrigen auch für jede andere Familie, in die ein Kind geboren wird.<br />
Hier helfen aber gesellschaftliche Übereinkünfte und tradierte oder selbst entwickelte<br />
Regeln, ein Familiensystem zu konstruieren, das durch seine innere Struktur<br />
und Stabilität gleichzeitig eine Grenzziehung nach außen vornimmt. Eine solche<br />
Grenzziehung gilt für eine Pflegefamilie nur bedingt. Pflegeeltern sind verpflichtet,<br />
mit vielen Menschen zu kooperieren – u. a. mit den Eltern des Pflegekindes – und<br />
zwar auch dann, wenn dies ihrem persönlichen Empfinden zuwiderläuft, weil sie<br />
ihr neues Familiensystem erst noch stabilisieren und schützen möchten. Besonders<br />
wenn das Kind in seiner Familie sehr negative Erfahrungen gemacht hat, besteht<br />
bei Pflegeeltern häufig der Wunsch, die Kontakte zum Herkunftssystem des Kindes<br />
reduzieren zu wollen. Begründet ist das einerseits durch ein Schutzbedürfnis dem<br />
Pflegekind gegenüber, andererseits aber auch durch den Wunsch, selber ein stabiles<br />
Familiensystem zu begründen, das sich möglichst „normal“ anfühlt und das über<br />
Außengrenzen verfügt, die eine familiäre Intimität gewährleisten.<br />
Zwischen der theoretischen Einsicht, dass Kinder ihre leiblichen Eltern weiterhin<br />
brauchen und einer inneren, emotionalen Zustimmung zu den daraus resultierenden<br />
Kontakten, liegt oft viel Arbeit für alle Beteiligten. Um diesen Prozess zu unterstützen<br />
und um bei den Beteiligten frühzeitig das Verständnis und die Akzeptanz für<br />
einander zu wecken, kooperieren die <strong>Elternberatung</strong> und die Beratungsfachkräfte<br />
der Abteilung Vollzeitpflege, die das Pflegeverhältnis begleiten.<br />
4.2 Ziele und Inhalte der <strong>Elternberatung</strong><br />
Die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> informiert Eltern zu Beginn eines Pflegeverhältnisses über das<br />
Angebot der <strong>Elternberatung</strong>, um sie von Anfang an in die Zusammenarbeit einzubinden.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
6
Sie bemüht sich aktiv, Eltern für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Sie schafft Strukturen<br />
und Beratungsangebote, die die konstruktive Kooperation zwischen Eltern<br />
und Pflegefamilie fördert.<br />
Die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> soll ermöglichen, dass<br />
Eltern sich mit Gefühlen wie z. B. Verlustangst, Wut und Scham<br />
auseinandersetzten können,<br />
Eltern ein inneres Einverständnis zur Fremdunterbringung entwickeln<br />
können,<br />
Eltern Verantwortung für den eigenen Anteil am Geschehen entwickeln<br />
können. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie kann dazu ein<br />
Schlüssel sein,<br />
Eltern und Pflegeeltern einander akzeptierend und wertschätzend<br />
begegnen können, Vereinbarungen verbindlich eingehalten werden<br />
können sowie Sprachregelungen entwickelt und eingeführt werden, die die<br />
familiäre Situation kindgerecht benennen und erklären,<br />
Besuchskontakte quantitativ und qualitativ stimmig gestaltet werden<br />
können,<br />
Eltern eine elterliche Haltung entwickeln können, die dem Kind hilft, die<br />
Trennung und Loyalitätskonflikte zu verarbeiten, und die Eltern und Kind<br />
erlaubt, Zuneigung und Liebe auszudrücken, auch wenn die Eltern die<br />
tägliche Sorge nicht übernehmen. Dies ist eine wichtige Bedingung dafür,<br />
dass das Kind in der Pflegefamilie unbeschwert leben kann.<br />
4.3 Angebote der <strong>Elternberatung</strong><br />
Beratung von Eltern gehört zum Regelangebot von <strong>PiB</strong> an Eltern, sobald deutlich<br />
wird, dass ein Kind in einem auf Dauer angelegten Pflegeverhältnis untergebracht<br />
werden soll. Eltern werden entweder vom Amt für Soziale Dienste Bremen oder im<br />
Zuge der Vermittlung bei <strong>PiB</strong> über die Möglichkeit zur <strong>Elternberatung</strong> informiert. <strong>PiB</strong><br />
setzt sich aktiv dafür ein, die Eltern für eine konstruktive Mitarbeit bei der Gestaltung<br />
der neuen Situation zu gewinnen.<br />
4.3.1 Informationsveranstaltungen<br />
<strong>PiB</strong> bietet regelmäßige Informationsveranstaltungen für Eltern an. Sie haben hier<br />
die Möglichkeit, Kontakt zu anderen Eltern in ähnlicher Lebenslage aufzunehmen<br />
und das Angebot zur <strong>Elternberatung</strong> kennenzulernen.<br />
4.3.2 Einzelberatung<br />
<strong>PiB</strong> bietet Eltern eine Begleitung während des Trennungs- und Vermittlungsprozesses.<br />
Dies umfasst während des ersten Jahres rund vier Gespräche sowie fortlaufend<br />
Gespräche zur Vor- und Nachbereitung der Besuchskontakte und zur Vorbereitung<br />
der Hilfeplanung.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
7
4.3.3 Gespräche mit Eltern und Pflegeeltern<br />
Zu Beginn eines neuen Pflegeverhältnisses gibt es mindestens ein gemeinsames<br />
Gespräch zwischen den Eltern, den Pflegeeltern und der <strong>Elternberatung</strong> sowie<br />
der zuständigen <strong>PiB</strong>-Fachkraft, die das Pflegeverhältnis begleiten wird. In diesem<br />
Gespräch geht es darum, in möglichst vielen Bereichen, die die Belange des Kindes<br />
betreffen, eine übereinstimmende Haltung zu entwickeln. Dazu gehören u. a.<br />
Regelungen zu Besuchs- und Telefonkontakten, Briefen, Geschenken sowie Sprachregelungen.<br />
Weitere begleitete Gespräche können anlassbezogen stattfinden. Die<br />
Vereinbarungen zur Gestaltung der Besuchskontakte werden möglichst von allen<br />
am Kontakt Beteiligten unterschrieben.<br />
4.3.4 Gruppenangebote<br />
<strong>PiB</strong> bietet Eltern die Möglichkeit, regelmäßig an einem Gruppenangebot teilzunehmen,<br />
um dort ihre besondere Situation als „Eltern ohne (anwesendes) Kind“ zu<br />
reflektieren und zu bearbeiten. Die Teilnahme an dieser Gruppe bietet Eltern die<br />
Erfahrung, dass sie mit oftmals sehr belastenden und schmerzhaften Erfahrungen<br />
nicht alleine sind. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann ein erster Schritt<br />
sein, sich mit der eigenen Lebenssituation kritisch auseinanderzusetzen. Die Gruppe<br />
