Eulenspiegel Wollt ihr den totalen Krieg?!! (Vorschau)
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DAS SATIREMAGAZIN<br />
Unbestechlich, aber käuflich!<br />
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42 Seiten Literatur-Eule<br />
10/14 · € 3,20 · SFR 5,00<br />
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60./68. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514
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Zeit im Bild<br />
EULENSPIEGEL 10/14 3<br />
Barbara Henniger
D<br />
ER D IC<br />
KE<br />
...<br />
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Inhalt<br />
Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freimut Woessner<br />
3 Zeit im Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barbara Henniger<br />
5 Hausmitteilung<br />
6 Leserpost<br />
8 Modernes Leben<br />
11 Zeitansagen<br />
16 Die sanfte Regierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor Füller<br />
18 Suck it, bitch!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor Füller / Andreas Koristka<br />
20 Unsere Besten: Er ist all dor –<br />
Frank-Walter Steinmeier . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler / Frank Hoppmann<br />
22 Das letzte Eckchen freie Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Felice von Senkbeil<br />
24 Zeitgeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beck<br />
27 Fanal mit Apfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Koristka<br />
28 Schnauze, sonst Beule!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Niemann<br />
32 Gute schlechte Witze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriki<br />
34 Die neue Lust zu konsumieren . . . . Reinhard Ulbrich / Reiner Schwalme<br />
36 Schutz vor Ebola . . . . . . . . . . . . . . . . Felice von Senkbeil / Michael Garling<br />
38 Die Deutschen haben mehr gelitten<br />
als die alten Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Henschel<br />
... mit ü<br />
ber 400 Cartoons<br />
Der mehrfach h mit dem deutschen Karikaturenpreis<br />
ausgezeichnete Cartoonist BECK spart die<br />
Absurditäten des Alltags auf und beweist,<br />
wie viel Nonsens sich darin fin<strong>den</strong> lässt!<br />
€ 14,95 (D) · ISBN 978-3-8303-3329-6<br />
40 Freizeit macht frei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Kech / Guido Sieber<br />
42 Wahn & Sinn<br />
44 Kino: Familiensachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Holland-Moritz<br />
45 Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Glück<br />
46 Tag der offenen Moschee<br />
48 Artenvielfalt: Das Rehabilitand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ove Lieh<br />
49 Lebenshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zak<br />
50 Funzel: Eine Frage der Perspektive<br />
54 Zugvögel im Herbst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Ehrt<br />
56 TV: Wenn die Merkel wie die Ferres wäre . . . . . . . . Felice von Senkbeil<br />
57 Am Tag des Herrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Schmid<br />
58 Schwarz auf Weiß<br />
60 Fehlanzeiger<br />
62 Leser machen mit / Rätsel / Meisterwerke<br />
64 Impressum / … und tschüs!<br />
65 Literatur-Eule<br />
Teilen der Auflage sind Beilagen des Atlas Verlages und des Freitag hinzugefügt<br />
Hat Ihnen eine Zeichnung im<br />
EULENSPIEGEL besonders gefallen?<br />
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Viel Spaß auch auf<br />
4 EULENSPIEGEL 10/14<br />
Im eulenspiegel-la<strong>den</strong>.de oder telefonisch<br />
unter (030)29346319.
Haus mitteilung<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
haben Sie eigentlich Angst vor einer Ebola-Epidemie? Nein? Sollten Sie<br />
aber! Denn nach Ansicht namhafter Experten ist es nur eine Frage der Zeit,<br />
bis sich die Horror-Seuche auch bei uns ausbreitet und alles Leben<br />
vernichtet. Es sei <strong>den</strong>n, wir handeln jetzt! Deshalb gehe ich als Prominenter<br />
mit gutem Beispiel voran, und zwar so: Wenn ich in der Stadt unterwegs<br />
bin, schaue ich meine Mitmenschen genau an. Falls jemand verdächtige<br />
Symptome zeigt (z.B. laufende Nase, unsteter Blick), schlage ich ihn mit<br />
einem Holzhammer bewusstlos und lege ihn vor dem nächstgelegenen<br />
tropenmedizinischen Institut ab. Wenn Sie alle meinem Beispiel folgen,<br />
ist die Gefahr sicher bald gebannt.<br />
★<br />
Vor einigen Wochen saß ich ein wenig gelangweilt zu Hause herum, als<br />
ich plötzlich Heißhunger auf Hackbällchen bekam. Also auf zu Ikea! Und<br />
wo ich schon mal da war, machte ich natürlich auch gleich <strong>den</strong> Rundgang<br />
durch das Einrichtungshaus, an dessen Ende mir dann die »Self-Service«-<br />
Kasse auffiel. Davon hatte ich schon mal gelesen: Ikea lässt die Kun<strong>den</strong><br />
<strong>ihr</strong>e Ware selbst scannen und am Automaten bezahlen – und spart damit<br />
jede Menge Geld für Kassenpersonal. Nun, dachte ich mir da, wenn ich<br />
einen Teil der Arbeit übernehme, steht mir ja wohl auch ein Rabatt zu,<br />
oder? Also scannte ich <strong>den</strong> Kleiderbügel »Bumerang« fünfmal ein und ließ<br />
dafür die vier »Billy«-Regale weg – schwups, über 200 Euro gespart! Zwar<br />
bemerkte das eine in der Nähe stehende Fachkraft, aber glücklicherweise<br />
hatte ich noch die Edelstahl-Bratpfanne »Trovärdig« im Einkaufswagen,<br />
mit deren Hilfe ich mir <strong>den</strong> Weg zum Ausgang freikämpfen konnte. (Die<br />
Pfanne war danach übrigens ziemlich verbeult, aber die Reklamation verlief<br />
problemlos.)<br />
Mein Fazit: Action, Spannung und bares Geld gespart – also von mir<br />
aus kann die Selbstbedienungskasse ruhig überall eingeführt wer<strong>den</strong>!<br />
Ähnlich positiv sieht das sicher auch der Autor unseres Artikels auf<br />
Seite 34.<br />
★<br />
Als ich vorgestern kurz nach dem Aufstehen, noch fast im Halbschlaf, das<br />
Radio anschaltete und hörte, dass ein EU-Kommissar seine Frau mit einem<br />
Staubsaugerkabel erdrosselt habe, rief ich sofort in der Redaktion an und<br />
befahl, umgehend einen Artikel zu diesem fantastischen Aufreger-Thema<br />
ins Heft zu heben. Die Einwände des Redakteurs, alle Seiten seien bereits<br />
belegt, überging ich natürlich: Aktualität geht vor! Dann musste eben die<br />
Reportage über <strong>den</strong> <strong>Krieg</strong> in der Ukraine rausfliegen; dieses Thema interessiert<br />
morgen sowieso nieman<strong>den</strong> mehr. Schwer beeindruckt von meiner<br />
eigenen Entscheidungsfreudigkeit frühstückte ich danach erst einmal ausgiebig<br />
und fuhr anschließend gegen 14 Uhr in die Redaktion, um <strong>den</strong><br />
gerade in Auftrag gegebenen Artikel zu begutachten. Dabei stellte sich<br />
leider heraus, dass ich mich wieder einmal verhört hatte: Tatsächlich wurde<br />
niemand erdrosselt; statt dessen will die EU-Kommission nur die Leistung<br />
von Staubsaugern drosseln, um Energie zu sparen. Oje! Aber Führungs -<br />
stärke bedeutet bekanntlich, um je<strong>den</strong> Preis zu einer einmal getroffenen<br />
Entscheidung zu stehen und Fehler auf keinen Fall zuzugeben. Lesen Sie<br />
also auf Seite 18 unseren spannen<strong>den</strong> – äh, also lesen Sie halt <strong>den</strong> Artikel,<br />
der da steht. Mit <strong>den</strong> Staubsaugern. Oder auch nicht. Mir doch egal.<br />
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Mit gedrosselten Grüßen<br />
Chefredakteur<br />
EULENSPIEGEL 10/14 5
www.eulenspiegel-zeitschrift.de<br />
60./68. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514<br />
Neu in der Minibibliothek<br />
Wir feiern <strong>den</strong> 300. Band!<br />
Rolf Hochhuth/Edgar Degas<br />
Frauen<br />
128 Seiten, 6,2 x 9,5 cm,<br />
vierfarbig, in Seide<br />
gebun<strong>den</strong>, im Farbschuber<br />
ISBN 978-3-89798-462-2<br />
soeben erschienen<br />
Betörend-schöne Gedichte<br />
über Liebe, Eros und<br />
Frauen von Rolf Hochuth<br />
und Aktbilder von Edgar<br />
Degas<br />
Limitierte Sonderausgabe:<br />
nur 555 Exemplare!<br />
Minibuch mit Schuber<br />
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Alte Gemüsesorten - Junge Rezepte ISBN 978-3-89798-458-5<br />
Gewürze ISBN 978-3-89798-459-2<br />
Whisky ISBN 978-3-89798-460-8<br />
Süße Sünde: Schokolade ISBN 978-3-89798-461-5<br />
Erzgebirgisches Weihnachtsbüchlein ISBN 978-3-89798-464-6<br />
Filinchen: Die Legende lebt! ISBN 978-3-89798-463-9<br />
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Post<br />
Zum Titel:<br />
DAS SATIREMAGAZIN<br />
9/14 · € 3,20 · SFR 5,00<br />
Stoppt<br />
<strong>den</strong> irren<br />
Mautokraten!<br />
Unbestechlich, aber käuflich!<br />
Mich erinnert der Seehofer irgendwie<br />
an Putin. Oder tue<br />
ich ihm da Unrecht?<br />
Franz Alt, München<br />
Wem von bei<strong>den</strong>?<br />
Mautkassierer Horst: Selbstverständlich<br />
Maut auch auf <strong>den</strong><br />
grenzüberschreiten<strong>den</strong> Flüssen für<br />
jedermann!<br />
Dr. Manfred Gries, Oranienburg<br />
Weil die Österreicher auch unsere<br />
Isar befahren.<br />
So einen Deppen sah man auch<br />
schon in einem russischen<br />
Fluss. Nur waren da die Muskeln<br />
und die Fische größer.<br />
Wolfgang Triebel, Suhl<br />
Der Größenwahn aber gleich.<br />
Zu dem Kunstwerk von old Dagobert<br />
ist mir leider auch was eingefallen:<br />
Wenn Onkel Hotte <strong>den</strong><br />
kleinen Fisch würgen kann, um ihm<br />
ein paar Schuppen aus seinem Pelz<br />
zu ziehen, müsste sich da nicht<br />
seine Hose im Zwickel vorwölben?<br />
Oder kann er das auch nicht?<br />
Uwe Kollwitz, Weischlitz<br />
»Leider« war schon richtig.<br />
Zu: Zeit im Bild<br />
Der Gysi ist fast noch besser als<br />
der Seehofer getroffen. Wer ist<br />
der Künstler? Doch nicht etwa der<br />
Sieber, der sonst immer so abgrundtief<br />
hässliche Frauen malt. Was hat<br />
<strong>den</strong>n Gysi zu seinem Porträt gesagt?<br />
Hildegard Schreiber, Döbeln<br />
Ihm wird der Papierkorb nicht<br />
gefallen haben.<br />
Zu: Berlin geht ba<strong>den</strong><br />
Kinder, wie die Zeit vergeht.<br />
Beim Schreiben des Artikels Zu: Es fährt ein Bus vors Dixi-Klo<br />
D<br />
konnte der, die, das Kriki natürlich ieser Text wird dem gewerkschaftlichen<br />
Kampf nicht voll-<br />
noch nicht wissen, dass der Regierende<br />
Bürgermeister der Hauptstadt<br />
abreagiert hat. Klar. Aber wo-<br />
Dr. Junge, Leipzig<br />
ständig gerecht.<br />
her er die >blitzgeschwinde Bundes-<br />
Aber fast.<br />
bahn< nimmt, ist unklar. Hat Kriki<br />
so lange an der Collage gearbeitet,<br />
dass er das Verschwin<strong>den</strong> der Bundesbahn<br />
nicht bemerkt hat?<br />
Wolfgang Kroschel, Cottbus<br />
Kriki sagt immer »Bundesbahn«,<br />
das ist seine Form des Widerstands!<br />
Ich schreibe seit 1954 (erste Leseversuche<br />
mit sechs) zum ersten<br />
Mal. Das Qualitätsblatt macht mit<br />
9/14 in Text und Bild wohl die beste<br />
Ausgabe, seitdem Europa wieder<br />
mal die Krätze hat. Will nicht als inspirationshemmender<br />
Schleimer,<br />
sondern als Wut- und Weltbürger in<br />
Besorgnis verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />
Frage: Steht der Russe schon am Atlantik?<br />
Wenn ja, so meldet das bitte.<br />
Werner Schüler, Plauen<br />
Wenn Sie von Chrieschwitz her<br />
Schüsse hören – dann ist er da!<br />
Zu: Comic und Unsere Besten<br />
Das CDU-Dreamteam Altmaier<br />
und Pofalla und vor allem der<br />
wunderbare Mehdorn in Heft 9<br />
sind gut charakterisiert. Bevor Mehdorn<br />
eingestellt wurde, habe ich<br />
immer noch geglaubt, dass der<br />
Flughafen Schönefeld irgendwann<br />
einmal fertiggestellt wird.<br />
Dr. Kurt Laser, Berlin<br />
»Wo Glaube ist, da ist auch Lachen.«<br />
(Martin Luther)<br />
Zu: Die fröhliche Schicksalsgemeinschaft<br />
Frage an Sender Jerewan: Warum<br />
ist ausgerechnet in Deutschland<br />
die Vorsehung so nachhaltig?<br />
Karl Marr, Querfurt<br />
Weil man hierzulande das Nachsehen<br />
nicht vorhältig hat.<br />
Zu: Die Geschädigte<br />
Woher weiß Mathias Wedel,<br />
dass ich am liebsten in <strong>den</strong><br />
Bildband »Romy Schneider« etwas<br />
zurücklege? (Kein Geld!) Das ist<br />
nicht mal meinem Mann bekannt,<br />
mit dem ich seit fast 54 Jahren verheiratet<br />
bin! Ich werde mir ein<br />
neues Versteck suchen müssen,<br />
eventuell in <strong>den</strong> Bildband »Villen<br />
der Toscana«.<br />
Jutta-Maria Friedemann, Rangsdorf<br />
Vorsicht, Leserbriefe wer<strong>den</strong> auch<br />
von Kleinkriminellen gelesen.<br />
6 EULENSPIEGEL 10/14
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Zu: Leben ohne Stasi<br />
Zu: Der Glücksatlas<br />
W H<br />
arum sollte die Stasi-Behörde at der EULENSPIEGEL mit einer<br />
abgeschafft wer<strong>den</strong>? Es gibt Reform der Bundesländer begonnen?<br />
Im »Glücksatlas 2014«<br />
doch so viele Geheimdienste in<br />
<strong>den</strong> gelenkten, freiheitlichen Demokratien<br />
der Welt von heute. Mehr nur 15 statt 16 Bundesländer. Und<br />
fehlt das Bundesland Bremen! Also<br />
Aufklärung über Sinn und Tätigkeit das ohne Volksentscheid! Aber <strong>den</strong><br />
wäre wohl nützlich. Wird jeder gibt es in unserer Demokratie sowieso<br />
kaum.<br />
Weltbürger über- und bewacht? Zu<br />
wessen Nutzen? Tag und Nacht? Werner Klopsteg, Berlin<br />
Gute Nacht!<br />
Erbsenzähler.<br />
Horst Schwarz, Teutschenthal<br />
I<br />
Und süsse Träume!<br />
hr spezial guest W.K. (der Name<br />
ist mir gerade nicht geläufig) gehört<br />
doch zu <strong>den</strong> meistgelesenen<br />
Zu: Die Trachtensaison hat begonnen<br />
Autoren der Gegenwart. Wäre es<br />
Was soll die komische Aufmachung<br />
»Zieh dir deinen Putin von Senkbeil ihm ein Porträt wid-<br />
nicht mal an der Zeit, dass Frau<br />
an!«? Ich hätte nie geglaubt, dass met, vielleicht auch unter der Rubrik<br />
»Das Leserbriefschreiber«.<br />
Sie sich in die Kategorie der Russenhasser<br />
eingliedern. Ist das der Aber bitte mit vollständiger Bibliographie.<br />
Moderne geschuldet? Diese Sorte<br />
Deutsche habe ich schon vor 75 Udo Hagner, Gera<br />
Jahren erlebt und kann für sie bis Aber erst, wenn sein Denkmal auf<br />
heute keine Entschuldigung fin<strong>den</strong>. dem Schlossplatz fertig ist.<br />
Soll man W. Putin mit einer SS-Uniform<br />
beklei<strong>den</strong>? Zwei ältere Brüder Zu: Schwarz auf Weiß<br />
E<br />
von ihm sind im Kindesalter gestorben.<br />
Womöglich während der Blohof<br />
<strong>den</strong> Kreuzzug. Den Witz hat<br />
in Kreuzritter verpasst am Bahnckade<br />
der Deutschen Wehrmacht Harm Bengen aber aus der ARDund<br />
SS in Leningrad. Bitte nicht Sendung Düsseldorf helau von<br />
vergessen: Die Deutschen sind 1979 geklaut, gebt es zu!<br />
auch Weltmeister im Töten.<br />
Christoph Cavazzini, Göttingen<br />
Lorenz Eyck per E-Mail<br />
Da hatte er noch keinen Fernseher.<br />
Im Bratwurstessen aber auch.<br />
Zu: Artenvielfalt. Das Säufer<br />
A W<br />
ls echten Skandal empfinde ich er, wie ich, an der Alkoholkrankheit<br />
leidet, könnte jetzt<br />
es, einen der vier Präsi<strong>den</strong>ten<br />
der Siegermächte über <strong>den</strong> faschistischen<br />
Verbrecherstaat in SS-ähnli-<br />
ich spüle <strong>den</strong> Ärger einfach runter.<br />
beleidigt sein. Bin ich aber nicht –<br />
che Uniform plus EK1 und HH-Bildnis<br />
klei<strong>den</strong> zu sollen (oder zu wol-<br />
Prost!<br />
Günther Halbritter, Aachen<br />
len!).<br />
Günter Wendel, Berlin<br />
Biete:<br />
Dass Putin »der neue Hitler« ist, EULENSPIEGEL-Jahrgänge, komplett,<br />
wird Hillary Clinton wohl noch sagen<br />
dürfen.<br />
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ab Heft 09/03 – 02/11,<br />
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Schneckensteiff<br />
Hannes Richert<br />
8 EULENSPIEGEL 10/14
Modernes<br />
Leben<br />
Alff Peter Thulke<br />
Piero Masztalerz<br />
Freimut Woessner<br />
Burkhard Fritsche<br />
EULENSPIEGEL 10/14 9
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Und da wundert sich<br />
noch einer, dass ich<br />
Amok laufe ...<br />
Zeit ansagen<br />
Von unserem<br />
Hauptstadt-<br />
Korrespon<strong>den</strong>ten<br />
Atze<br />
Svoboda<br />
In <strong>den</strong> sauren Apfel beißen? Ähnliche Interessen<br />
Bundeslandwirtschaftsminister<br />
Christian Schmidt hat die deut -<br />
sche Bevölkerung aufgefordert,<br />
Obst und Gemüse, das wegen des<br />
russischen Lebensmittelembargos<br />
nicht exportiert wer<strong>den</strong> kann, selber<br />
zu verzehren:<br />
»Sie sollten essen, ich sollte essen,<br />
wir sollten essen.« Da kann Wahr und unwahr (1)<br />
man nur hoffen, dass das Waffenembargo<br />
nicht noch weiter ausgedehnt<br />
wird, sonst heißt es zukünftig:<br />
»Sie sollten schießen, ich<br />
sollte schießen, wir sollten schießen.«<br />
Michael Kaiser<br />
Eigentlich seltsam, dass es zwischen<br />
Putin und der EU gerade so<br />
schlecht läuft. Im Grunde haben<br />
die bei<strong>den</strong> dasselbe Projekt:<br />
Schluss mit der europäischen<br />
Kleinstaaterei!<br />
Patrick Fischer<br />
Wahr ist, dass mit dem Ukrainer<br />
Leonid Stadnik (2,57 m) einer der<br />
längsten Menschen kürzlich verschied.<br />
Unwahr ist, dass er mit einem<br />
russischen Kampfjet kollidierte.<br />
Guido Pauly<br />
Foto: sueddeutsche.de<br />
Brukhard Fritsche Carlo Dippold<br />
Strafandrohung<br />
Wenn eine lupenreine Demokratie,<br />
wie die Ukraine, <strong>ihr</strong>e Grenze durch<br />
eine perfekt gesicherte Mauer<br />
schützen will, sollte Deutschland<br />
sich solida risch zeigen und <strong>den</strong> Slo -<br />
gan »Die Mauer muss weg!« grundgesetzlich<br />
unter Strafe stellen.<br />
Matti Friedrich<br />
Auf Erfolgskurs<br />
Die EU droht Putin mit einem Boykott<br />
der WM 2018. Die Russen<br />
scheinen sich <strong>ihr</strong>em Ziel zu nä -<br />
hern, die Weltmeisterschaft im eigenen<br />
Land zu gewinnen.<br />
Manfred Beuter<br />
Eine Schande …<br />
... ist es nicht, dass Nacktfotos von<br />
<strong>den</strong> heißesten Hollywoodstars im Internet<br />
aufgetaucht sind. Aber skandalös<br />
ist es, dass Bild kein einziges<br />
davon drucken darf. Pressefreiheit<br />
und so! Wozu ist Bild <strong>den</strong>n sonst da?<br />
Etwa nur zur <strong>Krieg</strong>sberichterstattung?<br />
Es handelt sich hier nicht um irgendwelche<br />
Hupfdohlen, sondern um Weltstars.<br />
Wo sie gehen und liegen, springen<br />
<strong>den</strong> Damen »zufällig« die Brustwarzen<br />
aus <strong>den</strong> Designerroben oder<br />
sie wer<strong>den</strong> »zufällig« splitternackt auf<br />
<strong>ihr</strong>en Yachten geknipst. Und nun machen<br />
sie auf Mauerblümchen! Auf »Hackeropfer«!<br />
Als hätten wir uns nicht<br />
längst jede Ritze von Rihanna, die Nippel<br />
von Kate Upton oder <strong>den</strong> Venushügel<br />
von Miley Cyrus bildlich vorgestellt.<br />
Ich war schon immer ein Verfechter<br />
meiner Persönlichkeitsrechte. Aber öffentliche<br />
Personen sollten ruhig was<br />
gucken lassen, dafür heißen sie ja »öffentlich«.<br />
Schließlich gehört das zum<br />
Geschäft. Gut, wenn es um behaarte<br />
Schwänze und nicht behaarte Schlitze<br />
geht, sollte man sich schon das<br />
»Okay« vom Inhaber einholen. Millionen<br />
User klicken sich seit der Veröffentlichung<br />
dieser »Hackerattacke«<br />
durchs Internet, um sich selbst ein<br />
Bild von der angeblichen Verletzung<br />
der Intimsphäre zu machen.<br />
Ich dachte mir, auch einige meiner<br />
Promibekanntschaften könnten mal<br />
wieder etwas Medienrummel vertragen.<br />
Maren Gilzer oder Birgit Schrowange<br />
sind auch ganz lecker. Von Verona<br />
Poth oder Jenny Elvers ganz zu<br />
schweigen. Also suchte ich meine<br />
Handyfilmchen durch und stellte <strong>den</strong><br />
ein oder anderen ins Netz. Meine Kollegen<br />
von Bild habe ich schon per<br />
Twitter informiert. Die haben versprochen,<br />
diesmal alles zu drucken, auch<br />
wenn’s schon bisschen welk ist. Mir<br />
winkt ein beschei<strong>den</strong>es Honorar.<br />
Ob ich mir damit aber auch Dank<br />
bei <strong>den</strong> Damen einhandle? Rechtlich<br />
bin ich je<strong>den</strong>falls auf der sicheren<br />
Seite: Die Urheberrechte für die Vi de -<br />
os liegen bei mir (Webcam in meinem<br />
Schlafgemach).<br />
EULENSPIEGEL 10/14 11
Zeit ansagen<br />
Was das wieder kostet!<br />
Nachdem die Bundesregierung <strong>den</strong><br />
Kur<strong>den</strong> ohne Parlamentsbeschluss<br />
Raketen versprochen hatte, will der<br />
Bundestag zukünftig über Waffenlieferungen<br />
mitentschei<strong>den</strong>. Bundeskanzlerin<br />
Merkel winkt jedoch<br />
ab. Bei <strong>den</strong> vielen Überhangmandaten<br />
könne man der Waffenlobby<br />
nicht zumuten, das ganze Parlament<br />
für Abstimmungsergebnisse zu bezahlen.<br />
MK<br />
Team-Therapie<br />
Barack Obama hat die IS-Terroristen<br />
als »Krebsgeschwür« bezeichnet.<br />
Eine solche Diagnose zieht in vielen<br />
Fällen eine Chemotherapie nach<br />
sich. Der ausgewiesene Spezialist<br />
dafür in der Region wäre eigentlich<br />
Dr. Assad, für eine eventuell notwendige<br />
Bestrahlung im Anschluss<br />
käme ein Team aus Teheran in Frage.<br />
PF<br />
Der kleine Unterschied<br />
Vor ein paar Wochen hießen die »IS-<br />
Truppen« noch »ISIS-Kämpfer«.<br />
»ISIS« klingt aber nicht gefährlich<br />
genug. Man assoziiert damit die zauberhafte<br />
ägyptische Göttin Isis oder<br />
die zauberhafte Blume Iris. Den Begriff<br />
»IS-Truppen« hingegen umflutet<br />
die Aura des Bösen: Er erinnert<br />
sofort an <strong>den</strong> Terminus »US-Truppen«.<br />
MK<br />
Mario Lars<br />
Der Umwelt zuliebe<br />
Während die Linken geschlossen gegen<br />
Waffenlieferungen in Krisenregionen<br />
sind, haben eini ge Grü -<br />
ne <strong>ihr</strong>e Zustimmung erteilt. Direkt<br />
in <strong>Krieg</strong>sgebiete zu liefern ist Co2-<br />
günstiger als über <strong>den</strong> Umweg sicherer<br />
Drittstaaten.<br />
GP<br />
Kein netter Beutezug<br />
Stolz präsentierten IS-Kämpfer deutsche<br />
Waffen, die sie in Syrien er -<br />
obert haben. Die Bundesre gie rung<br />
reagierte empört: »Die sollen <strong>ihr</strong>e<br />
Waffen – wie alle anderen auch –<br />
gefälligst bei uns kaufen.« MK<br />
In falsche Hände<br />
Schlussendlich hat auch die CSU<br />
<strong>den</strong> Waffenlieferungen in <strong>den</strong> Irak<br />
zugestimmt. Wahrscheinlich in der<br />
heimlichen Hoffnung, dass das<br />
<strong>Krieg</strong>s gerät früher oder später bei<br />
radikalen Maut-Befürwortern lan -<br />
<strong>den</strong> wird.<br />
PF<br />
Klatsch und Tratsch<br />
Sigmar Gabriel lästerte über Ursula<br />
von der Leyens Presseinszenierungen:<br />
Selbst wenn sie am Kopierer<br />
stehe, schaue sie in die Ferne, soll<br />
er gesagt haben. Ganz schön ge -<br />
wagt für jeman<strong>den</strong>, <strong>den</strong> man am Kopierer<br />
noch nie ohne Schokoriegel<br />
sah.<br />
MB<br />
Lebt<br />
eigentlich<br />
KLAUS<br />
WOWEREIT<br />
noch?<br />
dapd<br />
Was heißt »noch«? Jetzt geht die<br />
Sause erst richtig los! Der Tag ist nah,<br />
auf <strong>den</strong> er so lange gewartet hat. Da<br />
ging es ihm nicht anders als jedem<br />
Arbeitnehmer über Vierzig: Zähne zusammenbeißen,<br />
Energieverbrauch<br />
runterschrauben, Arbeit delegieren<br />
und auf Erlösung hoffen!<br />
Aber Wowereit hat mehr getan. Er<br />
hat in seinem Scheißjob Tango tanzen<br />
gelernt, hat eine tolle Routine<br />
bekommen, Jungs rumzukriegen, hat<br />
seine sagenhafte Pointentechnik<br />
entwickelt und weiß immer, in welche<br />
Kamera er gucken muss. Er hat<br />
Maßanzüge, Schwulenwitze und Prominente<br />
gesammelt. Was <strong>den</strong> Bekanntheitsgrad<br />
beim deutschen Volke<br />
betrifft, liegt er vor Boris Becker und<br />
knapp hinter <strong>den</strong> Wildecker Herzbuben,<br />
was seine Beliebtheit betrifft<br />
noch vor Thilo Sarrazin und Alice<br />
Schwarzer! Praktisch mit allen Comedians<br />
dieses Landes ist er per Du.<br />
Aber auch bei Castorf und Peymann<br />
hat er immer einen Platz in der Kantine.<br />
Braucht er aber gar nicht, <strong>den</strong>n<br />
in sämtlichen Prominentenkneipen<br />
springen die Lakaien herbei und fegen<br />
ein Separee frei, wenn Wowi hereingerauscht<br />
kommt.<br />
Jetzt läuft er zu großer Form auf:<br />
Nach seiner Abschiedsplauderei bei<br />
Sandra Maischberger jubelte die<br />
Weltpresse: »So telegen war er noch<br />
nie!«, »Wowi – reich und sexy« und<br />
»Berliner verlieben sich neu in diesen<br />
tollen Mann!«.<br />
Davon wird er sich hoffentlich<br />
nicht beindrucken lassen und etwa<br />
auf die Galeere zurückehren. Nein, er<br />
wird mit Rolf E<strong>den</strong> ein Unisex-Bordell<br />
aufmachen, mit Udo Walz eine Talk -<br />
show »Klaus&Udo« auf Pro7 mode -<br />
rieren, die Regie bei der Schwulenparade,<br />
die Intendanz des Berliner Ensembles<br />
übernehmen, sich für entsprechende<br />
Magazine ausziehen und<br />
Herausgeber von GQ wer<strong>den</strong>, er wird<br />
für Lagerfeld Bademo<strong>den</strong> präsentieren<br />
und für Rasierwassser werben. »Ich<br />
liebe euch alle, ich liebe doch alle<br />
Menschen, sofern sie Berliner sind«,<br />
wird sein Alters-Credo sein. Nur <strong>den</strong><br />
Mehdorn, <strong>den</strong> wird er nicht mal mit<br />
dem A… angucken.<br />
Mathias Wedel<br />
12 EULENSPIEGEL 10/14
Merkels Instrukteure<br />
bringen im Irak <strong>den</strong><br />
Kur<strong>den</strong> das Schießen bei.<br />
Arno Funke
Zeit<br />
ansagen<br />
Hörfehler<br />
Manche Sachsen, die AfD wählten,<br />
haben wahrscheinlich gehört, dass<br />
man ab dem Wahltermin Gebrauchtes<br />
ohne Zeitbegrenzung zurückgeben<br />
kann. Sie hätten besser hinhören<br />
sollen – gilt nur für Ikea! MF<br />
Leicht zu erheitern<br />
Trübsal blies die NPD in Sachsen,<br />
als sie <strong>den</strong> Wiedereinzug in <strong>den</strong><br />
Landtag verfehlte. Fidel wur<strong>den</strong> die<br />
Kamera<strong>den</strong> erst wieder, als einer<br />
au sgerechnet hatte, dass ihnen 88<br />
Stimmen fehlten.<br />
GP<br />
Krankenhausreif<br />
In Ferguson, Missouri, gehen Polizei<br />
und Nationalgarde mit aller Härte gegen<br />
die Demonstranten vor, die<br />
größtenteils der schwarzen Unterschicht<br />
angehören. Deshalb ist es<br />
ein echter Segen, dass die meisten<br />
von ihnen dank Obama-Care jetzt or<strong>den</strong>tlich<br />
krankenversichert sind. PF<br />
Wahr und Unwahr (2)<br />
Wahr ist, dass Apple nach dem<br />
Nacktfoto-Hackerangriff <strong>den</strong> Diebstahl<br />
privater Daten von Prominenten<br />
als »empörend« bezeichnete.<br />
Unwahr ist, dass Apple die Bereitstellung<br />
von Daten seiner Kun<strong>den</strong><br />
an Geheimdienste als »empörend«<br />
bezeichnete.<br />
Erik Wenk<br />
Neue Liberale<br />
Ehemalige FDP-Mitglieder haben angekündigt,<br />
eine neue liberale Partei<br />
zu grün<strong>den</strong>, die echte liberale Werte<br />
vertritt. Das ist bemerkenswert –<br />
wer hätte gedacht, dass die FDP<br />
noch genügend Mitglieder für eine<br />
Abspaltung hat?<br />
EW<br />
Soziallastenexporte<br />
Neuesten Statistiken zufolge gehen<br />
immer mehr deutsche Rentner ins<br />
Ausland. Flaschensammeln lohnt<br />
sich also doch!<br />
Werner Lutz<br />
Mario Lars<br />
Webmaster<br />
Günther Oettinger wird der neue EU-<br />
Kommissar für die digitale Agenda.<br />
Er zeigte sich bereits sehr erfreut<br />
über die neue Aufgabe: »That’s totally<br />
mei job! Ei always use a digital<br />
clock, and not a clock with Zeigers!«<br />
EW<br />
Clever<br />
»Im Jahr 2020 soll die Renteneinheit<br />
erreicht sein«, verkündete Angela<br />
Merkel kürzlich.<br />
Die Kanzlerin kann eben rechnen.<br />
Sie ist jetzt 60 gewor<strong>den</strong>. 2020 wäre<br />
sie … Genau! Frank B. Klinger<br />
Große Lücke<br />
Die Medienwelt trauert um Peter<br />
Scholl-Latour. Besonders schmerzlich<br />
spüren die Programm-Macher<br />
von ARD und ZDF <strong>den</strong> Verlust. Angeblich<br />
stehen nicht weniger als<br />
sechs der 32 politischen Talkshows<br />
zur Disposition.<br />
PF<br />
Gleich und gleich<br />
Til Schweiger hat Ärger mit Tierschützern,<br />
weil er im Strandurlaub<br />
eine Qualle gequält haben soll. Wissenschaftler<br />
verweisen aber darauf,<br />
dass die hirnlosen Tiere gar keinen<br />
Schmerz empfin<strong>den</strong> können. So war<br />
das Ganze wohl eher eine Auseinandersetzung<br />
auf Augenhöhe. PF<br />
Komischer Vogel<br />
Britische Forscher haben in Experimenten<br />
festgestellt, dass die Elster<br />
gar nicht diebisch ist. Das mag in<br />
England so sein. In Deutschland<br />
heißt das elektroni sche Programm<br />
für die Steuererklärung »Elster«.<br />
FBK<br />
Einst hatten wir ein<br />
Einparteiensystem.<br />
Jetzt haben wir nur noch<br />
Einsystemparteien.<br />
Ove Lieh<br />
Knufflinge<br />
heit in Person. Sie quiekt <strong>den</strong> ganzen Tag vor<br />
Spaß und kugelt sich vor Lachen herum. Mit<br />
<strong>ihr</strong>em Rüssel hat sie ein super Gespür für Schabernack<br />
und lässt keine Gelegenheit für Scherze<br />
Sie heißen Fritzi Feix, Schorschi Schlau, Carla<br />
Cool, Hugo Hui, Donnie Dreist und Wilma aus.« Was hätte Mama Wutz aus der Augsburger<br />
Wuschel. Es handelt sich um süßlich gestylte Puppenkiste dazu gesagt? Öff-öff?<br />
Plüschtiere. »Die sechs süßen Freunde leben im »Immer spielt <strong>ihr</strong> und scherzt? <strong>ihr</strong> müßt! o<br />
PENNY Markt und lieben die Nacht. Kaum ist das Freunde! mir geht dies / in die Seele, <strong>den</strong>n dies<br />
Licht im Markt aus, erwachen sie zum<br />
müssen Verzweifelte nur« (Friedrich Hölder-<br />
Leben und treiben allerhand<br />
Schabernack. Nichts ist vor ihnen<br />
sicher. Aber so wild sie in<br />
der Nacht sind, so ruhig sind<br />
sie am Tag. Still und mit großen<br />
Augen sitzen sie im Regal, als<br />
sei nichts gewesen. Eine gute Zeit,<br />
die Knufflinge zu schnappen. Entweder für<br />
Gol<strong>den</strong>e Worte<br />
VON GERHARD HENSCHEL<br />
14,99 Euro. Oder mit 50 Treuepunkten für nur lin). Man möchte eine Salatgurke, Schlagsahne,<br />
0,99 Euro.«<br />
Mohrrüben und Kakaopulver kaufen und wird unversehens<br />
von <strong>den</strong> drolligen Nachbildungen de-<br />
Die Typisierung der einzelnen, schon rein äußerlich<br />
abstoßend schnuckeligen und frohsinnigen biler Bauernhoftiere angestarrt, die auf Namen<br />
Knufflinge durch die Werbestrategen der Penny- hören, deren Dämlichkeit selbst vierjährige<br />
Märkte ist auch nicht ohne: »Fritzi ist die Albern-<br />
Kinder anwidern muss. Fritzi Feix und Wilma Wuschel!<br />
Und überhaupt – die Knufflinge! Ja, wo leben<br />
wir <strong>den</strong>n? Im Jahre 2014 und unter Erwachsenen<br />
oder – um eines der wenigen klugen Worte<br />
Helmut Kohls aufzugreifen – in einem kollektiven<br />
Freizeitpark?<br />
Alles, was die Knufflinge uns insgeheim sagen<br />
wollen, hat der Publizist Karl Heinz Bohrer bereits<br />
1991 im Merkur anlässlich einer Polemik gegen<br />
die nicht minder bescheuerten ZDF-Mainzelmännchen<br />
enthüllt: »Das putzig-alberne Wesen dieser<br />
charakter- und geschlechtslosen Männlein<br />
enthält ein ideologisches Moment, eine Bot -<br />
schaft. Wenn man be<strong>den</strong>kt, daß es vom Fernsehen<br />
der Nachfolgegesellschaft eines Mord- und<br />
Raubstaats sehr bald erfun<strong>den</strong> wurde, dann<br />
drängt sich zur Erklärung für die Albernheit dieser<br />
Fernsehfiguren doch auch auf: Hier bettelt einer<br />
mit verstellter Stimme um die Entlassung in die<br />
endgültige Regression.«<br />
Das Unglück der Deutschen rühre daher, dass sie<br />
nie einen Hohenzollern geköpft hätten, soll Max<br />
Weber gesagt haben. Ich gebe hiermit eine neue<br />
Parole aus: Les Knufflinge à la lanterne!<br />
14 EULENSPIEGEL 10/14
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Marke ting<br />
Die sanfte Regierung<br />
Da beschließt die Bundesregierung<br />
ein Spitzengesetz nach dem anderen,<br />
doch was passiert? Keiner hält<br />
sich daran. Eine im Koalitionsvertrag<br />
von CDU, CSU und SPD festgeschriebene<br />
Maßnahme soll dem<br />
endlich entgegenwirken. Es handelt<br />
sich dabei um die, wie es im Vertrag<br />
heißt, »ressortübergreifende Strategie<br />
›Wirksam und vorausschauend<br />
regieren‹«. Eine revolutionäre Vorgehensweise,<br />
die die bisher gültige<br />
Strategie »Ineffektiv, lustlos und<br />
rückwärtsgewandt herumlavieren«<br />
komplett ersetzen soll.<br />
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung<br />
nun die »Projektgrup -<br />
pe Wirksam Regieren« ins Leben gerufen<br />
und Verhaltensbiologen, Psychologen<br />
und Hypnotise ure als Berater<br />
einge stellt. Sie sollen Konzepte<br />
entwickeln, wie der Bürger<br />
ohne Verbote, Verordnungen und<br />
blindlings auf alles draufknüppeln -<br />
de Bullen dazu gebracht wer<strong>den</strong><br />
kann, sich so zu verhalten, wie es<br />
sich die Frau Kanzlerin wünscht.<br />
Und der Clou dabei: Die Bürger sollen<br />
es nicht merken.<br />
»So ungewöhnlich, wie es klingt,<br />
ist das gar nicht«, sagt Sören<br />
Stadlhuber, der Inhaber der Kneipe<br />
»Zur bleiernen Gans«. Er arbeitet<br />
schon seit einigen Jahren mit <strong>den</strong><br />
Beratern zusammen, die jetzt von<br />
der Regierung engagiert wur<strong>den</strong>.<br />
»Bei mir läuft die Aktion unter dem<br />
Motto ›Wirksam bewirten‹«, erklärt<br />
Stadlhuber. Es fing damit an, dass<br />
er auf Geheiß der Berater, die bei<br />
ihm regelmäßig <strong>den</strong> Frust über <strong>ihr</strong>e<br />
idiotische Arbeit betäuben, in die<br />
Pissoirs seiner Kneipe kleine Plastiktore<br />
legte, an deren Latte ein<br />
Plastikbällchen baumelt. Durch <strong>den</strong><br />
Anreiz, <strong>den</strong> Ball zu treffen, gingen<br />
Stadlhubers Messungen zufolge<br />
ganze fünf Prozent Urin weniger daneben.<br />
Der Wirt freut sich über diesen<br />
Erfolg: »Seitdem muss ich das<br />
Scheißhaus praktisch gar nicht<br />
mehr putzen!« – Eine klassische Vorgehensweise:<br />
Durch einen kleinen<br />
Anreiz und ganz ohne die für Männertoiletten<br />
typischen Hinweise wie<br />
»Tritt näher, er ist kürzer, als du<br />
<strong>den</strong>kst!« oder »Geiler Spanier will<br />
dir einen blasen, immer hier montags<br />
um acht!« wird ein gewünschtes<br />
Verhalten erzielt.<br />
Baugenehmigungen<br />
für Großraumbordelle<br />
»Entwickelt wurde diese Idee der<br />
indirekten Verhaltenssteuerung unter<br />
dem englischen Namen ›nudge<br />
theory‹«, erklärt Stadlhuber. »›Nud -<br />
ge‹ bedeutet so viel wie ›anstupsen‹,<br />
<strong>den</strong>n genau das soll gemacht<br />
wer<strong>den</strong>: Der Kneipenbesucher wird<br />
durch einen kleinen Stupser in die<br />
richtige Richtung, also näher an die<br />
Keramik geführt.« Stadlhuber stellt<br />
aber auch klar: »Wenn einer auf die<br />
Theke göbelt, bleibt es natürlich<br />
nicht bei einem Stupser, da gibt’s<br />
