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Text - alexander levy

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Zum Tod einer Muttergöttin<br />

Fragmente des Menschlichen in der Natur<br />

Notizen zu Julius von Bismarcks „Punishment I“<br />

von Lukas Mathis Töpfer<br />

Wir können nicht anders, wir müssen uns die Natur als eine harmonische<br />

vorstellen, wohlgeordnet und autonom, die perfekte Folge von Wachstum und<br />

Fäulnis. Wir müssen uns den Menschen als ein ruheloses Tier vorstellen, das<br />

seine Natur (das Tier in ihm) überwunden zu haben glaubt. Der Mensch, so<br />

denken wir, trennt die Natur von sich ab und beobachtet sie von außen. Er glaubt,<br />

das Leben verstanden zu haben und greift in seine Prozesse ein. Und er bereut<br />

diesen Eingriff bald, weil er glaubt, die Harmonie zu zerstören. Die Welt, so<br />

denken wir, funktioniert am besten ohne den Menschen.<br />

Erhaben wirkt der Berg, der den Peitschenhieben mühelos standhält. Der<br />

Peitschende auf ihm wirkt wie aus der Welt geworfen, die ihn umgibt. Die<br />

Komposition der Fotografie, die ihn zeigt, vermittelt die Harmonie, die nur durch<br />

die Gewalt des störenden Menschen gebrochen zu werden vermag. Hier der<br />

Fremde, dort die Natur, gleichgültig und ungerührt. Der Ausbruch bleibt<br />

vergeblich, die Provokation des Berges ohne Antwort.<br />

„Punishment II“: Julius von Bismarck rittlings auf einem hohen Felsen. Die<br />

Fotografie zerfällt in Mittel- und Hintergrund, ein Vordergrund fehlt. Die obere<br />

Hälfte des Bildes zeigt einen indifferenten, blauen Himmel. Die Felsen im<br />

Mittelgrund bleiben im Dunkeln, die Berge dahinter sind weit und hell. Der höchste<br />

Punkt des Felsens ragt in die obere Hälfte des Bildes hinein – und mit ihm die<br />

winzige Figur und seine Peitsche, die eine dünne, dunkle Linie in den Himmel<br />

zeichnet. Der Mensch ginge verloren, ragte er nicht in diesen Himmel hinein.<br />

Der Vergeblichkeit seiner Handlung trotzt er mit einem beharrlichen, stolzen<br />

Kampf. 1<br />

In die ideale, exemplarische, ungerührte Landschaft der Berge bricht eine offene<br />

Frage ein, die nach einer Antwort verlangt. Warum das Ganze? Mit welchem<br />

Recht wird der Berg (wird „die Natur“) bestraft? Auch wir werden wohl oder übel<br />

eine Antwort auf sie finden müssen.<br />

1<br />

Auch wenn es immer wieder, hin zur völligen Entleerung zitiert wurde (und möglicherweise auch in<br />

unserem Kontext in die Irre führt): „Der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.<br />

Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Albert Camus: Der Mythos von<br />

Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 101.<br />

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Die Natur wird bestraft, der Berg, das Meer, der Wald, der See, die Wiese. Die<br />

Bilder zeigen uns Prototypen, Vorstellungsbilder „der Natur“. 2 Von welchem<br />

Konzept der „Natur“ wir sprechen, bleibt jedoch mehr oder minder unklar.<br />

Offenkundig ist nur, dass nicht „die Realität“ ins Bild gesetzt wird. Gewählt<br />

wurden Momente, in denen die Natur zum Bild gerät und den Motiven<br />

gleicht, die uns die Tradition als „natürlich“ vermittelt. Die Natur wird so zur<br />

charakteristischen, idealischen „Landschaft“, zu einem Postkartenmotiv (oder zu<br />

einem seiner vielen Vorläufer). 3 Die „Natur“ tritt so als eine komponierte Ordnung<br />

in den Bildraum, in der alle Teile in perfekter Harmonie zusammenwirken.<br />

Gebrochen wird sie nur durch die Gewalt der winzigen menschlichen Figur – ein<br />

