Wahlen zum Europäischen Parlament am 25.5.2014: Luxemburg
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<strong>Wahlen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong> <strong>am</strong> <strong>25.5.2014</strong><br />
<strong>Luxemburg</strong><br />
von Nico Biver<br />
(5. Juni 2014) Die <strong>Wahlen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong> endeten in <strong>Luxemburg</strong> mit<br />
Wahlverlusten für die Parteien der seit Ende 2013 regierenden Koalition aus Liberalen<br />
(DP), Sozialdemokraten (LSAP) und Grünen. Gewinner sind die Konservativen<br />
(CSV) des ehemaligen Premierministers Jean-Claude Juncker sowie Déi Lénk, die<br />
ihre Stimmenzahl fast verdoppeln aber keinen der sechs Sitze gewinnen konnte.<br />
Die <strong>Wahlen</strong> fanden erstmals nicht parallel zu den <strong>Wahlen</strong> zur Abgeordnetenk<strong>am</strong>mer<br />
statt. 2013 war es zu vorgezogenen Neuwahlen gekommen, nachdem die LSAP<br />
Juncker die Unterstützung entzogen hatte. Ursache für die Regierungskrise waren<br />
flagrante Gesetzesverletzungen des luxemburgischen Geheimdienstes, die angeblich<br />
ohne Wissen Junckers, dem die Kontrolle oblag, begangen wurden.<br />
Beide Koalitionsparteien verloren bei den Neuwahlen im Oktober 2013 und fielen auf<br />
34 % (CSV) bzw. 19 % (LSAP). Auch Grüne und die rechtsnationalistische ADR hatten<br />
Verluste zu verzeichnen. Großer Wahlsieger der Abgeordnetenk<strong>am</strong>merwahlen<br />
war die DP (Anstieg von 15 auf 19 %) und der kleine, Déi Lénk. Letztere setzte ihren<br />
stetigen Anstieg fort und erhöhte ihren Stimmenanteil um ein Drittel auf 4,5 % und die<br />
Zahl ihrer Abgeordneten von 1 auf 2. Die Kommunisten (KPL) verloren leicht und erzielten<br />
mit 1,5 % kein Mandat. Neu dabei war die Piratenpartei, die auf 3 % k<strong>am</strong> aber<br />
keinen Sitz gewann.<br />
In der Folge bildeten DP, LSAP und Grüne eine Regierung ohne die CSV, die seit<br />
1926 – mit der Unterbrechung einer liberal-sozialistischen Regierung 1974-1979 –<br />
den Premierminister stellte. Die <strong>Wahlen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong> boten d<strong>am</strong>it<br />
auch Gelegenheit zur Bewertung der neuen Regierung und der Opposition.<br />
Wahlsystem<br />
Die sechs luxemburgischen Abgeordneten des <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong>s werden<br />
nach dem Proporzsystem in einem einzigen Wahlkreis gewählt. Das bedeutet, dass<br />
Parteien bis zu einem Sechstel der Stimmen benötigen, um ein Mandat zu erringen.<br />
Dies begünstigt eine „nützliche“ Stimmabgabe zugunsten derjenigen Parteien, die ein<br />
Mandat erringen können. Die Mandatsverteilung erfolgt nach der d'Hondt-Methode,<br />
die kleine Parteien benachteiligt.<br />
In <strong>Luxemburg</strong> gilt Wahlpflicht. Die Unzufriedenheit mit den Parteien oder dem politischen<br />
System kann sich deshalb nicht so sehr in <strong>Wahlen</strong>thaltung ausdrücken, sondern<br />
in einer erhöhten Anzahl von weißen oder ungültigen Stimmzetteln. Nach einer<br />
Umfrage, die <strong>am</strong> Wahltag 2009 durchgeführt wurde, profitieren die Parteien an den<br />
