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Stephanie Rupp Modellgeleitete Diagnostik bei kindlichen ...

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<strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

<strong>Modellgeleitete</strong> <strong>Diagnostik</strong> <strong>bei</strong> <strong>kindlichen</strong><br />

lexikalischen Störungen


<strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

<strong>Modellgeleitete</strong> <strong>Diagnostik</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>kindlichen</strong> lexikalischen<br />

Störungen<br />

<strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

absolvierte ihre Ausbildung<br />

zur Logopädin auf<br />

der Insel Reichenau am<br />

Bodensee und studierte<br />

anschließend an der<br />

RWTH Aachen Lehr- und<br />

Forschungslogopädie.<br />

Während des Studiums<br />

ar<strong>bei</strong>tete sie als Logopädin<br />

vorwiegend im Bereich der Sprachentwicklungsstörungen.<br />

Seit Abschluss des Studiums mit<br />

Diplom 2005 ar<strong>bei</strong>tet <strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong> als Lehrlogopädin<br />

für den Fachbereich Kindersprache<br />

an der SRH Fachschule für Logopädie in Karlsruhe.<br />

Die Schwerpunkte ihrer Lehrtätigkeit sind<br />

semantisch-lexikalische Entwicklungsstörungen,<br />

late talking, kindliche Aussprachestörungen, Phonologische<br />

Bewusstheit und Lese-Rechtschreibschwäche<br />

sowie Bilingualität im Kindesalter.<br />

Neben der Lehrtätigkeit und eigenen Fortbildungen<br />

ist derzeit ein Forschungsprojekt in Vorbereitung.<br />

Die hier vorliegende Ar<strong>bei</strong>t wurde 2007 mit dem<br />

Forschungspreis des deutschen Bundesverbandes<br />

für Logopädie ausgezeichnet.


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet<br />

über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

Inhalt<br />

Danksagung 8<br />

Vorwort des Herausgebers 9<br />

Die Informationen in diesem Werk sind von der Verfasserin und dem Verlag<br />

sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen<br />

werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner<br />

Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.<br />

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de<br />

1. Auflage 2008<br />

ISBN 978-3-8248-0277-7<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, 2008<br />

