Panik - Sardog
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Psychosoziales<br />
Krisenmanagement<br />
<strong>Panik</strong> bei Großveranstaltungen<br />
Aktueller Forschungsstand zu Konzepten<br />
und Maßnahmen der <strong>Panik</strong>prävention<br />
Annika Fritsche, BBK
• Definition<br />
Psychosoziales Krisenmanagement<br />
• Bedingungen<br />
PANIK<br />
• Anzeichen<br />
• Empirische Ergebnisse<br />
• Maßnahmen zur <strong>Panik</strong>prävention<br />
• Implikationen für die Praxis<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Definition „<strong>Panik</strong>“<br />
• keine einheitliche wiss. Definition<br />
• bezieht sich auf: inappropriate (or<br />
excessive) fear and / or flight<br />
• highly intense fear and / or flight<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Definitionen „<strong>Panik</strong>“<br />
• „a collective flight based on a<br />
hysterical belief“<br />
• „Panic is the crowd in dissolution“<br />
• „ a sudden overwhelming fear, with or<br />
without cause, that often spreads<br />
quickly through a group of persons or<br />
animals“<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
<strong>Panik</strong> – Annahmen<br />
• ausgelöst durch eine subjektive Bedrohung<br />
(Feuer, Pfefferspray)<br />
• blinde Flucht / Bewegungssturm<br />
• irrationales Verhalten<br />
• Minderung des sozialen Zusammenhaltes, der<br />
Hilfsbereitschaft und Selbsthilfefähigkeit<br />
• Zunahme von egoistischem, rücksichtslosen<br />
Verhalten und Aggressionen<br />
• ansteckend -> Massenphänomen<br />
• <strong>Panik</strong> führt erst zu der Gefährdung<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Bedingungen für <strong>Panik</strong><br />
• (wahrgenommene) Bedrohung<br />
• Zeit für geordnete Evakuierung zu kurz<br />
• Fluchtwege sind vorhanden und die<br />
einzige Rettung<br />
• Fluchtwege sind jedoch begrenzt<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Merkmale auf indiv. Ebene<br />
Anzeichen von <strong>Panik</strong><br />
•Bewusstseinseinengung (kogn. Fähigkeiten<br />
herabgesetzt, aber nicht ausgeschaltet!)<br />
•Angstsymptome (Zittern, Schwitzen, Atemnot,<br />
Übelkeit, Ohnmachtsgefühle) können Ängste<br />
verstärken<br />
•Betäubung oder Agitiertheit<br />
•Entfremdungserleben von sich und der Umwelt<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Anzeichen von <strong>Panik</strong><br />
• Menschen versuchen sich schneller zu<br />
bewegen.<br />
• Verhalten wird selbstbezogener.<br />
• Menschen beginnen zu schieben und schubsen,<br />
Körperkontakte werden häufiger.<br />
• Die Fluchtbewegungen wird behindert durch<br />
fallenden oder verletzte Personen, die als<br />
Hindernisse wirken.<br />
Helbing et. al. (2000)<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Anzeichen von <strong>Panik</strong><br />
Bewegungen und vor allem das Passieren<br />
von Engstellen werden ungeordneter.<br />
An Ausgängen bilden sich Bögen und<br />
Pfropfen.<br />
Es kommt zu<br />
Aufstauungen.<br />
Helbing et. al. (2000)<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Anzeichen von <strong>Panik</strong><br />
Die Dichte führt zu gefährlichen Drücken.<br />
Schockwellen breiten sich aus und<br />
heben die Menschen buchstäblich von den Füßen.<br />
Der Zugang zu Menschen,<br />
die fallen, wird unmöglich.<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Anzeichen von <strong>Panik</strong> – kollektive<br />
Phänomene<br />
• Aufbau größer Drücke<br />
• paradoxe Erscheinungen („Freezing by<br />
Heeting“, „Schneller-ist-Langsamer-Effekt“)<br />
• Versagen „Front-to-Back-Kommunikation“<br />
• Herdenverhalten<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Herdenverhalten<br />
Anzeichen von <strong>Panik</strong> – kollektive<br />
Phänomene<br />
• Menschen neigen<br />
dazu anderen zu<br />
folgen<br />
• Alternative<br />
Ausgängen werden<br />