beiden Rändern des politischen Spektrums von dieser Regelung. 80 % aller Wähler<br />
gaben an, auch wählen zu gehen, wenn es keine Wahlpflicht gäbe. Aber nur 45 %<br />
der Wähler der KPL und 64 % von Déi Lénk würden sich ebenso entscheiden. 1<br />
1 Vgl. Patrick Dumont, Raphaël Kies, Astrid Spreitzer, Maria Bozinis, Philippe Poirier (dir.), Les élections<br />
législatives et européennes de 2009 au Grand-Duché de Luxembourg. Rapport élaboré pour la<br />
Ch<strong>am</strong>bre des Députés. Progr<strong>am</strong>me Gouvernance européenne Etudes parlementaires et politiques;<br />
Université du Luxembourg, <strong>Luxemburg</strong>, Dezember 2010, S. 34 f.<br />
1
Dass die Wahlpflicht nicht für über 75jährige gilt, hat hingegen wenig Einfluss auf das<br />
Ergebnis, da ihre Wahlbeteiligung auf gleichem Niveau wie dem der jüngeren verbleibt.<br />
Besonderheit des Wahlsystems ist außerdem, dass jeder Wähler sechs Stimmen abgeben<br />
kann. Kreuzt er eine Liste an, vergibt er an jeden Kandidaten eine Stimme.<br />
Der Wähler kann die sechs Stimmen aber auch an einzelne Kandidaten auf einer<br />
oder auf mehreren Listen verteilen. Dabei darf er einem Kandidaten bis zu zwei<br />
Stimmen geben. Persönlichkeiten spielen deshalb bei der <strong>Wahlen</strong>tscheidung eine<br />
starke Rolle.<br />
Bemerkenswert ist, dass die Mehrheit der Erwerbstätigen nicht an den <strong>Wahlen</strong> teilnimmt.<br />
Von den 365.000 abhängig Beschäftigten sind 44 % Grenzgänger (aus<br />
Frankreich, Belgien und Deutschland), 27 % Migranten und 29 % <strong>Luxemburg</strong>er (darunter<br />
auch einige Prozent eingebürgerte Migranten). Bei der EU-Wahl hätte die Meinung<br />
der Migranten (250.000 der 550.000 Einwohner) starkes Gewicht haben können,<br />
<strong>zum</strong>al fast 90 % von ihnen EU-Bürger sind. Aber von den knapp 180.000 Wahlberechtigten<br />
aus EU-Staaten haben sich nur 21.650 in die Wahllisten eintragen lassen.<br />
Wieviele in ihren Ursprungsländern gewählt haben, ist nicht bekannt.<br />
Überblick über das Wahlergebnis<br />
Wahlbeteiligung<br />
Die Wahlbeteiligung nahm im Vergleich zu 2009 ab, von 90,8 auf 85,6 %. Anscheinend<br />
wurden die Möglichkeiten, sich von der Wahlpflicht befreien zu lassen, stärker<br />
genutzt als das 2009 bei der Doppelwahl der Fall war.<br />
Der hohe Anteil an weißen und ungültigen Stimmzetteln ist weiter leicht gestiegen<br />
von 9,2 auf 9,9 %.<br />
Ergebnisse der Parteien<br />
Eindeutiger Wahlsieger ist die CSV, die fast um 7 % auf 38 % zulegte und auch gegenüber<br />
der Abgeordnetenk<strong>am</strong>merwahl 2013 dazu gewinnen konnte. Sie erzielte ihr<br />
bestes Ergebnis bei einer EU-Wahl und k<strong>am</strong> wie 2009 auf drei Sitze. Sie dürfte von<br />
der Medienpräsenz Junckers – der allerdings nicht kandidierte – und auch von der<br />
Prominenz ihrer Spitzenkandidatin Viviane Reding, der Vize-Präsidentin der EU-<br />
Kommission, profitiert haben.<br />
Wahlverlierer sind die drei Parteien der Regierungskoalition, die es zus<strong>am</strong>men nur<br />
auf 41,5 % brachten. Die LSAP stürzte um fast 8 % auf 12 % ab. Die Wochenzeitung<br />