amtlich was auf die Fresse!«<br />
Ob die Regierung in ähnlich gelagerten<br />
Fällen verfahren wird wie<br />
Stadlhuber, wird sich erst noch zeigen.<br />
Bisher wird von Regierungsseite<br />
jedoch betont, dass man beim<br />
»Nudging« darauf achten werde,<br />
dass der Bürger nicht gezwungen<br />
wird, sich richtig zu verhalten, sondern<br />
auch immer die Wahl hat, sich<br />
anders zu entschei<strong>den</strong> und dann<br />
eben mit <strong>den</strong> Konsequenzen leben<br />
und sich ständig anhören muss, wie<br />
brunzdumm er doch ist, weil er sich<br />
von der Regierung nicht hat anstupsen<br />
lassen.<br />
Manche Arbeitsgruppen der einzelnen<br />
Ministerien haben bereits<br />
erste Vorschläge vorgelegt. Sie zeigen,<br />
wie vielfältig die Ansätze des<br />
»Nudging« sein können. Das Gesundheitsministerium<br />
beispielswei -<br />
se will dem Ärztemangel auf dem<br />
Land mit einer ähnlichen Methode<br />
begegnen, wie sie Stadlhuber für<br />
seine Toiletten gewählt hat. Der<br />
Plan der Arbeitsgruppe sieht vor,<br />
mit dem Bau von Golfplätzen, der<br />
finanziellen Förderung von Reitgestüten<br />
und dem freizügigen<br />
Erteilen von Baugenehmigungen<br />
für Großraumbordelle <strong>den</strong> Strom<br />
der Medizinabsolventen von <strong>den</strong><br />
pulsieren<strong>den</strong> Städten in ländliche<br />
Gegen<strong>den</strong> umzuleiten.<br />
Eine Kasse des Vertrauens<br />
an der Autobahnauffahrt<br />
Da <strong>den</strong> Beratern Stadlhubers Knei -<br />
pe immer auch als Versuchslabor<br />
diente, lässt sich dort eine weitere<br />
Methode beobachten. Um seine<br />
Kun<strong>den</strong> an sich zu bin<strong>den</strong>, nutzte<br />
Stadlhuber die Tatsache aus, dass<br />
der Mensch Routinen nur ungern<br />
aufgibt. Darauf aufbauend tauschte<br />
Stadlhuber die üblichen 2cl-Schnaps -<br />
gläser gegen 4cl-Gläser und verlangte<br />
<strong>den</strong> doppelten Preis. Aus alter<br />
Gewohnheit wur<strong>den</strong> <strong>den</strong>noch<br />
nicht weniger Schnäpse getrunken.<br />
Der Umsatz stieg, und auch <strong>den</strong> Gästen<br />
gefiel es. – Eine Metho de, die<br />
sich das Wirtschaftsministerium zu<br />
eigen machen möchte, indem es<br />
beim Kauf eines Küchenradios <strong>den</strong><br />
gleichzeitigen Kauf eines Neuwagens<br />
steuerlich begünstigt.<br />
Eine Methode, die sich bei Stadl -<br />
hu ber nicht durchsetzen konnte,<br />
nypost.com<br />
Achtung, auch der Gegner beherrscht die »weiche Masche«!<br />
Ein kleiner Stups – schon sieht man wieder klarer.<br />
16 EULENSPIEGEL 10/14
wird im Verkehrsministerium geplant.<br />
Sollte es mit der Maut so<br />
wie vorgesehen nicht klappen, so<br />
wolle man wenigstens an jeder Autobahnauffahrt<br />
eine Kasse des Vertrauens<br />
aufstellen.<br />
Im Sozialministerium wiederum<br />
macht man sich Gedanken um die<br />
private Altersversorgung der Menschen.<br />
Verhaltensuntersuchungen<br />
zeigen nämlich, dass viele Bürger<br />
nur an sich <strong>den</strong>ken und damit gegen<br />
die Interessen der Versicherungsbranche<br />
handeln. Um die<br />
Leu te <strong>den</strong>noch zum Abschluss einer<br />
sinnlosen privaten Rentenversicherung<br />
zu bewegen, will das Ministerium<br />
ausnutzen, dass der Bürger<br />
Passivität dem aktiven Han -<br />
deln meist vorzieht: Wer in Zukunft<br />
bei seiner Geburt nicht schriftlich<br />
Einspruch erhebt, zahlt demnach<br />
automatisch ein Leben lang zwanzig<br />
Prozent seines Einkommens in<br />
die private Rentenversicherung.<br />
Ebenfalls schon bei Stadlhuber<br />
findet sich die bewährte Taktik, gezielt<br />
Gruppendruck aufzubauen,<br />
um dem Einzelnen sein Fehlverhalten<br />
vor Augen zu führen. Stadlhuber<br />
spricht zu diesem Zweck einzelne<br />
Gäste an, zum Beispiel so:<br />
»Günni und Bert haben jeweils<br />
schon die neunte Halbe, und du<br />
nuckelst noch am siebten rum, du<br />
Nulpe. Ich schenk schon mal ein,<br />
gell?« Derlei psychologische Tricks<br />
verfehlen selten <strong>ihr</strong>e Wirkung.<br />
Auch das Finanzministerium legt<br />
nun erste Pläne vor. Dort will man<br />
Plakate drucken lassen und Zeitungsanzeigen<br />
schalten, in <strong>den</strong>en<br />
Uli Hoeneß und Alice Schwarzer<br />
abgebildet sind mit dem Slogan:<br />
»Wir haben es gemacht und bereuen<br />
nichts – nutzen auch Sie die<br />
Selbstanzeige!«<br />
Bürger, die vor dieser Art der<br />
sanften Manipulation durch <strong>den</strong><br />
Staat Angst haben, können jedoch<br />
beruhigt sein. Denn so neu, wie<br />
sich diese Methode des »Wirksamen<br />
Regierens« gibt, ist sie bei Weitem<br />
nicht. Nicht nur dass sie seit<br />
einigen Jahren schon in <strong>den</strong> USA<br />
und in Großbritannien angewendet<br />
Christen an Pfählen aufhängen<br />
und anzün<strong>den</strong><br />
wird, auch die alten Römer setzten<br />
bereits darauf, das Volk sanft zu<br />
leiten, ohne dass es ihm bewusst<br />
wurde. So war bereits Kaiser Nero<br />
ein großer Verfechter des »Nudging«.<br />
Ähnlich <strong>den</strong> abschrecken -<br />
<strong>den</strong> Bildern auf <strong>den</strong> Zigarettenpackungen<br />
heute, machte er sei ne<br />
Bürger auf die Gefahren des Christentums<br />
aufmerksam, indem er an<br />
der Via Appia Christen an Pfählen<br />
aufhängen und anzün<strong>den</strong> ließ. Auf<br />
diese Weise brachte er viele römische<br />
Bürger wieder zurück auf <strong>den</strong><br />
rechten Weg – ganz ohne Gesetze<br />
und Verordnungen. Und wieso<br />
sollte unter Merkel nicht funktionieren,<br />
was schon unter Stadlhuber<br />
und Nero funktioniert hat?<br />
Gregor Füller<br />
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Mo, 03. 11. 2014 Neu-Isenburg · Hugenottenhalle<br />
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EULENSPIEGEL 10/14 17<br />
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Suck it,<br />
bitch!<br />
Ausnahmeregelung für Blondinen: Alte 2000-Watt-Staubsauger dürfen weiterhin verwendet<br />
wer<strong>den</strong>, wenn man <strong>den</strong> Stecker nicht reinsteckt.<br />
Fotolia (2)<br />
Kaum ist das EU-Parlament gewählt, wird es<br />
auch schon wieder frech. Opfer der Regulierungswut<br />
sind diesmal die Hausfrauen, die in<br />
Zukunft unter Wollmäusen begraben wer<strong>den</strong>.<br />
Denn Brüssel verbietet leistungsstarke, stromfressende<br />
Staubsauger. – Reine Schikane oder<br />
böswillige Bevormundung? Was Sie als Staubsaugerbenutzer<br />
jetzt wissen müssen.<br />
Wird meine Wohnung mit<br />
einem 1 600-Watt-Staubsauger<br />
auch sauber?<br />
Ja! Aber besser ist es, Sie reinigen sie<br />
nicht allzu gründlich. Besonders sau -<br />
bere Wohnungen machen Sie ver däch -<br />
tig, ein Importgerät über 1 600 Watt zu<br />
beherbergen. Sie laufen dann Gefahr, unliebsamen<br />
Besuch von der europäi -<br />
schen Wattex-Agentur zu erhalten, die<br />
es sich zur Aufgabe gemacht hat, Auslandsgeräte<br />
aufzuspüren, um sie in <strong>ihr</strong>e<br />
Herkunftsländer zurückzuführen.<br />
Gibt es alternative<br />
Geräte?<br />
Alternativen lässt die EU nicht zu. Wer<br />
illegal einen benzinbetriebenen Laubbläser<br />
zum Staubsauger umrüstet oder<br />
im Haushalt einen dieser Sauger be -<br />
nutzt, mit <strong>den</strong>en die Stadtreinigung Hundekot<br />
einsammelt, darf zwei Monate<br />
lang nur feucht durchwischen.<br />
Welche Konsequenzen<br />
gibt es für das<br />
Sexualleben?<br />
Männer, die in einer Beziehung zu einem<br />
Staubsauger <strong>ihr</strong>e sexuelle Erfüllung gefun<strong>den</strong><br />
haben, müssen sich vor einer<br />
Trennung bewusst sein, dass sie nie wieder<br />
eine so aufregende Partnerin wie<br />
<strong>den</strong> mit 3000 Watt betriebenen »Multipower<br />
8065« von Cleanmaxx haben wer<strong>den</strong>.<br />
Wie entsteht ein Staubsaugergesetz?<br />
Wie jedes EU-Gesetz durchlaufen<br />
Staubsaugerverordnungen<br />
ein kompliziertes Verfahren: Die<br />
EU-Kommission erarbeitet einen<br />
Gesetzesvorschlag, <strong>den</strong> das Parlament<br />
ablehnt. Lehnt das Parlament<br />
<strong>den</strong> Vorschlag nicht ab,<br />
muss er vom Ministerrat, in dem<br />
die Regierungen der Beitrittsländer<br />
das Sagen haben, abgelehnt<br />
wer<strong>den</strong>. Versäumen beide Institutionen,<br />
das Gesetz abzulehnen,<br />
weil sie gerade von wichtigen<br />
Lobbyistengesprächen abgelenkt<br />
sind, gilt es als erlassen.<br />
Es wird eine Frist eingeräumt,<br />
um Henryk M. Broder die Möglichkeit<br />
zu geben, sich über die<br />
neue Verordnung zu echauffieren.<br />
Danach tritt sie in Kraft. Henryk<br />
M. Broder hat nun laut <strong>den</strong><br />
Lissabonner Verträgen eine unbefristete<br />
Möglichkeit, sich darüber<br />
erneut zu echauffieren.<br />
Spaßbremse EU: Solch unbeschwer -<br />
te Momente gehören nun der<br />
Vergangenheit an.<br />
Gibt es Ausnahmen<br />
für Haustiere?<br />
Tipp vom Fachmann<br />
Wenn Sie Ihren Haushalt<br />
komplett mit neuen Elektrogeräten<br />
ausstatten, sparen<br />
Sie bis zu 35 % Energie.<br />
Wenn Sie dann auch noch<br />
die Raten für die vielen<br />
neuen Elektrogeräte nicht<br />
mehr zahlen können und in<br />
eine Holzhütte im Wald ziehen,<br />
können es sogar bis zu<br />
100 % sein.<br />
Vollautomatische Saugroboter mit einer<br />
Leistung über 1600 Watt, die selbstständig<br />
<strong>den</strong> Dreck von einer Ecke in die andere<br />
schieben, dürfen weiterhin als<br />
Spielzeug für Hunde und Katzen ver -<br />
kauft wer<strong>den</strong>.<br />
Aussicht<br />
Ziel der EU ist es, bis Juli 2120 Staubsauger<br />
grundsätzlich abzuschaffen. Jeder<br />
EU-Bürger soll bis dahin nur noch 5<br />
Gramm Staub in der Woche produzieren<br />
dür fen, der dann nicht mehr weg ge -<br />
saugt wer<strong>den</strong> muss, sondern bequem<br />
unter <strong>den</strong> Teppich gekehrt oder mit einem<br />
antistatischen Tuch (statische Tücher<br />
produzieren Elektrizität, wodurch<br />
Abgaben als Stromproduzent fällig wer<strong>den</strong>)<br />
weggewischt wer<strong>den</strong> können.<br />
Gregor Füller / Andreas Koristka<br />
18 EULENSPIEGEL 10/14
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Unsere<br />
Besten<br />
Ein Gespenst geht um auf dem Globus, wo durch Herausgabe einer persönlichen Niere endlich<br />
einmal wieder in Deutschland weltweit wahr-<br />
Muallim die Kooperation mit Syrien auf eine hö-<br />
gebracht, hatte mit seinem Amtsbruder Walid aler<br />
besonders dünn ist, das Gespenst Frank-<br />
Walter Steinmeier. Wo eine Krise aufplatzt genommen wer<strong>den</strong>.<br />
here Drehzahl gebracht, hatte <strong>den</strong> US-amerikanischen<br />
oder ein Staat über die Ufer tritt, wo eine strategisch<br />
wichtige Region undicht wird oder Menschenrechte<br />
zu versan<strong>den</strong> drohen, der Außenminister<br />
Danach aber war er drei Jahre lang tot. Wie es<br />
um ihn bestellt war, illustriert der Tatbestand,<br />
dass er seine leere Zeit mit dem Zusammenbau<br />
Auslandsgeheimdienst – dessen Lizenz<br />
zum Absaugen er noch als Schröders Hausdiener<br />
im Kanzleramt mit eigenen Hän<strong>den</strong> bewilligt<br />
ist schon da; wo immer ein Thema mit eines Liederbuchs zum Weihnachtsfest füllen hatte – still weiterschlotzen lassen.<br />
übernationalem Schnittmuster aus dem Bo<strong>den</strong><br />
wächst, ein Treffen mit <strong>den</strong> sauberen Kollegen<br />
aus anderen erstklassigen Ländern über die<br />
Bühne zu schieben ist und fette Kameras in Stellung<br />
gebracht wer<strong>den</strong>, der deutsche Kissinger<br />
kommt und winkt mit sich selbst vom Bildschirm.<br />
Während die bis eben im Amt befindliche EU-<br />
Außenbeauftragte Catherine Ashton sich offenkundig<br />
zu Hause im Bad eingesperrt hatte, ist<br />
der von der eigenen Bedeutung aufgeblähte Repräsentant<br />
eines dick und schwer gewor<strong>den</strong>en<br />
Deutschland unermüdlich im Einsatz. Stimmen<br />
mit medienkritischer Schlagseite behaupten, es<br />
musste, dessen Erscheinen am 30.8.2013 fast<br />
vollständig hinter dem verlängerten Rücken der<br />
Öffentlichkeit geschah.<br />
Da war es fast eine zum Zerspringen große<br />
Freude, dass er kurz danach wirklich von bis an<br />
die Zähne mit Fragen bewaffneten Journalisten<br />
belagert wurde. Auf sage und abschreibe 95 von<br />
395 Seiten seiner legen<strong>den</strong>umwobenen Doktorarbeit<br />
von 1991 über »Polizeiliche Traditionsreste<br />
in <strong>den</strong> Randzonen sozialer Sicherung. Eine Untersuchung<br />
des administrativen Instrumentari -<br />
ums zur Intervention bei Obdachlosigkeit« hatte<br />
man undichte Textstellen gefun<strong>den</strong>. Als Plagiat<br />
Aber 2013 hatte sich der Globus umgekehrt.<br />
Und ein SPDler ist biegsam genug, um sich dem<br />
Gegenteil ohne Delle anzuschmiegen! Steinmeier<br />
brauchte keine Extraeinladung irgendeiner offiziellen<br />
Stelle, um sich sofort nach Kiew zu begeben,<br />
auf dem Maidan Bonbons zu verteilen und<br />
<strong>den</strong> Demonstranten die Füße zu waschen (selbstre<strong>den</strong>d<br />
nur <strong>den</strong>en, die vorher eine Prüfung in<br />
staatsbürgerlicher Staatsbürgerkunde bestan<strong>den</strong><br />
hatten), Vitali Klitschko als verlängerten Arm und<br />
Bürgermeister zu segnen sowie der neuen, <strong>den</strong><br />
Westen anbeten<strong>den</strong> ukrainischen Regierung gegen<br />
<strong>den</strong> Russki beizustehen.<br />
handele sich bei Steinmeier nur um einen Avatar<br />
oder ein Hologramm. Doch anders, als der platte<br />
Monitor glauben macht, lebt der hier zur Debatte<br />
stehende Steinmeier auch in der objektiven Wirklichkeit<br />
und ist tatsächlich aus Fleisch und Blut<br />
zusammengesetzt wor<strong>den</strong>. Steinmeier ist nämlichEr ist all dor<br />
nicht nur an jedem Ort des äußeren Universums<br />
anzutreffen. Sein Vorkommen ist auch in der inneren,<br />
leibhaftigen Heimat belegt.<br />
Am 26. August 2014 beispielsweise wurde er<br />
in Pritzerbe, Premnitz, Mögelin und Rathenow<br />
gesichtet. Vier Tage zuvor wurde er in Reetzerhütten<br />
beobachtet, im Juli haben Zeugen ihn im<br />
Publikum der »Senior Canoe Sprint European<br />
Championships« ausgemacht (Alter Kanu Schnelllauf<br />
Europäisch Meisterschiffe), auch in Kirchmöser/Plaue<br />
und Michendorf wurde er im Sommer<br />
entdeckt.<br />
Egal, wo auf Gottes weiter Erdkugel man sich<br />
aufhält, Steinmeier ist all dor. Fast ist man erleichtert,<br />
dass man wenigstens auf der Toilette<br />
allein ist. Dort sitzt zwar schon Catherine Ashton,<br />
aber sie schweigt wenigstens von Kopf bis Fuß.<br />
Steinmeier hingegen schwimmt im Glanze seines<br />
Glückes. Welch ein Umschwung im Leben eines<br />
Mannes aber auch, der fast vom Erdbo<strong>den</strong><br />
verschluckt wor<strong>den</strong> war, nachdem er im September<br />
2009 die Bundestagswahl gegen seine Herausforderin<br />
Angela Merkel durch K.o. verloren<br />
hatte! Seine politische Karriere schien wie ein<br />
Kartenhaus bis auf <strong>den</strong> letzten Tropfen ausgelutscht,<br />
und die bürgerliche Laufbahn als Advokat,<br />
als der er im selben Dezember sich beim Landgericht<br />
Berlin in die Anwaltsrolle hatte ritzen lassen,<br />
war schon beim Startschuss vertrocknet.<br />
Obendrein konnte er im August 2010 lediglich<br />
in <strong>den</strong> von Guttenberg und Schavan begründeten<br />
Kanon aufgenommen wurde die Dissertation<br />
gleichwohl nicht, weil die Prüfungskommission<br />
der Universität Gießen rechtzeitig erkannte, dass<br />
in der Tat bloß 95 von 395 Seiten faul sind –<br />
sowie, dass gerade eine Bundestagswahl abgewickelt<br />
wor<strong>den</strong> war, die dem eben noch dem Untergang<br />
Geweihten die Chance auf eine majestätische<br />
Wiederauferstehung eröffnete. Da wollte<br />
man nicht an dem namhaften Ziehsohn herumkratzen.<br />
In der Tat: Am 17. Dezember 2013 intervenierte<br />
Angela Merkel gegen Steinmeiers drohende<br />
Obdachlosigkeit und hob ihn administrativ<br />
ins Außenamt zurück.<br />
Bereits 2005 bis 2009 hatte Steinmeier dort<br />
gesiedelt und jene Fundamente geknüpft, die er<br />
nun, um wie gewohnt im Bild zu bleiben, wiederaufzurichten<br />
gedachte. Zugleich hoffte er, seinen<br />
alten Berufswunsch weiterzuspinnen: Nicht ein<br />
das Leben trockenlegender Jurist, sondern ein in<br />
großen Farben schillernder Architekt hatte er eigentlich<br />
wer<strong>den</strong> wollen. Der Traum war fast verdorrt,<br />
doch jetzt glaubte er, sich dank des hochaufgetürmten<br />
Gewichts Deutschlands zum Baumeister<br />
der Erdkugel aufschwingen zu können.<br />
Das internationale Parkett hatte sich zwar gedreht.<br />
In seinem ersten Leben als Deutschlands<br />
Mann an der Außenbahn hatte Steinmeier die Zusammenarbeit<br />
mit Putins Zarenreich zum Blühen<br />
Anknüpfen konnte Steinmeier immerhin an eines:<br />
Schon während seiner alten Amtszeit wur<strong>den</strong><br />
deutsche Feuerwaffen weiter, größer und schnel -<br />
ler über die Weltkugel gestreut. Nun, im September<br />
2014, dürfen erstmals deutsch sprechende<br />
Rüstungsgüter in ein echtes <strong>Krieg</strong>sgebiet einziehen.<br />
Gern genommener Anlass: Das islamische<br />
Kalifat, so die gut geölte Formulierung, »ist eine<br />
Bedrohung für die Menschen« – alle schrä gen<br />
Existenzen, die sich nicht bedroht fühlen, sind<br />
also keine und dürfen ab dem 1. September pulverisiert<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Scheinbar wäre es das erste Mal, dass Steinmeiers<br />
Weltpolitik eine Auswirkung auf dieselbe<br />
hätte: Äußerlich sieht es stets aus, als rotiere er<br />
24 Stun<strong>den</strong> am Tag, während der Erdball unbeeindruckt<br />
weiterrollt. Die Wahrheit: Frank-Walter<br />
Steinmeier strebt auf leisen Pfoten nach der Weltherrschaft<br />
für Frank-Walter Steinmeier! Unlängst<br />
nahm er schon an einer Sitzung der französischen<br />
Regierung teil, die ohne ihn nicht mehr weiß, wo<br />
auf dem Planeten Erde hinten und vorn ist. Und<br />
wenn selbst die USA demnächst noch tiefer in<br />
die Ratlosigkeit rutschen, wenn ein befreundeter<br />
Staat ins Eiern gerät, ein Kontinent porös wird<br />
oder sich ein Loch im Universum auftut, ist das<br />
die überlebensgroße Chance für <strong>den</strong> Globalarchitekten<br />
Steinmeier!<br />
Peter Köhler<br />
20 EULENSPIEGEL 10/14
Frank Hoppmann<br />
EULENSPIEGEL 10/14 21
Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft<br />
lebet der Einzelseele Kraft.<br />
Rudolf Steiner<br />
Das letzte Fleckchen fr<br />
Wo Mitte am mittigsten ist, wo sich U- und Straßenbahnen,<br />
Bus- und Flugrouten kreuzen, wo<br />
die Gas-, Wasser-, Scheiße-Röhren, Strom, Te -<br />
lefon und Internet <strong>ihr</strong>e verknotetsten Knoten haben,<br />
wo es temperierte, dezent beleuchtete Tunnel<br />
für Geheimdienstler geben soll, wo der Quadratmeter<br />
Hauptstadt heute ein Vermögen kostet<br />
und morgen vielleicht nur noch von Emiren erworben<br />
wer<strong>den</strong> kann, dort – bei <strong>den</strong> Mülltonnen<br />
vor dem Fahrradkäfig, an der Mauer, hinter der<br />
die S-Bahn in <strong>den</strong> Tunnel rauscht, gibt es ein<br />
Stück einstigen Trümmerbo<strong>den</strong>s, das kein Investor,<br />
keine Bank, nicht die Stadt und nicht die<br />
BRD besitzt – vielleicht das letzte Stück Berlin,<br />
das laut Grundbuch »irgendwie« dem Volke gehört<br />
... also ungeheuer kostbar!<br />
Aber auch ausgesprochen klein, nicht größer<br />
als ein geräumiges Wohnzimmer; mehr gehört<br />
dem Volke eben nicht. Das Volk, das sind wir –<br />
eine Mietergenossenschaft. Es versteht sich,<br />
dass wir diesen kostbaren Flecken Erde nicht einem<br />
frem<strong>den</strong> Volk – <strong>den</strong> Ratten nämlich – überlassen<br />
wollten, das wäre deka<strong>den</strong>t, befan<strong>den</strong><br />
wir mehrheitlich.<br />
»Also, Genossen« (so re<strong>den</strong> wir lustigerweise<br />
miteinander), »lasst es uns annehmen, dieses<br />
Geschenk, diesen glücklichen Zufall der deutschen<br />
Geschichte, diesen Schatz! Lasst ihn uns<br />
urbar, nutzbar, erfahrbar machen – für uns und<br />
Bernd Zeller<br />
Mele Brink<br />
für die Kinder«, so Uwe, ein Altachtundsechziger<br />
und Mitglied im Vorstand. Er meinte alle, aber<br />
nur die überaus agile Clique der Anthroposophen,<br />
die sich selbstverliebt »Anthros« nennen, wurde<br />
aktiv. Das sind die, die »ganz bewusst« keinen<br />
Fernseher haben, <strong>ihr</strong>en Sauerteig auf dem Fensterbrett<br />
selbst herstellen, <strong>ihr</strong>e Kinder auf dem<br />
Hof nackt herumlaufen lassen und »aus Verantwortung«<br />
kein Deo benutzen. An langen Aben<strong>den</strong><br />
des Schweigens unter der Genossenschaftskastanie<br />
haben sie für unseren Grundbesitz eine<br />
»Vision« entwickelt. Da möge ein Ort der »nachsinnen<strong>den</strong><br />
Stille« entstehen, der Kontemplation,<br />
der Transzen<strong>den</strong>z und der (stimmlosen) Zwiesprache<br />
mit der Natur – vor allem für die Kinder,<br />
weil die sowas bekanntlich mögen.<br />
Ihre Kinder vielleicht! Die Anthro-Kids auf dem<br />
Hof haben selbstgeschnitztes Holzspiel zeug, gehen,<br />
falls sie Lust dazu haben, in Kindergärten,<br />
in <strong>den</strong>en sie die Nützlichkeit von Toilettenpapier<br />
»selbst entdecken« dürfen (oder eben nicht), und<br />
haben eine fahle Farbe von kiloweise Trockenobst,<br />
auf das sie abfahren wie andere Gören auf<br />
Haribo oder Schokoriegel.<br />
In der nächsten Phase musste sich die anthroposophische<br />
Vision »modellhaft materialisie -<br />
ren«, d. h. für <strong>den</strong> Pöbel musste was gebastelt<br />
wer<strong>den</strong>. Eines Tages stand er auf dem Holztisch,<br />
an dem bei schönem Wetter die Mütter stillen:<br />
der »Tempel der Stille mit Barfußpfad und Traumfänger«,<br />
gebaut aus Streichhölzern, Rin<strong>den</strong> -<br />
mulch, Kieselsteinen sowie fair gehandelten Bohnen<br />
und wahrscheinlich mit Elmars, eines Heilpraktikers,<br />
Speichel zusammengeklebt.<br />
»Wat dett soll«, solle <strong>ihr</strong> bitte mal einer erklären,<br />
raunte die Anja, schichtarbeitende Doppelmutter.<br />
Das war das Stichwort für Elmar. Der Tempel<br />
könne auch sie zurück zu <strong>ihr</strong>er Natur bringen,<br />
<strong>den</strong> Kontakt zwischen Seele und Universum her-<br />
22 EULENSPIEGEL 10/14
eie Erde<br />
Karsten Weyershausen<br />
stellen. »Mir würde reichen, wenn ick Kontakt<br />
zum Erzeuger meiner Kinder kriejen würde, die<br />
Sau zahlt ja nich.« Glücklicherweise haben die<br />
Anthros auch Leute in <strong>ihr</strong>en Reihen, die sich <strong>den</strong><br />
Ungläubigen mitteilen können. Und so sagte Ruth<br />
(promovierte Historikerin): »Hier kannste mal in<br />
Ruhe abhängen.« Das saß!<br />
Ruhe ist bei uns nämlich ein großes Thema.<br />
Zwar leben wir mitten in der Großstadt und halten<br />
ständig die iPhones ans Ohr, aber ein bellender<br />
Hund, ein schreiendes Kind, eine klirrende Kaffeetasse<br />
bringen die Anthros aus der seelischen<br />
Balance. Staubsaugen bei geöffneter Balkontür<br />
– darauf steht Enthauptung durch die schwingende<br />
Kinderschaukel! Feinstaub, der durch<br />
Staubsaugen verbreitet wird, muss anschließend<br />
im Wohnhof eingesammelt wer<strong>den</strong>.<br />
Wir haben uns an die sensiblen Ohren unserer<br />
Nachbarn gewöhnt und brüllen uns nur noch<br />
bei geschlossenen Fenstern oder auf dem Spielplatz<br />
an.<br />
Toleranz wird bei uns großgeschrieben. Es hat<br />
auch keiner gelacht über Elmars gebasteltes<br />
Streichholzmodell. Nur als er verkündetete, dass<br />
wegen der enormen Materialkosten das Sommerfest<br />
ausfallen und der Winterdienst eingestellt<br />
wer<strong>den</strong> müsse, lachten einige Genossen hysterisch<br />
auf.<br />
Die Anthros mussten feststellen, dass Seelebaumeln<br />
gewissen Leuten keinen Mehrwert verspricht.<br />
Der Tempel der Stille musste einen »utilitaristischen<br />
Reiz« (Ruth), also seine Nützlichkeit<br />
verheißen. Sollte er nicht »Energien bündeln«<br />
und quasi ein Handy-Mast für die Seele sein (ohne<br />
Seele geht es eben nicht)? Ein Teil der Mer -<br />
kelschen Energiewende also? Na, bitte! Und was<br />
das Geld betrifft: Wenn nackte Kinderfüß chen auf<br />
kostbarem Islandkies <strong>den</strong> Traumpfad bewandern,<br />
wird niemand mehr meckern.<br />
Plötzlich hatten einige Genossen doch Gegenvorschläge,<br />
die auch diskutiert wer<strong>den</strong> sollten.<br />
Ein regelrechter Rundmailterror begann:<br />
• Eine geflieste Ecke für Hausschlachtungen, die<br />
allen Hygienebestimmungen standhält<br />
• eine FKK-Wiese mit Gartendusche<br />
• eine Halfpipe<br />
• ein (schallgedämmter) Kleinkaliber-Schießplatz<br />
• eine Teppichausklopfstange (mit Staubfangautomatik),<br />
an der die Männer auch Klimmzüge<br />
machen können<br />
Die Abstimmung stand bevor, und die Anthros<br />
sam melten <strong>ihr</strong>e Kräfte. Sie sprangen aus Gebüschen<br />
und überreichten Genossinnen Sträußchen<br />
eigenhändig gezogener Gartenkräuter, richteten<br />
einen Treppendienst ein, der Müttern die Kinder<br />
und Aldi-Tüten in <strong>den</strong> Fünften trug und ver such -<br />
ten sich unbeholfen in Smalltalk: »Wie geht es<br />
deinem Karma heute?«<br />
Elmar verantwortete die Rundmails, war aber<br />
nicht sehr geschickt: »Stimmt für <strong>den</strong> Tempel der<br />
Stille! Wir wer<strong>den</strong> uns auch nicht mehr über euer<br />
Gebrüll und eure Hundescheiße beschweren.«<br />
Am Abend der Abstimmung versammelten sich<br />
die Anthros im Kreis auf der Freifläche, legten<br />
ein ander die Arme auf die Schultern und<br />
summten sich Energie zu. Wir schmissen unsere<br />
Zettelchen in einen Korb auf dem Stilltisch im<br />
Hof, und dann wussten wir nicht weiter. Doch als<br />
wir sahen, wie Elmar, das Streichholzmodell unterm<br />
Arm und von Ruth gestützt, über <strong>den</strong> Hof<br />
schlurfte, wuss ten wir: Die Anthros hatten haushoch<br />
verloren! Aus einigen Fenstern flogen Polenböller.<br />
Noch am selben Abend soll Elmar das<br />
Referendum jedoch bei Uwe angefochten haben:<br />
Die Mond phase sei ungünstig gewesen, das habe<br />
der Pöbel ausgenutzt.<br />
Wochen gingen ins Land, und die Trümmerbrache<br />
blieb unbeackert bzw. wurde langsam zugeschissen.<br />
Da ergriff Uwe, Maos Losung »Eine Tat<br />
ist mehr als tausend Gefangene« im Sinn, die Initiative<br />
und baute zusammen mit einem Kumpel,<br />
<strong>den</strong> er aus der U-Haft kannte, einen Grillplatz mit<br />
Räucherofen und Bierbänken, der sich sehen lassen<br />
konnte. Und Elmar schrieb seine letzte Rundmail:<br />
»Das Leben ist eine Schule ...! Wohl dem, der<br />
die Prüfung besteht ... Rudolf Steiner«<br />
Vielleicht ist es doch gut, dass Grund und<br />
Bo<strong>den</strong> nicht dem Volke gehören – das kann sich<br />
ja nicht mal zwischen Bier und Bratwurst und stiller<br />
Zwiesprache mit der Natur entschei<strong>den</strong>!<br />
Felice von Senkbeil<br />
EULENSPIEGEL 10/14 23
24 EULENSPIEGEL 10/14
Zeit geist<br />
Beck<br />
EULENSPIEGEL 10/14 25
Anzeige
Fanal mitApfel<br />
Leben unter der Blockade<br />
Der Kalte <strong>Krieg</strong> ist zurück in Europa und mit ihm die<br />
Blockade. Doch während Stalin West-Berlin 1948 am<br />
langen Arm verhungern lassen wollte, setzt Putin<br />
auf eine perfidere Taktik: Er hat einen EU-Importstopp<br />
erlassen, auf dass wir selbst an unseren hochwertigen<br />
Produkten made in Germany ersticken mögen.<br />
Das hat fatale Auswirkungen auf unterschiedlichste<br />
Lebensbereiche der deutschen<br />
Gesellschaft. Ein Streifzug durch das vom<br />
Russen gebeutelte Land:<br />
Freiburg. Im Stadtteil Vauban steht der entnervte Harald Domínguez-Heuzeroth<br />
(65) vor seiner ältesten Tochter Leonie-<br />
Hartmutilda (2) und versucht, sie kognitiv zu erreichen:<br />
»Leonie, diesen Apfel darfst du nicht als Frühstück sehen,<br />
sondern eher so als Fanal gegen eine chauvinistische, autoritäre<br />
und homophobe Politik einer russischen Staatsführung<br />
mit fragwürdiger demokratischer Legitimierung.«<br />
Wahrscheinlich würde Leonie jetzt viel lieber im Sandkasten<br />
spielen, als am Pelletkamin angekettet zu sein und unter<br />
dem sanften Druck der väterlichen Hände <strong>den</strong> 18. Gravensteiner<br />
in <strong>den</strong> Mund gedrückt zu bekommen. Sie weint hysterisch.<br />
Domínguez-Heuzeroth seufzt. »Die Kinder lei<strong>den</strong> am<br />
meisten unter der Blockade«, sagt er mit traurigen Augen.<br />
Umso bemerkenswerter ist es, dass Leonie, seit Landwirtschaftsminister<br />
Christian Schmidt die Kampfparole »An<br />
apple a day keeps the Putin away« ausgerufen hat, schon<br />
viel mit <strong>ihr</strong>em Essverhalten gegen <strong>den</strong> russischen Aggressor<br />
unternommen hat. So ist sichergestellt, dass sie zukünftig<br />
in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft leben<br />
kann; allerdings in einer Psychiatrie.<br />
Bewegende Blockadeschicksale auf <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Seiten !<br />
Zum Lächeln<br />
gezwungenes<br />
Kind mit Apfel<br />
vor verfaultem<br />
Fleisch<br />
EULENSPIEGEL 10/14 27
Das sagen<br />
Promis<br />
Helene Fischer<br />
Es ist richtig, Wladimir Putin die Stirn zu<br />
bieten. Ich selbst bin in Sibirien geboren<br />
und kenne die Gegebenheiten dort: Die<br />
Dauerbeschallung mit der immer gleichen<br />
Propaganda in Funk und Fernsehen – so etwas<br />
darf es bei uns nie geben! Wenn Sie<br />
zum fünfzigsten Mal dasselbe Lied im Radio<br />
hören, dann wünschen Sie sich einfach nur,<br />
der Interpretin in einer dunklen Gasse aufzulauern<br />
und die Kehle zuzudrücken. Ganz<br />
fest! Atemlos durch die Nacht handelt von<br />
dieser Sehnsucht.<br />
Gerhard Schröder<br />
Alltag bei Rheinmetall.<br />
Wir sollten uns alle mäßigen und wieder<br />
aufeinander zugehen. Die Sanktionen scha<strong>den</strong><br />
doch allen. Ein Beispiel von vielen:<br />
Wenn Russland jetzt auch noch aus dem<br />
Swift-Bankabkommen geworfen wird, dann<br />
muss ich immer mit einem großen Geldkoffer<br />
nach Moskau fliegen.<br />
10:30 Uhr Düsseldorf. In der Hauptgeschäftsstelle<br />
des Rüstungskonzerns Rheinmetall sitzt<br />
der Vorstandsvorsitzende Armin Papperger bei<br />
einem Kaffee, als auf seiner Tischplatte ein Granatsplitter<br />
einschlägt. Lässig zündet er sich an<br />
dem heißen Metall eine Zigarette an. »So was<br />
ist jetzt hier Alltag«, sagt er, als er <strong>den</strong> ersten<br />
Zug inhaliert und mit der linken Hand zur Panzerfaust<br />
greift, um eine Stellung in der zweiten<br />
Etage unter Beschuss zu nehmen. »Seitdem<br />
Russland uns keine Waffen mehr abnimmt, müssen<br />
wir alle unsere Produkte am Firmensitz lagern«,<br />
fügt er ärgerlich hinzu. »Damit hatten wir<br />
leider keine Erfahrung, ganz anders als die Länder,<br />
in die wir sonst exportieren. Die wissen genau,<br />
wie sie Waffen einmotten, ohne dass jemals<br />
ein bewaffneter Konflikt ausbricht, wo sie auch<br />
gegen Zivilisten eingesetzt wer<strong>den</strong> könnten«,<br />
gibt er abwesend zu Protokoll, während er seine<br />
Sekretärin mit einem G36 erschießt. »Diese verfluchten<br />
Russen …«, grummelt er. »Ach, das<br />
Waffenembargo kommt von der EU? Stellen Sie<br />
mich sofort zu Angela Merkel durch, Frau Zeise!<br />
Frau Zeise?«<br />
Juristisch und soziologisch gesehen ist eine<br />
Sanktion die Folge eines Regelverstoßes, die<br />
die zukünftige Befolgung der Regel bezweckt.<br />
Ihre einfachste Form lautet: Auge um Auge, Zahn<br />
um Zahn.<br />
Diese körperteilbezogenen Sanktionen zeichnet<br />
eine gewisse Symmetrie aus: Gleiches wird<br />
mit Gleichem vergolten. Raffinierter und nicht<br />
so leicht vorhersehbar ist jedoch die asymmetrische<br />
Sanktion. Sie passiert – aber anders als<br />
gedacht!<br />
So sanktionierte der Westen <strong>den</strong> sowjetischen<br />
Einmarsch in Afghanistan nicht etwa mit der naheliegen<strong>den</strong><br />
Besetzung Bulgariens, sondern –<br />
surprise, surprise! – mit der Nichtteilnahme an<br />
<strong>den</strong> Olympischen Sommerspielen in Moskau. Zuvor<br />
hatte der amerikanische Präsi<strong>den</strong>t noch erwogen,<br />
die Russen dadurch zu bestrafen, dass<br />
er nicht ans Telefon geht, wenn seine Gattin<br />
anruft oder dass er drei Tage lang die Socken<br />
Schnauze,<br />
nicht wechselt. Seine Berater konnten ihn gerade tionen durchzuhalten ist kein Ponylecken! Den<br />
noch davon abbringen, und zwar mit dem Argument,<br />
diese Maßnahmen wür<strong>den</strong> direkt in <strong>den</strong> rest« zu bestrafen, wirkt wenig durchdacht, wenn<br />
renitenten Sohn mit »tausend Jahren Stubenar-<br />
Dritten Weltkrieg führen – mit seiner Gattin. Heute der Spross seine vermüllte Bude ohnehin<br />
weiß man übrigens, dass die USA auf die Besetzung<br />
Bulgariens nur deshalb verzichteten, weil tausend Jahre bin<strong>den</strong>, wenn bereits die Andro-<br />
niemals freiwillig ver lässt. Und warum sich auf<br />
der CIA aus Moskau eine entsprechende Bemerkung<br />
Breschnews (»Bul – wie? Garien? Nie ge-<br />
hektische Besserungsschwü re bewirkt? Wenn der<br />
hung eines fünfminütigen Smartphone-Entzuges<br />
hört!«) gekabelt hatte. Eine Sanktion, die nicht junge Mann, nur um das Überprüfen seines<br />
stört, ist keine.<br />
Browser-Verlaufes abzuwen<strong>den</strong>, plötzlich sogar<br />
Wer Sanktionen ausspricht, sollte sich zuvor <strong>den</strong> Abwasch übernehmen will und sich er kun -<br />
über seine Möglichkeiten klar wer<strong>den</strong>. Sank - digt, wo die Küche ist?<br />
28 EULENSPIEGEL 10/14
Wegen Putin bald auf<br />
Sendung? ZDFtestbild.<br />
11:30 Mainz. In der ZDF-Intendanz<br />
ist die Hölle los! »Wir bleiben<br />
auf unseren Stars sitzen<br />
wie Samuel Koch auf seinem<br />
Rollstuhl«, schreit Thomas Bellut<br />
(59) aufgelöst. »Man muss<br />
ja froh sein, dass uns die Russen<br />
wenigstens Gerhard Schröder<br />
abgenommen haben, sonst<br />
müssten wir für <strong>den</strong> auch noch<br />
Talkshowplätze freischaufeln!«<br />
Der Intendant steht vor einer<br />
gewaltigen Aufgabe. Russland<br />
weigert sich, früher dort gern<br />
gesehene deutsche Prominente<br />
aufzunehmen. Jetzt müssen die<br />
natürlich beim ZDF unterkommen.<br />
Das gebieten die nationale<br />
Solidarität und die Politiker<br />
im Fernsehrat. »Logistisch<br />
ist so etwas bei gerade mal<br />
zehn Sendern ein Unding«, erklärt<br />
Bellut. Darum gehen in<br />
Kürze die neuen Musikspartensender<br />
ZDFscorpions und<br />
ZDFscooter auf Sendung. Klaus<br />
Meine und H.P. Baxxter leiten<br />
durch das Programm. Christian<br />
Wulff, der nun auch keine Festanstellung<br />
mehr bei Gazprom<br />
erhalten wird, wird ein Verbrauchermagazin<br />
namens Günstig<br />