Kratzer in der Oberfläche, ein Makel, eine offene Wunde. Die idealen Bilder der<br />

Natur werden so zu einer Frage nach unserem Konzept der „Natur“. Drei<br />

Möglichkeiten, die „Natur“ zu begreifen, können im Folgenden unterschieden werden:<br />

Die „Natur“ kann als bedeutungsloser, weil nicht auf den Menschen<br />

bezogener Begriff verstanden und kritisiert werden (Natur oder Mensch); sie kann<br />

als hybride Lebensform mit Bezug auf den Menschen gedacht werden (Natur und<br />

Mensch); und sie kann als Teil des Menschen begriffen werden, der seiner<br />

Kontrolle entzogen ist (Mensch/Natur).<br />

1. Mit dem Aufkommen des wissenschaftlichen Denkens der Moderne wurde die<br />

Welt in zwei voneinander getrennte Bereiche geteilt. Es sollte „eine vollkommene<br />

Trennung zwischen der Naturwelt – obwohl vom Menschen konstruiert – und der<br />

Sozialwelt – obwohl von den Dingen zusammengehalten – geben […]“. 4 Die Natur<br />

musste von nun an ohne den Eingriff der Menschen gedacht werden, wenn<br />

die naturwissenschaftliche Objektivität garantiert werden sollte. Die Trennung<br />

war rigoros und blieb nicht ohne Wirkung auf unser Denken. 5 Sie führte jedoch zu<br />

einem ungewöhnlichen Paradox. Je mehr Kontrolle über die Natur und ihre<br />

Prozesse gewonnen wurde, desto neutraler und objektiver trat sie den Menschen<br />

2<br />

Man wird den einen exemplarischen Berg, den einen typischen Wald oder See als pars pro toto „der<br />

Natur“, ihres Urbildes oder Konzepts begreifen müssen.<br />

3<br />

Die Rückwirkung der malerischen Tradition auf die Realität (resp. auf unsere Wahrnehmung der<br />

Realität) kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Viele „englische Gärten“ wurden im<br />

frühliberalen 18. Jahrhundert als Abfolge idealer „begehbarer Bilder“ konzipiert, die Motive der<br />

traditionellen Malerei (beliebt war vor allem Lorrain) als Vorbilder und Wahrnehmungsschule für ihre<br />

Kompositionen nutzten. Vgl. hierzu Adrian von Buttlar: Der Landschaftsgarten. Gartenkunst des<br />

Klassizismus und der Romantik, Köln 1989.<br />

4<br />

Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie“, Frankfurt<br />

a. M. 2008, S. 46.<br />

5<br />

Ohne die genannte Trennung in „Natur“ und „Kultur“ hätte weder die Evolutionstheorie (der Mensch<br />

als Tier) noch die Psychoanalyse (das Tierische im Menschen) eine solch enorme Kränkung des<br />

modernen Menschen bewirken können.<br />

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entgegen. 6 Naturwissenschaft und Technik (die beiden Garanten menschlicher<br />

Herrschaft) rückten die Natur in eine uneinholbare Distanz. Die Verbindung zwischen<br />

Natur und Mensch wurde genau in dem Moment gekappt, als sie stabil<br />

genug und letztlich unauflösbar geworden war. War die Natur aber einmal von den<br />

Menschen getrennt, konnte sie zum Idealbild erhoben und „der alte Mythos von<br />

der essentiellen Güte der Natur“ wiederbelebt werden. Die natürliche Welt<br />

wurde observiert, kontrolliert und ausgebeutet, wurde objektiviert, neutralisiert und<br />

wissenschaftlich ausgewertet. Und doch wurde – bei aller Distanz – die Natur zu<br />

einer Metapher, „auf die [die] Menschen ihre Wunschphantasien projizieren<br />

können“, zur „allzeit gütigen und wohltätigen Muttergöttin“ 7 , die dem Weltenlauf<br />

harmonische und ewige Gesetze gibt. Um jedoch „an die Güte der Natur zu<br />

glauben“, schreibt Elias, „muss man die Schrecken der Nahrungsketten<br />

vergessen, in denen sich die listigeren und kräftigeren Tiere von den weniger<br />

listigen und kräftigen ernähren […]. Tatsächlich gibt es so etwas wie die ‚Natur’<br />

gar nicht. Es gibt nur diese Menge von Ereignissen, große Massen unorganisierter<br />