„d’Lëtzebuerger Land“ verweist auf besonders hohe Verluste in ihren historischen industriellen<br />
Hochburgen im Süden des Landes. Es scheine so, „als ob die sozialistische<br />
St<strong>am</strong>mwählerschaft die Partei auch für die ... sehr liberale Regierungspolitik<br />
bestrafen wollte. Es waren die Südgemeinden, die der LSAP schon bei dem Referendum<br />
über den <strong>Europäischen</strong> Verfassungsvertrag 2005 die Gefolgschaft aufgekündigt<br />
hatten.“ 2 Der LSAP behielt aber ebenso wie DP und Grüne, die leichtere Einbußen<br />
zu verzeichnen hatten, einen der sechs Sitze.<br />
2 Romain Hilgert, Die paternalistische Option, in d’Lëtzebuerger Land, Nr. 22, 30. Mai 2014<br />
2
Die kleinen Parteien gingen trotz Stimmengewinnen leer aus. Zu den Wahlgewinnern<br />
darf sich Déi Lénk zählen, die ihren Stimmenanteil fast verdoppelte und auch gegenüber<br />
2013 nochmals zulegte.<br />
Ergebnisse der <strong>Wahlen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong> und zur Abgeordnetenk<strong>am</strong>mer<br />
Stimmanteile in %<br />
Europawahl<br />
2009<br />
K<strong>am</strong>merwahl<br />
2013*<br />
Europawahl<br />
2014 Ergebnisvergleich<br />
Partei in % Sitze in % in % Sitze 2009-14 20013-14<br />
CSV 31,36 3 34,02 37,66 3 6,30 3,64<br />
LSAP 19,48 1 19,32 11,73 1 -7,75 -7,59<br />
DP 18,66 1 18,99 14,78 1 -3,88 -4,21<br />
Déi Gréng 16,83 1 10,30 15,01 1 -1,82 4,71<br />
ADR 7,39 0 6,78 7,53 0 0,14 0,75<br />
Déi Lénk 3,37 0 4,50 5,76 0 2,39 1,26<br />
KPL 1,54 0 1,45 1,49 0 -0,05 0,04<br />
Piratepartei - - 2,96 4,23 0 4,23 1,27<br />
PID - - 1,69 1,82 0 1,82 0,13<br />
Biergerlëscht 1,38 0 - - - - -<br />
Wahlbeteiligung 90,76 - 91,32 85,55 - -5,21 -5,77<br />
Leer und ungültig 9,18 - 6,79 9,92 - +0,74 +3,13<br />
Offizielle Wahlergebnisse. Quelle: www.elections.public.lu<br />
* Um die Ergebnisse der EU-<strong>Wahlen</strong> mit denen der Abgeordnetenk<strong>am</strong>mer vergleichen zu können, wurden letztere<br />
nach Anzahl der Stimmen, die den Wählern in den vier Wahlbezirken zur Verfügung standen, gewichtet.<br />
Da die Wähler je nach Wahlbezirk zwischen 7 und 23 Stimmen abgeben können, führt eine Addition der Stimmenzahlen<br />
ohne Gewichtung zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses.<br />
Die ADR, die <strong>am</strong> rechten Flügel des politischen Spektrums steht und sich im Falle<br />
eines Wahlerfolges der konservativen Fraktion ECR anschließen wollte, konnte erstmals<br />
seit 1999 wieder Stimmen dazu gewinnen. 2009 und bei den <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong>swahlen<br />
2013 büsste sie aufgrund von Abspaltungen an ihrem linken Flügel Stimmen ein. Sie<br />
ist seitdem stärker nach rechts gerückt. 2013 ordneten sich die Wähler der ADR auf<br />
eine Links-Rechts-Skala von 1 bis 10 im Durchschnitt bei 6,9 ein (CSV 7,3) aber über<br />
30 % sahen sich bei 9 oder 10. 2009 waren das nur halb so viele der Befragten. 3<br />
Die ADR, die mit der Losung „weniger Europa, mehr <strong>Luxemburg</strong>“ antrat, spricht sich<br />
gegen Einwanderung in das luxemburgische Sozialsystem, für den Schutz der luxemburgischen<br />