wird kontinuierlich von einer <strong>PiB</strong>-Fachkraft für <strong>Elternberatung</strong> sowie einer Honorarkraft<br />
mit familientherapeutischem Hintergrund begleitet. Eine wertschätzende und<br />
ressourcenorientierte Grundhaltung ermöglicht es den Eltern, vertraute Schutzmechanismen<br />
aufzugeben und den Blick darauf zu richten, in welcher Weise sie selber<br />
an der Entstehung ihrer Situation beteiligt waren und sind. Diese Arbeit erfolgt nicht<br />
mit dem Ziel einer Schuldzuweisung. Eltern sollen vielmehr in einem sanktionsfreien<br />
Raum die Möglichkeit erhalten, Gefühle wie Trauer und Schmerz zulassen<br />
zu dürfen, um dadurch die Fähigkeit zu mehr Selbstverantwortung für das eigene<br />
Leben zu entwickeln. Dabei werden auch die Reaktionen von Eltern auf Konfliktund<br />
Belastungssituationen thematisiert. Unterstützt durch die Gruppenleitung und<br />
andere TeilnehmerInnen werden Sprachregelungen erarbeitet, durch die auch im<br />
Gespräch zwischen Eltern und Kindern deutlich werden kann, dass sich die Eltern<br />
in verantwortlicher Weise mit den Geschehnissen der Vergangenheit auseinandersetzen.<br />
Eltern werden angeleitet, bei Besuchskontakten gemeinsam mit ihren Kindern bedeutsame<br />
Bestandteile und Stationen der Familienbiografie zu betrachten.<br />
Methoden: Die Gruppenleitung arbeitet vorrangig mit ressourcen- und lösungsorientierten<br />
Methoden aus der systemischen Familienberatung. Die Teilnahme am<br />
Gruppenangebot stellt keinen Ersatz dar für eine aus psychologischen oder medizinischen<br />
Gründen indizierte Psychotherapie.<br />
Setting: Das Gruppenangebot für Eltern findet einmal im Monat statt. Die Gruppe ist<br />
offen für alle Interessierten. Das inhaltliche Programm ist auf ein Jahr ausgerichtet<br />
und die Gruppengröße sollte 8 TeilnehmerInnen nicht überschreiten.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
8
4.4 <strong>PiB</strong>-interne Kooperation<br />
Die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> und die Fachberatung für Pflegefamilien (Fachkräfte der Abteilung<br />
Vollzeitpflege) kooperieren miteinander im Hinblick auf das Wohl des Kindes<br />
und das Gelingen des Pflegeverhältnisses. Sie respektieren dabei die Privatsphäre<br />
der jeweils anderen Familie und behandeln Informationen diskret und vertraulich.<br />
Ausgenommen von der Diskretionspflicht sind Informationen über Kindeswohl gefährdendes<br />
Verhalten.<br />
4.5 Qualitätssicherung<br />
Die Prozesse in der <strong>Elternberatung</strong> sind systematisiert und konkret beschrieben. Sie<br />
orientieren sich am <strong>PiB</strong>-internen Qualitätsmanagement. Alle Aktivitäten werden<br />
dokumentiert und unter differenzierten Fragestellungen ausgewertet. Die Ergebnisse<br />
werden im Jahresbericht veröffentlicht.<br />
5. Besuchskontakte<br />
Der folgende Abschnitt beschreibt die Ziele, die pädagogische Grundhaltung sowie<br />
die Abläufe, Qualitätsstandards und Verantwortlichkeiten der Beteiligten bei<br />
Besuchskontakten zwischen Eltern und deren Kindern, die nach § 33 SGB VIII in Pflegefamilien<br />
untergebracht sind.<br />
5.1 Bedeutung von Besuchskontakten<br />
Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum<br />
Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt (§ 1684 BGB). Eltern, deren Kind<br />
auf Dauer in einer Pflegefamilie lebt, haben in den meisten Fällen ein Interesse daran,<br />
mit ihrem Kind in Kontakt zu bleiben. Auch wenn sie nicht in der Lage sind, die<br />
tägliche Sorge für das Kind zu übernehmen, möchten sie miterleben, wie sich ihr<br />
Kind entwickelt. Sie sollen jenseits von belastenden Alltagsfragen die Möglichkeit<br />
haben, möglichst schöne und unbeschwerte Zeiten mit ihrem Kind zu verbringen.<br />
In den Fällen, in denen das nicht oder vorübergehend nicht möglich ist, erhalten<br />
sie Informationen über die Entwicklung ihres Kindes.<br />
<strong>PiB</strong> geht davon aus, dass die meisten Kinder ein grundsätzliches Interesse entwickeln,<br />
sich mit ihrer familiären Biografie auseinanderzusetzen, ihren Eltern und<br />
Geschwistern begegnen zu können bzw. zu erfahren, wie es ihnen geht. Zur Aufgabe<br />
von <strong>PiB</strong> gehört es, die Familiensysteme so zu beraten, dass Kinder ihre Bedürfnisse<br />
realisieren können. Dabei brauchen sie Raum und Akzeptanz für ambivalente<br />
Gefühle.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong><br />
9
5.2 Herausforderung Besuchskontakt<br />
Besuchskontakte stellen für die Kinder, Eltern und auch für die Pflegefamilie eine<br />
hohe emotionale Anforderung dar. Schmerzhafte Erinnerungen können wach werden,<br />
Kinder sehen sich häufig mit Fragen von Loyalität und Zugehörigkeit konfrontiert.<br />
Ihre Eltern erleben Schuldgefühle, nicht ausreichend für das Kind sorgen zu<br />
können, obwohl sie sich gewünscht hatten, dem Kind das Beste mit auf den Weg<br />
zu geben. Nicht wenige Pflegefamilien erleben, dass ihr Pflegekind auf Besuchskontakte<br />
reagiert und danach schlecht schläft, häufiger weint oder wieder einnässt.<br />
Pflegeeltern fragen dann zu Recht, ob die Kontakte dem Kind gut tun – und die<br />
<strong>PiB</strong>-Fachberatung ist gefordert, gemeinsam mit allen Betroffenen eine Lösung zu<br />
suchen. Im Grundsatz gilt jedoch, dass <strong>PiB</strong> den regelmäßigen Kontakt zwischen<br />
Kindern und ihren Familien befürwortet. <strong>PiB</strong> geht davon aus, dass es für eine stabile<br />
Identitätsentwicklung wichtig ist, dass das Kind sich mit seinen biografischen Wurzeln<br />
auseinandersetzen kann. Verlässliche Begegnungen in einem sicheren Umfeld<br />
verschaffen dem Kind die Möglichkeit, unterscheiden zu lernen, mit welchen Anteilen<br />
seiner Herkunftsfamilie es sich identifizieren und welche es nicht als Teil seiner<br />
selbst betrachten möchte. Aus der Geborgenheit der Pflegefamilie heraus kann das<br />
Kind so seinem Bedürfnis nach innerer Loyalität nachgehen und trotzdem mit der<br />
Zeit eine kritische Distanz gegenüber den elterlichen Verhaltensweisen entwickeln,<br />
die in der Vergangenheit zu Mangelerfahrungen geführt haben.<br />
