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<strong>Seite</strong> 1 <strong>von</strong> 6 <strong>Kai</strong> <strong>Kramer</strong>-<strong>Knell</strong><br />
<strong>Studienseminar</strong> <strong>Fritzlar</strong><br />
<strong>FÖ</strong>-<strong>Modul</strong> Deutsch/Mathe ‚ZR10’<br />
VON FINGER- UND ANDEREN ERBSENZÄHLERN<br />
Verstehender Zugang in der Mathematik - Aufbau eines Zahlen- und Mengenbegriffs 1<br />
Heike Duill<br />
Fast alle Kinder benutzen, wenn sie in die Schule kommen, die Finger zum Zählen. Manche<br />
brauchen die Finger noch gegen Ende der Grundschule zum Zählen und Rechnen. Warum?<br />
Was können die einen, was den anderen so schwer fällt?<br />
Lassen wir uns <strong>von</strong> zwei Kindern durch die Problematik führen. Nennen wir sie Jana und Lion,<br />
beide sind zunächst Vorschulkinder, ungefähr fünf Jahre alt, später werden sie eingeschult<br />
und besuchen die erste Grundschulklasse.<br />
Welche mathematischen Zusammenhänge haben Jana und Lion verstanden, wenn sie mit<br />
den Fingern zählen können und welche neuen Erkenntnisse und Vorstellungen braucht Lion,<br />
um künftig auch auf die Handhabung der Finger oder den Gebrauch <strong>von</strong> anderen<br />
Materialien verzichten zu können? Der zentrale Punkt, an dem sich die Kinder in ihren<br />
Erkenntnissen unterscheiden, ist der "Zahlbegriff". Kinder, die noch in höheren Klassen mit den<br />
Fingern zählen, haben entscheidende Schritte in der Entwicklung zum Zahlenbegriff noch<br />
nicht geschafft. In welchen Schritten verläuft diese Entwicklung?<br />
Du hast rote Haare, ich habe schwarze...<br />
Bevor Jana und Lion im Kindergarten oder in der 1. Klasse nur eine Zahl benennen können,<br />
haben sie bereits vielfältige Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Spielmaterialien, aber<br />
vielleicht auch mit verschiedenen Naturmaterialien gesammelt. Sie können unterscheiden<br />
nach vielerlei Kriterien und sie können die Unterschiede benennen. Sie können die Namen<br />
der Kinder in der Gruppe aufzählen, die die gleiche Haarfarbe haben, die eine Brille tragen,<br />
die Geschwister haben, die schon Fahrrad fahren können.<br />
�Klassifikation<br />
Eigenschaften erkennen und<br />
benennen<br />
Ich brauche alle blauen Achter-Legosteine...<br />
Sie können auch schon sortieren und tun dies manchmal geradezu leidenschaftlich. Sie<br />
ordnen die Dinge, bringen die Welt in Ordnung - draußen und damit auch drinnen - nach<br />
Farbe, nach Größe und nach Form. Jana und Lion kommen zur Ruhe, wenn alles passt. Sie<br />
sind zufrieden, wenn alles nach der Größe geordnet ist, wenn in jedem Loch der richtige<br />
Holzstecker sitzt.<br />
Jetzt darf es auch etwas schwerer werden. Sie kombinieren zwei Eigenschaften, zwei Klassen:<br />
sie suchen alle großen und blauen Perlen aus dem Glas mit der bunten Mischung. Bald<br />
werden noch mehr Eigenschaften Auswahlkriterium. Die Fähigkeit zur Klassifikation wird zur<br />
wichtigen Voraussetzung für den Umgang mit Mengen.<br />
�Ordnen<br />
Elemente nach bestimmten Eigenschaftskategorien aussuchen<br />
Du eins, ich eins...<br />
Jana verteilt, sie legt abwechselnd Lion eins, sich eins hin, und wenn sie so weitermacht, sieht<br />
ihre Reihe am Ende genau so aus, wie die <strong>von</strong> Lion (synchron verteilt). Dasselbe passiert,<br />
wenn Jana schon eine Reihe Schokolinsen hat, und Lion sich nun genau gegenüber <strong>von</strong><br />
jeder Schokolinse auch eine legt (assynchron verteilt). Wieder sieht die Reihe ganz genau so<br />