übersehen und / oder<br />
nicht effizient genutzt<br />
Following the crowd (Low, 2000)<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
<strong>Panik</strong> – empirische Ergebnisse<br />
Bsp. für „Massenpanik“ in den Medien<br />
• Radio-Hörspiel „War of the Worlds“, Orson<br />
Welles (1938)<br />
• Hillsborough Fußball Stadion (1989): 96 Tote,<br />
über 400 Verletzte<br />
• Mekka (2006): 363 Tote, über 298 Verletzte<br />
• Loveparade (2010): 21 Tote, zahlreiche Verletzte<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
<strong>Panik</strong> – empirische Ergebnisse<br />
Auswertung von 127 Crowd Disaster (Rogsch et al., 2008)<br />
• „<strong>Panik</strong>“ – tritt lokal begrenzt auf, früh im Ablauf und<br />
kurzfristig<br />
• Auslöser für die Ereignisse sehr unterschiedlich<br />
(Feuer, Ausschreitungen / Krawalle, Habgier etc.)<br />
• <strong>Panik</strong> (def. als „unüberlegte angstausgelöste<br />
Flucht“) nur in zwei Fällen ursächlich<br />
• häufig Crush / Stampede und Mischkategorien<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
• geordnete Evakuierung<br />
Evakuierung WTC 2001<br />
• Über 99 % derjenigen, die sich<br />
unter den Einschlagspunkt der<br />
Flugzeuge aufhielten, konnten<br />
die Gebäude verlassen<br />
• Hilfeverhalten auch bei eigener<br />
Gefährdung<br />
• <strong>Panik</strong>reaktion und irrationale<br />
Verhaltenweisen wurden in (nur)<br />
0.8% der Fälle beobachtet<br />
(Blake, Galea, Westeng, & Dixon, 2004)<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
-> Bindungen bleiben erhalten<br />
• Suchen von Angehörigen<br />
• verzögerte Evakuierung<br />
Empirische Befunde zu „<strong>Panik</strong>“<br />
-> rationales, angemessenes (Entscheidungs-) Verhalten<br />
(gemessen an der subjektiven Einschätzung der Situation)<br />
• begrenzte Informationen und Entscheidungszeit, Bedrohung<br />
-> Normen bleiben bestehen, altruistisches Verhalten<br />
• gegenseitige Hilfe und Kooperation (wenn möglich)<br />
• Rollen, Normen werden aufrechterhalten<br />
• keine „Ansteckung“<br />
• Menschen neigen eher dazu, Gefahren zu unterschätzen<br />
• Evakuierungsaufforderungen wird nur verzögert Folge geleistet<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
„Massenpanik“?<br />
• <strong>Panik</strong> und Fluchtverhalten treten sehr selten auf<br />
• auch wenn Menschen starke Furcht empfinden,<br />
neigen sie nicht zu irrationalem, aggressivem<br />
Verhalten<br />
• „<strong>Panik</strong>“ kann angemessenes Fluchtverhalten<br />
sein<br />
• „<strong>Panik</strong>“ ist zu unterscheiden von dem<br />
Bewegungsdrang aufgeheizter, dichter<br />
Menschenmengen<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Vorfälle bei Großveranstaltungen<br />
•kosten durchschnittlich 2000 Menschen im Jahr<br />
das Leben<br />
•Mythos „Massenpanik“ liefert einfache Erklärung<br />
•lenkt ab von anderweitigem Versagen<br />
•in den meisten Fällen ursächlich (Dickie, 1995):<br />
-Planungsfehler<br />
-Mangelhaftes Crowd Management und Crowd<br />
Control<br />
-Veranstaltungsort (Schwachstelle oder<br />
Gefährdung)<br />
-aufgeheizte Menge<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Präventionsmaßnahmen<br />
Vor der Veranstaltung<br />
Veranstaltungsort (baulich, architektonisch, ..)<br />
z.B<br />
Simulationen zur Bewertung und Optimierung von<br />
Sicherheits- und Entfluchtungskonzepten<br />
(Prognose von Stauungen, Entschärfung von<br />
Engstellen, Trennung Zu- u. Abstrom)<br />
Flexibilität von Fluchtwegen (um versperrte Routen<br />
ausgleichen zu können) und –Leitsystemen<br />
Überwachungskonzept mit Kameras an Engstellen<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Präventionsmaßnahmen<br />
Bsp. für architektonische Präventionsmaßnahme nach Helbing (2000)<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Präventionsmaßnahmen<br />
Vor der Veranstaltung<br />