Mollweg 2, D-65510 Idstein<br />

Vertretungsberechtigter Geschäftsführer: Dr. Ullrich Schulz-Kirchner<br />

Fachlektorat: Prof. Dr. Claudia Iven<br />

Lektorat: Susanne Koch<br />

Layout: Petra Jeck<br />

Titelabbildungen: <strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

Druck und Bindung:<br />

Rosch-Buch Druckerei GmbH, Bamberger Str. 15, D-96110 Scheßlitz<br />

Printed in Germany<br />

1 Einleitung 11<br />

2 Theoretischer Hintergrund 15<br />

2.1 Die Lexikonentwicklung 15<br />

2.1.1 Präverbale Voraussetzungen der<br />

Lexikonentwicklung 16<br />

2.1.1.1 Die frühe Entwicklung der Sprachwahrnehmung 16<br />

2.1.1.2 Vorsprachliche Mittel der Referenz 18<br />

2.1.1.3 Objektpermanenz und Symbolfunktion 19<br />

2.1.2 Phase der ersten 50 Wörter 20<br />

2.1.3 Die ersten symbolisch-referentiellen Wörter 21<br />

2.1.4 Der Vokabelspurt 22<br />

2.1.4.1 Auftretende Phänomene:<br />

Über- und Untergeneralisierungen 23<br />

2.1.4.2 Erklärungen für den Vokabelspurt 24<br />

2.1.5 Die Komposition des <strong>kindlichen</strong> Lexikons 28<br />

2.2 Semantiktheorien und der Bedeutungserwerb <strong>bei</strong>m Kind 29<br />

2.2.1 Die Semantische Merkmalshypothese 30<br />

2.2.2 Funktionale Kernhypothese 32<br />

2.2.3 Prototypentheorie nach Rosch 33<br />

2.2.4 Die Organisation von Wortbedeutungen<br />

in Relationen 34<br />

2.3 Phonologische Entwicklung und Wortformentwicklung 36<br />

2.4 Zusammenfassung 38<br />

2.5 Lexikalische Störungen <strong>bei</strong> Kindern 39<br />

2.5.1 Subgruppen lexikalischer Störungen 39<br />

2.5.2 Das diagnostische Problem 42<br />

2.6 Lexikonmodelle 43<br />

2.6.1 Das Modell nach Dell 45<br />

2.6.2 Subgruppen-Einteilung im Dell-Modell 47<br />

2.6.2.1 Die Wortformstörung 48


2.6.2.2 Die Wortbedeutungsstörung 50<br />

2.6.2.3 Das quantitative Defizit auf der Wort-Ebene 52<br />

2.6.2.4 Die konzeptuell-semantische Störung 53<br />

2.6.2.5 Übersicht der angenommenen Subgruppen<br />

<strong>bei</strong> semantisch-lexikalischen Entwicklungsstörungen 54<br />

2.7 Fragestellung für das Experiment 56<br />

3 Praktisch-empirischer Teil 59<br />

3.1 Vorar<strong>bei</strong>t: Ergänzungs-Tests 59<br />

3.1.1 Diagnostische Überlegungen 59<br />

3.1.2 Methode der Testentwicklung 60<br />

3.1.2.1 Verwendetes Material <strong>bei</strong> der Assoziationsstudie 62<br />

3.1.2.2 Probanden der Assoziationsstudie 64<br />

3.1.2.3 Durchführung der Assoziationsstudie 65<br />

3.1.2.4 Methode der Auswertung 66<br />

3.1.3 Ergebnisse der Assoziationsstudie 68<br />

3.1.4 Auswahl der Items für die Tests 69<br />

3.1.5 Ergebnis: Der Wortverständnis-Test 70<br />

3.1.6 Ergebnis: Der Semantik-Test 73<br />

3.1.7 Diskussion der Vorar<strong>bei</strong>t 75<br />

3.2 Die empirische Studie 80<br />

3.2.1 Methode 80<br />

3.2.1.1 Material und Durchführung 80<br />

3.2.1.2 Auswertung der Testergebnisse 82<br />

3.2.1.3 Probanden 87<br />

3.2.2 Die Untersuchungen 87<br />

3.2.2.1 Psychometrische Eigenschaften 88<br />

3.2.2.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede 96<br />

3.2.2.3 Semantik – Phonologie und Benennleistung 104<br />

3.2.2.4 Semantik – Wortverständnis – Wortproduktion 107<br />

3.2.2.5 Gruppenvergleich: Kontrollgruppe vs. klinisch<br />

auffällige Gruppe 114<br />

3.2.2.6 Homogenität der klinisch auffälligen Gruppe und<br />

Einzelfallanalysen 122<br />

3.2.2.7 Deskriptive Darstellung der Gesamtgruppe 125<br />

4 Diskussion 129<br />

4.1 Psychometrische Eigenschaften 129<br />

4.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede 132<br />

4.3 Semantik – Phonologie und Benennleistung 133<br />

4.4 Semantik – Wortverständnis – Wortproduktion 135<br />

4.5 Gruppenvergleich: Kontrollgruppe vs. klinisch<br />

auffällige Gruppe 139<br />

4.6 Homogenität der klinisch auffälligen Gruppe –<br />

Einzelfallprofile im Dell-Modell 140<br />

4.7 Ergebnisse der Gesamtgruppe 148<br />

5 Zusammenfassung und Ausblick 150<br />

Literaturverzeichnis 155<br />

Anhang 160<br />

Ergebnisse der Assoziationsstudie 160<br />

Entwickelte Zusatztests 186<br />

Protokollbögen 197


• <strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

<strong>Modellgeleitete</strong> <strong>Diagnostik</strong> <strong>bei</strong> <strong>kindlichen</strong> lexikalischen Störungen •<br />