leben moderieren. Eva Herman<br />
wird von der russischen Zeitung<br />
Stimme Russlands wiederkehren<br />
und künftig das Team des Heute<br />
Journals verstärken.<br />
Vitali Klitschko<br />
Aus der Not eine Tugend<br />
gemacht: Sommerlicher<br />
Rodelspaß auf einem<br />
Butterberg.<br />
Die derzeitige Lage ist unerträglich. Wir<br />
wer<strong>den</strong> deshalb mit <strong>den</strong> Russen einen<br />
Rückkampf vereinbaren.<br />
Joachim Gauck<br />
Kaubenheim. Milchbauer Alois<br />
Eutersauger (78) trägt trotz der<br />
herbstlichen Temperaturen eine<br />
Badehose. »Das hat uns alles<br />
der Russe eingebrockt«, ruft er<br />
verärgert, als er in seinen<br />
Eselsmilchsee springt. Der sei<br />
zwar gut für die Haut, aber auch<br />
voller Antibiotika, weswegen er<br />
seit geraumer Zeit auf seinen<br />
geliebten Schnupfen verzichten<br />
muss. Früher, als die enorme<br />
Milchnachfrage aus Russland<br />
noch bestand, da habe er in<br />
Saus und Braus gelebt. Wie<br />
freute er sich, als morgens 4:30<br />
Uhr der Wecker klingelte und er<br />
in <strong>den</strong> Stall durfte, um dort bis<br />
23:30 Uhr zu schuften. Damit ist<br />
nun Schluss. »Der geregelte Tagesablauf<br />
fehlt mir«, sagt er,<br />
als er nach<strong>den</strong>klich an seinem<br />
Wodka White Russian schlürft.<br />
Durch die täglichen Milchbäder<br />
hat er zwar das Aussehen eines<br />
24-Jährigen und dank der hohen<br />
Ausgleichszahlungen der<br />
EU einen Diener und eine Yacht,<br />
aber wenn er nicht täglich in<br />
<strong>den</strong> Exkrementen seiner Tiere<br />
stehen könne, sei das doch alles<br />
Mist.<br />
Trotz der schwierigen Situation bleibt eines<br />
gewiss: Wir Deutsche haben aus der Geschichte<br />
gelernt und wer<strong>den</strong> nicht noch einmal<br />
einen <strong>Krieg</strong> gegen Russland führen,<br />
ohne ihn zu gewinnen.<br />
Beule!<br />
Deutschland aus Grün<strong>den</strong> der Versorgungssicherheit<br />
nicht von einem einzigen Kamel-Lieferanten tierverordnung (EuHöTVO) genügen.<br />
<strong>den</strong> Anforderungen der Europäischen Höcker-<br />
abhängig machen darf. Der Verband fordert, nach Gerade bei Handelssanktionen gilt es, Augen -<br />
Alternativen zu suchen und zum Beispiel die Importquote<br />
norwegischer Kamele deutlich zu erhandel<br />
völlig zum Erliegen. Ganze Völker müssten<br />
maß zu wahren. Sonst kommt am Ende der Welthöhen.<br />
Oder von Elchen. Und die Höcker von auf iPhones verzichten. Exportorientierte Natio -<br />
der heimischen Industrie anfertigen zu lassen. nen wie Deutschland blieben auf <strong>ihr</strong>en münzgesteuerten<br />
Toilettenschlössern, Wich tig sei nur, dass die Tiere nach Fertigstellung<br />
Euterhaarentfer-<br />
Ein Spezialgebiet sind die Handelssanktionen.<br />
Auch hier gilt zunächst: Handelssanktionen müssen<br />
wehtun, und zwar möglichst dem anderen.<br />
Wenn zum Beispiel die Saudis aus irgendwelchen<br />
Grün<strong>den</strong> plötzlich keine Kamele mehr nach<br />
Deutschland ausführen, trifft das die Deutschen<br />
weitaus härter, als wenn Deutschland <strong>den</strong> Saudis<br />
keinen We<strong>ihr</strong>auch und keine Schweinswürstel liefert<br />
und auch die neueste Auflage des Reise -<br />
führers Berlin Gay Guide nicht ausgeliefert wird.<br />
Da sitzen die Deutschen einfach am kürzeren<br />
Barte des Propheten! Nicht umsonst weist der<br />
VDKI (Verband der Deutschen Kamelverarbeiten<strong>den</strong><br />
Industrie) seit Langem darauf hin, dass sich<br />
sonst<br />
EULENSPIEGEL 10/14 29
Das sagen<br />
Promis<br />
Lothar Matthäus<br />
Man muss sich eben mit <strong>den</strong> Umstän<strong>den</strong> arrangieren<br />
und das Beste daraus machen.<br />
Wenn Neurussland bald einen neuen Nationaltrainer<br />
sucht, würde ich <strong>den</strong> Job übernehmen.<br />
Veronica Ferres<br />
Es ist alles so fürchterlich. Der einzige Gedanke,<br />
der mir in dieser schweren Zeit Auftrieb<br />
gibt, ist, wie ich in dem Fernsehfilm<br />
mitspiele, der das Lei<strong>den</strong> der tapferen<br />
Kanzlerin in dieser Krise thematisiert.<br />
Fotos: Fotolia, focus.de, sueddeutsche.de, somethingilearntoday, aus, ladyblitz.com<br />
Bald Alltag auf deutschen Straßen?<br />
A100 Stadtautobahn Berlin-Wilmersdorf Richtung<br />
Wedding. ADAC-Sprecher Christian Garrels<br />
(39) steht die nackte Angst ins Gesicht geschrieben.<br />
»Wir sind verletzbar wie die 6. Armee bei<br />
Stalingrad«, warnt er. »Wenn Russland keine<br />
deutschen Autos mehr kauft, dann sind wir eingekesselt.<br />
Mit <strong>den</strong> zusätzlichen PKW, die in<br />
Deutschland bleiben wür<strong>den</strong>, wird der Berufsverkehr<br />
hier die reine Hölle. Manche wer<strong>den</strong> gar<br />
nicht mehr zur Arbeit kommen, oder noch<br />
schlimmer: mit der Bahn!« Der ADAC will die<br />
Lage aber nicht dramatisieren. Auch Hitler-Putin-Vergleiche<br />
hält er für unangemessen, weil<br />
Hitler immerhin die Autobahn gebaut hat. Dennoch<br />
ist die Situation kritisch. Aber wenn die<br />
Bundesregierung jetzt reagiert, die Hälfte der<br />
Bevölkerung versklavt und für <strong>den</strong> Straßenausbau<br />
arbeiten lässt, dann ließe sich wohl das<br />
Schlimmste verhindern.<br />
Andreas Koristka<br />
nern, Kolbenritzelspannern und Großlochkäselaibern<br />
sit zen. Auf <strong>den</strong> Ozeanen irrten leere Containerschiffe<br />
umher, deren Leben nun keinen Sinn<br />
mehr hat, und in China müssten sie das ganze<br />
bunte Plastikzeug, das sie sonst per Toys »R« Us<br />
in alle Welt verklappen, plötzlich selbst als Sondermüll<br />
entsorgen. Damit das nicht geschieht,<br />
sind Handelssanktionen in der Regel so gestaltet,<br />
dass sie nach mehr aussehen, als sie sind. Am<br />
besten, man <strong>den</strong>kt sich drei Stufen aus, die medienwirksam<br />
gezündet wer<strong>den</strong>. Erste Stufe: Prü -<br />
fung der Sanktion, zweite Stufe: Ankündigung der<br />
Sanktion, dritte Stufe: Gezieltes Feuer (Platzpatrone).<br />
Sanktionen sind einem steten Wandel unterworfen.<br />
Gerade auf dem weiten Feld der Kindererziehung!<br />
Einst gab es vom Lehrer was auf die<br />
Finger, wenn jemand in der Klasse zu laut war.<br />
Heute gibt es <strong>den</strong> Leisefuchs. Kitas heißen nicht<br />
Am Kraftwerk oder Pawel Kortschagin, sondern<br />
30 EULENSPIEGEL 10/14<br />
Tabaluga oder Pusteblume. Einem Kind, das zum<br />
dritten Mal sein Mittagessen willentlich auf <strong>den</strong><br />
Bo<strong>den</strong> schmeißt, wird nicht mehr anempfohlen,<br />
auf dem Bo<strong>den</strong> weiter zu essen, sondern ihm<br />
wird vorgeschlagen, aus dem Kartoffelbrei lus -<br />
tige Figuren zu formen.<br />
Wahre Meister im Umgang mit Sanktionen<br />
sind schon immer die Kirchen. Die Verheißung<br />
des Paradieses ist <strong>ihr</strong> Kun<strong>den</strong>bindungsprogramm,<br />
die Androhung der Hölle sichert Wohlverhalten<br />
und Spen<strong>den</strong>aufkommen. Obwohl:<br />
Wenn es sich herumspricht, dass es in der Hölle<br />
in Wirklichkeit zugeht wie in einem All-Inclusive-<br />
Urlaub an einem Traumstrand in der Karibik und<br />
nur für die Katholiken ein Kessel mit sie<strong>den</strong>dem<br />
Öl bereitsteht, weil die das so wollen, bricht<br />
das ganze System zusammen. Eine Sanktion<br />
ohne Schrecken ist wie ein Hase ohne Eier. Bald<br />
wür<strong>den</strong> die ersten Wellness-Hotels und Wohlfühl-Oasen<br />
Zur Hölle heißen, und die Volkssolidarität<br />
böte für 19,90 EUR Busreisen mit ge führ -<br />
ter Höllenbesichtigung und Kaffeegedeck an, auf<br />
Wunsch auch in Gebär<strong>den</strong>sprache und natürlich<br />
barrierefrei.<br />
Was im zwischenmenschlichen Bereich funktioniert,<br />
muss nicht auch anderswo funktionie -<br />
ren. Wenn moderne Eltern dem Kind zu verste -<br />
hen geben, dass sie ob seines Fehlverhaltens<br />
»natürlich nicht böse« sind, sondern nur »sehr<br />
traurig«, so mag das zum gewünschten Ergebnis<br />
führen. Auf internationaler Ebene ist davon abzuraten!<br />
Die Apartheid beispielsweise wurde von<br />
der südafrikanischen Regierung nicht deshalb<br />
aufgegeben, weil die EU damit drohte, anderenfalls<br />
»sehr traurig« zu sein. Oder am Abend Migräne<br />
zu bekommen. Sondern weil Deutschland<br />
ankündigte, sonst Howard Carpendale zurückschicken.<br />
Denn wenn man der Hölle ein Gesicht<br />
gibt, taugt sie auch wieder als Sanktion.<br />
Robert Niemann
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Kri ki<br />
Schlechte Witze, Beiträge zur Geschichte des<br />
Uebermuths war der Artikel in der Bibliothek<br />
der Unterhaltung und des Wissens von 1896<br />
überschrieben. Seltsam, damals scheint man in<br />
einer anderen Witz-Welt gelebt zu haben. Was Witz<br />
hieß, nennen wir heute Scherz oder Streich. Zumeist<br />
handelt es sich um Schusswaffenunfälle oder<br />
die »unzeitige Handhabung vermeintlich ungela<strong>den</strong>er<br />
Schusswaffen«. Verbun<strong>den</strong> mit der »scherz -<br />
haften Drohung, <strong>den</strong> anderen zu erschießen«, und<br />
dem unzeitigen Ableben des Witzopfers, wird daraus<br />
laut Autor Hugo Sternberg ein schlechter Witz.<br />
Sternberg berichtet von einem Offizier in Budapest,<br />
der <strong>den</strong> vermeintlich ungela<strong>den</strong>en Revolver<br />
auf ein junges Mädchen richtete und mit der fro -<br />
hen Botschaft »Jetzt erschieße ich Sie!« ein »blühendes<br />
Menschenleben auslöschte«. Ein Witz,<br />
<strong>den</strong> der Witzbold nie wieder machen sollte – er<br />
erschoss sich umgehend selbst.<br />
Als nächste Witzkategorie führt Sternberg die<br />
»Zieh-<strong>den</strong>-Stuhl-weg-Scherze« auf, die seinerzeit<br />
sehr beliebt gewesen sein müssen. So zog auch<br />
Witzzeichner Wilhelm Busch der Gattin des Malerfürsten<br />
Franz von Lenbach bei einem Künstler -<br />
fest in München <strong>den</strong> Stuhl weg, <strong>den</strong> er <strong>ihr</strong> angeboten<br />
hatte. Ein Skandal! Beschämt verließ Busch<br />
nicht nur überstürzt die Party, sondern auch die<br />
Stadt und Bayern, verschanzte sich in seinem Geburtsort<br />
Wie<strong>den</strong>sahl (fünf Häuser, eine Plumpstoilette)<br />
und malte melancholische Waldstücke.<br />
Stuhl wegziehen kann »eine schwere Erschütterung<br />
des Rückenmarks sowie andere tödliche<br />
Verletzungen« nach sich ziehen, mahnt Stern berg.<br />
Zum Beispiel wenn man auf eine gela<strong>den</strong>e, ungesicherte<br />
Schusswaffe zu liegen kommt.<br />
Auch ein anderer, offenbar damals häufiger Witz<br />
ist nicht zu empfehlen: falsche Trauerbotschaften.<br />
»Sie lassen <strong>den</strong> Veranstalter überaus albern und<br />
roh erscheinen.« Solch einen »schlech ten wie gewagten<br />
Witz« machte ein junger Mann in Oranienburg.<br />
Er ließ seinem Vater mitteilen, dass er, der<br />
Sohn, gestorben sei. Der Scherzkeks erwartete<br />
<strong>den</strong> Vater am Bahnhof, was leicht mit dem plötzlichen<br />
Herztod des Papas hätte en<strong>den</strong> können,<br />
aber glimpflich mit »ein paar furchtbaren Ohrfeigen«<br />
ausging.<br />
Gute<br />
schlechte<br />
Witze<br />
In die Rubrik »schwarzer Humor« gehört auch<br />
der Witz des Engländers Sothern. Der hatte in London<br />
ein prunkvolles Leichenbegängnis bestellt<br />
und als der Leichenwagen angerückt kam, lauthals<br />
von der Begräbnisfirma eine Leiche verlangt, da<br />
diese vertragsgemäß zu einem Begräbnis gehöre.<br />
Sternberg: »sehr schlechter Witz«.<br />
Einige Mühe verlangte der bemühte Witz zweier<br />
Gesellschafter in Frankfurt, die mit vereinten Kräften<br />
einen Geldschrank umwarfen, um <strong>ihr</strong>en Vorsitzen<strong>den</strong><br />
mit einem vorgetäuschten Einbruch zu<br />
erschrecken. Das ging schlecht aus, <strong>den</strong>n die<br />
Putze hatte im Tresor Salpetersäure (!) sicher verwahrt<br />
– Geldnoten und Geschäftspapiere wur<strong>den</strong><br />
vernichtet.<br />
Opfer eines Witzes, der spezielle Begabung erfordert,<br />
wurde ein Bauer, der die Landesgren ze<br />
mit seinem Heuwagen passierte, aus dem plöt -<br />
zlich Schweinegrunzen ertönte. Ein Schweineschmuggler?<br />
Das Schwein war ein menschlicher<br />
Bauchredner, der seinen Scherz drei Wochen lang<br />
im Karzer büßen musste.<br />
Den meisten vergeht das Lachen im Knast. Nicht<br />
so Todeskandidat Zephyr Davies aus Chicago. Dieser<br />
hängte in der Nacht vor seiner Hinrichtung<br />
seine mit Bettzeug ausgestopften Kleider an eine<br />
Gasröhre, was seinen Selbstmord vortäuschte. Angesichts<br />
der Bestürzung seiner Wächter konnte<br />
er sich vor Lachen kaum beruhigen, bevor er dann<br />
von anderen end gültig beruhigt wurde. Stern berg:<br />
»Eigenartig!«<br />
Fürwahr, Scherze auf Kosten anderer lassen<br />
sich subtiler bewerkstelligen!<br />
Auf dem Zwiebelmarkt in Weimar, so berichtet<br />
Sternberg, hockte eine junge Bäuerin vor einem<br />
Eierkorb. Ein Bursche sagte, er wolle welche kaufen,<br />
aber nur, wenn er sie selber aussuchen dürfe.<br />
Sie solle doch bitte die Arme vor der Brust verschränken.<br />
Das tat die Frau, der Mann platzierte<br />
mit höchster Vorsicht ein Schock Eier auf <strong>ihr</strong>en<br />
nackten Unterarmen – ging weg und ließ sie, zur<br />
Unbeweglichkeit verdammt, sitzen, wobei sich<br />
eine Menge scha<strong>den</strong>froher Thüringer um sie versammelte.<br />
Wäre der Witzebeurteiler Sternberg da<br />
vorbeigekommen, er hätte gewiss ein Ei nach dem<br />
Witzbold geworfen.<br />
Wir aber geben dem Streich das Prädikat »Guter<br />
schlechter Scherz«!<br />
32 EULENSPIEGEL 10/14
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Kun<strong>den</strong> breitwalzen, Regale verwüsten, Strichcodes<br />
Die neue Lust<br />
In der Wirklichkeit verhält es sich wie im wahren<br />
Leben: Man kriegt oft das eine nicht ohne das andere.<br />
Zum Beispiel gibt es ohne Pubertät keine<br />
Pickel und ohne Auslegware keine Auslegung. Aber<br />
noch viel wichtiger: Die Konjunktur brummt nicht,<br />
ohne dass wir alle mitbrummen. Natürlich nicht<br />
im Gefängnis – wir sind ja nicht Uli Hoeneß –, sondern<br />
durch eigene Anstrengung!<br />
Vorbei die Zeiten, da man einfach irgendwo reinging<br />
und komplett bedient war. Heute gibt es <strong>den</strong><br />
verantwortungsbewussten Konsumenten, der selber<br />
tätig wird. Im Supermarkt steckt er fleißig<br />
seine Pfandflaschen in <strong>den</strong> Automaten und wiederholt<br />
diesen Vorgang so lange klaglos, bis die<br />
Maschine endlich das Recyclingsymbol erkennt.<br />
Doch damit sind die Dienstpflichten des<br />
modernen Einkäufers längst nicht erledigt. Muss<br />
er doch als Nächstes sein Obst in Tüten verpacken,<br />
abwiegen und etikettieren. Und spätestens bei<br />
der Auswahl der verfügbaren Fruchtsymbole ist<br />
Fachwissen gefordert: Handelt es sich nun um<br />
eine Birne, eine Wintermütze oder um eine maligne<br />
Tumorerkrankung des Knorpelgewebes? Aber<br />
nein, es ist eine Kiwi! Wer auf sie gesetzt hat,<br />
sollte sich über seinen schönen Tipperfolg freuen<br />
und in dieser Begeisterung auch gleich noch <strong>den</strong><br />
gesamten Einkauf am Ausgang freiwillig scannen.<br />
Danach ist man vielleicht ermattet, aber zugleich<br />
in dem schönen Gefühl bestärkt, eigenhändig<br />
Herrn Karstadt oder Frau Lidl gerettet zu haben.<br />
Genau die richtige Hochstimmung also, um <strong>den</strong><br />
nächsten Möbelmarkt anzusteuern! Dort müssen<br />
wir uns rasch eine Karre mit der Tragkraft eines<br />
mittleren Tiefladers schnappen, flugs die richtigen<br />
Fach- und Regalnummern erkun<strong>den</strong>, schnell die<br />
Pakete mit dem Strichcode nach vorne auf das<br />
Baufahrzeug stapeln und immer darauf achten,<br />
dass die schwersten Kartons ganz oben liegen,<br />
damit sie am besten runterfallen können, dann<br />
<strong>den</strong> ganzen Plunder zur Lesestation karren und<br />
auf dem Wege dorthin möglichst viele andere Kun<strong>den</strong><br />
breitwalzen, anschließend rasch das ganze<br />
Einrichtungshaus scannen und eine halbe Stunde<br />
warten, bis unsere EC-Karte online erkannt wird,<br />
und nun bloß noch alles verla<strong>den</strong>, nach Hause<br />
schaffen und zusammenbauen. Bereits nach einer<br />
Woche Arbeitszeit, drei Erkundigungs-Anrufen bei<br />
Freun<strong>den</strong>, mehreren Umtauschaktionen wegen<br />
fehlender Schrauben und einer Scheidungsdrohung<br />
der Gattin steht die neue Einrichtung! Wir<br />
sind dabei zwar um drei Jahre gealtert, aber die<br />
Konjunktur ist dank unseres Einsatzes frischer<br />
<strong>den</strong>n je. Und der Besitzer des Möbelirrgartens erst<br />
recht, <strong>den</strong>n weil die Leute alles selber machen,<br />
kann er seinen Presspappeschuppen jetzt mit fünf<br />
stu<strong>den</strong>tischen Hilfskräften oder einem Blin<strong>den</strong>hund<br />
im Blaumann betreiben.<br />
Als Kunde haben wir uns danach eine Zwischenmahlzeit<br />
verdient, und die nehmen wir natürlich<br />
in einem modernen Schnellrestaurant ein. Tablett<br />
schnappen, Anstellen, Bestellung brüllen, Wegtragen,<br />
Auswickeln, Runterschlingen, Aufstoßen, Abräumen<br />
heißt hier das Reglement. Wer länger als<br />
zehn Minuten rumtrödelt, wird in Scheiben geschnitten,<br />
frittiert und dem nächsten Kun<strong>den</strong> als<br />
Bürger-Menü verabreicht.<br />
Wer überlebt, darf sich auf <strong>den</strong> Weg zum Bahnhof<br />
machen, um zum nächsten Einsatzort als werktätiger<br />
Kunde zu reisen. Doch halt! Vor <strong>den</strong> Eisenbahnzug<br />
haben die Götter bzw. der Herrgott Grube<br />
<strong>den</strong> Fahrkartenautomaten gesetzt. Aber keine<br />
Bange: Nur eben Start, Ziel, <strong>den</strong> Reisetag, die Reisestunde,<br />
die Bahncard 50 oder 25, die Kinder -<br />
zahl, das TagesTicket Plus, die Reservierung, die<br />
Zahlungsform Geldkarte, Kreditkarte, Bargeld eingeben<br />
und schon … ist der Zug seit einer halben<br />
Stunde abgefahren. Aber egal – fangen wir eben<br />
noch mal von vorne an! Nur hoffnungslos sentimentale<br />
Typen trauern an dieser Stelle <strong>den</strong> allerorts<br />
abgeschafften Fahrkartenschaltern nach.<br />
Stattdessen sollten sie stolz sein, endlich auch<br />
mal für Deutschlands größtes Unternehmen tätig<br />
wer<strong>den</strong> zu dürfen! Und wenn’s einer partout nicht<br />
rafft: Im DB-Museum in Nürnberg gibt’s eine Schulung,<br />
die ältere Fahrgäste in der richtigen Bedienung<br />
von Fahrkartenautomaten trainiert. Wer <strong>den</strong><br />
Kurs nicht besteht, darf gleich im Museum bleiben.<br />
34 EULENSPIEGEL 10/14
esiegen:<br />
zu konsumieren<br />
Das aber kommt für uns nicht in Frage, <strong>den</strong>n<br />
wir müssen noch weitere komplizierte Kun<strong>den</strong>aufgaben<br />
erfüllen: Ein Brief will eingeworfen<br />
sein, und ein Paket muss abgeholt wer<strong>den</strong>. Früher<br />
wäre man dazu aufs Postamt gegangen,<br />
hätte sich dort von einem beamteten Postsack<br />
anschnauzen lassen und wäre anschließend fertig<br />
gewesen. Heute dagegen ist man schon<br />
fertig, ehe es überhaupt losgeht. Zuerst muss<br />
man nämlich per Hörensagen oder polizeilicher<br />
Suchanzeige einen Briefkasten ausfindig machen.<br />
Schließlich hat es die Post durch pfiffige<br />
Optimierung geschafft, dass es in ganz Deutschland<br />
nur noch zehn Einwurfkisten gibt, die auch<br />
nur noch um zehn geleert wer<strong>den</strong>. Doch bevor<br />
man darüber meckert, sollte man sich klarmachen,<br />
welche ungeheuren Vorteile dies hat. Vor<br />
allem für die Post. Der tragen die Kun<strong>den</strong> nun<br />
quasi die Sendungen selber zum Ziel. Eine wunderbare<br />
Beförderung – nicht nur für die Briefe,<br />
sondern auch für die Absender! Denn seien wir<br />
mal ehrlich: Wer wollte als Kind nicht gern Briefträger<br />
sein? Das ist nun endlich erreicht.<br />
Bleibt bloß noch die Paketabholung. Aber die<br />
ist ganz einfach, <strong>den</strong>n als moderner Mensch<br />
haben wir uns längst bei einer Paketstation angemeldet.<br />
Völlig unkompliziert wur<strong>den</strong> uns<br />
dafür eine siebenstellige Post nummer, die Kun<strong>den</strong>karte,<br />
eine Bedienungsanleitung und ein Internet-Passwort<br />
zugesandt. Außerdem natürlich<br />
ein Stadtplan, damit wir in Ruhe nachgucken<br />
können, über wie viele Kilometer die Kiste nach<br />
Hause gehievt wer<strong>den</strong> muss, und dazu die zweihundertfünfzigste<br />
PIN unseres Lebens, damit<br />
wir auch in Ruhe was zu vergessen haben. Mit<br />
diesem ganzen Klempnerla<strong>den</strong> eilen wir nun<br />
zur Paketstation (<strong>den</strong>n vielleicht ist es ja eine<br />
Eilsendung), um dort <strong>den</strong> vorgegebenen Hindernisparcours<br />
zu absolvieren: Karte in <strong>den</strong><br />
Schlitz, Postnummer in die Tastatur, PIN hinterher<br />
und ratsch geht tatsächlich ein Fach auf, in<br />
dem ein Päckchen liegt! Die Freude ist riesengroß,<br />
und sie wäre noch größer gewesen, wenn<br />
die Sendung tatsächlich unseren Namen getragen<br />
hätte. Aber es ist leider ein wildfremder.<br />
Egal, reklamieren wir also per Internet, warten<br />
auf eine neue E-Mail mit Paketmeldung, lat -<br />
schen abermals zur Station, geben <strong>den</strong> Schlitz<br />
in die Nummer und die Tastatur auf die Karte,<br />
und wenn wir nicht gestorben sind, spielen wir<br />
heute noch Paketbote … Trotzdem wollen wir<br />
nie vergessen, welche Lust es ist, von einem<br />
Unternehmen so viel eigene Verantwortung<br />
übertragen zu bekommen. Dieses Vertrauensvorschusses<br />
sollte sich jedermann würdig erweisen.<br />
Und damit auch Sie einen würdigen Beitrag<br />
als Kunde leisten, folgen Sie einfach <strong>den</strong> nachstehen<strong>den</strong><br />
Anweisungen unseres Callcenters:<br />
Wenn Ihnen dieser Text gefallen hat, drücken<br />
Sie die 1, wenn Sie diesen Text super fan<strong>den</strong>, drücken<br />
Sie die 2, wenn Sie diesen Text für <strong>den</strong> Pulitzer-Preis<br />
vorschlagen möchten, drücken Sie die<br />
3. Wenn Sie glauben, dass dieser Text Mist war,<br />
dann legen Sie auf.<br />
Reinhard Ulbrich<br />
Zeichnungen: Reiner Schwalme<br />
EULENSPIEGEL 10/14 35
Wenn:<br />
Bundesministerium für Gesundheit<br />
Schutz vor EBOLA!<br />
Dann:<br />
36 EULENSPIEGEL 10/14<br />
Senkbeil / Garling
Anzeige
Sämtliche <strong>Krieg</strong>sschuldlügen glänzend widerlegt!<br />
Die Deutschen haben mehr<br />
Andreas Prüstel<br />
Es ist eine Lust, Deutscher zu sein, <strong>den</strong>n<br />
landauf, landab wird die Unschuld des<br />
Deutschen Kaiserreichs am Ausbruch des<br />
Ersten Weltkriegs (1914/18) stichhaltig bewiesen!<br />
Selbst ein kleines Internetportal wie GMX<br />
(»Küblböck im Selfie-Wahnsinn«, »Nerviger<br />
Bauch speck schmilzt wie Eis«, »Pitbull schlab -<br />
bert Baby ab«) wird plötzlich frech und fragt:<br />
»War Deutschland nicht schuld? Historiker bezweifeln,<br />
dass Deutsches Kaiserreich 1. Welt -<br />
krieg verursachte ...«<br />
Natürlich war es nicht schuld! Es ist mittlerweile<br />
unstrittig, dass der 1914 erfolgte Ein -<br />
marsch in Belgien völkerrechtsmäßig erlaubt,<br />
wenn nicht geboten war, nachdem der Ge -<br />
sandte der Briten <strong>den</strong> Russen in Prag die Bereitschaft<br />
der Serben zum Angriff auf die überseeischen<br />
Kronkolonien signalisiert hatte – und<br />
zwar für <strong>den</strong> Fall, dass Österreich-Ungarn eine<br />
Erhebung der kroatischen Minderheit unterdrücken<br />
sollte. Was die Habsburger zu diesem Zeitpunkt<br />
noch nicht ahnen konnten: Die Slowenen<br />
hatten unterdessen Spione nach Elsass-Lothringen<br />
entsandt und sich mit <strong>den</strong> Tschechen<br />
verbündet, die wiederum gegen die Hegemonialpolitik<br />
der Slowaken opponierten. In dieser<br />
Spannungs lage profitierten vor allem die auf<br />
<strong>ihr</strong>e Unabhängigkeit bedachten Polen und Rumänen<br />
von der Zwangsbewirtschaftung des Gebiets<br />
zwischen Elbe und Neiße, doch die Hoffnungen<br />
auf einen raschen Frie<strong>den</strong>sschluss sollten<br />
sich nicht erfüllen. Im Gegenteil: Es kam<br />
zu schweren Gefechten, in deren Verlauf alle<br />
Abkommen hin fällig wur<strong>den</strong>, die seit <strong>den</strong> ersten<br />
bei<strong>den</strong> Prager Fensterstürzen (1419 und 1618)<br />
gegolten hatten.<br />
38 EULENSPIEGEL 10/14<br />
Aus einer Note des Fürsten Bismarck, die erst<br />
jetzt ans Licht gekommen ist, geht überdies hervor,<br />
dass das Deutsche Kaiserreich auch am Ausbruch<br />
des Deutsch-Französischen <strong>Krieg</strong>es<br />
(1870/71) vollkommen unschuldig war: In Wahrheit<br />
wollte Bismarck nämlich nur friedlich, wie<br />
es seinem Naturell entsprach, einige Grenzstreitigkeiten<br />
um Elsass-Lothringen regeln, während<br />
Frankreich unmissverständlich zur Attacke blies.<br />
So blieb dem großen Kanzler gar nichts anderes<br />
übrig, als die Mobilmachung sämtlicher Truppen<br />
zu befehlen.<br />
Die Mannstoppwirkung einer Hellebarde<br />
galt damals noch nicht als erwiesen<br />
Ganz ähnlich verhielt es sich im Siebenjährigen<br />
<strong>Krieg</strong> (1756–1763). Hier kämpfte Preußen fast<br />
allein gegen Russland, Frankreich und die Habsburger,<br />
weil Maria Theresia widerrechtlich und<br />
unmoralischerweise Schlesien überfallen hatte.<br />
Als Entlastungsmoment kommt hinzu, dass die<br />
sogenannte Mannstoppwirkung einer Helle bar -<br />
de damals noch nicht als erwiesen galt. In der<br />
Entwicklung der Schwertwaffen waren die Rus -<br />
sen und die Franzosen <strong>den</strong> Preußen seit dem<br />
Schmalkaldischen <strong>Krieg</strong> (1546/47) sehr weit vorausgeeilt.<br />
Unter Historikern herrscht heute Einigkeit<br />
darüber, dass die Aufrüstung der Feindstaaten,<br />
von <strong>den</strong>en Preußen sich umzingelt sah,<br />
unweigerlich zur Eskalation führen musste. Friedrich<br />
II. traf keine Schuld. Er hatte bis zur letzten<br />
Minute versucht, die verfeindeten Großmächte<br />
zu einer Frie<strong>den</strong>skonferenz einzu be rufen. Erst<br />
nach der Belagerung von Olmütz sah er sich dazu<br />
gezwungen, eine eigene Reiterarmee auf die in<br />
Min<strong>den</strong> massierten Massen des französischen<br />
Heeres loszulassen. Die Verantwortung für <strong>den</strong><br />
Spanischen Erbfolgekrieg (1701/14), der sich hieraus<br />
ergab, trifft vornehmlich die Franzosen und<br />
zum Teil auch die Schwe<strong>den</strong>, die sich mit der<br />
Republik Venedig überworfen und der Protestantischen<br />
Union unter Kahl dem Kahlen <strong>den</strong><br />
Dienst aufgekündigt hatten.<br />
Aber wie auch immer: Aus Dokumenten, die<br />
vor kurzem im Nachlass des Kurfürsten Friedrich<br />
von der Pfalz aufgetaucht sind, geht klar hervor,<br />
dass der Dreißigjährige <strong>Krieg</strong> (1618/48) und übrigens<br />
auch der Hundertjährige <strong>Krieg</strong> (1337/ -<br />
1453) von <strong>den</strong> Franzosen angezettelt wor<strong>den</strong><br />
sind, während die Deutschen recht gern Frie<strong>den</strong><br />
gehalten hätten. Das wird auch aus einem Brief<br />
ersichtlich, in dem Philipp IV. im Jahre 1346 Eduard<br />
III. dazu ermahnte, die Langbogenschützen<br />
zurückzuziehen, und es wirkt wie ein Treppenwitz<br />
der Weltgeschichte, dass sich dieser Vorgang<br />
1904 in der Ersten Marokkokrise wiederholen<br />
sollte: Allein dem Eintreten des Reichskanzlers<br />
Bülow ist es zu verdanken, dass der<br />
Reichswehr in dieser Krisensituation der Zugang<br />
zur technischen Weiterentwicklung der operativen<br />
Gefechtswaffen offengehalten wurde.<br />
Das entsprechende Salven- oder Repetiergeschütz<br />
wurde erst 1919/20 im Hinblick auf die<br />
Ruhrgefechte von der Firma Heckler&Koch konstruiert.<br />
Dank <strong>ihr</strong>er Treffsicherheit fand diese<br />
Waffe alsbald Abnehmer in aller Welt. Als ganz<br />
besonders lobenswert wurde vielfach der Tragekomfort<br />
des schulterfreundlichen Trageriemens<br />
qualifiziert. Professionelle Söldner äußerten<br />
sich auch anerkennend über das Design des<br />
Patronenkastens und die intuitive Bedienung<br />
der Rohrführungshülse, und so nimmt es nicht
Hi story<br />
gelitten als die alten Römer<br />
wunder, dass dieses Maschinengewehr binnen<br />
weniger Wochen zum Exportschlager heranreifte.<br />
Derartige Waffen wur<strong>den</strong> in Deutschland stets<br />
zu Exportzwecken hergestellt – oder allenfalls<br />
zur Verteidigung. »Die Deutschen«, so heißt es<br />
in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung<br />
einer unabhängigen Kommission, »haben mit wenigen<br />
Ausnahmen nachweislich niemals und zu<br />
keinem Zeitpunkt ein anderes Volk bedroht, belagert,<br />
ausgeplündert und beraubt. Im Gegenteil:<br />
Sie sind von <strong>den</strong> Franzosen, <strong>den</strong> Dänen, <strong>den</strong> Polen,<br />
<strong>den</strong> Schwe<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Magyaren, <strong>den</strong> Tschechen<br />
und <strong>den</strong> Bewohnern der Beneluxländer insgesamt<br />
dreißigmal öfter überfallen wor<strong>den</strong> als<br />
umgekehrt.« Raymond Dalugue, ein renommierter<br />
Wirtschaftswissenschaftler aus Brüssel, hat<br />
ausgerechnet, dass Deutschland infolge der ihm<br />
in <strong>den</strong> letzten achthundert Jahren zugefügten<br />
<strong>Krieg</strong>sschä<strong>den</strong> eine Tributforderung in Höhe von<br />
einhundert Milliar<strong>den</strong> Euro an seine Nachbarstaaten<br />
richten dürfte, wenn, ja, wenn es mit rechten<br />
Dingen zuginge.<br />
Diplomaten in London, Paris, Den Haag, Warschau<br />
und so weiter sind solche Stimmen natürlich<br />
»wenig genehm«. Man versucht, die Vergangenheit<br />
zu vertuschen und zu beschönigen,<br />
damit die Deutschen am Ende wieder als Zahlmeister<br />
Europas dastehen. Der krasseste Fall der<br />
Geschichtsklitterung ist jüngst aus Athen zu vermel<strong>den</strong>:<br />
Der griechische Althistoriker Simeón Passadakis<br />
will nachgewiesen haben, dass die Germanen<br />
bereits 264 vor Christus <strong>den</strong> Ersten Punischen<br />
<strong>Krieg</strong> (264 bis 241 v. Chr.) verschuldet<br />
hätten. Als Beweis kann er allerdings nicht mehr<br />
als zwei verwitterte Pfeilspitzen vorlegen, die<br />
<strong>ihr</strong>er miserablen aerodynamischen Eigenschaften<br />
wegen angeblich nur in Germanien hergestellt<br />
wor<strong>den</strong> sein können.<br />
Und welche Reparationsforderungen<br />
haben wir Deutschen zu stellen?<br />
Ganz bei der Wahrheit ist dagegen Dr. Erich<br />
Schraatz vom Salzburger Institut für Militärgeschichte,<br />
der errechnete: »In <strong>den</strong> zurück lie -<br />
gen<strong>den</strong> fünftausend Jahren hat sich Deutschland<br />
aus so gut wie allen bewaffneten Konflikten in<br />
Mitteleuropa herausgehalten. Im Ersten Burenkrieg<br />
hat Bismarck sogar noch vermitteln wollen<br />
zwischen Briten und Buren! Aber heuer interessiert<br />
das keinen mehr, obwohl sich statistisch<br />
erweisen lässt, dass Deutschland und Österreich<br />
in allen seit der Renaissance geführten <strong>Krieg</strong>en<br />
zusammengenommen mehr Menschenmaterial<br />
eingebüßt haben als die Römer in <strong>ihr</strong>er gesam -<br />
ten Geschichte ...«<br />
Unter Historikern zu wenig gewürdigt ist allerdings<br />
die Tatsache, dass Konrad A<strong>den</strong>auer am<br />
Algerienkrieg (1954/62) vollkommen schuldlos<br />
war und dass unser Land – nimmt man alle Indizien<br />
zusammen – auch von der Schuld am Koreakrieg<br />
(1950 bis heute) und am Sechstagekrieg<br />
(1967) freizusprechen ist.<br />
Da wäre es nur logisch, wenn man auch <strong>den</strong><br />
Angriff auf <strong>den</strong> Sender Gleiwitz 1939, der Hitler<br />
<strong>den</strong> Vorwand für <strong>den</strong> Überfall auf Polen geliefert<br />
hat, nicht länger aufs deutsche Schuldkonto<br />
schriebe. Die SS soll – so die bisherige, aus dem<br />
Kaffeesatz gelesene Interpretation – <strong>den</strong> Angriff<br />
selbst ins Werk gesetzt und ihn <strong>den</strong> Polen in die<br />
Schuhe geschoben haben. Die jetzt in Warschau<br />
aufgetauchten Briefe eines Schützen der 26. polnischen<br />
Panzerkohortenbrigade sprechen indessen<br />
eine andere Sprache: Wenn man diesem einfachen<br />
Soldaten Glauben schenken darf, war das<br />
Deutsche Reich am Verlauf, an der Ausweitung<br />
und nicht zuletzt an der Beendigung des Zweiten<br />
Weltkriegs so unschuldig wie ein hochqualifizierter<br />
Rauschgol<strong>den</strong>gel.<br />
Unter der erdrücken<strong>den</strong> Last der historischen<br />
Tatsachen verstummt das Gezänk »um des Kaisers<br />
Bart«, wie man früher sagte, und wir Deutsche<br />
müssen uns um der Gerechtigkeit willen fragen,<br />
welche Reparationsforderungen wir an Moskau,<br />
Prag, Buenos Aires, Paris, London, Madrid<br />
und Rom zu stellen haben. Diese Varusschlachten<br />
sind noch nicht geschlagen ...<br />
Gerhard Henschel<br />
EULENSPIEGEL 10/14 39<br />
Bernd Zeller
Sozial staat<br />
Freizeit macht frei<br />
Arbeit und Beruf lassen sich immer schlechter<br />
unter einen Hut bringen. Jeder kennt das: Man<br />
kommt von der Arbeit heim, total geschlaucht,<br />
macht das, wozu man <strong>den</strong> ganzen Sechzehnstun<strong>den</strong>tag<br />
mal wieder nicht kam, plötzlich klopft<br />
der Abteilungsleiter an der Klotür und verlangt<br />
nach einer Statistik fürs letzte Quartal. Auch zu<br />
Hause ständig und überall erreichbar zu sein, daran<br />
haben sich viele Arbeitnehmer gewöhnt, obwohl<br />
es nachweislich schlecht für die Verdauung<br />
ist. Die deutsche Sozialdemokratie will dieser<br />
schleichen<strong>den</strong> Versklavung aber nicht länger tatenlos<br />
zusehen. »Es reicht«, poltert eine führende<br />
Sozialdemokratin. »Genug ist genug«, sagt ein<br />
anderer führender Genosse zwar deutlich differenzierter,<br />
doch im Ziel ist sich die Partei einig:<br />
Deutschlands Freizeit muss verteidigt wer<strong>den</strong> –<br />
nicht nur am Hindukusch.<br />
Heute schwört Sigmar G.<br />
auf »Freizeit plus«<br />
Mit <strong>ihr</strong>em jüngsten Vorstoß hat die SPD <strong>ihr</strong>e<br />
alte Kernklientel wiederentdeckt: die der Müßiggänger.<br />
Die nicht einsehen, einen Großteil <strong>ihr</strong>er<br />
kostbaren Lebenszeit für einen vertrottelten Firmenpatriarchen<br />
oder dessen mit schwerem Vaterkomplex<br />
behaftetes Psychosöhnchen zu opfern,<br />
haben endlich wieder eine politische Hei -<br />
mat. Die Initiative geht maßgeblich auf die Erfahrungen<br />
des Genossen Sigmar G. (Name von<br />
der Redaktion gekürzt) zurück. Vor knapp einem<br />
Jahr war G. befördert wor<strong>den</strong>. Voller Eifer stürzte<br />
er sich in <strong>den</strong> neuen Job. So ein Karrieresprung<br />
verleihe anfangs natürlich Flügel, sagt er. Zunächst<br />
habe er es noch hinbekommen, einmal<br />