integrativer Ansatz bei Planung und Durchführung<br />
• Berücksichtigung sämtlicher soz., organisator., techn.,<br />
veranstaltungsbedingter Einflussfaktoren<br />
• multidisziplinäre Vorbereitung und Kooperation, um<br />
Expertisen und Perspektiven zusammenzuführen<br />
(Veranstalter, Feuerwehr, Rettungsdienst,<br />
Ordnungskräfte, Sanitätsdienst, … )<br />
• Erfahrung und Wissen vorausgegangener<br />
Veranstaltungen nutzen (Verhalten,<br />
Zusammensetzung der Besuchergruppen, mögliche<br />
Probleme etc.)<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Präventionsmaßnahmen<br />
Vor der Veranstaltung<br />
Koordination / Kooperation / Kommunikation<br />
• hierarchische Organisation, klare Befehlsstruktur,<br />
zentrale Steuerung vorbereiten<br />
• Zuweisung von Rollen und Verantwortungen<br />
• ausreichend erfahrene und geübte Evakuierungshelfer<br />
• Kommunikation / Informationen (vorbereiten, Technik<br />
prüfen, Back-up-Kommunikationssysteme)<br />
• auch auf unwahrsch. Szenarien (Dominoeffekte)<br />
vorbereiten, keine starre Erwartungshaltung<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Prävention<br />
während der Veranstaltung<br />
• Beobachtung der Besucher /-ströme<br />
• Aufzeichnung und computergestützte<br />
Auswertung der kollektiven Bewegungen (Stopand-go-Wellen,<br />
Turbulenzen)<br />
• Verfolgung des ges. Geschehens (Stimmung,<br />
Bühnengeschehen, …)<br />
• Position von Ordnungskräften innerh. der Menge<br />
• Kommunikation (visuell, akustisch,<br />
Piktogramme; proaktiv, Ordner, beidseitig)<br />
• Umgang mit aggressiven, betrunkenen<br />
Veranstaltungsbesuchern<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Intervention (I)<br />
• erste Anzeichen ernst nehmen<br />
• schnelles Handeln (Plan B bevor es zu<br />
kritischen Dichten kommt, z.B. Ab- und<br />
Umleiten v. Personenströmen)<br />
• Informationen geben, klare<br />
Handlungsanweisungen, Führung<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Intervention (II)<br />
• Aufrechterhaltung der Kommunikation mit der<br />
ganzen Menge!<br />
• Appelle an „gemeinsame Identität“ und<br />
prosoziales Verhalten<br />
• Vermeiden von Aussagen wie „Keine <strong>Panik</strong>“,<br />
kein Zurückhalten von Informationen aus<br />
Angst vor <strong>Panik</strong>reaktionen<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Implikationen für die Praxis / Ausbildung<br />
Evakuierungsübungen / Training und Briefing<br />
• aller Beteiligten vor einem Event (vor allem für<br />
diejenigen, die die erste Anlaufstelle für die Menge /<br />
Besucher sind (Sanitätsdienst, Ordner),.<br />
• Vertraut sein mit Gelände / Veranstaltungsort, um<br />
hilfreiche und richtige Informationen geben zu können.<br />
• eindeutige Zuweisung von Rollen und Aufgaben (für<br />
normale und Notfallsituationen)<br />
• Training im Umgang mit aggressiven, betrunkenen /<br />
orientierungslosen, verängstigten<br />
Veranstaltungsbesuchern und Selbstmanagement<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
FAZIT<br />
Jede dichte Menschenmasse ist ein<br />
Gefahrenpotential, auch ohne dass im<br />
psychologischen Sinne <strong>Panik</strong> auftritt.<br />
Im Hinblick auf die Prävention von <strong>Panik</strong> ist ein<br />
integrativer Ansatz erforderlich, der nicht nur<br />
sämtliche möglichen Einflussfaktoren auf das<br />
Verhalten von Menschen einbezieht, sondern<br />
auch alle beteiligten Behörden und<br />
Organisationen.<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011
Vielen Dank für Ihre<br />
Aufmerksamkeit!<br />
Annika Fritsche<br />
Abteilung Krisenmanagement<br />
Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)<br />
Provinzialstraße 93<br />
53127 Bonn - Lengsdorf<br />
Tel.: 0228-99 550 2406<br />
E-Mail: annika.fritsche@bbk.bund.de<br />
url.: www.bbk.bund.de<br />
Abteilung I, Referat Psychosoziale Notfallversorgung / NOAH<br />
Stand:11-2011