Zu Hause in Bergstedt - Begegnungsstätte Bergstedt
Zu Hause in Bergstedt - Begegnungsstätte Bergstedt
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<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
E<strong>in</strong> Stadtteilprojekt der<br />
<strong>Begegnungsstätte</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
und der Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong>
Klasse 5c<br />
Klassenleitung:<br />
Peter Tischer, Anke Gastmann.<br />
Jan-Erik Abel, Jasper August<strong>in</strong>,<br />
Torben Cordes, M<strong>in</strong>ou<br />
Dehnamaki, Birte Den<strong>in</strong>g,<br />
Larissa Draack, Leonie Hertrich,<br />
Alica Herzog, Gesa Hoffmann,<br />
Alicia Jaschik, F<strong>in</strong>n Judith,<br />
Greta-L<strong>in</strong>n Karcher, Moritz<br />
Fabian Kern, Louisa Langhe<strong>in</strong>,<br />
Fynn Lehmann, Paula Lotta<br />
Mangelsen, Timo Mävers, Anna-<br />
Lena Möller, Carmen Neels,<br />
Sönke Otjen, Philip Noah Roth,<br />
Niklas Sadzki, Lasse Schumann,<br />
Bruno Seehase, Ole Seipolt,<br />
Nikolaj Thomsen, Sara<br />
Timmermann, Tobias<br />
Timmermann.<br />
Klasse 7b<br />
Klassenleitung:<br />
Frank Beuster, Gabi Bässler.<br />
S<strong>in</strong>a Appel, Alessandra Barillà,<br />
Jochen Bergmann, Saskia<br />
Blömeke, Shawn Buchs, Jennifer<br />
H<strong>in</strong>richs, Jan-Phillip Kirsch,<br />
Tobias Knechtel, Vivien Krause,<br />
Lennart Krüger, Felix Meyer,<br />
Steven Müller, Natalie P<strong>in</strong>ter,<br />
Ole Pries, Henn<strong>in</strong>g Riediger,<br />
N<strong>in</strong>a Rohloff, Cathar<strong>in</strong>a Seibold,<br />
Alexander Walker, Timo Wiegel,<br />
St<strong>in</strong>a von Wildenradt, Angel<strong>in</strong>a<br />
Wörmer.
„Du kannst nix anners as d<strong>in</strong> Vadder<br />
s<strong>in</strong> Land verköpen!“ Diese Vorwürfe<br />
musste sich He<strong>in</strong>rich Siemers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
<strong>Bergstedt</strong>er Gaststube von anderen<br />
Bauern anhören, als er se<strong>in</strong>e Anteile<br />
am Rodenbeker Holz verkaufte.<br />
Nachzulesen ist dieses <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehenswerten<br />
Broschüre der <strong>Begegnungsstätte</strong><br />
<strong>Bergstedt</strong>,<br />
die sich 1983 im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>er Stadtteilkulturaktion<br />
der Geschichte <strong>Bergstedt</strong>s<br />
widmete.<br />
Was se<strong>in</strong>er Zeit den Anfang<br />
nahm, nämlich die Aufsiedelung<br />
von bäuerlichem<br />
Grundbesitz, hat heute e<strong>in</strong><br />
Ausmaß erreicht, das vielen<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> zu viel wird. Die<br />
Stadtflucht <strong>in</strong>s Grüne, <strong>in</strong>s<br />
dörfliche <strong>Bergstedt</strong> und der<br />
zunehmende Verkehr beg<strong>in</strong>nen<br />
den <strong>Bergstedt</strong>ern<br />
den Atem zu rauben.<br />
E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die Vergangenheit<br />
zeigt allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong> anderes<br />
Bild als nur das von der „guten, alten<br />
Zeit“.<br />
Es waren vor allem die Veröffentlichungen<br />
des Lehrers Sparmann, die die<br />
Entwicklung von <strong>Bergstedt</strong> und die Bio-<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Liebe <strong>Bergstedt</strong>er<strong>in</strong>nen und <strong>Bergstedt</strong>er!<br />
grafien der Menschen sehr anschaulich<br />
dargestellt haben. Ausdrücklich zu<br />
erwähnen ist <strong>in</strong> diesem <strong>Zu</strong>sammenhang<br />
auch das Buch „Bäcker Brandts<br />
Butterkuchen“ von Edith Wischmann,<br />
das <strong>in</strong> diesem Jahr erschienen ist.<br />
Der Dialog der Generationen <strong>in</strong> Berg-<br />
stedt als neuer und ergänzender Aspekt<br />
stand im Vordergrund, als <strong>in</strong> diesem<br />
Jahr K<strong>in</strong>der der Klassen 5 und 7<br />
der Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong> geme<strong>in</strong>sam<br />
mit ihren Klassenlehrern Peter<br />
Tischer und Frank Beuster an e<strong>in</strong>em<br />
Vorwort<br />
Geme<strong>in</strong>schaftsprojekt mit der <strong>Begegnungsstätte</strong><br />
<strong>Bergstedt</strong> und dem Heimatr<strong>in</strong>g<br />
<strong>Bergstedt</strong> unter dem Motto<br />
„<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>“ gearbeitet<br />
haben.<br />
Schwerpunkt dieser Arbeit waren die<br />
vielen Zeitzeugen<strong>in</strong>terviews, die fotografische<br />
Dokumentation<br />
markanter Punkte <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
und die heimatkundliche<br />
Betrachtung von<br />
<strong>Bergstedt</strong> unter dem Motto<br />
„Damals und Heute“.<br />
E<strong>in</strong> Dank an alle, die die<br />
K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer Arbeit unterstützt<br />
haben: an die Zeitzeugen<br />
und an die Lehrer<br />
der Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong>.<br />
E<strong>in</strong> besonderer Dank gilt<br />
der Behörde für Soziales,<br />
Familie, Gesundheit und<br />
Verbraucherschutz für die<br />
großzügige f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung<br />
im Rahmen von<br />
Proregio-II-Projektmitteln.<br />
Alle Beteiligten freuen sich, Ihnen, liebe<br />
<strong>Bergstedt</strong>er<strong>in</strong>nen und <strong>Bergstedt</strong>er,<br />
das Ergebnis dieser Arbeit mit dieser<br />
Broschüre vorstellen zu dürfen.<br />
Birghild Boecker Kar<strong>in</strong> Cordes Dr. Joachim Pohlmann<br />
Schulleiter<strong>in</strong> Vorsitzende Vorsitzender<br />
Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong> <strong>Begegnungsstätte</strong> <strong>Bergstedt</strong> Heimatr<strong>in</strong>g <strong>Bergstedt</strong><br />
3
Inhalt<br />
Seite<br />
Die Klassen 5c und 7b<br />
der Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong> ..... 2<br />
Vorwort .................................. 3<br />
Impressum ............................. 4<br />
Grußwort von Angelika Sterra,<br />
Ortsamtsleiter<strong>in</strong> Walddörfer ..... 5<br />
Bilder Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong> u.<br />
<strong>Begegnungsstätte</strong> <strong>Bergstedt</strong> ..... 5<br />
Blick <strong>in</strong> die Vergangenheit:<br />
Begegnung als Schulaufgabe ..... 6<br />
Bilder: E<strong>in</strong>schulung<br />
damals und heute ................... 6<br />
Bilder: Schule damals<br />
und heute .............................. 7<br />
Bilder: Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler damals und heute ..... 8/9<br />
Interview mit He<strong>in</strong>er Rehders .... 10<br />
Bilder: Kirche und (ehemalige)<br />
Polizeiwache Ecke Volksdorfer<br />
Damm/<strong>Bergstedt</strong>er Chaussee<br />
damals und heute .................. 11<br />
Blick <strong>in</strong> die <strong>Zu</strong>kunft:<br />
„Me<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
<strong>in</strong> 50 Jahren“ ........................ 12<br />
Bilder: Griem-Hof<br />
damals und heute .................. 12<br />
Bilder: Timmermann-Haus<br />
damals und heute .................. 13<br />
Interwiew mit Herrn Bauersfeld,<br />
Ladenbesitzer an der<br />
Ohlstedter Straße ................... 14<br />
Seite<br />
Bilder: Laden an der<br />
Ohlstedter Straße<br />
damals und heute ............... 14/15<br />
Interview mit Paul Bohnhoff ..... 16<br />
Bilder: Biehl-Haus<br />
damals und heute .................. 17<br />
Interwiew mit<br />
Roland Neumann .................. 18<br />
Bilder: Elektroladen<br />
Neumann damals und heute ... 18<br />
Bilder: Wohldorfer Damm<br />
damals und heute .................. 19<br />
Interview mit Frau Cordes,<br />
geb. Appel ............................ 20<br />
Bilder: Brandt-Haus<br />
damals und heute ............... 20/21<br />
<strong>Bergstedt</strong> – e<strong>in</strong> Stadtteil <strong>in</strong> den<br />
Walddörfern von Hamburg:<br />
Interview mit Fr. Hillmer sen. ... 22<br />
Bild: Kaufhaus Hillmer............ 22<br />
Bilder: Schmidt-Haus<br />
damals und heute .................. 23<br />
Interview mit dem<br />
Ehepaar Kurth ....................... 24<br />
Bilder: Drogerie<br />
damals und heute ............... 24/25<br />
Interview mit dem<br />
Ehepaar Grimm ..................... 26<br />
Bilder: Schlachterei Grimm<br />
damals und heute ............... 26/27<br />
Seite<br />
Bilder: Kracht-Hof<br />
damals und heute .................. 28<br />
„Paten“-t für Jungen ............... 29<br />
Bild: Feuerwehrkutsche<br />
vorm Timmermann-Laden....... 29<br />
Bilder: Volksdorfer Damm<br />
damals und heute ............... 30/31<br />
I m p r e s s u m<br />
Herausgeber<br />
<strong>Begegnungsstätte</strong> <strong>Bergstedt</strong>,<br />
Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong> und<br />
Heimatr<strong>in</strong>g <strong>Bergstedt</strong><br />
Konzept<br />
Bernd Jankowski (<strong>Begegnungsstätte</strong><br />
<strong>Bergstedt</strong>), Michael Zahrt<br />
(Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong>)<br />
Fotos<br />