Identität und der luxemburgischen Sprache aus, die sie als eine weitere<br />
Amtssprache der EU durchsetzen will. Besonders engagiert sich die ADR gegen<br />
ein Wahlrecht der Migranten für die Abgeordnetenk<strong>am</strong>mer, das von den Regierungsparteien<br />
(und von Déi Lénk) befürwortet aber von der CSV und der KPL abgelehnt<br />
wird. Jahrelang sprach sich auch eine Mehrheit der <strong>Luxemburg</strong>er für dieses Wahlrecht<br />
aus. Waren im Sommer 2012 noch 59 % der Befragten dafür, sank die Zahl im<br />
Dezember 2013 aber auf 39 %. 4<br />
3 Vgl. PolitMonitor Lëtzebuerg RTL-Luxembrger Wort, TNS ILRES, September 2013, Nr. 8,<br />
Lénks.Rieds: de Wieler, d’Parteien, https://www.tns-ilres.com<br />
4 Vgl. Sondage OUR VISION sur l'avenir du Luxembourg par TNS ILRES en juillet 2012, Oktober 2012<br />
und PolitMonitor Lëtzebuerg RTL-Luxembrger Wort, Nei Regierung Bettel-Schneider-Braz, TNS IL-<br />
RES, Dezember 2013, Nr. 1, https://www.tns-ilres.com<br />
3
Ergebnisse der Linken<br />
<strong>Wahlen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong> in <strong>Luxemburg</strong> 1979-2014<br />
Stimmenanteile der radikalen Linken in %<br />
Partei 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2014<br />
Déi Lénk* - - - 0,93 2,78 1,68 3,37 5,76<br />
KPL 5,00 4,08 4,71 1,63 unterstützte<br />
Déi Lénk<br />
1,17 1,54 1,49<br />
LCR/RSP 0,51 0,38 0,61 - - - - -<br />
PSI - 2,56 - - - - - -<br />
GRAL - - 0,86 - - - - -<br />
Summe 5,51 7,00 6,18 2,56 2,78 2,85 4,91 7,25<br />
* 1994: Neue Linke, gegründet von einer KPL-Abspaltung und der RSP); 1999: Déi Lénk als Bündnis von Néi<br />
Lénk und KPL; danach eigenständige Partei<br />
Déi Lénk konnte im 15. Jahr seit ihrer Gründung ihr Ergebnis von 2009 fast verdoppeln<br />
und auch gegenüber der <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong>swahl von 2013 weiter zulegen. Hoffnungen,<br />
man könnte die ADR überholen oder sogar ein Mandat gewinnen, erwiesen sich als<br />
zu optimistisch.<br />
Déi Lénk, die der <strong>Europäischen</strong> Linken angehört, war 1999 als Mitgliederpartei entstanden,<br />
die von der KPL, der Neuen Linken (Abspaltung der KPL von 1994), der<br />
trotzkistischen RSP und ehemaligen Jungsozialisten getragen wurde. Die KPL, die<br />
seit ihrem Spitzenergebnis von 1968 (13,1 %) stetig an Einfluss verloren hatte, trennte<br />
sich 2003 von Déi Lenk, weil sie sich benachteiligt fühlte, aber eine Minderheit<br />
verblieb in der Partei. Die KPL lehnt seitdem, analog zur Politik der griechischen KKE,<br />
mit der sie enge Kontakte pflegt, jegliche Kooperation mit Déi Lénk ab. 5 2011 konnte<br />
sie bei den Kommunalwahlen drei Mandate gewinnen, während Déi Lénk sieben eroberte.<br />
Déi Lénk dürfte von der Ernüchterung über die neue Regierung profitiert haben, die<br />
die neoliberale Austeritätspolitik fortsetzt. Die Minister der Regierung hatten in einer<br />
Umfrage vom April 2014 bereits kräftig an Sympathien gegenüber Ende 2013 eingebüßt,<br />
während der Abgeordnete von Déi Lénk Serge Urbany zulegen konnte. 6 Mit eine<br />