pro Woche seine Tochter mit dem Pony von der<br />
Uni abzuholen. Doch schon auf dem Rückritt habe<br />
meistens sein Handy geklingelt. Er musste rangehen,<br />
die Chefin wollte ihn sprechen. Ihre Anrufe<br />
häuften sich, hinzu kamen die ständigen SMS.<br />
Früher war Sigmar G. mal ein lei<strong>den</strong>schaftlicher<br />
Triathlet gewesen, jetzt drehte sich alles nur noch<br />
um seinen »fucking job« (G.). Als größten Fehler<br />
bezeichnet er im Nachhinein, die Freundschaftsanfrage<br />
seiner Chefin auf Facebook angenommen<br />
zu haben. Von da an war er für sie nicht nur gläsern,<br />
sondern <strong>ihr</strong> auch rund um die Uhr ausgeliefert.<br />
Einmal wurde er von <strong>ihr</strong> sogar im Schlaf<br />
angestupst. Er pupste zurück.<br />
Heute schwört Sigmar G. auf »Freizeit plus«.<br />
Er hat das Pilotprojekt in seiner Abteilung selber<br />
eingeführt und sich uneigennützig als Testperson<br />
zur Verfügung gestellt. Nach Feierabend ist er<br />
konsequent offline. Außerdem fängt die Arbeitswoche<br />
für ihn erst am Dienstag an, endet dafür<br />
aber bereits am frühen Donnerstagnachmittag.<br />
»Wir brauchen eine neue menschliche Unternehmenskultur«,<br />
erklärt G., der als gutes Beispiel<br />
voranlümmeln will. Unterstützung erfährt er aus<br />
der Wissenschaft. Arbeitssoziologen haben aus<br />
einem großangelegten Feldversuch folgende Gleichung<br />
aufgestellt: Arbeit erzeugt Unlust; mehr<br />
Arbeit erzeugt mehr Unlust; noch mehr Arbeit erzeugt<br />
noch mehr Unlust. Die Reihe ließe sich unendlich<br />
fortsetzen und gilt kulturübergreifend.<br />
Wie will die Sozialdemokratie diesen Teufelskreis<br />
durchbrechen? Zumindest <strong>den</strong> Realos unter <strong>den</strong><br />
Genossen ist klar: Freiwillig geht da gar nichts.<br />
Das Recht auf Freizeit verwirklicht sich nur über<br />
<strong>den</strong> Zwang zum Nichtstun.<br />
In seiner Abteilung, auch Bundessuperministerium<br />
genannt, hat G. ein Freizeit-Monitoring<br />
eingerichtet. Wer beim Durcharbeiten erwischt<br />
wird, erhält eine Abmahnung. Auf Überstun<strong>den</strong><br />
folgt Zwangsurlaub. Wird beim Mittagsschlaf geschummelt,<br />
hilft der Betriebsanästhesist nach.<br />
»Schlaf ist das A und O«, sagt G., »<strong>den</strong>n beim<br />
Schlafen kommen einem die besten Ideen.« Dieses<br />
Potenzial will er nach der Aufwachphase<br />
durch persönliche Interviews direkt abschöpfen.<br />
Kommt nichts dabei heraus, wird einfach die Dosis<br />
erhöht. Grundsätzlich, so sagt G., sei ihm der<br />
Siebenschläfer schon immer näher gestan<strong>den</strong> als<br />
der Powernapper.<br />
Niemand hat die Absicht,<br />
zwischen Arbeit und Freizeit<br />
eine Mauer zu errichten<br />
Wenn das Berufliche vom Privaten strenger getrennt<br />
wer<strong>den</strong> soll, kann das natürlich unvorhersehbare<br />
Folgen haben. Vor allem reife Frauen in<br />
Führungspositionen fragen sich besorgt, ob sie<br />
<strong>den</strong> Praktikanten künftig nur noch werktags vögeln<br />
dürfen. Die SPD aber beschwichtigt: Niemand habe<br />
die Absicht, zwischen Arbeit und Freizeit eine Mauer<br />
zu errichten. Ein Stacheldraht reiche fürs Erste aus.<br />
Grenzsoldat Sigmar G. legt großen Wert darauf,<br />
dass das Verabredungsverbot unter seinen Angestellten<br />
eingehalten wird. Es könne nicht sein, dass<br />
nach Feierabend ständig über Arbeit geredet würde.<br />
Außerdem treffe sich ohnehin niemand freiwillig<br />
mit Kollegen. Er habe je<strong>den</strong>falls noch nie eine Einladung<br />
erhalten, sagt er und wischt sich eine Träne<br />
von der Backe.<br />
Das Problem ist, dass die Deutschen nicht nur<br />
kaum Freizeit besitzen, sondern die wenige auch<br />
noch falsch nutzen. Im »Freizeit-Monitor 2014« gaben<br />
zwar vier Fünftel der Befragten an, in <strong>ihr</strong>er<br />
freien Zeit fernzusehen, zu saufen, saufend fernzusehen<br />
oder eine Kunstausstellung zu besuchen.<br />
Aber es bleibt eben ein beachtlicher Rest, der seine<br />
Freizeit mit Ehrenämtern oder als Mitglied einer<br />
Bürgerinitiative vergeudet, die sich für die Interessen<br />
der braunscheckigen Waldschabe oder <strong>den</strong><br />
Bau von Lärmschutzwällen rund um Kindertagesstätten<br />
einsetzt. Der größte Freizeitkiller neben der<br />
Arbeit ist und bleibt aber die Familie. Mit hirnrissigen<br />
Parolen wie »Samstags gehört Vati mir!«<br />
wurde das Anspruchs<strong>den</strong>ken innerhalb der eigenen<br />
vier Wände befeuert. Es sollte nun Aufgabe des<br />
Staates sein, nach einem anstrengen<strong>den</strong> Arbeitstag<br />
die Väter vor <strong>ihr</strong>en Kindern zu schützen. Am Feierabend<br />
gehört Vati sich selber. Basta.<br />
Manchmal kommt man<br />
nur voran, wenn man einen<br />
Schritt zurückmacht<br />
Einfach mal nichts tun – was lange Jahre als<br />
Todsünde der Leistungsgesellschaft galt, muss<br />
von <strong>den</strong>en, die noch nicht an Burn-out gestorben<br />
sind, erst wieder langsam, von Fall zu Fall auch<br />
gewaltsam, erlernt wer<strong>den</strong>. Angeblich plant die<br />
SPD, das Land flächendeckend mit Freizeitlagern<br />
zu versorgen. Die Einrichtungen sollen unterteilt<br />
wer<strong>den</strong> in hochspezialisierte Unterabteilungen,<br />
wo Jobgeplagte in Lethargiekursen oder Gähntherapien<br />
mit der Kunst des Müßiggangs vertraut<br />
gemacht wer<strong>den</strong> können. Fühlen sie sich schließlich<br />
antriebslos genug, so steht es <strong>den</strong> Absolventen<br />
frei, im Leistungsverweigerungszentrum<br />
einen Abschluss in Phlegmatik zu machen.<br />
Nicht alle sind von der Freizeitnot gleichermaßen<br />
betroffen. Die Erfahrung lehrt: Je höher Rang<br />
oder Bildungsabschluss, desto niedriger ist der<br />
Schlendrianfaktor. Sigmar G. erzählt gern von seinem<br />
Freund, dem Herzchirurgen, von dem der<br />
Arbeitgeber tatsächlich verlangt habe, alles stehen<br />
und liegen zu lassen, sobald der Alarm losgeht.<br />
»Solche ausbeuterischen Exzesse sind<br />
krass, aber kein Einzelfall«, sagt G. Der Arzt hat<br />
rechtzeitig für sich die Notbremse gezogen. Nach<br />
16 Uhr schaltet er <strong>den</strong> Piepser nun einfach ab.<br />
Außerdem lässt er sich in Abendkursen zum Landschaftsgärtner<br />
in Gleitteilzeit umschulen. Sigmar<br />
G. sieht in seinem Freund ein Vorbild für die<br />
ganze Gesellschaft, aber vor allem auch für sich<br />
persönlich. »Manchmal kommt man nur voran,<br />
wenn man einen Schritt zurückmacht«, sagt er,<br />
der immer häufiger davon träumt, all die tägliche<br />
Verantwortungslast von seinen Schultern abzuwerfen<br />
und völlig druckbefreit Bedeutungslosem<br />
nachzugehen – kurzum: endlich wieder Popminister<br />
sein zu dürfen.<br />
Florian Kech<br />
40 EULENSPIEGEL 10/14
EULENSPIEGEL 10/14 41<br />
Guido Sieber
Gattin grässlich geweint<br />
Gestern: Gurken-Günter gestorben<br />
Günter geboren, gefüttert, gekackt,<br />
gewindelt. Gewachsen, Grundschu -<br />
le gegangen. Größer gewor<strong>den</strong>, Gartenkraut<br />
geraucht, Gedärme Gewitter<br />
gehabt. Gerstensaft getrunken,<br />
gebrochen. Gymnasium geblockt,<br />
Gießer gelernt, gearbeitet.<br />
Gesellschaftlichen Gemeinschafts -<br />
gedanken größtenteils gemie<strong>den</strong>.<br />
Genossen geschimpft. Gegangen gewor<strong>den</strong>.<br />
Gärtner gemacht, Gurken<br />
ge zogen, Gärtnerin Gerda geliebt.<br />
General gerufen. Gelöbnis gemurmelt,<br />
gerobbt, Gelände geglättet,<br />
Gewehr gereinigt. Gastronomie gesichtet,<br />
Galopp gelaufen. Girls getroffen,<br />
Gonorrhö gefangen. Genitalien<br />
geheilt, Gefreiter gewor<strong>den</strong>.<br />
Grundwehrdienst geendet. Gärtne -<br />
rei gearbeitet, Gerda geheiratet, G-<br />
Punkt getroffen, Gynäkologe: Gebärmutter<br />
gefüllt! Gunnar geboren.<br />
Gesamtsituation gemeiner ge wor -<br />
<strong>den</strong>. Gassen gegangen, Generalsekretär<br />
geschimpft. Gruppe groß, größer,<br />
gigantisch groß gewor<strong>den</strong>. Gewonnen!<br />
Gesamtsituation gedreht.<br />
Gärtnerei gekündigt, Gemüsehandel<br />
gegründet. Großspurige Gütersloher<br />
Germanen Gerhard, Gernot,<br />
Gerald gekommen. Gesagt: Gemüse<br />
Goldgrube! Gläubig gewesen,<br />
Geschäftspartner gewor<strong>den</strong>. Geistesgegenwärtig<br />
gemerkt: Gütersloher<br />
Gebrüder Ganoven! Geld gezogen,<br />
Geier gen Gemüsehandel gekreist.<br />
Gericht Ganoven geächtet.<br />
Glück gehabt, Geschäft gerettet.<br />
Gerackert, Gewinn gemacht, Großhandel<br />
gewor<strong>den</strong>.<br />
Gut gelebt, Gewicht gesteigert.<br />
Gunnar größer gewor<strong>den</strong>, Gymnasium<br />
gegangen, Großhandelskaufmann<br />
gemacht. Gunnar Geschäft gegeben.<br />
Gunnar Grit geheiratet, Ge -<br />
org geboren. Günter Großvater gewor<strong>den</strong>,<br />
Großmutter Gerda genommen,<br />
Globus gereist. Gardasee gebadet,<br />
Ganges geschwommen, Grenada<br />
gelandet, Guangzhou, Genua,<br />
Gibraltar …<br />
Geschäftigkeit geringer wor<strong>den</strong>,<br />
Gunnar Günter Geld gefragt. Gestritten.<br />
Günter Gedanke gekommen:<br />
Grabstelle gesichert, Ge<strong>den</strong>kstein<br />
gefertigt. Gigantische Gurke gemeißelt:<br />
Geld gekostet. Geprasst, gezockt,<br />
gepokert. Geländewagen geleistet,<br />
gewaltig Gas gegeben. Grünstreifen<br />
gelenkt, Gurkenfeld gelandet.<br />
Geländewagen geschrottet.<br />
Gün ters Gesäß Grundeis gegangen.<br />
Gurke Gebiss genommen, großes<br />
Gurkenstück Gurgel geklemmt. Günter<br />
Gras gebissen.<br />
Gattin grässlich geweint. Gunnar,<br />
Grit geschockt. Gedacht: Geerbt.<br />
Geldhaus gesagt: Günters Gut -<br />
haben geringfügig! Gesichter Gurken<br />
gewor<strong>den</strong>. Günter gen Grab getragen,<br />
Günters Geist gedacht: Gut<br />
gelebt, geil!<br />
Grabgemeinde Gourmetplan geändert:<br />
Gänsebraten gestrichen.<br />
Gurkensalat gereicht. Günters Geist<br />
gelächelt, Gurkengesichter genossen<br />
…<br />
Frank B. Klinger<br />
Alexander Schilz (2)<br />
Fremde Welt<br />
Fahre Zug von Dres<strong>den</strong> nach Riesa.<br />
Mir gegenüber zwei Frauen mit<br />
Kleinkind, die einander auf zulässige<br />
Weise liebkosen.<br />
In Weinböhla steht ein Inder in buntem<br />
Sherwani und violettem Turban<br />
auf dem Bahnsteig und trinkt Dosenbier.<br />
Neben mir im Waggon telefoniert<br />
ein Mann in astreinem arabischen<br />
Dialekt, streut aber immer mal<br />
»Scheiße!« ein. Die Zugbegleiterin<br />
verlangt <strong>den</strong> Fahrschein mit polnischem<br />
Akzent. Schräg gegenüber erklärt<br />
ein sehr dunkelhäutiger Mensch<br />
mit klein gekräuselten, schwarzen<br />
Haaren seiner schwe<strong>den</strong>blon<strong>den</strong> Begleiterin<br />
im handfesten Dresdner<br />
Singsang, dass er mit <strong>ihr</strong> zusammen<br />
zu seiner Mutter Erika ziehen<br />
möchte, nach Radebeul.<br />
Ein Getränkewagen quietscht heran<br />
und wird von einem mit »Herr Maradoni«<br />
beschrifteten Mann durch <strong>den</strong><br />
Gang geschoben. Ein Rad des Wagens<br />
verfängt sich in einer auf dem<br />
Bo<strong>den</strong> liegen<strong>den</strong> Nesawissimaja Gaseta.<br />
Eine kleine Asiatin (sind sie<br />
nicht immer klein?) fragt mich, ob<br />
der Wagen eine Toilette hat. Ich<br />
reiße <strong>den</strong> Briefumschlag auf, <strong>den</strong> ich<br />
heute Morgen aus dem Kasten gezogen<br />
habe. Mir wird von Herrn Dincer<br />
Gücyeter, dem Chef eines Kölner Lyrikverlages,<br />
bestätigt, dass er beabsichtige,<br />
Werke von mir zu veröffentlichen.<br />
In Deutsch! In Coswig<br />
kommt mir alles spanisch vor bei der<br />
kleinen, gemischten Gruppe, die –<br />
warum auch immer – in Coswig war.<br />
Ich muss wohl etwas zu lange auf eine<br />
der iberischen Schönheiten geblickt<br />
haben, <strong>den</strong>n meine neben mir sitzende<br />
Freundin spricht, wie immer,<br />
wenn sie sich über mich ärgert, tschechisch<br />
auf mich ein (und ich verstehe<br />
nur Bahnhof).<br />
Wenn jetzt der Lucke hier wäre ...!<br />
Henning H. Wenzel<br />
Anzeigen<br />
Mensch Meier,<br />
ick wollt` doch nur ne klene<br />
Bieje fahrn!<br />
42 EULENSPIEGEL 10/14
Der schlechte Witz<br />
»Wie war die Stimmung<br />
in der DDR?«<br />
»Hielt sich in Grenzen.«<br />
Selbst<br />
die Unsterblichen<br />
kann man<br />
tödlich<br />
beleidigen!<br />
Wolfgang Mocker<br />
Ausgebufft<br />
»Nun sind Sie schon so alt und<br />
fallen immer wieder auf sich selbst<br />
herein!«, sagte mein Psychologe<br />
bekümmert. Was soll ich machen?<br />
Je älter und erfahrener ich werde,<br />
desto ausgebuffter meine Tricks.<br />
Guido Pauly<br />
Tacitus sagt<br />
Sie verursachen<br />
Verzweiflung<br />
und nennen es<br />
Frie<strong>den</strong>.<br />
Total verkabelt<br />
Ich weiß nicht, was mit mir los ist phy <strong>den</strong> Opferstock ausrauben und<br />
– obwohl ich inzwischen Abend für schloss sich in der Pentecostal oder<br />
Abend bis zu fünf Spielfilme sehe, Chuckatanee Church ein, die samt<br />
kapiere ich die einfachsten Handlungen<br />
nicht. Und dabei bin ich auf <strong>den</strong> Plan rief. Der musste aber<br />
Inhalt abbrannte, was <strong>den</strong> Sheriff<br />
doch, nicht zuletzt dank der bequemen<br />
Fernbedienung, ein versierter wieso zu spät gekommen, weil er<br />
erst das Pferd tanken und wäre so-<br />
Diagonal-Zuschauer.<br />
gerade bei der Beerdigung seiner<br />
Gestern Abend zum Beispiel woll - Negeramme in Shuttlefield, Geor gia,<br />
te ich mir einmal ganz ruhig und war. Governor Mor gan sprach sich<br />
konzentriert einen Film mit Anthony im Wahlkampf für die Todesstrafe<br />
Peck oder Joan Austen ansehen (allerdings nur für Farbige) aus, weil<br />
oder wie diese Typen heißen. Der der Ku-Klux-Klan ihm drohte, sein<br />
Film hieß, glaube ich – na, ist ja Pferd zu vergiften, das Thunderbird<br />
auch egal! Ich habe je<strong>den</strong>falls auf hieß und ziemlich teuer war, und<br />
<strong>den</strong> Bildschirm gesehen und – ziemlich<br />
fassungslos – versucht, mir klar-<br />
<strong>den</strong> ausdrücklichen Wunsch <strong>ihr</strong>er<br />
seine Tochter Daisy schien gegen<br />
zumachen, was da eigentlich los Erbtante Helen etwas Schlimmes<br />
war: Jemand kam ins Zimmer oder mit Gregory Perkins anfangen zu<br />
auf die Veranda, um seiner Mutter wollen. Zum Schluss musste das<br />
oder <strong>ihr</strong>em Vater mitzuteilen, dass Pferd erschossen wer<strong>den</strong>, und die<br />
Richard oder Mildred sie oder ihn Kinder weinten und wollten <strong>den</strong><br />
wegeneines gewissen Robertson beziehungsweise<br />
wegen dessen Schul - Nun frage ich mich, für was oder<br />
Truthahn nicht essen.<br />
freundin verlassen wolle, und mein - wen soll das gut sein? Da kann ich<br />
te, Grandma oder Grandpa oder Reverend<br />
Silverstone von der Baptist Waschmaschine setzen. Die hat<br />
mich doch genauso gut vor die<br />
oder Pentecostal Church könne sich schließlich auch fünf Programme,<br />
ja wohl vorstellen, wie das auf die und wenn man Buntwäsche hat,<br />
Kinder wirke. Außerdem sei das zeigt sie sogar Farbfilme.<br />
Pferd krank. Dann wollte Fred Mur -<br />
Theodor Weiß enborn<br />
<br />
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<br />
egonforever.de<br />
Fahrschulmädchenreport<br />
In letzter Zeit, können schon so zwei<br />
drei Jahre sein, sind immer mehr<br />
MILFS (Mama, ich liebe deinen Fahrstil)<br />
mitsamt <strong>ihr</strong>en 17-jährigen Rotzlöffeln<br />
unterwegs und erwarten im<br />
Auto <strong>den</strong> 18. Geburtstags der selbstgezogenen<br />
Gören. Manch eine der<br />
Damen hält sich dabei aber nicht an<br />
die Regeln der Straßenverkehrsordnung,<br />
als da wären Nacktfahrverbot<br />
und und und. Wir meinen, das sind<br />
schockierende Zustände, die an <strong>den</strong><br />
Pranger gestellt gehören, aber dafür<br />
ist es jetzt eh zu spät, <strong>den</strong>n ein Großteil<br />
dieser Brut müsste wohl hoffentlich<br />
schon lange, lange brustentwöhnt<br />
sein!<br />
Alexander Schilz<br />
Minima Culinaria<br />
Seit meine Freundin Philosophie studiert,<br />
ist unsere Beziehung entspannter.<br />
Ein blumiger Duktus weht durch<br />
unseren gemeinsamen Haushalt, irgendwas<br />
zwischen Habermas und<br />
Körnerfraß, Sloterdijk und Blätterteig,<br />
Bloch und Loch. Wurde sie früher<br />
schon mal persönlich, ja verletzend,<br />
wenn ich mit dem Tablett aus<br />
der Küche kam, so bleibt heute »die<br />
Kochkunst hinter <strong>ihr</strong>en Möglichkeiten<br />
zurück – aber nicht deinen!«.<br />
Fabian Lichter<br />
Anzeigen<br />
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Dircksenstr. 48 Am Hackeschen Markt Mo-Fr 10-20 Sa 10-17<br />
Oranienstr. 32 Kreuzberg Mo-Mi 10-18.30 Do-Fr 10-20 Sa 10-16<br />
EULENSPIEGEL 10/14 43
Kino<br />
Mr. May und das<br />
Flüstern der Ewigkeit<br />
ist das Meisterstück des Autor-Regisseurs<br />
Uberto Pasolini. Nach dem Hinschei<strong>den</strong><br />
seines lediglich Seelenverwandten<br />
Pier Paolo Pasolini und dem<br />
seines echten Onkels Luchino Visconti<br />
schwante dem gebürtigen Römer,<br />
dass es mit der ruhmreichen italienischen<br />
Kinematographie schon bald<br />
bergab gehen könnte. Deshalb übersiedelte<br />
er nach England und erlernte<br />
das Filmhandwerk von der Pike auf.<br />
Den ersten Welterfolg erzielte er 1997<br />
als Produzent der proletari schen Striptease-Komödie<br />
Ganz oder gar nicht.<br />
Auch seine erste Regiearbeit, die hochpolitische<br />
Sport-Satire Machan – Spiel<br />
der Träume, fand in aller Welt Anerkennung.<br />
Nur hierzulande nicht.<br />
Auf die Idee zu Mr. May und das Flüstern<br />
der Ewigkeit kam Uberto Pasolini<br />
beim Lesen des Zeitungsinterviews mit<br />
einem dieser Londoner Funeral Officers.<br />
Sechs Monate lang begleitete<br />
er etwa 30 von ihnen und resümierte<br />
ernüchtert: »Die Art und Weise, wie<br />
wir mit <strong>den</strong> Toten umgehen, reflektiert<br />
<strong>den</strong> Umgang unserer Gesellschaft mit<br />
<strong>den</strong> Leben<strong>den</strong>.« Denn wo man es vom<br />
Lebendigen nimmt, können arme<br />
Schlucker nicht länger teure Tote sein.<br />
Mr. May wird also zugunsten eines gewöhnlichen<br />
Ascheentsorgers gekün-<br />
Menschenge<strong>den</strong>ken gibt es in digt, darf aber seinen letzten Fall noch<br />
allen Londoner Stadtbezirken <strong>den</strong> abschließen. Und schafft, was keinem<br />
sogenannten Funeral Officer. Der Funeral Officer vor ihm gelang: eine<br />
AnzeigenSeit<br />
bringt Verstorbene, die weder Bares Familienzusammenführung am offe -<br />
noch zahlungsfähige Angehörige hinterlassen<br />
haben, auf Staatskosten un-<br />
Die anspruchsvolle Titelrolle konn -<br />
nen Grab.<br />
ter <strong>den</strong> grünen Rasen. Einer dieser Armenbestatter<br />
ist John May, ein ver-<br />
und heiter-gelassen spielen: Eddie<br />
te nur einer so einfühlsam, sensibel<br />
schlossener, eigenbrötlerischer Mittvierziger,<br />
allein lebend im nichtsoziative<br />
englische Mime ist aufmerksamen<br />
Marsan. Der kleine, nicht eben attraklistischen,<br />
<strong>den</strong>noch real existieren <strong>den</strong> Zuschauern als großartiger Nebendarsteller,<br />
beispielsweise in Mike Leighs<br />
Plattenbau, und irgendwann vermutlich<br />
selbst ein Fall für <strong>den</strong> Funeral Officer.<br />
Von diesem Kollegen in spe er-<br />
Go Lucky, in bester Erinnerung. Dass<br />
Sozialdramen Vera Drake und Happy<br />
hofft sich Mr. May die gleiche respektvolle<br />
Aufmerksamkeit, die er seinen voriten Marsan gegen <strong>den</strong> Protest der<br />
Regisseur Uberto Pasolini seinen Fa-<br />
Klienten entgegenbringt, wenn er zum Star-fixierten Finanziers durchsetzte,<br />
Beispiel in <strong>ihr</strong>en oft verwahrlosten Behausungen<br />
nach Lebens-Zeichen für die, die es nicht verdienten.<br />
zahlte sich am Ende für alle aus. Selbst<br />
sucht. Fotos, Briefe, Postkarten, sogar<br />
★<br />
ein kaum benutzter Lippenstift kön - Die Jüdin Nelly Lenz (Nina Hoss) hat<br />
nen zur Kenntlichmachung eines gewesenen<br />
Menschen beitragen. Darauf sie für tot hielten. An der Schuss -<br />
Auschwitz überlebt, weil <strong>ihr</strong>e Peiniger<br />
basiert dann Mr. Mays individuelle wunde, die <strong>ihr</strong> Nasen- und Joch bein<br />
Trauerrede, die vom jeweils zuständigen<br />
Religionsvertreter bei der Beerdi-<br />
Familiensachen<br />
gungszeremonie verlesen wird. Und<br />
zwar immer vor einem einzigen Trauergast:<br />
John May.<br />
hätte man sie nicht rechtzeitig gefun-<br />
zerfetzte, wäre sie auch gestorben,<br />
Die tiefberührende, auf sieben internationalen<br />
Festivals preisgekrönte Kunzendorf), inzwischen Mitarbeiterin<br />
<strong>den</strong>. Ihre Jugendfreundin Lene (Nina<br />
Tragikomödie<br />
der Jewish Agency, vermittelt sie an<br />
einen sogenannten plastischen Chirurgen,<br />
der vorlagengetreue Ebenbilder<br />
erschaffen kann. Aber Nelly will nicht<br />
aussehen wie eine andere. Sie will <strong>ihr</strong><br />
altes Gesicht zurückhaben und in <strong>ihr</strong><br />
altes Leben zurückkehren. In das sorglose,<br />
glückliche Leben mit Johnny (Ronald<br />
Zehrfeld), <strong>ihr</strong>em über alles geliebten<br />
Mann, der sie am Klavier be glei -<br />
tete, wenn sie, die gefeierte Diseuse,<br />
das melancholische Kurt-Weill-Lied<br />
Speak Low sang. Jede Nacht durchstreift<br />
Nelly Berlins Trümmerland -<br />
Amma & Appa<br />
schaft auf der Suche nach Johannes<br />
Lenz. Der arbeitet in dem halbzerfallenen<br />
Amüsierlokal<br />
Phoenix<br />
als schlechtbezahltes Mädchen für alles.<br />
Nelly spricht ihn mit seinem längst<br />
abgelegten Kosenamen Johnny an, er<br />
erschrickt und – erkennt sie nicht. Vielleicht,<br />
weil <strong>ihr</strong> Gesicht noch von Pflastern<br />
und Operationsnarben entstellt<br />
ist. Vielleicht aber auch, weil es ihm<br />
sein Unterbewusstsein verbietet.<br />
Schließlich hat er sie an die Nazis verraten,<br />
hat im Tausch gegen sein Leben<br />
<strong>ihr</strong>en Tod riskiert. Wer wollte darüber<br />
richten.<br />
Doch nach diesem erregen<strong>den</strong> Einstieg<br />
verließ Regisseur Christian Petzold<br />
<strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> nachvollziehbarer Tatsachen<br />
und konstruierte einen absolut<br />
hanebüchenen Plot. Johnny Lenz weigert<br />
sich nämlich auch in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong><br />
Wochen, die mittlerweile bei ihm<br />
einwohnende Frau – trotz i<strong>den</strong>tischer<br />
Augenfarbe, Schuhgröße und sogar<br />
Handschrift – als die seinige zu akzeptieren.<br />
Stattdessen macht er <strong>ihr</strong> ein<br />
höchst unmorali sches Angebot: Sie<br />
soll diese Nelly nur überzeugend genug<br />
spielen, um als einzige Erbin an<br />
das in der Schweiz gebunkerte Millionenvermögen<br />
<strong>ihr</strong>er ermordeten Familie<br />
zu gelangen. Das werde dann auch<br />
nicht <strong>ihr</strong> Scha<strong>den</strong> sein.<br />
Natürlich wollte Christian Petzold<br />
mit der Figur des Johnny jenen Typus<br />
des Mitläufers und Verräters charakterisieren,<br />
der im Nachkriegs-(West-)<br />
Deutschland nicht fürchten musste,<br />
zur Verantwortung gezogen zu wer -<br />
<strong>den</strong>, sondern die Chance nutzte, aus<br />
der verlorenen Schlacht wenigstens<br />
persönliches Kapital zu schlagen. Dass<br />
aber eine kluge, kultivierte, durch alle<br />
Höllen gegangene Frau wie Nelly einem<br />
solchen Lumpen in hündischer<br />
Hörigkeit ergeben bleibt, das vermag<br />
nicht einmal die große Nina Hoss zu<br />
spielen.<br />
★<br />
Die stramme Franzi aus München und<br />
der spacke Tamile Jay aus Südindien<br />
wollen heiraten. Mama Christine und<br />
Papa Albert haben zwar weißblaue Be<strong>den</strong>ken<br />
wegen der Hautfarbe des Erwählten,<br />
wissen aber, dass <strong>ihr</strong>e emanzipierte<br />
Tochter Entscheidungen auch<br />
ohne elterlichen Segen trifft. Den jedoch<br />
erbittet Jay, noch dazu vor laufender<br />
Kamera, von<br />
Die blasen der um <strong>ihr</strong>e Gunst buhlen<strong>den</strong><br />
Dokfilmstu<strong>den</strong>tin Franziska Schönenberger<br />
sowie <strong>ihr</strong>em eigenen Sohn,<br />
dem Kunststu<strong>den</strong>ten Jayakrish nan<br />
Subramanian, einen spe ziell tamilischen<br />
Hochzeits marsch. Erstens wer -<br />
de jeder, der sich mit Weißen einlasse,<br />
schon nach dem ersten Schluck zum<br />
unrettbaren Alkoholiker. Zweitens<br />
habe sich Jay durch die Verweigerung<br />
einer arrangierten Heirat der Verpflichtung<br />
entzogen, bei <strong>den</strong> Eltern zu wohnen<br />
und sie immerdar zu ernähren<br />
und zu pflegen. Ammas Philippika gipfelt<br />
in dem Satz: »Als du dich für eine<br />
Liebesheirat entschie<strong>den</strong> hast, haben<br />
wir alles verloren.« Dieser Mutterfluch<br />
veranlasst Franzi, <strong>den</strong> Standesamtstermin<br />
zu canceln und mit Jay auf die<br />
Wiesn zu gehen. Falls sie dort ausreichen<strong>den</strong><br />
Rachedurst verspürt, könnte<br />
sie <strong>ihr</strong>en Ex zu einer Maß Bier einla<strong>den</strong>.<br />
Renate Holland-Moritz<br />
44 EULENSPIEGEL 10/14
Psychologie<br />
Gerhard Glück<br />
EULENSPIEGEL 10/14 45
Nationalfeiertag 3. Oktober<br />
Michael Holtschulte<br />
Nel<br />
Peter Muzeniek<br />
Mario Lars<br />
46 EULENSPIEGEL 10/14
– Tag der offenen Moschee<br />
Petra Kaster<br />
Andreas Prüstel<br />
EULENSPIEGEL 10/14 47
Arten vielfalt<br />
Das Rehabilitand<br />
Das Rehabilitand (weibl.: Rehabilitante, männl.:<br />
Rehabilionkel, schwul.: Rehabilitunte) entsteht<br />
aus einer Paarung von Mensch und Pech. Der<br />
Mensch ist schon früher aus einer Paarung von<br />
Menschen oder einem medizinischen Eingriff entstan<strong>den</strong>.<br />
Das Pech ist später einfach so über<br />
<strong>den</strong> entstan<strong>den</strong>en Menschen gekom men, wie<br />
eine Krankheit, das Wetter oder die Wende. An<br />
diesem Pech hat der Mensch so sehr zu knab -<br />
bern, dass er dem Verwertungsprozess des Kapitals<br />
oder der Arbeitsvermittlung nicht mehr in<br />
von diesen gewünschtem Umfang zur Verfügung<br />
stehen kann.<br />
In diesem Fall kann er einen Kostenträger bitten,<br />
ihn zu einem Leistungserbringer zu schicken,<br />
der ihn so weit runderneuert, dass er wieder<br />
durch <strong>den</strong> Lebens-TÜV kommt. Und sei es nur<br />
noch für dieses eine Mal.<br />
Mit Antritt der Reha-Maßnahme wird der<br />
Mensch zum Rehabilitan<strong>den</strong>, womit hier nicht<br />
jene verhuschten Gestalten gemeint sind, die<br />
mit Gruselgeschichten über <strong>ihr</strong> Leben in der Diktatur<br />
ein paar Euro Rente ergattern wollen, sondern<br />
einfach der irgendwie ein bisschen lebensuntüchtig<br />
gewor<strong>den</strong>e Teil der modernen freiheitlich-demokratischen<br />
Marktordnung.<br />
In seiner kasernierten Variante unterliegt das<br />
Rehabilitand einer nächtlichen Ausgangssperre,<br />
einer Gemeinschaftsverpflegung und einer regelmäßigen<br />
Kontrolle von Körpergewicht und Blutdruck.<br />
Der Zweck der Rehabilitation besteht darin,<br />
aus dem körperlichen und/oder seelischen Trümmerhaufen,<br />
<strong>den</strong> der Rehabilitand zu Beginn der<br />
Maßnahme darstellt, wieder ein nützliches Mitglied<br />
der Gesellschaft zu machen, das sich freudig<br />
ausbeuten lässt und der öffentlichen Hand nicht<br />
auf der Tasche liegt, sondern in diese einzahlt.<br />
Die Rehabilitation findet zumeist in Kliniken<br />
statt, die an auf spartanisches Niveau getrimmte<br />
Mittelklassehotels oder sogenannte Hostels erinnern.<br />
Sie wer<strong>den</strong> von diversen Rentenversicherungen<br />
oder anderen Kassen finanziert. Die<br />
wollen auf diese Weise der Zahlung massen -<br />
hafter, wenn auch mickriger Erwerbsunfähigkeitsrenten<br />
vorbeugen. Im Kern geht es also in der<br />
Reha um die Auseinandersetzung zwischen Leistungsverweigerern,<br />
die sich eine Leistung erschleichen,<br />
und Leistungserbringern, die im Auftrage<br />
von Kostenträgern helfen wollen, eine Leistung<br />
zu verweigern.<br />
So unterschiedlich auch immer der Kampf im<br />
Einzelnen abläuft, es sind doch ein paar Konstanten<br />
zu beobachten: Trotz <strong>ihr</strong>es moribun<strong>den</strong><br />
Zustandes explodiert bei <strong>den</strong> meisten Rehabilitan<strong>den</strong><br />
mit dem Eintreffen in der Klinik die Paarungsbereitschaft,<br />
ja, bei <strong>den</strong> männlichen Exemplaren<br />
dieser Art zeigen sich sogar Spontan -<br />
erektionen. Als zweites entwickeln sie ein unglaubliches<br />
Geschick in der Beschaffung und im<br />
Schmug gel von Alkoholika. Auf diese Weise wer<strong>den</strong><br />
Schnäpse (lassen sich leichter in die Klinik<br />
bringen als Bier) zu einem festen Teil der Rehabilitation.<br />
Abends kommt manchmal ein Autor<br />
vom EULENSPIEGEL und liest lustige Geschichten<br />
vor oder es ist Tango-Kurs. Im Verlauf der Reha<br />
verbessert sich zwar die Arbeitsfähigkeit, es sinkt<br />
aber gleichzeitig die Arbeitslust, weil man ja nun<br />
das schöne, aktiv-müßige Leben auf Kosten<br />
eines Kostenträgers erst so richtig kennen ge -<br />
lernt hat.<br />
Ob sich am Schluss das Lei<strong>den</strong> gebessert hat,<br />
kann man erst bei der nächsten Krankschreibung<br />
sagen. Und ob sich die Lebenserwartung wenigstens<br />
um die wenigen Wochen, die man in der<br />
Klinik gefangen war, erhöht hat, wird man erst<br />
auf dem Sterbebett resümieren können.<br />
Fazit: Ja, gern wieder!<br />
Ove Lieh<br />
Anzeige
Lebens hilfe<br />
EULENSPIEGEL 10/14 49<br />
www.martin-zak.de
Rauchen kann dämlich sein<br />
Nach einer neuen EU-Verordnung wer<strong>den</strong><br />
alle Zigarettenverkäufer verpflichtet, ab -<br />
schreckend auszusehen.<br />
Ausgenommen von dieser Verordnung<br />
sind allerdings Indianer. Sie benutzen <strong>ihr</strong>e<br />
Zigaretten zur Verständigung mit Rauchzeichen.<br />
Aus diesem Grunde wer<strong>den</strong> sie<br />
weiterhin von jungen hübschen Zigarettenverkäuferinnen<br />
mit <strong>den</strong> Glimmstängeln<br />
versorgt.<br />
Und außerdem: Rauchen kann Ihre<br />
Zigarette verkürzen!<br />
lo<br />
Eine<br />
Frage der<br />
Perspektive<br />
Jedes Jahr dasselbe<br />
Elend. Sobald die Tage<br />
wieder kürzer wer<strong>den</strong>,<br />
geht das große Gemaule<br />
los: Im Oktober ist es so<br />
kalt, wird gejammert,<br />
ständig kommen neue<br />
Tiefdruckgebiete, es<br />
stürmt in einem fort, die<br />
Blätter fallen noch<br />
schneller von <strong>den</strong> Bäumen<br />
als die Aktienkurse<br />
in <strong>den</strong> Keller, und der<br />
Regen rieselt genauso<br />
heftig wie der Kalk bei<br />
Horst Seehofer.<br />
Dabei muss man die<br />
Sache gar nicht so pessimistisch<br />
sehen – nur<br />
mal aus einem anderen<br />
Blickwinkel!<br />
Dann stellt sich nämlich<br />
ganz schnell heraus:<br />
Auch der Herbst hat<br />
seine schönen Seiten!<br />
ru/ke<br />
Die Blatt-Wende<br />
Seit die kleinen grünen Blattwender<br />
als »Beamten-Lustfinger«<br />
angeboten wer<strong>den</strong>,<br />
laufen sie wie geschmiert!<br />
kriki<br />
Bauernregel<br />
lo<br />
Niest der Bauer im Oktober,<br />
hat er keinen Strickpullober.<br />
Fette Beute!<br />
Der frühe Beuys »Fettbemme«<br />
brachte jetzt bei<br />
eBay 10 € ! Kaum zu glauben,<br />
wenn man sich klarmacht,<br />
dass damals eine<br />
Fettbemme noch für ein<br />
Butterbrot zu haben war.<br />
Außerdem wird im Kunstbetrieb<br />
gemunkelt, dass<br />
das Kunstwerk von Beuys’<br />
Mutter geschaffen wurde<br />
und ursprünglich »Pausenbrot«<br />
hieß!<br />
kriki<br />
ACHTUNG DREIECK!<br />
So weit ist es<br />
gekommen:<br />
Jetzt wer<strong>den</strong><br />
schon Warndreiecke<br />
angeboten,<br />
die<br />
vor dem Euro<br />
warnen. Na,<br />
Hauptsache,<br />
man kann die<br />
Euro-Warndreiecke<br />
noch<br />
in Euro bezahlen!<br />
Kriki
Futter bei die Büsche!<br />
Es wird nun wieder<br />
langsam verloren haben,<br />
tiven Futtererwerb<br />
Herbst, und unsere<br />
sommergrü-<br />
Fütterung durch<br />
sind sie auf die<br />
nen Abfallbehälter <strong>den</strong> Menschen angewiesen.<br />
legen <strong>ihr</strong> rotbraunes<br />
Herbstkleid Der Senator für Inneres<br />
bittet<br />
an. Da unsere domestizierten<br />
Müllkörbe<br />
im Laufe in <strong>den</strong> kalten Win-<br />
darum, besonders<br />
der Evolution die termonaten unsere<br />
verschneiten<br />
Fähigkeit zum ak-<br />
Parks aufzusuchen<br />
und <strong>den</strong> leeren<br />
Abfallkörben<br />
etwas zuzustecken!<br />
kriki<br />
MENSCH<br />
& NATUR<br />
von Hellmuth Njuhten<br />
wt<br />
Unterhaltung für alle<br />
Hundeleben: Jetzt streicht die Regierung nach <strong>den</strong> Feiertagen auch<br />
noch die Hundstage auf einen zusammen!<br />
kriki<br />
Top secret!<br />
Einmal die Woche trafen sich<br />
das Rätsel, das Geheimnis<br />
und die Kopfnuss in dem kleinen<br />
Kabinett hinter der Tapetentür<br />
und brachten sich unter<br />
dem Siegel der Verschwiegenheit<br />
auf <strong>den</strong> letzten<br />
Stand. Das Rätsel berichtete<br />
über ein aktuelles unerklärliches<br />
Phänomen, das<br />
Geheimnis steuerte ein Arkanum<br />
bei, und die Kopfnuss<br />
brachte einen Haufen Denksportaufgaben<br />
mit, vor allem<br />
Sudokus, Schachprobleme,<br />
Drudel und jede Menge Whodunnit-Krimis.<br />
Stets am nächsten<br />
Tag kamen sie im Irrgarten,<br />
wenn das Wetter schön<br />
war, oder im Kellerlabyrinth,<br />
wenn es regnete, mit der Lösung,<br />
dem Schlüssel und<br />
der Erklärung zusammen, bis<br />
alle Klarheiten beseitigt waren.<br />
Was sie <strong>den</strong> Rest der Woche<br />
taten, ist selbstverständlich<br />
top secret. pk<br />
Manchmal kann man sich blöde suchen ...<br />
Dank des neuen Flügels<br />
der Firma Brechstein fällt<br />
das Einprägen von Liedtexten<br />
jetzt viel leichter!<br />
ub / ss<br />
lo<br />
Funzel-<br />
RÄTSEL<br />
Bei allem Verständnis –<br />
mit seiner Liebe zu<br />
<strong>den</strong> FUNZEL-Mädels<br />
übers Ziel hinaus!<br />
ru<br />
Mit <strong>ihr</strong>em Gesellschaftsspiel »Staatsbegräbnis«<br />
ist <strong>den</strong> Politikern vieler Länder<br />
ein Überaschungshit gelungen. ub/ ss<br />
Informationsflut: Hier sehen wir einen arglosen<br />
Berliner Fahrradfahrer, kurz bevor er<br />
von der Informationswucht eines Laternenpfahls<br />
umgerissen wird. Wegen ge häufter<br />
Unfälle solcher Art berät nun der Berliner<br />
Senat über die Wiedereinführung einer kostenlosen<br />
Tageszeitung.<br />
fb<br />
ru<br />
IMPRESSUM:<br />
Viele Köche verderben <strong>den</strong> Brei,<br />
aber schon ein <strong>Eulenspiegel</strong><br />
verdirbt <strong>den</strong> ganzen Tag,<br />
wissen die FUNZEL-Mitarbeiter<br />
Utz Bamberg, Frauke Banz,<br />
Lo Blickensdorf, Klaus Ender,<br />
Peter Köhler, Kriki, Siegfried<br />
Steinach, Wolfgang Triebel und<br />
Reinhard Ulbrich.