5.3 Rolle und Aufgaben von <strong>PiB</strong><br />
Damit Besuchskontakte für alle Beteiligten so einvernehmlich wie möglich verlaufen,<br />
ist es wichtig, sie vorzubereiten und durch gemeinsame Vereinbarungen und<br />
Regeln zu gestalten. <strong>PiB</strong> unterstützt Eltern und Pflegeeltern darin, einen verlässlichen<br />
Rahmen für die zukünftigen Besuchskontakte zu entwickeln. Die Wünsche der<br />
Eltern und Pflegeeltern werden dabei ernst genommen, im Mittelpunkt stehen aber<br />
die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes und seine aktuelle Situation.<br />
Die <strong>PiB</strong>-Fachkraft, die die Vermittlung des Kindes in eine passende Pflegefamilie<br />
begleitet, nimmt am Gespräch zur Hilfeplanung teil und gibt dort aus fachlich-pädagogischer<br />
Sicht eine Einschätzung zur Gestaltung der Besuchskontakte hinsichtlich<br />
Umfang, Dauer, Form (begleitet/unbegleitet) und Ort. In einem gemeinsamen Gespräch<br />
bereiten eine Fachkraft der <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> sowie die Fachkraft, die das<br />
Pflegeverhältnis und die Pflegefamilie begleitet, mit den Eltern und den Pflegeeltern<br />
die Gestaltung der Besuchskontakte vor und schließen mit ihnen darüber eine<br />
schriftliche, zeitlich befristete Vereinbarung.<br />
Kann keine grundsätzliche Einigung über den Verlauf und die Gestaltung der Besuchskontakte<br />
hergestellt werden, wird das Amt für Soziale Dienste Bremen informiert<br />
mit der Bitte, alle Beteiligten einzuladen, um diesen Teil der Hilfeplanung neu<br />
zu erörtern.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 10
Bei Gesprächs-, Klärungs- oder Veränderungsbedarf, der aus Besuchskontakten<br />
resultiert, haben Eltern die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong> als Ansprechpartner und Pflegeeltern<br />
wenden sich an die für sie zuständige Beratungsfachkraft.<br />
5.4 Aufnahme von Besuchskontakten<br />
Wenn ein Kind in einem auf Dauer angelegten Pflegeverhältnis untergebracht<br />
wird, braucht es Zeit zum Ankommen und zur Neuorientierung, aber auch die Verlässlichkeit,<br />
dass bisherige Bindungen und Beziehungen nicht abgebrochen werden.<br />
Der Zeitpunkt für die Aufnahme der regelmäßigen Besuchskontakte orientiert<br />
sich an der individuellen Situation und vorrangig an den Bedürfnissen und Interessen<br />
des Kindes.<br />
5.5 Gestaltung von Besuchskontakten<br />
Ziel ist es, dass Eltern die Kontakte mit ihren Kindern so selbstständig wie möglich<br />
gestalten können. Eltern sollten in der Lage sein oder dabei unterstützt werden, sich<br />
mit ihrem Kind altersgemäß und an seinen Interessen und Vorlieben orientiert beschäftigen<br />
zu können. Sie sollten dem Kind zeigen, dass sie die Zeit mit ihm genießen,<br />
zugleich aber akzeptieren und unterstützen, dass das Kind seinen Lebensmittelpunkt<br />
jetzt in der Pflegefamilie hat.<br />
Die Pflegeeltern sollten dem Kind vermitteln, dass sie den Besuchskontakten mit<br />
den leiblichen Eltern des Kindes offen und wertschätzend begegnen und seiner<br />
Herkunft und seinen Wurzeln gegenüber respektvoll Interesse zeigen. Das ist eine<br />
hohe Anforderung an alle Beteiligten, die die <strong>PiB</strong>-FachberaterInnen besonders in<br />
der Anfangsphase sehr intensiv unterstützten.<br />
5.5.1 Unbegleitete Besuchskontakte<br />
Bei einer Unterbringung in der allgemeinen und heilpädagogischen Vollzeitpflege/<br />
Fremdpflege werden Pflegeeltern und Eltern darauf vorbereitet, Besuchskontakte<br />
eigenständig zu organisieren und durchzuführen. Die Fachkraft, die das Pflegeverhältnis<br />
begleitet, ist bei den ersten drei bis vier Umgangskontakten anwesend,<br />
damit Eltern und Pflegeeltern sich vollständig auf den Umgang mit dem Kind<br />
konzentrieren können. Sie ist ansprechbar für alle zu klärenden Fragen und gibt im<br />
Bedarfsfall Anregungen für die Gestaltung des Kontaktes. Wenn die Besuchskontakte<br />
zufriedenstellend verlaufen sind, werden sie zukünftig von den Pflegeeltern und<br />
Eltern eigenständig organisiert und durchgeführt. Gemeinsam mit den pädagogischen<br />
Fachkräften wird entschieden, ob und ab wann die Eltern die Kontakte mit<br />
ihren Kindern eigenständig und unbegleitet gestalten. Die Pflegeeltern informieren<br />
die für sie zuständige Fachkraft über den Verlauf unbegleiteter Besuchskontakte<br />
und geben ggf. auch Rückmeldungen über ungewöhnliche Reaktionen des Kindes.<br />
Die Fachkraft unterstützt die Klärung strittiger Fragen zwischen Eltern und Pflegeeltern.<br />
Die <strong>Elternberatung</strong> wird beteiligt, wenn Eltern oder Fachberatung dies wünschen.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 11
5.5.2 Unterstützte Besuchskontakte<br />
Unterstützte Besuchskontakte sind Besuchskontakte, die durch einen strukturierten<br />
Rahmen und die Anwesenheit qualifizierten Personals unterstützt werden sollten<br />
(ohne 1 : 1-Begleitung).<br />
Um dies zu gewährleisten, hat <strong>PiB</strong> sogenannte Familiencafés eingerichtet, die die<br />
angenehme Gestaltung solcher Besuchskontakte ermöglichen. Dafür hat <strong>PiB</strong> geeignete<br />
Räumlichkeiten in verschiedenen Stadtteilen – oft bei anderen Trägern der<br />
Kinder- und Familienhilfe – erschlossen. Die Familiencafés sollen möglichst vielen<br />
Pflegekindern und deren Familien die Möglichkeit bieten, Besuchskontakte in<br />
einem offenen und zum Spiel anregenden Rahmen zu erleben. Dabei sind immer<br />
eine <strong>PiB</strong>-Fachkraft und eine qualifizierte Honorarkraft als Ansprechpersonen anwesend.<br />
Sie achten besonders auf die Gestaltung der Übergänge – Begrüßung und<br />
Verabschiedung – und intervenieren ggf. bei eskalierenden Konflikten oder einer<br />
Kindeswohlgefährdung. Sie begleiten Kontaktphasen zwischen Eltern und Kind<br />
distanziert aber aufmerksam. Sie unterstützen auch, indem sie Energien regulieren<br />
und Spiele oder andere Beschäftigungen initiieren. Die Organisation und die Koordination<br />
dieser Abläufe liegen federführend bei der <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong>.<br />
