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Transkulturelle Aspekte und ihre Bedeutung in der Behandlung ...

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Review article<br />

tischen Manuale <strong>und</strong> auch die lebhaften Diskussionen um<br />

die neuen Versionen des DSM­V <strong>und</strong> des ICD­11. Es können<br />

<strong>und</strong> müssen von uns allen die jeweiligen E<strong>in</strong>flussfaktoren<br />

auf die Formulierung, Wahrnehmung <strong>und</strong> Beschreibung<br />

j e<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Störung bedacht <strong>und</strong> reflektiert werden.<br />

In je<strong>der</strong> Begegnung mit e<strong>in</strong>em An<strong>der</strong>en, also nicht etwa<br />

nur e<strong>in</strong>gegrenzt auf den Menschen mit e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Herkunft<br />

<strong>und</strong> aus e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en kulturellen Kontext, treten<br />

wir e<strong>in</strong>em Fremden gegenüber <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>volviert <strong>in</strong> die<br />

D ialektik des Eigenen <strong>und</strong> Fremden. Denn was als fremd<br />

<strong>und</strong> was als eigen gilt, legt ke<strong>in</strong>e objektive Instanz fest,<br />

s on<strong>der</strong>n diese Differenzen konstruieren wir selbst (s.a. [11]).<br />

«Indem die transkulturelle Psychiatrie neue Antworten auf<br />

diese Fragen f<strong>in</strong>den muss, bereichert sie die Allgeme<strong>in</strong>psychiatrie,<br />

statt nur von ihr zu profitieren. Die Begegnung<br />

mit kulturell Fremden zw<strong>in</strong>gt dazu, sich über den Umgang<br />

mit Fremden <strong>und</strong> Fremden überhaupt Gedanken zu machen.<br />

Insofern hält die transkulturelle Arbeit <strong>der</strong> Psychiatrie<br />

überhaupt den Spiegel vor <strong>und</strong> erlaubt zu sehen, worum es<br />

auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen Arbeit geht.» [11]<br />

Abschliessende <strong>und</strong> zusammenfassende Anmerkungen<br />

Wegen des Mangels an Informationen bei den Migranten<br />

über unser Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong> dadurch bed<strong>in</strong>gte Zugangsschwierigkeiten<br />

ist es notwendig, auf das Leiden <strong>und</strong><br />

die psychischen Erkrankungen <strong>der</strong> Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten<br />

dort aufmerksam zu se<strong>in</strong>, wo sie zunächst Hilfe<br />

s uchen, häufig bei Hausärzten, Gynäkologen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzten.<br />

Durch e<strong>in</strong>e verbesserte Kooperation <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Fachgebiete ist bei gegebener Indikation e<strong>in</strong>e frühzeitige<br />

Zuweisung zum Psychiater <strong>und</strong> Psychotherapeuten<br />

anzustreben. Denn bisher kommen die Migranten <strong>in</strong> die<br />

psychiatrische Praxis o<strong>der</strong> die psychiatrische Kl<strong>in</strong>ik noch<br />

sehr spät, vor allem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er prekären Notlage.<br />

Basis je<strong>der</strong> diagnostischen E<strong>in</strong>schätzung <strong>und</strong> <strong>Behandlung</strong><br />

ist die sprachliche Verständigung. Wenn sie nicht gegeben<br />

ist, müssen Dolmetscher beigezogen werden können.<br />

Für diese Voraussetzung zu sorgen, bleibt immer noch e<strong>in</strong>e<br />

drängend zu lösende Aufgabe, vor allem <strong>in</strong> den Privatpraxen.<br />

Angehörige für die Übersetzung <strong>in</strong> therapeutischen<br />

G esprächen beizuziehen ist gerade auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psychiatrie/<br />

Psychotherapie aus vielen Gründen abzulehnen. Denn z.B.<br />

heikle traumatische Erfahrungen kommen dann nicht zur<br />

Sprache, entwe<strong>der</strong>, weil sie auch schon bisher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie<br />

nicht angesprochen werden konnten (zu nennen s<strong>in</strong>d hier<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Vergewaltigungen) o<strong>der</strong> weil sie für die an<strong>der</strong>en<br />