Michael Max, Dr. Joachim Pohlmann<br />
Gestaltung<br />
Dirk Hendess<br />
Druck<br />
Präzi-Druck Höhn GmbH<br />
Auflage<br />
4.000<br />
4 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Mitbürger<strong>in</strong>nen und Mitbürger<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> und den Walddörfern,<br />
mit großem Interesse habe ich das<br />
Projekt „<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>“ verfolgt.<br />
Als Ortsamtsleiter<strong>in</strong> befasse ich<br />
mich nicht nur<br />
mit aktuellen<br />
Angelegenheiten,<br />
sondern<br />
gern und häufig<br />
auch mit der<br />
Geschichte der<br />
Walddörfer.<br />
<strong>Bergstedt</strong>, mehr<br />
als 750 Jahre<br />
alt, ist e<strong>in</strong> besondererhistorischer<br />
Bauste<strong>in</strong>,<br />
worauf bereits<br />
die schöne alte Kirche h<strong>in</strong>weist. Die<br />
Idee, lebendige Geschichte – nämlich<br />
die, die von Eltern, Großeltern oder<br />
Nachbarn anschaulich geschildert<br />
werden kann – zu verb<strong>in</strong>den mit <strong>Zu</strong>kunftsvisionen<br />
jetziger Schüler, hat<br />
mich fasz<strong>in</strong>iert.<br />
Die Bereitschaft der Senioren, offen mit<br />
K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen über die<br />
jüngere Vergangenheit zu reden, und<br />
deren Interesse am Leben e<strong>in</strong>er anderen<br />
Generation verdienen es <strong>in</strong> der<br />
Tat, gedruckt festgehalten zu werden.<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Von oben nach unten:<br />
Gesamtschule mit Blick<br />
auf den Rundbau der Aula,<br />
Gesamtschule mit Blick auf<br />
den Volksdorfer Damm,<br />
Armenhaus von 1872 vor<br />
dem Umbau 2003, <strong>Begegnungsstätte</strong><br />
<strong>Bergstedt</strong> 2006<br />
Hier liegt e<strong>in</strong>e Broschüre vor, die zu<br />
weiteren Kontakten und Diskussionen<br />
geradezu anregt. Es würde mich freuen,<br />
wenn davon reichlich Gebrauch<br />
gemacht würde.<br />
Mit freundlichem Gruß<br />
Angelika Sterra<br />
Ortsamtsleiter<strong>in</strong> Walddörfer<br />
Grußwort<br />
5
Blick <strong>in</strong> die Vergangenheit<br />
Begegnung als Schulaufgabe<br />
von Peter Tischer<br />
„Ich wusste gar nicht, was me<strong>in</strong> Opa<br />
für e<strong>in</strong> schweres Leben hatte.“ So beg<strong>in</strong>nt<br />
das persönliche Resümee, das<br />
e<strong>in</strong> Schüler am Schluss se<strong>in</strong>er biografischen<br />
Arbeit zog. Was Großeltern<br />
ihren Enkeln über ihr Leben erzählen<br />
können, ruft immer wieder Erstaunen<br />
und Betroffenheit hervor.<br />
Es begann vor fünf Jahren. Ich unterrichtete<br />
e<strong>in</strong>en Kurs II im Fach Deutsch<br />
im Jahrgang 9. Kurs II bedeutet, dass<br />
Schülern und Schüler<strong>in</strong>nen Grundanforderungen<br />
<strong>in</strong> den meisten Fächern<br />
der höheren Klassen gestellt werden.<br />
Es s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong> der Regel solche, die <strong>in</strong><br />
ihren Leistungen schwächer s<strong>in</strong>d als ihre<br />
Mitschüler. Sie sollen aber nach Möglichkeit<br />
so gefördert und motiviert werden,<br />
dass sie auch an das höhere Kursniveau<br />
aufschließen können.<br />
Unglücklicherweise hatte sich <strong>in</strong> diesem<br />
Kurs e<strong>in</strong>e Gruppe von Schülern<br />
versammelt, die entweder ke<strong>in</strong>e hohe<br />
Me<strong>in</strong>ung von sich selbst und ihren<br />
Fähigkeiten hatten oder die Schule als<br />
L<strong>in</strong>ks:<br />
E<strong>in</strong>schulung<br />
1950,<br />
rechts:<br />
E<strong>in</strong>schulung<br />
2001<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigung ihrer Freizeitbeschäftigungen<br />
ansahen. Wer weiß? Vielleicht<br />
traf auch beides auf sie zu. Bei<br />
ihrer E<strong>in</strong>stellung und ihrer Arbeitshaltung<br />
war mit dem Lehrplan nicht viel<br />
Staat zu machen. Auch mit Belehrungen<br />
und/oder Druck war nicht viel zu<br />
erreichen.<br />
<strong>Zu</strong> der Zeit beschäftigte ich mich mit<br />
e<strong>in</strong>er Biographie über Marion Gräf<strong>in</strong><br />
Dönhoff. Die Biograph<strong>in</strong> hieß Alice<br />
Schwarzer. Das hatte mich neugierig<br />
gemacht. Dabei kam mir der Gedanke:<br />
Warum sollten unsere Schüler nicht<br />
auch e<strong>in</strong>mal versuchen, e<strong>in</strong>e Biographie<br />
zu schreiben? <strong>Zu</strong>m Beispiel über<br />
das Leben der eigenen Großeltern. Ich<br />
machte also dem Deutschkurs den<br />
Vorschlag, e<strong>in</strong>e Biographie über e<strong>in</strong>en<br />
Großvater oder e<strong>in</strong>e Großmutter zu<br />
schreiben. Begegnung mit den Großeltern<br />
als Schulaufgabe. Es gab, wie<br />
zu erwarten war, e<strong>in</strong>ige Wenn und<br />
6 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Abers. Das Interesse an der Aufgabe<br />
wuchs, als ich die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
setzte. Es sollte e<strong>in</strong>e Aufgabe für<br />
e<strong>in</strong> Schulhalbjahr se<strong>in</strong> und die Bewertung<br />
der Arbeit sollte mit e<strong>in</strong>em Drittel<br />
<strong>in</strong> die Halbjahresnote e<strong>in</strong>gehen. Außerdem<br />
gab ich Zeitabschnitte e<strong>in</strong>zelner<br />
Arbeitsphasen vor, den M<strong>in</strong>destumfang<br />
und e<strong>in</strong>en verb<strong>in</strong>dlichen Abgabeterm<strong>in</strong>.<br />
Die Hauptarbeit für dieses<br />
Projekt lag außerhalb der Schulzeit.<br />
Die Schüler konnten sich ziemlich<br />
schnell für diese Arbeit erwärmen, weil<br />
dafür e<strong>in</strong> attraktiver „Preis“ ausgelobt<br />
war, ihnen e<strong>in</strong> hohes Maß an selbstständiger<br />
Arbeitsgestaltung zugestanden<br />
und dennoch e<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlicher<br />
Rahmen gesetzt wurde.<br />
Im Unterricht selbst g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> der Folge<br />
dann um die Fragen „Was ist e<strong>in</strong>e<br />
Biographie?“ und „Welches Handwerkzeug<br />
brauche ich dafür, um e<strong>in</strong>e<br />
Biographie zu schreiben?“. Fast alle<br />
Schüler knüpften den Kontakt zu e<strong>in</strong>em<br />
Großelternteil. E<strong>in</strong>ige fanden<br />
auch Gesprächspartner <strong>in</strong> vertrauten<br />
Nachbarn oder Freunden der Familie.<br />
Durch die ersten Berichte darüber<br />
im Unterricht wurde deutlich, dass<br />
dabei familiäre und auch räumliche<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Distanzen überwunden wurden. Denn<br />
auch die Großeltern fanden die Idee<br />
gut und boten sich gern als Gesprächspartner<br />
an. So machten die<br />
Schüler auch bereitwillig den eher<br />
theoretischen Unterricht über das<br />
Schreiben von Biographien mit.<br />
Gesprächsstoff ergab sich immer<br />
wieder auch durch die Berichte von<br />
den Interviews, die die Schüler <strong>in</strong> der<br />
Zwischenzeit geführt hatten. Dadurch<br />
gerieten auch die etwas trägen unter<br />
<strong>Zu</strong>gzwang, sich um ihre Arbeit zu kümmern.<br />
Blick <strong>in</strong> die Vergangenheit<br />
Rechts:<br />
Gesamtschulneubau<br />
1999,<br />
unten rechts:<br />
1906 neu errichtetes<br />
Schulhaus,<br />
unten l<strong>in</strong>ks:<br />
1752 erbautes<br />
Schulhaus, 1905<br />
abgebrannt<br />
7
Blick <strong>in</strong> die Vergangenheit<br />
Ich hatte den Schülern den Rat gegeben,<br />
sich mit den Großeltern darauf<br />
zu verständigen, nur e<strong>in</strong>en bestimmten<br />
Lebensabschnitt zu betrachten. Die<br />
Arbeiten, die die meisten Schüler auch<br />
term<strong>in</strong>gerecht abgaben, zeigten dann<br />
auch deutlich, was die Schüler jeweils<br />
am meisten <strong>in</strong>teressiert hatte. In Form<br />
und Inhalt waren die Ergebnisse von<br />
e<strong>in</strong>er Qualität, die mich sehr bee<strong>in</strong>druckte.<br />
<strong>Zu</strong> den Forderungen an den Inhalt gehörte<br />
auch, e<strong>in</strong> Vorwort und e<strong>in</strong>e persönliche<br />
Schlussbemerkung zu der Arbeit<br />
zu schreiben. Daraus nun e<strong>in</strong>ige<br />
Auszüge:<br />
„Ich erhoffte mir von der Biographie<br />
me<strong>in</strong>es Großvaters, (…), e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>formative<br />
und aufschlussreiche Geschichte<br />
über e<strong>in</strong>en bestimmten Lebensabschnitt.<br />
Wir haben uns für die<br />
Schulzeit entschieden, weil wir teilweise<br />
e<strong>in</strong>en Vergleich der damaligen zur<br />
heutigen Schulzeit machen wollten.<br />
Ich suchte mir me<strong>in</strong>en Großvater für<br />
die Biographie aus, da wir im 7. Schuljahr<br />
bereits e<strong>in</strong> Interview über die Hitlerjugend<br />
zusammen gemacht haben.<br />
Als ich ihn fragte, ob er e<strong>in</strong>e Biographie<br />
mit mir machen wolle, zeigte er<br />
sich begeistert von der Idee und willigte<br />
sofort e<strong>in</strong>.<br />
Die Biographie berichtet aus den dunkelsten<br />
Tagen Deutschlands. (Die Zeit<br />
vor und im 2. Weltkrieg). Für die Erstellung<br />
