Thöne Editorial- und Kommunikationsdesign PORTFOLIO 07_2014
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"Gestaltung für die Lust am Lesen"
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16 Geschichte<br />
es war ein ganz normaler tag, so normal wie ein Kriegstag<br />
sein kann. Kälte lag über Marburg. der himmel sollte<br />
aber blau werden. Senkrecht <strong>und</strong> schwer bahnten sich<br />
die Rauchsäulen der heizenden Öfen ihren Weg aus den<br />
Schornsteinen. früh morgens waren schon diejenigen unterwegs,<br />
die zur Arbeit mussten. hauptsächlich 14, 15,<br />
16-jährige Jungs wie Werner fischer, florenz Baumgarten<br />
oder Walter Weitzel, die eine lehre machten. Alte Männer<br />
wie der 71-jährige laborant langbein oder sein 66-jähriger<br />
Gehilfe Schäfer, die die jungen Männer ersetzten, die<br />
für „Volk <strong>und</strong> Vaterland“ kämpften. oder Krüppel wie der<br />
Schrankenwärter lenz, der einen Arm bereits im ersten<br />
Weltkrieg gelassen hatte <strong>und</strong> zu seinem Wärterhäuschen<br />
am Schülerpark ging. Aber auch junge kräftige Männer<br />
wie Medizinstudenten blieben aus nicht uneigennützigen<br />
Gründen des Regimes in Marburg, schließlich wurde ihr<br />
handwerk in dieser Zeit sehr gebraucht.<br />
Zuerst gemeinsames Mittagessen<br />
Weitzel <strong>und</strong> Baumgarten hatten schon einen anderthalb<br />
St<strong>und</strong>en langen fußmarsch aus Bauerbach hinter sich, wie<br />
jeden Morgen, als sie an ihren Arbeitsplätzen in der Chirurgie<br />
<strong>und</strong> bei optiker Böhler am pilgrimstein ankamen.<br />
„Wir verabredeten uns zum Mittagessen“, erinnert sich der<br />
heutige 83-jährige Walter Weitzel, der noch immer in Bauerbach<br />
lebt. er war im zweiten lehrjahr <strong>und</strong> stellte dienst<strong>und</strong><br />
Maskenbrillen her. „eine kriegswichtige produktion“,<br />
wie er sagt. ebenfalls kriegswichtig waren die produkte,<br />
die bei Kaphingst in der Uferstraße gefertigt wurden. dort<br />
lernte Werner fischer orthopädiemechaniker, nur ein paar<br />
Straßen weiter. er selbst wohnte im norden der Stadt, in<br />
der nähe des hauptbahnhofes.<br />
Als Weitzel, Baumgarten <strong>und</strong> fischer ihre Arbeit begannen,<br />
war die 15-jährige Jeanette pfister auf dem Weg zur<br />
Schule. Vorher hatte sie sich von ihrer Mutter paula am ortenberg<br />
verabschiedet. „Meine Mutter wollte, dass ich zunächst<br />
nach hause gehe, dort den Ranzen ablege <strong>und</strong> zum<br />
laden in die Bahnhofstraße<br />
esse“, sagt Jeanette pfister, d<br />
sollte Brötchen <strong>und</strong> Kakao g<br />
82-Jährige. Sie aßen doch zu<br />
res tabakwarenhandels, „wa<br />
heute noch pieruschek. es so<br />
An diesem Morgen des 22.<br />
nische piloten die letzten in<br />
über deutschland, während<br />
<strong>und</strong> B-24-Bomber warm liefe<br />
Alliierten die „Big Week“, die<br />
Seit Sonntag, 20. februar, flo<br />
Jagdflugzeuge Angriffe auf Z<br />
industrie. An diesem tag star<br />
ten zu ihrer Mission. Unter<br />
schütze leutnant James ern<br />
die nach Gotha fliegen sollte<br />
Zielgebiet zwang sie zur Umk<br />
satzungen der Bomber mit d<br />
Gegenwehr zu bombardieren<br />
sönlichen Aufzeichnungen ge<br />
Mit lautem Pfeifen fa<br />
Jeanette <strong>und</strong> ihre Mutter pau<br />
nung am ortenberg im frühe<br />
wig-Juppe-Weg mit den Brö<br />
Sie standen auf dem Balkon i<br />
geralarm, eine Zwei-Stufen-<br />
Voralarm. die beiden frauen<br />
sonderlich ernst, „bisher pa<br />
schek. Und als sie die flugz<br />
fliegen sahen, sagte die Mutt<br />
im Keller Schutz zu suchen.<br />
genau erkennen, die in form<br />
ten flogen, wahrscheinlich n<br />
flakfeuer aus Allendorf, die<br />
dierenden Granaten waren v<br />
lich sichtbar. das Mädchen s<br />
die den Bombenschützen sig<br />
ladung abzuwerfen. Unter la<br />