Danksagung<br />

Auf der Suche nach Antworten bleiben Fragen<br />

– darin gleicht die Wissenschaft dem Leben.<br />

Für Marc<br />

Dieses Buch ist eine leicht überar<strong>bei</strong>tete Version meiner an der RWTH<br />

Aachen im Studiengang Lehr- und Forschungslogopädie entstandenen<br />

Diplomar<strong>bei</strong>t.<br />

Ein herzliches Dankeschön gilt allen, die mich in meinem Werdegang, dem<br />

Studium und der Durchführung dieser Ar<strong>bei</strong>t unterstützt haben.<br />

An erster Stelle möchte ich Prof. Huber für die inhaltlich-methodische Unterstützung<br />

<strong>bei</strong> dieser Ar<strong>bei</strong>t danken, ebenso Prof. Willmes für die statistische<br />

Betreuung. Beiden gilt ebenso der Dank für die Gründung und Leitung<br />

des Studienganges der Lehr- und Forschungslogopädie, welcher von Begeisterung<br />

für Wissenschaft und Forschung, Idealismus und der Vermittlung<br />

von Wissen geprägt ist. Für mich persönlich waren die 5 Jahre Studium in<br />

Aachen eine deutliche fachliche und persönliche Bereicherung und Inspiration.<br />

Ebenso danke ich Dr. Monika Rausch, die mich <strong>bei</strong> der Themenfindung betreut<br />

und die Ar<strong>bei</strong>t inhaltlich begleitet hat, sowie Sabine Nybelen und Marion<br />

Grande, die die Ar<strong>bei</strong>t inhaltlich weiterführten.<br />

Ein weiterer Dank gilt Irmgard Radermacher, die mir unterstützend <strong>bei</strong> der<br />

Anfertigung der PC-Testversionen zur Seite stand, sowie den logopädischen<br />

Praxen Sandra Oye-Holl und Judith Nahlbach, die mir ihre Praxisräume zur<br />

Verfügung stellten und mir halfen, geeignete Probanden zu finden.<br />

Veronika Gutmann und Hanna Peters möchte ich für ihre zahlreichen Anregungen,<br />

für fachliche Diskussionen und ihre Unterstützung danken.<br />

Nicht zu vergessen gilt den teilnehmenden Kindern, ihren Eltern und den<br />

Kindergärten und Kindertagestätten ein herzliches Dankeschön.<br />

Ein ganz besonderer Dank geht an meine liebe Familie, die mir diesen Werdegang<br />

ermöglichte und jederzeit unterstützend zur Seite steht, sowie an<br />

Torsten Knorr für seine uneingeschränkte Unterstützung <strong>bei</strong> all meinen Vorhaben.<br />

<strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

Vorwort des Herausgebers<br />

Was ist ein Wort? Intuitiv hat jeder, der sich sprachlich verständigen kann,<br />

eine Vorstellung davon. Wörter werden als Bausteine einer Sprache betrachtet.<br />

Ohne Wörter lässt sich keine neue Sprache erwerben, und Vokabellernen<br />

gilt als unverzichtbar in der Fremdsprachendidaktik. Doch der Versuch,<br />

mit wissenschaftlichem Blick den Prozessen der Lexikonentwicklung <strong>bei</strong> Kindern<br />

mit und ohne Sprachentwicklungsstörung auf die Spur zu kommen,<br />

enthüllt kompliziertere Zusammenhänge.<br />

Nicht nur für Wissenschaftler mit Erkenntnisinteresse am Aufbau des <strong>kindlichen</strong><br />

