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Die Psychoanalyse in Deutschland nach 1945 - Psychoanalytisches ...

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Bernd Münk<br />

<strong>Die</strong> <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> <strong>nach</strong> <strong>1945</strong> -<br />

aus Sicht der Deutschen Psychoanalytischen Vere<strong>in</strong>igung<br />

Vortrag bei der Veranstaltung „Zur Geschichte der <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> Freiburg“<br />

des Instituts für <strong>Psychoanalyse</strong> und Psychotherapie Freiburg,<br />

des Psychoanalytischen Sem<strong>in</strong>ars Freiburg,<br />

der Abteilung für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und Psychotherapie der Universitätskl<strong>in</strong>ik Freiburg<br />

am 24. Juni 2005<br />

Me<strong>in</strong> Beitrag soll e<strong>in</strong>en Überblick geben über die Geschichte der Deutschen Psychoanalytischen<br />

Vere<strong>in</strong>igung und dann über die Entwicklung der kl<strong>in</strong>ischen Theorie <strong>in</strong>nerhalb<br />

der DPV. In der kurzen Zeit wird nicht mehr als e<strong>in</strong>e Skizzierung möglich<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Wie <strong>in</strong> der deutschen Nachkriegsgeschichte beg<strong>in</strong>nt auch <strong>in</strong> der Psychoanalytischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaft die kritische Ause<strong>in</strong>andersetzung und Reflexion der Geschichte der<br />

eigenen Gruppenprozesse erst sehr spät – noch später als <strong>in</strong> der deutschen Gesellschaft,<br />

nämlich <strong>nach</strong> 1977, dem Kongress der Internationalen Psychoanalytischen<br />

Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Jerusalem – und mit der Mitteleuropäischen Tagung der deutschsprachigen<br />

Psychoanalytischen Vere<strong>in</strong>igungen 1980 <strong>in</strong> Bamberg.<br />

Aus diesem Grund verlangt me<strong>in</strong> Thema zunächst Kritik, soll es nicht Symptom vergangener<br />

Abwehr der eigenen Geschichte se<strong>in</strong>.<br />

Unsere Nachkriegsgeschichte beg<strong>in</strong>nt eben nicht <strong>1945</strong> – oder für mich als DPV-<br />

Analytiker gar erst 1950 mit der Gründung der DPV. Mit <strong>1945</strong> zu beg<strong>in</strong>nen entspräche<br />

e<strong>in</strong>em „Weitermachen, als ob nichts geschehen wäre“. <strong>Die</strong> Entwicklung während<br />

des Nationalsozialismus ist e<strong>in</strong>zubeziehen, um sehen zu können, dass nicht nur die<br />

Geschichte der psychoanalytischen Organisationen sondern auch die Rezeptionsgeschichte<br />

der <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> <strong>nach</strong> <strong>1945</strong> davon geprägt wurden.<br />

Mit der Machtübergabe an die „Nationalsozialisten endete e<strong>in</strong>e kreative Phase der<br />

<strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>, so wie diese sich vor allem <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> am dortigen<br />

Psychoanalytischen Institut entfaltet hatte. Im Zuge der Gleichschaltung trennten sich<br />

die nichtjüdischen deutschen Psychoanalytiker von ihren jüdischen Kollegen. Mit der


1<br />

Vertreibung der jüdischen Psychoanalytiker verlagerten sich zugleich die Zentren der<br />

<strong>Psychoanalyse</strong> und ihrer Entwicklung von Wien und Berl<strong>in</strong> <strong>nach</strong> London und New<br />

York. <strong>Die</strong> deutschen Psychoanalytiker wollten <strong>in</strong> der Mehrzahl die <strong>Psychoanalyse</strong><br />

Freuds bewahren, mußten dabei aber, mehr oder weniger gezwungen, sowohl am<br />

Zusammenschluß der psychotherapeutischen Schulen als auch am Projekt e<strong>in</strong>er<br />

„deutschen" Psychotherapie mitwirken. <strong>Die</strong> meisten verschlossen die Augen davor,<br />

daß ihre vielfältigen Kompromisse die <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> ihrem Kern verrieten. <strong>Psychoanalyse</strong><br />

wurde dabei <strong>in</strong> e<strong>in</strong> nationales Projekt e<strong>in</strong>gebunden, das auf dem Boden<br />

e<strong>in</strong>es rassenbiologischen Denkens entwickelt werden sollte.“ (Bohleber, a.a.O. S. 20f)<br />

<strong>Die</strong>se Betrachtung impliziert z.T. schon selbst wieder e<strong>in</strong>en Rettungsmythos. Es gab<br />

Vorstellungen, die <strong>Psychoanalyse</strong> retten zu können. Es g<strong>in</strong>g aber auch um das legitime<br />

Interesse des eigenen existenziellen und ökonomischen Überlebens. Am weitesten<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kritik geht Bernd Nitschke (1990), der auch die Haltung der Internationalen<br />

Psychoanalytischen Vere<strong>in</strong>igung und damit Freuds anprangert als unpolitisch<br />

und zu Kompromissen mit e<strong>in</strong>em Regime bereit, mit dem Kompromisse zu schließen<br />

schon bedeute, sich ihm <strong>in</strong> Handlungen anzugleichen. Tatsächlich hatte der Internationale<br />

Kongress <strong>in</strong> Luzern 1934 beschlossen, die <strong>Psychoanalyse</strong> streng von allem<br />