ben aus den Schächten der B<br />
noch sehen, dass die Bombe<br />
einschlugen, in der nähe de<br />
Werner Fischer (von links), Walter W<br />
gen. Sie haben als 15-jährige Jungs<br />
fielen.<br />
18<br />
Geschichte<br />
Explosionen<br />
reißen Hausfassaden ein<br />
Die neue Chirurgie ist völlig zerstört. Der damals 15-jährige Werner Fischer<br />
kam zum Helfen <strong>und</strong> hörte Schreie aus den Räumen, deren Fassaden fehlten.<br />
Jeanette <strong>und</strong> ihre Mutter gingen dann doch in deckung.<br />
der Abwurf war um 15.15 Uhr <strong>und</strong> dauerte nur eine Minute,<br />
ist später den Akten zu entnehmen.<br />
Schnell kamen Helfer zusammen, um Verletzte aus den trümmern der<br />
Chirurgie zu retten.<br />
in Richtung norden, ob er dort Staubwolken sah. Sein Gedanke<br />
galt der familie. es blieb aber wenig Zeit, „mit einem<br />
fre<strong>und</strong> lief ich zur gegenüberliegenden Chirurgie, um<br />
zu helfen“, wie er sagt. Überall hörte er Menschen weinen<br />
<strong>und</strong> stöhnen. eine frau lag noch in einem der oberen<br />
Stockwerke der völlig zerstörten Klinik in ihrem Bett. „Sie<br />
schrie um hilfe, aber lebte, ich fing an zu weinen“, so der<br />
damals 15-Jährige.<br />
Unter den trümmern der Chirurgie war auch florenz<br />
Baumgarten vergraben. tot, von einer Mauer erschlagen.<br />
nur 20 Minuten früher hatten sich er <strong>und</strong> Walter Weitzel<br />
nach der Mittagspause getrennt. „ich kann es heute noch<br />
nicht fassen“, senkt Weitzel den Kopf. Am 9. Juni hätte er<br />
seinen 15. Geburtstag gefeiert. er war ein todesopfer von<br />
29 allein dort. Auch für die alten Männer langbein <strong>und</strong><br />
Schäfer, die seit frühjahr 1943 den Stabsfeldwebel Cibulski<br />
im pathologischen institut vertraten, kam jede hilfe zu<br />
spät.<br />
Wo sind die Liebsten?<br />
Als die infernalisch lauten explosionen nachließen <strong>und</strong><br />
von den gewaltigen Staubwolken abgelöst wurden, begannen<br />
die beiden frauen zu rennen. Wie jeder in der Stadt.<br />
die einzige frage, die galt: „leben meine liebsten?“ paula<br />
<strong>und</strong> Jeanette liefen in Richtung laden, durch den Schülerpark,<br />
am Wärter lenz vorbei über die Schienen <strong>und</strong> die<br />
lahnbrücke in die deutschhausstraße. dort traf Jeanette<br />
ihren Vater Wilhelm, der auf der Schreibstube einer Studentenkompanie<br />
in der Ketzerbach seinen dienst tat. „Als<br />
Junge hatte er einmal einen Bruch verschleppt, deshalb<br />
blieb er“, erklärt pieruschek. er hatte sich auch auf den<br />
Weg gemacht, erst im laden geschaut <strong>und</strong> dann wollte er<br />
nach hause. „Gott sei dank, ihr lebt“, waren seine ersten<br />
Worte, an die sich Jeanette noch heute gut erinnert. Sie<br />
fielen sich in der deutschhausstraße in die Arme. Was sie Durch engen Schacht gerettet<br />
nicht wissen konnten: eine Bombe hat ganz in der nähe<br />
eine Gruppe von Medizinstudenten getroffen. 18 junge<br />
Männer starben beim Appell. Viele wurden vermisst. eine<br />
Geldbörse mit 30 Reichsmark, lebensmittelkarten <strong>und</strong> ein<br />
einkaufsausweis, die später gef<strong>und</strong>en wurden, waren die<br />
letzten stummen Zeugen.<br />
Als Werner fischer das pfeifen hörte, rannte er vier<br />
Stockwerke von der Kaphingst-Werkstatt bis in den Keller,<br />
in der hoffnung, schneller als die Bomben zu sein.<br />
„ich hatte richtig, richtig Angst“, weiß er noch ganz genau.<br />
nur wenig später stand er auf der Straße <strong>und</strong> blickte<br />
Mehr Glück dagegen hatten zwei ältere frauen. die eine<br />
lag verschüttet im eckhaus Bahnhofstraße/Robert-Koch-<br />
Straße, in der der Schuhgroßhandel dörrlamm <strong>und</strong> hamel<br />
war, nur unweit von der Chirurgie, als Walter otto kam.<br />
