Glasbruch von Gyde Lemke, Husum Ich war gerade ... - Polizei-Poeten
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<strong>Glasbruch</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Gyde</strong> <strong>Lemke</strong>, <strong>Husum</strong><br />
<strong>Ich</strong> <strong>war</strong> <strong>gerade</strong> mit der Ausbildung fertig, ungefähr ein halbes Jahr Erfahrung hatte ich<br />
bereits auf der Straße. Auf der Wache in meiner Schicht fühlte ich mich wohl. <strong>Ich</strong> dachte<br />
sogar, ich gehöre schon zu denjenigen, die sich auskennen, schließlich <strong>war</strong> ich nun eine<br />
"fertige" Polizistin, weit weg <strong>von</strong> der Ausbildung in Eutin.<br />
Nachtschicht, es ist dunkel und ungemütlich draußen. Mehrere Kollegen werden zu<br />
einer Schlägerei geschickt, die ca. 20 km <strong>von</strong> unserer Dienststelle entfernt stattfindet.<br />
<strong>Ich</strong> bin allein mit meinem Dienstgruppenleiter in dieser ansonsten einsatztechnisch<br />
ruhigen Nacht. So habe ich erst einmal keinen Streifenpartner zur Seite und beschäftige<br />
mich mit dem PC. Der Dienstgruppenleiter ist unter anderem damit betraut, die Notrufe<br />
anzunehmen, da diese damals noch über 110 direkt auf der Wache aufliefen und nicht<br />
über die Leitstelle geschaltet <strong>war</strong>en.<br />
Irgendwann, vielleicht gegen 02.00 oder 03.00 Uhr klingelt der Notruf. Als mein<br />
Vorgesetzter das Gespräch beendet hat sagt er zu mir: "Da hat jemand im Hinterhof<br />
etwas klirren gehört und macht sich nun Sorgen. Das Geräusch ist nur einmal<br />
vorgekommen. Wahrscheinlich ist irgendwo etwas umgefallen. Fahr doch mal eben hin<br />
und schau nach. Das wird schon nichts sein."<br />
Da mir klar <strong>war</strong>, dass die anderen Kollegen noch in ihrem Einsatz gebunden <strong>war</strong>en und<br />
dass der Dienstgruppenleiter seinen Posten am Notruf nicht verlassen konnte, nahm ich<br />
meinen Auftrag relativ gelassen entgegen. <strong>Ich</strong> <strong>war</strong> sogar stolz, dass er mir zutraute,<br />
allein einen Einsatz fahren zu können. Wusste ich es doch, dass ich gut bin und mich<br />
auskenne!<br />
Schnell hatte ich den Einsatzort in der Innenstadt erreicht. Es <strong>war</strong> stürmisch und ich <strong>war</strong><br />
hoch motiviert. So verließ ich in aller Eile den Streifenwagen und lief auf den besagten<br />
Hinterhof. Ein wenig langsamer wurden meine Schritte nun doch - es <strong>war</strong> aber auch<br />
wirklich sehr finster hier, und so still und verlassen. Meine Taschenlampe leuchtete mir<br />
den Weg aus und da stand ich nun mitten in der Nacht allein auf diesem Platz. Aus<br />
einem Fenster im Dachgeschoss schaute plötzlich eine Frau heraus. Sie rief mir zu,<br />
dass sie angerufen habe und dass das Klirren aus Richtung der Gaststätte gekommen<br />
sei.<br />
Nun erkannte ich auch, dass es sich bei der einen Gebäudefassade um die Rückseite<br />
eines Restaurants handelte. Wahrscheinlich der Hintereingang. Nun gut, dachte ich,<br />
schau ich mir das mal näher an. Als ich nach und nach alle Fenster auf Beschädigungen<br />
prüfte, hatte ich bald die Ursache des Geräusches gefunden: Die Glasscheibe einer<br />
Hintereingangstür <strong>war</strong> eingeschlagen worden.<br />
Meine Erfahrung bis zu diesem Einsatz beschränkte sich auf diverse Einbrüche, bei<br />
denen die Täter jedoch jedes Mal bereits nicht mehr vor Ort <strong>war</strong>en. So hatte ich schon<br />
ein paar Anzeigen wegen Einbruchsdiebstahls geschrieben, auch Spuren gesichert -<br />
aber ohne je einen Täter erwischt zu haben. Im Gegenteil, die vorherigen Einbrüche<br />
<strong>war</strong>en meist erst Stunden oder Tage nach der Tat entdeckt und gemeldet worden.<br />
Trotz des zeitlichen Zusammenhangs <strong>war</strong> mir nicht gleich klar, dass sich in diesem Fall<br />
durchaus noch ein Täter im Objekt befinden könnte... so sah ich mir die<br />
Beschädigungen genauer an und überlegte, ob ich wohl einen Fotoapparat im<br />
Streifenwagen hätte. Dabei wanderte ich über den Hof, überdachte noch mal alles, was<br />