Politischen abzugrenzen. Politische Themen <strong>in</strong> den Analysen wurden tabuisiert und<br />

den Analytikern verboten, sich politisch zu betätigen.<br />

Marie Langer, Ausbildungskandidat<strong>in</strong> <strong>in</strong> Wien, drohte der Ausschluss von der Ausbildung,<br />

weil sie bei e<strong>in</strong>er Demonstration gegen den Austrofaschismus verhaftet worden war. Nur der<br />

Fürsprache ihres Lehranalytikers und vielleicht dem Zufall, dass auch der Sohn des Ausbildungsleiters<br />

gerade verhaftet war, hatte sie zu verdanken, dass sie ihre Ausbildung fortsetzen<br />

durfte. 1<br />

Von den 1933 noch 56 Mitgliedern der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft<br />

wurden 42 aus der DPG ausgeschlossen, weil sie Juden im S<strong>in</strong>ne der Nürnberger<br />

Gesetze waren. 2 <strong>Die</strong> Übrigen g<strong>in</strong>gen im Reichs<strong>in</strong>stitut für Psychologische Forschung<br />

und Psychotherapie auf, dem sogenannten Gör<strong>in</strong>g-Institut, benannt <strong>nach</strong> se<strong>in</strong>em Leiter<br />

He<strong>in</strong>rich Gör<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>em Vetter des Reichsmarschalls. 1938 wurde die DPG aufgelöst.<br />

<strong>Die</strong> Atmosphäre von Gleichschaltung und Anpassung, Verbot der Verwendung psychoanalytischer<br />

„jüdischer“ Term<strong>in</strong>ologie – Freuds Schriften waren verschlossen und<br />

konnten nur <strong>nach</strong> Registrierung des Benutzers e<strong>in</strong>gesehen werden – und das Abgeschnittense<strong>in</strong><br />

vom <strong>in</strong>ternationalen Gedankenaustausch bee<strong>in</strong>flussten auch die Theorieentwicklung.<br />

Das zeigt, wie recht Freud gehabt hatte mit se<strong>in</strong>er Bemerkung: „Man<br />

gibt zunächst <strong>in</strong> der Term<strong>in</strong>ologie <strong>nach</strong> und sehr bald dann, ohne es zu merken an-


2<br />

fänglich, auch <strong>in</strong> der Sache.“ (S. Freud, zit. n. L. Hermanns)<br />

E<strong>in</strong>e der folgenschweren Entwicklungen der kl<strong>in</strong>ischen Theorie dieser Jahre war die<br />

Begründung der Neoanalyse durch Harald Schultz-Hencke, e<strong>in</strong>es <strong>nach</strong> den Schilderungen<br />

se<strong>in</strong>er Schüler fesselnden Lehrers. Se<strong>in</strong>e Modifikationen der <strong>Psychoanalyse</strong><br />

kamen der seelenheilkundlichen E<strong>in</strong>heitssprache des Nationalsozialismus entgegen.<br />

Schon <strong>1945</strong> wurde die DPG von den im Reichs<strong>in</strong>stitut überlebenden Analytikern neu<br />

konstituiert. Reg<strong>in</strong>e Lockot spricht von e<strong>in</strong>er Phase der „Fortsetzung des Opportunismus“<br />

bis 1950. Man passte sich den Alliierten an, versuchte sich bei jedem offiziellen<br />

Kontakt politisch <strong>in</strong>s rechte Licht zu setzen. So wurde z.B. berichtet, das Institut<br />

sei bei e<strong>in</strong>em Luftangriff zerstört worden. In Wirklichkeit hatten russische Soldaten<br />

das Gebäude angezündet, <strong>nach</strong>dem sie aus dem als Lazarett beflaggten Reichs<strong>in</strong>stitut<br />

von der SS beschossen worden waren. 3<br />

<strong>Die</strong> Erfolge – u.a. bei der f<strong>in</strong>anziellen Absicherung, der Gründung des AOK-Instituts<br />

Berl<strong>in</strong> – schienen der neuerlichen Anpassung recht zu geben.<br />

Bei der Gründung der DGPT 1949 hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rundbrief der DPG, dass „die <strong>in</strong><br />

der Ostzone lebenden Mitglieder … ke<strong>in</strong>e Aufforderung zum Beitritt erhalten sollen“.<br />

(zit. n. Lockot, a.a.O. S. 155) (Es ist me<strong>in</strong>e persönliche Assoziation, dass ich dabei<br />

an den erst wenige Jahre zurückliegenden Ausschluss der jüdischen Mitglieder denke.)<br />

<strong>Die</strong> Mitschuld am Geschehenen wurde verleugnet und über die Zeit im Reichs<strong>in</strong>stitut<br />

herrschte besagter Rettungsmythos vor. Interne Berichte vom Internationalen Kongress<br />

<strong>in</strong> Zürich 1949 zeigen deutsche Analytiker „merkwürdig bl<strong>in</strong>d für die Verfassung<br />

ihrer ehemaligen Kollegen, die <strong>Deutschland</strong> hatten verlassen müssen.“ (Lockot,<br />

a.a.O. S. 140)<br />

Innerhalb der DPG standen <strong>in</strong> den Nachkriegsjahren zwei Strömungen gegene<strong>in</strong>ander:<br />

die e<strong>in</strong>e versuchte, die Entwicklung <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er Psychotherapie, wie sie <strong>in</strong><br />

der NS-Zeit begonnen hatte, fortzusetzen; – die andere trachtete, die <strong>Psychoanalyse</strong><br />

von anderen psychotherapeutischen Richtungen zu befreien und Anschluss an die<br />

<strong>in</strong>zwischen erfolgten <strong>in</strong>ternationalen Entwicklungen zu f<strong>in</strong>den. In beiden Strömungen<br />

aber gab es ke<strong>in</strong>en Raum für e<strong>in</strong>e Reflexion der geme<strong>in</strong>samen Vergangenheit im<br />

Nationalsozialismus, der Kollaboration, der eigenen ideologischen Empfänglichkeit<br />

und der dort erhaltenen Begünstigungen.