Familienmitglie<strong>der</strong> als zu belastend angesehen werden<br />

(z.B. wenn Jugendliche die Schil<strong>der</strong>ung von Folterungen<br />

übersetzen müssten).<br />

Ke<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>, ke<strong>in</strong> Kollege kann <strong>und</strong> muss verschiedenste<br />

«Kulturen» kennen. Diese Erwartung ist e<strong>in</strong>e unbegründete<br />

Annahme, die eher aus <strong>der</strong> Abwehr gegenüber<br />

den als fremd ersche<strong>in</strong>enden Patienten herrührt. Entscheidend<br />

ist es, den e<strong>in</strong>zelnen Patienten zu Wort kommen zu<br />

lassen, von ihm selbst se<strong>in</strong> Referenzsystem zu erfragen. Von<br />

Vorteil kann es aber se<strong>in</strong>, wenn man sich über die politischen<br />

Machtverhältnisse <strong>in</strong> dem Herkunftsland <strong>in</strong>formiert.<br />

Denn so kann z.B. die Situation von Flüchtl<strong>in</strong>gen aus Eritrea<br />

besser e<strong>in</strong>geschätzt werden.<br />

Wie wir psychische Erkrankungen sehen, klassifizieren<br />

<strong>und</strong> behandeln, ist ke<strong>in</strong>e feste, gegebene Tatsache, denn die<br />

Störungen s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e vorf<strong>in</strong>dlichen Entitäten, die wir nur zu<br />

entdecken hätten, son<strong>der</strong>n unsere wichtigsten psychiatrischen<br />

Krankheitsbil<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d Vere<strong>in</strong>barungen, wie sich das an<br />

<strong>der</strong> andauernden Debatte über die Krankheitsgruppe <strong>der</strong><br />

Schizophrenien gut ablesen lässt. Deshalb ist e<strong>in</strong>e kritische<br />

Selbstreflexion unserer theoretischen Annahmen <strong>und</strong> unseres<br />

Handelns notwendig. Es ist auch erfor<strong>der</strong>lich, unser therapeutisches<br />

Vorgehen <strong>und</strong> unsere Empfehlungen verständlich<br />

zu machen; denn unsere wie<strong>der</strong>holte Erfahrung ist, dass<br />

viele Migranten nicht wissen <strong>und</strong> verstehen, was z.B. e<strong>in</strong>e<br />

Psychotherapie ist <strong>und</strong> be<strong>in</strong>haltet.<br />

Auch Selbstverständlichkeiten wie die ärztliche Schweigepflicht<br />

müssen wie<strong>der</strong>holt betont werden, da viele Patienten<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Vorerfahrungen mit an<strong>der</strong>en Machtverhältnissen<br />

ke<strong>in</strong> Vertrauen haben.<br />

Wie bereits ausgeführt, bewegen wir uns <strong>in</strong> unserer therapeutischen<br />

Praxis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz konkreten sozialpolitischen<br />

<strong>und</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen Umfeld, das <strong>in</strong> vielen Fällen<br />

erheblichen E<strong>in</strong>fluss auf unser Tun hat. Immer wie<strong>der</strong> gelangen<br />

wir deshalb mit unserem therapeutischen Rüstzeug<br />

an Grenzen, fühlen uns manchmal ohnmächtig. Notwendig<br />

<strong>und</strong> hilfreich können dann Kontakte zu den verschiedenen<br />

sozialen Institutionen, NGOs, juristischen Beratungsstellen<br />

u.a. se<strong>in</strong>.<br />

Es darf uns Psychiatern <strong>und</strong> Psychotherapeuten bewusst<br />

se<strong>in</strong>, dass wir mit je<strong>der</strong> <strong>Behandlung</strong> e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Patienten<br />

positiven E<strong>in</strong>fluss nehmen auch auf (s)e<strong>in</strong>e grössere<br />

G eme<strong>in</strong>schaft/Familie <strong>und</strong> <strong>in</strong>sofern hilfreich se<strong>in</strong> können<br />

für die Startbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> nachwachsenden Generation.<br />

Das Feld <strong>der</strong> transkulturellen Mediz<strong>in</strong>, Psychiatrie <strong>und</strong><br />

Psychotherapie ist zwar e<strong>in</strong> weites, aber auch e<strong>in</strong> dankbares<br />