des Konzepts benötigten wir<br />
vier Sitzungen.“ (…)<br />
Die Arbeit hat e<strong>in</strong>en großen Wert für<br />
mich, weil ich erst jetzt die Jugendzeit<br />
me<strong>in</strong>es Großvaters richtig kennen gelernt<br />
und verstanden habe.<br />
Me<strong>in</strong> Großvater hat mir bestätigt, dass<br />
er die <strong>Zu</strong>sammenarbeit sehr positiv<br />
empfunden hat. Besonders erfreut war<br />
er über me<strong>in</strong>e Nachfragen, die ihn zu<br />
immer weiteren Erklärungen veranlassten.“<br />
Felix<br />
„Am Ende der Biografie frage ich mich<br />
manchmal, was wohl aus me<strong>in</strong>em<br />
Opa geworden wäre, wenn der Krieg<br />
nicht gewesen wäre. Vielleicht hätte er<br />
dann wirklich Jura mit dem Schwerpunkt<br />
Steuerrecht studiert und hätte mit<br />
se<strong>in</strong>em Onkel e<strong>in</strong> Büro aufgemacht.<br />
Ich kann mir allerd<strong>in</strong>gs nicht vorstellen,<br />
dass das me<strong>in</strong>em Großvater wirklich<br />
gefallen hätte.<br />
Wäre me<strong>in</strong> Opa nicht <strong>in</strong> russischer<br />
Gefangenschaft im letzten Gefangenenlager<br />
e<strong>in</strong> Masch<strong>in</strong>entischler geworden,<br />
hätte er me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach<br />
nicht se<strong>in</strong>e Fähigkeit entdeckt, dass er<br />
gut mit Holz umgehen kann (…).<br />
Wenn es ihm gesundheitlich gut geht,<br />
bastelt er heute noch tolle Sachen aus<br />
Holz.<br />
L<strong>in</strong>ks: K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> „Sonntagskleidung“<br />
ca. 1920,<br />
rechts: „Festliche Kleidung“<br />
zur E<strong>in</strong>schulung 2000<br />
8 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Wäre me<strong>in</strong> Opa nicht <strong>in</strong> russische<br />
Gefangenschaft geraten, hätte er nie<br />
se<strong>in</strong>e zukünftige Frau und me<strong>in</strong>e Oma<br />
kennen lernen können und das wäre<br />
schade gewesen. So hatte selbst der<br />
Krieg und die Gefangenschaft (…) irgendwo<br />
e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.“<br />
Nico<br />
„(…) Die vielen militärischen Ausdrücke<br />
(Division, Flak usw.), die Herr G.<br />
verwendet hat, waren für mich schwierig<br />
zu verstehen. Ich habe entweder<br />
nachgefragt oder später im Lexikon<br />
nachgeschaut. (…) Überrascht hat<br />
mich bei se<strong>in</strong>en Erzählungen, dass <strong>in</strong><br />
Kriegszeiten, trotz Tod und Zerstörung,<br />
die Menschen ihr Leben weitergelebt<br />
haben und vieles noch funktionierte<br />
(…)“<br />
Sarah<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
„Das gute Verhältnis zu den Nachbarn<br />
und das tolle Gedächtnis von Oma<br />
Timmann hat mich veranlasst, mir aus<br />
ihrem und dem Leben ihrer Familie<br />
erzählen zu lassen und dieses für e<strong>in</strong>e<br />
Biografie verwenden zu dürfen.“<br />
Malte<br />
Blick <strong>in</strong> die Vergangenheit<br />
Oben: Klasse 5c 2006,<br />
l<strong>in</strong>ks: Klasse mit<br />
Lehrer Sparmann<br />
9
Interview<br />
Interview mit He<strong>in</strong>er Rehders<br />
Henn<strong>in</strong>g: Ist der Name Rehders e<strong>in</strong><br />
bekannter <strong>Bergstedt</strong>er Familienname?<br />
He<strong>in</strong>er Rehders: Ja.*<br />
Wie lange leben Sie schon <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
<strong>Bergstedt</strong> kam 1937 zu Hamburg und<br />
1937 b<strong>in</strong> ich geboren, seit 68 Jahren<br />
b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>.<br />
Welche Schulausbildung haben Sie<br />
gehabt und welchen Beruf haben Sie<br />
erlernt?<br />
Ich habe die Volksschule bis zu Ende<br />
gemacht und dann b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> die Lehre.<br />
Ich habe aber ke<strong>in</strong>e höhere Schule<br />
besucht. Nach der Lehrzeit habe ich<br />
die Meisterschule gemacht, zum Meister<br />
für Elektromechanik.<br />
Haben Sie K<strong>in</strong>der oder sogar Enkelk<strong>in</strong>der?<br />
Ja. Zwei Mädels als K<strong>in</strong>der und zwei<br />
Jungs als Enkelk<strong>in</strong>der.<br />
Wohnen noch andere Familienmitglieder<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Ja, die jüngere Tochter im Stüffeleck,<br />
das ist ja noch <strong>Bergstedt</strong>. Me<strong>in</strong>e älteste<br />
Tochter wohnt hier oben im Haus.<br />
Fühlen Sie sich <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> wohl?<br />
Können Sie Gründe nennen?<br />
Ja, ich fühle mich hier im Dorf wohler,<br />
weil es hier ruhiger abläuft als <strong>in</strong> der<br />
Stadt.<br />
Gibt es noch Sachen <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>, die<br />
Sie an Ihre K<strong>in</strong>dheit er<strong>in</strong>nern?<br />
(lange Pause) Ja, weil ich ja sehr viel<br />
von <strong>Bergstedt</strong> kenne. Ich b<strong>in</strong> ja auch<br />
noch im Heimatr<strong>in</strong>g <strong>Bergstedt</strong> tätig.<br />
Die Kirche stand damals schon und die<br />
Gastwirtschaft „<strong>Zu</strong>r alten Mühle“ an<br />
der Alster haben wir besucht.<br />
S<strong>in</strong>d Sie mit den E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten<br />
zufrieden?<br />
Nicht ganz, denn es fehlt an vielen<br />
Angeboten.<br />
Wissen Sie, wie viele Bauernhöfe es<br />
<strong>in</strong> Ihrer K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> gab?<br />
(zählt laut) E<strong>in</strong>s, zwei, drei, vier, fünf.<br />
Gibt es immer noch genug Natur <strong>in</strong><br />
<strong>Bergstedt</strong>?<br />
Noch ja. Früher war auf dem Gelände<br />
des Sportplatzes und der Hallen e<strong>in</strong><br />
kle<strong>in</strong>er Wald. Im Wald stand e<strong>in</strong> Strohdachhaus.<br />
Davon habe ich noch e<strong>in</strong><br />
Foto. In dem Haus wohnte e<strong>in</strong> Herr<br />
Schumacher, der dies als Armenhaus<br />
bewirtschaftet hat. Dort wohnten Leute,<br />
die zu arm waren, um sich e<strong>in</strong>e eigene<br />
Unterkunft zu leisten.<br />
Gab es früher auch schon Jahrmarkt<br />
und Zirkus auf der Woold?<br />
Ne<strong>in</strong>, es gab zwar Jahrmarkt da, aber<br />
zu me<strong>in</strong>er Schulzeit nicht.<br />
Wo g<strong>in</strong>gen Sie früher zur Schule?<br />
Hier <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>, neben der Kirche.<br />
Da stand das alte Schulgebäude noch.<br />
Konnten<br />
Sie hier früher<br />
gut<br />
spielen?<br />
Wo haben<br />
Sie gespielt?<br />
Meistens<br />
hier <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Bereich, also Volksdorfer<br />
Damm, Stüffel, Osterkampstieg, <strong>in</strong><br />
diesem Block hier. Beim Strohdachhaus<br />
im Wald s<strong>in</strong>d wir auf Bäume geklettert.<br />
Wie hat sich die Landschaft <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
seit Ihrer K<strong>in</strong>dheit verändert?<br />
Da s<strong>in</strong>d sehr viele Wohnungen h<strong>in</strong>zugekommen.<br />
Früher waren das mehr<br />
Kle<strong>in</strong>gärten. Während des Krieges s<strong>in</strong>d<br />
ja auch viele hier rausgezogen und<br />
haben ihre Kle<strong>in</strong>gärten als Wohnungen<br />
benutzt und daraus wurden später<br />
Wohnhäuser.<br />
Hat Ihre Familie unter dem Krieg gelitten?<br />
Ja, also der letzte Krieg, da habe ich<br />
me<strong>in</strong>en Bruder verloren. Me<strong>in</strong> Vater ist<br />
mit Splittern im Be<strong>in</strong> nach <strong>Hause</strong> gekommen,<br />
auf Krücken. Er ist aber später<br />
Polizist geworden hier <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>.<br />
Als ich e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d war, war unser Haus<br />
die Polizeiwache, bis 1970. Das<br />
Wohnzimmer war das Arbeitszimmer<br />
me<strong>in</strong>es Vaters. Aber Zellen gab es dort<br />
nicht. Straftäter wurden im Feuerwehrhaus<br />
auf der Woold e<strong>in</strong>gesperrt.<br />
10 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Können Sie uns etwas über die Bedeutung<br />
der Kirche <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> erklären?<br />
Es ist e<strong>in</strong>e der ältesten Kirchen überhaupt<br />
<strong>in</strong> Hamburg. Ich glaube, <strong>in</strong><br />
Niendorf gibt es noch e<strong>in</strong>e ältere. Früher<br />
b<strong>in</strong> ich ja gleich neben der Kirche<br />
zur Schule gegangen. Ich habe auch<br />
schon Glocken geläutet <strong>in</strong> der Kirche.<br />
F<strong>in</strong>den Sie, dass die Kopfste<strong>in</strong>pflasterstraße<br />
für den Schwerverkehr gesperrt<br />
werden sollte?<br />
Das schon, also das Stück, das noch<br />
Kopfste<strong>in</strong>pflaster ist, das letzte Stück<br />
vom Volksdorfer Damm sollte man<br />
sperren. Denn das ist e<strong>in</strong>e historische<br />
Straße, die ke<strong>in</strong>en festen Untergrund<br />
hat.<br />
Ist die Sparkasse <strong>in</strong> Ihrer Nachbarschaft<br />
schon e<strong>in</strong>mal überfallen worden?<br />
Ja, sie wurde dreimal überfallen.<br />
Gibt es D<strong>in</strong>ge, die Ihnen <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