3<br />

„Vor der Öffentlichkeit des ersten IPV Nachkriegskongresses <strong>in</strong> Zürich 1949 demonstrierten<br />

Schultz-Hencke und Müller-Braunschweig die Spaltung <strong>in</strong> <strong>Psychoanalyse</strong><br />

und Neoanalyse im Rahmen der DPG …“ (Hermanns, a.a.O. S. 38) <strong>Die</strong> Folge<br />

war, dass die DPG nur provisorisch <strong>in</strong> die IPV aufgenommen wurde. Müller-<br />

Braunschweig, damals DPG-Vorsitzender, drängte Schultz-Hencke zum Austritt aus<br />

der DPG. Da das vergeblich war, bildete er e<strong>in</strong>e eigene Fraktion, handelte heimlich<br />

Beitrittskonditionen mit dem Präsidenten der IPA aus und gründete im Sommer 1950<br />

zusammen mit 5 weiteren Mitgliedern die Deutsche Psychoanalytische Vere<strong>in</strong>igung.<br />

Der erhoffte Übertritt anderer Nicht-Neoanalytiker blieb aus. So waren die Anfänge<br />

der gerade gegründeten DPV eher bescheiden. Doch schon im folgenden Jahr gelang<br />

nun <strong>nach</strong> der Trennung von der Neoanalyse die Aufnahme <strong>in</strong> die IPA.<br />

Bis <strong>in</strong> die 80-er Jahre, und <strong>in</strong> manchen Belangen darüber h<strong>in</strong>aus, standen sich –<br />

abgesehen von geme<strong>in</strong>samkeitlichem Vorgehen <strong>in</strong> der Berufspolitik – DPG und DPV<br />

misstrauisch gegenüber. Elemente, die nicht dem Gruppenideal entsprachen, konnten<br />

der je anderen Gruppe zugeschrieben werden. Während die DPG <strong>in</strong> der Nachfolge<br />

Schultz-Henckes für sich reklamieren konnte, „>modern< und kl<strong>in</strong>isch-praktisch<br />

kompetent zu se<strong>in</strong> und sich damit von Freud abwandte, galt die DPV als >orthodoxgere<strong>in</strong>igt< von der Schuld nationalsozialistischer Korrumption.“<br />

(Lockot, a.a.O. S.144)<br />

In der DPV wurde die fachliche Korrumpierung durch die NS-Psychotherapie vor allem<br />

Schultz-Hencke angelastet, was der Entlastung des „unschuldigen“ Restes diente,<br />

der sich selbst ebenso politisch und fachlich angepasst hatte.<br />

<strong>Die</strong> DPV war <strong>in</strong> ihrer anfänglichen Entwicklung sehr auf die Unterstützung von Lehranalytiker<br />

und Supervisoren aus dem Ausland angewiesen, ohne die ihre Entwicklung<br />

und Blüte nicht möglich geworden wäre. Damit und mit der Abwehr von Schuldgefühlen<br />

g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>her, sich geradezu als e<strong>in</strong>e Art „Musterschüler“ der IPA anzudienen.<br />

So manches Mal noch während me<strong>in</strong>er Ausbildungszeit hatten wir Kandidaten den E<strong>in</strong>druck<br />

als werde besonders <strong>in</strong> Ausbildungsfragen <strong>nach</strong> dem großen Bruder <strong>in</strong> den USA oder <strong>in</strong><br />

London geschielt. Ich er<strong>in</strong>nere: beim Internationalen Kongress <strong>in</strong> Hels<strong>in</strong>ki 1983 war die DPV<br />

heftig kritisiert worden ob ihrer enormen Zahl von Ausbildungskandidaten. <strong>Die</strong>se Quantität<br />

müsse auf Kosten der Qualität der Ausbildung gehen. Umgehend wurde <strong>in</strong> der DPV e<strong>in</strong>e<br />

Erhebung begonnen über die Relation der Anzahl von Lehranalytikern und Ausbildungskandidaten.<br />

Das Psychoanalytische Sem<strong>in</strong>ar Freiburg lag mit etwa 1:7 und fast 50 Ausbildungskandidaten<br />

im unteren Mittelbereich der Institute. Schon bald setzten sich bei uns wie an<br />

anderen Instituten strikteste Aufnahmepraktiken durch. Nicht nur wurde die Zahl der Kandidaten<br />

gesenkt; es wurden leider auch Kollegen abgelehnt, die wir heute gerne <strong>in</strong> unseren<br />

Reihen sähen.


4<br />

Bis zum Ende der 50-er Jahre war die DPV fast identisch mit dem Berl<strong>in</strong>er Institut.<br />

Seit 1955 entstanden die ersten Arbeitsgruppen <strong>in</strong> Heidelberg und Hamburg.<br />

“Alexander Mitscherlich, e<strong>in</strong> junger Privatdozent der Neurologie an der Heidelberger<br />

Universität, der <strong>in</strong> der Nazizeit wegen Unterstützung e<strong>in</strong>er „nationalbolschewistischen“<br />

4 Widerstandsgruppe acht Monate im Zuchthaus gesessen hatte, begann sich<br />

beim Aufbau e<strong>in</strong>er psychosomatischen Universitätskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Heidelberg zunehmend<br />

für Freud zu <strong>in</strong>teressieren. Anfang der fünfziger Jahre kam er von e<strong>in</strong>em Forschungsaufenthalt<br />