zu tun <strong>war</strong>. <strong>Ich</strong> wollte doch meinen ersten Alleineinsatz nicht vermasseln! <strong>Ich</strong> kannte
mich schließlich mit so was aus.<br />
Plötzlich nahm ich neben mir ein Geräusch wahr. <strong>Ich</strong> blickte zur beschädigten Tür. Dort<br />
<strong>war</strong> der Einbrecher <strong>gerade</strong> dabei mit einer Geldkassette in der Hand durch das kaputte<br />
Fenster wieder hinaus zu klettern! Einen Moment lang sahen wir uns beide an - ich<br />
schätze, wir beide hatten gleich viel Angst und Adrenalin im Körper, vor Schreck<br />
unfähig, etwas zu tun.<br />
Kurz darauf fingen wir beide gleichzeitig wieder an zu funktionieren.<br />
<strong>Ich</strong> machte einen Satz auf die Tür zu und schrie: "Stehen bleiben, <strong>Polizei</strong>", das<br />
Pfefferspray in der Hand.<br />
Er schmiss die Geldkassette weg und kletterte, bevor ich ihn erwischen konnte, wieder<br />
in das Gebäude hinein.<br />
Nun begriff ich, was hier los <strong>war</strong>. Oh nein, ein Täter am Werk, ich allein und keine<br />
Verstärkung in Sicht! Sollte ich hinterher? Wo <strong>war</strong> mein Funkgerät? Zunächst entschied<br />
ich mich, dass ich die Lage durchgeben musste. Das Funkgerät <strong>war</strong> wahrscheinlich im<br />
Wagen geblieben, so ein Mist. <strong>Ich</strong> schaute zum Dachfenster hoch - die Frau schaute<br />
immer noch heraus und <strong>war</strong> ganz aufgeregt, vielleicht fast so sehr wie ich. <strong>Ich</strong> schrie, sie<br />
solle mir ein Telefon herunter werfen. Das tat sie. <strong>Ich</strong> rief meinen Dienstgruppenleiter an<br />
und erzählte ihm, was passiert <strong>war</strong>.<br />
Zwischendurch immer meine Frage: "Kann ich hinterher? Soll ich reingehen? <strong>Ich</strong> muss<br />
doch auch da rein!"<br />
Die Antwort <strong>war</strong> eindeutig: "Du gehst nirgendwo hin, du bleibst genau dort stehen, bis<br />
Verstärkung da ist. Du gehst nicht alleine rein!".<br />
Also <strong>war</strong>tete ich allein im Dunkeln mit großer Enttäuschung im Bauch eine halbe<br />
Stunde, bis die Kollegen kamen. Immer in der Hoffnung, der Täter möge doch wieder<br />
versuchen, heraus zu kommen, dann würde ich ihn festnehmen. <strong>Ich</strong> könnte meine<br />
Fähigkeiten unter Beweis stellen, zeigen, dass ich mich immerhin ein bisschen<br />
auskenne? Doch es kam niemand heraus. Als die Verstärkung samt Diensthund da <strong>war</strong>,<br />
durchsuchten wir gemeinsam das große Gebäude. Hinter jeder Ecke er<strong>war</strong>tete ich ihn -<br />
in der Dunkelheit kauernd, vielleicht bewaffnet und zum Angriff bereit? Das Restaurant<br />
<strong>war</strong> <strong>von</strong> innen viel größer, als ich dachte. Es gab einen Tresenraum, eine Küche,<br />
mehrere Kühlräume, Toiletten, den Speisesaal,... an der Vorderseite des Hauses<br />
angekommen sahen wir, dass die Haupteingangstür Richtung Fußgängerzone offen<br />
stand: Der Dieb <strong>war</strong> durch diesen unbewachten Eingang geflohen.<br />
<strong>Ich</strong> <strong>war</strong> frustriert, weil ich ihn nicht erwischt hatte. Er <strong>war</strong> doch greifbar nahe gewesen.<br />
Dann aber mischten sich die Gefühle: <strong>Ich</strong> bekam Angst, dachte, was mir alles hätte<br />
passieren können. Wenn er mich angegriffen hätte, wenn es mehrere gewesen wären.<br />
Zum Schluss <strong>war</strong> ich froh, nicht hinterher gelaufen zu sein. In diesem finsteren Objekt<br />
hätte ich ihn allein weder finden können, noch hätte ich mich gegen Angriffe schützen<br />
können. Immerhin hatte er die Beute zurückgelassen, weil er sich so erschreckt hatte!<br />
Schade, dass ich keinen Kollegen dabei hatte. Dann hätten wir zumindest beide<br />
Ausgänge sichern können, bis Verstärkung da gewesen wäre.<br />
Inzwischen sehe ich die Flucht des Täters nicht mehr so dramatisch, allerdings werde<br />
ich aus Gründen der Eigensicherung nie wieder einen Einsatz allein fahren, auch nicht<br />
mit mehr Diensterfahrung und auch nicht wenn es heißt "das wird schon nichts sein".<br />
Denn in unserem Beruf, weiß man nie was einen er<strong>war</strong>tet. Egal, wie gut man sich<br />
auskennt.