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Selbstreflexion in der systemischen Weiterbildung ... - Systemagazin

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e<strong>in</strong>e „Eigentherapie“ absolvieren sollten,<br />

kontrovers bleibt. Piet Bakker<br />

(1985, S. 158) bezieht sich auf e<strong>in</strong>e<br />

nordamerikanische Untersuchung und<br />

hält fest, daß <strong>der</strong>en Ergebnisse auch für<br />

se<strong>in</strong>e Heimat <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande gelten,<br />

nämlich daß Therapeuten, die e<strong>in</strong>e Eigenanalyse<br />

gemacht haben, dies befürworten,<br />

während die an<strong>der</strong>en, die ke<strong>in</strong>e<br />

gemacht haben, sie auch nicht als<br />

notwendig erachten. Schaut man wie<strong>der</strong>um<br />

<strong>in</strong> die mittlerweile verfügbaren<br />

Lehr- und Grundlagenbücher <strong>der</strong> Systemischen<br />

Therapie, f<strong>in</strong>det man bezüglich<br />

des Themas Selbsterfahrung<br />

erstaunlich wenig. In ihrem 1990 erschienenen,<br />

für e<strong>in</strong>e breite Leserschaft<br />

allgeme<strong>in</strong>verständlich formulierten<br />

Buch „Familientherapie“ greift das<br />

Kölner Team von Georgi, Levold und<br />

Wedek<strong>in</strong>d auf Altbewährtes se<strong>in</strong>er psychoanalytischen<br />

Herkunft zurück und<br />

behauptet, daß e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> drei Grundelemente<br />

e<strong>in</strong>er mehrjährigen Ausbildung<br />

zum „guten Familientherapeuten“<br />

e<strong>in</strong>e gründliche Selbsterfahrung<br />

sei, die die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

eigenen Familie und Herkunftsfamilie<br />

e<strong>in</strong>schließe. Dieser Ansicht s<strong>in</strong>d sie,<br />

wennschon unter aktualisierten Bed<strong>in</strong>gungen<br />

u.a. durch Here<strong>in</strong>nahme b<strong>in</strong>dungstheoretischer<br />

Aspekte, bis heute<br />

treu geblieben (vgl. <strong>in</strong> diesem Heft).<br />

Die dezidierter systemisch auftretenden<br />

Autoren Arist von Schlippe und<br />

Jochen Schweitzer (1996) widmen <strong>in</strong><br />

ihrem Lehrbuch dem Thema so beiläufige<br />

Beachtung, daß <strong>der</strong> Begriff<br />

„Selbsterfahrung“ nicht e<strong>in</strong>mal im<br />

Sachregister vorkommt. Selbsterfahrung<br />

und <strong>Selbstreflexion</strong> gehen dort,<br />

wie auch an<strong>der</strong>enorts im Rahmen systemischer<br />

Therapie, kaum als eigenständige<br />

Ziele <strong>in</strong> die Therapieausbildung<br />

e<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n tauchen eher als<br />

Aspekte <strong>der</strong> Praxiskontrolle und <strong>der</strong><br />

live-Supervision auf. Ähnlich hatte ich<br />

bei me<strong>in</strong>em Entwurf e<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>ischen<br />

Theorie <strong>der</strong> Systemischen Therapie argumentiert<br />

(vgl. Ludewig 1992). Ohne<br />

die Bedeutung von Selbsterfahrung<br />

grundsätzlich entkräften zu wollen<br />

o<strong>der</strong> zu können, warnte ich dort von e<strong>in</strong>er<br />

allzu unkritischen Übernahme dieser<br />

Praxis <strong>in</strong> die systemische Therapieausbildung<br />

und schlug vor, e<strong>in</strong>e „systemische<br />

Selbsterfahrung“ darauf zu<br />

beschränken, die Denk- und Handlungsmöglichkeiten<br />

des Therapeuten<br />

zu erweitern und gleichzeitig jene<br />

Blockaden zu mil<strong>der</strong>n, die se<strong>in</strong>e Flexibilität<br />

bee<strong>in</strong>trächtigen. Diese For<strong>der</strong>ungen<br />

sah ich am ehesten <strong>in</strong> <strong>der</strong> live-<br />

Supervision verwirklicht.<br />

Etwas ausgiebiger berichtet Günter<br />

Schiepek (1999) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Grundlagenbuch<br />

über den Stellenwert von<br />

Selbsterfahrung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong><br />

Therapieausbildung. Mit Blick auf<br />

se<strong>in</strong> Verständnis von Psychotherapie<br />

als Handeln <strong>in</strong> komplexen Systeme<br />

schränkt er den an sich diffusen Begriff<br />

„Selbsterfahrung“ def<strong>in</strong>itorisch auf e<strong>in</strong>e<br />

spezielle Form <strong>der</strong> Selbstthematisierung<br />

psychischer Prozesse <strong>in</strong> sozialen<br />

Kontexten e<strong>in</strong>. Hierzu können<br />

gehören Eigentherapie, Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit Familiengeschichte und<br />

