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Absorber: Seegras - TrockenBau Akustik

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© Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, Köln 2012. Jede Vervielfältigung und Verbreitung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.<br />

TECHNIK | AKUSTIK<br />

<strong>Absorber</strong>: <strong>Seegras</strong><br />

Schallschutz | Die Diskussionen zur Nachhaltigkeit von Baustoffen<br />

gehen auch an den verschiedenen <strong>Absorber</strong>materialien nicht vorbei.<br />

Als ein interessantes und umweltfreundliches, weil nachwachsendes Material<br />

für den Schallschutz ist zuletzt auch <strong>Seegras</strong> ins Spiel gekommen.<br />

Prof. Dr. Veit erklärt, warum <strong>Seegras</strong> auch aus akustischer Sicht eine durchaus<br />

ernst zu nehmende Alternative darstellt.<br />

Herkömmliche Mittel sowohl für die<br />

Wärme- als auch für die Schallisolierung<br />

im Bauwesen werden nicht selten auf<br />

der Basis von fossilen und immer knapper<br />

werdenden Rohstoffen, z. B. Polymerschäumen<br />

(Polystyrol) u. Ä., gewonnen. Deshalb<br />

ist es verständlich, dass man für künftige<br />

Dämm-Materialien stets nach nachwachsenden<br />

und umweltfreundlichen Rohstoffen<br />

Ausschau hält. Beispiele dafür gibt es viele,<br />

z. B. Wolle, Holzwolle, Baumwolle, Hanf-,<br />

Kokos-, Flachs- oder Jutefasern etc. In jüngerer<br />

Zeit scheint ein weiteres Material für<br />

diesen Anwendungsbereich interessant zu<br />

werden: <strong>Seegras</strong>.<br />

<strong>Seegras</strong> ist ein verrotungs- und feuerbeständiges<br />

Naturprodukt, das quasi als<br />

„Abfall“ der Natur ständig nachwächst und<br />

somit unbegrenzt verfügbar ist. In Deutschland<br />

findet man es in überschaubarem Umfang<br />

an den Küsten von Nord- und Ostsee.<br />

Auf sehr viel größere <strong>Seegras</strong>-Vorkommen<br />

trifft man an den Küsten des Mittelmeers.<br />

Mit der Säuberung, der Aufbereitung und<br />

der praktischen Nutzbarmachung von <strong>Seegras</strong><br />

zur Wärmedämmung hat man sich<br />

bereits vielerorts beschäftigt, z. B. im Lehrund<br />

Forschungskomplex der Hochschule<br />

Wismar, in Malchow/Insel Poel. Sogar einen<br />

TV-Beitrag gab es hierüber schon.<br />

Nun sind Wärmedämmung und Schalldämmung<br />

zwei Bereiche der Bauphysik, die<br />

eng mit einander zu tun haben. Es lag daher<br />

nahe, dieses Material auch auf seine Eignung<br />

zur Schalldämmung und Schalldämpfung<br />

im Bauwesen zu untersuchen. Als Belege<br />

dafür gibt es inzwischen auch schon diverse<br />

Schutzrechte, und zwar sowohl für den Einsatz<br />

von <strong>Seegras</strong> für den Wärmeschutz als<br />

auch für den Schallschutz: DE 43 17 239 A1,<br />

DE 199 54 474 C1, DE 100 17 202 A1,<br />

DE 20 2005 012 457 U1, EP 19 444 23 A2.<br />

Allein vom Aussehen her erinnert <strong>Seegras</strong><br />

sehr stark an Holzwolle (siehe Abbildung 1),<br />

die, zu Platten gepresst, seit Langem im Bauwesen<br />

Verwendung findet. Von seiner natürlichen<br />

Herkunft her hat <strong>Seegras</strong> eine sehr<br />

lockere Struktur, so dass man es, je nach dem<br />

beabsichtigten Verwendungszweck, mehr<br />

oder weniger pressen kann. Nachfolgend soll<br />

versucht werden, den Rohstoff <strong>Seegras</strong> unter<br />

akustischen Gesichtspunkten zu betrachten.<br />

<strong>Seegras</strong> ist auch akustisch sehr<br />

vergleichbar mit Holzwolle<br />

Stellt man sich das Gras zu einer Platte von<br />

der Dicke Δx zusammengepresst vor und<br />

durchströmt man diese, z. B. mit Luft, so<br />

kann man so einer Materialprobe einen<br />

genau definierten, so genannten längenspezifischen<br />

Strömungswiderstand Ξ [1][2]<br />

zuordnen:<br />

Δ p<br />

Ξ = r = (–) = W (1)<br />

v x<br />

∙ Δx Δx<br />

[Einheit: Ns/m 4 oder auch Pa ∙ s/m2]<br />

W ist darin der nicht längenbezogene,<br />

spezifische Strömungswiderstand:<br />

W = Δ p (2)<br />

v x<br />

[Einheit: Ns/m 3 oder auch Pa ∙ s/m]<br />

In der Gleichung (1) ist Δp/Δx der Druckgradient<br />

(oder genauer gesagt: der Druckdifferenzenquotient)<br />

zwischen beiden Seiten<br />

der Δx dicken Materialschicht, und v x<br />

ist die Strömungsgeschwindigkeit, mit der<br />

die Schicht in x-Richtung durchströmt wird.<br />

Betrachtet man jetzt anstelle des statischen<br />

Falls mit einer Gleichströmung den dynamischen<br />

Fall mit einer Wechselströmung<br />

der Kreisfrequenz ω, so wie das auch beim<br />

Eindringen von Schall in ein poröses oder<br />

auch faseriges Material geschieht, so wird<br />

die Luftoszillation in den Poren bzw. artverwandten<br />

Hohlräumen durch Reibungsverluste<br />

in Wärme umgesetzt und somit<br />

„vernichtet“, siehe dazu auch das Rayleigh-<br />

ABBILDUNG 1<br />

ABBILDUNG 2<br />

Gereinigtes <strong>Seegras</strong> in lockerer Schüttung von der deutschen<br />

Ostsee-Küste (links) im Vergleich zu einer handelsüblichen Holzwolle-<br />

Dämmplatte (rechts).<br />

Rayleigh-Modelle für poröse <strong>Absorber</strong>materialien, a) für χ = 1 b) für χ > 1.<br />

Es ersetzt die Poren eines realen <strong>Absorber</strong>s durch eine Schar zylindrischer<br />

Kanäle parallel zur Schallausbreitungsrichtung in einem ansonsten festen<br />

Material. Mithilfe solcher Modelle hat Lord Rayleigh (1842–1919; mit bürgerlichem<br />

Namen: John William Strutt) als erster die Theorie poröser Körper<br />

untersucht.<br />

34<br />

<strong>TrockenBau</strong> <strong>Akustik</strong> 4.2012


© Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, Köln 2012. Jede Vervielfältigung und Verbreitung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.<br />