neu bei con anima<br />
con anima<br />
Tel. 0211-4220667<br />
erhältlich unter www.conanima.de<br />
und im Buch- und Tonträgerhandel<br />
www.Kabarett-shop.de<br />
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„... bis neulich 2014“<br />
ISBN 978-3-944304-06-9<br />
auch als CD erhältlich:<br />
2 CD-Set Volker Pispers:<br />
„... bis neulich 2014“<br />
ISBN 978-3-944304-05-2<br />
Die FDP ist weg – die Finanzkrise noch da. Die Festung Europa wird<br />
gebaut, und die AFD hätte gerne die Bauleitung. Die kapitalgedeckte<br />
Altersvorsorge wird für <strong>den</strong> Normalverdiener zur Armutsfalle, da helfen nur<br />
neue Feindbilder, um die demokratisch Verarschten bei der Stange zu<br />
halten, an der man sie tanzen lässt. Wer die Medien beherrscht, hat die<br />
Herrschaft in der Mediendemokratie. Die Probleme sind nicht neu, haben<br />
sich aber ebenso weiterentwickelt wie das Programm.<br />
Taschenbuch Volker Pispers:<br />
„RadioAktiv“<br />
ISBN 978-3-944304-03-8<br />
Das Taschenbuch enthält Manuskripte von 227 Hörfunk glossen,<br />
die Volker Pispers zwischen Herbst 2001 und Herbst 2013 für das<br />
Vormittagsprogramm von WDR 2 produziert hat – eine chronologisch<br />
geordnete Zeitreise durch ein Jahrzehnt, in dem unglaublich viel passiert<br />
ist, ohne dass sich grundsätzlich etwas zum Besseren gewendet hätte.<br />
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52 EULENSPIEGEL 10/14<br />
Erspart uns eure<br />
Zukunft<br />
mit Marion Bach<br />
und Hans-Günther<br />
Pölitz<br />
NEU<br />
Über Kimme und Zorn<br />
von und mit<br />
Lothar Bölck und<br />
Hans-Günther<br />
Pölitz<br />
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eine Macht<br />
mit Marion Bach<br />
und Heike Ronniger<br />
Klavier: Oliver Vogt /<br />
Christoph Deckbar<br />
talk „Mann erfährt was“<br />
Jens Bullerjahn zu Gast bei Andreas Mann<br />
26. Oktober, 17 Uhr<br />
GASTSPIEL<br />
Martin Buchholz<br />
„Ich geb’s ja zu !“<br />
18. Okt, 15 und 20 Uhr<br />
Der Spielplan: www.zwickmuehle.de<br />
Magdeburger Zwickmühle<br />
Leiterstraße 2a, 39104 Magdeburg<br />
Telefon: (03 91) 5 41 44 26<br />
An der Markthalle 1-3<br />
09111 Chemnitz
Gol<strong>den</strong>er Löwe<br />
Kulturbühne Wandlitz<br />
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TICKETLINE: (030) 5 42 70 91<br />
Fr<br />
3.10.<br />
20.00<br />
FU:XX<br />
„The Sounds of 007“<br />
20 exklusiv arrangierte Songs<br />
aus 50 Jahren James Bond<br />
Samstag, 18. Oktober 2014, 20.00 Uhr<br />
Kulturbühne „Gol<strong>den</strong>er Löwe“<br />
Breitscheidstraße 18<br />
16348 Wandlitz<br />
D-KADENZ<br />
Das 10. politisch-satirische Programm der Hengstmann Brüder<br />
Wir leben in einem Land mit <strong>den</strong> höchsten<br />
wirtschaftlichen, sozialen und technischen<br />
Standards! Hurra!! Nicht nur im europäischen-,<br />
sondern auch im internationalen Vergleich!!!<br />
Klasse!!!! Wir leben im Aufschwung!!!!!! Prima!!!!!! Es<br />
wur<strong>den</strong> bisher in diesem Text 22<br />
Ausrufungszeichen verwendet – Wahnsinn! Jetzt<br />
23. „D“ steht für Deutschland, dem Zentrum der EU.<br />
Ka<strong>den</strong>z ist im weitesten, musikalischen Sinne die<br />
harmonische Schlusswendung. Bitte bringen sie<br />
nun die bei<strong>den</strong> Dinge zusammen und wir schenken<br />
Ihnen dann das 24. Ausrufungszeichen und zeigen<br />
Ihnen warum es, obwohl alles so schön scheint,<br />
mehr als nötig ist, in diesem Land Kabarett zu<br />
machen.<br />
Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen und unter www.tixoo.com<br />
Vorverkauf 15,00 EUR inkl. Gebühren, Abendkasse 17,00 EUR<br />
Sa<br />
11.10.<br />
20.00<br />
Sa<br />
18.10.<br />
20.00<br />
Sa<br />
25.10.<br />
15.00<br />
So<br />
26.10.<br />
19.00<br />
Fr<br />
31.10.<br />
20.00<br />
IVONNE FECHNTER &<br />
BODO KOMMNICK<br />
(ehemals LIFT)<br />
„BLACKBIRD –<br />
intensive Songs zwischen<br />
Melancholie und Hoffnung“<br />
Live-Konzert<br />
PREMIERE „HURRA,<br />
WIR LEBEN NOCH!“<br />
Satirische Zeitreise mit Texten<br />
von Erich Kästner<br />
Regie: Wolfgang Koch<br />
(Kabarett Sündikat)<br />
MUSIKALISCHER SALON<br />
Antonin Dvoák<br />
„Dumky“-Trio Op. 90<br />
und andere Kompositionen<br />
13. LANGE NACHT<br />
DER SENIOREN<br />
präsentiert von Siegfried Trzoß,<br />
mit Dagmar Frederic, Sandra<br />
Mo, Alenka Genzel & Frank<br />
Matthias u.a<br />
KLAUS ZEIM &<br />
MANFRED RUPP<br />
„Schwarz – Rot – Geld“<br />
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Oktober<br />
Männer, ermannt euch! –<br />
Ein Herrenabend<br />
03./04./11./16./23.<br />
und 24. Oktober um 20 Uhr<br />
Frauen ruinier’n<br />
die Welt–reloaded!<br />
30. und 31. Oktober um 20 Uhr<br />
OHNE OBEN – UNTEN MIT<br />
10. und 18. Oktober um 20 Uhr<br />
Verdammt und zugewählt<br />
09. um 15 Uhr/17. und 25. Oktober<br />
um 20 Uhr<br />
Big Helga –<br />
das Helga Hahnemann-Programm<br />
22. Oktober um 16 Uhr<br />
Gastspiel mit<br />
Tatjana Meissner - ausverkauft<br />
„Sexuelle Evolution“<br />
am 19. Oktober um 20 Uhr<br />
Ticket-Hotline: 03 35 / 23 7 23<br />
Seit über 40 Jahren das anerkannte litera<br />
rischmusikalische Kabarett in Berlin!<br />
Teamleiter: Jerry Roschak. Musikalische<br />
Leitung: Stefanie Rediske und Sus. Gulich<br />
Unsere Programme:<br />
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Chansons von Reutter bis von der Lippe.<br />
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Berlin leben, lieben, lästern<br />
Berlin, die Stadt, die betört und verstört, in<br />
Sketsch und Chanson, Erlebnisse, Gedanken<br />
von Lieben<strong>den</strong>, Nach<strong>den</strong>klichen, Lästern<strong>den</strong>.<br />
Berlin ist, wenn man trotzdem lacht<br />
Die Berliner meckern zwar gern, aber Sie kön<br />
nen auch zupacken und improvisieren.<br />
Berlin in Sketsch und Chanson!<br />
Keine Angst, Es kommt noch Schlimmer<br />
Ein Musikprogramm unter dem Motto: „Musik <br />
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im Figurensaal des Ratskellers im Rathaus<br />
Charlottenburg, UBhf RichardWagnerPlatz.<br />
Infos & Karten: 030 \ 785 64 77<br />
www.kabarettklimperkasten.de<br />
EULENSPIEGEL 10/14 53
Rainer Ehrt
Wenn die Merkel<br />
wie die Ferres wäre<br />
Manche Dinge lie -<br />
gen außerhalb jeder<br />
Vorstellungskraft.<br />
Dass Ve ronika Fer -<br />
res eine Kanzlerin<br />
spielen könn te zum<br />
Beispiel. Selbst wenn <strong>ihr</strong> deutsches Volk im Film<br />
aus Ameisen oder Legofiguren bestünde und sie<br />
selbst nur im Sitzen spielen müsste und keine<br />
Silbe Text hätte, gelänge <strong>ihr</strong> das nicht. Vielleicht<br />
war das sogar der Plan von Sender und Produzent,<br />
als man Frau Ferres für <strong>den</strong> Sat.1-Film Die Staatsaffäre<br />
erwählte: Die dachten sicherlich, die Ferres<br />
scheitert so grandios, dass die Scha<strong>den</strong>freude für<br />
Lacher sorgt und die Einschaltquote sichert. Jedoch<br />
selbst wenn die arme Frau eine Pappnase trüge,<br />
eins oder mehrere Beine nachzöge, sich einen<br />
Zahn schwarz malen und stottern würde – sie wäre<br />
so komisch, wie <strong>ihr</strong>e Flucht ins Exil nach Hollywood<br />
tragisch wäre.<br />
Mitleid, Scham und Suizidbegehren befallen<br />
<strong>den</strong>, der Veronika durch <strong>den</strong> Kanzlerin-Film<br />
stapfen sieht. Ab und zu joggt sie auch wie ein<br />
adipöses Pferd. Oder sie liegt im Bett und gibt<br />
vor, gerade Sex genossen zu haben.<br />
Wem es <strong>den</strong>noch gelingt, bis zur ersten Werbepause<br />
durchzuhalten und sich das Stimmchen<br />
der Ferres mittels einer Flasche Rotwein klangschön<br />
zu saufen, dem könnte der televisionäre<br />
Spuk wie ein »Was-wäre-wenn-Film« erscheinen,<br />
der zugleich eine Radikalkritik an dem elen<strong>den</strong><br />
Leben enthält, das wir unter der Ägide von Mutti<br />
Merkel fristen müssen.<br />
Was wäre, wenn wir eine Kanzlerin Merkel<br />
hätten, die noch vor der Menopause stünde, einigermaßen<br />
attraktiv wäre (man will ja nicht zu<br />
Anzeige<br />
ProSiebenSat1<br />
Willi W i<br />
l<br />
l i bald b a<br />
l d im i m Elfenwald<br />
ld<br />
Musicalrevue von <strong>den</strong> Machern von „Durchgeknallt im Elfenwald“ und „Hinterhalt„ im Elfenwald“<br />
b<br />
re<br />
viel verlangen) und deren einziges ernsthaftes Problem<br />
die Entscheidung zwischen Familienleben<br />
oder Karriere wäre? Eine Kanzlerin, die ein weiches<br />
Herz bekäme, würde sie auf dem Weg ins Kanzleramt<br />
zufällig an Schulen und Kindergärten vorbeifahren.<br />
Die <strong>ihr</strong>e Sehnsucht nach einem Familienhafen<br />
in Fleiß und Arbeitswut ertränken müsste.<br />
Die <strong>ihr</strong>em Volk ständig mit neuen, tollen, überraschen<strong>den</strong><br />
Ideen kommen würde. Außerdem würde<br />
der Eisprung-Terror <strong>ihr</strong> natürlich gar keine Kraft<br />
mehr lassen, ständig leeres Stroh zu dreschen –<br />
wir hätten es gut mit so einer Kanzlerin.<br />
Sie könnte auch, wie Anna Berger im Film, <strong>ihr</strong>en<br />
Mitarbeitern Flirttipps geben (z.B. dem wahrscheinlich<br />
noch jungfräulichen Altmaier) und die<br />
Fummeln<strong>den</strong> dann im Dienstwagen durch die<br />
Stadt kutschieren. Sie käme überraschend als<br />
Spaßkanone bei Familienpartys vorbei und würde<br />
besoffen <strong>den</strong> Abwasch machen. Mit heißen Zungenküssen<br />
ließe sich diese Kanzlerin vom bedingungslosen<br />
Grundeinkommen überzeugen bzw.<br />
würde selbst <strong>den</strong> vertrockneten Chef des Industriellenverbandes<br />
für sich gewinnen.<br />
Sie wäre eine ehrliche Kanzlerin. Wie Anna Berger<br />
in Die Staatsaffäre würde sie sagen, was sie<br />
wirklich will, nämlich »eine Hose, die meinen Arsch<br />
kleiner macht«. Aber vielleicht sagt sie das tatsächlich,<br />
wenn sie mit Seibert alleine ist …<br />
Menschlich, volksnah, sozial und liebesfähig,<br />
so eine Kanzlerin, das wär’s. Wir wür<strong>den</strong> sie lieben<br />
und sie uns. Diese Anna Berger behauptet, sie<br />
geht mit ganz Deutschland ins Bett, »wir lieben<br />
uns«. Liebe ist es aber, was der Anna fehlt. Im<br />
Laufe des Films erwacht allerdings <strong>ihr</strong>e Libido,<br />
und aus der taffen Lady wird ein williges Luder.<br />
Wollen wir das auch »in echt«? Nein, <strong>den</strong>n im<br />
irren Zustand des Verknalltseins würde sie – wie<br />
Frau Ferres — alles unterschreiben, was man <strong>ihr</strong><br />
unter die Nase hält. »Finanzspritzen für ganz Afrika,<br />
totale Mietfreiheit,Abschaffung der Schulpflicht<br />
und Ostseeurlaub mit Vollpension für alle.« Kein<br />
Gelaber, keine Konferenzen und keine langweiligen<br />
Berichte in <strong>den</strong> Nachrichten. Es wird ge han -<br />
delt, aus dem Bauch, mit dem Herzen einer potentiellen<br />
Mutter, nach linker Überzeugung.<br />
Die Gipfeltreffen wären unterhaltsamer als Pro -<br />
mi Big Brother. Es gäbe heiße Fußorgien unterm-<br />
Kabinettstisch. Schlüpfer wür<strong>den</strong> als Trophä en in<br />
Aktenkoffern über die Kontinente fliegen. Erotische<br />
Telefongespräche wür<strong>den</strong> von Geheimdiensten<br />
abgehört. Man würde sich mit einem Blowjob<br />
für Militäreinsätze bedanken oder ein Quickie<br />
könnte ethnische Konflikte lösen.<br />
Die Liebe der Anna Berger zum französischen<br />
Präsi<strong>den</strong>ten hatte <strong>ihr</strong>en Ursprungin der Nacht des<br />
Mauerfalls. Ein Anlass. um es mal mit einem Frem<strong>den</strong><br />
zu treiben. Was wäre, wenn Frau Dr. Merkel<br />
da mals auch, beschwipst und noch ansehnlich,<br />
auf einen kleinen, drahtigen KGB-Agenten aus<br />
Dres<strong>den</strong>, Vorname Wladimir, gesprungen wäre?<br />
Dann könnte sie heute vielleicht, durch einen süßen<br />
Blick, eine beiläufige Berührung, <strong>ihr</strong>en alten<br />
Russen-Lover besänftigen. Also selbst <strong>Krieg</strong>e<br />
könnte diese Frau besiegen.<br />
Alles in allem: Die Staatsaffäre ist rechtschaffener<br />
Murks, vor allem wegen der Ferres als Kanzlerin.<br />
Aber wenn Frau Dr. Merkel ein bisschen was<br />
von Anna Berger hätte (außer <strong>ihr</strong>em niedlichen<br />
Sprachfehler, <strong>den</strong> hat Merkel selber), wäre sie in<br />
<strong>ihr</strong>en letzten Amtsjahren vielleicht etwas besser<br />
zu ertragen.<br />
Felice von Senkbeil<br />
re v u e vo n <strong>den</strong> Machern von „Durchgeknallt l<br />
im Elfenwald“ l<br />
und „Hinterhalt t im Elfenwald“<br />
Koproduktion mit dem Teatr Muzyczny im. Danuty Baduszkowej w Gdyni und dem Kleist Forum Frankfurt (Oder)<br />
56 EULENSPIEGEL 10/14<br />
Regie: Reinhard Simon<br />
Musikalische Leitung: Uli Herrmann-Schroedter<br />
URAUFFÜHRUNG: 18. Oktober 2014, Großer Saal<br />
Weitere Vorstellungen: 19. Oktober 15:00 Uhr, 31. Oktober 19:30<br />
Uhr, 1./14./15. November 19:30 Uhr, 16. November 15:00 Uhr,<br />
20. Dezember 19:30 Uhr, 21. Dezember 15:00 Uhr, 31. Dezember<br />
18:00 Uhr<br />
Uckermärkische s c h e Bühnen B ü h n<br />
e n Schwedt<br />
Tickets und Informationen: f a Tel. . 0333232 538111, 11, www.theater-schwedt.de<br />
hwedt.de
Am Tag des Herrn<br />
Sonntagmorgen auf der Terrasse, die Sonne zeichnet Goldkringel auf <strong>den</strong> Frühstückstisch,<br />
Bienen summen, Kaffee duftet, und der Flieder hängt seine Dol<strong>den</strong> lasziv ins Idyll. Die Frau:<br />
perfekt, wie immer. Würde plötzlich der UNO-Generalsekretär am Frühstückstisch erscheinen,<br />
müsste sie sich nicht einmal umziehen. Meine Jungs, 6 und 9, ungewaschen und im Pyjama,<br />
<strong>den</strong> sie heute unter Umstän<strong>den</strong> bis zu Erotik zur Nacht im ZDF anbehalten. Ich trage eine frische<br />
Jogginghose und ein Unterhemd ohne Löcher. Aus Respekt vor dem Sonntag.<br />
Mein obligater Sonntagsgruß<br />
Na, schmeckt’s? Hier, am Tischleindeckdich? Ihr<br />
seid mir eine verwöhnte Bande! Ach was, von<br />
wegen Bande – <strong>ihr</strong> Autisten seid ja nicht mal<br />
zur Ban<strong>den</strong>bildung fähig. Wie <strong>ihr</strong> schon wieder<br />
dasitzt! Ungepflegte kleine Stinker, teilnahmslos<br />
und gedankenleer wartet <strong>ihr</strong> auf die Atzung.<br />
Stumpfer Blick ins Wesenlose, keine Körperspannung,<br />
das Maul halb offen – danke,<br />
dass <strong>ihr</strong> nicht sabbert! Menschenskinder, das<br />
ist kein Zoo hier, und ich habe keinen Bock<br />
auf <strong>den</strong> Wärterjob!<br />
Was glaubt <strong>ihr</strong>, wie man im Schweinesystem<br />
bestehen kann? Was sagst du? Als Schwein? Ja,<br />
sicher! Aber als aktives Schwein in menschlicher<br />
Verkleidung! Doch nicht so wie <strong>ihr</strong>! Das<br />
Prinzip da draußen ist Konkurrenz! Konkurrenz<br />
– das heißt nie en<strong>den</strong>der Kampf, je<strong>den</strong> Tag<br />
aufs Neue <strong>den</strong> eigenen Vorteil suchen und ihn<br />
anderen nehmen! Wer diesen Kampf nicht<br />
kämpft, wird zur Sau gemacht, ausgenommen<br />
und gedemütigt, bis er in der Gosse verkommt.<br />
Damit würde sich euer Lebensstil zwar nicht<br />
wesentlich ändern, aber euer Lebensgefühl.<br />
Und darauf kommt es an! Das Lebensgefühl ist<br />
entschei<strong>den</strong>d. Es ist ein entschei<strong>den</strong>der Unterschied,<br />
ob ich als Penner sonntags am von<br />
<strong>den</strong> Eltern gedeckten Tisch sitze oder unter einer<br />
Brücke. Wie, dir wär die Brücke lieber? Provozier<br />
mich nicht, ich kann auch unfreundlich<br />
wer<strong>den</strong>!<br />
Überhaupt redest du, wenn du zuhören solltest!<br />
Das hätte ich mir bei meinem Vater nicht<br />
erlauben dürfen. Aber das kann man eh nicht<br />
vergleichen. Wir haben sonntags um sieben<br />
Uhr gefrühstückt. Zwanzig Minuten lang, dann<br />
ging es aufs Feld. Vor dem Frühstück hatte ich<br />
schon Zeitungen ausgetragen. Ja, ich bin um<br />
fünf Uhr morgens mit einer Backpfeife geweckt<br />
wor<strong>den</strong>, damit <strong>ihr</strong> jetzt hier hocken und faul<br />
aufs Abitur warten könnt.<br />
Abitur als Lebensziel! Großartig! Wer, bitteschön,<br />
hat <strong>den</strong>n heute kein Abitur? Jeder An -<br />
alphabet wird da durchgeschleift. Mathe,<br />
Deutsch und alles andere wird abgewählt.<br />
Statt irgendeinen Unterricht zu besuchen, wird<br />
zwei Jahre lang in Cafés<br />
rumgebalzt, und<br />
dann gibt’s ein Abitur<br />
in Sport und Religion.<br />
So ist das<br />
doch heute! Außerdem:<br />
In dem<br />
Alter, in dem die<br />
heute Abitur machen,<br />
war ich<br />
schon Geselle und<br />
eure Mutter das<br />
zweite oder dritte<br />
Mal schwanger.<br />
Euch fehlen Ehrgeiz<br />
und Zielstrebigkeit.<br />
Zu allem in<br />
der Lage, zu<br />
nichts zu gebrauchen.<br />
Du zum Beispiel<br />
rennst jetzt schon<br />
seit zwei Jahren zum Klavierunterricht!<br />
Hast du schon einen einzigen Euro<br />
damit eingespielt? Siehste! Aber weißt ja hoffentlich,<br />
was das kostet. Vielleicht steht später<br />
unter deiner Brücke ja mal ein Klavier!<br />
Und mein anderer Spross ist Rettungsschwimmer!<br />
Die Zeit möchte ich haben! Als arbeitender<br />
Mensch hast du später nicht die Gelegenheit,<br />
an Gewässern rumzuhängen und darauf<br />
zu warten, dass mal einer ersäuft. Und<br />
wenn du da zufällig vorbeikommst, hast du<br />
dann das Recht, Unbekannte vor einem vielleicht<br />
erwünschten Ende zu bewahren? Auch<br />
mal nach<strong>den</strong>ken!<br />
Überhaupt, das sind mir alles Lebensentwürfe!<br />
Verglichen mit euch wirken Koalas hektisch.<br />
Ihr braucht ein Ziel, Menschenskinder!<br />
Bald habt <strong>ihr</strong> die Grundschule absolviert und<br />
noch nichts Nennenswertes erreicht. Ein konkretes<br />
Ziel muss her, und dann geht <strong>ihr</strong> drauflos.<br />
Ziel fängt mit Z an, wie Zahl, und das ist<br />
kein Zufall. Ein Ziel kann man beziffern. Ich<br />
sage mal 100 Euro im Monat. Ich hoffe, es klingelt<br />
bei euch! Zuerst im Kopf und dann in der<br />
Andrè Sedlaczek<br />
Kasse, bruharhar. Und nun erklärt mir mal, wie<br />
<strong>ihr</strong> mit Klavierspielen, Sport, Schulchor und<br />
Schülertheater Geld verdienen wollt! Mir<br />
kommt ja in der Kneipe viel zu Ohren, aber davon<br />
hat mir noch keiner erzählt.<br />
Also, wie geht’s jetzt weiter? Zunächst mal<br />
müsst <strong>ihr</strong> euren Willen stählen. Ohne einen<br />
starken Willen geht gar nichts. Ich habe mir<br />
fünf Mal das Rauchen abgewöhnt. Geht so etwas<br />
ohne einen starken Willen? Oder auch mal<br />
nach dem sechsten Bier ohne äußeren Druck<br />
aufstehen und nach Hause gehen! <strong>Krieg</strong>t <strong>ihr</strong><br />
Luschen so was hin?<br />
So, <strong>ihr</strong> kleinen Arschlöcher, jetzt habt <strong>ihr</strong> das<br />
Ziel und kennt <strong>ihr</strong> <strong>den</strong> Weg! Sucht euch einen<br />
Job, führt Hunde aus, züchtet Läuse, singt in<br />
der Fußgängerzone, lasst euch in Badehose fotografieren!<br />
Nächsten Sonntag will ich Erfolgsmeldungen<br />
hören, sonstkönnte es passieren,<br />
dass ich auf <strong>den</strong> Frühschoppen verzichte. Aber<br />
dann! Denn am Tag des Herrn, da kenne ich<br />
nichts.<br />
Andreas Schmid<br />
EULENSPIEGEL 10/14 57
Markus Grolik<br />
Kriki<br />
58 EULENSPIEGEL 10/14
Schwarz auf<br />
weiss<br />
Lo Blickensdorf<br />
Mock<br />
EULENSPIEGEL 10/14 59<br />
Hannes Richert Axel Bierwolf
Poetische Kostbarkeit<br />
Rechtschreibung kann man vergessen.<br />
Aus: Moin Moin, Einsender: Helmut Agte, Niebüll<br />
Und geschweige <strong>den</strong>n, dass er<br />
verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> wolle.<br />
Aus: Apoldaer Allgemeine<br />
Einsender: Frank Eckel, per E-Mail<br />
Aber niemand half die Redakteure.<br />
Aus: Volksstimme<br />
Einsender: Simon Feldbach,<br />
Schönebeck/Elbe<br />
Wahrscheinlich Amtsdeutsch.<br />
Aushang in Zinnowitz/Usedom, Einsender: Claus Weingart, per E-Mail<br />
Aus: Hanau-Post<br />
Einsender: Manfred Schneider, Hanau<br />
Besser als gar nicht.<br />
Aus: Leipziger Volkszeitung, Einsender: Eberhard Klesse, per E-Mail<br />
Dof bleibt dof.<br />
Aus: General-Anzeiger, Einsenderin: Ilona Höschler, Ostrhauderfehn<br />
Des Chefarztes?<br />
Aus: Neues Deutschland<br />
Einsenderin: Alexandra Andrusch, Halberstadt<br />
Und die Minderbemittelten dem<br />
Autor.<br />
Aus: Sächsische Zeitung<br />
Einsender: Jürgen Mittag, Arnsdorf<br />
Da war er platt!<br />
Aus: Sächsische Zeitung<br />
Einsender: Peter Nitzschmann, Oderwitz<br />
Grammatik aber auch!<br />
Aus: n24.de<br />
Einsenderin: Susanne Meyer, per E-Mail<br />
Er hinterlässt zwei Kinder und einen Kalender.<br />
Aus: Neue Welt<br />
Einsender: Marc Pannek, Dres<strong>den</strong><br />
Jetzt verfolgt sie die Bundestäter!<br />
Aus: Neues Deutschland<br />
Einsender: Gerd Damrow, Berlin<br />
Einer für alle.<br />
Aus: Leipziger Volkszeitung<br />
Einsender: Martin Fiedler, per E-Mail<br />
Wahrscheinlich zweimal runtergefallen.<br />
Aus: Oschatzer Allgemeine<br />
Einsenderin: Angela Georgi, Oschatz<br />
Wahrscheinlich ein Wahlessen.<br />
Restaurantaufsteller in der Lausitz<br />
Einsenderin: Marlis Friedrich, Elsterheide<br />
Gute Nachricht.<br />
Aus: Ostsee-Zeitung<br />
Einsenderin: Erika Neumann, Ribnitz-Damgarten<br />
60 EULENSPIEGEL 10/14
Fehl<br />
anzeiger<br />
War ja auch doppelt grausam.<br />
Aus: Freie Presse<br />
Einsender: Florian Kleemann, Olbernhau, u. a.<br />
(Abbildung Beratungsmuster.)<br />
Aus: Kaufland-Tip der Woche<br />
Einsender: Lothar Williwald,<br />
Berlin, u. a.<br />
Zur Fischzubereitung.<br />
Aus: General-Anzeiger<br />
Einsenderin: Gabriela Lüdemann,<br />
Salzwedel<br />
Und bringt Zeitung mit zuverlässiges Fehler.<br />
Aus: Super Sonntag, Einsender: Axel Schmidt, per E-Mail<br />
Für bildungsferne Bo<strong>den</strong>schichten.<br />
Angebot von hagebaumarkt, Einsender: Christian Siglow, per E-Mail<br />
Und selber?<br />
Aus: Dresdner Morgenpost<br />
Einsender: Roland Zillger, Struppen<br />
Wurde aber auch Zeit!<br />
Aus: Nordkurier, Einsender: A. Seifert, Blankensee<br />
Die Sitzung war geschlossen.<br />
Aus: Chemnitzer Morgenpost<br />
Einsender: Bernd Ba<strong>den</strong>schier,<br />
Chemnitz<br />
Damit sie auch was davon haben.<br />
Aus: Nordkurier<br />
Einsender: Bernhard Vennewald,<br />
Neubran<strong>den</strong>burg<br />
(Sehr weit hinten, Zweiter von rechts.)<br />
Aus: Fußballwoche, Einsender: Gernot Bogdanski, Berlin<br />
Zum Urologen oder zum Orthopä<strong>den</strong>?<br />
Aus: Chemnitzer Blick<br />
Einsender: Bernd Weimershauß, Chemnitz<br />
Und der Autor ist ein echter Fux.<br />
Aus: Thüringer Landeszeitung<br />
Einsenderin: Anke Renner, per E-Mail<br />
Damit er die Hände<br />
zum Kassieren<br />
frei hatte.<br />
Aus: Schweriner<br />
Volkszeitung<br />
Einsender: Uwe Zwieg,<br />
Schwerin<br />
Wir nehmen die Zwillinge.<br />
Werbung eines Hotels auf Madeira, Einsender: Christian Hill, per E-Mail<br />
EULENSPIEGEL 10/14 61
LMM 1503 … Leser machen mit<br />
Liefern Sie uns zu dieser Zeichnung eine witzige Unterschrift.<br />
Für die drei originellsten Sprüche berappen wir 16, 15 und 14 €.<br />
LMM-Adresse: <strong>Eulenspiegel</strong>, Gubener Straße 47, 10243 Berlin<br />
oder per E-Mail an: verlag@eulenspiegel-zeitschrift.de<br />
Absender nicht vergessen!<br />
Kennwort: LMM 1503 · Einsendeschluss: 6. Oktober 2014<br />
LMM-Gewinner der 1502. Runde<br />
Den Kaffee haben sich verdient:<br />
»Wenn Sie sich so in<br />
die Arbeit stürzen,<br />
können Sie froh sein,<br />
dass Sie nicht Klempner<br />
gewor<strong>den</strong> sind.«<br />
Elsa Schuster,<br />
Kämpfelbach<br />
Ȇbrigens wurde<br />
das Klavier aus dem<br />
Holz einer fleischfressen<strong>den</strong><br />
Pflanze gebaut.«<br />
Christoph Trittmann,<br />
Frankfurt/Main<br />
»Nee, nee,<br />
erst soll ich die<br />
Klappe halten,<br />
nun wieder<br />
aufmachen ...«<br />
Michael Voge,<br />
Oberhausen<br />
Zeichnungen: Heinz Jankofsky<br />
Waagerecht: 1. ausgeweideter Rassegimpel,<br />
5. hat der Starke in <strong>den</strong><br />
Knochen, 8. läuft in der Freirunde,<br />
9. kopfstehender Spat, 11. geht nur zu<br />
dritt, 13. Beihilfskraft, 14. bessere<br />
Hälfte des abgekanzelten Putin-Verstehers,<br />
16. Oma mit Vorspann, 17. Gift<br />
englischer Spitzenhäubchenträgerinnen,<br />
21. verwirrter Igor, 22. Nasszelle,<br />
24. wichtigstes Lebenselixier, 25. folgt<br />
dem Pro, 27. Innerei der Malibunatter,<br />
28. läuft gern über die Leber,<br />
29. Wüsten-Traum.<br />
Senkrecht: 2. Inhalt der Maßangabe<br />
für Klunkern, 3. ausgelöst durch Blick<br />
in die Zukunft, 4. bis hierhin und<br />
nicht weiter, 5. eheliches Ausstellungsstück,<br />
6. quakende Kassandra, 7. Erschöpfungszustand<br />
beim Schach,<br />
9. ehemaliger TV-Detektiv ohne Mittelaltervorspann,<br />
10. Herz des Europakommissars,<br />
12. englischer Zorn,<br />
15. allseits beschnittenes Hornattribut,<br />
18. Zwischenspiel ohne Epi, 19. apostrophiertes<br />
Los, 20. steckt in <strong>den</strong><br />
Amorganglien, 22. Alternativangebot,<br />
23. steht im Reisebus, 26. Städteverbindung<br />
Schwerin-Oberhof-Senzig.<br />
Auflösung aus Heft 09/14:<br />
Waagerecht: 1. Klee, 4. Belka,<br />
7. Stiel, 9. Erker, 11. Iller, 13. Cello,<br />
14. Seil, 15. Pas, 17. Sumpf, 18. Zeile,<br />
19. Spa, 20. West, 22. Nauen,<br />
25. Warte, 26. Gatte, 27. Eifer,<br />
28. Stirn, 29. Eins. Senkrecht:<br />
2. Lore, 3. Esel, 4. Beisszange, 5. Elle,<br />
6. Kiel, 8. Tropfstein, 9. Echse,<br />
10. Klammer, 12. Liliput, 16. Henne,<br />
20. Watt, 21. Ster, 23. Aare, 24. Eton.<br />
Meisterwerke Kunst von EULENSPIEGEL-Lesern, gediegen interpretiert<br />
Jeder kennt Angela Merkels<br />
Aussage, der zufolge das Ausspähen<br />
unter Freun<strong>den</strong> nicht<br />
geht. Eine Aussage, die, wie<br />
<strong>ihr</strong>e Kritiker behaupten, trefflich<br />
zeigt, wie wenig technischen<br />
Sachverstand diese<br />
Andreas Stein, Berlin<br />
Kanzlerin besitzt. Denn natürlich<br />
geht das. Auch wenn<br />
sich die deutschen Geheimdienste<br />
bisher beim Ausspähen<br />
auf gefährliche Feinde wie<br />
die Türkei oder Hillary Clinton<br />
beschränkt haben. Ausspähen<br />
geht auch unter Familienmitgliedern,<br />
ja sogar unter<br />
Ehepartnern. – So naiv, das<br />
nicht zu wissen, kann Merkel<br />
nicht sein. Wie die Aussage<br />
Merkels besser einzuordnen<br />
ist, illustriert dieses Gemälde.<br />
Es zeigt Merkel zusammen<br />
mit dem bekannten Golfspieler<br />
und Schwerenöter Tiger<br />
Woods. Mit seiner Hand, die<br />
ihm direkt aus der Schulter<br />
wächst, hat der Golfspieler die<br />
blökende Kanzlerin fest im<br />
Griff wie ein 3er-Holz. Ihr empörter<br />
Ausruf kann jedoch<br />
nicht über <strong>ihr</strong>e Körpersprache<br />
hinwegtäuschen. Ihre Jubelpose,<br />
allen TV-Zuschauern<br />
von Spielen der deutschen<br />
Fußballnationalmannschaft<br />
bekannt, verrät, dass sie sich<br />
über diese Umklammerung<br />
freut.<br />
Das Werk lebt in erster Linie<br />
von der altbewährten Ikonografie,<br />
derer es sich bedient.<br />
In <strong>den</strong> Dreißigerjahren erfuhr<br />
sie eine Aufwertung, während<br />
dunkelhäutige Sportler wie<br />
Tiger Woods sie heutzutage<br />
hauptsächlich von deutschen<br />
Sportplätzen nur allzu gut<br />
kennen. Der übermächtige<br />
King Kong hat sich der weißen<br />
Frau bemächtigt. Und<br />
erst die Kugeln einer Armee<br />
wer<strong>den</strong> <strong>den</strong> schwarzen Affen<br />
stoppen.<br />
Doch das ist nicht alles, was<br />
uns dieses King-Kong-Bild<br />
sagt. Denn was niemand weiß,<br />
und was hiermit verraten sei:<br />
Nicht nur King Kong stammt<br />
von einer Insel im Pazifik, sondern<br />
auch US-Präsi<strong>den</strong>t Barack<br />
Obama. – Tjaha! Der<br />
hier dargestellte schwarze<br />
Riese ist in Wahrheit Barack<br />
Obama. Wenn das mal keine<br />
sensationelle Enthüllung ist!<br />
Vergleichbar nur mit der Enthüllung,<br />
dass Spione spionieren.<br />
E. Snow<strong>den</strong><br />
62 EULENSPIEGEL 10/14
EULENSPIEGEL-<br />
Abonnenten<br />
leben immer<br />
auf der Höhe<br />
der Zeit!<br />
Druckfrisch eingetroffen:<br />
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versandkostenfrei bestellen.<br />
abo@eulenspiegel-zeitschrift.de Tel. werktags von 9-17 Uhr: (0 30) 29 34 63 -17 und -19 · Fax: -21<br />
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2014_10
Und<br />
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2014 ohne folgende Themen:<br />
• Gerüchte um neues Terrorvideo: Macht Merkel die<br />
Ice-Bucket-Challenge?<br />
• Maut soll nur auf Autobahn gelten: Setzt Seehofer auf<br />
Landstraßen ein Ausländerverbot durch?<br />
• AfD zieht in ostdeutsche Landtage ein: Fordert sie bald<br />
einen Austritt der neuen Bundesländer aus der BRD?<br />
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Fritsche, Arno Funke,<br />
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Henniger, Gerhard Henschel,<br />
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Kaiser, Christian Kandeler,<br />
Florian Kech, Werner<br />
Klopsteg (special guest),<br />
Dr. Peter Köhler, Kriki,<br />
Uwe Krumbiegel, Mario<br />
Lars, Ove Lieh, Werner<br />
Lutz, Peter Muzeniek, Nel,<br />
Robert Niemann, Guido<br />
Pauly, Ari Plikat,<br />
Andreas Prüstel, Erich<br />
Rauschenbach, Hannes<br />
Richert, Ernst Röhl, Reiner<br />
Schwalme, André<br />
Sedlaczek, Guido Sieber,<br />
Klaus Stuttmann, Atze<br />
Svoboda, Peter Thulke,<br />
Kat Weidner, Freimut<br />
Woessner, Erik Wenk,<br />
Martin Zak<br />
Für unverlangt eingesandte<br />
Texte, Zeichnungen, Fotos<br />
übernimmt der Verlag keine<br />
Haftung (Rücksendung nur,<br />
wenn Porto beiliegt). Für<br />
Fotos, deren Urheber nicht<br />
ermittelt wer<strong>den</strong> konnten,<br />
bleiben berechtigte Hono -<br />
rar ansprüche erhalten.<br />
Blumenspen<strong>den</strong>, Blankoschecks,<br />
Immobilien,<br />
Erbschaften und Adoptionsbegehren<br />
an:<br />
<strong>Eulenspiegel</strong> GmbH,<br />
Gubener Straße 47,<br />
10243 Berlin<br />
Gläubiger-ID:<br />
DE93ZZZØØØØØ421312<br />
64 EULENSPIEGEL 10/14
Z u r F r a n k f u r t e r B u c h m e s s e<br />
Literatur-Eule<br />
BECK
Unsere neuen Kalender<br />
für 2015<br />
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Britta Bastian<br />
Impressionen aus<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
2015<br />
KLATSCHMOHN Verlag<br />
Britta Bastian<br />
Impressionen aus Mecklenburg-Vorpommern 2015<br />
Pastelle, 34 x 49 cm<br />
ISBN 978-3-941064-44-7 • EUR 14,80<br />
MATTHIAS KIEFEL<br />
Bernhard Frey<br />
Inhalt<br />
Titel<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beck<br />
68 Hermann Löns, die Heide brennt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
70 Künftige Bestseller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anselm Neft<br />
77 Auslese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />
Wo de Ostseewellen …<br />
2015<br />
82 Lesezeichen: Begräbnisse zum Totlachen . . . . . . . . . . . . . . . Kathy Benjamin<br />
85 Blumen für <strong>den</strong> Underdog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Klis<br />
KLATSCHMOHN Verlag<br />
86 Der Literat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zarras<br />
Bernhard Frey<br />
Wo de Ostseewellen ... 2015<br />
Acryl, Öl, 34 x 49 cm<br />
ISBN 978-3-941064-45-4 • EUR 14,80<br />
In jeder guten Buchhandlung, in Galerien<br />
und Souvenirlä<strong>den</strong> in Mecklenburg-<br />
Vorpommern und direkt im Verlag.<br />
89 Bananensplit und schwarze Bohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
91 Das Hamsterrad des Lektors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler<br />
93 Haptisch oder: Haptisch nicht so . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ove Lieh<br />
94 Lesezeichen: Beim Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Bartel<br />
96 Geburtshelfer für Männer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Lutz<br />
98 Das waren die Zwanziger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Spring<br />
100 Hast du Worte? Neues aus der Welt der Linguistik . . . . . . . . . Peter Köhler<br />
102 Perlen der Dichtkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
105 Pascals Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Udo Tiffert<br />
KLATSCHMOHN Verlag, Druck + Werbung GmbH & Co. KG<br />
Am Campus 25 · 18182 Bentwisch/Rostock · Tel. 0381/206 68 11<br />
Online bestellen unter: www.klatschmohn.de<br />
106 Pubertäre Lyrik der Promis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
66 LITERATUREULE 10/14
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Von Adlern und<br />
Fliegenfängern<br />
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Hermann Löns,<br />
die Heide brennt!<br />
Dieses Jahr begehen wir <strong>den</strong> 100. Todestag des großen Frei<strong>den</strong>kers, Naturliebhabers und Heimatdichters<br />
Hermann Löns. Drei bislang nicht zu Unrecht unveröffentlichte Juwelen aus seinem Nachlass<br />
beweisen, wie sehr sich der couragierte Lokalpatriot mit der Lüneburger Heide verbun<strong>den</strong><br />
fühlte:<br />
Hasenliebe<br />
Im roten Licht der Morgensonne scheint alles wie im Blute.<br />
Die Heide glüht vor Lebenskraft – mir ist so wohl zumute.<br />
Ich mach an einem Hügel Rast,<br />
Das Moos ist sein Geschmeide,<br />
Beendet ist nun Großstadthast –<br />
Drum fahr ich in die Heide.<br />
VERLAG DIE WERKSTATT<br />
TT<br />
400 S., Paperback, Fotos<br />
ISBN 978-3-7307-0099-0, ” 19,90<br />
Jonathan Wilson hat Geschichte,<br />
Spiel und kulturelle Bedeutung des<br />
Keepers beleuchtet – von einstmals<br />
hüterlosen Toren bis „Libero“ Neuer,<br />
von glücklosen Brasilianern bis zum<br />
sowjetischen Idol Lew Jaschin, von<br />
Albert Camus bis Johannes Paul II.<br />
„Vermutlich das Beste, was jemals<br />
über <strong>den</strong> Fußballtorwart geschrie-<br />
ben wurde.“ (11 Freunde)<br />
www.facebook.com/<br />
verlagdiewerkstatt<br />
www.werkstatt-verlag.de<br />
Aus Sch ***e<br />
Bonbons machen!?!<br />
Ein Häschen putzt im roten Gras<br />
Sein flauschiges Gefieder,<br />
Der kleine Rammler macht mir Spaß,<br />
Ich beug mich zu ihm nieder.<br />
Inzwischen scheint die Sonne hell,<br />
Wir tollen über Wiesen,<br />
Ich streichle ihm sein Flauschefell,<br />
Nichts kann <strong>den</strong> Tag vermiesen.<br />
Doch plötzlich hält der Hoppelhas’<br />
Im vollen Laufe inne<br />
Und reckt empor die Schnuppernas’<br />
Zur Schärfung seiner Sinne.<br />
Ein Wolf setzt grad zum Sprunge an,<br />
Will mir <strong>den</strong> Garaus machen.<br />
Doch das lässt in dem Mümmelmann<br />
Den Todesmut erwachen.<br />
Vom Wurf des Häschens hingestreckt,<br />
heult er wie ein Gebläse.<br />
In Isegrimens Flanke steckt<br />
Des Hasens Zahnprothese.<br />
Ein Ruf ermahnt mich zum Verzicht:<br />
»Nun raus aus meiner Scheide!<br />
Ein Kind von dir, das will ich nicht!« –<br />
Drum fahr ich aus der Heide.<br />
Ich habe meinen Spaß gehabt,<br />
Der Spaß reicht nicht für beide.<br />
Die Heide ist jetzt eingeschnappt –<br />
Drum meide ich die Heide.<br />
Heidelied<br />
Meiner Zugehfrau Heidelore Elvers gewidmet<br />
Ich sitze stumpf auf meinem Hocker.<br />
Mein Gott, ist das hier öde!<br />
Liegt’s etwa an dem Beta-Blocker<br />
Oder werd’ ich langsam blöde?<br />
Das Kaff ist hier so ausdruckslos,<br />
Die Menschen schau’n sinister.<br />
Sie lallen blöd – wen wundert’s groß?<br />
Die Eltern war’n Geschwister.<br />
DDR, 1988: Ein Forschungsinstitut<br />
soll aus einheimischen Rohstoffen<br />
Schokolade herstellen. Der Chef<br />
Professor Falkenberg wird gewarnt:<br />
Nicht wieder so eine Lachnummer<br />
wie einst der MIX-Kaffee! Ist das<br />
überhaupt zu schaffen?<br />
Lars Franke<br />
Schokola<strong>den</strong>-Republik<br />
Eine Schelmengeschichte aus<br />
einem untergegangenen Land<br />
144 Seiten, Broschur<br />
ISBN 978-3-942477-56-7, 9,95€<br />
Überall im Buchhandel<br />
www.steffen-verlag.de<br />
Das graue Untier zuckt nicht mehr,<br />
Ich kann mein Glück kaum fassen.<br />
Ich lieb <strong>den</strong> Hoppler um so mehr,<br />
Will nimmer von ihm lassen.<br />
So gegen sechse ungefähr<br />
Wird’s Zeit fürs Abendbrot.<br />
Drum hole ich mein Jagdgewehr<br />
Und schieß <strong>den</strong> Hasen tot.<br />
Im roten Licht der Abendsonne liegt still in seinem Blute<br />
Der filetierte Mümmelmann – mir ist so wohl zumute.<br />
Drum fahr ich in die Heide<br />
Hannover ist ’ne große Stadt,<br />
Wo ich die Ferne neide,<br />
Ich fühle mich dort dauernd matt –<br />
Drum fahr ich in die Heide.<br />
Was fühle ich mich angeschwipst,<br />
Wenn du im grünen Kleide<br />
Dich meinen Sinnen hinnegibst –<br />
Drum fahr ich in die Heide.<br />
Die Schnucken blöken in der Nacht,<br />
Die Bäuerin schluchzt im Schlafe.<br />
Zugleich beglückt mit aller Macht<br />
Ihr Mann die weichen Schafe.<br />
Die Zeit steht still, doch tickt die Uhr –<br />
Es ist zum Haareraufen.<br />
Man kann in dieser Pampa nur<br />
Sich selbst zu Tode saufen.<br />
»Hermann Löns, es brennt die Heide,<br />
Hermann Löns, die Heide brennt!«<br />
Dieses Trinklied bin ich leide,<br />
Weil es <strong>den</strong> Ernst der Lag’ verkennt!<br />
Sollen fressen mich die Raben,<br />
Wenn ich fall im Feindesland.<br />
Lieber tot im Schützengraben<br />
Als an <strong>den</strong> Arsch der Welt verbannt.<br />
Im Löns-Archiv entdeckt von<br />
Michael Kaiser<br />
68 LITERATUREULE 10/14
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Der Hass des Militärs<br />
Heinrich Wandt<br />
Erotik und<br />
Spionage in der<br />
Etappe Gent<br />
Deutsche Besatzungsherrschaft<br />
in Belgien während<br />
des Ersten Weltkrieges<br />
Hrsg. von Jörn Schütrumpf<br />
ca. 368 Seiten, Klappenbroschur,<br />
19,90 Euro<br />
ISBN 978-3-320-02303-4<br />
Heinrich Wandt verfasste das erste Antikriegsbuch, das in<br />
der Weimarer Republik erschien. In ihm wurde die deutsche<br />
Besatzungspolitik in Belgien während des Ersten Weltkrieges<br />
schonungslos offengelegt. Der Autor des Buches wurde<br />
1923 nach Potsdam entführt und in einem Militär- Geheimprozess<br />
zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt.<br />
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Künftige Bestseller<br />
Unser Autor hat ausgerechnet, dass er alle zwei Jahre einen<br />
Bestseller mit mindestens 100.000 verkauften Taschenbucheinheiten<br />
lan<strong>den</strong> muss, um vom Schreiben leben zu können.<br />
Hier seine Buch-Ideen bis zum Jahr 2038, in dem er<br />
dann endlich in <strong>den</strong> Ruhestand gehen möchte.<br />
Rolf Hecker,<br />
Angelika Limmroth (Hrsg.)<br />
Jenny Marx. Die Briefe<br />
608 Seiten, 15 Abb.<br />
geb., 39,90 Euro<br />
ISBN 978-3-320-02297-6<br />
Limmroth, Angelika<br />
Jenny Marx<br />
Die Biographie<br />
304 Seiten, 8 Abb.<br />
geb., 24,90 Euro<br />
ISBN 978-3-320-02296-9<br />
Paketpreis 54,00 Euro, Gesamt-ISBN 978-3-320-02298-3<br />
Jenny von Westphalen: eigenwillig und engagiert, klug und gebildet,<br />
eine starke, schöne Frau an der Seite eines der bekanntesten<br />
Männer der Weltgeschichte. Doch die vierzig jährige<br />
Partnerschaft mit Karl Marx war nicht frei von Krisen, und nicht<br />
immer gelang Jenny der Spagat zwischen <strong>ihr</strong>er großbürgerlichen<br />