aus. Die Kinder können gerecht verteilen, noch ohne eine Zahl zu kennen.<br />
�Stück-für-Stück-(Eins-zu-Eins)Zu- ordnung<br />
Herstellen <strong>von</strong> gleicher Mächtigkeit<br />
1 Der Artikel beruht auf den Erkenntnissen des „Struktur- und niveauorientierten Lernen“ nach Reinhard Kutzer.
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Wer hat mehr?<br />
Wenn aber die Reihe <strong>von</strong> Lion länger ist und alle Schokolinsen genau gegenüberliegen, dann<br />
hat er mehr als Jana, oder anders ausgedrückt, Jana hat weniger als Lion. Ist keine Reihe<br />
länger und alle Schokolinsen liegen paarweise, dann haben Jana und Lion gleich viele!<br />
�Mächtigkeitsrelation<br />
Beurteilung <strong>von</strong> mehreren Mächtigkeiten<br />
Deine Reihe ist länger, also hast du mehr...<br />
Jana und Lion haben beide eine Reihe Schokolinsen vor sich liegen, immer eins genau<br />
gegenüber dem anderen, also gleich viele. Jana zieht ihre Reihe auseinander und ruft: Schau<br />
Lion, ich habe gezaubert, jetzt habe ich mehr als du! Lion wundert sich. Er staunt und ist<br />
unsicher. Wie hat sie das gemacht? Jana lacht: Habe ich welche dazu gelegt? Lion hat<br />
nichts bemerkt und trotzdem sieht es so aus, als hätte Jana mehr?! Er würde wetten, dass sie<br />
mehr hat! Wenn er sich nur an den „Trick“ erinnern könnte...?! Jana zeigt ihm den „Trick“ und<br />
legt jeweils eine Schokolinse <strong>von</strong> Janas Reihe genau einem <strong>von</strong> seinen gegenüber. Jetzt weiß<br />
er Bescheid. Jana hat ihn angeschmiert. Es stimmt gar nicht, sie hat nicht mehr! Jana lacht:<br />
Egal wie die Elemente liegen, ob weiter auseinander, ob sogar durcheinander, wenn nichts<br />
dazukommt oder weggenommen wird, ändert sich an der Menge nichts. Ich kann ja immer<br />
die Probe machen und alle Elemente in Wirklichkeit oder in Gedanken zurücklegen. Damit<br />
hat Lion Mühe, er kann das kaum glauben, weil es ganz anders aussieht.<br />
�Invarianz<br />
Die Mächtigkeit ist unabhängig <strong>von</strong> der Anordnung<br />
Deine Kekse sind größer, also hast du mehr Kekse...<br />
Jana legt für Lion eine Reihe Kekse, und genau gegenüber legt sie für sich ebenfalls eine<br />
Reihe, immer paarweise, aber vor ihr liegen etwas größere Kekse. Lion protestiert: Du hast<br />
mehr Kekse! Jana schüttelt den Kopf: Pass mal auf! Sie kniet sich auf den Teppich und nimmt<br />
eine Hand voll Luftballons, reiht sie vor Lion auf. Dann ordnet sie Stück-für-Stück vor sich<br />
ebenfalls Luftballons. Lion stellt fest: Gleich viele!<br />
Jetzt bläst Jana ihre Luftballons auf. Die Reihe wird viel, viel länger mit den dicken Ballons.<br />
Wieder ist Lion unsicher. Das sieht doch wirklich viel mehr aus! Nun lässt Jana aus allen<br />
Luftballons die Luft wieder heraus. Die Reihe ist genauso lang wie die <strong>von</strong> Lion. Auch diese<br />
Zauberei kann Lion schwer verstehen.<br />
�Repräsentanz<br />
Die Mächtigkeit ist unabhängig <strong>von</strong> der Eigenschaft<br />
Immer eins mehr ...<br />
Jana ordnet Apfelsinen, eine ins Netz und dann ab in die Kiste mit dem einem Punkt. In das<br />
nächste Netz eine Apfelsine mehr und ab in die Kiste, wo ein Punkt mehr aufgeklebt ist. Und<br />
so macht sie weiter bis Lion ruft: Halt, dieser Beutel ist ja viel dicker! Das stimmt zwar, aber sie<br />
holt alle Apfelsinen aus dem Beutel und zeigt ihm Stück-für-Stück, dass sie mit der Menge der<br />
Punkte auf der Kiste übereinstimmen. Denk an die Luftballons, sagt sie. Egal wie dick die<br />
Orangen sind, entscheidend ist nur, ob es so viele sind wie Punkte auf der Kiste.<br />
�Seriation<br />
Vorgegebene Mengenbilder nach Mächtigkeit ordnen. Jede Menge hat ein Element<br />
mehr oder weniger.<br />
Wenn ich die Zahlen auswendig lerne...<br />
Jana schlägt Lion vor: Wenn wir jetzt die Zahlen auswendig lernen, dann brauchen wir keine<br />
Punkte mehr an die Kiste zu malen. Dann können wir die Position der richtigen Kiste genau<br />
bestimmen. Lion deutet auf die Kisten und zählt eins , zwei, drei, vier, fünf... Jana hat<br />
verstanden, dass die Fünf nicht nur der Name für diese Kiste ist, sondern auch für die Menge<br />
der Orangen in einem Fünfer-Beutel. Dies schließt die Erkenntnis ein, dass in der Fünfer-Menge<br />
auch die Vierer-Menge und die Dreier-Menge... enthalten ist.<br />
�Mengen und Zahlen<br />
Bestimmen und Kennzeichnen der Zahleigenschaft; der Zahlbe - griff kommt <strong>von</strong> der<br />
Zusammen- schau der Elemente. Das deutende Zählen bringt keine neue Erkenntnis.