nicht so gut gefallen?<br />
Oh, wenn ich das so schnell wüsste.<br />
(Pause) Der Straßenverkehr. Der Stau<br />
morgens, na ja, es war alles e<strong>in</strong> bisschen<br />
ruhiger hier. An der Bushaltestelle<br />
vor me<strong>in</strong>em Haus s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong>der<br />
immer so laut.<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Was fehlt Ihnen <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> besonders<br />
und wieso?<br />
Ke<strong>in</strong>e Lokalitäten gibt es hier mehr und<br />
man hat nicht die Möglichkeit, irgendwo<br />
mal vernünftig Essen zu gehen.<br />
Der Siemersche Hof ist hier das<br />
E<strong>in</strong>zige. Der ist ja erst im Aufbau,<br />
vielleicht wird das ja mal was draus.<br />
Haben Sie e<strong>in</strong>en Wunsch an die Jugend<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Ruhiger se<strong>in</strong> schon. Ich möchte mich<br />
nicht darüber auslassen. Weil ich direkt<br />
bei der Bushaltestelle wohne, ist<br />
es sehr laut. Auch nachts. Das sche<strong>in</strong>t<br />
wohl e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Treffpunkt zu<br />
se<strong>in</strong>, die Bushaltestelle. Wenn dann<br />
welche vom Sportlerheim kommen,<br />
angetrunken, man weiß ja nicht, woher<br />
sie kommen. Die Scheiben s<strong>in</strong>d<br />
alle Augenblicke zertrümmert.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
*) Der Name Rehder ist sehr<br />
alt. Er taucht im <strong>Zu</strong>sammenhang<br />
mit dem mittelalterlichen<br />
Kirchspielgericht auf, dem Lott<strong>in</strong>g,<br />
d.h. „Leuted<strong>in</strong>g“. Im förmlichen<br />
Rede- und Antwortspiel<br />
am Bruutsteen, dem D<strong>in</strong>gste<strong>in</strong>,<br />
wurden die Anliegen der „kerspelburen“<br />
(Kirchspielbauern)<br />
verhandelt. Wenn Recht und<br />
Unrecht geklärt waren, hatten<br />
die Rathörer (fries. redhera)<br />
das Urteil zu f<strong>in</strong>den, das<br />
vom Boden dann verkündet<br />
wurde. Die alten Amtsbezeichnungen<br />
leben <strong>in</strong><br />
den Familiennamen Rehder<br />
und Radbod fort.<br />
Oben: Kirche<br />
ca. 1950,<br />
rechts: Kirche<br />
ca. 1910,<br />
unten l<strong>in</strong>ks:<br />
Ecke Volksdorfer<br />
Damm/<strong>Bergstedt</strong>er<br />
Ch.<br />
2006, unten<br />
rechts: ca. 1937<br />
Interview<br />
11
Blick <strong>in</strong> die <strong>Zu</strong>kunft<br />
„Me<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> <strong>in</strong> 50 Jahren“<br />
„Me<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> <strong>in</strong> 50<br />
Jahren“, so lautete das Thema<br />
e<strong>in</strong>es Klassenaufsatzes der 7b<br />
bei ihrem Deutschlehrer Frank<br />
Beuster <strong>in</strong> der Gesamtschule<br />
<strong>Bergstedt</strong>.<br />
In der vorliegenden Broschüre<br />
berichten alte<strong>in</strong>gesessene <strong>Bergstedt</strong>er<br />
von ihrer K<strong>in</strong>dheit im alten<br />
<strong>Bergstedt</strong>, sie berichten, wie<br />
es damals zug<strong>in</strong>g.<br />
Nun e<strong>in</strong>mal die Sicht <strong>in</strong> die <strong>Zu</strong>kunft.<br />
Wie stellen sich Jugendliche<br />
von heute ihr Leben <strong>in</strong> 50<br />
Jahren vor?<br />
Viele Leute bekommen e<strong>in</strong> oder gar<br />
ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d. Deshalb leben jetzt <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
viele ältere Menschen. Ich genieße<br />
me<strong>in</strong>en Ruhestand. Kle<strong>in</strong>e Geschäfte<br />
gibt es nicht mehr, es wird alles<br />
über das Internet, Discounter oder<br />
riesige E<strong>in</strong>kaufszentren erledigt.<br />
Vivien Krause<br />
Jetzt gibt es nur noch wenige solcher<br />
Bauernhäuser. Früher zu me<strong>in</strong>er Jugend<br />
gab es sehr viele davon, doch<br />
jetzt wurden sie durch stattliche Hochhäuser<br />
ersetzt. So groß und so grau<br />
und diese unzähligen Fenster, es ist<br />
schon fast gruselig.<br />
Natalie P<strong>in</strong>ter<br />
Griem-Hof<br />
Oben: ca. 1910,<br />
Die Menschen <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> s<strong>in</strong>d<br />
mittlerweile übergewichtig, weil es an<br />
jeder Ecke Fast-Food-Läden gibt.<br />
Cathar<strong>in</strong>a Seibold<br />
Alle werden totale Langeweile kriegen,<br />
denn sie müssen nicht mehr E<strong>in</strong>kaufen<br />
gehen, den Haushalt machen und<br />
vieles mehr. Das machen alles die<br />
Roboter oder Masch<strong>in</strong>en für e<strong>in</strong>en. Es<br />
wird kaum noch Familien geben, denn<br />
alle werden sich nur noch auf die Karriere<br />
konzentrieren. Me<strong>in</strong>e Familie und<br />
noch e<strong>in</strong> paar andere Familien werden<br />
die e<strong>in</strong>zigen Familien <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
se<strong>in</strong>. Die Leute werden gar nicht mehr<br />
heiraten und vielleicht noch nicht<br />
e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Freund haben. Liebe wird<br />
es fast nicht mehr geben, nur noch die<br />
Liebe zum eigenen Job.<br />
Ich hoffe, dass manches, was ich jetzt<br />
<strong>in</strong> diesem Text geschrieben habe, nicht<br />
wahr wird, denn das wäre echt e<strong>in</strong>e<br />
schlimme <strong>Zu</strong>kunft.<br />
Saskia Blömeke<br />
12 rechts: 2006<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Me<strong>in</strong> Name ist St<strong>in</strong>a von Wildenradt<br />
und ich b<strong>in</strong> 64 Jahre alt, habe zwei<br />
Enkelk<strong>in</strong>der und zwei eigene K<strong>in</strong>der,<br />
ich wohne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von mir selbst<br />
entworfenen Haus, denn ich b<strong>in</strong> Architekt<strong>in</strong>.<br />
Früher war es hier <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
sehr laut, es roch nach Benz<strong>in</strong><br />
und alles war sehr hektisch. Jetzt ist<br />
hier alles ganz anders. Die meisten<br />
Menschen arbeiten von zu <strong>Hause</strong>,<br />
denn sie s<strong>in</strong>d mit ihren Firmen vernetzt.<br />
Auch die K<strong>in</strong>der gehen nicht mehr zur<br />
Schule, sondern bekommen ihre Aufgaben<br />
direkt über den Computer.<br />
St<strong>in</strong>a von Wildenradt<br />
Hamburg ist mitunter e<strong>in</strong>e der wichtigste<br />
Metropolen der Galaxien geworden<br />
und ist nun e<strong>in</strong>e gigantische<br />
Großstadt, wo kaum Grün ist und es<br />
nur noch Abgase gibt, von den vielen<br />
Fabriken, die <strong>in</strong> der Luft rumflirren.<br />
Immer wenn ich diese Pestwolken e<strong>in</strong>atme,<br />
denke ich an das gute dörfliche<br />
<strong>Bergstedt</strong>, das so wie ich es kannte,<br />
nicht mehr existiert. Das E<strong>in</strong>zige, was<br />
noch so erhalten ist, wie ich es kannte,<br />
ist der Friedhof. Hochhäuser und<br />
andere Gebäude hat man darum herum<br />
gebaut und man hat ihn überdacht.<br />
So kann man noch die betrauern,<br />
die leider zu früh gestorben s<strong>in</strong>d,<br />
bevor das Klonen entdeckt wurde.<br />
Angel<strong>in</strong>a Wörmer<br />
Seit Jahren habe ich die meisten me<strong>in</strong>er<br />
alten Klassenkameraden nicht<br />
mehr gesehen. Das liegt wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
auch daran, dass so viele Menschen<br />
nach <strong>Bergstedt</strong> <strong>in</strong> die neuen<br />
Hochhäuser gezogen s<strong>in</strong>d. Auch durch<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
die Verlängerung der S-Bahn von<br />
Poppenbüttel nach Bargteheide ist<br />
unser alter Stadtteil nicht mehr so<br />
dörflich. Die Natur wurde stark zurückgedrängt.<br />
Aber die alte Kirche<br />
steht immer noch und im Kolonialwarenladen<br />
ist jetzt unser Dorfmuseum<br />
mit D<strong>in</strong>gen aus der schönen<br />
alten Zeit.<br />
Henn<strong>in</strong>g Riediger<br />
Man bezahlt heute nicht mehr mit<br />
Euro. Die Leute haben kle<strong>in</strong>e Geldsche<strong>in</strong>e,<br />
die aussehen wie Wolken,<br />
sie heißen „Clouds“. Wenn<br />
ich aus me<strong>in</strong>em Fenster blicke,<br />
sehe ich schöne Blumen,<br />
Büsche und Bäume,<br />
weil sie nun gesunde Luft<br />
zum Wachsen bekommen.<br />
Vor 10 Jahren gab es ke<strong>in</strong>e<br />
Pflanzen, bis die Flugmotorräder<br />
erfunden wurden,<br />
die ke<strong>in</strong>e schädlichen<br />
Benz<strong>in</strong>e verbrennen. <strong>Bergstedt</strong><br />
wird kle<strong>in</strong>er, die Familien<br />
auch. Ich bekomme<br />
ke<strong>in</strong>e Rente mehr und<br />
<strong>Bergstedt</strong> ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />
Dorf.<br />
Jochen Bergmann<br />
Timmermann-Gebäude,<br />
Ecke gegenüber dem<br />
<strong>Bergstedt</strong>er Markt<br />
Oben: ca. 1900,<br />
Mitte: ca. 1925,<br />
unten: 2006<br />
Blick <strong>in</strong> die <strong>Zu</strong>kunft<br />
13
Interview<br />
Interview mit Herrn Bauersfeld<br />
Ladenbesitzer am Wohldorfer Damm 136<br />
Oben: Herr<br />
Bauersfeld,<br />