Wortschatzes ist die Organisation des mentalen Lexikons im Verlauf<br />

der Sprachentwicklung ein spannendes Geschehen. Auch für Logopädinnen<br />

und Logopäden, die sich mit den Störungen der <strong>kindlichen</strong> Sprachentwicklung<br />

beschäftigen, diese diagnostisch erkennen und therapeutisch behandeln,<br />

ist es unverzichtbar, ihr Wissen über die Charakteristik der Wortschatzentwicklung<br />

und deren mögliche Störungen immer mehr zu vertiefen.<br />

In diesem Spannungsfeld von Theorie und Praxis ist die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t<br />

angesiedelt, und sie belegt exemplarisch, dass in diesem Spannungsfeld<br />

zwischen Theorie und Praxis der fruchtbarste Boden für die Weiterentwicklung<br />

der Logopädie liegt. Fragen, wie <strong>bei</strong>spielsweise die Frage nach Untergruppen<br />

von Kindern mit eingeschränktem Wortschatz, entstehen im Alltag<br />

klinischer Praxis, können dort aber nicht beantwortet werden. Hier ist<br />

die Wissenschaft gefordert, durch geeignete Untersuchungsdesigns, wie in<br />

der vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t <strong>bei</strong>spielsweise durch die Integration von Aspekten<br />

der klassischen Testtheorie und eines modellorientierten Einzelfallansatzes,<br />

nach Antworten zu suchen und auch neue Methoden-Entwicklungen anzustoßen.<br />

Konkret legt die Ar<strong>bei</strong>t dazu zwei Ergänzungstest zum AWST,<br />

einem in der Praxis etablierten Verfahren, vor.<br />

Angesichts der Komplexität der Materie können im Rahmen einer Einzelar<strong>bei</strong>t<br />

nicht alle Fragen beantwortet werden. Ebensowenig kann eine umfassende<br />

psychometrische Absicherung der neu entwickelten Ergänzungstests<br />

geleistet werden. Damit können die Ergebnisse der Ar<strong>bei</strong>t nicht unmittelbar<br />

in die klinische Praxis übersetzt werden. Doch diese Einschränkungen<br />

schmälern nicht den Beitrag, den die Ar<strong>bei</strong>t für die Weiterentwicklung der<br />

Logopädie leisten kann. Denn Wissenschaft soll nicht allein zu neuen Erkenntnissen<br />

führen, sondern auch Anregungen zu neuen Fragen und zum<br />

• 8 • • 9 •


• <strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

<strong>Modellgeleitete</strong> <strong>Diagnostik</strong> <strong>bei</strong> <strong>kindlichen</strong> lexikalischen Störungen •<br />

Weiterdenken geben. Der Impuls der vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t etwa zur Präzisierung<br />

lexikalischer Störungen <strong>bei</strong> Kindern führt zu verfeinerten differenzialdiagnostischen<br />

Methoden und regt dazu an, über eine daran angepasste,<br />

störungsbildspezifischere Therapie nachzudenken.<br />

So ist dem vorliegenden Buch zu wünschen, dass es viele Logopädinnen und<br />

Logopäden zu einer Reflexion ihres Wissen über die lexikalische Entwicklung<br />

von Kindern anregt und zu einer Reflexion der Zusammenhänge von<br />

Störungscharakteristik, <strong>Diagnostik</strong>methoden und Therapieplanung. Dann<br />

kann die Veröffentlichung der Ar<strong>bei</strong>t und die Hervorhebung durch den dbl-<br />

Forschungspreis, der vom Schulz-Kirchner-Verlag dankenswerterweise auch<br />

finanziell unterstützt wird, dazu <strong>bei</strong>tragen, die Logopädie im Wechselspiel<br />

von Theorie und Praxis weiterzuentwickeln – zum Wohle der Patienten.<br />

Dr. Monika Rausch<br />

Präsidentin des dbl<br />

• 10 •<br />

1 Einleitung<br />

Die Aufgabe von Sprache ist grundsätzlich die Übermittlung von Informationen.<br />

