Igor Strawinski: Le sacre du printemps - Thomas Buchholz - Komponist
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<strong>Igor</strong> Fjodorowitsch <strong>Strawinski</strong> (1882-1971)<br />
Игорь Фёдорович Стравинский<br />
<strong>Igor</strong> Stravinski (franz.) | <strong>Igor</strong> Stravinsky (engl.)<br />
russisch-französisch-US-amerikanischer <strong>Komponist</strong> und<br />
bedeutender Vertreter der musikalischen Avantgarde des<br />
beginnenden 20. Jahrhunderts<br />
Biografie<br />
1882 5. Juni (nach dem alten russischen Kalender, 17. Juni nach der neuen<br />
Zeitrechnung): <strong>Igor</strong> Feodorowitsch Strawinsky wird in Oranienbaum bei St.<br />
Petersburg als Sohn eines Bassisten der Kaiserlichen Oper geboren<br />
ab 1899 Studium der Rechtswissenschaften in St. Petersburg<br />
ab 1903 Beginn des Musikstudiums in St. Petersburg<br />
ab 1909 Mitarbeiter des russischen Balletts unter Sergej Diaghilev, für das er die<br />
Ballette "Der Feuervogel" (1910) und "Petruschka" (1911) schreibt<br />
1910-1914 Aufenthalt in der Schweiz.<br />
Nach der russischen Revolution kehrt er nicht mehr in seine Heimat zurück.<br />
1913 Die Uraufführung des Balletts "<strong>Le</strong> Sacre <strong>du</strong> Printemps" in Paris verursacht<br />
<strong>du</strong>rch den starken Rhythmus, der Melodie, Klangfarbe und Harmonie<br />
übertönt, einen der größten Theaterskandale dieses Jahrhunderts.<br />
1914 Komposition der Oper "Die Nachtigall" und der vier Lieder auf russische<br />
Volksliedertexte für eine Singstimme und acht Soloinstrumente unter dem<br />
Titel "Pribautki", in denen er vom großen Orchester abrückt und Jazz-<br />
Elemente einbindet.<br />
1920-1939 Strawinsky lebt in Frankreich; 1934 erhält er die französische Staatsbürgerschaft<br />
1920-1922 Die Uraufführungen des Balletts "Pulcinella" (1920) und der Opera buffa<br />
"Mavra" (1922) in Paris zeigen seine Hinwen<strong>du</strong>ng zum Neoklassizismus.<br />
1926 Komposition der Choroper "Oedipus Rex"<br />
1936 Vie"Komposition des Ballettes "Persephone" (1934), des Tanzspieles "Jeu<br />
de Cartes" (1937) und des Konzertes "Dumbarton Oaks" (1938)<br />
1939 Vorlesungsreihe "Poéthique musicale" an der Harvard Universität.
Nach der Besetzung Frankreichs läßt Strawinsky sich in den USA nieder<br />
und erhält 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft<br />
1951 Rückkehr nach Europa, um in Venedig die Uraufführung seiner Oper "The<br />
Rake's Progress" zu dirigieren.<br />
1957 <strong>Le</strong>itung der konzertanten Aufführung seines Balletts "Agon" bei den<br />
Donaueschinger Musiktagen.<br />
Auseinandersetzung mit der seriellen Musik<br />
1967 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität in New Jersey/USA<br />
Hauptwerke<br />
1971 6. April: <strong>Igor</strong> Strawinsky stirbt in New York und wird auf der Toteninsel<br />
San Michele bei Venedig beigesetzt<br />
Opern und Bühnenwerke<br />
• <strong>Le</strong> Rossignol (Die Nachtigall) (1914)<br />
• Histoire <strong>du</strong> Soldat (Die Geschichte vom Soldaten) (1918)<br />
• Oedipus Rex (1927/1948)<br />
• The Rake's Progress (1951)<br />
• <strong>Le</strong> Renard (Reinecke Fuchs) (1915)<br />
• Perséphone (Tanzmelodram in 3 Teilen)<br />
Ballette<br />
• L'Oiseau de feu (Der Feuervogel) (1910)<br />
• Petrouchka (1911/revidiert 1946)<br />
• <strong>Le</strong> <strong>sacre</strong> <strong>du</strong> <strong>printemps</strong> (Die Frühlingsweihe) (1913/revidiert 1922/1943)<br />
• Pulcinella (1920)<br />
• Jeu de cartes (Das Kartenspiel) (1936)<br />
Vokalwerke<br />
• Psalmensinfonie für Chor und Orchester (1930/1949)<br />
• Mass für Chor und Orchester (UA 1948)<br />
Orchesterwerke<br />
1. Sinfonie Es-Dur op. 1 (1905-07)<br />
2. Konzert für Violine und Orchester in D (Concerto en ré pour violon et orchestre, 1931)<br />
3. Konzert in Es für Kammerorchester „Dumbarton Oaks“ (1937/38)<br />
4. Sinfonie in C (1939/40)<br />
5. Sinfonie in 3 Sätzen (1942-45)<br />
6. Ebony Concerto (1946)<br />
Klavierwerke<br />
• Sonate pour piano (1924)<br />
• Piano-Rag-Musik (1919)
<strong>Le</strong> <strong>sacre</strong> <strong>du</strong> <strong>printemps</strong>.<br />
Tableaux de la Russie païenne en deux parties<br />
Die Frühlingsweihe. Bilder aus dem heidnischen Russland in zwei Teilen; häufig auch Das<br />
Frühlingsopfer, wie man den Titel verdeutscht, ist eine Ballettmusik für großes Orchester.<br />