l<strong>in</strong>ks:<br />
Lebensmittelladen<br />
2006<br />
Saskia: Seit wann leben Sie <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Herr Bauersfeld: Seit1951.<br />
N<strong>in</strong>a: Und auf welche Schule s<strong>in</strong>d Sie<br />
gegangen?<br />
Herr Bauersfeld: Auf die Volksschule<br />
hier <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>!<br />
N<strong>in</strong>a: Wie viele K<strong>in</strong>der waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Klasse?<br />
Herr Bauersfeld: So etwa 25 bis 30<br />
K<strong>in</strong>der.<br />
Saskia: Waren die Klassen <strong>in</strong> verschiedene<br />
Altersgruppen aufgeteilt?<br />
Herr Bauersfeld: Ne<strong>in</strong>.<br />
N<strong>in</strong>a: Welchen Beruf haben sie ausgeübt?<br />
Herr Bauersfeld: Ich hab schon<br />
immer als Kaufmann gearbeitet.<br />
N<strong>in</strong>a: War das schon immer Ihr<br />
Traumberuf?<br />
Herr Bauersfeld: Nun ja, notgedrungen<br />
würde ich sagen, weil der Laden<br />
vorher me<strong>in</strong>em Vater gehört hat.<br />
Saskia: Hatten Sie Geschwister, die<br />
den Laden hätten übernehmen können?<br />
Herr Bauersfeld: Ne<strong>in</strong>, ich war E<strong>in</strong>zelk<strong>in</strong>d!<br />
14 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
N<strong>in</strong>a: Fühlen Sie sich <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
wohl?<br />
Herr Bauersfeld: Ja, es ist sehr schön<br />
hier und die Umgebung gefällt mir<br />
super. Noch ist sehr viel Natur hier.<br />
N<strong>in</strong>a: Noch?<br />
Herr Bauersfeld: Nun ja, die Bauarbeiten<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> fangen ja gerade<br />
erst an und wenn ihr mich fragt, würde<br />
ich sagen, dass da noch mehr nachkommt.<br />
Hier gegenüber ist ja auch dieses<br />
Feld, also ich b<strong>in</strong> mir nicht sicher,<br />
wie lange ich da noch rübergucken<br />
kann!<br />
Saskia: Also würde Ihnen das nicht<br />
so gut gefallen?<br />
Herr Bauersfeld: Nun ja, das ist bei<br />
mir so ’ne Sache, weil sich die Kundschaft<br />
vermutlich für mich erhöhen<br />
würde.<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Saskia: Läuft der Laden denn im Moment<br />
nicht so gut?<br />
Herr Bauersfeld: Also es läuft nicht<br />
so schlecht, aber früher war es wesentlich<br />
besser.<br />
N<strong>in</strong>a: Haben sie viele Stammkunden?<br />
Herr Bauersfeld: Oh ja, hauptsächlich<br />
die etwas älteren Leute. Bei Pflegefällen<br />
fahre ich auch die Lebensmittel<br />
zu den Kunden nach <strong>Hause</strong>.<br />
Bilder oben: Ladene<strong>in</strong>richtung<br />
1955,<br />
l<strong>in</strong>ks: Jubiläum 1958,<br />
Bilder unten: Lebensmittelgeschäft<br />
1955<br />
Interview<br />
15
Interview<br />
Interview mit Paul Bohnhoff<br />
Tobias und Lennart: Wie<br />
heißen Sie?<br />
Paul Bohnhoff: Me<strong>in</strong><br />
Name ist Paul Bohnhoff.<br />
Wie alt s<strong>in</strong>d Sie?<br />
Ich b<strong>in</strong> 73 jahre alt.<br />
Wurden Sie <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> geboren?<br />
Ja, ich wurde <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
geboren, me<strong>in</strong>e Eltern hatten<br />
hier e<strong>in</strong>en Bauernhof und der<br />
wurde, als die große Wende<br />
kam, verkauft. Anschließend<br />
wurde der Bauernhof aufgelöst.<br />
Das g<strong>in</strong>g hier vielen<br />
Bauern so. Unser Acker- und<br />
Weideland wurde zu Bauland, dadurch<br />
haben wir Gew<strong>in</strong>n gemacht. Ich habe<br />
den Resthof übernommen und e<strong>in</strong>en<br />
Reiterhof daraus gemacht. Wir haben<br />
kle<strong>in</strong> angefangen und e<strong>in</strong>e Annonce<br />
<strong>in</strong> die Zeitung gesetzt. Es hat sich gelohnt.<br />
Dann haben wir angefangen<br />
umzubauen. Jetzt s<strong>in</strong>d wir e<strong>in</strong> guter<br />
Reitstall. Seit e<strong>in</strong> paar Jahren leitet<br />
me<strong>in</strong> Sohn den Reitstall.<br />
Können Sie uns sagen, was denn früher<br />
an der Stelle, wo jetzt die Schule<br />
ist, war.<br />
Das war alles Ackerland. Und auf dem<br />
Teich haben wir im W<strong>in</strong>ter immer Hockey<br />
gespielt und s<strong>in</strong>d Schlittschuh gelaufen.<br />
Dort stand auch e<strong>in</strong> Strohdachhaus.<br />
Wo haben sie noch gespielt?<br />
Ja, wir haben mehr gespielt als ihr. Wir<br />
haben meistens „Kippel-Kappel“<br />
gespielt. Wir haben auch viel im Ha<strong>in</strong>isch-Iland<br />
gespielt. Dort haben wir<br />
Geländespiele gemacht und<br />
gegene<strong>in</strong>ander gekämpft.<br />
Dann kam die Hitlerzeit und wir mussten<br />
<strong>in</strong> die Hitlerjugend e<strong>in</strong>treten. Wir<br />
bekamen e<strong>in</strong>e braune Uniform, auf die<br />
wir stolz waren. Me<strong>in</strong>e Eltern waren<br />
aber dagegen. Ich habe dann me<strong>in</strong>e<br />
Sachen beim Schlachter versteckt, wo<br />
heute der Wollladen ist.<br />
Gab es irgendwelche Sportanlagen?<br />
Ne<strong>in</strong>, gab es nicht. Wir haben 1948<br />
den <strong>Bergstedt</strong>er Sportvere<strong>in</strong> gegründet.<br />
Auf dem heutigen Sportplatz hatte<br />
e<strong>in</strong> Bauer immer se<strong>in</strong>e Schafe.<br />
Gibt es jetzt e<strong>in</strong>e bessere ärztliche Versorgung?<br />
Ja, sicherlich, wir hatten immer nur<br />
e<strong>in</strong>en Arzt <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>. Wir s<strong>in</strong>d nicht<br />
oft zum Arzt gegangen. Wir haben uns<br />
immer selber versorgt.<br />
F<strong>in</strong>den Sie, dass der Straßenverkehr<br />
zugenommen hat?<br />
Ja, hat er! <strong>Zu</strong> viel für mich.<br />
Wie s<strong>in</strong>d Sie früher <strong>in</strong> die Innenstadt<br />
gekommen?<br />
Mit e<strong>in</strong>em Pferdegespann. Autos gab<br />
es nur sehr wenige.<br />
16 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Haben Sie noch Kontakt zu<br />
Ihren alten Freunden?<br />
Ja, wir treffen uns <strong>in</strong> unserem<br />
Stammlokal.<br />
War <strong>Bergstedt</strong> e<strong>in</strong> Dorf, <strong>in</strong><br />
dem jeder jeden kannte?<br />
Ja, aber heute ist das nicht<br />
mehr so.<br />
Was würden Sie an <strong>Bergstedt</strong><br />
ändern?<br />
Ich würde die Bebauung e<strong>in</strong>schränken<br />
und ich würde das<br />
Abreißen der alten Gebäude<br />
stoppen.<br />
Vielen Dank für das Interview.<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Interview<br />
Oben: Biehls ehemaliger<br />
Blumenladen 2006,<br />
l<strong>in</strong>ks: Familie Grimm<br />
ca. 1895<br />
17
Interview<br />
Interwiew mit Roland Neumann<br />
St<strong>in</strong>a: Haben Sie K<strong>in</strong>der?<br />
Roland Neumann: Ja, ich habe drei<br />
Töchter. Die e<strong>in</strong>e arbeitet bei mir im<br />
Laden.<br />
Wann wurde der Elektroladen eröffnet?<br />
Er wurde im Dezember 1950 von me<strong>in</strong>em<br />
Onkel eröffnet. Zwölf Jahre später<br />
übernahm ich dann den Laden.<br />
Wie sah <strong>Bergstedt</strong> früher aus?<br />
Die Straßen hatten ke<strong>in</strong>en Asphalt,<br />
sondern sie waren mit großen Naturste<strong>in</strong>engepflastert.<br />
Es gab drei<br />
bis vier Läden:<br />
Schuster, Fischladen<br />
und Schlachter.<br />
In <strong>Bergstedt</strong><br />
gab es sehr viel<br />
Natur und am<br />
Dorfteich e<strong>in</strong>en<br />
M<strong>in</strong>i-Dom.<br />
18 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>Zu</strong> <strong>in</strong> <strong>Hause</strong> <strong>Bergstedt</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Elektro Neumann<br />
Von oben nach unten:<br />
ca. 1945, ca. 1975, 2006<br />
Wie ist die Verkehrslage <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Sie ist eigentlich sehr gut, außer dass<br />
die Autos wegen der vielen Schulk<strong>in</strong>der<br />
die Geschw<strong>in</strong>digkeit auf 30 senken<br />
müssen.<br />
Hat es <strong>in</strong> Ihrer Umgebung schon e<strong>in</strong>mal<br />
e<strong>in</strong>en schlimmen Vorfall gegeben?<br />
Es gab mal e<strong>in</strong>en Mord, aber über den<br />
weiß ich auch nichts Genaueres. Und<br />
dann wurde hier neben me<strong>in</strong>em Laden<br />
e<strong>in</strong>e Scheune angezündet.<br />
Möchten Sie für immer hier wohnen?<br />
Ja, auf alle Fälle.<br />
Wie wohnten Sie früher <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Ich wohnte im Wohldorfer Damm 7,<br />
mit drei Familien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus. Dort<br />
hatte ich e<strong>in</strong> Zimmer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en<br />
Nische auf dem Dachboden mit drei<br />
anderen Jungen. Dort war es im W<strong>in</strong>ter<br />
nachts oft so kalt, das ich am Morgen<br />
richtigen Frost auf der Decke hatte.<br />
Es war, als schliefe ich<br />
im Freien. Es gab ke<strong>in</strong>e<br />
Toilette im Haus, sondern<br />
nur im Garten. Das<br />
Wasser mussten wir K<strong>in</strong>der<br />
immer zusammen <strong>in</strong>s<br />
Haus schleppen. Manchmal<br />
sogar 60- bis 80mal<br />
am Tag.
