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Tagungsbericht «Spezialfach für unlösbare Fälle - Praxis T-15

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Rückblick Verabschiedung Dr. Cahn<br />

Spezialfach<br />

für unlösbare Fälle<br />

«Was ist der Mensch?» lautete der Titel der Tagung am <strong>15</strong>. November 2007 zur Pensionierung von Theodor Cahn,<br />

der während 29 Jahre Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik (KPK) war. Das Spektrum der Tagung reichte vom<br />

sehr Persönlichen in der «zeitgeschichtlichen Erfahrung» über das philosophische Ergründen, das psychoanalytische<br />

Nachfragen bis hin zu den ökonomischen Aspekten in der Psychiatrie. Das war wohl von den Organisatoren so gewollt<br />

und entspricht sicher dem Denken von Theodor Cahn.<br />

Sein Referat «Psychiatrie und ihre Grenzen als meine zeitgeschichtliche<br />

Erfahrung» beginnt Cahn mit einer Fallvignette:<br />

«Ein psychotischer, älterer Patient soll ins Altersheim.<br />

Dieser Patient sträubt sich heftig in einer vernünftigen Argumenten<br />

unzugänglichen, wahnhaften Art. Dann bittet<br />

er um ein Gespräch mit dem Chefarzt. Ich gehe darauf<br />

ein, es gelingt jedoch auch mir nicht, in ein vernünftiges<br />

Gespräch mit dem Patienten zu kommen. Wissen Sie die<br />

Lösung?» Cahn fragt uns nach der Lösung. Schon sind wir<br />

als Zuhörer mittendrin in diesem Raum der Psychiatrie, in<br />

dem wir Lösungen suchen müssen, obwohl wir wissen,<br />

dass es oft keine gibt, und eben gerade darin der Patient<br />

als Subjekt begründet ist. Dass er selbst keine Lösung findet,<br />

hat ihn ja gerade zu uns gebracht, nicht weil wir die<br />

Lösung hätten, das erwartet höchstens die Aussenwelt und<br />

diese auch oft nur im Sinne von das Störende beseitigen.<br />

Nein, doch eher, weil wir dem Patienten genau in diesem<br />

Unklaren, Unsicheren, noch nicht Beantworteten zu begegnen<br />

bereit sind.<br />

Noch vorher schildert uns in seiner Begrüssung Dr. Emanuel<br />

Isler, Chefarzt KJPD, diesen Theodor Cahn als einen<br />

redlichen Intellektuellen (siehe auch Seite 11). Dr. Charles<br />

Battegay, stellvertretender Chefarzt, beschreibt den von<br />

Cahn gestalteten Raum der KPK als geprägt von Angstfreiheit,<br />

Respekt und Diskussionskultur, von Delegation der<br />

Macht und Verantwortung an die Peripherie. Er fordert<br />

die Mitarbeiter der Klinik für die Zukunft auf: «Seid unbequem,<br />

seid kritisch, seid loyal!»<br />

Von Cahn selbst hören wir, wie der Umbruch der 68er Jahre<br />

ihn mitprägte. Zusammen mit anderen suchte Cahn nach<br />

Möglichkeiten, die Kritik auch in ein Handeln umzusetzen.<br />

Sie besuchten Franco Basaglias Klinik in Gorizia. Cahn war<br />

beeindruckt von der Atmosphäre in Basaglias Klinik, welche<br />

vor allem vom Pflegepersonal in aktiver Weise gestaltet<br />

wurde. Eine Erfahrung, welche später unübersehbar die<br />

Reformanstrengungen in der KPK prägte. Aber noch vorher<br />

kamen die ersten Umsetzungserfahrungen in der Psychiatrischen<br />

Universitätsklinik in Basel, die noch unsicher<br />

tastend, vielleicht auch naiv in ein Scheitern mündeten.<br />

Dieses Scheitern aber führte bei Cahn nicht zur Abwendung<br />

von diesen Zielen, auch nicht von der Psychoanalyse,<br />

sondern eben zur Analyse der Ursachen dieses Scheiterns.<br />

Cahn folgerte: «1. Wir hatten zuwenig Kontakt zu der Basis,<br />

den einfachen Mitarbeitern. 2. Unsere Machtbasis war<br />

ungenügend. 3. In der Ausgrenzung, der Sondersituation<br />

als Freiraum liegt eine grosse Gefahr.» Cahn ging in die freie<br />

<strong>Praxis</strong>, blieb aber seinem Anspruch treu, Sozialpsychiatrie<br />

mit der Psychotherapie zu verbinden.<br />

An diesem Punkt, wo alles hätte anders weitergehen können,<br />

wenn nicht die politische Konstellation Cahn zur Bewerbung<br />

für die Stelle des Chefarztes der KPK verführt hätte,<br />

ein kleiner Exkurs in das Referat von Prof. Emil Angehrn<br />

mit dem Titel «Von der Fragwürdigkeit des Menschen».<br />

Er sieht die Frage nach dem «Was ist der Mensch?» als die<br />

zusammenfassende der vorangehenden drei Fragen Kants<br />

nach dem «Was kann ich wissen?», «Was darf ich hoffen?»<br />

13


Rückblick Verabschiedung Dr. Cahn<br />

und «Was soll ich tun?». Emil Angehrn versucht nun nicht,<br />

diese Fragen zu beantworten, sieht eher das fragwürdige<br />

dieses Unterfangens. Er kommt zum Schluss, der Mensch<br />

ist das Wesen, welches die Frage nach sich selbst stellt, sich<br />

mit sich selbst darüber verständigt.<br />

Als ein gelegentlich in der Philosophie Wildernder liess sich<br />

Cahn verführen, zum Glück. In dieser Pioniersituation gab<br />

es viel zu fragen, zu hoffen und zu tun. Es gab aber auch<br />

Gegenströmungen: die Restauration der konventionellen<br />

Psychiatrie zusammen mit einer operationalisierten, kriterienbasierten<br />

Diagnostik, unter Auslassung des subjektiven<br />

Erlebens, und schliesslich der machtvolle Einzug betriebswissenschaftlichen<br />