Arbeitsgebiet.<br />

Literatur<br />

1 Stompe T. Überlegungen zur Problematik kulturvergleichen<strong>der</strong> psychopathologischer<br />

Untersuchungen am Beispiel <strong>der</strong> Schizophrenie. In: Golsabahi S,<br />

Heise T (Hrsg.). Von Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>und</strong> Unterschieden. Berl<strong>in</strong>: Verlag für<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung; 2008. p. 131–43.<br />

2 Haasen C, Boyali A, Yagdiran O, Krausz M. Prävalenz psychischer Störungen<br />

bei Migranten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Allgeme<strong>in</strong>arztpraxis. Z Allg. Med. 2000;61:472–80.<br />

3 Koch E, Hartkamp N, Siefen R, Schouler-Ocak M. Patienten mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

<strong>in</strong> stationären psychiatrischen E<strong>in</strong>richtungen. Nervenarzt.<br />

2008;79:328–39.<br />

4 Ehret R. Die Kulturfalle. Plädoyer für e<strong>in</strong>en sorgsamen Umgang mit Kultur.<br />

In: Golsabahi S, Stompe T, Heise T (Hrsg.). Je<strong>der</strong> ist weltweit e<strong>in</strong> Frem<strong>der</strong>.<br />

Berl<strong>in</strong>: Verlag für Wissenschaftg <strong>und</strong> Bildung; 2009. p. 47–55.<br />

5 Ehret R. Die Kulturfalle. In: Golsabahi S.,Stompe T., Heise T. (Hrsg.). Je<strong>der</strong> ist<br />

weltweit e<strong>in</strong> Frem<strong>der</strong>. Berl<strong>in</strong>: Verlag für Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung; 2009.<br />

p. 47–55.<br />

6 Dörner K, Plog U. Irren ist menschlich. Köln: Psychiatrie Verlag; 1984. p. 18.<br />

7 Koch E, Küchenhoff B, Schouler-Ocak M. Inanspruchnahme psychiatrischer<br />

E<strong>in</strong>richtungen von psychisch kranken Migranten <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Schweiz. In: Machleidt W, He<strong>in</strong>z A (Hrsg.). Praxis <strong>der</strong> <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Psychia trie <strong>und</strong> Psychotherapie. München: Elsevier; 2011. p. 493.<br />

8 Schär Sall H, Schick M, Küchenhoff B. Theorie <strong>und</strong> Praxis <strong>der</strong> transkulturellen<br />

Psychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie an <strong>der</strong> Psychiatrischen Universitätskl<strong>in</strong>ik<br />

Zürich. In: Golsabahi S, Küchenhoff B, Heise T (Hrsg.). Migration <strong>und</strong><br />

kulturelle Verflechtung. Berl<strong>in</strong>: Verlag für Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung; 2010.<br />

p. 167–79.<br />

9 Sturm G. Aktuelle Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> ethnopsychoanalytisch orientierten<br />

Psychotherapie <strong>in</strong> Frankreich: Der ethnopsychiatrische Ansatz von Marie<br />

Rose Moro. In: Sippel J, Apsel R (Hrsg.). Ethnopsychoanalyse Band 6.<br />

Forschen, Erzählen <strong>und</strong> Reflektieren. Frankfurt/Ma<strong>in</strong>: Brades & Apsel; 2001.<br />

p. 218–38.<br />

10 Küchenhoff B, Schär Sall H. Flucht, Trauma- <strong>und</strong> Trauerarbeit – Therapie<br />

e<strong>in</strong>er schwer traumatisierten Frau aus Ostafrika im ethnopsychiatrischen<br />

<strong>Behandlung</strong>ssett<strong>in</strong>g. In: Feldmann R, Seidler G (Hrsg.). Traum(a) Migration.<br />

Giessen: Psychosozial-Verlag; 2013. p. 181–91.<br />

11 Küchenhoff J. Die Phänomenologie des Fremden als Gr<strong>und</strong>lage psychiatrischpsychotherapeutischen<br />

Handelns. (Im Druck.)<br />

SWISS ARCHIVES OF NEUROLOGY AND PSYCHIATRY 2014;165(1):10–3<br />

www.sanp.ch | www.asnp.ch<br />

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