Mögen Sie uns e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong> wenig von<br />
dem Krieg <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> erzählen?<br />
Ich weiß nur noch, wie es nach dem<br />
Krieg <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> zug<strong>in</strong>g. Denn e<strong>in</strong>es<br />
Tages stand e<strong>in</strong> riesiger Panzer vor<br />
unserem Haus und zeigte mit der Kanone<br />
zu unserem Küchenfenster. Me<strong>in</strong>e<br />
Großmutter hatte gerade Erbsensuppe<br />
gekocht. Sie g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>fach raus<br />
und bot den Soldaten an, bei uns mit-<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
zuessen. Früher spielte man immer<br />
draußen, von morgens bis spät <strong>in</strong> die<br />
Nacht. Doch als dann nach dem Krieg<br />
die ganzen Waffen auf den Wegen<br />
lagen, kam es sehr oft dazu, dass sich<br />
K<strong>in</strong>der F<strong>in</strong>ger oder andere Körperteile<br />
wegschossen.<br />
Obere 3 Bilder: Siedlungsneubau<br />
Wohldorfer Damm 1934,<br />
unten l<strong>in</strong>ks: 2006,<br />
unten rechts: ca. 1940<br />
Interview<br />
19
Interview<br />
Interview mit Frau Cordes, geb. Appel<br />
Angel<strong>in</strong>a und Alessandra: Wie<br />
lange wohnen Sie schon <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Frau Cordes: Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>,<br />
Kaudiekskamp, geboren. Mit 24 Jahren<br />
b<strong>in</strong> ich mit me<strong>in</strong>em Mann und<br />
me<strong>in</strong>en zwei K<strong>in</strong>dern nach Eppendorf<br />
gezogen, weil es hier ke<strong>in</strong>e Wohnungen<br />
gab, und seit 1974 wohne ich<br />
wieder hier.<br />
Hat sich <strong>Bergstedt</strong> <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
viel verändert?<br />
Ja, ich f<strong>in</strong>de, es hat sich viel <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
verändert.<br />
Was hat sich verändert?<br />
Wo heute Häuser s<strong>in</strong>d, waren früher<br />
Felder und Wiesen, es gab mehr Geschäfte,<br />
wie zum Beispiel zwei Fischgeschäfte,<br />
zwei Schlachter, Bäcker,<br />
Schuster usw., und es gab mehr Bauernhöfe<br />
als Familienhäuser und viel<br />
weniger Verkehr, aber auch ke<strong>in</strong>e Busse,<br />
deshalb mussten wir immer zum<br />
Bahnhof nach Hoisbüttel gehen.<br />
Haben Sie <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> noch Familie?<br />
E<strong>in</strong>e Schwester und zwei me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>der<br />
leben noch hier. Früher lebten viele<br />
mit ihren Familien zusammen im<br />
Kaudiekskamp, doch viele s<strong>in</strong>d dann<br />
weggezogen oder <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
verstorben.<br />
Als was haben Sie früher gearbeitet?<br />
Als erstes war ich Näher<strong>in</strong> und habe<br />
vor allem Bettwäsche genäht. Danach<br />
habe ich mit Kurbelstickerei weitergemacht.<br />
Nach e<strong>in</strong>er Weile g<strong>in</strong>g ich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e Schuhfabrik und habe als Schuhnäher<strong>in</strong><br />
gearbeitet, danach mit drei<br />
me<strong>in</strong>er Schwestern im Senator-<br />
Neumann-Heim <strong>in</strong> der Waschküche.<br />
Fühlen Sie sich <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> wohl?<br />
Ja, ich fühle mich <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> sehr<br />
wohl.<br />
Was würden<br />
Sie gerne an<br />
<strong>Bergstedt</strong> verändern?<br />
Ich hätte<br />
gerne mehr<br />
E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten.<br />
Warum hätten<br />
Sie gerne<br />
mehr E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten?<br />
Weil ich es für<br />
alte Leute<br />
besser f<strong>in</strong>de, wenn sie nicht so weite<br />
Wege haben und man vieles direkt im<br />
Ort kaufen kann.<br />
Haben Sie Probleme mit den öffentlichen<br />
Verkehrsmittel, z. B. mit den Bussen?<br />
Ne<strong>in</strong>, die habe ich eigentlich nicht.<br />
Haben Sie den 2. Weltkrieg persönlich<br />
mitbekommen?<br />
Ja, leider! Me<strong>in</strong> ältester Bruder hat e<strong>in</strong><br />
Be<strong>in</strong> verloren und me<strong>in</strong> Cous<strong>in</strong> starb<br />
im Krieg. Bei Luftalarm mussten wir<br />
Schulk<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den Bunker, der am<br />
Ende des jetzigen Sportplatzes war,<br />
laufen, aber weil es da immer sehr voll<br />
und dunkel war, s<strong>in</strong>d wir meistens<br />
schnell nach <strong>Hause</strong> zum Kaudiekskamp<br />
gelaufen, und dort s<strong>in</strong>d wir mit<br />
20 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
der Familie <strong>in</strong> den Keller gegangen.<br />
E<strong>in</strong>schläge <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> gab es aber<br />
wenig.<br />
Was hat sich für die Jugendlichen verändert?<br />
Wir hatten früher <strong>in</strong> der Familie mehr<br />
Aufgaben. Weil wir elf K<strong>in</strong>der waren,<br />
musste jeder, je nach Alter, mit anpacken,<br />
weil es natürlich ke<strong>in</strong>en Geschirrspüler<br />
oder Waschmasch<strong>in</strong>e gab. So<br />
musste die Älteste abwaschen und die<br />
Jüngeren abtrocknen. Wenn die Älteste<br />
<strong>in</strong> die Lehre kam, war die Zweitälteste<br />
für das Abwaschen zuständig usw.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter hat e<strong>in</strong>mal im Jahr e<strong>in</strong>en<br />
Ballen Stoff gekauft und die Kleidung<br />
für uns K<strong>in</strong>der selbst genäht.<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Aber heute, so f<strong>in</strong>de ich, haben es die<br />
Jugendlichen nicht besser. Es ist e<strong>in</strong>e<br />
andere Zeit und sie s<strong>in</strong>d viel auf sich<br />
alle<strong>in</strong> gestellt.<br />
Vielen Dank, Frau Cordes.<br />
Bäckerei Brandt<br />
im Volksdorfer Damm<br />
Unten rechts: ca. 1950,<br />
unten l<strong>in</strong>ks: 2006<br />
Interview<br />
21
Interview<br />
<strong>Bergstedt</strong> – e<strong>in</strong> Stadtteil <strong>in</strong> den<br />
Walddörfern von Hamburg<br />
Interview mit Frau Hillmer senior<br />
Wir, Jan Philip und Vivien, waren<br />
bei Frau Hillmer senior, deren<br />
Tochter das alte „Kolonialwaren-Geschäft“<br />
an der <strong>Bergstedt</strong>er<br />
Kirchenstraße betreibt.<br />
Vivien und Jan Philip: Wie sah<br />
<strong>Bergstedt</strong> früher aus?<br />
Frau Hillmer: Ich selbst b<strong>in</strong> erst seit<br />
1956 <strong>Bergstedt</strong>er<strong>in</strong>. <strong>Zu</strong> der Zeit sah<br />
der Ortskern fast genauso aus wie<br />
heute. Inzwischen s<strong>in</strong>d aber neue Siedlungen<br />
h<strong>in</strong>zugekommen. Noch heute<br />
s<strong>in</strong>d viele Bauernhöfe erhalten und<br />
prägen das Ortsbild.<br />
Gab es früher schon die<br />
<strong>Bergstedt</strong>er Kirche und<br />
wann wurde sie gebaut?<br />
Ja, sie gehört zu den ältesten<br />
Kirchen, die seit 1150<br />
als Tochterkirchen des<br />
Hamburger Doms entstanden<br />
s<strong>in</strong>d. Um 1200 wurde<br />
der erste Kirchturm errichtet. Heute ist<br />
sie als Hochzeitskirche e<strong>in</strong>e der beliebtesten<br />
Hamburger Kirchen. Sie ist aus<br />
Feldste<strong>in</strong>en gebaut. Erst 1950 kam bei<br />
Renovierungsarbeiten die handbemalte<br />
Decke zum Vorsche<strong>in</strong>.<br />
Gab es früher schon den <strong>Bergstedt</strong>er<br />
Markt?<br />
Ja, noch heute steht direkt daneben<br />
das alte Feuerwehrhäuschen. Dort<br />
steht auch heute noch die uralte Friedenseiche.<br />
Der <strong>Bergstedt</strong>er Markt wird<br />
durch Woold und den Ortskern gebildet.<br />
Was stand früher dort, wo jetzt die<br />
Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong>, unsere Schule,<br />
steht?<br />
Es war e<strong>in</strong> Feld.<br />
Gab es <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> Straßenbahnen?<br />
Ne<strong>in</strong>, die Straßenbahn fuhr nur bis<br />
Wohldorf-Ohlstedt.<br />
Wie lange gibt es das alte Geschäft<br />
„Hillmer“ schon und wurde das Geschäft<br />
immer von der Familie geführt?<br />
„Hillmer“ gibt es seit 1929. Es wird <strong>in</strong><br />
der 3. Generation geführt. Jetzt von<br />
me<strong>in</strong>er Tochter. Anfangs war es e<strong>in</strong>e<br />
Sattlerei, dann e<strong>in</strong> Krämerladen für<br />
den täglichen Bedarf. Heute werden<br />
hier im „Urgeschäft“ ke<strong>in</strong>e Lebensmittel<br />
mehr verkauft. Diese kann man seit<br />
1984 bei „Hillmers Edeka“ kaufen.<br />
Dieses Geschäft gehört me<strong>in</strong>em Sohn.<br />
Wurde im Krieg viel zerstört?<br />
Ne<strong>in</strong>, nicht dass ich wüsste.<br />
Wo s<strong>in</strong>d Sie früher zur Schule gegangen<br />
und welches war die erste Schule<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Ich selbst komme aus Ostpreußen und<br />
b<strong>in</strong> als Flüchtl<strong>in</strong>g nach Hamburg gekommen.<br />