TECHNIK<br />

Modell [2] für poröse <strong>Absorber</strong>materialien<br />

(Abbildung 2). Zu dieser Betrachtungsweise<br />

gehört u. a. auch die Berücksichtigung des<br />

sogenannten Strukturfaktors χ :<br />

χ = V K<br />

(3)<br />

V B<br />

Es stellt das Verhältnis zwischen dem gesamten<br />

Porenvolumen V K<br />

und dem tatsächlich<br />

am Absorptionsvorgang beteiligten<br />

Volumen V B<br />

dar. Bei den meisten <strong>Absorber</strong>materialien<br />

können diese beiden Volumina<br />

allerdings etwa gleich groß angenommen<br />

werden, so dass χ ≈ 1,0 ist. Lediglich bei<br />

Schaumstoffen kann χ > 1,0 werden.<br />

Da fast alle porösen oder auch faserigen<br />

Materialien eine andere Schallkennimpedanz<br />

Z 0<br />

besitzen als Luft (ρc = 408 Ns/m3),<br />

tritt an der Grenzfläche zwischen beiden<br />

Medien zusätzlich auch noch eine mehr<br />

oder weniger große Schallreflexion auf, so<br />

dass nur ein Teil des auftreffenden Schalls<br />

in das Material eindringt, während der Rest<br />

reflektiert wird. Für den längenspezifischen<br />

Strömungswiderstand Ξ wird seit Mai 1993<br />

gemäß der DIN EN 29053 auch das Symbol<br />

r verwendet. Auch für den spezifischen<br />

Strömungswiderstand W gibt es nach dieser<br />

Norm ein neues Symbol: R s<br />

.<br />

Um zu verstehen, was innerhalb eines<br />

porösen oder auch faserigen <strong>Absorber</strong>materials<br />

geschieht, wenn Schall darin eindringt,<br />

ist es hilfreich, dazu die komplexe Ausbreitungskonstante<br />

γ'<br />

γ' = α' + jβ' (4)<br />

und die darin enthaltene Dämpfungskonstante<br />

α' [Einheit: 1/m] zu betrachten; β'<br />

ist die Phasenkonstante. Die Dämpfungskonstante<br />

beschreibt die exponentielle Abnahme<br />

des Schalldrucks im <strong>Absorber</strong> in der<br />

Schallausbreitungsrichtung x:<br />

p +<br />

(x,t) = p +<br />

(0) ∙ e –α' x ∙ cos(ωt – β' x) (5)<br />

Betrachtet man den in der Praxis am häufigsten<br />

anzutreffenden Fall einer endlichen<br />

<strong>Absorber</strong>-Schichtdicke Δx = d vor einer<br />

schallharten Rückwand, und geht man des<br />

Weiteren von der Annahme aus, dass χ ≈ 1,0<br />

ist – so kann man die dimensionslose Dämpfung<br />

α D<br />

= α' ∙ d entlang der gesamten <strong>Absorber</strong>tiefe<br />

d durch die folgende Näherung<br />

angeben:<br />

ABBILDUNG 3<br />

α D<br />

≈ k ∙ Ξ ∙ d =<br />

2ωρ<br />

Ξ<br />

∙ d (6)<br />

2ρc<br />

k ist darin die Wellenzahl (= ω/c ).<br />

Für große <strong>Absorber</strong>- bzw. Materialdicken<br />

d und/oder für große längenspezifische Strömungswiderstände<br />

Ξ wird die Dämpfung so<br />

groß, dass der von der schallharten Rückwand<br />

reflektierte Schall bedeutungslos wird.<br />

Der <strong>Absorber</strong> wirkt so, als wäre er unendlich<br />

dick. Da man in der <strong>Akustik</strong> meistens mit<br />

Pegeln arbeitet, wird die Dämpfung auch<br />

durch die Pegelabnahme pro Längeneinheit<br />

(ΔL/Δx) angegeben [in: dB/m]. – So viel<br />