<strong>in</strong> den USA als „überzeugter Freudianer" zurück. Durch se<strong>in</strong>e<br />

Teilnahme als Beobachter und Berichterstatter bei den Nürnberger Ärzteprozessen,<br />

über die er“ 1949 e<strong>in</strong>e heute fast vergessene Buchdokumentation mit dem Titel „Mediz<strong>in</strong><br />

ohne Menschlichkeit 5 „vorlegte, war er <strong>in</strong> Teilen der deutschen Ärzteschaft <strong>in</strong><br />

den Ruf e<strong>in</strong>es „Nestbeschmutzers" geraten, was se<strong>in</strong>e akademische Karriere gefährdete.“<br />

(Hermanns, a.a.O. S. 39f)<br />

“Wenn man sich vorstellt, daß es zu diesem Zeitpunkt <strong>in</strong> Frankfurt ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen<br />

praktizierenden Analytiker Freudscher Schule gab, so kl<strong>in</strong>gt das, was Mitscherlich <strong>in</strong><br />

der Folgezeit <strong>in</strong> Frankfurt bewegte, wie e<strong>in</strong> modernes Märchen. Enttäuscht von der<br />

Universität, gelang ihm 1959 <strong>in</strong> der „kulturellen Nachkriegswüste" der Bundesrepublik<br />

(Jürgen Habermas, zit. n. Berger, a. a. O., S. 337) die Gründung e<strong>in</strong>es staatlichen<br />

„Instituts und Ausbildungszentrums für <strong>Psychoanalyse</strong> und Psychosomatische Mediz<strong>in</strong>"<br />

<strong>in</strong> Frankfurt. Mitscherlich baute das Sigmund-Freud-Institut, wie es ab 1964 hieß,<br />

zum größten deutschen psychoanalytischen Institut und zu e<strong>in</strong>er sozialpsychologischen<br />

Forschungsstätte aus.“ (Hermanns, a.a.O. S. 40)<br />

<strong>Die</strong> zwischen 1960 und 1962 auf Deutsch erschienene Freudbiographie von Ernest<br />

Jones, „<strong>in</strong> der die reichsdeutschen Psychoanalytiker <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Licht dargestellt<br />

wurden, als <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> tradiert“, führte genausowenig zu e<strong>in</strong>er umfassenderen<br />

Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit wie die 1967 publizierte Arbeit „<strong>Die</strong> Unfähigkeit<br />

zu Trauern“ von Alexander und Margarete Mitscherlich 6 . Dabei hatten die<br />

Mitscherlichs doch „kl<strong>in</strong>ische Konzepte der <strong>Psychoanalyse</strong> zum Verständnis des Er<strong>in</strong>nerungstabus<br />

<strong>in</strong> der Nachkriegszeit und des psychosozialen Immobilismus der damaligen<br />

bundesrepublikanischen Gesellschaft fruchtbar gemacht und damit den Ruf<br />

der <strong>Psychoanalyse</strong> als Instrument gesellschaftlicher Aufklärung begründet.“ Sie hatten<br />

„die Abwehr der Derealisierung und e<strong>in</strong>e emotionale Abkapselung als Schutz vor<br />

e<strong>in</strong>er massenhaften Melancholie als Folge des Zusammenbruchs e<strong>in</strong>es idealisierten


5<br />

Führerbildes beschrieben.“ (Bohleber, a.a.O. S. 30f) Vielleicht fand diese Arbeit tatsächlich<br />

größerer Resonanz <strong>in</strong> der Studentenbewegung für die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der Generation der eigenen Väter als <strong>in</strong> der psychoanalytischen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

und auch der DPV. Von daher verwundert es nicht, wenn später gefragt wird, ob Mitscherlich<br />

als kritischer Beobachter der Nürnberger Prozesse 7 nicht auch e<strong>in</strong>e Feigenblattfunktion<br />

für die DPV im Nachkriegsdeutschland hatte.<br />

Mit der Gründung neuer Ausbildungs<strong>in</strong>stitute <strong>in</strong> den 60-er Jahren – <strong>in</strong> Giessen, Freiburg,<br />

Tüb<strong>in</strong>gen, Ulm, Köln/Düsseldorf, Kassel – wuchs die DPV rapide. Zählte man<br />

1960 nur knapp 20 Mitglieder waren es 1970 schon 130 und 1980 bereits 350.<br />

Anders als <strong>in</strong> den 20-er Jahren verschlossen sich die meisten analytischen Institute<br />

der Gesellschaftskritik, die nun seit 1968 aus der Studentenbewegung zu ihnen<br />

drang. Wolgang Loch, so Eberhardt Richter, „erklärte mir … die 68-Bewegung als<br />

e<strong>in</strong>e von Moskau aus <strong>in</strong>szenierte und gesteuerte Kampagne zur Destabilisierung der<br />

westdeutschen Verhältnisse. … Sogar Alexander Mitscherlich … betrachtete die Jugendrevolte<br />

eher als kl<strong>in</strong>isches Phänomen.“ (Richter, a.a.O. S.170)<br />

Dennoch erlebten die analytischen Institute <strong>in</strong> der Folge der Studentenbewegung <strong>in</strong><br />

den 70-ern e<strong>in</strong>en Ansturm von Ausbildungsbewerbern. Denn „die psychoanalytischmarxistische<br />

Haltung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wurde … von Teilen<br />

der Studentenbewegung begeistert aufgenommen.“ (Lockot, a.a.O. S. 145)<br />

Was die DPV damit aber noch nicht erreicht hatte, war die kritische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der NS-Vergangenheit der Väter, die die Studentenbewegung <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

losgetreten hatte.<br />

„Der <strong>nach</strong>haltige Umbruch <strong>in</strong> der <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> zu Beg<strong>in</strong>n der achtziger<br />