Ziel sprachlichen Austausches ist Verständigung und Kommunikation.<br />

Durch das Medium Sprache können Gedanken ausgehend von einem Sprecher<br />

zu einem Empfänger gelangen, von welchem die Informationen dann<br />

wieder in Vorstellungen umgewandelt werden. Es finden Kommunikation,<br />

gedanklicher Austausch und Verständigung statt. Diese Verständigung wird<br />

ermöglicht über ein sprachliches System, das in der Lautsprache aus Worten<br />

(in Gebärdensprachen Gebärden) besteht, die alle Teilnehmer einer Population<br />

kennen und denen festgelegte Bedeutungen zugeordnet werden<br />

können. Es ist demnach ein hoch komplexes Symbolsystem, das uns ganz<br />

alltäglich und wie selbstverständlich Kommunikation ermöglicht.<br />

Kinder stehen in ihrer Sprachentwicklung vor einer großen Aufgabe und<br />

müssen dieses hoch komplexe System durchschauen und sich aneignen. Es<br />

müssen mentale Repräsentationen (innere Bilder) aufgebaut werden, mit<br />

Sprache verknüpft und in Sprache übersetzt werden und umgekehrt. Durch<br />

diese stattfindenden Prozesse kann ein Kind allmählich ein mentales Lexikon<br />

aufbauen.<br />

„The development of this dual function as both an internal (cognitive) and<br />

an external (communicative) representational system is a critical turning<br />

point in human history and in human ontogeny“ (Nelson 1998:121).<br />

Der Begriff Lexikon wird in der vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t als Kurzform für mentales<br />

Lexikon verwendet. Das mentale Lexikon bezeichnet den mental organisierten<br />

und repräsentierten Wortschatz, auf welchen in der Sprachverar<strong>bei</strong>tung<br />

zugegriffen wird (vgl. Bußmann 2002).<br />

In der Wortschatzentwicklung des Kindes greifen sprachliche und nichtsprachliche<br />

Ebenen ineinander, wirken wechselseitig aufeinander ein und<br />

stellen gegenseitig Voraussetzungen für weitere Entwicklungsschritte dar.<br />

Die genauen Zusammenhänge sind jedoch noch unzureichend erforscht<br />

(vgl. Kauschke 2000). Kauschke stellt heraus, dass erhebliche Diskrepanzen<br />

<strong>bei</strong> der Klärung der Frage bestehen, in welchem Zusammenhang die Entwicklung<br />

des Lexikons mit anderen sprachlichen Bereichen steht. Im Weiteren<br />

ist unzureichend erforscht, ob spezielle Entwicklungsschritte Auslöser<br />

oder Voraussetzung für weitere sprachliche Entwicklungsschritte darstellen<br />

und welche wechselseitigen Einflüsse darüber hinaus bestehen.<br />

Die frühe Wortschatzentwicklung wird zunehmend als Prädiktor der weiteren<br />

Sprachentwicklung angesehen und stellt somit einen wichtigen As-<br />

• 11 •


• <strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

<strong>Modellgeleitete</strong> <strong>Diagnostik</strong> <strong>bei</strong> <strong>kindlichen</strong> lexikalischen Störungen •<br />

pekt <strong>bei</strong> der Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen dar. Eng<br />

damit verbunden ist ein wachsendes wissenschaftliches Interesse, diesen<br />

Bereich der frühen Sprachentwicklung zu erforschen. Dies betrifft sowohl<br />

die physiologische als auch die pathologische Sprachentwicklung. Rothweiler<br />

(2001:93) betont: „Im deutschsprachigen Raum gibt es kaum Untersuchungen,<br />

die sich auf der Grundlage empirisch erhobener Daten mit dem<br />

Aufbau des Lexikons <strong>bei</strong> sprachauffälligen Kindern befassen“.<br />

Zwei wichtige Aspekte, die in der Literatur Erwähnung finden, bezogen auf<br />

die frühe Wortschatzentwicklung und auch im Hinblick auf die gestörte<br />

Wortschatzentwicklung, sind die Aspekte des Lautsystems (phonetischphonologische<br />