5.5.3 Begleitete Besuchskontakte<br />
Aus unterschiedlichen Gründen kann es erforderlich sein, Besuchskontakte über<br />
einen längeren Zeitraum zu begleiten. Oft ist das der Fall, wenn Eltern innerlich mit<br />
der Unterbringung ihres Kindes in einer Pflegefamilie (noch) nicht einverstanden<br />
sind oder die Pflegeeltern (noch) keine innerliche Zustimmung zu den Kontakten<br />
zwischen ihren Pflegekindern und deren leiblichen Eltern gefunden haben. <strong>PiB</strong> bietet<br />
in diesem Fall Beratung an – für Eltern durch die <strong>Elternberatung</strong>, für Pflegeeltern<br />
durch die zuständige Fachberatung der Abteilung – und begleitet die Besuchskontakte<br />
über einen Zeitraum bis zu einem Jahr. Ort und Zeit der begleiteten Besuchskontakte<br />
werden von der Beratungsfachkraft der Pflegeeltern in Absprache mit der<br />
<strong>Elternberatung</strong> vereinbart.<br />
Grundsätzlich wird angestrebt, dass eingangs unterstützte und begleitete Besuchskontakte<br />
von den Beteiligten später eigenständig koordiniert und durchgeführt<br />
werden können. Dazu berät und unterstützt die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong>.<br />
5.5.4 Geschützte Besuchskontakte<br />
Verschiedene Umstände wie beispielsweise akute Drogenabhängigkeit, akute<br />
psychische Erkrankung oder mangelnde Impulskontrolle der Eltern können für die<br />
Einrichtung eines geschützten Besuchskontaktes sprechen. Wenn Besuchskontakte<br />
für das Kind als vertretbar gelten, wird es im Regelfall zu einer geschützten Begleitung<br />
durch andere Träger kommen, die den dafür notwendigen personellen und<br />
räumlichen Rahmen zur Verfügung stellen können. Die Entscheidung darüber liegt<br />
entweder bei Gerichten oder sie fällt im Rahmen der Hilfeplanung.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 12
5.5.5 Änderungen bei Besuchsregelungen<br />
Alle Besuchsregelungen werden mit der Zeit den wechselnden Erfordernissen und<br />
Bedürfnissen der Kinder oder Jugendlichen angepasst.<br />
Jede Änderung bedarf der Absprache mit allen erwachsenen Beteiligten und der<br />
Zustimmung des Amtes für Soziale Dienste Bremen sowie ggf. des Vormunds. Ziel<br />
sollte immer sein, einen verlässlichen, konstruktiven, regelmäßigen und möglichst<br />
selbständigen Kontakt zwischen Eltern und ihren Kindern zu ermöglichen.<br />
5.6 Anforderungen an die Beteiligten<br />
Besuchskontakte stellen für alle Beteiligten eine hohe Anforderung dar. Deshalb<br />
ist es insbesondere aus kindeswohlorientierter Perspektive wichtig und notwendig,<br />
dass Eltern, Pflegeeltern und ggf. die Besuchsbegleitung sich in akzeptierender<br />
und wertschätzender Weise begegnen. Sie orientieren sich an dem gemeinsamen<br />
Ziel, den Besuchskontakt für das Kind so angenehm und konfliktfrei wie möglich zu<br />
gestalten. Voraussetzung für ein Gelingen ist, dass alle Beteiligten sich an die Vereinbarungen<br />
und Regeln halten, die beim Vorbereitungsgespräch erarbeitet und<br />
gemeinsam unterzeichnet wurden.<br />
5.7 Rollen und Aufgaben der Beteiligten<br />
Eltern: Wenn Eltern ihre Kinder zu Besuchskontakten treffen, ist vieles anders als früher<br />
in der Familie. Die Zeit ist begrenzt, die Räumlichkeiten meistens unvertraut und<br />
neue, passende Interaktionsformen zwischen Eltern und Kindern müssen erst entwickelt<br />
werden. Eltern müssen darauf vorbereitet werden, dass sie auch während der<br />
Besuchskontakte nicht mehr für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich sind. Sie<br />
sollten darin bestärkt werden, eine schöne gemeinsame Zeit zu gestalten, die sich<br />
am Alter und an den Bedürfnissen und Wünschen der Kinder orientiert.<br />
Pflegeeltern: Die Pflegeeltern bereiten das Kind auf den Kontakt mit den Eltern altersangemessen<br />
vor. Sie vermitteln ihm, dass sie mit den Besuchskontakten einverstanden<br />
sind und ermuntern das Kind, sich zu überlegen, was es mit seinen Eltern<br />
während der gemeinsamen Zeit gerne machen würde. Sie setzen sich aktiv mit<br />
eventuellen Ängsten und Befürchtungen des Kindes auseinander und bieten ihm<br />
einen sicheren Rahmen, um mit der emotional anspruchsvollen Situation umzugehen.<br />
Dazu gehört auch die Vermittlung einer realistischen Einschätzung davon,<br />
was das Kind während der Besuchskontakte von seinen Eltern erwarten kann. Bei<br />
Anwesenheit und Bedarf regen die Pflegeeltern Spiele oder andere Aktivitäten an.<br />
Wenn die Kinder mit den Eltern wenig vertraut sind, unterstützen sie eine angemessene<br />
und altersgerechte Kontaktaufnahme, akzeptieren aber auch ein vom Kind<br />
geäußertes bzw. gezeigtes Distanzbedürfnis.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 13
5.8 Umgang mit Konflikten<br />
Eltern und Pflegeeltern sind dazu aufgefordert, während der Besuchskontakte keine<br />
Konflikte anzusprechen und auszutragen. Strittige Fragen sollen außerhalb der<br />
Besuchskontakte zwischen den Erwachsenen und im Bedarfsfall unterstützt von <strong>PiB</strong><br />
besprochen und geklärt werden.<br />
Die begleitende Fachkraft kann Besuchskontakte vorzeitig beenden, wenn dies im<br />
Interesse des Kindes erforderlich scheint.<br />
5.9 Aussetzung der Kontakte<br />
Bei signifikanten Regelverstößen während des Besuchskontaktes kann der Kontakt<br />
vorzeitig abgebrochen werden. Bei begleiteten Kontakten entscheidet darüber die<br />
Besuchsbegleitung.<br />
Es kann Gründe geben, die eine vorübergehende oder auch dauerhafte Aussetzung<br />
der Besuchskontakte erforderlich machen.<br />
Dazu gehören<br />
Gewaltanwendung oder bedrohliches Verhalten<br />
wiederholte Regelverstöße<br />
die Gefahr einer Re-Traumatisierung.<br />
Tritt eine solche Situation ein, werden Fachberatung und <strong>Elternberatung</strong> mit den<br />
Beteiligten versuchen, eine Regelung zu finden, bei der die Schutzbedürfnisse des<br />
Kindes im Vordergrund stehen. Bei Bedarf wird dann mit dem Amt für Soziale<br />
Dienste Bremen und ggf. mit dem Vormund die Hilfeplanung aktualisiert.<br />
5.10 Ablehnung der Kontakte durch das Kind<br />