Jahre wurde durch e<strong>in</strong>e andere Entwicklung ausgelöst.“ Beim Kongreß der Internationalen<br />

Psychoanalytischen Vere<strong>in</strong>igung (IPV) <strong>in</strong> Jerusalem 1977 wurde die<br />

E<strong>in</strong>ladung der DPV, zum nächsten Kongress <strong>nach</strong> Berl<strong>in</strong> zu kommen, zurückgewiesen.<br />

Heftige emotionale Reaktionen zeigten, „daß die Vergangenheit für die<br />

jüdischen Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen ke<strong>in</strong>esfalls vergangen war. <strong>Die</strong>se nicht bearbeitete<br />

Problematik explodierte geradezu auf der Tagung der Mitteleuropäischen Psychoanalytischen<br />

Vere<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong> Bamberg 1980. Verleugnung und Verschweigen<br />

brachen auf.“ <strong>Die</strong> Wiederveröffentlichung e<strong>in</strong>er Arbeit von Carl Müller-Braunschweig<br />

aus dem Jahre 1933 über „<strong>Psychoanalyse</strong> und nationalsozialistische Weltanschauung“<br />

dokumentierte die NS-Verwicklung von Gründervätern der DPV. „ Nach 1980


6<br />

wurden von den jüngeren Analytikern Fragen an sie gestellt: Wie sie angesichts der<br />

Verbrechen … an den Juden … mit den Schuldgefühlen gegenüber den jüdischen<br />

Repräsentanten der <strong>Psychoanalyse</strong> umg<strong>in</strong>gen. Was sie fühlten, als Emigranten zurückkamen,<br />

um sie <strong>Psychoanalyse</strong> zu lehren. Welche Auswirkungen die Schuldgefühle<br />

für die eigene psychoanalytische Identitätsbildung hatten. … <strong>Die</strong>ser ganze<br />

Komplex von Fragen und Schuldgefühlen hatte den dynamischen Untergrund gebildet,<br />

auf dem e<strong>in</strong>e Idealisierung der <strong>Psychoanalyse</strong> erwachsen war, die dann der<br />

nächsten Generation gelehrt wurde. <strong>Die</strong> jungen Analytiker erlebten ihrerseits Selbstzweifel<br />

und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Entwertung, ob sie diesem Ideal gewachsen se<strong>in</strong> könnten,<br />

und hatten mit unflexiblen, rigiden E<strong>in</strong>stellungen zu kämpfen, ohne den untergründigen<br />

Zusammenhang mit den Schuldgefühlen ihrer Lehrer zu begreifen.“ (Bohleber,<br />

a.a.O. S. 28f)<br />

E<strong>in</strong>e dramatische Kontroverse <strong>in</strong>nerhalb der DPV fand nun endlich statt und wurde <strong>in</strong><br />

der Psyche publiziert. 8 Ausbildungskandidaten und jüngere DPV-Analytiker zeigten <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Ausstellung anlässlich des ersten, <strong>nach</strong> dem Krieg auf deutschem Boden stattf<strong>in</strong>den<br />

IPA-Kongresses <strong>in</strong> Hamburg 1985 dezidiert die Geschichte der <strong>Psychoanalyse</strong><br />

im Nationalsozialismus und mith<strong>in</strong> auch den Opportunismus und die Anpassung<br />

deutscher Psychoanalytiker. Titel der Ausstellung war: „Hier geht das Leben auf e<strong>in</strong>e<br />

merkwürdige Art weiter …“<br />

Werfen wir nun e<strong>in</strong>en Blick auf die Entwicklung der kl<strong>in</strong>ischen Theorie <strong>in</strong> der DPV.<br />

Der Wunsch, zu Freud zurückzukehren, verlangte nicht nur e<strong>in</strong>e Abwendung von der<br />

NS-Seelenheilkunde und ihrer Vermischung psychotherapeutischer Schulen. Er erforderte<br />

auch e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit philosophischen E<strong>in</strong>flüssen, maßgeblich<br />

mit dem Begegnungsbegriff Mart<strong>in</strong> Bubers und E<strong>in</strong>flüssen der Existenzphilosophie<br />

und Dase<strong>in</strong>sanalyse, die „gefühlskalte Naturwissenschaft“ und „echte Begegnung“<br />

gegene<strong>in</strong>ander gestellt hatten. Psychoanalytische Haltung war als mechanistisch<br />

oder technisch diskreditiert. 9 Demgegenüber vertrat Mitscherlich zu Beg<strong>in</strong>n der 50-er<br />

Jahre e<strong>in</strong>e naturwissenschaftlich verstandene Ich-Psychologie, wie sie He<strong>in</strong>z Hartmann<br />

<strong>in</strong> den USA geprägt hatte. Sie half den deutschen Analytikern, sich von alten<br />

spekulativen Begrifflichkeiten zu lösen. Leider g<strong>in</strong>gen dabei aber auch frühe Ansätze<br />

e<strong>in</strong>er <strong>Psychoanalyse</strong> der Intersubjektivität verloren.<br />

In den 50-er und 60-er Jahren herrschte die Ich-Psychologie vor. Andere Richtungen