Rolle dürfte auch gespielt haben, dass anders als bei den <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong>swahlen, der<br />
angesehenste Politiker von Déi Lénk, der inzwischen 73jährige André Hofmann, kandidierte<br />
und viele persönliche Stimmen holte.<br />
Déi Lénk trat mit einem sehr detaillierten Progr<strong>am</strong>m unter der Losung „Europa neu<br />
aufbauen“ an. „Weder der neoliberale Europäismus ... noch die nationalistische Abkapselung<br />
nützen den Interessen der Völker, und vor allem nicht denen der lohnabhängigen<br />
Bevölkerung. Es gilt eine andere Richtung einzuschlagen, um Europa wieder<br />
aufzubauen und zu vereinen, auf einem anderen Fund<strong>am</strong>ent als dem des Finanzkapitalismus.“<br />
Die quotierte Liste brachte auch den internationalistischen Charakter der Partei <strong>zum</strong><br />
Ausdruck. Spitzenkandidat war Manuel Bento, Bauarbeiter und stellvertretender Vorsitzender<br />
der Arbeiterk<strong>am</strong>mer, der aus dem portugiesischen Linksblock kommt. Wei-<br />
5 Vgl. zur Entwicklung und zur Politik von Déi Lénk: Sascha Wagener, Déi Lénk in <strong>Luxemburg</strong>, in: Birgit<br />
Daiber, Cornelia Hildebrandt, Anna Striethorst (Hrsg.), Von Revolution bis Koalition – Linke Parteien<br />
in Europa. Fünfundzwanzig Länderberichte. Materialien zur europapolitischen Bildung, Brüssel/Berlin,<br />
Dezember 2010, S. 121-131<br />
6 Vgl. PolitMonitor Lëtzebuerg RTL-<strong>Luxemburg</strong>er Wort, Fréijoer 2014, TNS ILRES, April 2014, Nr. 1,<br />
Les politiciens, sympathie & compétence, https://www.tns-ilres.com<br />
4
ter kandidierten neben André Hoffmann, die Sprecherin der Partei, die Historikerin<br />
Fabienne Lentz, die Schatzmeisterin Therèse Gorza, die auf den Kapverden geborene<br />
Dominique Rocha und der Abgeordnete und Ehrenvorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft<br />
Justin Turpel.<br />
Die Kommunistische Partei <strong>Luxemburg</strong>s (KPL) stagnierte auf niedrigem Niveau. Sie<br />
hatte ein Kurzprogr<strong>am</strong>m vorgelegt, das die EU für nicht reformierbar hält, und die<br />
Auflösung der EU und die Abschaffung des Euro verlangt.<br />
Zus<strong>am</strong>men haben beide Parteien mit 7,25 % das beste Ergebnis der radikalen Linken<br />
seit Beginn der Direktwahlen <strong>zum</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong> 1979 erzielt.<br />
Neu im Rennen war die Piratepartei, die in der Wahrnehmung ihrer Wähler mit einem<br />
Wert von 4,3 auf einer Skala von 1 (links) bis 10 (rechts) links von LSAP und Grünen<br />
platziert wird (der Wert von Déi Lénk liegt bei 2,0 und der KPL bei 2,3). 7 Sie konnte<br />
ihr Ergebnis bei der K<strong>am</strong>merwahl verbessern und hat vermutlich vor allem Grünen<br />
und Déi Lénk Stimmen abgenommen.<br />
Arbeiterklasse ohne Wahlrecht?<br />
Die linken Parteien erzielen traditionell im Südwesten des Landes, wo bis in die 70er<br />
Jahre über 20.000 Menschen in den Stahlwerken und Eisenerzgruben von ARBED<br />
(später ARCELOR) arbeiteten, ihre besten Ergebnisse. Dies gilt auch weiterhin für<br />
die KPL und Déi Lénk. Aber während der verbleibende Einfluss der KPL sich auf diese<br />