Wenn Pflegekinder den Kontakt zu ihren Eltern ablehnen, ist es wichtig, sie mit<br />
ihren Wünschen und Bedürfnissen ernst zu nehmen. Die erwachsenen Beteiligten<br />
müssen sich mit den dahinterliegenden Gründen auseinandersetzen und eigene<br />
Interessen zurückstellen. Ein Kind wird von uns niemals zu einem Kontakt gezwungen<br />
oder gedrängt. Es ist aber im Interesse des Kindes unbedingt erforderlich, sich<br />
kritisch damit auseinanderzusetzen, ob das Kind mit der Ablehnung des Kontaktes<br />
seine eigenen Bedürfnisse ausdrückt oder – z. B. aus einem Loyalitätskonflikt heraus<br />
– die Befürchtungen anderer Beteiligter zum Ausdruck bringt.<br />
Um der Komplexität der Situation, den unterschiedlichen Interessen und meist auch<br />
ambivalenten Gefühlen des Kindes gerecht zu werden, unterstützt <strong>PiB</strong> Pflegeeltern<br />
und Eltern durch Beratung, um eine individuelle Lösung zu finden, die für das Kind<br />
akzeptabel und angemessen ist.<br />
Wenn das Kind keinen Kontakt zu seinen Eltern hat, wird es von seinen Pflegeeltern<br />
unterstützt, sich in anderer Weise, z. B. durch Biografiearbeit, mit seiner Herkunft<br />
auseinandersetzen zu können.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 14
5.11 Besuchskontakte in anderen Pflegeformen<br />
Neben den vorangehenden Ausführungen über die allgemeine und heilpädagogische<br />
Vollzeitpflege, die vom Grundsatz her für alle Pflegeformen gelten, gibt es in<br />
einigen Pflegeformen Besonderheiten, die im Folgenden beschrieben werden.<br />
Vollzeitpflege im sozialen Netz/Verwandtenpflege: In dieser Pflegeform sind entweder<br />
die Eltern und Pflegeeltern miteinander verwandt oder die Kinder leben bei<br />
Personen, die zum näheren sozialen Umfeld der Familie gehören, so dass Kind und<br />
Pflegeeltern sich meist schon vor Beginn des Pflegeverhältnisses kannten. Daraus<br />
ergibt sich zumeist eine hohe Akzeptanz gegenüber dem Pflegeverhältnis; Besuchskontakte<br />
finden in der Regel unbegleitet statt. Eine besondere Anforderung in der<br />
Verwandtenpflege ist jedoch der Rollenwechsel, den die erwachsenen Beteiligten<br />
vollziehen müssen. Die Begleitung von Besuchskontakten kann erforderlich werden,<br />
wenn<br />
eine Rollenabgrenzung zwischen Angehörigen des Herkunftssystems und<br />
den Pflegeeltern nicht stattfindet oder problematisch verläuft oder<br />
nicht aufgelöste Familienkonflikte bestehen und starke Differenzen auslösen.<br />
Sonderpädagogische Vollzeitpflege: In sonderpädagogischen Pflegeverhältnissen<br />
werden Kinder und Jugendliche mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen<br />
und Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen betreut. Diese<br />
Pflegeform stellt besonders hohe Ansprüche an die Pflegefamilien. Besuchskontakte<br />
werden in der Regel von der zuständigen Fachkraft der Sparte sonderpädagogische<br />
Vollzeitpflege oder deren Vertretung begleitet.<br />
Für schwer traumatisierte und/oder misshandelte/missbrauchte Kinder und Jugendliche<br />
muss unter besonderer Berücksichtigung des Schutzaspektes die Vertretbarkeit<br />
von Besuchskontakten abgeklärt werden. Dieses erfolgt in der Regel auf<br />
der Grundlage einer psychologischen Begutachtung. Sind die Voraussetzungen für<br />
Besuchskontakte erfüllt, erfolgt die Beratung und Unterstützung:<br />
zur Vorbereitung von leiblichen Eltern, Geschwisterkindern und<br />
Pflegekindern auf die Umgangskontakte,<br />
durch die Begleitung der Besuchskontakte;<br />
in der Reflexion des Verlaufes der Besuchskontakte und Überprüfung der<br />
getroffenen Vereinbarungen.<br />
Übergangspflege: Bei Kindern, die im Rahmen einer Inobhutnahme in einer Übergangspflegestelle<br />
leben, ist noch nicht geklärt, ob sie zu ihren Eltern zurückkehren<br />
können. Es soll deshalb grundsätzlich ein enger Kontakt zwischen Eltern und Kindern<br />
ermöglicht werden. Die Besuchskontakte werden von den Übergangspflegeeltern<br />
begleitet und finden bis zu zwei Mal in der Woche statt. Für die Besuche wird<br />
ein neutraler, dem Alter des Kindes entsprechender Ort gewählt. Je nach Absprache<br />
mit dem Amt für Soziale Dienste Bremen begleitet auch eine Fachkraft aus dem<br />
Bereich Übergangspflege die Kontakte – oder sie finden im Rahmen eines Familiencafés<br />
statt (siehe auch Punkt B.5.2, Unterstützte Besuchskontakte).<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 15
Befristete Vollzeitpflege: Kinder, die in befristeter Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie<br />
untergebracht sind, verbringen dort in der Regel fünf Tage in der Woche und sind<br />
am Wochenende zuhause bei ihren Eltern. Eine fachliche <strong>Konzeption</strong> „Befristete<br />
Vollzeitpflege“ beschreibt diese Pflegeform und die damit verbundenen, besonderen<br />
Besuchsregelungen. Sie werden hier daher nicht näher erörtert.<br />
5.12 Ablauf von Besuchskontakten<br />
Hilfeplangespräch<br />
vorläufige Regelung zu den<br />
Besuchskontakten<br />
Vorbereitung der Besuchskontakte mit<br />
Eltern und <strong>Elternberatung</strong> sowie Pflegeeltern und deren<br />
Fachberatung Schriftliche Vereinbarung<br />
Die ersten vier Besuchskontakte<br />
Begleitung durch Fachberatung<br />
Auswertungsgespräch<br />
Unbegleitete Besuchskontakte<br />
Unterstützte Besuchskontakte<br />
mit<br />
Eltern und Kind<br />
mit Eltern,<br />
Kind und<br />
Pflegeeltern<br />
mit 1:1-<br />
Begleitung<br />
durch die<br />
<strong>Elternberatung</strong><br />
im Familiencafé<br />
mit anwesender<br />
<strong>Elternberatung</strong><br />
Rückmeldung der Pflegeeltern an<br />
ihre Fachberatung<br />
Rückmeldung der <strong>Elternberatung</strong><br />
an die Fachberatung der<br />
Pflegeeltern<br />
Auswertungsgespräche mit allen Beteiligten im individuell<br />
vereinbarten Zeitraum (3 bis 6 Monate)<br />
Bei Bedarf<br />
Vereinbarung neuer Regelungen<br />
Dieser Ablauf gilt nicht für geschützte Besuchskontakte.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 16
6. Biografiearbeit mit Pflegekindern<br />
Die Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin und zu wem gehöre ich? stellen<br />