Fähigkeiten) und Aspekte der semantisch-konzeptuellen Entwicklung.<br />

„Die phonologische Form stellt die Schnittstelle zum akustischen<br />

Signal dar und spezifiziert die Lautgestalt des Wortes. Die semantische Form<br />

bezieht sich auf die Bedeutung des Wortes und bildet den angrenzenden<br />

Bereich zum nicht-sprachlichen begrifflichen Wissenssystem“ (Kauschke<br />

2000:3). Das Verhältnis dieser <strong>bei</strong>den Formen oder Ebenen wird Inhalt dieser<br />

Veröffentlichung sein. Darüber hinaus propagieren einige Autoren, dass<br />

das Sprachverständnis als eine Voraussetzung der Sprachproduktion aufzufassen<br />

sei (vgl. Steinberg et al. 2001, Nelson 1998, Szagun 2001).<br />

Nimmt man die Gesamtentwicklung des Kindes in seinem Umfeld in Augenschein,<br />

gibt es zahlreiche Faktoren (z. B. das Sprachangebot, soziale Faktoren),<br />

die im Zusammenhang mit der Wortschatzentwicklung des Kindes<br />

stehen, diese sind jedoch nicht Gegenstand der hier vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t<br />

und werden nur peripher Erwähnung finden.<br />

Die Struktur eines <strong>kindlichen</strong> Lexikons kann nicht der Lexikonstruktur eines<br />

Erwachsenen gleichgesetzt werden, da sich das kindliche Lexikon in allen<br />

Aspekten noch im Aufbau befindet. Die <strong>kindlichen</strong> Wortbedeutungen entsprechen<br />

noch nicht den zielsprachlichen Bedeutungen (vgl. Rothweiler &<br />

Meibauer 1999:13). Zunächst werden Wörter von Kindern kontextgebunden<br />

produziert, später kontextvariabel. Auch werden Aspekte der Umstrukturierung<br />

des Lexikons von thematischen Relationen hin zu klassifikatorischen<br />

diskutiert. Es ist wichtig von dem Bewusstsein auszugehen, dass das Lexikon<br />

des Kindes nicht einfach eine Miniaturform des Lexikons eines Erwachsenen<br />

ist. Dieser Gedanke, dass das Lexikon des Kindes eigene qualitative Aspekte<br />

<strong>bei</strong>nhaltet, wird in dieser Ar<strong>bei</strong>t durchgängig Berücksichtigung finden.<br />

Wenn von einer Interaktion zwischen kognitiv-semantischer, phonetischphonologischer<br />

und lexikalischer Entwicklung ausgegangen wird, muss<br />

man <strong>bei</strong> einer nicht typischen lexikalischen Entwicklung eines Kindes auch<br />

• 12 •<br />

berücksichtigen, dass Kinder mit einer lexikalischen Störung auf unterschiedlichen<br />

Ebenen unterschiedlich stark ausgeprägte Defizite aufweisen<br />

könnten. Bislang fehlen für das Deutsche zur Untersuchung dieser differenzialdiagnostischen<br />

Fragestellung normierte und standardisierte Tests. Da<br />

jedoch eine gezielte differenzierte <strong>Diagnostik</strong> Voraussetzung für jede individuelle<br />

und spezifische Therapie ist, besteht ein deutlicher Forschungsbedarf<br />

zu diesem Thema. Der Gedanke einer differenzialdiagnostischen Abklärung<br />

findet auch durch die Forderung nach effizienten Therapiemethoden seine<br />

Begründung, da die Voraussetzung jeder erfolgreichen Therapie eine genaue<br />

Diagnosestellung ist. Über die <strong>Diagnostik</strong> müssen spezifische Therapieansätze<br />

ermittelt werden. Eine gute <strong>Diagnostik</strong> macht es <strong>bei</strong>spielsweise<br />

möglich, zwischen spezifischen und kompensatorischen Therapieansätzen<br />

zu unterschieden.<br />

Im Rahmen dieser Ar<strong>bei</strong>t soll die Entwicklung eines geeigneten <strong>Diagnostik</strong>materials<br />

vorgestellt werden, das einen systematischen Vergleich von<br />

nicht-sprachlich semantischen Fähigkeiten, rezeptivem Wortverstehen und<br />

Wortproduktion an jeweils demselben Itemmaterial ermöglicht. Auch phonologische<br />

