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07 <strong>extrem</strong>* / ausgabe frühjahr 2007 <strong>extrem</strong>e zustände<br />

gelernt, dass “die Rechten” mitunter<br />

eher bemitleidenswert als fürchtenswert<br />

sind; dass diese Leute, denen wir<br />

abends unsere Bänke am See, im Park,<br />

am Bahnhof überlassen, oft verzweifelt<br />

und perspektivlos sind; dass sie nicht<br />

wissen, wohin mit ihrer Wut oder auch<br />

einfach mit ihrer Dumpfheit.<br />

Vor drei Jahren, da war ich vierzehn,<br />

habe ich mal mit einem Mitglied<br />

des “Märkischen Heimatschutzes”<br />

diskutiert – vor drei Jahren, da habe<br />

ich mich so was noch getraut, heute<br />

wäre ich dafür viel zu paranoid. Er war<br />

jedenfalls aus der Bowlingbahn rausgeflogen,<br />

wir standen draußen, und<br />

da legte er mir sein simples ausländerfeindliches<br />

und rassistisches Weltbild<br />

dar. Irgendwann winkte er ab – ich sei<br />

für so was eh noch zu jung. Heute sehe<br />

ich ihn mit einem “Lonsdale gegen<br />

Rassismus”-T-Shirt rumlaufen.<br />

V<br />

erden ist eine schöne Stadt<br />

in der Nähe von Bremen mit<br />

30.000 Einwohnern. Ich lebe<br />

gerne hier, doch langsam frage ich<br />

mich, ob dies noch lange so bleiben<br />

wird. Vielleicht sollte ich von Anfang<br />

an erzählen. 2004 kaufte Jürgen Rieger,<br />

ein überregional bekannter Nazianwalt<br />

den “Heisenhof”, ein ehemaliges Bundeswehrgelände<br />

mit unterirdischem<br />

Schießstand. Mit diesem Kauf wurde<br />

einiges sichtbar, was bereits seit Jahren<br />

in Verden und Umgebung brodelte.<br />

Denn bereits seit Jahren waren Nazis<br />

hier auf der Suche nach neuen Mitgliedern.<br />

Und seit Jahren bauten sie neue<br />

Strukturen auf. Erst letzten Sommer<br />

konnten wir alle es beim Einkaufsbummel<br />

in der Fußgängerzone sehen.<br />

Als meine Eltern vor acht Jahren gesagt<br />

haben, wir ziehen nach Oranienburg,<br />

habe ich mich gefreut: Ich würde endlich<br />

eine Katze kriegen. Doch je älter<br />

ich wurde, desto besser verstand ich,<br />

dass das hier nicht irgendein Ort ist.<br />

Sondern die Stadt, deren Name in Israel<br />

in einen Gedenkstein für die jüdischen<br />

Opfer des Zweiten Weltkriegs geritzt<br />

ist. Unvorstellbar viele von ihnen sind<br />

hierher verschleppt worden, und sie<br />

sind vom Bahnhof aus den Adolf-Hitler-<br />

Damm entlang ins Konzentrationslager<br />

gelaufen, ganz dicht vorbei an dem<br />

Haus, in dem ich heute wohne. Jeder<br />

Oranienburger kennt die Geschichte,<br />

und jeder verarbeitet sie auf seine ganz<br />

persönliche Art, die Gedenkstätte<br />

Sachsenhausen erinnert ständig daran.<br />

Manchmal werde ich gefragt, warum<br />

es trotz dieser Vergangenheit hier so<br />

viele Rechte gibt. Ich weiß es nicht. Ich<br />

VERDEN IST EINE SCHÖNE STADT…<br />

…mit braunem Schönheitsfehler.<br />

Von Laura Martens*<br />

Die NPD hatte nämlich fast dreimal<br />

die Woche einen Infostand. Man muss<br />

bedenken, in Niedersachsen lief zu der<br />

Zeit Kommunalwahlkampf. Letzten<br />

Endes konnten die Nazis am 22. September<br />

in drei Parlamente im Landkreis<br />

einziehen. Unter anderem sitzen<br />

sie nun im Gemeinderat Dörverden,<br />

dort liegt der „Heisenhof“, im Stadtrat<br />

Verden und im Kreistag Verden – erschreckend!!!<br />

Einige machen darüber<br />

Witze: „Unser NPD-Mann sitzt ganz<br />

isoliert!“ Denn der Spitzenkandidat<br />

musste zunächst in den Knast. Aber<br />

viele Leute scheinen sich an so etwas<br />

nicht zu stören. Ich habe das Gefühl, es<br />

werden leider immer mehr und sie werden<br />

immer jünger. Viele aus meinem<br />

Bekanntenkreis und auch ich kennen<br />

Werben für ein ‚neues‘ altes Sytem:<br />

NPD-Nachwuchs aus Verden in Rostock im Mai 2006<br />

sehe nur, dass es einen großen Unterschied<br />

gibt zwischen strammen Nazis<br />