sich Menschen von Kindheit an. Das Interesse, die eigene Familiengeschichte zu<br />
kennen und das Bedürfnis, stimmige Antworten auf die eigenen Fragen zu bekommen,<br />
steht in enger Verbindung mit dem Ringen um die Entwicklung einer nach<br />
außen und innen stimmigen Ich-Identität. Dieses Thema ist von so existenzieller Bedeutung,<br />
dass ihm in der UN-Kinderrechtskonvention der Artikel 8 (Identität) gewidmet<br />
wurde: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten,<br />
seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner<br />
gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.“<br />
Die Bundesrepublik Deutschland erkennt die UN-Kinderrechtskonvention seit 1992<br />
an und verpflichtet sich damit auch, Schutz und Beistand zu gewährleisten, wenn<br />
diese Rechte nicht gewährleistet werden.<br />
Die an <strong>PiB</strong> delegierte Aufgabe, den Schutz und das sichere Aufwachsen von Pflegekindern<br />
zu gewährleisten, enthält also zugleich den Auftrag, ein Angebot zu entwickeln,<br />
das Pflegekinder bei der Suche nach ihren biografischen Wurzeln und bei der<br />
damit verbundenen Identitätssicherung und -entwicklung unterstützt.<br />
Dies geschieht bei <strong>PiB</strong> – Pflegekinder in Bremen in verschiedenen Beratungssituationen,<br />
durch Angebote der <strong>PiB</strong>-Pflegeelternschule und im Rahmen der Gruppenarbeit<br />
mit Pflegekindern und der Elternarbeit. Biografiearbeit bezeichnet dabei einen systematischen<br />
Prozess, der den Alltag von Pflegekindern mit strukturierten Methoden<br />
begleitet, um ihnen Zugang zu einer eigenen Familiengeschichte zu gewähren.<br />
6.1 Die Ausgangssituation<br />
Wenn Kinder bei ihren leiblichen Eltern oder einem Elternteil aufwachsen, finden<br />
sie im Alltag viele Antworten auf alltägliche Fragen wie: Wem sehe ich ähnlich?<br />
Wie war das mit meiner Geburt? Wie war ich als Baby und kleines Kind? Wie haben<br />
sich meine Eltern kennengelernt? Wer gehört zu unseren Verwandten? Welche<br />
Denk- und Verhaltensweisen sind typisch für unsere Familie?<br />
Im täglichen Erleben und in vielen Alltagsgesprächen bekommen Kinder die Möglichkeit,<br />
sich zu identifizieren, über Vertrautheit und Wiederholung Zugehörigkeit,<br />
Geborgenheit und Sicherheit zu erleben, um sich während der Pubertät abgrenzen<br />
und loslösen zu können, wenn der Wunsch nach Ähnlichkeit und Identifikation<br />
abnimmt, während die Suche nach dem Eigenen, dem Ganz-anders-sein einsetzt.<br />
Ein Zeitraum, der geprägt ist von einer Auseinandersetzung, die oft in direkter Konfrontation<br />
mit der eigenen Familie und Familiengeschichte verläuft. Sie braucht ein<br />
persönliches Gegenüber.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 17
Kinder, die in Pflegefamilien aufwachsen, stehen vor grundsätzlich anderen Bedingungen.<br />
Oft gibt es nur wenige Informationen über ihre Familiengeschichte,<br />
ihre frühe Kindheit und über die Gründe, die zur Herausnahme aus der Familie<br />
geführt haben. Manchmal gibt es niemanden mehr, den sie fragen könnten. Auch<br />
wenn ein Kind in seiner Pflegefamilie feste neue Bindungen entwickelt, bestehen<br />
die Fragen nach den familiären Wurzeln und der vollständigen Lebensgeschichte.<br />
Für die Entwicklung einer konsistenten Ich-Identität sowie eines gesunden Selbstwertgefühls<br />
ist es von unschätzbarem Vorteil, sich ein realistisches Bild von der<br />
Vergangenheit und von biografischen Zusammenhängen machen zu können. Die<br />
Erfahrung zeigt, dass Menschen dazu neigen, Lücken bzw. Nichtnachvollziehbares<br />
durch eigene Konstruktionen zu ergänzen, damit ein sinnvolles Bild entstehen<br />
kann. Bei Pflegekindern besteht die Gefahr, dass sie mit solchen Konstruktionen<br />
Entweder-oder-Kategorien schaffen, nach denen die eigenen Eltern entweder glorifiziert<br />
oder negativ eingeschätzt werden. Letzteres geht oft damit einher, sich selber<br />
– als Teil der Eltern – massiv abzuwerten. Eine Annäherung an die Realitäten, die<br />
Entdeckung von schönen und positiven Aspekten, aber auch die Begegnung mit<br />
schmerzhaften Erfahrungen, hilft Kindern und Jugendlichen, sowohl ihren Wunsch<br />
nach innerer Loyalität zum Herkunftssystem wahren zu können, als auch sich<br />
abgrenzen zu lernen von Verhaltensweisen, die als destruktiv und Schmerz verursachend<br />
erkannt wurden.<br />
Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Pflegeeltern, die ihnen anvertrauten<br />
Kinder im Prozess der Suche, der Identitätsentwicklung und in der damit verbundenen<br />
emotionalen Auseinandersetzung positiv und altersgemäß zu unterstützen.<br />
6.2 Rekonstruktion von Daten und Fakten<br />
Wenn wenige Fakten über das Pflegekind bekannt sind, kann Biografiearbeit verschiedene<br />
Informationsquellen nutzen, um diese Lücken kleiner werden zu lassen.<br />
Ansprechpartner werden in erster Linie die Eltern und Verwandten des Kindes<br />
oder das Jugendamt sein. Vorhandene Informationen können genutzt werden, um<br />
die Lücken mit aktuellen Bildern zu füllen: Man kann z. B. mit dem Kind die Klinik<br />
anschauen, in der es geboren wurde, frühere Wohnorte und Spielplätze besuchen,<br />
Fotos betrachten und über Ähnlichkeiten und Unterschiede sprechen.<br />
6.3 Rekonstruktion von narrativ Erlebtem<br />
Biografiearbeit bedeutet, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu<br />
bauen, um die Möglichkeiten der Zukunft auf eine solide Grundlage zu stellen. Jenseits<br />
belegbarer Fakten geht es dabei um mehr als um die Frage, wie sich Ereignisse<br />
genau abgespielt haben. Forschungsergebnisse belegen inzwischen, dass Wahrnehmung<br />
die Wirklichkeit nicht eins zu eins abbildet. Was wir sehen, hören und<br />
fühlen, unterliegt einem hoch komplexen Prozess von Selektion. Zugleich werden<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 18
unterschiedliche Eindrücke zu einem sinnvoll erscheinenden Gesamtbild verknüpft.<br />
Noch stärker gilt dies für das menschliche Erinnerungsvermögen. Der Neurobiologe<br />
Wolf Singer spricht von „datengestützten Erfindungen“ und meint damit, dass<br />