Gebiete beschränkt, ist es der Déi Lénk gelungen, in den Dienstleistungszentren<br />
ebenso Fuß zu fassen wie in ehemaligen Hochburgen der LSAP. Beispiele hierfür<br />
sind die Hauptstadt <strong>Luxemburg</strong> und die ehemalige Stahlstadt Düdelingen, wo Déi<br />
Lénk bereits bei den Kommunalwahlen 2011 jeweils knapp 7 % erzielte und d<strong>am</strong>it an<br />
die Ergebnisse der KPL in ihren besten Zeiten herank<strong>am</strong>.<br />
Neben dem weitgehenden Verschwinden der Montanindustrie ist ein wichtiger Grund<br />
für den langfristigen Rückgang der Stimmen für die Parteien, die sich an der Arbeiterbewegung<br />
orientier(t)en, der Ausschluss der Mehrheit der Arbeiter und Angestellten<br />
vom Wahlrecht – und darunter besonders die prekär beschäftigten und schlecht<br />
bezahlten.<br />
Die Verluste von neunzig % der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie seit den 1970er<br />
Jahren konnte das Land mehr als ausgleichen – als Bankenplatz, Steueroase und<br />
Sitz von EU-Institutionen. <strong>Luxemburg</strong> wurde weltweit das Land mit der höchsten Wirtschaftsleistung<br />
pro Einwohner. Da der Arbeitskräftebedarf weiter wächst und hohe<br />
Löhne bezahlt werden, bleibt das Großherzogtum ein Magnet für Menschen aus der<br />
ganzen EU. Die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten wuchs von 1998 bis 2008 um<br />
fast 50 % und seitdem um weitere 10 %. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit auf<br />
mittlerweile 7,1 % (2000: 2,3 %).<br />
Weil die Regierung nicht in das Marktgeschehen eingreift, führt das enorme Beschäftigungswachstum<br />
zur Explosion der Grundstückspreise und der Mieten und zu einem<br />
Verkehrschaos, weil der Ausbau des öffentlichen Verkehrs hinterherhinkt. All das ist<br />
auch Wasser auf die Mühlen der Nationalisten vom ADR.<br />
Diese demografische Entwicklung hat Folgen für die <strong>Wahlen</strong>. Die soziale Zus<strong>am</strong>mensetzung<br />
der luxemburgischen Wählerschaft unterscheidet sich deutlich vom Rest der<br />
Bevölkerung. Aus den Ergebnissen der Volkszählung von 2011 geht hervor, dass die<br />
luxemburgischen Wähler im Durchschnitt älter sind als die Ges<strong>am</strong>tbevölkerung, ihre<br />
Arbeitslosenquote niedriger ist, ein viel höherer Anteil im öffentlichen Dienst arbeitet<br />
7 Vgl. PolitMonitor Lëtzebuerg RTL-<strong>Luxemburg</strong>er Wort, TNS ILRES, September 2013, Nr. 8<br />
5
und Arbeiter unterrepräsentiert sind. 8 Die Beschränkung des Wahlrechts auf die <strong>Luxemburg</strong>er<br />
führt zu niedrigeren Wahlergebnissen für die linken Parteien und zu einer<br />
Überrepräsentation nationalistischer Listen, die auf fast keine Zustimmung bei<br />
Migranten stoßen. Déi Lénk wirbt gegenwärtig für eine Petition an die Abgeordnetenk<strong>am</strong>mer,<br />
die die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für alle Migranten <strong>zum</strong> Ziel<br />
hat.<br />
Wer wählte die Linken?<br />
Untersuchungen über das Wählerverhalten bei der Europawahl liegen nicht vor. Im<br />