<strong>Strawinski</strong> komponierte diese, seine dritte Ballettmusik im Jahr 1913 für die „Ballets Russes“<br />
von dem berühmten Balletmeister Dergei Djagilew. Aufgrund seiner außergewöhnlichen<br />
rhythmischen und klanglichen Strukturen zählt <strong>Le</strong> <strong>sacre</strong> <strong>du</strong> pritemps zu den Schlüsselwerken<br />
der Musik des 20. Jahrhunderts.<br />
Handlung:<br />
Das Ballett stellt nicht im üblichen Sinne eine Geschichte dar, sondern beschreibt ein<br />
Frühlingsopfer im heidnischen Russland. In dessen Verlauf wird eine auserwählte Jungfrau in<br />
einem Ritual dem Frühlingsgott zur Versöhnung geopfert.<br />
Das Ballett teilt sich in zwei Teile:<br />
Im ersten Teil, der „Anbetung der Erde“, wird das rituelle Opfer vorbereitet: Verschiedene<br />
Stämme kommen zusammen und vollziehen einen Verlauf von Handlungen nach, die nahtlos<br />
ineinandergreifen. Das eigentliche Opfermotiv ist in diesem ersten Teil noch ausgespart,<br />
stattdessen werden die rivalisierenden (Kampf-)Spiele zwischen den Stämmen und<br />
Geschlechtern dargestellt.<br />
Erst im zweiten Teil, überschrieben mit „Das Opfer“, wird der Blick auf das Schicksal einer<br />
einzelnen, auserwählten Jungfrau fokussiert, die sich nach einem ausgedehnten<br />
Verherrlichungs- und Ahnenritual zu Tode tanzt.<br />
<strong>Strawinski</strong> selbst dazu:<br />
„Im ‚Sacre <strong>du</strong> Printemps‘ wollte ich die leuchtende Auferstehung der Natur schildern, die zu<br />
neuem <strong>Le</strong>ben erweckt wird […] , die Auferstehung der ganzen Welt.“<br />
Musikalische Besonderheiten<br />
‣ Rhytmische Strukturen / Gliederungen. Hier: Fagottsolo am Beginn des Werkes: Sofort<br />
fällt die rhythmische Gliederung nicht auf, aber die Analyse entschlüsselt die Struktur.<br />
‣ Metrische Gliederungen. Hier: Anfang des zweiten Satzes: Die Proportionen der<br />
metrischen Akzente notiert <strong>Strawinski</strong> nicht <strong>du</strong>rch Taktwechsel, sondern <strong>du</strong>rch<br />
Akzentzeichen (>). Das macht es für die Musiker einfacher. Die Position der Akzente<br />
lässt eine gute Strukturierung erkennen.
Drei Gruppen a 2 Akzente:<br />
1. Gruppe 2 Akzente gegen das Metrum, ohne Zäsur<br />
2. Gruppe 1. Akzent gegen das Metrum – 2. Akzent auf das Metrum, mit Zäsur<br />
3. Gruppe 1. Akzent auf das Metrum – 2. Akzent gegen das Metrum, mit Zäsur<br />
Die tänzerische, archaisch anmutende <strong>Le</strong>bendigkeit entsteht <strong>du</strong>rch die strukturierte Art der<br />
metrischen Wechsel. Wären die Gruppen identisch gebaut, wäre es nicht <strong>Strawinski</strong>s Idee!<br />
‣ Die kraftvollen Akkordblöcke der Streicher sind ebenfalls ein Kompositorisches Element<br />
dieser Ballettmusik. Weiterhin trifft man polytonale Strukturen, also Strukturen, bei denen<br />
die Partien der einzelnen Instrumente nicht in der gleichen Tonart notiert sind.<br />
Der Skandal<br />
„ Ich denke, das ganze Ding wurde von vier Idioten gemacht: Erstens von Herrn Stravinsky,<br />
der die Musik schrieb. Zweitens von Herrn Roerich, der Bühnenbild und Kostüme kreierte.<br />
Drittens von Herrn Nijinsky, der die Tänze komponiert hat. Und viertens von Herrn<br />
Diaghilev, der Geld dafür verschwendete.“ ENRICO CECCHETTI ( BALLETTMEISTER)<br />
Die Uraufführung fand am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées in Paris statt.<br />
Während Djagilew sich wohl insgeheim einen Theaterskandal erhoffte, rechneten die<br />
Mitwirkenden, <strong>Strawinski</strong> eingeschlossen, offenbar nicht damit. Bereits vom ersten Ton des<br />
für damalige Verhältnisse extrem hohen Fagottsolos an war Gelächter zu hören, das dann in<br />
Tumult überging. Es war der stoischen Ruhe des Dirigenten Pierre Monteux zu verdanken,<br />
dass die Aufführung überhaupt zu Ende gespielt werden konnte. Auch wenn der Skandal<br />
<strong>Strawinski</strong> endgültig zur Berühmtheit machte, verletzte ihn die Reaktion sehr, und er gab<br />
nicht zuletzt Vaslav Nijinsky die Schuld, der in seinen Augen den Sacre choreografisch nicht<br />
bewältigte. Der große Erfolg, den das Werk dann in der konzertanten Aufführung ebenfalls<br />
unter Pierre Monteux 1914 hatte, scheint <strong>Strawinski</strong> auch recht zu geben, wobei sich<br />
allerdings die Einstellung des Publikums zu den musikalischen Besonderheiten schon da<strong>du</strong>rch<br />
geändert haben mag, dass es darauf gefasst war.<br />
© 2008 Prof. <strong>Thomas</strong> <strong>Buchholz</strong>, Hochschule f. Musik und Theater <strong>Le</strong>ipzig