Herkunftsfamilie und dem frei gewählten Leben.<br />
400 Seiten, 236 Abb.<br />
geb. mit SU, 39,90 Euro<br />
ISBN 978-3-320-02299-0<br />
Hans-Dieter Schütt<br />
Günter Gaus<br />
Von <strong>den</strong> Hoffnungen<br />
eines Skeptikers<br />
Schütts Essay erinnert an die<br />
journalistische Größe und <strong>den</strong><br />
unbestechlichen Geist, mit<br />
dem Günter Gaus zu einem<br />
Charakter-Kopf dieses Landes<br />
wurde. Die Gesprächsführung,<br />
die Gaus begründete,steht<br />
stellvertretend (und inzwischen<br />
einsam) für das demokratische<br />
Ideal eines respektvollen<br />
Kommunizierens.<br />
Ulrich Weitz<br />
Eduard Fuchs<br />
Der Mann im Schatten<br />
Sitten-Fuchs, Sozialist, Konspirateur,<br />
Sammler, Mäzen<br />
Eduard Fuchs war durch<br />
seine »Illustrierte Sittengeschichte«<br />
berühmt<br />
gewor<strong>den</strong>. Während des<br />
Ersten Weltkrieges liefen die<br />
Kontakte zwischen <strong>den</strong><br />
europäischen Linken über<br />
<strong>den</strong> reisen<strong>den</strong> Kunsthistoriker,<br />
1918 verhandelte<br />
Fuchs auf Bitten von<br />
Rosa Luxemburg in Moskau<br />
mit Lenin…<br />
176 Seiten, Klappenbroschur, 16,90 Euro<br />
ISBN 978-3-320-02305-8<br />
dietz berlin<br />
www.dietzberlin.de<br />
Der Untergang<br />
des Abendlandes II<br />
Klappentext: Die Feste Europa wankt. Von versifften<br />
Gutmenschen in einen Abgrund aus Nachgiebigkeit,<br />
Öko-Blabla und Traditionsverlust gerissen,<br />
fehlt dem Abendland zusehends die Widerstandskraft<br />
gegen die größten Gefahren der Moderne: Ausländer,<br />
Frauen und Windräder. Wieviel wollen wir<br />
noch bezahlen für südländische Faulenzer und hässliche<br />
Gendertanten? Was wollen wir ängstlichen,<br />
verklemmten Mimosen der Mittelschicht uns eigentlich<br />
noch alles gefallen lassen? Jetzt ist es Zeit nach<br />
oben zu buckeln und nach unten zu treten! Zumindest<br />
in Online-Kommentaren.<br />
Thilo Sarrazin: »Das wird man wohl noch lesen<br />
dürfen.«<br />
Anders Breivik: »Jeder Schuss ein Treffer.«<br />
The Power within<br />
So fin<strong>den</strong> Sie die Quelle<br />
zu Ihrem inneren Potenzial<br />
70 LITERATUREULE 10/14<br />
Klappentext: Schon Einstein wusste – wir nutzen<br />
nur 10 Prozent unseres Potenzials. Oft folgen wir<br />
lieber der Meinung anderer, anstatt unserer eigenen,<br />
unverwechselbaren Stimme zu vertrauen. Entfremdung<br />
und ungenutzte Gaben sind das traurige<br />
Ergebnis.<br />
Erfolgscoach und Super-Guru Anselm Shananananada<br />
Neft zeigt <strong>den</strong> einzig wahren Weg zu Ihrer<br />
inneren Quelle. In zehn leicht verständlichen Lektionen<br />
offenbart der Erleuchtete, wie Sie in kurzer<br />
Zeit ganz Sie selbst und Sie selbst ganz wer<strong>den</strong>. Lassen<br />
Sie sich nicht länger reinre<strong>den</strong> und kaufen Sie<br />
dieses Buch. Jetzt!<br />
Nassduscher<br />
Klappentext: Der alleinerziehende Hartz-IV-Empfänger<br />
Hans-Peter Ülkekul (33) zieht mit seinem<br />
unter dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom lei<strong>den</strong><strong>den</strong><br />
Sohn Batman (5) als alleinerziehender Vater<br />
in eine deutsch-skandinavische Lesben-WG. Die<br />
bei<strong>den</strong> Frauen haben <strong>ihr</strong>e eigenen Probleme: Solveig<br />
Byström (46) ist depressiv, Gesine Füllbrot<br />
(18) sexsüchtig. Von klassischen Geschlechterrollen<br />
halten sie nichts. Thomas schmeißt <strong>den</strong> Haushalt,<br />
Bob wird ermuntert, Mädchenkleider zu tragen<br />
und Lilifee-Figuren zu sammeln. Als sich der<br />
in seiner Männlichkeit verunsicherte Hans-Peter<br />
im Freibad in die konservative Britta (27) verliebt,<br />
gibt er sich als Bademeister und FDP-Abgeordneter<br />
aus. Er behauptet, mit zwei tollen Frauen in wilder<br />
Ehe zusammen zu leben, und Batman muss<br />
ANDREAS PRÜSTEL
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ihn plötzlich <strong>den</strong> feuchten Gebieter<br />
nennen. Als die interessierte Britta<br />
schließlich die WG besucht, stehen die<br />
Zeichen auf Sturm.<br />
Anselm Neft, bekannt aus dem<br />
Quatsch-Comedy-Club, schrieb etliche<br />
Drehbücher für »Gute-Zeiten, schlech -<br />
te Zeiten«, »Polizeiruf 111«, »Pleiten,<br />
Pech und Pannen« und »Richterin Barbara<br />
Salesch«. »Nassduscher« ist sein<br />
lang erwartetes Romandebüt. Bestsellerverdacht!<br />
Tommy Jaud: »Leider geil.«<br />
Männeken Biss<br />
Klappentext: Brüssel, 2015, ein Missbrauchsskandal<br />
rüttelt an <strong>den</strong> Festen<br />
eines jesuitischen Bubeninternats. Als<br />
zwei hübsche Knaben verschwin<strong>den</strong><br />
und einer kurz darauf ohne einen<br />
Tropfen Blut im Tischtennisraum der<br />
Schule gefun<strong>den</strong> wird, setzt die Stadt<br />
<strong>ihr</strong>en besten Mann auf <strong>den</strong> Fall an:<br />
Inspektor Chateaubriand. Bald schon<br />
stößt er auf eine Verschwörung, die<br />
bis in die Verliese des Vatikans, zu einem<br />
Geheimnis um die außerirdische<br />
Herkunft von Maria Magdalena und<br />
einem mächtigen Vampirklan ehemaliger<br />
Nazigrößen unter dem Kommando<br />
des Nekromanten Christian<br />
Kracht in <strong>den</strong> Katakomben Brüssels<br />
führt. Was keiner weiß: Der sympathische<br />
Griesgram Chateaubriandleidet<br />
an einem Hirntumor und hat nur<br />
noch wenige Wochen. Ein Wettlauf gegen<br />
die Zeit beginnt, bei dem sich die<br />
junge und sehr attraktive Nachwuchsautorin<br />
Daniela Kehlmann als unvermutete<br />
Hilfe erweist.<br />
Bild am Sonntag: »Ganz großes Kino.«<br />
Daniel Kehlmann: »Geschmacklos.«<br />
Titten, Tod und Teufel<br />
Klappentext: Marek ist Söldner. Er tötet<br />
für Geld. Er traut seinem Schwertarm<br />
und sonst niemandem. Er hat sieben<br />
Laster: Sex und Saufen. Er vögelt<br />
eine Wanderhure, die Tochter der Wanderhure,<br />
die Schwester der Tochter der<br />
Wanderhure, die Tochter der Schwester<br />
der Tochter der Wanderhure und<br />
eine Hebamme. Doch schließlich juckt<br />
sein Schwanz, und er muss zum Medicus<br />
...<br />
Anselm Neft, Astrologe, Hobby-Historiker<br />
und Autor des Inquisitions-Reißers<br />
»Gellende Schreie aus gleißen<strong>den</strong><br />
Flammen«, landet mit diesem<br />
Buch einen großen Befreiungsschlag.<br />
Hier sind Männer ganze Kerle und<br />
Frauen dekorative Randfiguren. Endlich<br />
ist das Mittelalter wieder so, wie<br />
es sein sollte.<br />
Ich bin doof – na und?<br />
Klappentext: Doof – keiner ist es selbst,<br />
aber jeder kennt jeman<strong>den</strong>, auf <strong>den</strong><br />
diese Bezeichnung zutrifft. Doofe wer<strong>den</strong><br />
öffentlich diskriminiert, im Berufsleben<br />
gemobbt und als Freunde<br />
oder Partner von <strong>den</strong> Nicht-Doofen<br />
links liegen gelassen. Manche Politiker<br />
fordern sogar, die Doofen in<br />
Deutschland ganz abzuschaffen. Anselm<br />
Neft, selbst seit vielen Jahren<br />
doof, bricht in diesem mutigen Buch<br />
eine Lanze für die Doofen und zeigt<br />
uns nebenbei, was Menschlichkeit<br />
wirklich bedeutet.<br />
Jetzt neu mit großem<br />
»Bin-ich-doof?«-Test!<br />
Kaufen Sie zwei Bücher<br />
zum Preis von nur dreien!<br />
Warten im Godot<br />
Klappentext: Olaf Bollwinkel, ein<br />
Mann mittleren Alters, sitzt in einer<br />
Kneipe namens »Godot« und wartet.<br />
Allerdings hat er vergessen, worauf.<br />
Nur wenige Meter entfernt träumt sich<br />
der gleichaltrige Boris Guercke in seiner<br />
muffigen Altstadt-Bude in eine<br />
wässrige Parallelwelt. Dort ist er ein<br />
Wels: Allein, stumm, auf Beute lauernd.<br />
Dauerstipendiat Neft gelingt mit seinem<br />
ersten Roman ein assoziationsreiches<br />
Vexierspiel ohne Zugeständnisse<br />
an patriarchalisch-heterosexuelle<br />
Konventionen wie Logik, Charakterentwicklung<br />
und epische Gerechtigkeit.<br />
In seinem alle Sprachspiele der<br />
Herrschaft hinterfragen<strong>den</strong> Stil lässt<br />
Neft prophetisch die großen Themen<br />
des neuen Jahrhunderts aufscheinen:<br />
poststu<strong>den</strong>tische Depressionen, Oberligafußball<br />
und Skispringen.<br />
Günter Grass: »Ein Wels ist zwar kein<br />
Butt, aber dieser Neft hat Pfeffer. 1000<br />
Seiten manierierter Stil ohne Handlung:<br />
Endlich wird in Deutschland wieder Literatur<br />
geschrieben.«<br />
Die Beziehungslüge<br />
Warum Partnerschaften<br />
nicht glücklich machen<br />
Klappentext: Singles kommen nach<br />
Hause, sehen, was im Kühlschrank ist,<br />
und gehen ins Bett. Verheiratete kommen<br />
nach Hause, sehen, was im Bett<br />
ist, und gehen zum Kühlschrank. So<br />
lustig dieses kleine Bonmot auf <strong>den</strong><br />
ersten Blick erscheint: Dahinter verbirgt<br />
sich eine bittere Wahrheit. Die<br />
Lebensqualität von Frauen sinkt<br />
durch Beziehungen nachweislich, die<br />
von Männern steigt zwar kurzfristig,<br />
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www.aufbau-verlag.de<br />
Gysi im<br />
Bett,<br />
Merkel in<br />
der Sauna<br />
220 Seiten. Mit vielen Fotos. € [D] 14,95. ISBN 978-3-351-03582-2. Ab 6. Oktober im Handel. Auch als E-Book erhältlich<br />
Dass Angela Merkel am<br />
Abend des 9. November 1989<br />
in der Sauna war, ist bekannt.<br />
Aber wie haben andere<br />
Prominente dieses legendäre<br />
Ereignis erlebt? Lustige,<br />
tragische, ungewöhnliche<br />
Erinnerungen.<br />
LITERATUREULE 10/14 73
Die Singlelüge<br />
Warum alleine leben<br />
nicht glücklich macht<br />
Klappentext: Singles: Sie halten sich für anspruchsvoll,<br />
in Wirklichkeit genügen sie <strong>den</strong> Ansprüchen<br />
anderer nicht. Zwar treiben Singles die Wirtschaft<br />
an und sorgen mit Berichten von One-Night-Stands<br />
bei Paaren für Amüsement – im Herzen aber sind<br />
sie unglücklich und fühlen sich als Verlierer. Zu Recht,<br />
wie Anselm Neft in diesem klugen Buch aufzeigt:<br />
Wer es noch nicht einmal schafft, die nötigen Kompromisse<br />
für eine Partnerschaft zu schließen, mit<br />
dem ist auch sonst kein Staat zu machen.<br />
Erzbischof Zollitsch: »Ein Finger in die Wunde unserer<br />
bindungslosen Ich-Gesellschaft. Endlich schreibt mal<br />
einer, wie wichtig stabile Mann-Frau-Beziehungen<br />
sind!«<br />
Die Glückslüge<br />
Warum Glück nicht<br />
glücklich macht<br />
dafür wer<strong>den</strong> sie immer häufiger verlassen und fühlen<br />
sich dann als Verlierer.<br />
Jörg Kachelmann: »Traurig, aber wahr! Ich habe das<br />
Buch 13, nein 14, äh 15 Mal verschenkt.«<br />
Die Kinderlüge<br />
Warum Nachwuchs<br />
nicht glücklich macht<br />
Klappentext: Erst ist einem übel, dann tut es höllisch<br />
weh, dann rutscht rotes Kreischfleisch in die Welt<br />
und zerstört alles, was Menschen heilig ist: Schlaf,<br />
Sex, entspannte Mahlzeiten, Bildung und Freundschaften<br />
zu Menschen ohne Kinder. Und gerade wenn<br />
die völlig kaputten und mittlerweile geschie<strong>den</strong>en<br />
Eltern <strong>den</strong>ken, das Schlimmste sei vorbei, beginnt<br />
die Pubertät.<br />
Wer nach der Lektüre dieses Buches Mütter und<br />
Väter sagen hört, Kinder seien das Schönste im Leben,<br />
der wird in <strong>ihr</strong>em matten Lächeln das Lächeln<br />
gehirngewaschener Sektenanhänger erkennen.<br />
Anselm Neft, selbst sehr lange Kind, deckt schonungslos<br />
und offenherzig eines der letzten Tabus<br />
unserer Zeit auf.<br />
JOHANN MAYR<br />
Klappentext: Anselm Neft, Autor von »Die Kinderlüge«,<br />
»Die Singlelüge« und »Die Beziehungslüge«<br />
holt im vierten Teil seiner investigativen Reihe zum<br />
ganz großen Schlag aus. In seinem Opus Magnum<br />
deckt der schonungslose Chronist unserer Illusionen<br />
die bisher größte Verschwörung des Abendlandes<br />
auf. Nominiert für <strong>den</strong> Ludwig-Börne-Preis und<br />
ein Abendessen mit <strong>den</strong> größten Hackfressen des<br />
deutschen Feuilletons.<br />
Frank Schirrmacher (gechannelt): »Verstiegen, spekulativ,<br />
kenntnisarm, grammatisch originell -- so muss Journalismus<br />
im 21. Jahrhundert sein.«<br />
Sorge dich nicht, klebe!<br />
Mehr Gelassenheit durch Basteln<br />
Kein Klappentext.<br />
Elke Hei<strong>den</strong>reich: »So etwas Schönes habe ich seit meiner<br />
ausgiebigen Heidegger-Lektüre lange nicht mehr<br />
erklebt.«<br />
Anselm Neft<br />
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Krawitter, Krawatter ...<br />
der Sammelband ist wieder da!<br />
Genau vor 30 Jahren erschien der Sammelband rund um<br />
Hahn Krawitter und seine Mäuse-Freunde Stinchen und Minchen<br />
das erste Mal. Die vier humorvollen Geschichten haben<br />
an Charme nichts verloren und zeigen, dass wahre Freunde<br />
zusammenhalten – egal in welcher Lebenslage.<br />
Herbert Friedrich / Gerhard Lahr<br />
Krawitter, Krawatter, das Stinchen, das Minchen<br />
Neuausgabe, gebun<strong>den</strong>, 126 Seiten, ab 4 Jahren<br />
a 12,95 D<br />
ISBN 978-3-407-77176-6
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Biskupeks Auslese (I)<br />
Criminale<br />
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Gna<strong>den</strong>lose Gier (dtv) ist ein Krimi-<br />
Klassiker aus <strong>den</strong> Zwanzigern. Der<br />
Brite C.S. Forestier eroberte damals<br />
Neuland. Es gibt keinen Ermittler, der<br />
mühsam <strong>den</strong> Verbrecher sucht, sondern<br />
der Erzähler berichtet, <strong>den</strong> Blickwinkel<br />
immer mal sacht wechselnd,<br />
wie zunächst ein Mord geschieht und<br />
dann ein zweiter. Dabei erklärt er, wie<br />
sein Mörder tickt. Das ist spannend<br />
und könnte viel spannender sein,<br />
wenn nicht immer mitgeteilt würde,<br />
warum dieser und jener so und nicht<br />
anders handelt. Man heißet dieses<br />
vielleicht psychologische Schreibweise.<br />
Ort ist vor allem ein Londoner Werbestudio.<br />
Da geht es um Anzeigen,<br />
Schriftgrößen und Werbebildchen; gar<br />
putzig erscheint das gegenüber dem,<br />
was heute als Kampagne im Millionenbereich<br />
gestartet wird. Statt einer früheren<br />
deutschen Fassung, die als »Glatter<br />
Mord« (plain murder) firmierte,<br />
gibt es hier eine Neuübersetzung von<br />
Britta Mümmler. Ob das eine gute Entscheidung<br />
war, kann bezweifelt wer<strong>den</strong>,<br />
wenn die Sprachblüte »in keinster<br />
Weise« hier gna<strong>den</strong>los als Erzählersprache<br />
daherkommt.<br />
★<br />
Christophe Carlier lehrt Literatur<br />
an der Pariser Sorbonne und promovierte<br />
über Marguerite Duras. Für Der<br />
Mörder mit dem grünen Apfel (dtv)<br />
bekam er einen Preis für <strong>den</strong> besten<br />
Erstlings-Roman. Drum behauptet<br />
der Klappentext auch, dass das Ganze<br />
ein raffiniertes Versteckspiel sei, sehr<br />
elegant, mit vielen Anspielungen und<br />
überraschen<strong>den</strong> Pointen.<br />
Ich muss ein anderes Buch gelesen<br />
haben. Ein amerikanischer Professor,<br />
eine mäßig verliebte Italienerin, ein<br />
Hotel-Empfangsboy und ein Zimmermädchen<br />
erzählen jeweils über sich<br />
und einen Mord im Hotel. Etwa in<br />
Buchmitte verrät einer, dass er der<br />
Mörder war, was dann aber vielleicht<br />
doch ein Unfall gewesen sein könnte.<br />
Ganz zum Schluss gibt noch eine Ehefrau<br />
<strong>ihr</strong>e Version; mir kommt all dies<br />
wie Schreibübungen vor, die der Literaturlehrer<br />
seinen Sorbonne-Schülern<br />
vorführen wollte.<br />
★<br />
Krimi-Snack, hübsch als solcher äußerlich<br />
und innerlich verschachtelt,<br />
nennt sich Die Sandfrau (ars vivendi)<br />
von Regula Venske. Auf gut hundert<br />
kleinen Seiten erfahre ich, was es<br />
bringt, wenn man in der elektronischen<br />
Hinterlassenschaft des verstorbenen<br />
Partners schnüffelt: schlechte<br />
Laune, Selbstzweifel und am Ende Lebensgefahr.<br />
Dass die berlinerische Art,<br />
»Kaffe« statt »Kaffee« zu sagen, zur Entlarvung<br />
beitragen kann, sollten all<br />
jene be<strong>den</strong>ken, die stolz auf <strong>ihr</strong> unverwechselbares<br />
Idiom sind. Auf je<strong>den</strong><br />
Fall ist diese kleine, genussvolle Zwischenmahlzeit<br />
genau richtig, um die<br />
Zeit bis zu einem großen kriminellen<br />
Abendmahl angenehm gesättigt zu<br />
überbrücken.<br />
★<br />
Wer beim Namen Patricia Holland<br />
Moritz auf Humor, genaue Sprache<br />
und scharfes Urteil hofft, weil es eine<br />
Autorin ähnlichen Namens gibt, die<br />
genau dies alles verkörpert, der wird<br />
schwer enttäuscht sein von Die Einsamkeit<br />
des Chamäleons (Gmeiner).<br />
Wer jedoch weiß, dass alte Nazis in<br />
der DDR Unterschlupf fan<strong>den</strong>, das<br />
Land grau und trüb vor sich hin döste<br />
und Hohenschönhausen die Steigerung<br />
der Inquisition war, wird bei der<br />
Lektüre aufs Korrekteste bestätigt.<br />
Auch im Jahr 2010 tragen die Erben<br />
dieses Staates Hosen aus Polyethylen<br />
und kleinkarierte Hem<strong>den</strong>, lesen das<br />
Neue Deutschland, masturbieren beim<br />
Spitzeln und haben Bilder von Honecker<br />
und Ulbricht an <strong>den</strong> Wän<strong>den</strong><br />
hängen.<br />
Die reiche Rebekka Schomberg<br />
(jene DDR-Nazi-Erbin, bei deren Anblick<br />
die Fieslinge masturbieren) kann<br />
es sich leisten, privat und ohne Gewinnstreben<br />
zu ermitteln. Dazu hat<br />
sie auch einen echten, also freiheitlichdemokratischen<br />
Kriminalisten bei der<br />
Hand, also im Schoße, der sie notfalls<br />
vorm Tode rettet. Zudem weiß sie über<br />
moderne Kunst Bescheid und findet<br />
in vergessenen DDR-Gedichtbän<strong>den</strong><br />
des Rätsels Lösung. Diese Rebekka<br />
»kam sich vor wie ein Schulmädchen.<br />
Neben <strong>den</strong> ernsthaften Themen, die<br />
sie mit Cascone zu besprechen hatte,<br />
hoffte sie auf leichte, schöne, unbeschwerte<br />
Momente mit ihm.«<br />
Ob sie das Erhoffte erreicht, wollen<br />
wir der Fairness halber nicht verraten.<br />
Leserinnen aber wer<strong>den</strong> es mit diesem<br />
Buch weder leicht noch schön<br />
oder unbeschwert haben. Dafür wer<strong>den</strong><br />
sie wie Schulmädchen belehrt<br />
über eine finstere Vergangenheit.<br />
VV<br />
LITERATUREULE 10/14 77
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Biskupeks Auslese (II)<br />
Poe Sie Al Bum<br />
Vor 32 Jahren gab der später anderweitig<br />
bekannt gewor<strong>den</strong>e Sascha Anderson<br />
mit Cornelia Schleime ein<br />
selbstverlegtes Buch dieses Titels heraus,<br />
das als Einzelexemplar heute für<br />
10 692 Euro angeboten wird. In <strong>den</strong><br />
vier Kleinwörtern steckte vieles: Der<br />
Grusel-Autor E. A. Poe, das Ewigweibliche,<br />
das Unendliche und schließlich<br />
der finale Schluss. Auf letzteren hatte<br />
es der rheinische Berliner Edgar Külow<br />
abgesehen, sein Nachlassband<br />
hieß »Poesie-All-Bumm«, heute für<br />
5,99 Euro zu haben. Darinnen manch<br />
polternd Gereimtes, der Kabarett-Autor<br />
und Fußballkolumnist war auch<br />
Endreimdichter.<br />
Ganze 90 Pfennige kostete das orthografisch<br />
korrekte Poesiealbum zu<br />
DDR-Zeiten, eine Lyrik-Heft-Reihe für<br />
<strong>den</strong> Kiosk, beginnend mit Heft 1 Bertolt<br />
Brecht und zunächst en<strong>den</strong>d 1990<br />
mit Heft 275 August Graf von Platen,<br />
<strong>den</strong> ein gewisser Heine, der natürlich<br />
auch ein Poesiealbum hat (Nr. 3) gar<br />
heftig ob seiner Homosexualität verspottete.<br />
Auf 32 Seiten stan<strong>den</strong> durchschnittlich<br />
zwei Dutzend Gedichte, sorgsam<br />
ausgewählt, eine Doppelblattgrafik<br />
und statt weitschweifiger Einordnungen<br />
kurze aphoristische Glanzlichter<br />
über <strong>den</strong> Dichter. Seither gab es Wiederbelebungen;<br />
die kräftigste, bis<br />
heute anhaltende ist die im Märkischen<br />
Verlag Wilhelmshorst seit 2007.<br />
Dort kann man auch Nachdrucke,<br />
zum Beispiel Günter Kunert (Nr. 8)<br />
oder Kurt Tucholsky (Nr. 34), kaufen,<br />
jetzt allerdings für 4 Euro. Von <strong>den</strong><br />
neueren und lieferbaren sei hier Ludvik<br />
Kundera empfohlen (Nr. 281). Es<br />
handelt sich NICHT um <strong>den</strong> Autor der<br />
unerträglichen Leichtigkeit des Seins,<br />
das ist sein in Frankreich lebender<br />
Cousin. Ludvik K. war so bo<strong>den</strong>ständig<br />
tschechisch, dass Übersetzungen<br />
höchst unterschiedlich ausfallen. Reiner<br />
Kunze (Nr. 11), Richard Pietraß<br />
(Sonderheft 60 extra) und der Autor<br />
selber haben es getan, hier aber gab<br />
Eduard Schreiber nicht nur die Texte<br />
heraus, sondern übersetzte auch <strong>den</strong><br />
Großteil.<br />
Was an <strong>den</strong> neueren Heften zu bemäkeln<br />
ist: Früher gab es ein großzügigeres<br />
Druckbild. Auch war in der<br />
klassischen Reihe jedem Gedicht<br />
meist eine eigene Seite beschie<strong>den</strong>,<br />
jetzt hocken die Texte gelegentlich aufeinander,<br />
so dass der Begriff Gedicht<br />
einen Nebensinn bekommt.<br />
★<br />
Es gibt sie noch: echte Gedichtbände.<br />
Die deutsche Sorbin Róža Domašcyna<br />
brachte unlängst Feldlinien<br />
– Gedichte aus fünfundzwanzig<br />
Jahren (EDITION ORNAMENT im<br />
quartus-Verlag) heraus, ein edler,<br />
schwarz gewandeter Band mit beigegebener<br />
Grafik. Gleich der zweite Text<br />
bringt uns in Schwierigkeiten, er heißt<br />
nämlich »Cyklen« und beginnt:<br />
»meine urgroßmutter, die bei weitem<br />
keine uroma war, / sondern eine prawowka,<br />
sprach nur wendisch, wie sie<br />
es / mir auf sorbisch erklärten«. In <strong>den</strong><br />
Anmerkungen erfährt man: »Cyklen:<br />
Bezeichnung für Uroma, Oma, Tochter<br />
(in sorbischer, sorbisch-phonetischer<br />
und deutscher Sprache).« Herausgeber<br />
Jens-Fietje Dwars erklärt<br />
im Nachwort, kurz angebun<strong>den</strong>, dass<br />
sorbisches Lebensgefühl eben nicht<br />
nur Spreewaldtrachten sind.<br />
Titel bedeuten im Buchnormalverkauf<br />
sehr viel, bei Lyrik eher wenig,<br />
da zählt der Name. Daniela Danz hat<br />
<strong>ihr</strong>en Band V (Wallstein) genannt, womit<br />
man zwar Vaterland als Chiffre<br />
verstehen soll, was als römische Ziffer<br />
aber auch <strong>ihr</strong> fünftes Buch sein<br />
könnte.<br />
Dass Poesie auch aus abstrakten Gedankenexperimenten<br />
entstehen kann,<br />
spielt die Autorin mit zwei Gefangenen<br />
durch, deren Strafe je nach Geständnis<br />
variiert. Lohn des Verrats und<br />
Angst des Verräters, das wird als Strategie<br />
und Dilemma vorgeführt: »du<br />
verrätst mich nicht / weil ich deinen<br />
Mund zuhalte«.<br />
★<br />
Wulf Kirsten bekam ein frühes Poesiealbum,<br />
die Nr. 4 von 1968. Jetzt gibt<br />
es vom 80-jährigen Dichter ein Buch<br />
in ähnlichem Umfang und Format<br />
»Was ich noch sagen wollte – Neue<br />
Gedichte« (quartus Verlag). Über fast<br />
fünf Jahrzehnte hinweg nutzt er noch<br />
immer seine selten gewor<strong>den</strong>en sächsischen<br />
Wörter: schrindig, dräuscht,<br />
verschlufft, schiebbock, dunkelmanngemunkel.<br />
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LITERATUREULE 10/14 79
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Biskupeks Auslese (III)<br />
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VERLAG FÜR NEUAUTOREN<br />
Das Leben des Künstlerpaares Chris -<br />
ta und Gerhard Wolf böte Romanstoff,<br />
doch zunächst hat Sonja Hilzinger<br />
diese »Gemeinsam gelebte Zeit«<br />
(verlag für berlin-bran<strong>den</strong>burg) überaus<br />
sachlich, wie das Literaturwissenschaftlern<br />
geziemt, mit vielen Bildern<br />
auf dreihundert Seiten ausgebreitet.<br />
Es liest sich nicht weg, Kaumkenner<br />
der DDR sollten gelegentlich in Buch<br />
und Internet nachschlagen, <strong>den</strong>n obwohl<br />
die Biografin <strong>ihr</strong>e frühen Erfahrungen<br />
in der westdeutschen Frauenbewegung<br />
machte, ist sie tief in dieses<br />
deutsche Kleinland mit dem riesigen<br />
historischen Anspruch eingedrungen,<br />
sieht manches Wissen als selbstverständlich<br />
an. Der Pingelige bemerkt<br />
Fehler; die legendären Lyrik-<br />
Auswahl-Bände »Neue Lyrik – Neue<br />
Namen« (1966 ff.) beispielsweise besorgte<br />
nicht der Mitteldeutsche Verlag<br />
Halle, sondern der Berliner Verlag<br />
Neues Leben. Als Roman- oder auch<br />
Filmstoff könnte sich dieses Leben eignen,<br />
weil auch außereheliche Liebesbeziehungen<br />
zumindest benannt wer<strong>den</strong>;<br />
demnächst im Hauptabendprogramm<br />
mit Martina Gedeck und Matthias<br />
Brandt als Christa und Gerhard<br />
Wolf.<br />
★<br />
Mit Verve und erstaunlichen Details<br />
hat Friedemann Schreiter die<br />
Strafanstalt Waldheim – Geschichten,<br />
Personen und Prozesse aus drei<br />
Jahrhunderten (Ch. Links) beschrieben.<br />
Spannend wie ein Krimi: Klar, das Buch<br />
ist ja auch sächsische, deutsche, europäische<br />
Kriminalgeschichte. Schrei ter<br />
muss sich durch Berge von Akten gewühlt<br />
haben, der kleingedruckte Anhang<br />
macht <strong>den</strong>noch nicht mehr als<br />
zehn Prozent des Buches aus. Erfreulich<br />
der ausgewogene, sachbezogene<br />
Umgang mit Geschichte, die Waldheimer<br />
Prozesse sind eben nur ein Teil;<br />
Täter und Opfer haben alle <strong>ihr</strong>e Biografien.<br />
Dass der Häftling Karl May<br />
ausgiebig vorkommt, war für <strong>den</strong> Autor<br />
Nachnutzung: Er hatte ihn schon<br />
in Hörspielen und Drehbüchern beim<br />
Wickel, wie man in Sachsen sagt.<br />
★<br />
»Über die Mauer im Kopf« hat Anja<br />
Goerz viele Stimmen, Meinungen<br />
und Lebenserinnerungen gesammelt<br />
und nennt sie Der Osten ist ein Gefühl<br />
(dtv). Ganz so gefühlig wollen<br />
wir <strong>ihr</strong> das nicht durchgehen lassen.<br />
Die Westdeutsche ließ <strong>ihr</strong>en ostdeutschen<br />
Interviewpartnern nämlich zu<br />
viel durchgehen. Auch wenn Regine<br />
Sylvester behauptet, Frauen hätten in<br />
der DDR mit 63 Rente bekommen:<br />
das weibliche Renteneintrittsalter war<br />
der letzte Tag des Vormonats, in dem<br />
das Ende des 60. Lebensjahres erreicht<br />
wor<strong>den</strong> war, um es juristendeutsch zu<br />
formulieren. Und der empörte Ausruf<br />
»Studieren durften nur Arbeiterkinder!«<br />
sollte inzwischen auch ins große<br />
Sagenreich verwiesen wer<strong>den</strong>. Bis<br />
heute wird zudem fabuliert, dass alle<br />
Stu<strong>den</strong>ten, unabhängig vom Einkommen<br />
der Eltern, das volle Stipendium<br />
erhielten. Und wenn unsere DDR-Forscher<br />
nicht gestorben sind, erfin<strong>den</strong><br />
sie gern immer wieder neue Märchen.<br />
★<br />
Schon viele Forscher haben ganz ernsthaft<br />
versucht herauszufin<strong>den</strong>, warum<br />
wir lachen. Nun gab auch Frank Lisson<br />
unter dem Titel Humor (zu Klampen<br />
ESSAY) seinen Senf dazu. Und<br />
weil wir nicht alle Humor-Experten,<br />
die er anruft, von Schopenhauer bis<br />
Kierkegaard, hier wiedergeben wollen,<br />
bleiben wir beim Dreibuchstabenstaat<br />
von einst: »Der Witz sei ein überlisteter<br />
Schmerz, sagte man in der DDR.«<br />
Weiß Frank, der Humorige, und<br />
spricht mit nur einem Punkt dazwischen<br />
weiter: »Und von Bertolt Brecht<br />
stammt der Satz: ›Es ist schlimm, in<br />
einem Land zu leben, in dem es keinen<br />
Humor gibt. Aber noch schlimmer<br />
ist es, in einem Lande zu leben, in<br />
dem man Humor braucht.‹« Unsereins<br />
hat da noch irgendein Brecht-Zitat im<br />
Hinterkopf mit dem Land, das unglücklich<br />
sei, wenn es Hel<strong>den</strong> braucht,<br />
aber wir müssen ja nicht ernsthaft lachen.<br />
Wir nehmen lieber English for fun<br />
aus dem wahrlich verdienstvollen Reclam-Verlag<br />
zur Hand und teilen mit,<br />
wie man Meinungen zu Büchern formulieren<br />
sollte, selbstverständlich sagen<br />
wir’s durch die englische Blume:<br />
Sometimes it’s better not to say what<br />
you think, especially if you’re thinking<br />
something nasty, rude or taboo. English<br />
has lots of ways to beat around<br />
the bush … Wir klopfen weder auf<br />
noch <strong>den</strong> George W. Bush, dessen Memoiren<br />
die Forscher der Welt demnächst<br />
ehrfürchtig wer<strong>den</strong> erstarren<br />
lassen. Im deutschen Fernsehen mit<br />
Matthias Brandt in der Hauptrolle.<br />
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Heidi Diener<br />
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In neun Kurzgeschichten bringt Heidi<br />
Diener <strong>den</strong> Lesern die Tierwelt näher. Eine<br />
Katze, die Brillen sammelt, ein Hund, der es liebt, auf dem<br />
Motorrad mitzufahren, oder ein Pferd, welches Vertrauen lernt<br />
und lehrt. Ein Buch, das zu Herzen geht.<br />
Veronika Städing<br />
Dornröschen<br />
schläft<br />
nicht mehr<br />
ISBN 978-3-99038-484-8<br />
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Das Märchen von Dornröschen wird<br />
auf moderne Art und Weise mit der<br />
heutigen Zeit verbun<strong>den</strong>. Die behütete Königstochter erwacht<br />
nach einem 500-jährigen Schlaf im Jahre 2011 und<br />
wird mit einer ungeahnten Freiheit konfrontiert. Dabei<br />
gerät sie in Situationen, von <strong>den</strong>en sie im Mittelalter nicht<br />
einmal zu träumen wusste.<br />
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# $%&'(<br />
$")<br />
<br />
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#$%%&&'(<br />
)*+,(<br />
#-. %/0))<br />
Begräbnisse<br />
zum Totlachen<br />
Sie wer<strong>den</strong> sterben. Das ist eine Tatsache, mit der Sie sich irgendwann abfin<strong>den</strong> müssen.<br />
Letzten Endes gibt es momentan rund sieben Milliar<strong>den</strong> Menschen auf der Welt, von <strong>den</strong>en<br />
jeder einzelne eines Tages eine Beerdigung nötig haben wird. Gestalten wir sie doch<br />
so abgefahren wie möglich! »Begräbnisse zum Totlachen« betrachtet rund einhundert<br />
schräge, unheimliche und teilweise eklige Formen. Machen Sie es sich gemütlich!<br />
Das unendliche Begräbnis<br />
Im Laufe der Geschichte haben eine ganze Menge<br />
Kulturen Begräbnisse mit Partycharakter geschmissen,<br />
aber selten einmal stand dabei der Verstorbene<br />
derart im Mittelpunkt wie in Buguias auf <strong>den</strong> Philippinen.<br />
Wenn dort einer stirbt, wird er nicht in<br />
eine Kiste gepackt – vielmehr ist er eine Woche oder<br />
auch länger Ehrengast bei einer gewaltigen Grillfete.<br />
Immerhin ist er dabei nicht – wie anderswo<br />
schon mal üblich – das Hauptgericht.<br />
Wenn ein Stammesmitglied stirbt, wird er sofort<br />
auf einen Stuhl vor seinem Haus gesetzt. Da jedoch<br />
Leichen immer wieder Schwierigkeiten mit dem<br />
Aufrechtsitzen haben, wer<strong>den</strong> sie an Kopf, Armen<br />
und Füßen festgebun<strong>den</strong>. Dann beginnt eine Festlichkeit,<br />
die ein paar Tage oder auch Monate dauern<br />
kann. Da keinerlei Einbalsamierung im Spiel<br />
ist, setzt die Zeit der verwesen<strong>den</strong> Leiche ziemlich<br />
zu. In dem verzweifelten Versuch, sie zumindest einigermaßen<br />
gut aussehen zu lassen,<br />
muss einer neben <strong>ihr</strong> sitzen und die<br />
Fliegen verjagen, was schon binnen kurzem<br />
recht sinnlos sein dürfte.<br />
Freunde und Verwandte bringen Geschenke<br />
in Form von leben<strong>den</strong> Nutztieren,<br />
und zwar jeweils ein Männchen<br />
und ein Weibchen. Am ersten Tag wer<strong>den</strong><br />
genauso viele Tiere geschlachtet<br />
und zubereitet, wie die Trauergemeinde verdrücken<br />
kann. Doch dann setzt eine richtiggehende Großschlachtung<br />
ein, bei der nicht nur sämtliche mitgebrachten,<br />
sondern auch viele Tiere des Verstorbenen<br />
dahingemetzelt wer<strong>den</strong>. Je wohlhabender die<br />
Person war, desto mehr Tiere wer<strong>den</strong> verzehrt –<br />
und warum auch nicht, <strong>den</strong>n so hätte der Verstorbene<br />
das ja auch gewollt, oder? Die Menge an<br />
Fleisch ist Indikator dafür, welche Stellung der Tote<br />
innerhalb der Gemeinschaft eingenommen hat; im<br />
Fall eine Superreichen wer<strong>den</strong> also monatelang<br />
Tiere getötet und zubereitet, wobei es gut und gerne<br />
zur Auslöschung halber Her<strong>den</strong> kommen kann. Und<br />
da mehr verfügbares Essen gleichzeitig mehr Esser<br />
erfordert, nehmen derartige Begräbnisse gern auch<br />
mal Festivalcharakter an. Gibt man zu dieser Mischung<br />
noch Unmengen von Alkohol, hat man einen<br />
Haufen Leute beieinander, die sich die Nächte<br />
Ich möchte friedlich<br />
im Schlaf sterben<br />
wie mein Vater,<br />
und nicht schreiend<br />
und verängstigt<br />
wie seine Passagiere.<br />
Bob Monkhouse<br />
um die Ohren schlagen, fressen und saufen bis zum<br />
Gehtnichtmehr und zwischendurch gern mal ein<br />
Liedchen anstimmen, um <strong>den</strong> Verstorbenen bei<br />
Laune zu halten.<br />
Wenn genügend Fleisch konsumiert wurde, wird<br />
der Tote schließlich beerdigt.<br />
Die wundersame Welt<br />
der Nachrufe<br />
Die meisten Leute mögen es nicht sonderlich, wenn<br />
man an die Toten erinnert, indem man sie beleidigt.<br />
Journalisten hatten jedoch schon immer <strong>ihr</strong>e<br />
Geheimcodes, um nachteilige Aussagen bezüglich<br />
einer Person vollkommen unanstößig rüberzubringen.<br />
Es gibt allerdings auch Nachrufe, die auf jede<br />
Beschönigung verzichten. Als Dolores Aguilar im<br />
Jahre 2008 starb, fiel keinem <strong>ihr</strong>er 48 Nachkommen<br />
auch nur ein einziges freundliches Wort ein,<br />
dementsprechend wurde in einer kalifornischen<br />
Zeitung folgender Nachruf<br />
veröffentlicht:<br />
»Dolores hatte keine Hobbys, leistete<br />
keinerlei gesellschaftlichen Beitrag<br />
und war <strong>ihr</strong> Leben lang weder zu einem<br />
freundlichen Wort noch zu einer<br />
guten Tat bereit. Ich spreche für die<br />
Mehrheit <strong>ihr</strong>er Familie, wenn ich sage,<br />
dass kaum einer sie vermissen wird, dass es kaum<br />
Tränen geben wird und dass kaum jemand <strong>ihr</strong> Dahinschei<strong>den</strong><br />
beklagen wird … Es wird keine Trauerfeier,<br />
keine Gebete und keine Verabschiedung vonseiten<br />
der Familie geben, deren Zerstörung sie <strong>ihr</strong><br />
Leben gewidmet hat.«<br />
Autsch!<br />
(leicht gekürzt)<br />
9 7 8 3 6 0 8 5 0 3 2 6 5<br />
Kathy Benjamin: Begräbnisse<br />
zum Totlachen.<br />
Die durchgeknalltesten Bestattungen<br />
aller Zeiten,<br />
Tropen, 206 S., 16,95 Euro.<br />
82 LITERATUREULE 10/14
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Blumen für <strong>den</strong> Underdog<br />
Niemals war Kalle der Dissi<strong>den</strong>t der Penne! Er hatte<br />
dem FDJ-Chef <strong>den</strong> Zeigestock wegen Ludmila reingerammt.<br />
Für Kalle ging es immer nur um Ludmila. Er<br />
fuhr ein, weil <strong>ihr</strong> die Sau so aufs Schwein ging.<br />
Im Knast stand er an der Stanze, schrieb Storys<br />
nach der Schicht, machte aus Ludmila eine Liz, aus<br />
dem FDJ-Heini Duke, die Drohne. Die Anstaltsleiterin<br />
las gegen. Als er rauskam, war Liz im Ballon<br />
übern Harz. Bei <strong>den</strong> Russen in Moskau grummelte<br />
es schon.<br />
Kalles Zeit kam übers Jahr, <strong>den</strong> Krawallen auf der<br />
Straße wich er aus; für Kurzgeschichten taugten so<br />
Wutbürger ja kaum. Knackis und Lu<strong>den</strong> kamen besser.<br />
Zocker, Boxer, Schwuchteln. Er hatte Capote, Carver<br />
und Cheever studiert, wusste, ein Text muss knapp<br />
sein, böse und hart. Gut war, was von unten kam.<br />
Eine Literaturzeitschrift griff zu, eine zweite und<br />
dritte, einmal sogar nahm ihm der Playboy was ab.<br />
Das Debüt traf einen Nerv; ein Papst schrieb »Fort damit!«,<br />
ein anderer »Mehr!«<br />
Kalle kam hoch als Underdog. Auch er hatte Storys<br />
drauf, die Gesunde depressiv machen konnten.<br />
Das Ziel war, dass sich der Leser erschoss.<br />
Reich wie Grass, wurde er friedlich und faul, gefiel<br />
sich als Snob, las Maupassant, Tucholsky, Karl<br />
Kraus – gern hätte er mal so was wie »Schloss Gripsholm«<br />
gemacht. Aber der Verlag verstand sich aufs<br />
Drillen, Kalle war ein Fang, für <strong>den</strong> es sich lohnte.<br />
Am Schluss gab er nach. Berühmt zu sein, war ja<br />
auch okay.<br />
Um sich runterzuholen, griff er wieder zum<br />
Schnaps, holte Bukowski vom Schrank, fuhr lesend<br />
sich hoch. Der Gipsei-Effekt funktionierte wie immer:<br />
In Wirklichkeit, das wusste ich,<br />
war ich ein ganz netter Kerl.<br />
Charles Bukowski<br />
sofort brütete er wieder was aus. Machte die alte<br />
Dame, seine Nachbarin, zur Weißhaarigen Fut, <strong>den</strong><br />
Frührentner vom Parterre zum Dealer. Den Background<br />
gab die Junge Gemeinde vis-à-vis: eine Gang<br />
zugeknallter Junkies. Das Thema war Scheitern, er<br />
der Solist. Ein Riff die Tristesse in der Vorstadt, die<br />
bordeauxrote Bar mit dem Luder vom Land. Je elender<br />
es wegstrudelt, desto markanter der Plot.<br />
Danach stach Kalle der Hafer erneut. Er ließ ein Kabinettstück<br />
raus, weil sein Tagwerkchen ihm jäh so absurd<br />
vorkam, eine Parodie auf <strong>den</strong> Autor am Band. Der<br />
Lektor lachte auch, als sein Dompteur freilich nur kurz.<br />
Doch der Schreck war umsonst: gebändigt sprang Kalle<br />
ins Laufrad zurück. In der Folge warf Nina ihn raus –<br />
Novelle vom Morgen danach.<br />
Die Akademie nahm ihn auf; er saß in Talkshows<br />
rum, der Verlag schickte ihn los auf Tournee. Er hätte<br />
gurgeln können mit Dom Pérignon; ihm reichte es, dass<br />
er wieder Zeit fand zum Skat.<br />
Er lag auf dem Hotelbett nach der Show, leer wie<br />
seine beste Figur. Unmöglich, sie nicht mit sich selbst<br />
zu verwechseln. Rülps, hatte ihn seine Mutter geschimpft,<br />
einen Widerling, seine zarte kleine Schwester.<br />
Er erhob sich, weil es klopfte, ging in Socken zur Tür,<br />
erschrak vor einem enormen Strauß Blumen, dann vor<br />
Liz. Liz war ihm komplett entfallen.<br />
Gott, wie sie in seinem Text gebibbert hatte, im Kleidchen<br />
auf dem Riesenrad, die Schminke verlaufen vom<br />
Guss. Unten in Bitterfeld lauerte Duke, die Drohne. Es<br />
durfte geraucht wer<strong>den</strong> in allen Gondeln; selbst Venedig<br />
war zu sehen von so hoch oben.<br />
Rainer Klis<br />
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„Es gibt eine wunderbare neue Buchreihe, die heißt<br />
.“<br />
Denis Scheck (Druckfrisch)<br />
Neu 2014:<br />
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Die Heilige Jungfrau vom Nil<br />
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von Andreas Jandl<br />
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Mia Couto<br />
Jesusalem<br />
Roman<br />
Aus dem Portugiesischen<br />
von Karin von Schweder-Schreiner<br />
214 Seiten, EUR 24,80<br />
ebook EUR 16,99<br />
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Wild<br />
Gedichte<br />
Englisch-Deutsch<br />
Deutsch von<br />
Brigitte Oleschinski<br />
182 Seiten, EUR 18,90<br />
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Verlag Das Wunderhorn<br />
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69115 Heidelberg<br />
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Der Literat<br />
Fest entschlossen, mit Simson Mopeds (SR2) rund zweitausend<br />
Kilometer zurückzulegen, planten 1990 zwei<br />
junge Dresdner eine ungewöhliche Reise nach Paris. Ohne<br />
Sprach- und Ortskenntnisse fuhren sie über Luxemburg<br />