Herkunftsfamilie sowie mit den eigenen<br />

Konstruktions- und S<strong>in</strong>nstiftungsgewohnheiten,<br />

live-Supervision als<br />

Feld <strong>der</strong> <strong>Selbstreflexion</strong>, kontextuelle<br />

Selbsterfahrung (persönliche Verhaltensmuster<br />

unter Bed<strong>in</strong>gungen von<br />

Komplexität, Intransparenz und Dynamik)<br />

und Fragen <strong>der</strong> Gestaltung des<br />

persönlichen Lebensstils. Diese Formen<br />

<strong>der</strong> Selbstthematisierung dienen<br />

im Endeffekt dem Aufbau e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen<br />

„Systemkompetenz“, welche<br />

sich dar<strong>in</strong> erweist, daß <strong>der</strong> Therapeut<br />

lernt, bei se<strong>in</strong>er Arbeit soziale Strukturen<br />

und Kontexte, die Dimension Zeit<br />

und die emotionalen Dimensionen zu<br />

beachten, nebenher auch se<strong>in</strong>e soziale<br />

Kontaktfähigkeit, die Systemför<strong>der</strong>ung<br />

und das theoretische Wissen zu erweitern.<br />

Diese durchaus vielfältigen E<strong>in</strong>schätzungen<br />

zur Selbsterfahrung wie<strong>der</strong>holten<br />

sich auf bemerkenswerte<br />

Weise bei <strong>der</strong> Wissenschaftlichen Tagung<br />

<strong>der</strong> Systemischen Gesellschaft<br />

im Herbst 1998 <strong>in</strong> Hamburg. Die bei<br />

dieser Gelegenheit vorgestellten Optionen<br />

zum Thema „<strong>Selbstreflexion</strong>“<br />

erstreckten sich von <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

nach e<strong>in</strong>er ausführlichen persönlichen<br />

E<strong>in</strong>zelselbsterfahrung vis-à-vis e<strong>in</strong>es<br />

Lehrtherapeuten über konstruktivistische<br />

Versionen von Familien- und<br />

Herkunftsrekonstruktion bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

mäßig skeptischen Haltung bezüglich<br />

S<strong>in</strong>n und Notwendigkeit von<br />

<strong>Selbstreflexion</strong> im Rahmen systemtherapeutischer<br />

<strong>Weiterbildung</strong>. Aus <strong>der</strong><br />

letztgenannten Perspektive, die im vorliegenden<br />

Aufsatz zum Ausdruck<br />

kommt, wurde die <strong>Selbstreflexion</strong> im<br />

wesentlichen als Initiationsritus aufgefaßt,<br />

<strong>der</strong> dem angehenden Therapeuten<br />

helfen soll, eigene h<strong>in</strong><strong>der</strong>liche Bedenken<br />

gegen die Zurverfügungsstellung<br />

<strong>der</strong> eigenen Person zu überw<strong>in</strong>den.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wurde die Ansicht vertreten,<br />

daß die Notwendigkeit von<br />

Selbsterfahrungse<strong>in</strong>heiten erst regelrecht,<br />

also über gesetzlichen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Vorgaben h<strong>in</strong>aus, gefor<strong>der</strong>t werden<br />

könnte, wenn empirisch gesichert<br />

wäre, daß dies auch effektiv sei. Denn<br />

me<strong>in</strong>es Wissens liegen kaum weitere<br />

H<strong>in</strong>weise über die Effektivität von<br />

Selbsterfahrung vor als jene, die sich<br />

aus dem Umstand herleiten lassen, daß<br />

sie überall und <strong>in</strong> aller Selbstverständlichkeit<br />

praktiziert wird.<br />

Um schon an dieser Stelle eventuellen<br />

Mißverständnissen bezüglich <strong>der</strong><br />

hier geäußerten Auffassungen vorzubeugen,<br />

halte ich fest, daß die nun folgenden<br />

Gedanken das Ergebnis me<strong>in</strong>er<br />

eigenen Erfahrungen und nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />

den Stand <strong>der</strong> Diskussion im<br />

Hamburger Institut für systemische<br />

Studien wi<strong>der</strong>geben. Obwohl diese<br />

Gedanken Anklang bei den meisten<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen unseres Instituts f<strong>in</strong>den<br />

dürften, werden sie hier alle<strong>in</strong> von<br />

mir verantwortet. Sie verstehen sich als<br />

Aktualisierung und Erweiterung von<br />

Gedanken, die ich seit e<strong>in</strong>igen Jahren<br />

entwickele und hier und da veröffentlicht<br />

habe (vgl. Ludewig 1985, 1989,<br />

1992).<br />

Gedanken zur <strong>Selbstreflexion</strong><br />

Die Ausgangslage<br />

Me<strong>in</strong>en Ausgangspunkt bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />

dessen, was e<strong>in</strong>e „systemische“<br />

<strong>Selbstreflexion</strong> se<strong>in</strong> könnte, fasse<br />

ich anhand folgen<strong>der</strong> Sätze zusammen:<br />

• <strong>Selbstreflexion</strong> folgt üblicherweise<br />

auf Selbstbeobachtung, und letztere<br />

ist e<strong>in</strong> fortwähren<strong>der</strong> Prozeß<br />

psychischer Systeme.<br />

• Unter <strong>der</strong> – unbestätigten – Annahme,<br />

daß <strong>Selbstreflexion</strong> e<strong>in</strong>e unerläßliche<br />

Bed<strong>in</strong>gung für Professionalität<br />

sei, wird Selbstbeobachtung<br />

und Selbstoffenbarung vielerorts<br />

zum Thema therapeutischer <strong>Weiterbildung</strong>.<br />

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