Auftrag der Abgeordnetenk<strong>am</strong>mer wertet die Universität regelmäßig die <strong>Parl<strong>am</strong>ent</strong>swahlen<br />
aus. Allerdings erscheinen die Analysen erst mehr als einem Jahr nach der<br />
Wahl. Deshalb kann hier nur auf die Studie für 2009 zurückgegriffen werden. 9<br />
Aus einer Korrelationsanalyse der Wahlergebnisse der Parteien mit den Werten zur<br />
Sozialstruktur der einzelnen Gemeinden geht hervor, dass Déi Lénk dort besonders<br />
hohe Ergebnisse erzielt, wo der Anteil der Angestellten und der öffentlich Bediensteten<br />
hoch ist und dort wo der der Landwirte und Arbeiter besonders niedrig ist. Die<br />
KPL erzielt dort gute Ergebnisse, wo die Anteile der Arbeiter an der Ges<strong>am</strong>tbevölkerung,<br />
der Industriebeschäftigten unter den <strong>Luxemburg</strong>ern und der Arbeitslosen hoch<br />
sind.<br />
Die Studie der Universität wertet auch eine Nachwahlumfrage aus, die <strong>zum</strong> Teil zu<br />
anderen Ergebnissen kommt. Danach hat Déi Lénk überdurchschnittlich viele Wähler<br />
unter 50 Jahren und nach den Grünen den geringsten Wähleranteil unter den über<br />
65jährigen. Die ältesten Wähler sind bei der KPL zu finden. Der Frauenanteil bei der<br />
KPL liegt bei einen Drittel, bei Déi Lénk bei 44 %. Die Wähler von Déi Lenk sind<br />
überdurchschnittlich gebildet, die der KPL unterdurchschnittlich. Bei der Beschäftigungsstruktur<br />
der Wähler zeugt sich, das Déi Lénk nach den Grünen den zweithöchsten<br />
Anteil an Lohnabhängigen hat (54 %) wovon 58 % im Öffentlichen Dienst<br />
arbeiten. Während Déi Lénk bei den Arbeitslosen führt (11 % ihrer Wähler) liegt die<br />
KPL bei den Rentnern (55 %) vorn. Der Arbeiteranteil an den berufstätigen Wählern<br />
der beiden Parteien ist mit 8 bzw. 9 % unter dem Durchschnitt von 12 %. Mit 72 %<br />
und 51 % ist der Organisationsgrad in den Gewerkschaften bei KPL und Déi Lénk<br />
Wählern <strong>am</strong> höchsten. Die Wähler von Déi Lénk sind die einzigen, die es mehrheitlich<br />
ablehnen, dass bei abnehmender Beschäftigtenzahl die Arbeitgeber bei Neueinstellungen<br />
<strong>Luxemburg</strong>er gegenüber anderen EU-Staatsangehörigen bevorzugen sollten.<br />
Sie sind auch die einzigen, die es mehrheitlich ablehnen, dass Erwerbslose jede<br />
Arbeit annehmen müssen, die die Arbeitsverwaltung ihnen anbietet.<br />
Bezüglich der EU sind die Einstellungen der Déi Lénk- und der KPL-Wähler oft sehr<br />
unterschiedlich. Bei allen Parteien überwiegt der Anteil derjenigen, die die Europäische<br />
Integration für zu weitgehend halten gegenüber der Aussage, dass die Integration<br />
fortgesetzt werden muss. Bei den KPL-Wählern stimmen 100 % der ersten Aussage<br />
zu, bei Déi Lénk sind es 43 % (Durchschnitt: 46 %). Aber bei Déi Lénk ist der<br />
Anteil der Befürworter der Fortsetzung der Integration mit 31 % höher als bei den anderen<br />
Parteien (Durchschnitt 22 %). Dazu passt auch, dass sich der Anteil der Wähler,<br />
die sich sowohl als luxemburgische als auch als EU-Bürger sehen, bei Déi Lénk<br />
8 Vgl. Regards sur le profil des électeurs, in: Regards, Nr. 15, Oktober 2013, STATEC, <strong>Luxemburg</strong><br />