nach Frankreich, lernten Land und Leute vom Sattel <strong>ihr</strong>er<br />
Einsitzer kennen. Allein Werkzeug und Ersatzteile wogen<br />
16 Kilogramm, welche die bei<strong>den</strong> SR2 nebst Fahrer und<br />
Gepäck zu transportieren hatten. Eine starke Leistung für<br />
ganze 1,5 PS. Das große Ziel, der Eiffelturm, spielt in<br />
dieser Geschichte fast eine Nebenrolle, bei all <strong>den</strong> bunten<br />
Eindrücken, die André und Torsten mit 45 Kilometer pro<br />
Stunde sammelten.<br />
»Mit dem SR2 1990 von Dres<strong>den</strong> nach Paris«<br />
André Kiesewalter und Torsten Naumann<br />
Heft, 32 Seiten, 13×21cm<br />
vollfarbig gedruckt, Eigenverlag<br />
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telefonisch: 03501-52 99 00<br />
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86 LITERATUREULE 10/14<br />
Detlef Senf hat ein Buch geschrieben!<br />
Ein ungeheuerliches Ereignis, war doch<br />
schon immer klar gewesen, dass Detlef<br />
nicht mal banale Einkaufszettel verfassen<br />
konnte, ohne dabei grammatikalische<br />
Bombentrichter zu hinterlassen.<br />
Seine Mutter Magda Senf soll angeblich<br />
auch deswegen <strong>den</strong> Freitod gewählt<br />
haben, weil sie damals zum Muttertag<br />
in der Küche folgende Botschaft fand:<br />
»Mutta! Toll oder? Habe das volle Dorf<br />
überall voll mit Plakate verklebt, das<br />
du echt voll die Mutta! Hatte dir auch<br />
Heute so zum Ausdrücken deswegen<br />
Blumen zerpflückt!« Neben dem Zettel<br />
fand man verschrumpelte Osterglocken,<br />
die brutal in eine enge Vase gestopft<br />
wor<strong>den</strong> waren, und einen halben Meter<br />
rechts davon die frisch erhängte<br />
Magda Senf über der Tiefkühltruhe baumelnd.<br />
Der mutterlose Detlef beglückte danach<br />
seinen trauern<strong>den</strong> Vater Otto Senf<br />
lebenslang mit selbst verfassten Gedichten,<br />
ein tödlicher Schlaganfall folgte irgendwann,<br />
und so erbte Detlef am Ende<br />
schließlich die Familienschlachterei<br />
Senf in Oberdüppeln.<br />
Das Erbe bescherte Detlef ein sorgloses<br />
Leben, doch sein Geist fühlte sich<br />
zu Höherem berufen. Abend für Abend<br />
opferte er zahllose Stun<strong>den</strong> der verzweifelten<br />
Suche nach passen<strong>den</strong> Buchstaben<br />
und Worten, bis dann endlich, nach<br />
vielen schürfen<strong>den</strong> Jahren, das Ei gelegt<br />
war: sein Lebenswerk! Ein 547-DIN-<br />
A4-Seiten-Denkmal mit dem Titel<br />
»Kein Fleisch ohne Preis!«, das am Ende<br />
sogar einen Verlag fand, obwohl sich<br />
das Buch auf sämtlichen Seiten ungefähr<br />
so liest: »Solange ich lebend Knochen<br />
von Fleisch löste, war ich schon<br />
ständig klar, das dass nicht alles hätte<br />
gewesen sein können. So dachte ich, das<br />
nicht nur Fleisch und Lösen von Knochen<br />
das war (nämlich immer nur Lösen<br />
von Fleisch von Knochen), ohne daneben<br />
aber kein Glück bei all dessen<br />
zu besessen haben, wo man es doch eigentlich<br />
viel mehr hätte verdient haben<br />
müsste. Nein, – alleine das wäre für<br />
mich in Wirklichkeit zu wenig gewor<strong>den</strong>!«<br />
Selbst die Handlung ist schnell erzählt:<br />
Ein kleiner Junge aus Oberdüppeln,<br />
schon früh der hohen Literatur<br />
verschrieben, gerät durch <strong>den</strong> Verlust<br />
seiner Eltern unter das Joch ererbten<br />
Familienbesitzes und muss unter Qualen<br />
sein Leben lang Fleisch von Knochen<br />
lösen. Allein der Vorgang, Fleisch<br />
von Knochen zu lösen, nimmt in erbrechen<strong>den</strong><br />
Einzelheiten fast zwei Drittel<br />
des Buches ein. Am Ende dann die Erlösung<br />
sowohl für <strong>den</strong> Leser als auch<br />
für <strong>den</strong> Schreiber: die Anerkennung führender<br />
geistiger Kräfte im Land, Fortuna<br />
in Person, die aus <strong>ihr</strong>em Füllhorn viele<br />
Detlef-Gips-Köpfe in die Foyers führender<br />
Bibliotheken schüttet und ehrfürchtiges<br />
Verbeugen in <strong>den</strong> Feuilletons auslöst.<br />
Die Suche nach einem Verlag gestaltete<br />
sich schwer, zumal Detlefs Manuskripte<br />
in renommierten Häusern sofort<br />
in der nächsten Tonne landeten – angeblich<br />
zum Schutz dort arbeitender<br />
Lektoren. Doch schließlich ein Schreiben<br />
der »Deutschen Literatengemeinschaft«:<br />
Eine große Ehre angeblich, sein<br />
Buch verlegen zu dürfen. Neben mitgeliefertem<br />
Vertrag in teurem Papier noch<br />
eine Hochglanzbroschüre mit Fotos vonschweren<br />
Ledersofas vor gewaltigen Bücherwän<strong>den</strong>,<br />
das Porträt irgendeiner<br />
Großfamilie aus der Kaiserzeit nebst Abbildung<br />
namhafter Autoren sowie mit<br />
Bildern der wuchtigen Geschäftsräume<br />
des Verlages, – eindrucksvoll, souverän<br />
und pompös seriös.<br />
Geschafft! Der geistige Olymp ward<br />
erklommen, und mit seinem Kopf und<br />
einem Bein schon zwischen <strong>den</strong> Säulen<br />
von Walhalla taumelnd, unterschrieb<br />
Detlef euphorisch die Bedingungen. Er<br />
überwies freudig die geforderten 15 000<br />
Euro Eigenbeteiligung, bekam dafür 40<br />
gedruckte Freiexemplare mit dem heiligen<br />
Versprechen, die Auflage von<br />
2 500 Stück werde tatsächlich gedruckt,<br />
falls irgendwann mal irgendwo Nachfrage<br />
bestehen sollte. Außerdem verfasste<br />
der Verlag noch gewaltige Rezensionen<br />
mit Urteilen wie »fleischlich-lebendig<br />
und intellektuell erstechend«,<br />
»ein Tiefgang, der zwischen die Zeilen<br />
prescht« oder »neuer Abendstern am<br />
geistigen Nachthimmel«.<br />
Dann passierte lange Zeit nichts. Detlef<br />
verkaufte irgendwann zwei Exemplare<br />
auf einer Lesung im Gasthaus<br />
»Zum toten Hirschen« in Oberdüppeln,<br />
weil zufällig alte Freunde dort waren<br />
und irgendwie Mitleid mit ihm hatten.<br />
Auch sämtliche selbstfinanzierten Werbemaßnahmen<br />
wie Banner an Flugzeugen,<br />
das Plakatieren bäuerlicher Stalltüren<br />
mit seinem Konterfei sowie kreischende<br />
Lautsprecherwagen mit Bonbons<br />
schmeißen<strong>den</strong> Go-Go-Girls führten<br />
am Ende zu nichts bzw. ganz am<br />
Ende schließlich zur Insolvenz der väterlichen<br />
Schlachterei.<br />
Detlef lebt heute als Obdachloser in<br />
Berlin und wird manchmal am Bahnhof<br />
Zoo gesichtet, wo er mit verzweifelt<br />
angemalten Pappschildern auf sein<br />
Buch aufmerksam machen will, um<br />
wenigstens noch die 40 Freiexemplare<br />
zu verkaufen. Erfolgreich scheint er<br />
nicht zu sein, <strong>den</strong>n der Stapel wird nicht<br />
kleiner.<br />
Zarras
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Bananensplit und<br />
schwarze Bohnen<br />
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Warum schwere Literatur oftmals so schwer im Magen liegt<br />
Einer der faszinierendsten Fachbereiche der Literaturwissenschaft ist wahrscheinlich die<br />
»Gourmet-rezeptive Textanalyse« (GORE-TEX), bei der medizinische und gastronomische<br />
Forschungsmetho<strong>den</strong> herangezogen wer<strong>den</strong>, um Textform und -genese bekannter<br />
Dichter und Denker zu ergrün<strong>den</strong>. Sie gliedert sich in die Teilbereiche »Gastrointestinale<br />
Inhaltsanalyse«, »Abrechnungsbasierte Textgenese« und »Nährstoffbedingte Graphemforschung«,<br />
die allesamt in der Metadisziplin »Lebensmitteltranskribierende GORE-TEX«<br />
<strong>ihr</strong>e praktische Anwendung fin<strong>den</strong>.<br />
die ‘krautz<br />
Roman<br />
Taschenbuchh<br />
253 Seiten | 16,80 Euro<br />
SBN 978-3-942885-65-2<br />
Die 80er in der Kleinstadt. Punk, Hippies, Dro<br />
gen – Und viel mehr!<br />
Schambers versucht sich als Dichter. Dudek spielt in einer Band. Henny<br />
löst sich von <strong>den</strong> Nazi-Punks. Barbara verliert <strong>ihr</strong>e Freundin ans Heroin.<br />
Die Chaostage können kommen!<br />
Hennys Vater versucht <strong>den</strong> Punks Kultur nahezubringen. Schambers<br />
steigt darauf ein. Dudek läuft vor eine Straßenbahn.<br />
Das Unheil nimmt seinen Lauf.<br />
Fehlen nur noch die Schamanen!<br />
Yori Gagarim<br />
Let them talk<br />
What genitals have to say<br />
about gender –<br />
a graphic survey<br />
Comic book – in english<br />
Taschenbuch<br />
64 Seiten | 5,80 Euro<br />
ISBN 978-3-942885-68-3<br />
Wenn über Geschlecht gesprochen wird, wird oft auch über Genitalien<br />
gesprochen. Meist wird dabei außer Acht gelassen, dass es sich dabei<br />
größtenteils um Vermutungen, Vorannahmen<br />
und Zuschreibungen<br />
handelt.<br />
Es ist also mehr als an der Zeit, Genitalien selbst zu Wort kommen zu<br />
lassen! Die graphische Umfrage „Let them talk!“ (Lass sie re<strong>den</strong>!) ist<br />
eine Kollektion von Zitaten und Portraits von 46 einzigartigen<br />
Genitalien.<br />
Ein kurzweiliges und informatives Büchlein, das nicht nur in jede Tasche<br />
passt, sondern direkt unter die Wäsche geht!<br />
Bei der »Gastrointestinalen Inhaltsanalyse« liegt der<br />
Forschungsschwerpunkt auf der Wechselwirkung<br />
zwischen Input (Magen-, Darminhalt) und Output<br />
(literarischer Text). Prof. Dr. Moritz Puschel von<br />
der Freien Universität Niederwürzbach hat sich dabei<br />
auf die Dichter der Weimarer Klassik spezialisiert.<br />
Bei der Exhumierung von Goethes Kunstdarm<br />
im Jahr 2004 konnte sein Forscherteam nach mehr<br />
als 150 Jahren <strong>den</strong> Genuss von Schoko-Bananengelee<br />
nachweisen: »Wir hatten etwas in der Art erwartet.<br />
Bereits die Häufigkeit von Buchstaben im<br />
›Götz von Berlichingen‹ deuten auf gastrointestinale<br />
Verstopfungen hin. Das berühmte Götz-Zitat bestätigt<br />
diese Theorie, da es eine ungewöhnliche Methode<br />
beschreibt, wie Goethe die Darmperistaltik<br />
zu beschleunigen suchte. Da exzessiver Bananengenuss<br />
häufig mit Stuhlproblemen einhergeht, können<br />
wir darauf schließen, dass der Maestro für sein<br />
Leben gerne Chiquitas gegessen hat. In seiner Bananenhochphase<br />
verdichteten sich die Verstopfungen<br />
so weit, dass man bereits von Dichtung sprechen<br />
konnte. War der Darm mal wieder dicht, half<br />
Goethe mit dem Klistier nach, weswegen wir heute<br />
noch vom ›Sturm und Drang‹ sprechen, wenn der<br />
Herr Geheimrat mit Volldampf aufs stille Örtchen<br />
stürmte, um seinem Drang nachzugeben. ➤<br />
MARIAN KAMENSKY<br />
Marcos Denegro | afb<br />
Anarchistisches<br />
Wörterbuch<br />
Eine Orientierungshilfe durch <strong>den</strong><br />
Begriffsdschungel anarchisti-<br />
scher und emanzipatorischer<br />
Bewegungen<br />
aschenbuchh<br />
144 Seiten | 12,80 Euro<br />
SBN 97<br />
8-3-942885-47-8<br />
Anarchist*innen haben <strong>ihr</strong>e eigenen Theorien, P<br />
raktiken und Fachwörter,<br />
die außerhalb dieser Bewegung kaum verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />
Das Anarchistische Wörterbuch will hierbei Abhilfe schaffen, indem es<br />
für alle Interessierten diese Begriffe erklärt.<br />
Darüber hinaus soll das Wörterbuch – von <strong>den</strong> Begriffsdefinitionen<br />
ausgehend – auch eine Diskussion anregen.<br />
www.edition-assemblage.de<br />
LITERATUREULE 10/14 89
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Ein Wendepunkt in Goethes Schaffen war die Erfindung<br />
des ›Bananensplit‹ durch <strong>den</strong> Weimarer Eisdielenbetreiber<br />
Mario Zabaione im Mai 1801, der<br />
aus Kostengrün<strong>den</strong> * auf echtes Obst verzichtete und<br />
es durch naturi<strong>den</strong>tische Aromastoffe ersetzte. »Hier<br />
vollzieht Goethe eine stilistische Wende in seinem<br />
Schaffensprozess, was man besonders am zweiten<br />
Teil des ›West-Östlichen Diwan‹ erkennen kann, wo<br />
alles mit einer bis dahin nicht von ihm gekannten<br />
Leichtigkeit aus ihm herauszuquellen scheint.«<br />
Prof. Dr. Hartmut Tiefenstaub von der Rudi-<br />
Schuricke-Universität Schwäbisch Gmünd sammelt<br />
allerlei Quittungen, Kassenbons und Restaurantrechnungen<br />
– nicht für die Steuer, sondern für sein<br />
Fachgebiet der »Abrechnungsbasierten Textgenese«.<br />
Erstmals wurde diese Methode 2007 nach einem<br />
Sensationsfund in einem Klingelbeutel der Athanasius-Kapelle<br />
in Hattersheim angewandt. Die dort<br />
auf mysteriöse Weise wiederaufgetauchte »Quittung<br />
aus der Fischauktionshalle von Vopnafjördur« des<br />
isländischen Aphorismendichters Snorri Ewalðsson<br />
lieferte <strong>den</strong> Schlüssel zur Enträtselung seines<br />
»Schachproblems 153: ›Matt in einem Zug‹ in der<br />
Zeitschrift ›Schachmatt!‹, Heft 21, 1936« sowie eine<br />
handfeste Erklärung dafür, warum sich der nordische<br />
Wahlexistentialist am Vorabend des Zweiten<br />
Weltkriegs mit hartnäckiger Diarrhöe auseinandersetzen<br />
musste.<br />
In einem späteren Projekt gelang es, Tiefenstaub<br />
anhand des »Kassenbons aus dem Wienerwald«<br />
nachzuweisen, dass der »Mann mit dem Bulldoggkopf«<br />
in Ödön von Horváths Theaterstück »Kasimir<br />
und Karoline« in der Rohfassung noch als »gnä’<br />
Frau mit dem Brathändl-Körper« angelegt war. Und<br />
in Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim verfolgte<br />
er die Spur von Beethovens »Heiligenstädter Supermarktrechnung«<br />
rekursiv zu Schillers »Ode an die<br />
Freude« und entdeckte, dass sie an »Fünf Dosen<br />
Schwarze Bohnen in Chili-Sauce à 89 Kreuzer« gerichtet<br />
war, weswegen Beethoven seine »Neunte«<br />
ursprünglich in Arsch-Dur komponieren wollte.<br />
Prof. Dr. Dr. Dorothée Chapeau-Brûlée von<br />
der »Freien Forschungsgruppe NÄGRA-TEX« im<br />
Hochsauerwald ist diese Herangehensweise viel zu<br />
grobschlächtig. Die »Nährstoffbedingte Graphemforschung«<br />
ergründet auf molekularer Ebene <strong>den</strong><br />
Zusammenhang von feinsten Inhaltsstoffen und <strong>den</strong><br />
kleinsten Bausteinen der Schrift, <strong>den</strong> Graphemen.<br />
Speziell auf dem Gebiet der Konsonantenforschung<br />
konnte <strong>ihr</strong> Team bereits relativ genau bestimmen,<br />
welche Grapheme man welchen Lebensmitteln zuordnen<br />
kann. Stachelbeeren und Holunder fördern<br />
das »st«, Nüsse und Mandeln das stimmlose »s«, Appenzeller<br />
und Geflügelsalat das »ch«, Rollmöpse und<br />
Harzer Käse das rollende »r« sowie Kreuzkümmel<br />
und Anis <strong>den</strong> Gebrauch von Hieroglyphen. In der<br />
Vokalforschung ist man hingegen noch lange nicht<br />
so weit. So gibt es alleine in Deutschland ungefähr<br />
335 000 herkömmliche Lebensmittel und Inhaltsstoffe,<br />
die ein überraschtes »o«, und rund 200 000<br />
verschie<strong>den</strong>e Lebensmittelverunreinigungen, die<br />
ein angewidertes »i« verursachen können.<br />
»Nun mal Butter bei die Fische«, lautet der Wahlspruch<br />
von Projektleiter Dr. Ansgar Lüttginhaus<br />
von der Gerhard-Stoltenberg-Akademie in der Hasenheide.<br />
Seine Proban<strong>den</strong>, allesamt mäßig begeisterte<br />
Hobbydichter, unterzogen sich drei Jahre lang<br />
einer Doppel-Dicht-Studie. Die erste Kontrollgruppe<br />
wurde auf der Grundlage der Puschel-Ergebnisse<br />
mit typischen Lebensmitteln des ausgehen<strong>den</strong> 18.<br />
Jahrhunderts gefüttert, die zweite ernährte sich ausschließlich<br />
von Fast-Food. Sämtliche Teilnehmer verpflichteten<br />
sich, alle Quittungen <strong>ihr</strong>er Lebensmitteleinkäufe<br />
aufzubewahren, keine Vokale beim Glücks -<br />
rad zu kaufen und einmal wöchentlich an einer Koloskopie<br />
teilzunehmen. Nach Beendigung der Studie<br />
wur<strong>den</strong> <strong>ihr</strong>e neuesten Gedichte ausgewertet. Die<br />
Resultate waren verblüffend: Während die Proban<strong>den</strong><br />
der ersten Gruppe wie weltfremde Waldorfpädagogen<br />
auf »Erlkönig« klangen, litten die Teilnehmer<br />
der Gruppe zwei unter syntaktischer Verstopfung<br />
bei gleichzeitigem semantischen Dünnschiss.<br />
Auf Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse<br />
hat Lüttginhaus – warum auch immer – »Lebensmitteltranskribierende<br />
GORE-TEX« entwickelt und<br />
damit anschließend das Gedicht »Hei<strong>den</strong>röslein«<br />
von Johann Wolfgang von Goethe rekonstruiert, so<br />
wie er es geschrieben hätte, wenn er je<strong>den</strong> Tag bei<br />
McDonald’s gegessen hätte:<br />
Sah ein Knab’ ein Opfer steh'n,<br />
Opfer auf der Hei<strong>den</strong>,<br />
Hatte Nikes in hellgrün,<br />
Lief er schnell, sie abzuzieh’n,<br />
Nahm’s mit vielen Freu<strong>den</strong>.<br />
Opfer, Opfer, Opfer in Not,<br />
Opfer auf der Hei<strong>den</strong>,<br />
Knabe sprach: »Ich breche dich,<br />
Opfer, deine Wa<strong>den</strong>.«<br />
Opfer sprach: »Ich blech an dich,<br />
Dass du ewig <strong>den</strong>kst an mich,<br />
Und ich will nicht lei<strong>den</strong>.«<br />
Opfer, Opfer, Opfer in Not,<br />
Opfer auf der Hei<strong>den</strong>,<br />
Und der wilde Knabe brach<br />
Opfer seine Wa<strong>den</strong>.<br />
Opfer wehrt sich nicht und starb,<br />
Half ihm doch kein »Komm, zisch ab!«<br />
Musst’ es eben lei<strong>den</strong>.<br />
Opfer, Opfer, Opfer tot,<br />
Opfer auf der Hei<strong>den</strong>.<br />
Michael Kaiser<br />
*) Die Niederländische Ostindien-Kompanie wurde drei<br />
Jahre zuvor wegen finanzieller Schwierigkeiten liquidiert,<br />
so dass die Bananenpreise rasant in die Höhe schossen.<br />
BECK<br />
90 LITERATUREULE 10/14
Das Hamsterrad<br />
des Lektors<br />
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»Einmächtig stehen die Fans hinter <strong>ihr</strong>er<br />
Mannschaft.« Herr Fränkel stutzte,<br />
umkringelte das Wort »einmächtig«<br />
und blätterte weiter in dem Manuskript.<br />
»Von <strong>den</strong> begeistert mitgehen<strong>den</strong><br />
Zuschauern angepeitscht, spielt<br />
die Elf wie in einem Guss.« Herr Fränkel<br />
hielt inne, machte ein Fragezeichen<br />
an <strong>den</strong> Rand, überflog die nächsten<br />
Sätze und stoppte: »Zweite Halbzeit!<br />
Das Spiel wiegt hin und her.« Herr<br />
Fränkel zog die Stirn kraus, ließ aber<br />
<strong>den</strong> Korrekturstift wieder sinken. Er<br />
schlug um und las: »Abpfiff! Der Assistenztrainer<br />
von der Heimmannschaft<br />
wirft seine Arme in die Luft.<br />
Auch die Zuschauer, sie sind rund um<br />
zufrie<strong>den</strong>. Es war ein Spiel nach <strong>ihr</strong>em<br />
Geschmack zwischen Höhen und<br />
Tiefen.« Herr Fränkel wog <strong>den</strong> Kopf<br />
hin und her und blickte rund um unzufrie<strong>den</strong><br />
auf das Ende von dem Absatz.<br />
»Nun stürzt sich die Mannschaft<br />
ins verdiente Bad der Menge.«<br />
Herr Fränkel legte das Manuskript<br />
mit Kopfschütteln bei Seite und<br />
säufzte. Seit sieben Jahren war er Lektor<br />
im Verlag Heiermann, und nur die<br />
Routine rettete ihn vom einen Tag auf<br />
dem andern.<br />
Kollege Zarges trat ein. »Auch ’nen<br />
Bier?«, fragte er mit breitem Grinsen.<br />
Die Verlagsleitung hatte <strong>den</strong> Saufen<br />
während der Arbeitszeit zwar <strong>den</strong><br />
Kamf angesagt. Nichtsdestotrotz war<br />
Alkohol im Verlag nicht tot zu bekommen.<br />
»Danke, nein«, lehnte Herr Fränkel<br />
ab, zumal da es noch nicht Mittagstisch<br />
war. »Aber sag mal«, wies Herr<br />
Fränkel auf <strong>den</strong> frisch gebackenen Stapel<br />
Manuskripte auf seinem Schreib-<br />
Tisch, »von wem habe ich das eigentlich<br />
zu verdanken?«<br />
Kollege Zarges konnte sich ein<br />
Schmun zeln nicht erwehren. »Es ist<br />
weniger wichtig, von wem dass es<br />
kommt, sondern was es ist«, griente er.<br />
»Am wichtigstem ist immer noch<br />
die Qualität!«, gab Herr Fränkel eine<br />
kontroverse Antwort. »Ich greife also<br />
aufs Geradewohl hinein und ...« Er<br />
schnaufte sichtbar.<br />
Kollegin Schmidtke erschien in der<br />
geöffneten Tür. »Nächster Donnerstag<br />
ist Betriebsausflug!«, trällerte sie, und<br />
Herr Fränkel schauerte in Anbetracht<br />
der ganztätigen Schau, die die<br />
Schmidt ke wieder abziehen würde.<br />
»Unsere Kaffeekasse ist randsvoll.<br />
Die wollen wir wieder auf <strong>den</strong> Kopf<br />
klopfen!«, nudelte die Schmidtke fröhlich<br />
weiter.<br />
Herr Fränkel antwortete keinen Ton.<br />
Er hasste Betriebsfeiern und wurde darum<br />
im Verlag als Außenseiter verschrien.<br />
Aber das fochte ihn nicht an.<br />
»Na, unser Grieskram hat wohl wieder<br />
schlechte Laune«, zuckte die<br />
Schmidtke mit der Achsel und verzog<br />
sich. Nachdem sich Kollege Zarges<br />
eben so abgetrollt hatte, versuchte sich<br />
Herr Fränkel wieder seiner Arbeit zuzuwidmen,<br />
aber seine Gedanken drifteteten<br />
ab.<br />
Es war im Wortsinne ein Kreuz! Autoren,<br />
die zu viele Wörter machen... Manuskripte,<br />
die bereits eine Odysse<br />
durch die deutschsprachlichen Verlage<br />
hinter sich hatten, bevor sie auf seinem<br />
Schreibtisch kamen... Kein Wunder,<br />
das er manchmal wie parallelisiert<br />
war. Und mit hassverzehrtem Gesicht<br />
die morgenliche Post musterte!<br />
Herr Fränkel konnte sich noch gut<br />
auf seine Jugend erinnern. Er hatte<br />
ein humanitäres Gymnasium besucht<br />
und wollte Schriftsteller. Der Wunsch<br />
seines Herren Vaters war es zwar gewesen,<br />
Maschienenschlosser zu wer<strong>den</strong><br />
wie auch er. Und meinte, dass er<br />
Flausen nachjage. Aber der junge Fränkel<br />
wollte solch Unkenrufen Lügen<br />
bestrafen.<br />
»Noch Käffchen?«<br />
Lektoratsassistentin Maiwald wink te<br />
ihm mit <strong>ihr</strong> <strong>ihr</strong>er Kanne. Herr Fränkel<br />
nickte und hielt <strong>ihr</strong> die Tasse hinüber.<br />
Rührig, wie sie sich um ihn bemühte!<br />
»Danke, bist ein Schatz«, sagte er,<br />
und vergaß ganz darauf, <strong>ihr</strong> eine<br />
Mütze zu geben. Stattdessen versank<br />
er wieder in seinen Gedanken. Er hatte<br />
die Freiheit und Umgebun<strong>den</strong>heit von<br />
seinem Germanistikstudium in vollen<br />
Zügen genossen. Den Bogen, dass er<br />
das Zeug zum Schriftsteller doch nicht<br />
hatte, hatte er doch bald raus. Aber<br />
wenigstens Lektor. Er machte ein Praktikum<br />
bei einem Belletristikverlag ab,<br />
der literarische Kleinods pulbizierte,<br />
und bekam dann als Freier die Aufträge<br />
zugeschanzt. Er hatte Texte zu<br />
bearbeiten, die eine beträchtliche textliche<br />
Dichte hatten! Nur Geld verdienen<br />
konnte er da nicht mit verdienen.<br />
So musste er schließlich zu dem Verlag<br />
Heiermann, der egal machte, was<br />
das Geld klingeln ließ.<br />
Herr Fränkel langte zu einem anderem<br />
Stapel, <strong>den</strong> politischen. Er ergriff<br />
Abb., 182 Seiten, 2014<br />
ISBN 978-3-428-14119-7, € 29,90<br />
Auch als E-Book erhältlich<br />
Ayad Al-Ani beschreibt die Entstehung des westlichen<br />
Bildes über die Araber zu einer Zeit, als diese<br />
Teil der hellenistisch-römischen Welt waren, beginnend<br />
mit <strong>den</strong> Eroberungen Alexanders des Großen bis zum<br />
Sieg der Araber über Rom 636. Al-Ani zeichnet nach,<br />
wie stark und mannigfaltig die Araber in der hellenistisch-römischen<br />
Welt vertreten waren und wie sie gleichermaßen<br />
konsequent in der westlichen Darstellung<br />
als Außenseiter <strong>ihr</strong>er eigenen Geschichte dekonstruiert<br />
wur<strong>den</strong>. Dies ist bemerkenswert, weil gerade die hohe<br />
Anzahl arabischer Senatoren, arabischer und halbarabischer<br />
Cäsaren (Elagabal, Alexander Severus, Caracalla,<br />
Philippus Arabs) durchaus einen beachtlichen Einfluss<br />
auf die römische Lebensart, Religion und Politik hatten.<br />
Diese westliche Negativschablone wurde auch nicht dadurch<br />
gemildert, dass eine große Zahl der Araber der<br />
römischen Provinzen ab dem vierten Jahrhundert Christen<br />
waren. Im Gegenteil: Durch <strong>den</strong> späteren Verlust des<br />
christlichen Kernlandes im Zuge der arabischen Eroberung<br />
des römischen Ostens, dem Oriens, entstand ein<br />
Trauma, welches Eingang in <strong>den</strong> aktuellen »Kampf der<br />
Kulturen« findet.<br />
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die zuoberst liegende Fahnen: Die Memoiren<br />
von dem Politiker, der sich <strong>den</strong><br />
Mund nicht verbiegen ließ und mit<br />
seiner Partei abtat, die eine zusammengeschworene<br />
Gemeinschaft gewesen<br />
war und heute nur Karrieristen<br />
enthält und dann promt wegen parteischädigendem<br />
Verhaltens ausgeschlossen<br />
wurde. Weil er <strong>den</strong> Parteivorsitzen<strong>den</strong><br />
verhunzen würde.<br />
»Ein Scheiß Dreck!«, schob es durch<br />
Herrn Fränkels Hirn und wandte sich<br />
einem anderen Haufen zu. Er nahm<br />
das Manuskript zu einem Öko-Ratgeber<br />
zu Hand. »Als Mitte November die<br />
NGO-Delegationen aus aller Herren<br />
Ländern im Congress-Centrum anreisten,<br />
erstrahlten erstmals die 1000-<br />
Watt-Ökolampen <strong>den</strong> gesamten Saal.«<br />
»Ah, steckt euch eure ganze Scheiße<br />
doch in Arsch!«, machte Herr Fränkel<br />
sich unwillkührlich Luft und lehnte<br />
sich rückwärts.<br />
»Na, mal wieder die üblichen selbst<br />
Zweifel?« Kollege Zarges trat durch<br />
die Tür und schwingte sich mit dem<br />
Arsch nach vorn auf Herrn Fränkels<br />
Schreibtisch. »Prost! Biste wieder an<br />
deiner Rolle zwischen Autor und Publikum<br />
müde gewor<strong>den</strong>? Weil, wir<br />
Lektoren sind ja so viel schlauer! Und<br />
durchschauen das ganze Hamsterrad.«<br />
»Stimmt haarscharf«, gestand Herr<br />
Fränkel. Herr Zarges seine Bier-Fahne<br />
stank in seine Nase. »Und auf kurz<br />
über lang wird es schief gehen.«<br />
»Schon weil uns die Leser fehlen<br />
wollen«, schlug Kollege Zarges eine<br />
neue Perspektive an. »Die Veralterung<br />
92 LITERATUREULE 10/14<br />
und das Internet schlägt voll zu!« Er<br />
nahm einen tiefen Schluck. »Nicht<br />
doch ’nen Bier?«<br />
»Ich hab auch schon von Sparzwang<br />
mauscheln hören«, mokierte Herr<br />
Fränkel. »Und <strong>den</strong> Schwarzen Peter<br />
liefert die Finanzkriese. Obwohl die<br />
Zahlen längst wieder brummen!«<br />
»Brumm! Brumm!« Kollegin<br />
Schmidt ke bog zur Tür hinein. »Der<br />
Betriebsausflug steht unter Dach und<br />
Fach! Auch die technische Abteilung<br />
steuert sein Scherflein bei!«<br />
»Das wird bestimmt wieder ein unvergessenes<br />
Erlebnis!«, ironisierte<br />
Herr Fränkel und äffte: »Brumm!<br />
Brumm! Und jetz alle Mann raus aus<br />
mein Büro! Ich habe zu arbeit!«<br />
Kollege Zarges und die Schmidtke<br />
blickten sich einmächtig an, wiegten<br />
<strong>ihr</strong>e Köpfe und zogten Leine. Herr<br />
Fränkel wendete sich wieder dem Fußball-Manuskript<br />
hin. »Der Träiner war<br />
mit dem Gedanken schon beim letztem<br />
Spieltag.« Herr Fränkel stutzte,<br />
umkringelte <strong>den</strong> »Träiner« und blätterte<br />
weiter. »Zwischem Ersten und<br />
Zweiten lag jetzt nur noch zwei<br />
Punkte.« Herr Fränkel hielt inne,<br />
machte ein Fragezeichen an <strong>den</strong> Rand,<br />
überflog die nächsten Sätze quer und<br />
stoppte: »Der Präsi<strong>den</strong>t, der sich zu<br />
dem Erfolg des Vereins besonders verdient<br />
gemacht hatte, dachte bereits die<br />
nächste Saison.« Herr Fränkel zog die<br />
Stirn kraus, ließ aber <strong>den</strong> Korreckturstift<br />
wieder sinken und holte sich jetz<br />
doch ’nen Bier.<br />
Peter Köhler
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»Ich möchte im Schlaf<br />
sterben wie mein Vater<br />
und nicht schreiend wie<br />
seine Passagiere.«<br />
oder: Haptisch<br />
Haptisch nicht so<br />
»Sie wird veröffentlicht, und nur darum<br />
geht es.« (David Schuh) Sehr wahr,<br />
wenn es auch »verkauft« statt »veröffentlicht«<br />
heißen müsste und diese<br />
Wahrheit in einem anderen Zusammenhang<br />
als dem hier in Rede stehen<strong>den</strong><br />
geäußert wurde. Aber die meisten<br />
Wahrheiten wer<strong>den</strong> in einem ganz anderen<br />
Zusammenhang geäußert. »Solidarität<br />
ist keine Einbahnstraße« zum<br />
Beispiel bezog sich nie auf die Hochwasseropfer<br />
in Deutschland, <strong>den</strong>en die<br />
Häuser davongeschwommen waren,<br />
sondern auf besonders arme Menschen<br />
in der dritten Welt, die nicht einmal Felle<br />
haben, die ihnen davonschwimmen<br />
könnten. Nur bei ihnen will man für je<strong>den</strong><br />
Euro Hilfe drei bis vier Euro Ertrag<br />
erwirtschaften.<br />
Aber es geht hier um etwas anderes,<br />
es geht um die Literatur. Eigentlich sogar<br />
um die anspruchsvolle Literatur.<br />
Was heißt »anspruchsvoll«? Manche halten<br />
Re<strong>den</strong> der Kanzlerin für anspruchsvoll.<br />
Sogar sie selbst soll manchmal<br />
noch lange grübeln über das, was sie<br />
gesagt hat und was sie eigentlich sagen<br />
sollte. Ja, sollte, <strong>den</strong>n auch bei der Kanzlerin<br />
entscheidet das »Wir«, nur nicht<br />
das der SPD, sondern das von Menschengruppen,<br />
die sich abheben von anderen<br />
durch <strong>ihr</strong>en Platz im System der<br />
ge sellschaftlichen Produktion und<br />
durch die Größe und die Art der Erlangung<br />
<strong>ihr</strong>es Anteils am gesellschaftlichen<br />
Reichtum (nach Lenin).<br />
WERNER ROLLOW<br />
Jeder, der sich zur Zukunft der Literatur<br />
äußern will, muss berücksichtigen,<br />
dass Bücher längst ein Produkt gewor<strong>den</strong><br />
sind wie fast alle anderen. Abhängige<br />
und selbständige Produzenten<br />
stellen sie in unterschiedlicher Qualität<br />
her, auf unterschiedlichen Trägern, für<br />
differente Märkte. Was sich verkauft ist<br />
gut, der Rest muss sehen, wie er durchkommt.<br />
Nur die Konkurrenz aus China<br />
ist noch nicht übermächtig, die Billiganbieter<br />
kommen vorläufig woanders her.<br />
Alles hängt vom Leser ab, halt, nein,<br />
vom Käufer. Ob er Leser ist, spielt keine<br />
Rolle. Lesen ohne Kaufen ist vielleicht<br />
für <strong>den</strong> Bekanntheitsgrad gut, für die<br />
Existenz zählt nur das Kaufen. Lesungen<br />
sind die Kaffeefahrten des Literaturbetriebs,<br />
nur ohne Erpressung. Also<br />
fragen Sie nicht nach der Zukunft der<br />
Literatur, sondern nach der des Käufers!<br />
Ob der lieber ein Buch aus Papier (haptischer<br />
Reiz) oder ein elektronisch getragenes<br />
(Speicherkapazität, Verfügbarkeit,<br />
Mobilität, technisch gestützte Nutzung,<br />
z.B. Lesezeichen, Notizen usw.)<br />
kauft, entscheidet er souverän.<br />
Solange es <strong>den</strong> Käufer gibt, solange<br />
er Bücher auf dem Markt erwirbt, hat<br />
die Literatur irgendeine Zukunft.<br />
Wir brauchen also nicht nur eine<br />
marktkonforme Demokratie, sondern<br />
ebenso eine marktkonforme Literatur.<br />
»Sie wird verkauft, und nur darum<br />
geht es.« (Ove Lieh feat. David Schuh)<br />
Ove Lieh<br />
Wie das Leben nach dem Tod so weitergeht,<br />
mag im Verborgenen bleiben, aber immerhin<br />
hat Kathy Benjamin für uns die schrägsten<br />
und komischsten Rituale rund ums Sterben<br />
ausgegraben. Die über 100<br />
unglaublichen Geschichten<br />
sind nicht nur todernst und zum<br />
Totlachen, sondern auch voller<br />
faszinierender Fakten und<br />
Informationen.<br />
Aus dem Amerik. von Dieter Fuchs, 206 Seiten, Flexcover, mit Ill. von Mario Zucca, € 16,95 (D)<br />
LITERATUREULE 10/14 93
Beim Arzt<br />
Es stimmt nicht, dass Männer nie zum<br />
Arzt gehen. Ich zum Beispiel gehe sehr<br />
gerne zum Arzt, <strong>den</strong>n dort sind die Zeitschriften<br />
viel interessanter als beim Friseur.<br />
Wenn die nicht so langweilig wären,<br />
hätte ich übrigens auch längst eine Frisur.<br />
Der niedergelassene Facharzt dagegen<br />
prunkt mit einem Schrift gewor<strong>den</strong>en Bekenntnis<br />
zum Besserverdienertum, wie es<br />
einem selten unterkommt, seit die FDP<br />
aus dem Bundestag geflogen ist. Alles,<br />
was ich über Golfen, Oldtimer und Yachten<br />
weiß, habe ich je<strong>den</strong>falls der Präsenzbibliothek<br />
meines Orthopä<strong>den</strong> zu verdanken,<br />
<strong>den</strong> ich persönlich aber nie zu Gesicht<br />
bekommen habe, weil ich nicht privat<br />
versichert bin. Nur ein einziges Mal<br />
meinte ich, eine weiß gekleidete Gestalt<br />
gesehen zu haben, die von einem eigenartigen<br />
Licht umgeben durch <strong>den</strong> Flur<br />
schwebte oder auf einem vergoldeten<br />
Streitwagen stand, der von sechs prächtigen<br />
Sprechstun<strong>den</strong>hilfen gezogen wurde.<br />
So genau weiß ich das nicht mehr, <strong>den</strong>n<br />
ich hatte mir gerade einen Bänderriß sowie<br />
eine heftige Selbstmedikation zugezogen<br />
und halluzinierte schon ein wenig<br />
vor mich hin. Augenzeugen beschrieben<br />
<strong>den</strong> Doktor je<strong>den</strong>falls später als mächtigen<br />
Medizinmann mit einem Handicap<br />
von null, der sämtliche Beschwer<strong>den</strong><br />
durch bloßes Handaufhalten heilen<br />
konnte. Ich selbst bin nie weiter als bis in<br />
sein marmorverkleidetes Wartezimmer<br />
vorgedrungen, eine schnieke Wandelhalle<br />
klassizistischen Stils, in der nie Patienten<br />
saßen, sondern bloß eine Handvoll Pharmavertreter,<br />
die eigentlich Gold, We<strong>ihr</strong>auch<br />
und Myrrhe hatten vorbeibringen<br />
sollen, vor Langeweile aber von <strong>den</strong> eigenen<br />
Produktsamples genascht und sich<br />
nun in jenen Zustand empfindungsloser<br />
Dumpfheit katapultiert hatten.<br />
Mein Hausarzt dagegen behandelte<br />
auch Kassenpatienten wie mich, und deswegen<br />
ist sein Wartezimmer überfüllt wie<br />
das Unterdeck eines Auswandererschiffs,<br />
besonders imNovember, wenn die Grippewelle<br />
<strong>ihr</strong>en Scheitelpunkt erreicht. Deswegen<br />
gehe ich normalerweise ausschließlich<br />
dienstagsmorgens zum Arzt,<br />
<strong>den</strong>n da ist Junkiesprechstunde, und<br />
nichts hält ein Wartezimmer derart frei<br />
von unterbeschäftigten Hypochondern<br />
wie eine zünftige Methadonausgabe<br />
nebst einschlägiger Kundschaft. Außerdem<br />
klauen die Junkies keine Zeitschriften.<br />
Leider ist heute Donnerstag. Der Raum<br />
platzt aus allen Nähten, und zu lesen gibt<br />
es bloß noch Focus Money, das faule Kuckucksei<br />
unter <strong>den</strong> Magazinen. Gerade<br />
kippt die Sprechstun<strong>den</strong>hilfe eine neue<br />
Fuhre Jammergestalten ab, die sich röchelnd<br />
und schniefend in einer Zombieversion<br />
der Reise nach Jerusalem zu <strong>den</strong><br />
wenigen freien Sitzgelegenheiten schleppen.<br />
Erfahrene Patienten checken ja prophylaktisch<br />
schon im Spätsommer ein,<br />
um pünktlich zum Beginn der Erkältungssaison<br />
zum Doktor vorgelassen zu<br />
wer<strong>den</strong>. Krank wird man eh, vor allem<br />
wenn man lange genug mit anderen Vergrippten<br />
in einem Zimmer herumhockt.<br />
In einer Ecke entbindet eine Frau <strong>ihr</strong> Kind,<br />
und die Warten<strong>den</strong> jubeln dem neuen Er<strong>den</strong>bürger<br />
zu, weil ein Termin frei gewor<strong>den</strong><br />
ist: Das Ultraschallbild brauchen sie<br />
jetzt nicht mehr, dass es ein Junge ist, sieht<br />
man auch so. Ein paar Minuten später tut<br />
ein übergewichtiger Mann mit Herzproblemen<br />
seinen letzten Schnaufer, und<br />
auch jetzt brandet Jubel auf, wenn auch<br />
etwas verhaltener.<br />
»Hallo, ich bin Husten, Schnupfen, Heiserkeit«,<br />
stelle ich mich meinem Sitznachbarn<br />
zur Rechten vor.<br />
»Angenehm, nässendes Ekzem«, erwidert<br />
der und will mir die Hand geben.<br />
»Ich bin mit einer Neurodermitis,<br />
Rheuma, einem offenen Bein und einem<br />
Ischias hier«, klärt mich mein Nachbar<br />
zur Linken auf.<br />
»Allerhand«, sage ich anerkennend,<br />
aber es stellt sich heraus, dass ihm selbst<br />
nur der Ischias gehört. Den Rest sitzt er<br />
als Platzhalter für zahlende Kun<strong>den</strong> ab.<br />
Die Wohlhabenderen lassen <strong>ihr</strong>e Wartezeit<br />
nämlich gern von Rentnern absitzen,<br />
die sich so ein kleines Zubrot verdienen<br />
können. Das erklärt übrigens auch die<br />
hohen Rentnerpopulationen in <strong>den</strong> Wartezimmern<br />
und <strong>den</strong> Umstand, dass diese<br />
Grauköpfe quatschen können wie ein medizinisches<br />
Wörterbuch.<br />
»Wer war die Analfistel?«, ruft die<br />
Sprechstun<strong>den</strong>hilfe ins Wartezimmer,<br />
und gleich mehrere Herrschaften rutschen<br />
nervös, wenn auch sehr vorsichtig<br />
auf <strong>ihr</strong>en Sitzen herum. Der Rest der<br />
Bande schielt neugierig über die Zeitschriftenränder.<br />
Öffentlich bekennen<br />
mag sich niemand, doch als ich mich<br />
schließlich erbarme und der Sprechstun<strong>den</strong>hilfe<br />
ins Behandlungszimmer folge,<br />
werfen mir die echten Fisteln beleidigte<br />
Blicke nach.<br />
»Guten Tach, Herr Doktor«, begrüße<br />
ich <strong>den</strong> Arzt. »Na, heute schon ein paar<br />
Engelchen gemacht?«<br />
Ich lockere die Atmosphäre gern mit<br />
einem kleinen Scherz auf, bevor das Behandlungsgespräch<br />
mit immer <strong>den</strong>selben<br />
ö<strong>den</strong> Fragen eröffnet wird: »Rauchen<br />
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Selbstschutz – das Dilemma der<br />
Ein west-östliches w<br />
Trainingsbuch für<br />
modernen Zeit<br />
Kampfkünstler und Sportler<br />
Eine Biene sticht nur, , wenn sie sich droht fühlt. Für <strong>ihr</strong>e Verteidigung ist<br />
be-<br />
sie bereit eit zu sterben. Auf <strong>den</strong> M<br />
Menschen<br />
übertragen heißt das,<br />
wir<br />
sind friedlich,<br />
solange wir nicht bedroht wer<strong>den</strong>. Aber<br />
falls man uns angreift, nutzen wir jedes<br />
zur<br />
Verfügung stehende Mittel zu Schutz, wenn es sein muss, unter E<br />
Ein-<br />
satz des eigenen Lebens.<br />
unse-<br />
rem<br />
Um sich selbst zu schützen, benötigt man<br />
eigentlich keine gezielte Ausbildung. Jeder<br />
Mensch hat das Rüstzeug für die Vertei-<br />
digung und <strong>den</strong> Angriff von der Natur<br />
mitbekommen. Aber aufgrund und der vor-v<br />
wiegend sitzen<strong>den</strong> Lebensweise und der<br />
vielen Bequemlichkeiten im Alltag hat<br />
sich der moderne Mensch vom »Normal-<br />
fall« weit entfernt. In diversen Selbstver-<br />
teidigungskursen<br />
wird d suggeriert, dass je-<br />
der, wenn w<br />
er nur ein paar einfache Tricks<br />
lernt, sich wirksam verteidigen könne. Das ist leider ein Wunschtraum.<br />
Um tatsächlich eine<br />
Chance zu haben, in einer echten Schlägerei ei bestehen zu können, müssen Sie ausdauernd<br />
und auf effektive<br />
e Weise trainieren. en.<br />
In diesem Buch geht es darum,<br />
<strong>den</strong> Leser darauf vorzubereiten, Gefahrensituationen zu<br />
erkennen und ihm Möglichkeiten zu vermitteln, angemessen zu reagieren. Können Sie der<br />
Gefahr nicht ausweichen,<br />
dann sollten Sie darauf vorbereitet sein, der Gewalt des Schlägers<br />
überlegene Gewalt entgegenzusetzen. Die vorgestellten<br />
Techniken und Übungen Ü sind auf<br />
effektiven<br />
Selbstschutz ausgerichtet<br />
und dienen dazu, Körper und Geist<br />
so zu trainieren,<br />
dass Sie einem Angriff erfolgreich eich begegnen können.<br />
Dieses Buch stellt einige der effektivsten<br />
Trainingsmetho<strong>den</strong> aus<br />
West und Ost O<br />
vor. Der Leser lernt Übungen kennen, die<br />
eine flexible dynamische Kraft aufbauen.<br />
