Anmerkung der Schriftleitung zu LG Frankfurt (Az. 2-04-O ... - Nwir.de
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d) Ergebnis: Es liegen gleichrangige Rechtspositionen vor.<br />
e) Das GG verpflichtet <strong>de</strong>n Staat in Art. 1 Abs. 1 S.2 , die Menschenwür<strong>de</strong> <strong>zu</strong> achten u n d<br />
<strong>zu</strong> schützen. Mit diesem Verfassungsauftrag wird klargestellt, dass nicht nur die<br />
Menschenwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Magnus Gäfgen <strong>zu</strong> achten (Pflicht <strong>zu</strong>r Unterlassung), son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch die<br />
Menschenwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jakob von Metzler <strong>zu</strong> schützen (Pflicht <strong>zu</strong>m aktiven Tun) ist. Die<br />
Missachtung j e d e r <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Pflichten stellt für sich betrachtet einen Verfassungsverstoß<br />
dar. Der Staat musste wegen <strong>de</strong>s in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG nie<strong><strong>de</strong>r</strong>gelegten Auftrags alles<br />
Zumutbare tun, um das Leben <strong>de</strong>s Opfers <strong>zu</strong> retten.<br />
f) Der Staat konnte nur eine dieser bei<strong>de</strong>n Pflichten erfüllen. Damit war notwendigerweise<br />
eine Abwägung bzgl. <strong>de</strong>s Vorrangs <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflichtenerfüllung vor<strong>zu</strong>nehmen. Die Reichweite <strong>de</strong>s<br />
Grundrechtsschutzes ist im Hinblick auf die Be<strong>de</strong>utung und Schutzbedürftigkeit <strong>de</strong>s <strong>zu</strong><br />
schützen<strong>de</strong>n Rechtsguts einerseits und damit kollidieren<strong><strong>de</strong>r</strong> Rechtsgüter an<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits <strong>zu</strong><br />
bestimmen. In seinem Urteil vom 28.5.1993 hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass<br />
selbst mit <strong>de</strong>m Anspruch auf Achtung <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschenwür<strong>de</strong> die Menschenwür<strong>de</strong> eines Dritten<br />
kollidieren kann (NJW 1993, 1751). Der Schutzbereich <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschenwür<strong>de</strong> muss in je<strong>de</strong>m<br />
Einzelfall erst aufgrund <strong><strong>de</strong>r</strong> konkreten Umstän<strong>de</strong> festgestellt wer<strong>de</strong>n (so auch BVerfG Beschl.<br />
v. 21.4.1993, NJW 1993, 3315)<br />
Aus dieser Überlegung folgt: Das Folterverbot kann nicht absolut gelten und ohne je<strong>de</strong><br />
Einschränkung bejaht wer<strong>de</strong>n. Es gibt Ausnahmefälle. Kein Recht kann schrankenlos gewährt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Das gilt auch dann, wenn – wie in Art. 1 GG – ein ausdrücklicher Gesetzesvorbehalt für die<br />
Einschränkung <strong>de</strong>s Grundrechts fehlt. Der Vorbehalt<br />
ist normimmanent.<br />
Wäre es an<strong><strong>de</strong>r</strong>s, dürfte z.B. nie eine lebenslange, die Persönlichkeit verformen<strong>de</strong><br />
Freiheitsstrafe verhängt wer<strong>de</strong>n. Sie wäre sonst als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG<br />
verfassungswidrig. Eine solche Verfassungswidrigkeit wird von niemand bejaht.<br />
Ebenso dürften Polizeikräfte nicht <strong>de</strong>n Geiselnehmer erschießen, um das Leben <strong><strong>de</strong>r</strong> Geisel <strong>zu</strong><br />
retten. Sie dürften nicht einmal durch Instellungbringen von Scharfschützen mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Erschießung drohen (eine <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Fall vergleichbare Lage: <strong><strong>de</strong>r</strong> Geiselnehmer als<br />
genötigtes Opfer, <strong><strong>de</strong>r</strong> nach gutem Ausgang <strong><strong>de</strong>r</strong> Geiselnahme noch Entschädigung verlangen<br />
könnte – ein unerträgliches Ergebnis!).<br />
Folgerung: Das Folterverbot gilt nicht absolut.<br />
g) Unter Berücksichtigung aller Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Einzelfalls konnte die Abwägung nur dahin<br />
gehen, das Notwendige <strong>zu</strong> tun, um das Leben <strong>de</strong>s Opfers <strong>zu</strong> retten.<br />
Einige Argumente:<br />
- Nach Sachlage war die Folterandrohung die Ultima ratio, ein an<strong><strong>de</strong>r</strong>es Mittel<br />
<strong>zu</strong>r Rettung (aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Sicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Polizei) gab es nicht.<br />
- Die Gesellschaft hat insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>zu</strong> schützen, speziell vor<br />
erwachsenen Tätern.