Materie, wo Zufall und Notwendigkeit nicht zu unterscheiden sind, und die vielgestaltigen<br />

Vertreter zahlreicher Integrationsebenen, die leben, zerfallen und<br />

miteinander kämpfen.“ 8 Wenn die Natur daher als gütige begriffen werden soll,<br />

müssen die Menschen sie zu einer solchen gütigen Natur machen. Die<br />

Verantwortung liegt bei ihnen und zwar nur bei ihnen. „Natur“ ist zuallererst ihre<br />

eigene Schöpfung.<br />

Wenn die winzige Figur daher den idealen Berg peitscht und die Harmonie des<br />

Bildes durch die Aggressivität zerbricht, muss vielleicht die im Titel genannte<br />

„Bestrafung“ mit dem Begriff der „Natur“ im Ganzen verbunden werden. „Natur“<br />

(ohne Eingriff der Menschen gedacht) wird damit zur Wunschphantasie degradiert,<br />

die den Menschen von der Bürde seiner Verantwortung befreien soll. Die Idealität<br />

der Darstellung wäre somit im Fokus der Deutung. Deutung Nummer 1: Julius<br />

von Bismarck bestraft ein „Idealbild“.<br />

Exkurs: Die Konzeption der Fotografien ist von mythologischem Format: Das<br />

Aufbegehren gegen die Gottheit, gegen die unangetasteten Ideale („Natur“ etc.)<br />

6<br />

Wir orientieren uns hier an einem zentralen Gedanken Bruno Latours: „Die Hypothese dieses Essays“,<br />

heißt es in Wir sind nie modern gewesen, „ist, daß das Wort ‚modern’ zwei vollkommen verschiedene<br />

Ensembles von Praktiken bezeichnet, die, um wirksam zu sein, deutlich geschieden bleiben müssen, es<br />

jedoch seit kurzem nicht mehr sind. Das erste Ensemble von Praktiken schafft durch ‚Übersetzung’<br />

vollkommen neue Mischungen zwischen Wesen: Hybriden, Mischwesen zwischen Natur und Kultur.<br />

Das zweite Ensemble schafft, durch ‚Reinigung’, zwei vollkommen getrennte ontologische Zonen, die<br />

der Menschen einerseits, die der nicht-menschlichen Wesen andererseits.“ Latour, a.a.O., S. 19.<br />

7<br />

Norbert Elias: Über die Natur, in: Merkur 40 (1986), S. 469 - 481.<br />

8<br />

Ebd.<br />

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wird für unsere „entzauberte“ Zeit erneuert. 9 Urvater des Aufstands ist ohne Frage<br />

Prometheus, der Titan, der den Göttern das Feuer entwendet hatte. Mögliches<br />

Vorbild hier ist aber der persische Großkönig Xerxes, der den Helespont (und<br />

damit letztlich Poseidon, den Gott des Meeres) auspeitschen ließ, weil ihm zwei<br />

kriegswichtige Brücken über die Meerenge nach Thrakien durch ein Unwetter<br />

zerstört worden waren. Die Geste von Bismarcks ist daher die Geste der radikalen<br />

Infragestellung, eine wütende Geste gegen die Herrschaft der positiven (und<br />

leeren) Begriffe. 10 Die Dinge, die immer als „objektiv“ (als gegeben) betrachtet<br />

worden sind, werden hier als kontingente Konventionen bloßgelegt: Denn die<br />

„objektive“ Welt muss nicht so sein, wie sie geworden ist. Die Götter,<br />

behauptet der revoltierende Mensch, können gestürzt werden.<br />

(In „Punishment X“ wendet sich von Bismarck daher folgerichtig gegen Gott<br />

selbst, den monumentalen „Christus Erlöser“ hoch über den Dächern von Rio, und<br />

parallelisiert damit die Vorstellungen „Gott“ und „Natur“ [und vielleicht ihre Auswüchse:<br />