Me<strong>in</strong> Mann ist gebürtiger<br />
<strong>Bergstedt</strong>er. Er ist als Hausgeburt <strong>in</strong> der<br />
Rodenbekerstraße geboren worden.<br />
22 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
<strong>Zu</strong>r Schule ist er neben der Kirche gegangen.<br />
Diese gibt es nicht mehr. Später<br />
ist die Schule auf das Gelände der<br />
heutigen Grundschule umgezogen.<br />
Gab es viele Bauernhöfe und standen<br />
sie weit vone<strong>in</strong>ander entfernt?<br />
Die Höfe Bohnhoff, Griem und Kracht.<br />
Sie standen alle nicht sehr weit entfernt.<br />
Wo haben Sie früher oft gespielt?<br />
Es wurde auf den Höfen, auf der Wiese<br />
sowie auf den Straßen gespielt.<br />
Gab es viele E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten?<br />
Ja, es gab Lebensmittelgeschäfte. Timmermann,<br />
den Bäcker, den Milchmann<br />
Feltau, Denkwitz Lebensmittel, Kuchen<br />
Buch, Köster Milch, zwei Apotheken<br />
und die <strong>Begegnungsstätte</strong>.<br />
Kennen Sie heute noch viele Nachbarn<br />
von früher?<br />
Die meisten s<strong>in</strong>d verstorben. Es gibt<br />
noch Frau Kracht, Mantel Heißmangel,<br />
das Fuhrunternehmen Wecker, welches<br />
heute den Baustoffhandel betreibt.<br />
Was verb<strong>in</strong>det Sie mit <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Me<strong>in</strong> Mann hat früher auch den Großhandel<br />
<strong>in</strong> der Bauernvogtkoppel <strong>in</strong><br />
Sasel beliefert. Dort haben wir uns<br />
kennen gelernt und ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>Bergstedt</strong>er<strong>in</strong><br />
geworden. Außerdem leben<br />
hier me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der und Enkel.<br />
Was wünschen Sie sich für <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Ich wünsche mir, dass <strong>Bergstedt</strong> nicht<br />
verschlafen ist, sich öffnet, aber vom<br />
Ursprung erhalten bleibt und se<strong>in</strong>en<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
prägenden Ortskern erhält. Das Dörfliche<br />
soll erhalten bleiben und sich mit<br />
dem Modernen verb<strong>in</strong>den.<br />
F<strong>in</strong>den Sie es gut, dass immer mehr<br />
Familien nach <strong>Bergstedt</strong> ziehen?<br />
Ja, warum nicht? Es sollen nur nicht<br />
immer neue Wohnungen gebaut werden.<br />
Viele Häuser und Wohnungen<br />
stehen bereits leer.<br />
Gab es früher schon die Nachbargeme<strong>in</strong>den<br />
Sasel und Ohlstedt und gab<br />
es Kontakt zu ihnen?<br />
Ja, die gab es schon. Kontakt gab es<br />
weniger. Es gab ja auch noch nicht so<br />
viele Verkehrsmittel wie heute.<br />
Möchten Sie uns noch etwas erzählen?<br />
Ja, wir wünschen uns, dass das Geld<br />
im Dorf bleibt und wir nicht nur den<br />
Durchgangsverkehr haben. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>derarzt<br />
fehlt. Man könnte die Weide<br />
Woold für Heimatfeste nutzen.<br />
Vielleicht wie früher für R<strong>in</strong>greiten oder<br />
Skatturniere.<br />
Danke für das Interview.<br />
Wir wünschen Ihnen noch<br />
e<strong>in</strong>en schönen Tag.<br />
Haus der Familie<br />
Schmidt <strong>in</strong> der<br />
<strong>Bergstedt</strong>er<br />
Kirchenstraße<br />
Oben: ca. 1925,<br />
Mitte: ca. 1946,<br />
unten: 2006<br />
Interview<br />
23
Interview<br />
Interview mit dem Ehepaar Kurth<br />
Jochen und Steven: Wie heißen<br />
Sie?<br />
Ehepaar Kurth: Herbert und Kar<strong>in</strong><br />
Kurth.<br />
Haben Sie K<strong>in</strong>der oder Enkelk<strong>in</strong>der?<br />
Ehepaar Kurth: Ja, zwei K<strong>in</strong>der und<br />
e<strong>in</strong> Enkelk<strong>in</strong>d.<br />
Wie lange leben Sie schon <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Kar<strong>in</strong> Kurth: Seit 1940.<br />
Herbert Kurth: Seit 1950.<br />
Welchen Beruf haben Sie?<br />
Herbert Kurth: Gärtner.<br />
Kar<strong>in</strong> Kurth: Versicherungskauffrau.<br />
Geht es Ihnen hier gut?<br />
Ehepaar Kurth: Uns geht es hier sehr<br />
gut. Wir mögen die Ruhe, das Länd-<br />
liche, wir haben viel mit Menschen zu<br />
tun. Wenn ich das nicht mehr hätte,<br />
würde mir was fehlen. Wir haben viele<br />
Freunde hier.<br />
Gibt es etwas, das an Ihre K<strong>in</strong>dheit<br />
er<strong>in</strong>nert?<br />
Herbert Kurth: Ja, auf der großen<br />
Kreuzung hier war e<strong>in</strong> Dreieck, und <strong>in</strong><br />
jeder Ecke stand e<strong>in</strong> Eichenbaum.<br />
Kar<strong>in</strong> Kurth: Erst b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> den Baracken<br />
an der Teekoppel zur Schule gegangen<br />
und dann im Gasthaus Rose<br />
(jetzt Adda-Eis). Dort war e<strong>in</strong> Raum<br />
Schulklasse und e<strong>in</strong> Raum Turnhalle.<br />
Es gab e<strong>in</strong>en Ofen, <strong>in</strong> dem haben wir<br />
uns Bratäpfel für die Pause gemacht.<br />
Ach ja, und im Siemers’schen Hof b<strong>in</strong><br />
ich auch e<strong>in</strong> Jahr zur Schule gegangen.<br />
Dort gab es ganz viele Mäuse.<br />
Nach dem Krieg war so wenig Verkehr<br />
auf dem Volksdorfer Damm, dass wir<br />
dort Völkerball spielen konnten. Alle<br />
halbe Stunde kam e<strong>in</strong> Auto.<br />
Gibt es für Sie genug Wälder?<br />
Herbert<br />
Kurth: Wir leben<br />
im Grünen.<br />
Aber es<br />
kann nie<br />
genug Wälder<br />
geben.<br />
Sollte es hier<br />
mehr E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten<br />
geben?<br />
Herbert Kurth: Ne<strong>in</strong>, es gibt genug.<br />
Kar<strong>in</strong> Kurth: Nach dem Krieg haben<br />
wir mit Marken e<strong>in</strong>gekauft und mussten<br />
stundenlang beim Krämer <strong>in</strong> der<br />
Schlange stehen.<br />
Gibt es genug Bauernhöfe hier?<br />
Herbert Kurth: Ja, es reicht.<br />
Wollen Sie hier weiterh<strong>in</strong> leben?<br />
Ehepaar Kurth: Ja, sehr gerne.<br />
Haben Sie etwas vom Krieg mitbekommen?<br />
Kar<strong>in</strong> Kurth: Wir hier draußen haben<br />
vom Krieg wenig mitbekommen. Die<br />
Menschen, die <strong>in</strong> der Stadt ausgebombt<br />
wurden, wurden bei uns e<strong>in</strong>quartiert.<br />
Fehlt Ihnen etwas <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Herbert Kurth: E<strong>in</strong>e große Sportanlage<br />
könnte hier h<strong>in</strong>. Kar<strong>in</strong> Kurth:<br />
Und es fehlt so e<strong>in</strong> typischer Gasthof,<br />
wo man sich e<strong>in</strong>fach an die Theke setzen<br />
und auch was essen kann.<br />
24 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Interview<br />
Ecke Wohldorfer Damm/<br />
Volksdorfer Damm<br />
Oben l<strong>in</strong>ks: ca. 1950,<br />
oben rechts: ca. 1960,<br />
unten l<strong>in</strong>ks: 2006,<br />
unten rechts: 1980<br />
25
Interview<br />
Interview mit Ehepaar Grimm<br />
Saskia: Seit wann leben Sie <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>?<br />
Frau Grimm: Seit 1938.<br />
N<strong>in</strong>a: Wie war die Schule <strong>in</strong> Ihrer<br />
K<strong>in</strong>dheit?<br />
Frau Grimm: Es gab zwei Gebäude.<br />
Das erste ist hier direkt an der Alten<br />
<strong>Bergstedt</strong>er Landstraße, das war das<br />
neue Gebäude. Das zweite war bei der<br />
Kirche und das war die alte Schule.<br />
Und da waren zwei Baracken auf diesem<br />
Gelände. Wir waren hauptsächlich<br />
<strong>in</strong> der ersten, bis dann die neue<br />
Schule gebaut wurde. Das war e<strong>in</strong> Ereignis<br />
...<br />
Herr Grimm: Und im<br />
Siemerschen Hof waren<br />
wir ja auch!<br />
Frau Grimm: Ja,<br />
stimmt! Da wurden wir<br />
ja auch unterrichtet.<br />
Und da war auch e<strong>in</strong>e<br />
große Veranda, <strong>in</strong> der<br />
wurden wir auch unter-<br />
richtet. Wir hatten nicht sonderlich viel,<br />
weil ich ja nach dem Krieg zur Schule<br />
gekommen b<strong>in</strong>.<br />
Saskia: Wann war das?<br />
Frau Grimm: 1945 b<strong>in</strong> ich zur Schule<br />
gekommen.<br />
N<strong>in</strong>a: Wie viele K<strong>in</strong>der waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Klasse?<br />
Frau Grimm: Bis zur sechsten waren<br />
wir nur 24 K<strong>in</strong>der. Aber wir waren ja<br />
auch nur Mädchen. Aber dann s<strong>in</strong>d die<br />
Jungen gekommen ... (lacht) und später<br />
konnten wir unsere Abschlüsse<br />
machen. Dann gab es die Oberschule,<br />
Wissenschaftliche Oberschule,<br />
Technische Oberschule und die Praktische<br />
Oberschule. Und wenn e<strong>in</strong><br />
Schüler die eben weitermachen wollte,<br />
musste er nach Ohlstedt, Sasel oder<br />
Volksdorf.<br />
Saskia: Waren verschiedene Altersgruppen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Klasse?<br />
Frau Grimm: Höchstens bis zu e<strong>in</strong>em<br />
Jahr!<br />
Saskia: Welchen Beruf haben Sie<br />
ausgeübt?<br />
Frau Grimm: Schlachterei-Verkäufer<strong>in</strong>!<br />
N<strong>in</strong>a: Wollten Sie das schon immer<br />
werden?<br />
Frau Grimm: Nun ja ... also me<strong>in</strong><br />
Großvater hatte den Laden 1914 aufgemacht<br />
und me<strong>in</strong> Vater auch. Schon<br />