Denkens.<br />

Dem Ökonomischen geht Dr. Gerhard Ebner, Direktor der<br />

UPK Basel, nach. Er sieht uns in Zukunft eher noch mehr<br />

mit Zwängen konfrontiert, nicht mehr das Mögliche zu tun,<br />

sondern nur noch das Optimale und schlägt evidenzbasierte<br />

Prozessabläufe als Mittel der klinischen Arbeit vor.<br />

Demgegenüber sieht Dr. Hanspeter Wengle, Chefarzt der<br />

Psychiatrischen Klinik Wil, in den definierten Prozessabläufen<br />

die therapeutische Freiheit in Gefahr. Dr. Markus<br />

Huber, freipraktizierender Psychiater, plädiert für das Nicht-<br />

Wissenschaftliche, das Nicht-Wissen neben dem medizinischen<br />

Wissen.<br />

Theo Cahn waren ökonomische Überlegungen auch nicht<br />

fremd. Die Frage für ihn war wohl aber nicht, ob ökonomisches<br />

Denken und psychiatrische Versorgung sich unüberwindbar<br />

gegenüberstehen, sondern welche psychiatrische<br />

Versorgung mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen<br />

realisiert werden kann und soll. Aus dem Vollen konnte da<br />

nie geschöpft werden. Jedoch zeigt seine Arbeit in Liestal,<br />

dass gerade die Entwicklungen, wie Wengle sie aufzählt,<br />

eben nicht mit einem Beziehungs- und Identitätsverlust verbunden<br />

sein müssen, sondern in einer Kultur der Gemeinschaftlichkeit<br />

zur Qualität der Beziehungen und zu einer<br />

sicheren Identität beitragen können.<br />

Dem Negativen, dem Loch, dem Nichtgewussten nähert<br />

sich Dr. med. Raymond Borens, Psychoanalytiker in Basel<br />

mit der Frage: «Wer weiss eigentlich, der Patient oder der<br />

Psychiater?». Für Borens stellte Sigmund Freud nicht sein<br />

Wissen oder das der Medizin ins Zentrum, sondern richtete<br />

Fragen an den Patienten. Nicht dass der Patient wüsste,<br />

was ihm fehlt, das ist nicht gemeint, das Leiden liege im<br />

Nicht-Gewussten, in diesem Loch, das Freud das Unbewusste<br />

nannte.<br />

In den politisch ungemein wichtigen Folgeplanungen zum<br />

Psychiatriekonzept I und II ging es darum, die Fragen der Gegenwart<br />

zu klären, das Wissen zu vervollständigen und auch<br />

das Nicht-Wissen zu sichten, sowie Rahmenbedingungen für<br />

die handelnden Antworten der Zukunft abzustecken.<br />

Eine Zukunft, welche nun ohne die Anleitung und sachte<br />

Führung durch Theodor Cahn stattfinden wird. Das stimmt<br />

traurig, macht auch Angst. Uns wird fehlen – wie Wengle<br />

es treffend sagt –, dass Cahn lange nichts sagt, immer noch<br />

nichts sagt, bevor er dann etwas Glasklares, oft auch Humorvolles<br />

äussert. Dieses Nichts-Sagen als Raum des Denkens,<br />

des sich selbst Befragens, gab uns selbst ja auch Raum zu<br />

denken.<br />

Übrigens, Cahns Auflösung des therapeutischen Rätsels am<br />

Schluss seines Referats ist so einfach, wie herausfordernd:<br />

«Es gab keine Lösung für das therapeutische Problem mit<br />

dem psychotischen Patienten!» Das ist zu akzeptieren. Für<br />

Cahn ist die Psychiatrie eben das Spezialfach für unlösbare<br />

Probleme. Der Patient überraschte dann aber alle nach dem<br />

Gespräch mit seiner Eröffnung: «Ich werde ins Altersheim<br />

gehen und ich werde mich anständig benehmen!» Dass<br />

Theodor Cahn sich anständig benehmen wird, wissen wir,<br />

wir kennen nichts anderes von ihm. Wir hoffen aber, dass<br />

er uns in Zukunft als Berater und Experte auch im «Altersheim»<br />

noch etwas erhalten bleiben wird. ■<br />

Dr. Urs Argast, Psychiater Liestal<br />

Offizielle Feier zur Verabschiedung von Dr. med. Theodor Cahn,<br />

Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik,<br />

am 29. November 2007 im Schloss Ebenrain in Sissach.<br />

14<br />

Auf dem Bild sind zu sehen (von links nach rechts):<br />

Regierungsrat Peter Zwick, Vorsteher der Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion,<br />

Dr. med. Theodor Cahn, scheidender Chefarzt KPK, seine<br />

Ehefrau Annette Cahn, Rita Bachmann, Landrätin und ehemalige Präsidentin<br />

der Volkswirtschafts- und Gesundheitskommis sion, sowie Hans-<br />

Peter Ulmann, Direktor.

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