und rechten Mitläufern. Echte Faschos<br />

sind eher selten, die Mitläufer meist<br />

jünger. Wie gefährlich sie gerade sind,<br />

hängt ab vom Ort der Begegnung, der<br />

Uhrzeit und ihrem Alkoholpegel.<br />

DIESE STADT BEDEUTET MIR WAS<br />

Trotz alledem lebe ich gern hier. Mir<br />

bedeutet es etwas, in einer Stadt aufzuwachsen,<br />

in der ich mich mit solchen<br />

Dingen auseinander setzen muss.<br />

Dennoch, Oranienburg ist – wie<br />

viele Kleinstädte – nur eine Zwischenstation.<br />

Keiner meiner Freunde will<br />

hier bleiben, bis er tot ist. Alle wollen<br />

zum Studium weggehen oder anderswo<br />

eine Ausbildung machen. Was<br />

gäbe es hier auch Großartiges zu tun?<br />

Da draußen wartet die Welt.<br />

Smudo bei einem Karaoke-Konzert gegen<br />

Neonazis in Verden im November 2006<br />

ehemalige Klassenkameraden, die<br />

sich nun bei den Nazis wieder finden.<br />

Diese Situation macht viele betroffen,<br />

doch hoffen wir, Folgende/Jüngere vor<br />

diesem Schicksal bewahren zu können.<br />

Es gibt viele Leute, die sich hierfür<br />

engagieren. Darauf bin ich sehr stolz.<br />

Am 22.Juli wurde mir die Masse dieser<br />

Menschen wieder klar. An diesem<br />

ersten Feriensamstag veranstaltete die<br />

NPD eine überregionale Demonstration<br />

in der Nähe des Rathauses.<br />

Viele engagierte BürgerInnen ließen<br />

sich ein buntes Programm einfallen<br />

um etwas gegen die Nazis zu setzten.<br />

Überschattet wird dieses Engagement<br />

immer wieder von tätlichen Angriffen<br />

auf recherchierende Journalisten oder<br />

andere „Andersdenkende“. Viele Täter<br />

können nicht <strong>po</strong>lizeilich verfolgt werden.<br />

So wurde ein junger Journalist von<br />

einem Mofa angefahren, während er<br />

vor dem Heisenhof Fotos machte. Das<br />

Mofa konnte später einem Fahrer aus<br />

„Heisenhofkreisen“ zugeordnet werden.<br />

Auch psychische Angstmache ist ein<br />

Im Umkehrschluss würde das aber<br />

bedeuten, dass die Leute, die hier – aus<br />

den verschiedensten Gründen – niemals<br />

wegkommen, keine Perspektive<br />

hätten. Und dass sie irgendwann in<br />

der Mehrheit wären. Eine eher traurige<br />

Vorstellung. Aber wenn es keine<br />

Perspektiven für sie gibt, müssen eben<br />

welche geschaffen werden. Und das<br />

funktioniert nur, wenn wir alle an einem<br />

Strang ziehen. Hier und überall.<br />

PS: Wie zu erwarten, redet seit der<br />

Fußball-WM kaum noch jemand über<br />

No-go-Areas. Schade. Denn Oranienburg<br />

wird immer noch ein Ort sein,<br />

der am Tage ein Freund und in Nacht<br />

plötzlich ein Feind sein kann<br />

*(Dieser Text wurde am 30. Mai. 2006<br />

erstveröffentlicht in der taz. Emilie<br />

schrieb ihn unter Pseudonym. Denn<br />

man kennt sich in der Stadt.)<br />

Erscheinungsbild (Herr Rieger wurde<br />

gerade erst wegen Bedrohung – „Ich<br />

werde dich auf einen Grill legen und<br />

langsam durchbraten“ – einem Journalisten<br />

gegenüber zu einer Geldstrafe<br />

verurteilt. Die Frage nach der Angst<br />

um sich selbst und die Familie oder<br />

Freunde steht ständig im Raum. Die<br />

Menschen hier in Verden und gerade<br />

die Jugendlichen brauchen Unterstützung,<br />

damit sie sich nie der Angst<br />

geschlagen geben, denn genau das ist<br />

es, was die Nazis erreichen wollen. Wir<br />

werden alles dafür tun, dass es so bleibt,<br />

dass keiner wirkliche Angst haben und<br />

nicht mehr weiß was er/sie machen soll.<br />

Es bleibt abzuwarten, ob für mich und<br />

viele andere Verden eine Stadt bleiben<br />

wird, in der wir gerne leben, doch wir<br />

werden alles daran setzen, denn Verden<br />

ist unser!<br />

*(Erneut überwog die Angst. Auch die<br />

Autorin dieses Textes ist der Redaktion<br />

bekannt, traute sich aber nur unter<br />

Pseudonym zu schreiben.)

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