Menschen auf der Grundlage einiger Fakten Geschichten konstruieren, die in erster<br />
Linie eine Stimmigkeit mit der Sicht auf uns selbst und unser Erleben aufweisen müssen.<br />
Erinnern wird als dynamischer Prozess beschrieben, denn an jede abgerufene<br />
Erinnerung heften sich die Eindrücke und Emotionen der jeweils aktuellen Situation,<br />
die bei einer erneuten Aktivierung des Vergangenen dann unbewusst Einfluss<br />
nehmen auf das neue Erinnerungsbild. Der Versuch herauszufinden, wie etwas<br />
„wirklich“ gewesen ist, kann deshalb selbst bei guter Datenlage nicht vollständig<br />
gelingen. Für die erfolgreiche Gestaltung der eigenen Zukunft sind Fakten aber nur<br />
begrenzt erforderlich – vielmehr ist die Grundhaltung wesentlich, mit der Menschen<br />
sich selber sehen und über sich berichten. Agieren sie als Handelnde, die etwas<br />
beeinflussen können? Erleben sie die Welt als bedrohlich oder beeinflussbar? Gehen<br />
sie davon aus, dass sich schwierige Situationen zum Positiven wenden lassen?<br />
Die Resilienzforschung weist darauf hin, dass es trotz schwerer biografischer Brüche<br />
und traumatisierender Ereignisse möglich ist, ein ausgeprägtes Kohärenzgefühlt zu<br />
entwickeln: Manche Menschen können eine konstruktive Sinnorientierung erleben,<br />
sind mit einer optimistischen Grundhaltung dem Leben gegenüber ausgestattet und<br />
trotz schwieriger Bedingungen in der Lage, sich lösungsorientiert zu verhalten. Als<br />
entscheidende Ressourcen nennt der Medizinsoziologe Aaron Antonowsky<br />
Verstehbarkeit (die Umwelt wird als strukturiert und erklärbar erlebt)<br />
Handhabbarkeit (die Erfahrung, dass Anforderungen aus eigener Kraft oder<br />
mit fremder Hilfe zu bewältigen sind)<br />
Bedeutsamkeit (die Erfahrung, mit Anstrengung und Engagement<br />
Wirkungen zu erzielen).<br />
Biografiearbeit eröffnet die Möglichkeit, diese Ressourcen dauerhaft zu fördern und<br />
zu stärken. Pflegeeltern übernehmen an dieser Stelle viel Verantwortung. Für das<br />
Pflegekind ist es von großer Bedeutung, mit welcher Haltung und mit welchen Gefühlen<br />
die Pflegeeltern sich seiner Familienbiografie nähern. Sie sollten in der Lage<br />
sein, einen differenzierten Blick einzunehmen und dem Kind einen sicheren Halt<br />
bei der Rückeroberung seiner Lebensgeschichte zu geben. Folgendes kann dabei<br />
unterstützen:<br />
Offenheit und Akzeptanz gegenüber dem Wunsch des Kindes, sich mit der<br />
Herkunftsfamilie zu beschäftigen,<br />
Die Fähigkeit, mit ambivalenten Gefühlen des Kindes angemessen<br />
umzugehen und ein „Sowohl-als-auch“ zu ermöglichen,<br />
Offenheit dafür, dass im Leben des Pflegekindes nicht alles negativ war,<br />
auch wenn die Eltern entscheidende Bedürfnisse nicht erfüllen konnten,<br />
Begründungen für das Geschehene finden, die dem Kind Raum für schmerzhafte<br />
Gefühle geben, die seine Familie aber dennoch nicht verurteilen,<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 19
Das Kind entlasten, wenn es Schuld oder Verantwortung für die Ereignisse<br />
der Vergangenheit übernehmen will,<br />
Das Kind vor pessimistischer Identifikation schützen („Wie soll bei dem Vater<br />
was aus mir werden?“), indem sie aufzeigen, dass es über andere<br />
Ausgangsvoraussetzungen verfügt als seine Eltern,<br />
Mit dem Kind über die Besonderheit sprechen, die darin liegt, dass es zwei<br />
Familien hat und mit ihm Sinnhaftigkeit und Chancen erforschen.<br />
Ziel einer solchen Biografiearbeit ist nicht die lückenlose Rekonstruktion der Lebensgeschichte,<br />
sondern die Unterstützung des Kindes, immer wieder neu und altersangemessen<br />
seine ganz individuelle Geschichte zu beschreiben, um mit einer kongruenten<br />
Sicht von sich selbst und seinen biografischen Wurzeln aktiv seine Zukunft<br />
gestalten zu können.<br />
6.4 Methoden der Biografiearbeit<br />
Das Erinnerungsbuch: Alle Pflegefamilien erhalten zu Beginn eines Pflegeverhältnisses<br />
das sogenannte Erinnerungsbuch. Es handelt sich dabei um einen speziell<br />
für diesen Bedarf gestalteten Ordner, der bereits einiges Material enthält, um Anregungen<br />
zur Biografiearbeit zu geben. Andererseits bietet er Möglichkeiten zur freien<br />
Gestaltung, so dass Formen und Inhalte dem Alter des Kindes entsprechen. Im Erinnerungsbuch<br />
werden wichtige Daten, Ereignisse, Übergänge und Veränderungen<br />
benannt und beschrieben. Im Erinnerungsbuch können Zeitlinien aufgezeichnet<br />
und Stammbäume entwickelt werden, Collagen gebastelt oder mit Symbolen, Fotos<br />
und Zeichnungen Beziehungen visualisiert werden. Rituale, Anekdoten, Lieblingsbücher<br />
oder -filme können Erwähnung finden. Der Ordner ist Eigentum des Kindes.<br />
Eintragungen sollten deshalb auch nur mit seinem Einverständnis erfolgen. Um Verlusten<br />
vorzubeugen, sollten von wichtigen Dokumenten oder Fotos Kopien erstellt<br />
werden.<br />
Selbstverständlich geht es im Erinnerungsbuch nicht nur um die Ereignisse mit der<br />
leiblichen Familie des Pflegekindes. Die Besonderheit für das Kind liegt ja gerade<br />
darin, sich zwei Familien zugehörig zu fühlen. In der Biografiearbeit bekommt<br />
beides seinen Raum. Besonders die visuelle Darstellung dessen, was das Kind fühlt,<br />
kann ihm helfen, Akzeptanz und auch eine gewisse Selbstverständlichkeit im Umgang<br />
mit besonderen Situation zu finden 1 .<br />
Bei allen Methoden der Biografiearbeit sind die individuellen Bedingungen des Kindes<br />
zu berücksichtigen. Dazu gehören<br />
Das Alter des Kindes: Biografiearbeit beginnt bereits im Säuglingsalter. Hier<br />
vor allem in der Weise, wie über seine Eltern und seine Vergangenheit<br />
gesprochen wird bzw. in der Gestaltung der realen Kontakte. Biografie-<br />
1 Das Erinnerungsbuch wurde vom Kompetenz-Zentrum Pflegekinder e. V. entwickelt und kann über die folgende Adresse<br />
gegen eine Gebühr bezogen werden: http://www.kompetenzzentrum-pflegekinder.de/publikationen/das-erinnerungsbuchfuer-pflegekinder/<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 20
arbeit sollte nicht zu spät begonnen werden, da mit Beginn der Pubertät<br />