9 Patrick Dumont, Raphaël Kies, Astrid Spreitzer, Maria Bozinis, Philippe Poirier (dir.), Les élections<br />
législatives et européennes de 2009 au Grand-Duché de Luxembourg. Rapport élaboré pour la<br />
Ch<strong>am</strong>bre des Députés. Progr<strong>am</strong>me Gouvernance européenne Etudes parlementaires et politiques;<br />
Université du Luxembourg, <strong>Luxemburg</strong>, Dezember 2010<br />
6
mit 42 % <strong>am</strong> höchsten und bei der KPL mit 0 % <strong>am</strong> niedrigsten ist (Durchschnitt<br />
29 %). Während sich 30 % der Wähler von Déi Lénk ausschließlich als <strong>Luxemburg</strong>er<br />
Bürger fühlen, sind es bei der KPL 80 % (Durchschnitt 30 %).<br />
Diese tendenzielle EU-Freundlichkeit der Déi-Lénk-Wähler hat aber nichts mit ihrer<br />
Einstellung zur Politik der EU zu tun. Jeweils fast 80 % haben kein Vertrauen in den<br />
<strong>Europäischen</strong> Rat und die Europäische Kommission – nur übertroffen von den Wählern<br />
der KPL.<br />
Wählerstruktur 2009<br />
Anteile an den Wählern der jeweiligen Partei in %<br />
ADR CSV DP Grüne LSAP Lénk KPL Alle<br />
Alter<br />
18-24 Jahre 14 8 9 17 11 13 0 10<br />
25-34 Jahre 25 12 22 16 13 17 9 14<br />
35-64 Jahre 42 49 51 61 49 60 45 51<br />
> 65 Jahre 19 31 18 6 27 10 46 25<br />
Geschlecht<br />
Frauen 45 52 52 62 54 44 33 51<br />
Bildungsabschluss<br />
niedrig 27 21 23 13 22 15 30 21<br />
mittel 48 37 35 33 42 38 40 38<br />
hoch 25 42 42 54 36 47 30 41<br />
Tätigkeit<br />
lohnabhängig 43 39 49 55 43 54 37 44<br />
arbeitslos 2 1 1 1 0 11 0 1<br />
studierend 5 5 7 13 5 5 0 6<br />
in Rente 25 37 26 8 35 16 55 31<br />
Beschäftigung*<br />
Be<strong>am</strong>te u. Angestellte<br />
im Öffentlichen Dienst<br />
32 42 37 49 42 47 46 41<br />
Arbeiter 17 11 12 6 14 8 9 12<br />
Angestellte 40 41 39 37 37 37 37 39<br />
Die Daten entst<strong>am</strong>men der Umfrage von TNS-ILRES, die in der Studie der Universität <strong>Luxemburg</strong><br />
ausgewertet wird. Sie wurden <strong>zum</strong> Teil anhand der Diagr<strong>am</strong>me ermittelt, da Tabellen weitgehend<br />
fehlen.<br />
* Anteile an den berufstätigen Wählern der jeweiligen Partei<br />
Parteien<br />
ADR: Alternative Demokratische Reformpartei, gegr. 1987<br />
Biergerlëscht : Bürgerliste, Abspaltung der ADR von 2006<br />
CSV:<br />
Christich-Soziale Volkspartei, gegr. 1914 als Rechtspartei<br />
Déi Gréng: Die Grünen, gegr. 1982<br />
Déi Lénk: Die Linke, gegr. 1999<br />
DP: Demokratische Partei, gegr. 1955<br />
GRAL: Grün-Alternative Allianz, Linksabspaltung der Grünen von 1988<br />
KPL: Kommunistische Partei <strong>Luxemburg</strong>s, gegr. 1921<br />
LCR: Revolutionäre Kommunistische Liga, gegr. 1970<br />
LSAP:<br />
PID: Partei für Integrative Demokratie, Abspaltung der ADR von 2013<br />
Piratepartei: Piratenpartei, gegr. 2009<br />
<strong>Luxemburg</strong>ische Sozialistische Arbeiterpartei; gegr. 1902 als Sozialdemokratische Partei<br />
PSI: Unabhängige Sozialistische Partei, Abspaltung der LSAP von 1978<br />
RSP:<br />
Revolutionäre Sozialistische Partei, 1984 entstanden durch Umbenennung der LCR<br />
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