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Geschichte der Epilepsie - Schweizerische Epilepsiestiftung Zürich

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EPI- NEWS AGOGIK UND PFLEGE<br />

Aktuelles aus dem <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Epilepsie</strong>-Zentrum Nr. 7 / Dez. 2007/Jan. 2008<br />

Liebe Leserinnen und Leser<br />

Mit diesem Newsletter werfen wir einen Blick auf die<br />

wechselvolle <strong>Geschichte</strong> des Umgangs mit <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong><br />

und mit an <strong>Epilepsie</strong> erkrankten Menschen. Ausserdem<br />

fragen wir danach, wie ein Betroffener seinen<br />

Anfall erlebt, und geben Ihnen Hinweise auf unsere<br />

Bil dungsveranstaltungen 2008, darunter auch die Fachtagung<br />

«Geistig behin<strong>der</strong>t und <strong>Epilepsie</strong> – eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Art».<br />

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.<br />

Freundliche Grüsse<br />

Jörg Wehr<br />

Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Agogik und Pfl ege<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1. <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong><br />

2. Was ein Betroffener erlebt<br />

3. Agenda<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong><br />

Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong><br />

war und ist auch immer<br />

Zeit- und Sozialgeschichte.<br />

Das heisst, verfolgt man<br />

die Historie <strong>der</strong> Krankheit<br />

<strong>Epilepsie</strong>, so erfährt man<br />

viel über die <strong>Geschichte</strong><br />

in ihrer jeweiligen Zeitepoche.<br />

Es ist auch – und<br />

gerade – die <strong>Geschichte</strong><br />

einer Stigmatisierung einer<br />

Krankheit und ihrer Träger.<br />

Es war daher ein für die<br />

<strong>Epilepsie</strong>betroffenen leidvoller<br />

Weg von <strong>der</strong> ersten<br />

Paul Bernhard Berghorn schriftlichen Erwähnung im<br />

Alten Mesopotamien bis<br />

hin zur Gründung <strong>der</strong> Internationalen Liga gegen <strong>Epilepsie</strong><br />

1909 in Budapest.<br />

Interessant ist zu erwähnen, dass die erste schriftliche<br />

Erwähnung von <strong>Epilepsie</strong> in einem ökonomischen und<br />

nicht in einem medizinischen Zusammenhang steht.<br />

Denn im Gesetzeskodex des babylonischen Königs<br />

Hammurabi (1728 – 1686 v. Chr.) steht unter § 278:<br />

«Wenn jemand einen Sklaven o<strong>der</strong> eine Sklavin kauft,<br />

und wenn die Krankheit sie vor Ablauf eines Monats<br />

befällt, soll er diese Person dem Verkäufer zurückgeben,<br />

und <strong>der</strong> Käufer soll das Silber, mit dem er bezahlt<br />

hat, zurückerhalten.»<br />

Diese ökonomische Sicht <strong>der</strong> Dinge wandelte sich im<br />

Laufe <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte. Für die Griechen<br />

und Römer wurde Krankheit zum Objekt rationaler<br />

Überlegungen. Der Zerfall des Römischen Reiches und<br />

das beginnende Christliche Mittelalter liessen die im<br />

antiken Griechenland erlangten Erkenntnisse jedoch<br />

in Vergessenheit geraten. So trat in <strong>der</strong> Betrachtung<br />

<strong>der</strong> von <strong>Epilepsie</strong> betroffenen Menschen für gut tausend<br />

Jahre eine dämonisierende Sichtweise in den<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Erst mit <strong>der</strong> Renaissance und <strong>der</strong> Aufklärung<br />

begannen neue Denkansätze, die <strong>der</strong> Medizin<br />

den Weg in die Mo<strong>der</strong>ne zeigten.<br />

Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong> ist aber auch eine <strong>Geschichte</strong><br />

<strong>der</strong> Gründung von <strong>Epilepsie</strong>-Institutionen, die<br />

in <strong>der</strong> 2. Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts beginnt:<br />