7<br />

wie die Objektbeziehungspsychologie oder die Kle<strong>in</strong>ianische <strong>Psychoanalyse</strong> waren<br />

zwar durch Dozenten und Supervisoren aus dem Ausland vertreten, wurden aber<br />

nicht aufgegriffen. Es ist naheliegend, dass sich dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Identifizierung mit Freud<br />

und se<strong>in</strong>er als Begründer<strong>in</strong> der Ich-Psychologie geltenden Tochter Anna äußerte;<br />

e<strong>in</strong>e Identifikation, die der Abwehr eigener Schuldgefühle gegenüber den jüdischen<br />

Gründern diente.<br />

Eigenständige Entwicklungen der <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> waren Arbeiten zur<br />

Psychosomatik, Sozialpsychologie und gesellschaftskritischen <strong>Psychoanalyse</strong>. Genannt<br />

seien vor allem Alexander und Margarete Mitscherlich und Horst-Eberhard<br />

Richter. 10<br />

Aufbauend auf der Ich-Psychologie entwickelten Alfred Lorenzer und Hermann Argelander<br />

das Konzept des „Szenischen Verstehens“, „das sich von der naturwissenschaftlichen<br />

Fundierung <strong>in</strong> der Ich-Psychologie löste und e<strong>in</strong>e psychoanalytische<br />

Hermeneutik begründete.“ (Bohleber, a.a.O. S. 24) In se<strong>in</strong>er Bedeutung blieb<br />

es auf <strong>Deutschland</strong> beschränkt. In der Szenischen Information, die der Patient dem<br />

Analytiker als Leistung der „szenischen Funktion des Ich“ bietet, versucht dieser unbewusste<br />

Phänomene zu entschlüsseln, wobei sich die Bedeutung eben nicht mehr<br />

alle<strong>in</strong> im sprachlichen Ausdruck f<strong>in</strong>den lässt. <strong>Die</strong> szenische Funktion des Ich schafft<br />

nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Reproduktion <strong>in</strong>fantilen Erlebens sondern <strong>in</strong>szeniert solches der<br />

<strong>in</strong>teraktionellen Situation entsprechend. Beim szenischen Verstehen gew<strong>in</strong>nt die Gegenübertragung<br />

als Instrument des Analytikers e<strong>in</strong>e herausragende Bedeutung. –<br />

<strong>Die</strong>ses Konzept hob die positivistische Perspektive des Analytikers auf und nahm als<br />

<strong>in</strong>teraktionelles Modell mit e<strong>in</strong>er eigenen Theorie der Übertragung moderne Auffassungen<br />

vorweg, war se<strong>in</strong>er Zeit also voraus. 11<br />

<strong>Die</strong> Objektbeziehungstheorie wurde <strong>in</strong> der DPV seit den 60-er Jahren zunächst vor<br />

allem über Michael Bal<strong>in</strong>ts Arbeiten rezipiert.<br />

Wolfgang Loch schuf e<strong>in</strong>e eigene Synthese aus der Ich-Psychologie, der Objektbeziehungstheorie<br />

und der Hermeneutik. <strong>Die</strong> psychoanalytische Methode als Forschungsmethode<br />

besitzt, <strong>in</strong> ihrer Suche <strong>nach</strong> der Frage der Wahrheit begründet, e<strong>in</strong>e<br />

therapeutische Wirkung.<br />

„Loch versteht die pathologischen seelischen Manifestationen des Patienten als chiffrierte<br />

Mitteilungen und als e<strong>in</strong>en zu <strong>in</strong>terpretierenden Text. <strong>Die</strong>ser Text stellt e<strong>in</strong>e<br />

Antwort auf e<strong>in</strong>e Frage dar, die wir nicht kennen, aber verstehen müssen, um Wort<br />

und Verhalten des Patienten <strong>in</strong>terpretieren zu können. Jedem Verstehen vorauslau-


8<br />

fend ist e<strong>in</strong> Vorverständnis des Textes, das der Interpret mitbr<strong>in</strong>gt, und nur <strong>in</strong>dem er<br />

dieses Vorverständnis reflektiert, ist e<strong>in</strong> Verständnis des Textes überhaupt möglich.“<br />

(Bohleber, a.a.O. S. 26)<br />

In se<strong>in</strong>er Konzeption des analytischen Prozesses umschließt die analytische Situation<br />

für Loch „virtuell stets drei Personen, den Patienten und den <strong>in</strong> zwei Beziehungsfiguren<br />

aufgespaltenen Analytiker, nämlich <strong>in</strong> die des Übertragungsobjekts und <strong>in</strong> die<br />

des Objekts, das e<strong>in</strong>e exzentrische Position e<strong>in</strong>nimmt, um die Übertragung explizit zu<br />

machen und sie benennen zu können. <strong>Die</strong> Deutung ist das dritte Element der psychoanalytischen<br />

Situation. …<br />

Deutung schafft auf diese Weise e<strong>in</strong>e neue, von beiden geteilte Realität. Um e<strong>in</strong>en<br />

Konsens darüber zu erzielen, muß es e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Rahmen geben. Er besteht<br />

dar<strong>in</strong>, daß beide, Analytiker und Patient, stillschweigend e<strong>in</strong>e von ihnen unabhängige<br />

Realität voraussetzen, die auch die Idee des wahren Lebens e<strong>in</strong>schließt.<br />

(Loch, 1974). Loch bezieht hier e<strong>in</strong>e Mittelstellung zwischen der klassischen Auffassung<br />

von Übertragung als Wiederf<strong>in</strong>den des Vergangenen und der modernen Auffassung<br />

als e<strong>in</strong>er Schöpfung von Analytiker und Patient <strong>in</strong> der analytischen Beziehung.“<br />