Aspekte sollen Berücksichtigung finden.<br />

Zunächst wurde zu diesem Zweck eine Vorstudie durchgeführt, auf deren<br />

Grundlage semantische Daten ermittelt wurden. Basierend auf diesen Daten<br />

wurden ein Wortverständnis- und ein Semantik-Test entwickelt. Anschließend<br />

wurde eine empirische Studie durchgeführt, <strong>bei</strong> der zwei Gruppen von<br />

Kindern untersucht wurden: eine Kontrollgruppe mit Kindern, die sich im<br />

Bereich Wortschatz typisch entwickeln und eine Gruppe von klinisch wortschatzauffälligen<br />

Kindern. Durch diese Untersuchungen soll ein Beitrag zum<br />

Wissensgewinn bezüglich der physiologischen Wortschatzentwicklung wie<br />

auch zu lexikalischen Störungen <strong>bei</strong> Kindern geleistet werden. Da im Rahmen<br />

dieser Studie neue Untersuchungsverfahren eingesetzt wurden, wurden<br />

diese evaluiert.<br />

Die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t ist folgendermaßen gegliedert:<br />

Zunächst wird der theoretische Hintergrund (Kapitel 2) vorgestellt, um einen<br />

Einblick zu vermitteln, wie komplex die Aufgabe ist, vor der ein Sprache<br />

erwerbendes Kind steht. Es werden die Aspekte herausgestellt und näher<br />

erläutert, die im Hinblick auf den Worterwerb und die zu erörternde Fragestellung<br />

wichtig sind. Es erfolgt ein Abriss über die Lexikonentwicklung <strong>bei</strong>m<br />

Kind (Kapitel 2.1), in welchem die Voraussetzungen und die Stufen der Entwicklung<br />

beschrieben werden. Darauf aufbauend werden Semantiktheorien<br />

• 13 •


• <strong>Stephanie</strong> <strong>Rupp</strong><br />

<strong>Modellgeleitete</strong> <strong>Diagnostik</strong> <strong>bei</strong> <strong>kindlichen</strong> lexikalischen Störungen •<br />

und der Bedeutungserwerb <strong>bei</strong>m Kind (Kapitel 2.2) anhand ausgewählter<br />

Semantik-Theorien vorgestellt und die phonologische Entwicklung (Kapitel<br />

2.3) beschrieben.<br />

Nach den theoretischen Grundlagen, die sich primär auf die physiologische<br />

Entwicklung des Kindes beziehen, werden lexikalische Störungen <strong>bei</strong> Kindern<br />

(Kapitel 2.5) und die unterschiedlichen Störungsausprägungen bzw.<br />

Subgruppenvorschläge diverser Autoren beschrieben.<br />

In Kapitel 2.6, das sich mit Lexikonmodellen befasst, wird der Worterwerb<br />

auf das Modell von Dell et al. (2000) übertragen (Kapitel 2.6.1) und es werden<br />

mögliche Subgruppen der lexikalischen Störung anhand des Modells<br />

(Kapitel 2.6.2) vorgeschlagen und im Modell veranschaulicht.<br />

Zusammenfassend werden in Kapitel 2.7 die grundsätzlichen Fragestellungen<br />

für die empirische Studie aus der Literatur abgeleitet und beschrieben.<br />

Im praktisch-empirischen Teil dieser Ar<strong>bei</strong>t (Kapitel 3) werden einführend<br />

die Methode und das grundsätzliche Vorgehen erläutert. Es folgt die Beschreibung<br />

der Entwicklung eigener Testverfahren. Dies wird als „Vorar<strong>bei</strong>t“<br />

(Kapitel 3.1) der eigentlichen empirischen Studie bezeichnet. Es schließt sich<br />

die Darstellung der eigentlichen empirischen Untersuchung (Kapitel 3.2) an.<br />