1855 In Görlitz/Deutschland wird die erste Heilanstalt<br />

für Epileptische eröffnet.<br />

1860 Das Hospital for the Paralysed and Epileptic in<br />

London entsteht.<br />

1867 In dem Dorf Bethel bei Bielefeld/Deutschland<br />

wird die Pfl egestätte für epileptische Knaben<br />

gegründet, welche vier Jahre später von Pastor<br />

Friedrich von Bodelschwingh übernommen<br />

wird und zu überregionalem Ansehen führt.<br />

1886 In <strong>der</strong> Schweiz werden gleich zwei Einrichtungen<br />

für <strong>Epilepsie</strong>betroffene gegründet: Am<br />

1. Juni die Anstalt für Epileptische, Bethesda, in<br />

Tschugg bei Bern und am 31. August in Zürich<br />

die <strong>Schweizerische</strong> Anstalt für Epileptische, das<br />

heutige <strong>Schweizerische</strong> <strong>Epilepsie</strong>-Zentrum.<br />

In den USA wird erst 1891 die erste, ausschliesslich<br />

für <strong>Epilepsie</strong>kranke bestimmte Einrichtung in Gallipollis/Ohio<br />

gegründet.<br />

Schliesslich ist die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong> auch Kulturgeschichte.<br />

Es ist sehr interessant nachzulesen, wie<br />

aussereuropäische Kulturen mit <strong>Epilepsie</strong> sowohl in gesellschaftlicher<br />

als auch medizinischer Hinsicht umgegangen<br />

sind.<br />

Zudem hat die <strong>Epilepsie</strong> Eingang in die Weltliteratur<br />

gefunden. Das wohl eindrücklichste literarische Werk<br />

in diesem Zusammenhang ist <strong>der</strong> monumentale Roman<br />

«Der Idiot» von F.M. Dostojewskij. Da <strong>der</strong> Schriftsteller<br />

Dostojewskij selbst an <strong>Epilepsie</strong> litt, hat seine


Beschreibung <strong>der</strong> Anfälle einen hohen Authentizitätscharakter.<br />

Abschliessend muss gesagt werden, dass <strong>Epilepsie</strong><br />

nebst <strong>der</strong> medizinischen Perspektive als Erkrankung<br />

vor allem eine soziale Krankheit war bzw. wurde.<br />

Denn die Betroffenen waren – gleich welcher Gesellschaftsform,<br />

Kultur o<strong>der</strong> Religion – Gezeichnete, Stigmatisierte.<br />

Insofern ist die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong><br />

immer wie<strong>der</strong> auch eine «<strong>Geschichte</strong> des Leidens»<br />

einzelner Menschen und ihrer Umgebung.<br />

Eine ausführliche Einführung in die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong><br />

bietet das Buch<br />

«<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Epilepsie</strong>»<br />

von Paul Bernhard Berghorn.<br />

Es kostet 29 Franken und ist im <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Epilepsie</strong>-Zentrum<br />

erhältlich. Es glie<strong>der</strong>t sich in vier Teile:<br />

• Von den ersten Zeugnissen im Altertum bis und mit<br />

Römisches Reich<br />

• Mittelalter und Renaissance<br />

• Aufklärung und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

• <strong>Epilepsie</strong> im Faschismus/Nationalsozialismus<br />

Das Buch kann auch übers Internet bestellt werden:<br />

www.swissepi.ch Rubrik <strong>Epilepsie</strong>-Zentrum/Betroffene<br />

und Angehörige/Publikationen<br />

Was ein Betroffener erlebt<br />

Jörg Wehr<br />

Eine alte Erzählung berichtet von einem Bauern, <strong>der</strong><br />

beim Mähen war: «Plötzlich rief ihn die Bäuerin. Er<br />

sah auf. Was wollte sie? Verängstigt schrie sie über die<br />

Wiese, <strong>der</strong> Pankratz hätte wie<strong>der</strong> das Weh gehabt und<br />