(Bohleber, a.a.O. S. 26f)<br />

Hervorgehoben wurde die Bedeutung der kurativen Wirkung der analytischen Beziehung<br />

auch von Johannes Cremerius, der ebenfalls der Objektbeziehungstheorie Bal<strong>in</strong>ts<br />

verbunden war. In Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem vorherrschenden Standardmodell<br />

analytischer Technik, die fälschlicherweise als Freuds eigene gegolten hatte,<br />

zeichnete er Freuds wirkliche Analysepraxis <strong>nach</strong>. Gegen das Primat technischer<br />

Regeln setzte er e<strong>in</strong> prozessuales Verständnis, <strong>in</strong> dem Regeln relativiert werden <strong>in</strong><br />

ihrer E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> die Gestaltung der analytischen Beziehung und ausgerichtet s<strong>in</strong>d<br />

auf die Ziele des analytischen Prozesses.<br />

<strong>Die</strong> Beschäftigung mit schweren Persönlichkeitsstörungen <strong>in</strong> den 70-er Jahren führte<br />

<strong>in</strong> der DPV zu e<strong>in</strong>er Technik-Debatte, <strong>in</strong> der es mehr um die Besorgnis um die „essentials“<br />

gegenüber deren Bedrohung durch geänderte Psychotherapietechniken<br />

g<strong>in</strong>g als um eigene kreative Forschung. Vielleicht lag <strong>in</strong> dieser Ängstlichkeit noch<br />

e<strong>in</strong>mal die Furcht verborgen, <strong>in</strong> das überwunden geglaubte Psychotherapiekonglomerat<br />

der NS-Zeit abrutschen zu können. So wurden denn vorwiegend Ansätze der<br />

<strong>in</strong>ternationalen Forschung rezipiert wie Kohuts Selbstpsychologie, Kernbergs Arbeiten<br />

über Borderl<strong>in</strong>e – und narzisstische Störungen und seit Beg<strong>in</strong>n der 80-er Jahre<br />

auch die der Kle<strong>in</strong>ianische <strong>Psychoanalyse</strong>. Zu deren längst fälliger Beachtung <strong>in</strong> der


9<br />

DPV mag auch fördernd beigetragen haben, dass – <strong>nach</strong> dem schon oben erwähnten<br />

Umbruch der 80-er Jahre – e<strong>in</strong>e enttäuschte Abwendung von der <strong>in</strong> den Nationalsozialismus<br />

verwickelten eigenen Tradition zu Idealisierungen der ausländischen<br />

<strong>Psychoanalyse</strong> geführt haben mag.<br />

Auf die neuere Traumaforschung will ich nur noch <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong>gehen als ich erwähne,<br />

dass sie ihrerseits zeigt, „daß e<strong>in</strong>e Unfähigkeit zu trauern und e<strong>in</strong>e emotionale<br />

Abkapselung Folgeersche<strong>in</strong>ungen von Traumatisierungen se<strong>in</strong> können“. (Bohleber,<br />

a.a.O.S. 31) – Und eben daran hatte auch die DPV zu leiden.<br />

Dem dynamischen Verständnis der Traumaforschung war Alfred Lorenzer <strong>in</strong> den 60-<br />

er Jahren mit se<strong>in</strong>em an Kriegstraumatisierungen gewonnenen Konzept der zweiphasigen<br />

Abwehr schon sehr nahe gekommen.<br />

Ich komme zum Schluss und fasse zunächst zusammenfassen:<br />

“ <strong>Die</strong> <strong>Psychoanalyse</strong> hat <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> <strong>nach</strong> ihrer Zerstörung durch den Nationalsozialismus<br />

e<strong>in</strong> erstaunliches Wachstum erlebt und sowohl als kl<strong>in</strong>ische Methode als<br />

auch <strong>in</strong> den Nachbarwissenschaften und als Methode der gesellschaftlichen Aufklärung<br />

Anerkennung erfahren. Sie hat wegen ihrer Verstrickung <strong>in</strong> das NS-Regime und<br />

deren spätere Verdrängung e<strong>in</strong>en schmerzlichen Reflexionsprozeß durchlaufen. Obwohl<br />

sie sich heute mit ihren wissenschaftlichen Leistungen und ihrem kl<strong>in</strong>ischen Niveau<br />

<strong>in</strong>ternational nicht zu verstecken braucht, wirkt die traumatische Bruchstelle<br />

im Nationalsozialismus durch den Holocaust und den Krieg noch heute als e<strong>in</strong>e<br />

Wunde, die sich nicht schließen kann.“ (Bohleber, a.a.O. S. 31f)<br />

Umso wichtiger s<strong>in</strong>d die ständige Reflexion und der ständige Austausch, derer nun<br />

seit Jahren stattf<strong>in</strong>det <strong>in</strong> Gruppenkonferenzen - zwischen deutschen und israelischen<br />

Psychoanalytikern, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigenen Organisierung jüdischer Psychoanalytiker <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong>, <strong>in</strong> Gruppenkonferenzen zwischen DPG und DPV - und seit der sogenannten<br />

Wende auch <strong>in</strong> Konferenzen und Tagungen zwischen west- und ostdeutschen<br />

Analytikern.<br />

In letzteren mag dann auch Aufklärung möglich werden, welche theoretischen und<br />

kl<strong>in</strong>ischen Differenzen zwischen Ost und West verstanden werden müssen aus dem<br />

Umstand, dass <strong>in</strong> der DDR „Schultz-Henckes <strong>Psychoanalyse</strong>verständnis … weitgehend<br />

als psychoanalytische Grundlage weiterer Entwicklungen rezipiert worden war“<br />

und begonnen hatte, „dort das Freudsche Konzept zu verdrängen.“ (Lockot, a.a.O. S.<br />

143)