Übungen mit und ohne Hilfsmittel wer<strong>den</strong><br />
in Text und Bild B<br />
vorgestellt, grund-<br />
sätzlich jedoch ausschließlich Übungen,<br />
die man ohne die technischen Geräte und<br />
Maschinen der Fitnessstudios praktizieren<br />
kann.<br />
Die in dem Buch dargestellten Trainingsmetho<strong>den</strong> sind für alle Kampfkünste K<br />
und Sport-<br />
arten sinnvoll. Der D<br />
Kampfkünstler, egal welchen Stils, wird d sich in seiner Kunst und seiner<br />
Kampfkraft erheblich verbessern. v Der Leistungssportler tler kann seine Leistungsfähigkeit stei-<br />
gern, und der Freizeitsportler bleibt fit und gesund.<br />
Es geht in diesem Werk um erprobte Trai-<br />
ningsformen,<br />
die <strong>den</strong><br />
Körper<br />
so schmie-<br />
<strong>den</strong>, dass er die Fähigkeit F<br />
gewinnt, sich<br />
im Kampf oder im Wettkampf effektiv zu<br />
bewegen. egen. Vor allem geht es um Metho-M<br />
<strong>den</strong>, die neben <strong>ihr</strong>em Trainingseffekt<br />
<strong>den</strong><br />
Körper auch auf Dauer gesund erhalten.<br />
Derartige ganzheitliche Trainingsmetho-<br />
<strong>den</strong> erfordern Disziplin, Lei<strong>den</strong>schaft<br />
und ein umfangreiches Wissen<br />
um unser<br />
wertvollstes Gut G<br />
– <strong>den</strong> Körper. Aus diesem Grund wird im Buch auch ausführlich auf die<br />
physiologischen Grundlagen des Trainings eingegangen, so z. B. auf die Rolle R<br />
der Faszien –<br />
des <strong>den</strong> ganzen Körper durchziehen<strong>den</strong> Bindegewebes.<br />
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Maik Albrecht<br />
lebte 13 Jahre lang in China und trainierte te bei einem der letzten Großmeister der tra-<br />
ditionellen chinesischen Kampfkünste (Wushu), Li Zhenghua. Er r bildete als einer der ersten A<br />
Ausländer<br />
in China sogar Chinesen aus, unter anderem em Mitglieder chinesischer SWAT-Einheiten. 2008 drehte<br />
das ARD eine Dokumentation über Maik Albrecht. 2009 drehte das chinesische Staatsfernsehen eine<br />
mehrteilige Sendung über sein Leben mit der Kampfkunst.<br />
Frank Rudolph<br />
studierte te Journalistik und praktiziert verschie<strong>den</strong>e Kampfkünste.<br />
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LESE<br />
Sie immer noch? Wie ist es mit Sport?<br />
Treiben Sie mittlerweile wenigstens regelmäßig<br />
Sport? Und zugenommen haben<br />
Sie auch schon wieder, wenn ich das<br />
richtig sehe.«<br />
»Das mag ja alles stimmen, Herr Bartel«,<br />
antwortet mein Arzt. »Aber eigentlich<br />
wollten wir doch heute mal zur Abwechslung<br />
über Sie re<strong>den</strong>.«<br />
Man muss gleich zu Beginn in die Offensive<br />
gehen, <strong>den</strong> Spieß umdrehen und<br />
<strong>den</strong> Ärzten zeigen, wo der Chabo <strong>den</strong><br />
Babo hat, sonst mäkeln sie ununterbrochen<br />
an einem herum.<br />
»Na ja, ist ja Ihre Gesundheit, die Sie<br />
da ruinieren«, sage ich tadelnd.<br />
»Ich hatte halt viel Stress«, verteidigt<br />
sich mein Arzt. »Und die Patienten wer<strong>den</strong><br />
auch immer dreister. Stört es Sie übrigens,<br />
wenn ich mir eine anzünde?«<br />
»I wo«, lenke ich ein und stecke mir<br />
ebenfalls eine an. Nun endlich ist ein Dialog<br />
auf Augenhöhe möglich. Wir kommen<br />
überein, dass ich gesundheitlich insgesamt<br />
in einem hervorragen<strong>den</strong> Zustand<br />
bin, je<strong>den</strong>falls für einen Patienten<br />
Mitte sechzig, der beruflich viel mit Asbest<br />
zu tun hatte. Allerdings fin<strong>den</strong> wir<br />
heraus, dass ich am Helmut-Schmidt-Syndrom<br />
leide und sofort sterben müsste,<br />
ZEICHEN<br />
2014_08_HoffmannVerlag_4c.pdf 1 02.07.14 13:19 Berlin, 192 S.,<br />
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wenn ich mit dem Rauchen aufhörte, ansonsten<br />
sei ich quasi unsterblich. Der Husten<br />
dagegen ist psychosomatisch, behauptet<br />
mein Arzt, der dasselbe Rasseln in<br />
<strong>den</strong> Bronchien hat. Er holt ein Schächtelchen<br />
aus dem Medikamentenschrank<br />
und reicht es mir.<br />
»Das ist ja leer«, sage ich, aber mein<br />
Arzt winkt ab. Vor dem Rauchen soll ich<br />
es einfach über meine Zigarettenpackung<br />
streifen, dann wür<strong>den</strong> mich die Warnhinweise<br />
nicht mehr so irritieren. Es funktioniert.<br />
Unglaublich, zu welchen Wundertaten<br />
die moderne Medizin fähig ist.<br />
Bevor ich gehe, bittet mich der Arzt<br />
noch um eine kleine Gefälligkeit.<br />
»Ich kann wieder gehen!«, rufe ich wie<br />
verabredet zum Abschied ins Wartezimmer<br />
und werfe demonstrativ die Krücken<br />
fort, die er mir mitgegeben hatte.<br />
Christian Bartel<br />
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Bokowski (Hrsg.): Die<br />
Letzten wer<strong>den</strong> die<br />
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spirituelle Führung <strong>ihr</strong>es<br />
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der vier Freundinnen verläuft<br />
in sanften, ganzheitlichen<br />
Bahnen. Doch dann gerät diese<br />
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nach und nach aus <strong>den</strong> Fugen.<br />
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Rolf Cantzen hat einen großen<br />
spirituellen Meister getroffen,<br />
der ihm alle Antworten auf<br />
die wirklich wichtigen Fragen<br />
des Lebens diktiert hat:<br />
Wie <strong>den</strong>ke ich die Wirklichkeit<br />
richtig? Wie entfalte ich<br />
die Kraft des positiven Egoismus? Wie erlebe ich die<br />
schönsten Wunder?<br />
Die hier achtsam aufgezeichneten Antworten des Meisters<br />
bringen alle, die sich auf <strong>den</strong> Pfad der Erleuchtung<br />
begeben, <strong>den</strong> entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Schritt voran.<br />
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einer überschaubaren Anzahl von Werkzeugen seiner Ehegattin<br />
bei der Geburt tatkräftig zur Hand gehen kann.<br />
Zur mentalen Einstellung auf dieses letzte Kapitel der Heimwerkerreihe<br />
empfehlen wir vorher dringend die Lektüre der Handbücher<br />
»Verlegen von Laminatbö<strong>den</strong> mit dem Zugeisen« und »Fliesenverlegen<br />
und Fugenarbeit«. Zum besseren Verständnis wurde das Buch vor<br />
Veröffentlichung ins Japanische und Englische übersetzt, um durch<br />
die Rückübersetzung ins Deutsche die gewohnte Qualität einer Bedienungsanleitung<br />
zu erreichen, wie man sie auch vom Erwerb eines Videorecorders<br />
oder Geschirrspülers kennt.<br />
96 LITERATUREULE 10/14<br />
Geburtsplanung: Vor erxstes Inbetriebnamen<br />
ist richtiges Standortwahl<br />
und genauen Terminplanung erforderlig.<br />
Die Zeugung (input) sein so zu legen,<br />
dass Entbindung nix auf Fußballspiel,<br />
Autowashtag oder Stammtish<br />
fallen tut.<br />
Wartezeit: Nach Input ixt längere<br />
Warten nötg. Wenigen Wochn vor Geburt<br />
sein Koffer für Krankenhouse su<br />
packen. Wichtiges Tip für Auswahl<br />
Werkzeug: Bezeichnung Kreisssaal<br />
fiert irre, Kreissägen kann xuhause<br />
bleib. Mitzunehm sind vielen Zigarrettenvorratn,<br />
tragbar TV mit Schüssel<br />
und Paaren sixerpacks Bier, weil<br />
Biereholen wird in Krankenhouse als<br />
störendy empfind. Nix vergessen eine<br />
Zahnbürsten für Frau, wenn grad bei<br />
Hand.<br />
Geburtseinleitung: Bei Überschreiten<br />
Termin Frau in Klinick transportirt,<br />
dort Geburt einleiten zu lass. Eigenes<br />
Einleitn auf Werkbank im Garash<br />
or Hoppyraum sich nix habe bewert.<br />
Know-how austausch: Conversation<br />
mit andere Daddys in Krankenhouse<br />
meiste nur Austaushe von Cockrezepte,<br />
Strikmuster oder Erfahrunx in<br />
Bauchtansgruppe von männers. Homewerker<br />
mit gut know.how für Bastelen<br />
und Hausbau sein leidr noch seltenx.<br />
Öffnung Muttermund: Öffnuhng<br />
von Muttermund wischtik vor Durschgehn<br />
von Babykoppe, in Größe von<br />
zehn Zentimeter sein genau nachrechnen.<br />
Beine vone Ehefrau mussen mit<br />
Wasserwaage und Schraubstock eingestelt<br />
werdn (Sie sehen Listen Werkzeug<br />
bitte).<br />
Presswehen: Wenn Wehe kurz kom -<br />
me, weniger als 1 Zigarettpause Abstand,<br />
stellen Heimwörker breit beining<br />
hinter die Mutti. Videorecorder<br />
jetz in Totale. Un mitgebrachten Werkzeuxsel<br />
behärtzt einsetze. Mit Hobel,<br />
Meisel oder Stemmeisen Kopf von<br />
Fraue nach unten drucken.<br />
Geburt: Nach Baby ankommen mussen<br />
Mann-Homewerker sein snell und<br />
schnei<strong>den</strong> mit Cuttermesser (Baumarkt,<br />
1,50 Euro) die Nabelschnur. Vor<br />
her prüfe Frisur and Outfit, weil dies<br />
sein historisches Moment. Achtung!<br />
Vor foto/Video Statisten (Docktor, Hebummen)<br />
auf Seitn schieb.<br />
Reklamation: Wenn Baby nix<br />
stimmt (Farbe von Aug un Hahar, Grö -<br />
ße su klein, nix Junge usw.) sein Reklamation<br />
meglich, Zurücksendung<br />
in Mutti aber shwer mackbar. Aufpasse!<br />
Kein Garantie, wenn Heimweker<br />
vor zeitig Gaiserschnitte gemachen<br />
hab.<br />
Feier: Feier musse sein drei Tag,<br />
Grille, Schampus. Unebedingt beachtlich:<br />
Mutterkuchen ixt keine Genussmittel,<br />
abor for geshikte Homewerker<br />
zu Kerzenanxstecken meglich geignet.<br />
Werner Lutz
Der Literatur auf der Spur<br />
Anzeige<br />
Wirklich authentische Literatur<br />
der Arbeitswelt<br />
entsteht natürlich nur<br />
vor Ort am Arbeitsplatz.<br />
Schon Salinger hatte seinen<br />
»Fänger im Roggen«<br />
unauffällig bei der Weizenernte<br />
geschrieben.<br />
Baudelaires »Blumen<br />
des Bösen« entstan<strong>den</strong><br />
am Tresen eines weniger<br />
gut florieren<strong>den</strong> Blumenla<strong>den</strong>s,<br />
und Freytags<br />
»Soll und Haben« war als<br />
Nebenprodukt abgefallen,<br />
als er Robinsons Kassenbuch<br />
führte. Wallraff<br />
schrieb ja notorisch auf<br />
der Arbeit Bücher, meistens<br />
ganz unten im Keller,<br />
wo er vorgeblich aufräumen<br />
wollte. Ganz anders<br />
entstand »Karlsson<br />
vom Dach«, nämlich<br />
beim Entrümpeln des<br />
Dachbo<strong>den</strong>s von Astrid<br />
Lindgren, der deshalb leider<br />
nie richtig sauber<br />
wurde. Goethes »Wer -<br />
ther« war Frucht seiner<br />
Arbeit als Schließer im<br />
Weimarer Strafvollzug,<br />
und Schiller diktierte<br />
seine »Räuber« in <strong>den</strong><br />
langen Wartezeiten als<br />
junger Wegelagerer.<br />
Über Kleists Arbeit im<br />
Porzellangeschäft wollen<br />
wir lieber schweigen.<br />
Karl May verfasste <strong>den</strong><br />
»Schatz im Silbersee«<br />
während seiner Zeit als<br />
Bademeister im Freibad<br />
von Radebeul, in dem leider<br />
auch seine Frau ertrank.<br />
Wenige wissen,<br />
dass der »Herr der Fliegen«<br />
ein typisches Stück<br />
Küchen-Literatur ist.<br />
Die meisten Stücke<br />
der Arbeitsliteratur aber<br />
lan<strong>den</strong> imgroßen Papierkorb<br />
der Arbeitswelt<br />
(Foto), wo sie vergebens<br />
»Zettels Traum« träumen,<br />
nämlich ein reicher<br />
und berühmter Roman<br />
zu wer<strong>den</strong>. Kriki<br />
Volker Hentschel<br />
PREUSSISCHE PORTRÄTS<br />
Zwischen Revolution<br />
und Restauration<br />
Hardcover, 744 Seiten<br />
€ 39,80 [D]<br />
1789 – 1819! Es gab keine<br />
anderen drei Jahrzehnte in<br />
der Geschichte Preußens, die<br />
ereignis-, abwechslungs- und<br />
folgenreicher gewesen wären.<br />
Es ist kein Zufall, dass in diesen drei Jahrzehnten mehr<br />
historisch bedeutsame Persönlichkeiten in Preußen wirkten,<br />
als in jedem anderen gleichlangen Zeitraum: Staatsmänner,<br />
Soldaten, Dichter und Denker. Die „Preußischen Portraits“<br />
schildern und deuten das Wesen, Wer<strong>den</strong> und Wirken von<br />
sechzehn solch prägender Persönlichkeiten.<br />
Ernst Nolte<br />
HISTORISCHE EXISTENZ<br />
Zwischen Anfang und<br />
Ende der Geschichte?<br />
Hardcover, 768 Seiten<br />
€ 39,80 [D]<br />
ISBN 978-3-95768-141-6<br />
ISBN 978-3-95768-137-9<br />
KRIKI<br />
Die Geschichte als Ganzes<br />
verstehend zu begreifen –<br />
diesem Ziel dient Ernst Noltes<br />
großes Buch. Seine bisherige<br />
Beschäftigung mit Zeitgeschichte<br />
und vor allem mit <strong>den</strong> modernen Ideologien erhält<br />
damit <strong>den</strong> <strong>den</strong>kbar größten zeitlichen Rahmen. »Historische<br />
Existenz« meint die Geschichte im ganzen, nämlich <strong>den</strong> Zeitabschnitt<br />
von etwa 5000 Jahren zwischen der Vorgeschichte<br />
und unserer Gegenwart, die der Anfang einer möglicherweise<br />
unabsehbar langen »Nachgeschichte« sein könnte.<br />
Das Buch kannte sich<br />
selber nicht. Es hielt<br />
sich für einen Krimi, dabei<br />
war es bloß ein Kochbuch.<br />
Entsprechend doof<br />
war es. Deshalb wunderte<br />
es sich auch nicht,<br />
dass es, statt je<strong>den</strong> Abend<br />
im Bett vor dem Einschlafen<br />
gelesen zu wer<strong>den</strong>,<br />
stets zur Mittagszeit zur<br />
Hand genommen wurde,<br />
Das Buch<br />
und zwar in der Küche.<br />
Das heißt, ganz so doof<br />
war das Kochbuch doch<br />
nicht. Irgendwann hatte<br />
es spitzgekriegt, was gespielt<br />
wurde, und veränderte<br />
einfach da und dort<br />
das Rezept. Zuerst war es<br />
ein harmloser Spaß, aber<br />
dann trieb es das Buch<br />
immer doller, und als die<br />
Familie eines Sonntags<br />
Papas Chef und seine<br />
Frau zu Gast hatte und<br />
der Chef während des<br />
Mittagessens tot vom<br />
Stuhl rutschte, hatte das<br />
Buch endlich seinen Kriminalfall.<br />
So geht’s doch<br />
auch!<br />
Peter Köhler<br />
LITERATUREULE 10/14 97<br />
Horst Poller<br />
DIE PHILOSOPHEN UND<br />
IHRE KERNGEDANKEN<br />
Ein geschichtlicher Überblick<br />
8. akt. und erw. Auflage<br />
Broschur, 648 Seiten<br />
€ 19,80 [D]<br />
Was die großen Denker<br />
herausgefun<strong>den</strong> haben, ist<br />
spannend zu lesen. Jedem<br />
Philosophen ist ein abgeschlossenes<br />
Kapitel gewidmet,<br />
in dem auch seine persönlichen Lebensumstände geschildert<br />
wer<strong>den</strong>, ebenso wie die geschichtliche Epoche, durch die er<br />
geprägt wurde.<br />
www.lau-verlag.de<br />
ISBN 978-3-95768-123-2
Der Bestseller<br />
jetzt als Semmelrogge<br />
Taschenbuch<br />
Der Sein Buch Bestseller<br />
„Das Leben ist eine Semmelrogge<br />
Achterbahn“ war ein gro-<br />
ßer Erfolg – jetzt liegt als Taschenbuch vor!<br />
Martin Semmelrogge, Jahrgang ang 1955, ist in aller Munde<br />
– gestern, heute, morgen. Ein turbulentes ulentes Leben, geprägt<br />
von einem ständigen Auf und Ab.<br />
Ob frühe Schauspielerfolge als Teenager, seine Drogen-<br />
und Revoluzzer-Zeit jetzt in als <strong>den</strong> Taschenbuch<br />
70ern, seinem entgültigen<br />
Durchbruch mit dem Welterfolg von „Das Boot“, seiner<br />
Aufnahme in die „Hall of Shame“ der Flensburger<br />
Verkehrs-<br />
sünder-Kartei,<br />
missglückten Auswanderungsversuchen<br />
oder geglückter glückter Familiengründung … Martin Semmel-<br />
rogge steht zu seinen Ups and Downs.<br />
„Auf der Suche nach dem Glück ziehe ich das Unglück<br />
magisch an“, , gesteht er selbstkritisch und gibt doch nie<br />
Sein auf, Buch <strong>den</strong>n „Das hinter Leben der Kulisse ist eine Achterbahn“ des Ausnahmeschauspielers<br />
war ein gro-<br />
sieht es es ganz g<br />
anders aus. aus.<br />
Auf humorvolle aber auch bewegende und durchaus<br />
ßer selbstironische Erfolg – jetzt liegt Weise es lässt als Taschenbuch Martin Semmelrogge vor!<br />
uns teil-<br />
haben an seiner Reise durch die letzten fünf Jahrzehnte in<br />
Deutschland und anderswo.<br />
Martin Semmelrogge, Jahrgang ang Begleiten 1955, ist Sie in <strong>den</strong> aller frühen Munde<br />
voluzzer, <strong>den</strong> ungestümen<br />
jungen Wil<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Neugie-<br />
– gestern, heute, morgen. Ein turbulentes rigen, ulentes <strong>den</strong> Leben, Nach<strong>den</strong>klichen,<br />
geprägt<br />
<strong>den</strong> liebevollen Familienvater<br />
und Ehemann durch<br />
von einem ständigen Auf und Ab. 50 Jahre<br />
Deutschland,<br />
aber auch auf die Route<br />
66 und nach Mallorca und<br />
Ob frühe Schauspielerfolge als Teenager, seine Drogen-<br />
bil<strong>den</strong> Sie sich <strong>ihr</strong> eige-<br />
Renes<br />
Urteil.<br />
Der Bestseller<br />
und Revoluzzer-Zeit in <strong>den</strong> 70ern, seinem entgültigen<br />
Durchbruch mit dem<br />
Welterfolg von „Das Boot“, seiner<br />
Erhältlich im Buchhandel und natürlich bei uns:<br />
Aufnahme NWM-Verlag in die • Große „Hall Seestraße of Shame“ 11 • der 23936 Flensburger Grevesmühlen Verkehrs- ehrs-<br />
Tel.: 03881-2339 • info@nwm-verlag.de • www.nwm-verlag.de<br />
sünder-Kartei,<br />
missglückten Auswanderungsversuchen<br />
oder geglückter glückter Familiengründung … Martin Semmel-<br />
rogge steht zu seinen Ups and Downs.<br />
„Auf der<br />
Suche nach dem Glück ziehe ich das Unglück<br />
magisch an“, , gesteht er selbstkritisch und gibt doch nie<br />
auf, <strong>den</strong>n hinter der Kulisse des Ausnahmeschauspielers<br />
sieht es es ganz g<br />
anders aus.<br />
Format: 11,5 x 19 cm,<br />
318 Seiten, 32 Abb., Softcover<br />
ISBN: 978-3-937431-94-9<br />
Preis: 11,99<br />
Anzeige<br />
Das waren d<br />
Anfang der Zwanziger Jahre kam ich<br />
zum ersten Mal nach Berlin und saß<br />
eines Abends mit Bert Brecht in einem<br />
Lokal, wo wir endlos lange Zigarren<br />
rauchten und Brecht das Gespräch auf<br />
Bäume lenkte, weil er es satt hatte,<br />
ständig über seine schmutzigen Gedichte<br />
zu re<strong>den</strong>. Als er mir einige davon<br />
vorlas, bekam ich einen Lachanfall,<br />
<strong>den</strong>n Brecht klang wie ein bayerisches<br />
Mädel mit Asthma, und weil<br />
er sehr beleidigt war, nahm er mich<br />
in <strong>den</strong> Schwitzkasten, bis mir die<br />
Mütze herunterfiel.<br />
Irmgard Keun war sehr lieb zu mir,<br />
wahrscheinlich, weil sie die meiste<br />
Zeit über, die wir zusammen verbrachten,<br />
betrunken war. Zumindest durfte<br />
ich kostenlos bei <strong>ihr</strong> wohnen. Sie war<br />
eine sehr häusliche Frau. Vormittags<br />
arbeitete sie als Sekretärin in einem<br />
Büro am Alexanderplatz, nachmittags<br />
schlen derten wir für gewöhnlich über<br />
die Flohmärkte Berlins. Abends gingen<br />
wir oft etwas trinken, und manchmal<br />
ging sie noch ein bisschen weiter<br />
als ich. Wenn Irmgard dann frühmorgens<br />
wieder nach Hause kam, roch sie<br />
manchmal nach anderen Männern,<br />
und als ich sie einmal fragte, ob ich<br />
<strong>ihr</strong>er Meinung nach wirklich Schriftsteller<br />
wer<strong>den</strong> sollte, schloss sie sich<br />
auf dem Etagenklo ein und kicherte<br />
mehr als eine halbe Stunde lang. Seitdem<br />
war ich mir sicher, dass sie mich<br />
heimlich betrog. Ich hatte Joseph Roth<br />
in Verdacht.<br />
Den Sommer verbrachte ich bei<br />
Kurt Tucholsky in Paris, wo wir uns<br />
die Zeit damit vertrieben, durch die<br />
Cafés zu schlendern und enorm wichtig<br />
zu tun. Einmal trafen wir Erich<br />
Kästner, der seine Mutter dabei hatte.<br />
Er machte einen schmutzigen Reim<br />
auf Heinrich Himmler, worauf ihn<br />
seine Mutter übers Knie legte, obwohl<br />
sie eigentlich SPD wählen würde, wie<br />
sie Tucholsky und mir im Nachhinein<br />
versicherte. Es sei nur Erichs Ausdruck,<br />
der sie immer wieder störte,<br />
aber das habe er auf keinen Fall von<br />
<strong>ihr</strong>.<br />
An einem geselligen Abend behauptete<br />
Stefan Zweig unvermittelt, er<br />
hätte doch tatsächlich einmal Egon Erwin<br />
Kisch an der Sorbonne gesehen,<br />
obwohl doch alle Welt wusste, dass<br />
sich Kisch seit seinem Aufenthalt in<br />
Sowjetrussland in seinem Appartement<br />
versteckt hielt, weil er in Russland<br />
die Benutzung der Zahnbürste<br />
verlernt hatte und sich dafür kolossal<br />
schämte. Ich war der Meinung, Zweig<br />
übertreibe wie gewöhnlich, worauf<br />
98 LITERATUREULE 10/14<br />
der verrückte ÖsterreicherAmok lief<br />
und mich in <strong>den</strong> Schwitzkasten nahm.<br />
In Berlin war mir Irmgard durchgebrannt<br />
und schrieb später, ich solle <strong>ihr</strong><br />
verzeihen, aber sie sei jetzt mit Joseph<br />
Roth zusammen. Ich wusste aber von<br />
Tucholsky, dass die bei<strong>den</strong> nur soffen,<br />
und ich vermutete zu Recht, dass Irmgard<br />
immer noch an mich dachte,<br />
wenn sie auf die Damentoilette im Hotel<br />
ging. Ihr Kichern verfolgte mich<br />
bis in meine Träume.<br />
Brecht hatte keine Zeit, um mit mir<br />
über meinen ersten Roman zu diskutieren,<br />
<strong>den</strong>n er hing jetzt oft mit einer<br />
gewissen Marie-Luise Fleißer herum,<br />
die er an sich gar nicht mochte, wie<br />
er mir sagte, aber er hatte sie Lion<br />
Feuchtwanger ausgespannt und deshalb<br />
tat er mit <strong>ihr</strong> besonders groß.<br />
Tucholsky kam nach Berlin, das war<br />
schon was! Alle machten eine riesige<br />
Schau daraus, und als bekannt wurde,<br />
dass er auf meinem Sofa schlief, gab<br />
mir Anna Seghers aus lauter Bewunderung<br />
einen Cognac aus. Am nächsten<br />
Morgen spazierten wir am Ufer<br />
der Spree entlang, und sie gestand mir,<br />
dass sie das Geld vom Kleist-Preis der<br />
KPD überwiesen habe. Sie meinte, ich<br />
würde einen guten Proletarier abgeben<br />
und fragte mich, ob ich mit zu <strong>ihr</strong><br />
nach Mainz ziehen würde, aber ich<br />
dachte die ganze Zeit über doch nur<br />
an Irmgard.<br />
Dann lasen alle mit einem Mal wieder<br />
Thomas Mann, weil er <strong>den</strong> Nobelpreis<br />
bekommen hatte und plötzlich<br />
aktuell war. Tucholsky reagierte eifersüchtig<br />
und wanderte nach Schwe<strong>den</strong><br />
aus. Erich Maria Remarque wollte ihm<br />
folgen, doch er stieg in <strong>den</strong> falschen<br />
Zug, sodass er in Zürich landete, wo<br />
er mit Hermann Hesse eine Wohngemeinschaft<br />
gründete. Bald darauf wur -<br />
de Max Schmeling Weltmeister im<br />
Schwergewicht und Thomas Mann<br />
war wieder vergessen.<br />
Um 1930 schrieb jeder gerade, die<br />
meisten ab. Brecht schrieb und schlief<br />
mit einem Dutzend Frauen gleichzeitig.<br />
Er wusch sich sehr unregelmäßig,<br />
und als ich ihn einmal vertraulich darauf<br />
ansprach, schmiss er meine<br />
Schreib maschine aus dem Fenster. Ich<br />
war mir sicher, dass ich das schon einmal<br />
irgendwo gelesen hatte.<br />
Aber er hatte ja völlig recht. Feuchtwanger<br />
war auch der Meinung, dass<br />
ich endlich mal mit meinem Roman<br />
fertig wer<strong>den</strong> sollte. Anschließend<br />
woll ten wir gemeinsam nach Südfrankreich<br />
fahren und in Marseille mit<br />
Alfred Döblin sommerfrischen.
ie Zwanziger<br />
Anzeige<br />
Doch dazu kam es nicht mehr. Irmgard<br />
reiste zurück nach Berlin und<br />
sah sehr versoffen und unwiderstehlich<br />
aus. Ich konnte nicht weiter schreiben,<br />
bis ich sie endlich traf. Sie hatte<br />
<strong>den</strong> Kopf noch voll von diesem verdammten<br />
Roth, doch sie blieb trotzdem<br />
bei mir, in <strong>ihr</strong>er alten Wohnung.<br />
Aber nur kurz. Dann erschienen<br />
schnell <strong>ihr</strong>e ersten bei<strong>den</strong> Romane,<br />
und sie wurde eine große Nummer.<br />
Tucholsky schickte Glückwünsche aus<br />
Schwe<strong>den</strong>, und Roth bat um eine<br />
zweite Chance. Ich kam gerade nach<br />
Hause, als Irmgard <strong>ihr</strong>e Koffer packte.<br />
Ich beschimpfte sie als eine ganz<br />
miese Schlampe, und sie bot mir eine<br />
letzte Zigarette an. Da musste ich weinen,<br />
weil sie so herzlos war, und<br />
nannte sie eine jämmerliche Schriftstellerin,<br />
worauf sie wütend wurde<br />
und mich in <strong>den</strong> Schwitzkasten nahm,<br />
bis ich bewusstlos wurde.<br />
Bernhard Spring<br />
PETER THULKE<br />
Die besondere<br />
Geschichte<br />
Diese Geschichte hier ist eine besondere<br />
Geschichte, <strong>den</strong>n es gibt keine<br />
Worte für sie. Deshalb ist sie an dieser<br />
Stelle im Grunde schon zu Ende erzählt,<br />
weshalb nur der Hinweis folgt,<br />
dass in dieser Geschichte in der Tat jeder<br />
Satz, jedes Wort, jeder Buchstabe<br />
zu viel wäre. Denn was sind schon<br />
Sätze, Worte, Buchstaben? Doch nur<br />
eine besondere Form, Sprachlosigkeit<br />
auszudrücken! Und genau darum geht<br />
es in dieser Geschichte. Damit wäre<br />
sie im Grunde auch schon so gut wie<br />
zu Ende erzählt, weshalb hier nur ein<br />
paar Sätze, Worte und Buchstaben folgen,<br />
um die Geschichte wirklich zu<br />
Ende zu bringen. Freilich, was ist schon<br />
eine Geschichte? Doch nur eine besondere<br />
Form, Inhaltlosigkeit auszudrücken!<br />
Und genau darum geht es in dieser<br />
Geschichte. Damit wäre sie im<br />
Grunde auch schon zu Ende erzählt,<br />
weshalb …<br />
Peter Köhler<br />
LITERATUREULE 10/14 99
Neues aus der Welt der Linguistik<br />
Anzeige<br />
Hast du Worte?<br />
Dunkelmänner der Sprache: die Pronomen<br />
»Anna-Katharina hörte Anna-Maria mit Han na<br />
über Anna-Lena sprechen. Nachdem dieselbe gegangen<br />
war, gesellte sich jene zu dieser und sprach<br />
mit <strong>ihr</strong> über sie.« So steht es wortwörtlich am Anfang<br />
dieses Aufsatzes. Ja, was meinen sie? Bzw.<br />
die Pronomen? Was meinen Sie? Was meint »sie«?<br />
Kleine Erholungsfrage: Sind Sie eine Sie? Schön,<br />
sehr schön. Und jetzt ausgeruht zurück zum Text:<br />
Es gibt sehr viele Pronomensorten. Welche? Diese:<br />
nämlich zum Beispiel die Demonstrativpronomen.<br />
Oder auch jene: nämlich die Fragepronomen.<br />
Diese welche sind strohdumm und haben<br />
von nichts Ahnung – warum wür<strong>den</strong> sie sonst fragen?<br />
Die Velt im Werbum<br />
Klaus Müller<br />
Gehen, um zu bleiben<br />
Aus der DDR nach Italien – und zurück<br />
264 Seiten | Klappenbroschur<br />
ISBN 978-3-95462-317-4 | 14,95 Euro<br />
Die wahre Geschichte<br />
einer waghalsigen<br />
Reise aus der DDR<br />
nach Italien<br />
– und zurück<br />
Geschichten über kühne Fluchten<br />
aus der DDR gibt es einige, aber die<br />
des Wahl-Rostockers Klaus Müller<br />
hat es in sich: Nach seiner Flucht<br />
per Boot über die Ostsee im Sommer<br />
1988 bereiste er sein Sehnsuchtsland<br />
Italien – und kehrte in seine Heimat<br />
DDR zurück. F. C. Delius verarbeitete<br />
die spektakuläre Geschichte in<br />
einer Erzählung. Nun berichtet der<br />
Abenteurer Müller in „Gehen, um zu<br />
bleiben“, was ihn wirklich bewegte.<br />
Werben, ulken, vergackeieren, verkasematuckeln:<br />
Wörter aus der Welt des Werbums. (Moment!<br />
Schreibt man Werbum nicht mit V? Ach<br />
vas.) Welcher Wortart gehört es an? Nun, ohne<br />
der Forschung vorzugreifen, sei soviel verraten:<br />
Es ist ein Tuwort. Als solches ist es zu etwas<br />
nütze, was der Turner »beugen« nennt: tuwort –<br />
tatwort – getanwort.<br />
»Tuwort« aber ist ein Dingwort. Heißt es nun beispielsweise<br />
der, die oder das Laufen? Natürlich<br />
Der Stil ist ja irgendwie immer auch der<br />
Mensch oder so: Quatschi<br />
Quatschi mochte sich einfach nicht mehr im Spiegel<br />
ansehen. Wie war sie doch einst mal so richtig<br />
schlank gewesen! Und jetzt war sie doch einfach<br />
nur noch fett. Dabei konnte sie sich noch<br />
richtig gut erinnern, wie schön sie doch auch mal<br />
gewesen war. Irgendwie ganz präzise Sätze, überhaupt<br />
gar kein Wort zu viel und so! Aber jetzt<br />
war sie einfach total aufgedunsen und irre aufgeschwemmt.<br />
Sie hatte ja schon echt Probleme,<br />
einen irgendwo ganz einfachen Satz einfach nur<br />
mal so zu sagen und dann auch noch überhaupt<br />
Die Leserin<br />
Je<strong>den</strong> Abend las Frau Schnurzelmeier im Bett<br />
ein wenig und schlief darüber ein. Wenn sie die<br />
Lektüre am nächsten Abend fortsetzte, stutzte<br />
sie zunächst, <strong>den</strong>n offenbar hatte sie <strong>den</strong> roten<br />
Fa<strong>den</strong> verloren und völlig vergessen, was zuletzt<br />
geschehen war. Also ging sie jedes Mal eine<br />
Seite zurück und begann die letzten ein, zwei<br />
Absätze zu lesen, um in die Spur zu kommen.<br />
nicht »das Laufen«. Wie klingelt <strong>den</strong>n das im Ohr:<br />
»Das laufen ja ganz schön schnell.« Richtig dagegen<br />
der weibliche Artikel: »Die laufen ja ganz<br />
schön schnell.« Möglich ist auch das männliche<br />
Geschlechtswort, zum Beispiel: »Der laufen ja<br />
alle Männer weg.«<br />
Schließlich (endlich!) kann man dem Tuwort befehlen,<br />
es gehorcht prompt: End! Aufhör! Schluss!<br />
Aus!<br />
gar kein einziges Wort einfach mal zu viel zu machen<br />
oder so! Und schon bereits davon bekam<br />
sie ja dann schon ganz furchtbar schrecklich super<br />
Bauchschmerzen. Ja, nein, Quatschi konnte<br />
sich schon selber einfach nicht mehr zuhören!<br />
Und dann auch noch einfach mal im Spiegel mal<br />
so ansehen mochte sie sich ja schon gleich gar<br />
nicht mehr ansehen. Und wie war sie doch einst<br />
einfach doch auch noch einfach mal irgendwie<br />
mal einfach schon irgendwie ...<br />
Nach drei Wochen hatte sie das Buch aus, ohne<br />
dass sie sagen konnte, worum es ging und wer<br />
die handeln<strong>den</strong> Personen waren. Wahrscheinlich<br />
hätte sie das Buch besser nicht als E-Book<br />
gekauft, <strong>den</strong>n die Datei war mit einem Zufallsgenerator<br />
ausgestattet, der bei jedem Einschalten<br />
die Seiten neu arrangierte. Deshalb hieß der<br />
Krimi ja »Kommissar Zufall und die Leserin«.<br />
www.mitteldeutscherverlag.de<br />
100 LITERATUREULE 10/14<br />
Peter Köhler
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Perlen der D<br />
Rechtzeitig zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse feiert eine literarische Gattung Renaissance,<br />
die seit <strong>den</strong> letzten Landtagswahlen in Vergessenheit geraten schien: der Wahlslogan.<br />
In seiner äußeren Form ähnelt der Wahlslogan dem<br />
japanischen Haiku. Während der Haiku allerdings<br />
versucht, in möglichst knapper Form eine ganze<br />
Welt zu entwerfen, ist es das Ziel des Wahlslogans,<br />
in möglichst noch knapperer Form so wenig Inhalt<br />
wie möglich zu transportieren. Das Verhältnis von<br />
Form- und Inhaltslosigkeit bezeichnen Linguisten<br />
als das »Blabla« (Abb.: Nr. 1). Es gilt<br />
blabla = Inhalt / Form<br />
wobei die Form in der Regel aus höchstens einem<br />
elliptischen Satz besteht. Bewegt sich das Blabla gegen<br />
null, so spricht man von einem »geglückten<br />
Wahlslogan«. Dies lässt sich nach der Formel<br />
lim (bla 1 + bla 2 + … + bla n ) = 0<br />
n → ∞<br />
berechnen, wobei jedes Bla ein quantifizierbares<br />
Teilbla (Abb.: Nr. 2) des gesamten Blablas darstellt,<br />
oder anders gesagt: Je Bla, desto hirntot.<br />
Zeichentheoretisch ist das Bla schwer zu fassen,<br />
da sein Signifikant mit keinem Signifikat verknüpft<br />
ist. Es handelt sich vielmehr um Sprechen ohne Entsprechung.<br />
Der Leser interpretiert das als Versprechen.<br />
»Versprechen lohnt sich nicht – außer man hat<br />
es in zwei, drei Wochen schon wieder vergessen«,<br />
lautet die Maxime der Wahlslogandichter. Und zum<br />
Glück erweist sich das Bla als besonders robust gegen<br />
das Erinnern. Hirnforscher haben festgestellt,<br />
dass Gedächtniszellen sofort absterben, wenn sie mit<br />
einem Bla in Berührung kommen. Das liegt an der<br />
chemischen Eigenschaft der »schwach ausgeprägten<br />
mnemotechnischen Permanenzfaszination« (kurz<br />
SchwamPf), die dem Bla aufgrund seiner besonders<br />
simplen Molekularstruktur innewohnt. SchwamPf<br />
kommt überall in der Natur vor. Viele Songs und<br />
Analogkäse, die reich an Bla sind, haben beispielsweise<br />
eine Mnemo-Halbwertzeit von unter fünf Sekun<strong>den</strong>.<br />
Der Wahlslogan aber ist der ungekrönte<br />
König unter <strong>den</strong> Langweilern: Testpersonen haben<br />
ihn im Durchschnitt bereits zwei Minuten, bevor sie<br />
ihn gelesen haben, bereits wieder vergessen.<br />
Da das Bla nicht selber sprechen kann, ist es darauf<br />
angewiesen, dass der Leser ihm seine Stimme<br />
schenkt. Der Wahlslogandichter nennt diesen poetischen<br />
Akt »Stimmenfang«. Da der Wahlslogan wegen<br />
seiner Sprachlosigkeit selber nicht ansprechend<br />
wirkt, kombiniert man ihn auf sogenannten »Wahlplakaten«<br />
häufig mit Fotografien bekannter Politiker<br />
(Abb.: Nr. 3). Das nennt man <strong>den</strong> »Wirkung-überreizlose-Gesichter«-Reiz<br />
(kurz WürG-Reiz), der <strong>den</strong><br />
Blick des Betrachters fesselt, weil er vor lauter Langeweile<br />
nicht mehr die Kraft hat wegzugucken. Unterstrichen<br />
wird diese Reizlosigkeit durch <strong>den</strong> »Blanamen«<br />
(Abb.: Nr. 4), <strong>den</strong> man so schnell wieder vergessen<br />
hat, wie die Doktorarbeit der betreffen<strong>den</strong><br />
Person als Plagiat entlarvt wurde. Der pseudointellektuelle<br />
Hintergrund des Plakats (Abb.: Nr. 5) besticht<br />
durch kräftige, sich harmonisch in die Städtearchitektur<br />
einpassende Farben, damit sich die farblosen<br />
Gesichter davon abheben können.<br />
Da charismatische Köpfe die Bedeutungsleere<br />
des Wahlslogans ungewollt mit Inhalten füllen<br />
könnten, wird darauf geachtet, dass nur Politiker<br />
abgebildet wer<strong>den</strong>, die selber eine außeror<strong>den</strong>tlich<br />
hohe biologische SchwamPf-Dichte aufweisen können<br />
und deren Gesichtsausdruck ungefähr so spannend<br />
ist wie Hundekuchen. Während das Großhirn<br />
des Betrachters die Verarbeitung der visuellen Information<br />
verweigert, <strong>den</strong>kt sich seine Netzhaut:<br />
»Oh, noch so einer.«<br />
Um diese präkognitive Verbindung zwischen<br />
Auge und Resthirn zu verstärken, wird dem Blabla<br />
meistens das »Gemeinbla« (Abb.: Nr. 6) hinzugefügt.<br />
Das kann ein »Wir« oder ein »Du« oder ein »Gemeinsam«<br />
sein. Die Stelle im Blabla, an dem das<br />
Gemeinbla verortet ist, wird auch der »Gemeinplatz«<br />
genannt. Meistens steht es an erster Stelle, da es im<br />
Leser ein Dazugehörigkeitsgefühl evozieren soll. Ge-<br />
102 LITERATUREULE 10/14
ichtkunst<br />
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schieht dies nicht, fühlt sich der Betrachter einsam<br />
und versucht alles, um <strong>den</strong>noch mit dazuzugehören.<br />
Dieses Phänomen nennt man »Her<strong>den</strong>trieb« (von<br />
lateinisch »stupidus«).<br />
Dem Gemeinbla folgt in der Regel das Pro & Kontrabla<br />
(Abb.: Nr. 7), also »für« oder »gegen«. Beide<br />
Blas sind in <strong>ihr</strong>er Bedeutungslosigkeit bedeutungsgleich<br />
und wer<strong>den</strong> synonym für »vielleicht, eventuell,<br />
unter Umstän<strong>den</strong>, wenn nichts dazwischenkommt<br />
und Weihnachten und Ostern auf einen Tag<br />
fallen« verwendet. Einige Sprachwissenschaftler<br />
vertreten die These, dass diesen Blas sogar noch weitere<br />
Blas folgen. Es hat sich jedoch noch niemand<br />
bereit erklärt, <strong>den</strong> praktischen Beweis anzutreten,<br />
indem er weiterlesen würde. Abgerundet wird das<br />
Wahlplakat durch das sogenannte »Parteilogo« (Abb.:<br />
Nr. 8). Nachdem sich der Wahlleiter vom ordnungsgemäßen<br />
Betrieb sämtlicher Blas überzeugt hat,<br />
zieht die ehemalige Lotto-Fee Heike Maurer in geheimer<br />
Wahl beliebige Wahlslogans und ordnet sie<br />
<strong>den</strong> Parteilogos zu. Wenn der Leser Glück hat,<br />
kommt diese Liste im Laufe des Abends abhan<strong>den</strong><br />
oder Heike Maurer wird vorher schon der Ein-Euro-<br />
Job gestrichen. Ansonsten sind die Wahlplakate am<br />
nächsten Tag an Straßenlaternen und auf öffentlichen<br />
Plätzen erhältlich. Im Gegensatz zu herkömmlichen<br />
Buchveröffentlichungen hat der Leser allerdings<br />
die Möglichkeit, die Kleinode deutscher Nonsensdichtung<br />
schon vor dem Kauf zu lesen. Teuer<br />
dafür bezahlen muss er erst nach <strong>den</strong> Wahlen.<br />
Text und Zeichnung:<br />
Michael Kaiser<br />
LITERATUREULE 10/14 103
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Pascals Roman<br />
Wir saßen beim vierten Pils im frisch ergrünten<br />
Biergarten, Amselgesang und schlimmes Privatradio<br />
über uns, da durchschritt er <strong>den</strong> Eingang: Pascal<br />
Müller-Kehlmann, erfolgloser, aber lokal bekannter<br />
Schriftsteller. Hatte ein Buch über seine Ehe<br />
geschrieben, hatte für seine Ex-Frau und deren Verwandtschaft<br />
im Roman Klarnamen verwendet. Verlor<br />
vor Gericht damit, glatt ohne Deal. Musste alle<br />
20 Exemplare unter notarieller Aufsicht vernichten.<br />
War’n ziemlicher Auflauf, weil er zu diesem Anlass<br />
zehn Stiegen Sekt gekauft hatte. Wer eine Flasche<br />
bezahlte, bekam einen Link zum PDF des Romans.<br />
In welchem er hübsch ausgeteilt hat, der Pascal.<br />
Naja, die Fickszenen waren bissel bieder, Schampus<br />
im Bauchnabel, rosa Schleifenkram, Fußfesseln,<br />
Kopfkissen anzün<strong>den</strong>, was alle machen … Im<br />
Grunde erfuhr man nichts Neues über die Familie.<br />
Das Beste war noch der leicht sperrige Titel, das<br />
Ding hieß: »Ich öffnete die Büchse der Pandora. Und<br />
sie war leer.«<br />
Udo Tiffert<br />
NEL<br />
BARBARA HENNIGER<br />
LITERATUREULE 10/14 105
Regionalkrimis<br />
aus Quedlinburg<br />
Der 10. Fall<br />
von<br />
Irenäus Moll<br />
Anzeigen<br />
Wolfgang Schäuble qualifiziert<br />
sich mit seinem Erstlingswerk<br />
»Arsch hoch,<br />
Hände hoch, Steuern hoch!«<br />
für <strong>den</strong> Poetry Slam im<br />
Bundestag.<br />
MG<br />
Gibt es einen<br />
5.000 Jahre<br />
alten und<br />
geheimnisvolle<br />
Kräfte<br />
verleihen<strong>den</strong><br />
Stirnreif<br />
aus dem<br />
Steinkistengrab?<br />
Christian Amling<br />
Das Steinkistengrab<br />
Kriminalroman<br />
ISBN 978-3-86289-073-6; 14,99 €<br />
dr. ziethen verlag Oschersleben<br />
03949 4396<br />
www.dr-ziethen-verlag.de<br />
info@dr-ziethen-verlag.de<br />
Pubertäre Lyrik<br />
von Promis<br />
Hautprobleme<br />
Ob mein Lehrer mich durchschaut,<br />
ob er glaubt, ich kann das?<br />
Fühl mich nicht wohl in meiner Haut,<br />
wär’ lieber jemand anders.<br />
Verkleide mich oft mit dem Ziel,<br />
Persönlichkeit zu schin<strong>den</strong>.<br />
Die andern suchen <strong>ihr</strong> Profil –<br />
ich will es gar nicht fin<strong>den</strong>.<br />
In Bio war ich Klassenbuch,<br />
in Englisch nur die Tafel,<br />
in Mathe vom Produkt der Bruch,<br />
in Deutsch sehr viel Geschwafel.<br />
Erdkündlich war ich Zeigestock,<br />
geschichtlich nur ein Rädchen.<br />
Jetzt geht’s zum Schwimmen – welch ein Schock! –,<br />
ich glaub’, ich geh’ als Mädchen.<br />
Günter Wallraff,<br />
irgendwo ganz unten veröffentlicht, Oktober 1959<br />
Feuchter geht nicht<br />
Ich ging ins Schwimmbad und wurde feucht.<br />
Ich ging an die Nordsee und wurde feucht.<br />
Ich ging unter die Dusche und wurde feucht.<br />
Ich ging an einer Pfütze vorbei, ein Porsche kam,<br />
und ich wurde feucht.<br />
Meine Freundinnen sagen:<br />
»Feucht ist schön!«<br />
Doch was bleibt einem Menschen,<br />
wenn er schon überall feucht gewor<strong>den</strong> ist?<br />
Ich fühle mich<br />
so jung und doch erfahren.<br />
Charlotte Roche (oder Eva Herman?),<br />
veröffentlicht in der Schülerzeitung »Nassforscher«, 1989<br />
Michael Kaiser<br />
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