zur Theorie und über den Zusammenhang<br />

zwischen der Materialdämpfung und dem<br />

längenspezifischen Strömungswiderstand.<br />

In der Praxis gibt man die Dämpfungsoder<br />

Absorptionseigenschaften von Materialien<br />

im Allgemeinen über den Schallabsorptionsgrad<br />

α [3] an, den man entweder im diffusen<br />

Schallfeld eines Hallraums bestimmt<br />

[α S<br />

; der Index „S“ weist auf das Sabine’sche<br />

Gesetz hin] oder den man bei senkrechtem<br />

Schalleinfall im Impedanz-Messrohr misst<br />

[α(0°)]. Der im diffusen Schallfeld gemessene<br />

Absorptionsgrad α S<br />

kann sich von dem<br />

im Impedanzrohr gemessenen Schallsorptionsgrad<br />

α(°0) für senkrechtes Schallfeld<br />

merklich unterscheiden. Bedingt durch das<br />

Messverfahren im Hallraum kann α S<br />

, vor<br />

allem bei tiefen Frequenzen, höhere Werte<br />

erreichen, teilweise sogar > 1,0 (!), obwohl<br />

das physikalisch keinen Sinn macht. Derartige<br />

Daten in Informationsschriften von<br />

Herstellern sorgen bisweilen für Verwirrung.<br />

Die Ursache dafür liegt im sogenannten<br />

Kanteneffekt, der auf den Randeinfluss<br />

Online<br />

Schallabsorptionsgrad α einer<br />

locker geschichteten, 10 cm dicken<br />

<strong>Seegras</strong>-Materialprobe,<br />

gemessen im Impedanz-Messrohr<br />

(90 mm 2 ) bei senkrechtem<br />

Schalleinfall in einem Frequenzbereich<br />

von 200 bis 2000 Hz.<br />

der Materialproben zurückzuführen ist.<br />

Ungeachtet dessen wird der nach Sabine gemessene<br />

Absorptionsgrad α S<br />

in der Praxis<br />

viel verwendet. Das hat u. a. damit zu tun,<br />

dass man nach diesem Verfahren sehr großflächige<br />

Proben prüfen kann.<br />

Fazit: Erste orientierende Messungen von<br />

trockenen und gereinigten <strong>Seegras</strong>-Proben<br />

im Impedanz-Messrohr zeigten, dass die<br />

gewonnenen Absorptionswerte durchaus<br />

vergleichbar sind mit denjenigen von Holzwolle-Dämmplatten<br />

gleicher Dicke, teilweise<br />

sind die erreichten Werte sogar noch höher,<br />

siehe Abbildung 3.<br />

<br />

LITERATUR<br />

[1] Veit, I.: Schallabsorber – Teil 2. In: Trockenbau<br />

<strong>Akustik</strong>, Nr. 2/2008, S. 34–37<br />

[2] Veit, I.: Lochplattenabsorber im Trockenbau.<br />

In: Trockenbau <strong>Akustik</strong>, Nr. 6/2011, S. 54–56<br />

[3] Veit, I,: Der Schallabsorptionsgrad α.<br />

In: Trockenbau <strong>Akustik</strong>, Nr. 2/2007, S. 34–35<br />

Autor<br />

Prof. Dr.-Ing. Ivar Veit ist <strong>Akustik</strong>er und Sachverständiger<br />

mit Büros in Nauheim (Groß Gerau)<br />

und Riga (Lettland). An der FH Wiesbaden/Rüsselsheim<br />

hat er einen Lehrauftrag für <strong>Akustik</strong>.<br />

E-Mail: i.veits@gmx.net<br />

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www.trockenbau-akustik.de<br />

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– <strong>Absorber</strong><br />

– Schallabsorption<br />

<strong>TrockenBau</strong> <strong>Akustik</strong> 4.2012 35

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