oft der Wunsch nach Abgrenzung oder aber der Versuch einer Idealisierung<br />
einer konstruktiven Arbeit im Weg stehen können.<br />
Wünsche und Bedürfnisse des Kindes: Biografiearbeit braucht in ihrer<br />
expliziten Form das Einverständnis der Kinder. Aber auch wenn Kinder sich<br />
(zeitweise) weigern, über ihre Vergangenheit und ihre Familie sprechen zu<br />
wollen, sollten Pflegeeltern hin und wieder Angebote machen bzw. Unterlagen,<br />
Fotos und ähnliches für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren,<br />
damit sich das Kind neu entscheiden kann.<br />
Kontakte: Die Form und Intensität der Biografiearbeit, die Pflegeeltern<br />
leisten, hängt auch von der Häufigkeit und Qualität der Kontakte des<br />
Kindes zu seinen Eltern bzw. einem Elternteil ab. Je besser und kontinuierlicher<br />
die Kontakte zur leiblichen Familie des Kindes sind, umso eher können<br />
Eltern selber Anteile der biografischen Arbeit übernehmen. Für das<br />
Kind ist es dabei wichtig, dass die verbalen und nonverbalen Informationen<br />
von Eltern und Pflegeeltern nicht zu sehr auseinanderklaffen. Wenn die<br />
Diskrepanz zu groß wird, unterstützt <strong>PiB</strong> die erwachsenen Beteiligten<br />
darin, Sprachregelungen zu finden, die das Kind vor belastenden inneren<br />
Konflikten schützt.<br />
Stabile Beziehungen: Wenn Kinder anfangen sich mit ihrer Geschichte<br />
auseinanderzusetzen, brauchen sie einen stabilen, Sicherheit gebenden<br />
Rahmen. Biografiearbeit sollte nicht begonnen oder intensiviert werden,<br />
wenn sich das Kind in einer akuten Krise befindet.<br />
6.4.1 Einbeziehung der Eltern<br />
Für ein Kind ist es von großer Bedeutung, wie es seine Eltern erlebt und in welcher<br />
Weise über die gemeinsame Familienbiografie gesprochen wird. Die <strong>PiB</strong>-<strong>Elternberatung</strong><br />
unterstützt Eltern darin, sich mit ihrer eigenen Biografie auseinanderzusetzen.<br />
Dies soll es Eltern leichter machen, auch mit ihren Kindern über die Familiengeschichte<br />
zu sprechen. Eltern werden angeleitet auch Besuchskontakte zu nutzen,<br />
um mit ihren Kindern anhand von Geschichten, Fotos oder anderen Dokumenten<br />
ein Bild der gemeinsamen familiären Wurzeln entstehen zu lassen.<br />
6.4.2 Einbeziehung der Pflegeeltern<br />
Pflegeeltern werden durch die Pflegeelternschule während der Qualifizierungsphase<br />
auf das biografische Arbeiten vorbereitet. Die Veranstaltungen leitet eine Diplom-<br />
Psychologin mit familientherapeutischem Hintergrund. Inhalte sind u. a.:<br />
Bedeutung von Bindung und Zugehörigkeit<br />
Auseinandersetzung mit der eigenen Familienbiografie<br />
Bedeutung des Aufwachsens in einem erweiterten Familiensystem<br />
Anleitung zur Arbeit mit dem Erinnerungsbuch<br />
Unterscheidung zwischen formeller und informeller Biografiearbeit<br />
verschiedene Methoden von Biografiearbeit.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 21
6.4.3 Unterstützung durch die Fachberatung<br />
Die Fachkraft, die das Pflegeverhältnis begleitet, unterstützt die Pflegefamilie auch<br />
bei der Biografiearbeit, indem sie Anregungen für die Nutzung des Erinnerungsbuches<br />
gibt oder mit dem Pflegekind darin arbeitet. Zu Beginn des Pflegeverhältnisses<br />
– und auch beim Abschied – erhält das Pflegekind einen persönlichen Brief mit<br />
einem Foto dieser Fachkraft.<br />
7. Qualitätssicherung<br />
7.1 Qualitätssicherung durch personelle Eignung und Maßnahmen<br />
Die Einstellungsvoraussetzung von Beratungsfachkräften bei <strong>PiB</strong> ist in der Regel ein<br />
(Fach-) Hochschulabschluss (Bachelor, Diplom, Master) in den Fächern Sozialpädagogik/Sozialarbeit,<br />
Pädagogik oder Psychologie sowie (a) eine zusätzliche Beratungsausbildung,<br />
die für die Arbeit mit Familiensystemen qualifiziert und (b) Berufserfahrung<br />
im Bereich der erzieherischen Hilfen.<br />
Während der Tätigkeit für <strong>PiB</strong> gemeinnützige GmbH ist die Teilnahme an Fort- und<br />
Weiterbildungen verpflichtend. Dafür stellt der Arbeitgeber ein fortbildungbezogenes<br />
Budget zur Verfügung.<br />
7.2 Qualitätssicherung durch organisationsbezogene Maßnahmen<br />
Im Rahmen des organisationsbezogenen Qualitätsmanagements der <strong>PiB</strong> – Pflegekinder<br />
in Bremen gemeinnützige GmbH werden alle externen und internen Prozesse<br />
anhand der geltenden Qualitätskriterien fortlaufend überprüft. In Bezug auf die<br />
Leistung der Abteilung Vollzeitpflege erfolgt dies<br />
(a) extern durch eine regelmäßige Hilfeplanung und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen<br />
(Leistungsbeschreibungen) mit dem Amt für Soziale Dienste Bremen als<br />
Auftraggeber und<br />
(b) intern durch eigens durchgeführte Inhouse-Veranstaltungen, regelmäßige<br />
kollegiale Beratung/Fallbesprechung, Supervision, Mitarbeitergespräche, interne<br />
Fachberatung sowie eine Entwicklungsdokumentation und eine Dokumentation der<br />
Beratungskontakte zu Kindern, Eltern und Pflegeeltern sowie<br />
(c) intern durch Qualitätsmanagement-Instrumente wie regelmäßig durchzuführende<br />
interne Audits zu Verfahren und Strukturen.<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 22
Impressum<br />
<strong>PiB</strong> – Pflegekinder in Bremen gemeinnützige GmbH<br />
Bahnhofstraße 28 - 31 • 28195 Bremen<br />
Telefon: 0421/ 95 88 200 • Telefax: 0421/ 95 88 20 - 45<br />
E-Mail: info@pib-bremen.de • www.pib-bremen.de<br />
Gesellschafter:<br />
Caritasverband Bremen e. V.<br />
Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Bremen e. V.<br />
Diakonische Jugendhilfe Bremen gemeinnützige GmbH (jub)<br />
Verein Bremer Säuglingsheime (Hermann Hildebrand Haus)<br />
Geschäftsführerin:<br />
Monika Krumbholz<br />
Amtsgericht Bremen<br />
HBR 20483<br />
Steuer-Nr. 71-608/10739<br />
Spendenkonto:<br />
Sparkasse Bremen • BLZ 290 501 01 • Kto 164 4418<br />
Redaktion:<br />
<strong>PiB</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />
Stand:<br />
06.2013<br />
<strong>PiB</strong> <strong>Konzeption</strong> <strong>Elternberatung</strong> 23