Kirche und Naturwissenschaft].)<br />

2. „Das Ozonloch ist zu sozial und zu narrativ, um wirklich Natur zu sein […].“ 11 Mit<br />

der Frage nach der Natur verbindet sich die grundlegende Frage nach der eigenen<br />

Haltung, dem eigenen politischen „Weltbild“. Denn wenn wir die Natur zu der<br />

machen, die sie ist (die sie für uns ist 12 ), müssen wir wohl oder übel Verantwortung<br />

für ihren Zustand übernehmen. Ihr Zustand ist jedoch, gelinde gesagt,<br />

problematisch, und wenn wir meinen, die Natur zu zerstören, zerstören wir<br />

lediglich unsere eigene. (Die Materie werden wir nicht zerstören, so mächtig sind<br />

wir nun wirklich nicht.) Wenn von Bismarck daher den Berg auspeitscht, kommt<br />

der Peitschenhieb auf ihn selbst zurück: die Bestrafung des eigenen Handelns<br />

wird am „Anderen“ vollzogen. Die Menschheit wird symbolisch „zur Verantwortung“<br />

gezogen (in effigie [im Bildnis], wie man es früher genannt hat).<br />

In einem der Motive, das ein wenig aus der Reihe fällt, wird die Rückwirkung der<br />

menschlichen Handlungen auf die Menschen ins Bild gebracht. Die „Distanz“ der<br />

9<br />

Man könnte daher behaupten, von Bismarck knüpfe an die Tradition der „heroischen Landschaft“ an,<br />

vor allem an die Malerei Nicolas Poussins, aber auch an ihre Verkehrung in der deutschen Romantik<br />

(man denke an die winzige Figur in C. D. Friedrichs „Mönch am Meer“).<br />

10<br />

Von Bismarck, ein Waldorfschüler, erwartete jeden morgen der folgende Kanon von Christian<br />

Morgenstern: „Liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde.“<br />

11<br />

Latour, a.a.O., S. 14.<br />

12<br />

„Der Mann der Wissenschaft“, heißt es in der Dialektik der Aufklärung, „kennt die Dinge, insofern er<br />

sie machen kann. Dadurch wird ihr An sich Für ihn.“ Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik<br />

der Aufklärung, in: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Band 3, hg. v. Rolf Tiedemann,<br />

Frankfurt a. M. 1981, S. 25.<br />

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Umgebung, ihre ungerührte, gleichgültige Ordnung wird in „Punishment VII“ ins<br />

Aggressive und Unmittelbare verkehrt. Von Bismarck peitscht inmitten von Wellen,<br />

die ihm „antworten“, die gegen ihn „kämpfen“, ihn umwerfen und die, so könnte<br />

man sagen, beginnen, „zurückzuschlagen“. Anders gewendet: Die uns<br />

umgebende Welt wird wieder zur indifferenten Folge, die sie war, bevor wir sie zur<br />

Muttergöttin geformt haben. Die Bewegtheit des Meers wird daher zu einer<br />

Metapher für die Natur, die uns entgleitet, die wir nicht mehr kontrollieren und<br />

beherrschen können (vielleicht, weil wir sie eigenhändig zur Katastrophe geführt<br />

haben, vielleicht aber auch, weil wir sie von uns abgetrennt und nicht geführt<br />

haben). Wir wählen die Natur, die wir brauchen, und wir wählen sie häufig ohne<br />