der 14-Jährige war beim Jungvolk <strong>und</strong> wurde zum helfen<br />
gerufen. „die hausfront war weg, wir zogen die frau<br />
durch einen engen Schacht <strong>und</strong> retteten sie“, erinnert sich<br />
otto. Sie rief ständig „mein ofen, mein ofen“, noch heute<br />
hat er die Worte im ohr. Sie hatte wohl einen Schock, war<br />
aber am leben. ebenso wie die frau, die in einer Wohnung<br />
neben dem haus wohnte, in dem der lagerraum des<br />
Fotos: privat<br />
tabakwarenhandels pfister war. Jeanette <strong>und</strong> ihre eltern<br />
paula <strong>und</strong> Wilhelm standen nur noch vor trümmern. eine<br />
Bombe hatte voll getroffen. eine weitere schlug ins<br />
nachbarhaus ein. „Wir hörten, dass eine frau fürchterlich<br />
schrie“, sagt Jeanette pieroschek. Wie es sich herausstellte,<br />
war es die nachbarin, die mehrere Stockwerke durch ein<br />
loch fiel, das eine Bombe im haus durchschlagen hatte.<br />
„Sie hatte lediglich einen Schenkelhalsbruch“, so die Zeitzeugin.<br />
dagegen war der Raum, in dem sie eigentlich mit<br />
ihrer Mutter Brötchen essen <strong>und</strong> Kakao trinken sollte, völlig<br />
zerstört. ein Stuhl blieb heil <strong>und</strong> eine fußballgroße r<strong>und</strong>e<br />
weiße deckenlampe aus Glas, sonst nichts.<br />
in einem Bericht, der teil einer Mappe im Marburger<br />
Uniarchiv ist, sind die Schäden <strong>und</strong> daten des tages aufgeführt:<br />
„7 Wohngebäude total zerstört, 16 schwer beschädigt,<br />
100 leicht beschädigt. Augenklinik total zerstört, der<br />
Buchtipps<br />
neue frauenflü<br />
strecke für 22 S<br />
r<strong>und</strong> 60 flüssig<br />
„das leben a<br />
nert sich fische<br />
noch heute. fü<br />
es in dieser Stad<br />
bruar 1945, fiele<br />
galt dem haupt<br />
1945 war für M<br />
die aus den fe<br />
schierenden Am<br />
James ernest C<br />
le seiner Kolleg<br />
Jahr zuvor, am<br />
abgeschossen.<br />
Marburg im Krieg – es gibt rei<br />
Wer sich über Marburg im Kriege informieren will, wird leicht fündig. Mit wachsendem abstan<br />
eingehender mit den Vorgängen <strong>und</strong> vor allem ihren Hintergründen auseinander zu setzen. Vo<br />
Vertuschen liegt, leben nur noch wenige, in Machtpositionen befinden sie sich, im Gegensatz<br />
Zum ersten orientieren empfiehlt sich ein<br />
Blick in die „Geschichte der Universitätsstadt<br />
Marburg in Daten <strong>und</strong> Stichworten“,<br />
zusammengestellt von Wilhelm Kessler,<br />
erschienen in zweiter auflage 1984 in<br />
der Reihe „Marburger Stadtschriften zur<br />
Geschichte <strong>und</strong> Kultur“, herausgegeben<br />
vom Magistrat der Stadt Marburg. Gr<strong>und</strong>legend,<br />
unbeschadet aller seither erfolgten<br />
Forschungsfortschritte, ist der in der<br />
„Marburger Geschichte – Rückblick auf die<br />
Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen“, herausgegeben<br />
von Erhart Dettmering <strong>und</strong> Rudolf<br />
Grenz 1980, enthaltene aufsatz von John R.<br />
Willertz „Marburg<br />
unter dem nationalsozialismus<br />
(1933 – 1945)“.<br />
Hierzu traten zu einzelnen Sachkomplexen<br />
inzwischen weitere, zum teil sehr umfangrei<br />
che Untersuchungen, erschienen in der oben<br />
genannten Reihe „Stadtschriften...“.<br />
Beispielhaft genannt seien die 1982 publizierte<br />
Schrift „Mit Stumpf <strong>und</strong> Stiel ausrotte<br />
- Zur Geschichte der Juden in Marburg <strong>und</strong><br />
Umgebung nach 1933“ von Günter Rehme un<br />
Klaus Martin Haase, „alltagsleben im Krieg –<br />
Marburgerinnen erinnern sich an den Zweite<br />
Weltkrieg“ von andreas Bimmer u.a. (1985),<br />
„Kirche <strong>und</strong> Schule im national-sozialistisch<br />
Marburg“ von Friedrich Dickmann <strong>und</strong> Hanno<br />
<strong>Thöne</strong> <strong>Editorial</strong>- <strong>und</strong><br />
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