Es werden die speziellen Forschungshypothesen dargestellt und das verwendete<br />

Material sowie die Auswertungsmethoden beschrieben. Die untersuchte<br />

Probandengruppe wird erläutert, die statistischen Verfahren werden<br />

beschrieben und die Ergebnisse werden präsentiert.<br />

Abschließend werden die Ergebnisse in Kapitel 4 kritisch diskutiert. In Kapitel<br />

5 werden die wichtigsten Aspekte dieser Ar<strong>bei</strong>t zusammengefasst und es<br />

wird ein Ausblick gegeben.<br />

2 Theoretischer Hintergrund<br />

Um zu verdeutlichen, welche Leistungen ein heranwachsendes und Sprache<br />

erwerbendes Kind vollbringt und mit wie vielen Fähigkeiten und Einzelaspekten<br />

dieser Prozess vonstatten geht, wird in diesem Kapitel einführend<br />

die Lexikonentwicklung <strong>bei</strong>m Kind mit einigen wichtigen Aspekten vorgestellt.<br />

Wesentlicher Bestandteil der Lexikonentwicklung ist, dass das Kind<br />

lernt, Wörter als solche aus dem Sprachfluss zu identifizieren und sie einem<br />

Referenten zuzuordnen. Dies <strong>bei</strong>nhaltet, dass das Kind in seiner Entwicklung<br />

lernt, dass ein Wort symbolisch für einen Referenten eingesetzt werden<br />

kann.<br />

Die folgende Erläuterung orientiert sich an den zeitlichen Entwicklungsstadien<br />

und der Erwerbsreihenfolge des Kindes. Betrachtet man die Lexikonentwicklung,<br />

muss zusätzlich erörtert werden, wie Kinder Bedeutungen an<br />

sich (Kapitel 2.2) erwerben und diese mit Sprache in Verbindung bringen.<br />

Im Weiteren wird die Entwicklung der Wortformen (Kapitel 2.3) beschrieben<br />

und wie Kinder die Phonologie der Muttersprache erwerben.<br />

Die einzelnen Entwicklungsbereiche hängen sehr eng zusammen und sind<br />

nur theoretisch, und selbst dann nicht trennscharf, isoliert beschreibbar. In<br />

der Entwicklung des Kindes sind die Bereiche stark verzahnt, greifen ineinander<br />

und beeinflussen sich wechselseitig. Trotzdem ist es in Forschungsar<strong>bei</strong>ten<br />

methodisch sinnvoll, diese künstlich anmutenden Trennungen vorzunehmen,<br />

um differenziertere Aussagen zu einzelnen Aspekten treffen zu<br />

können.<br />

Im Folgenden werden insbesondere Aspekte berücksichtigt, die eine wesentliche<br />

Rolle <strong>bei</strong> den folgenden theoretischen und experimentellen Überlegungen<br />

spielen 1 .<br />

2.1 Die Lexikonentwicklung<br />

Bevor die Lexikonentwicklung als solche mit den entsprechenden Entwicklungsschritten<br />

vorgestellt wird, muss zunächst definiert werden, was unter<br />

Lexikon bzw. unter mentalem Lexikon 2 zu verstehen ist.<br />

1 Zu einer umfassenden Betrachtung der Lexikonentwicklung, die wiederum Teil der gesamten<br />

Sprachentwicklung ist, gehören noch etliche weitere Aspekte, wie <strong>bei</strong>spielsweise pragmatische,<br />

grammatikalische oder soziale Entwicklungsaspekte. Diese können im Rahmen<br />

dieser Diplomar<strong>bei</strong>t jedoch nur peripher Berücksichtigung finden.<br />

2 Wenn im Folgenden der Ar<strong>bei</strong>t von Lexikon die Rede ist, bezieht sich dies immer auf das<br />

mentale Lexikon.<br />

• 14 •<br />

• 15 •

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