Bewusstheit. Deutung Nummer 2: Julius von Bismarck bestraft uns.<br />

3. Genug der Politik, so bedeutsam sie sein mag. Nicht alles muss immer politisch<br />

sein. „Punishment“ zur politischen Agitation zu machen, wäre fatal – zumindest<br />

wenn es die einzige der vielen möglichen Deutungen bliebe. Neben Xerxes, dem<br />

persischen König (der politisch-kriegerischen Figur), dürfte eine andere Referenz<br />

mehr oder minder offenkundig sein: Sisyphos, der Zeus verraten und Thanatos<br />

unterjocht hatte, der Hades in der Unterwelt betrogen und verlacht hatte –<br />

Sisyphos, dem alles gelungen war, endete im Kampf gegen die eigene<br />

Unfähigkeit: gegen den Stein, der ihm, am höchsten Punkt des Berges, immer<br />

wieder entglitt. Wer würde nicht an den eigenen Grenzen, den eigenen Fähigkeiten<br />

verzweifeln? Wer würde nicht mit allen Mitteln versuchen, die Grenzen zu<br />

überwinden (oder doch den Körper mit Ketamin und den anderen, leichteren<br />

Drogen betäuben)? Die Bilder wären damit Bilder des existentiellen Aufruhrs, eines<br />

Kampfes gegen die undefinierbare Last, die auf uns (in uns) liegt. Wir müssen uns<br />

Sisyphos als einen begrenzten Menschen vorstellen. „Das Sein ist als Last<br />

offenbar geworden. Warum, weiß man nicht.“ 13 Und wenn man es wüsste?<br />

Vielleicht genügt die Tatsache, dass ich essen muss und schlafen muss, um mich,<br />

der sich doch anderes vorstellen kann, zutiefst zu kränken. Vielleicht aber genügt,<br />

nach all der Züchtung und Zurichtung auf Erfolg, bereits die Forderung,<br />

„natürlich“ zu sein, um mich gegen meine „Natur“ zu wenden. Die Oberflächen<br />

zwingen uns, den eigenen „Kern“ verachten zu lernen (oder zumindest jenen Teil<br />

in uns, den wir als Kern begreifen würden). Da gibt es eine Natur in mir, die nicht<br />

mit mir vereinbar ist, die Kränkung meines unüberwindbaren Narzissmus. Der<br />

Kampf mit dem Berg wird daher zum Kampf mit den eigenen Grenzen (dem Tier in<br />

13<br />

Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1960, S. 134.<br />

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uns). Deutung Nummer 3: Julius von Bismarck bekämpft die Natur in sich.<br />

In den Landschaftsaquarellen Albrecht Dürers, den ersten neuzeitlichen<br />

Landschaftsbildern überhaupt, wird die Natur „zu einem Ort der<br />

Selbstoffenbarung des Menschen“. „Die tatsächliche, reale Örtlichkeit ist nur<br />

Anlass und Anreger, den eigenen geistigen und inneren Standort zu ermitteln.“ 14<br />

Julius von Bismarck verkehrt die traditionelle, kontemplative Haltung<br />

gegenüber der Natur in eine aggressive, konfrontative. Er bricht die leere Idylle<br />

auf und nimmt der Natur die Maske ab. Der „innere Standort“ vor der Natur wird<br />

plötzlich ein problematischer. Und doch geht es in „Punishment“ wohl letztlich um<br />

den Menschen – wie in den Aquarellen Dürers auch, vor gut einem halben<br />

Jahrtausend. Befragt werden die „Idealbilder“ (1), Handlungen und „Weltbilder“<br />

(2), die existentiellen Ängste und uneinlösbaren Forderungen (3) der Menschen.<br />

Der Mensch tritt der Natur gegenüber – und findet eine vermenschlichte.<br />

Natur und Mensch bilden, wie zuvor im Mythos, eine Einheit. Die Natur als<br />

solche ist gleichgültig, Harmonie kann nur der Mensch ihr geben. Die gütige<br />

Muttergöttin ist tot. – Trauern wir nicht zu lange um sie.<br />

14<br />

Matthias Eberle: Individuum und Landschaft. Zur Entstehung und Entwicklung der<br />

Landschaftsmalerei, Gießen 1980, S. 173.<br />

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