als ich noch K<strong>in</strong>d war, war klar, dass<br />
ich den Laden übernehmen würde.<br />
N<strong>in</strong>a: Wann haben Sie das Geschäft<br />
übernommen?<br />
Frau Grimm: Hm, ich glaube, seit<br />
1989.<br />
N<strong>in</strong>a: Gibt es noch z.B. Spielplätze<br />
oder Bäume, auf denen Sie <strong>in</strong> Ihrer<br />
K<strong>in</strong>dheit gespielt haben und die Sie<br />
an das frühere <strong>Bergstedt</strong> er<strong>in</strong>nern?<br />
26 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
Frau Grimm: Nicht direkt Spielplätze<br />
oder Bäume, aber hier vorne auf<br />
der Chaussee haben wir K<strong>in</strong>der immer<br />
Völkerball gespielt. Da kann man mal<br />
sehen, wie wenig Verkehr es damals<br />
gab. Und wenn dann mal e<strong>in</strong> Auto<br />
kam, s<strong>in</strong>d wir zur Seite gegangen und<br />
haben dann e<strong>in</strong>fach weiter gespielt.<br />
Saskia: Und sonst noch?<br />
Frau Grimm: Entweder zu <strong>Hause</strong><br />
oder bei me<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>. Die wohnte<br />
<strong>in</strong> der Kirchenstraße und so weit ich<br />
mich er<strong>in</strong>nern kann, haben wir häufig<br />
mit Puppen gespielt. (lacht)<br />
Saskia: Welche Sportaktivitäten gab<br />
es damals?<br />
Herr Grimm: Ich habe früher immer<br />
Fußball gespielt. Und ich glaube,<br />
Handball wurde auch angeboten.<br />
N<strong>in</strong>a: Können Sie mir<br />
<strong>Bergstedt</strong>, wie es früher<br />
aussah, beschreiben?<br />
Frau Grimm: In der<br />
Nähe von der Kreuzung<br />
war e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Verkehrs<strong>in</strong>sel.<br />
Da standen<br />
drei Eichen drauf.<br />
Nebenan war noch e<strong>in</strong><br />
Haus und h<strong>in</strong>ter diesem<br />
war e<strong>in</strong> Strohdachhaus.<br />
Dah<strong>in</strong>ter gab es e<strong>in</strong><br />
Waldstück. Wo heute<br />
das Adda-Eiscafé ist,<br />
war früher e<strong>in</strong>e Gastwirtschaft.<br />
Schlachterei Ahrens,<br />
<strong>Bergstedt</strong>er Chaussee 189<br />
Oben rechts: ca. 1950,<br />
unten rechs: Ehepaar Ahrens und rechts<br />
Herbert Ludt ca. 1938,<br />
S. 26, unten l<strong>in</strong>ks: Herbert Ludt ca. 1950,<br />
S. 26, unten rechts: Ehepaar Grimm 2006<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Saskia: Ist mal etwas Schlimmes hier<br />
<strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> passiert, z.B. e<strong>in</strong> Überfall?<br />
Frau Grimm: Ja, e<strong>in</strong>mal bei „Dörl<strong>in</strong>g“,<br />
da s<strong>in</strong>d Leute e<strong>in</strong>gebrochen. Die<br />
haben die Besitzer mit Schlipsen und<br />
so was geknebelt und haben auch e<strong>in</strong>e<br />
Menge gestohlen. Und h<strong>in</strong>ter der<br />
Wohnsiedlung ist ja e<strong>in</strong> Bauernhof. Der<br />
hatte gebrannt. Ist<br />
ja natürlich nicht<br />
schön, aber wir<br />
K<strong>in</strong>der hatten uns<br />
gefreut, weil die<br />
Schule dann ausfiel.<br />
N<strong>in</strong>a: Gab es<br />
früher <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
viele Feste?<br />
Frau Grimm: Es<br />
gab e<strong>in</strong> Jahrhundertsfest.<br />
Und<br />
Interview<br />
27
Interview<br />
zum Ende jedes Schuljahres gab es<br />
immer e<strong>in</strong> Vogelschießen.<br />
Saskia: Haben Sie sich im Krieg sicher<br />
gefühlt?<br />
Frau Grimm: Es war schrecklich. Ich<br />
kann mich immer noch daran er<strong>in</strong>nern,<br />
wie ich im Keller vom Laden saß, um<br />
mich herum sehr viele fremde Leute<br />
und oben musste me<strong>in</strong>e Mutter noch<br />
weiter kassieren. Nicht dass die Fremden<br />
hässlich zu mir gewesen wären,<br />
doch es ist ja immer noch e<strong>in</strong> gewaltiger<br />
Unterschied, ob da nun Fremde<br />
oder Verwandte sitzen.<br />
N<strong>in</strong>a: Was haben Sie während des<br />
Krieges gemacht?<br />
Frau Grimm: Ich war ja noch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />
und b<strong>in</strong> ja auch noch nicht zur Schule<br />
gegangen. Aber ich weiß noch, wie ich<br />
immer im Sandkasten saß, und wenn<br />
e<strong>in</strong> Flieger vorbeikam, hatte me<strong>in</strong>e<br />
Mutter mich immer re<strong>in</strong> geholt. Ich hab<br />
sie immer gefragt, wie solche kle<strong>in</strong>en<br />
D<strong>in</strong>ger mir was antun könnten. Und<br />
am Ende vom Krieg war es <strong>in</strong> Richtung<br />
Hamburg-Innenstadt schwarz von<br />
Rauch und <strong>in</strong> Richtung Schleswig-Holste<strong>in</strong><br />
war es überfüllt von Flüchtl<strong>in</strong>gen.<br />
Saskia: Gab es viele Bombene<strong>in</strong>schläge?<br />
Frau Grimm: Ne<strong>in</strong>, Gott sei Dank<br />
nicht. Nur <strong>in</strong> der Nähe vom Hofredder,<br />
da war e<strong>in</strong> Feld und dort ist e<strong>in</strong>e<br />
Bombe e<strong>in</strong>geschlagen. Aber, wie gesagt,<br />
war dort e<strong>in</strong> Feld und deshalb<br />
war dies ke<strong>in</strong> großer Schaden. Nur die<br />
Fenster <strong>in</strong> der Nähe s<strong>in</strong>d alle zersplittert.<br />
Bei uns auch.<br />
Saskia: Was haben Sie nach dem<br />
Krieg gemacht? Mussten Sie härter<br />
arbeiten?<br />
Frau Grimm: Nicht viel härter, aber<br />
wir hatten nicht so viel Essen wie<br />
vorher. Aber dann kam e<strong>in</strong>ige Zeit später<br />
die D-Mark. Und als me<strong>in</strong> Großvater<br />
se<strong>in</strong>e erste Kuh kaufen wollte,<br />
musste er sich von allen Verwandten<br />
und Freunden Geld leihen. Und als er<br />
sie wieder anschließend verkauft hatte,<br />
wieder zurückzahlen, weil er vorher<br />
ke<strong>in</strong>e DM hatte. Aber manche Leute<br />
haben das nicht ganz so ehrlich gemacht<br />
wie me<strong>in</strong>e Familie.<br />
N<strong>in</strong>a: <strong>Zu</strong>m Abschluss: Möchten Sie<br />
für immer <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> wohnen bleiben?<br />
Frau und Herr<br />
Grimm: Ja.<br />
Stallgebäude Hof<br />
Kracht damals<br />
und heute<br />
28 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>
„<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong>“, der Titel<br />
dieser Broschüre spricht das <strong>Zu</strong>hause<br />
vieler Menschen an.<br />
Dieses <strong>Zu</strong>hause bedeutet für viele<br />
Jungen <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong> e<strong>in</strong> <strong>Zu</strong>hause<br />
ohne Vater. Immer mehr Jungen wie<br />
auch Mädchen wachsen ohne Vater<br />
auf. Es wird Zeit, etwas dagegen zu<br />
unternehmen, besonders für die vielen<br />
Jungen, die ohne e<strong>in</strong> greifbares<br />
männliches Vorbild aufwachsen<br />
müssen.<br />
Das Projekt „Paten“-t für Jungen<br />
stellt vaterlosen Jungen e<strong>in</strong>en männlichen<br />
Paten an die Seite, der ihnen<br />
zeigt, dass es reale Männer gibt, die<br />
sich um sie kümmern. Diese anwesenden<br />
Männer machen mit Jungen<br />
Sachen, die Jungen mögen, die sie<br />
auch brauchen, Jungensachen<br />
eben:<br />
• Sport, Handwerken, Musik,<br />
Ausflüge, Gespräche ...<br />
• Hausaufgabenunterstützung,<br />
Fahrräderreparieren, Angeln,<br />
K<strong>in</strong>obesuche ...<br />
• Lachen, Streiten, Plänemachen,<br />
<strong>Zu</strong>sammenhalten sowie vieles<br />
andere mehr.<br />
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
„Paten“-t für Jungen<br />
Diese Arbeit steht <strong>in</strong> Kooperation mit<br />
dem PROREGIO-Projekt, e<strong>in</strong>er <strong>Zu</strong>sammenarbeit<br />
der Schulbehörde mit<br />
der Behörde für Soziales, Familie,<br />
Gesundheit und Verbraucherschutz,<br />
das bereits seit 4 Jahren Freizeitaktivitäten<br />
an der Gesamtschule <strong>Bergstedt</strong><br />
und <strong>in</strong> der <strong>Begegnungsstätte</strong><br />
<strong>Bergstedt</strong> durchführt.<br />
Männer jeden Alters, deren berufliche<br />
E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung es zulässt und die<br />
Zeit haben, sich der Sache der Jungen<br />
ehrenamtlich anzunehmen,<br />
können sich an Frank Beuster,<br />
Beratungslehrer an der Gesamtschule<br />
<strong>Bergstedt</strong>, wenden: Telefon<br />
6041090.<br />
„Paten“-t<br />
Jungen, denen man Aufmerksamkeit<br />
und positive Aktivitäten anbietet,<br />
werden es zu schätzen wissen,<br />
dass es Männer <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
gibt, die sich Zeit und e<strong>in</strong> Herz<br />
für sie nehmen.<br />
Paten machen Jungen patent<br />
für ihr Leben.<br />
75-jähriges Jubiläum<br />
der FF <strong>Bergstedt</strong>,<br />
Feuerwehrkutsche<br />
vor dem Laden<br />
Timmermann<br />
29
30 <strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
Ecke <strong>Bergstedt</strong>er Chaussee/Volksdorfer Damm<br />
Oben: ca. 1930, l<strong>in</strong>ks: 1955, rechts: 1920,<br />
S. 31: 2006
<strong>Zu</strong> <strong>Hause</strong> <strong>in</strong> <strong>Bergstedt</strong><br />
31
Schutzgebühr: € 2,–<br />
Heimatr<strong>in</strong>g<br />
<strong>Bergstedt</strong>