10<br />

Anmerkungen:<br />

1 Mündliche Mitteilung Marie Langers. Publiziert <strong>in</strong> ihren Er<strong>in</strong>nerungen: LANGER, M. (1986): Von Wien<br />

bis Managua. Wege e<strong>in</strong>er Psychoanalytiker<strong>in</strong>. Freiburg i.Brg. (Kore)<br />

2<br />

Lange war unter den Nachkriegsanalytikern verbreitet worden, die jüdischen Mitglieder seien freiwillig<br />

ausgetreten, um die Existenz der DPG nicht zu gefährden.<br />

3<br />

Lockot (a.a.O. S. 139f) <strong>in</strong>terpretiert diese Geschichtsklitterung <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass sich mit dem Mythos<br />

e<strong>in</strong>es angeblich bis auf die Grundmauern zerstörten Instituts, e<strong>in</strong>e neue DPG wohl besser auf<br />

e<strong>in</strong>em völlig zerstörten Reichs<strong>in</strong>stitut aufbauen ließ. – M.E. lassen sich aber noch weitere Aspekte<br />

annehmen: Erstens wird vermieden, dass das Institut <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Atemzug mit der SS genannt wird.<br />

Zweitens könnte man hier den alten Opportunismus <strong>in</strong> neuem Gewand vermuten: Man will es nicht mit<br />

den neuen Machthabern verderben und verschweigt, dass russische Soldaten das Institut anzündeten.<br />

4<br />

<strong>Die</strong>se Anführungszeichen im Zitat wurden von mir gesetzt. (B.M.)<br />

5<br />

MITSCHERLICH, A. und MIELKE, F. (Hrsg.) (1949): Mediz<strong>in</strong> ohne Menschlichkeit. Dokumente des<br />

Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt a.M. (Fischer Tb) 1960<br />

6<br />

MITSCHERLICH, A. und M. MITSCHERLICH (1967): <strong>Die</strong> Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven<br />

Verhaltens. München (Piper)<br />

7<br />

siehe Anmerkung 4<br />

8<br />

Psyche 11 (1982) und 12 (1983): „<strong>Psychoanalyse</strong> unter Hitler“.<br />

Redaktion der Psyche (Hrsg.) (1984): <strong>Psychoanalyse</strong> unter Hitler. Dokumentation e<strong>in</strong>er Kontroverse.<br />

Sonderdokumentation zu dem „Offenen Brief“ von U. Ehebald vom 9.2.1984.<br />

Psyche 6 (1997): Beiträge von Mitscherlich, Vogt, Bohleber und Brede<br />

9<br />

vgl. Bohleber, a.a.O. S 21-23<br />

10<br />

vgl. Bohleber, a.a.O. S 24<br />

11 vgl. Bohleber, a.a.O. S 24f<br />

Literatur:<br />

BOHLEBER, W. (2001 ):<br />

BRECHT, K., FRIEDRICH, V.,<br />

HERMANNS, L., KAMINER, I. JUE-<br />

LICH, D. (1985):<br />

HERMANNS, L. M. (2001):<br />

<strong>Die</strong> Gegenwart der <strong>Psychoanalyse</strong>. Zur Entwicklung ihrer<br />

Theorie und Behandlungstechnik <strong>nach</strong> <strong>1945</strong>. <strong>in</strong>: BOHLEBER,<br />

W. und DREWS, S. (Hrsg.): <strong>Die</strong> Gegenwart der <strong>Psychoanalyse</strong><br />

– die <strong>Psychoanalyse</strong> der Gegenwart. Klett-Cotta, Stuttgart<br />

2001<br />

„Hier geht das Leben auf e<strong>in</strong>e sehr merkwürdige Weise weiter<br />

….“. Zur Geschichte der <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.<br />

Ausstellungskatalog. Hamburg (Michael Kellner) – (von mir<br />

verwendet: die englischsprachige Ausgabe)<br />

Fünfzig Jahre Deutsche Psychoanalytische Vere<strong>in</strong>igung. Zur<br />

Geschichte der <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 1950 bis<br />

2000. <strong>in</strong>: BOHLEBER, W. und DREWS, S. (Hrsg.): <strong>Die</strong> Gegenwart<br />

der <strong>Psychoanalyse</strong> – die <strong>Psychoanalyse</strong> der Gegenwart.<br />

Klett-Cotta, Stuttgart 2001


11<br />

NITZSCHKE, B. (1990):<br />

LOCKOT, R. (2000):<br />

RICHTER, H.-E. (2000):<br />

<strong>Psychoanalyse</strong> und Macht im „Dritten Reich“ - Versuch die<br />

historische Realität oder wenigstens e<strong>in</strong>ige (Rettungs-) Phantasien<br />

davon zu rekonstruieren. <strong>in</strong> ZEPF (Hrsg.): „Wer sich<br />

nicht bewegt, der spürt auch se<strong>in</strong>e Fesseln nicht“. Nexus<br />

1990<br />

Psychoanalytiker eignen sich ihre deutsche Geschichte an.<br />

<strong>in</strong>: SCHLÖSSER, A.-M. und HÖHFELD, K. (Hrsg.) (2000):<br />

<strong>Psychoanalyse</strong> als Beruf. Giessen (Psychosozial-Verlag)<br />

<strong>Psychoanalyse</strong> <strong>in</strong> der Gesellschaft. E<strong>in</strong>e persönliche Rückschau.<br />

<strong>in</strong>: SCHLÖSSER, A.-M. und HÖHFELD, K. (Hrsg.)<br />

(2000): <strong>Psychoanalyse</strong> als Beruf. Giessen (Psychosozial-<br />

Verlag)

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