liege wie tot vor dem Stall.» Hier wird <strong>der</strong> plötzliche<br />

Schrecken erkennbar, <strong>der</strong> von einem epileptischen Anfall<br />

auf die Umgebung des Betroffenen ausgeht. Doch<br />

wie erlebt ein Betroffener seinen Anfall selbst?<br />

«Ich bin aus voller Fahrt in die Krankheit gestürzt»,<br />

schreibt Alex Rühle im ZEIT Kursbuch, Heft 165. Er berichtet,<br />

wie er vor seinem ersten Anfall mit dem Velo an<br />

einem Fluss entlang radelte, dass dabei plötzlich Gedichtfetzen<br />

durch seinen Kopf rauschten und Wörter,<br />

«als habe die Sprache bislang in einem Stausee geschlummert».<br />

Die letzte Erinnerung, die er hat, war ein<br />

körperliches Gefühl: ein Krampf im Nacken. Danach<br />

verlor er das Bewusstsein und stürzte vom Rad. Als er<br />

wie<strong>der</strong> zu sich kam, lag er bereits im Krankenwagen.<br />

«Eine Invasion von warmen Ameisen überfällt meine<br />

Organe», beschreibt Willi Näf einen seiner Anfälle<br />

im Magazin 33/97 vom Zürcher Tages Anzeiger. Er<br />

beschreibt, wie sich das Ameisengefühl in den Oberkörper<br />

hinein ausdehnte, wie er Angst bekam, weil<br />

er dieses Gefühl bereits kannte und wusste, dass das<br />

nur <strong>der</strong> partielle Beginn eines grossen Anfalls war, bei<br />

dem er das Bewusstsein verlor: «Die Lungen fl attern ...<br />

Die Pupillen werden lichtstarr, die Augen verdrehen<br />

sich, alle Muskeln drohen zu zerreissen.»<br />

Je nach Anfallsverlauf bekommt <strong>der</strong> Betroffene überhaupt<br />

nicht mit, was passiert. Je nachdem erlebt er<br />

aber auch alles ganz bewusst mit, auch die Art und<br />

Weise, wie seine Umgebung auf den Anfall reagiert!<br />

Viele Leute wun<strong>der</strong>n sich, was ein Betroffener wohl beim<br />

Anfall erlebt: Ob er sich freut, wenn er im Anfall lacht, ob<br />

er Schmerzen hat, wenn sich sein Gesicht einen Augenblick<br />

lang zu einem entsetzten Ausdruck verzieht, wie es<br />

ihm geht, wenn <strong>der</strong> Anfall vorüber ist. Allgemeingültige<br />

Antworten gibt es nicht. Am besten fragt man die Betroffenen<br />

persönlich, wenn das möglich ist, wie sie den Anfall<br />

erleben, und welche Unterstützung sie sich während<br />

dieser Zeit wünschen. Je mehr man von den Betroffenen<br />

selber weiss, um so besser kann man den Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

eines Anfalls individuell sinnvoll begegnen.<br />

Näheres zu diesem Thema erfahren Sie unter an<strong>der</strong>em<br />

bei unserem Vertiefungsseminar am 17. Oktober 2008.<br />

Agenda<br />

4. April 2008 Vertiefungsseminar «<strong>Epilepsie</strong>diagnose<br />

und -behandlung»<br />

17. Oktober 2008 Vertiefungsseminar «Die Magie des<br />

Anfalls und ihre Auswirkungen auf<br />

unseren Umgang miteinan<strong>der</strong>»<br />

31. Oktober 2008 Fachtagung «Geistig behin<strong>der</strong>t und<br />

<strong>Epilepsie</strong> – eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Art»<br />

3. – 5. Nov. 2008 Grundkurs <strong>Epilepsie</strong><br />

Weitere Informationen und Anmeldung unter<br />

www.swissepi.ch<br />

Kontakt<br />

<strong>Schweizerische</strong>s <strong>Epilepsie</strong>-Zentrum<br />

Bleulerstrasse 60, 8008 Zürich<br />

www.swissepi.ch<br />

Redaktion<br />

Jörg Wehr, M.A., Diplomierter Pfl egefachmann HF<br />

Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Telefon 044 387 64 80<br />

Email joerg.wehr@swissepi.ch<br />

Sekretariat Agogik und Pfl ege<br />

Telefon 044 387 64 01, Telefax 044 387 62 49<br />

Email agogik.pfl ege@swissepi.ch<br />

Der <strong>Epilepsie</strong>-Newsletter Agogik und Pfl ege ist auf <strong>der</strong><br />

Website des <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Epilepsie</strong>-Zentrums als<br />

.pdf-Dokument abrufbar. Registrieren Sie sich unter<br />

www.swissepi.ch Rubrik <strong>Epilepsie</strong>-Zentrum/Fachpersonen<br />

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