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Jetzt kann ich Zahlen lesen und schreiben...<br />
Jana und Lion können nun die Zahlen schreiben und lesen. Beide können auch eine Reihe<br />
abzählen. Lion weiß, dass die Vier vor der Fünf beim Zählen seiner Finger kommt, aber er weiß<br />
nie genau, wann die 4, wann die 5 kommt, er muss immer nachzählen . Jana dagegen hat<br />
ein inneres Bild, eine Vorstellung <strong>von</strong> der Verteilung der fünf Finger an einer Hand, <strong>von</strong> den 5<br />
Punkten auf dem Würfel. Sie kann sich vorstellen, dass die Menge 3 weniger Elemente hat als<br />
die Menge 5. Jana braucht in Zukunft beim Umgang mit den Zahlen kaum noch zu zählen,<br />
wenn sie eine Rechenoperation vornehmen soll.<br />
� Gebrauch der Zahlen<br />
Zählen, Abzählen, Größenvergleich, Beziehungsaspekt.<br />
Zahlbegriff als Endprodukt eines Begriffsbildungsprozesses<br />
Nach R. Kutzer ist die Zahl das Endprodukt eines langen Entwicklungprozesses. Der Zahlbegriff<br />
setzt sich allmählich zusammen aus dem Verständnis der Zahl als Kardinalzahl (Erfassen und<br />
Vergleichen der Zahleigenschaft <strong>von</strong> Mengen), als Ordinalzahl (Bestimmen der Position)<br />
sowie dem Beziehungsaspekt <strong>von</strong> Zahlen (Erkennen der Beziehungen zwischen Mengen und<br />
ihren Zahleigenschaften).<br />
Jana würde es so ausdrücken<br />
„Ich habe jetzt ein inneres Bild, eine Vorstellung beispielsweise <strong>von</strong> der 5. Ich habe<br />
verstanden, dass die Zahl 5 das Symbol für eine bestimmte Menge ist, zunächst für meine 5<br />
Finger an einer Hand. Mit den Schokolinsen habe ich gesehen, dass die Zuordnung der Zahl 5<br />
zu einer Menge unabhängig ist <strong>von</strong> der Verteilung der einzelnen Elemente, ob sie nun in einer<br />
Reihe oder durcheinander liegen. Es bleiben auch dann 5 Elemente, wenn sie sehr<br />
unterschiedlich groß wie bei den Luftballons oder sonstwie unterschiedlich beschaffen sind.<br />
Eine fünf hat ein bestimmtes Zeichen, ein Symbol, die 5, und die ist überall gleich, zumindest in<br />
vielen Ländern der Erde.<br />
Eine 5 ist eine 5, egal ob es sich um Finger, Äpfel oder Kinder handelt. Eine 5 ist eine 5, egal<br />
wer wann nachzählt! Und ich habe mit den Apfelsinenbeuteln kapiert, dass die 5 nicht für<br />
einen bestimmten Finger oder für den 5. Platz einer Reihe Schokolinsen steht, sondern die 5<br />
bezeichnet eine Menge, die 5 Elemente enthält, eines mehr als die Menge 4 und eines<br />
weniger als die Menge 6. Außerdem schließt die Menge 5 die Mengen 4, 3, 2, und 1 ein!<br />
Daraus ergibt sich, dass ich die Menge 5 in verschiedene Teilmengen aufteilen und wieder zur<br />
Gesamtmenge 5 zusammenlegen kann.<br />
Also 5 = 4 + 1 oder 3 + 2 oder 2 + 3 oder 1 + 4, aber auch 5 + 0 und 0 + 5! Und wenn ich<br />
<strong>von</strong> der Gesamtmenge 5 eine Teilmenge wegnehme, erhalte ich automatisch die andere<br />
Teilmenge.<br />
Also 5 – 4 = 1 oder 5 – 3 = 2 oder 5 – 2 = 3 oder 5 – 1 = 4 und 5 – 5 = 0, 5 – 0 = 5<br />
Deshalb sind für mich auch Minus-aufgaben gar nicht schwerer als Plusaufgaben. Es sind ja<br />
nur die Umkehraufgaben, wenn ich also die Plusaufgabe wieder rückgängig mache!“<br />
Mit diesen Erkenntnissen kann Jana künftig zunehmend auf den zählenden Umgang mit den<br />
Fingern verzichten. Wohl aber sind ihr die Finger nützliche Begleiter beim Aufschlüsseln der<br />
Mengen <strong>von</strong> 1-10 in Teilmengen. Außerdem hatte sich Jana noch einen besonderen Trick<br />
ausgedacht: Sie hatte sich für jede Zahl eine bestimmte Fingerstellung gemerkt, z.B. eine 7 ist<br />
immer die linke Hand sowie Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Deshalb ist die<br />
Aufgabe 7 + 2 = ? jetzt für Jana kein Problem. Jana legt die 7 mit den Fingern, fügt die<br />
Teilmenge 2 hinzu und hat schnell das Ergebnis.<br />
Und für noch etwas kann Jana die Finger bestens gebrauchen, nämlich für die "berüchtigte"<br />
Zehnerüberschreitung. Jana hat nämlich durch ihren Trick mit den festen Fingerstellungen<br />
bald raus, welche Fingermenge dann <strong>von</strong> ihren 10 Fingern noch verdeckt sind, das heißt, wie<br />
viele sie beim Drücken in der Handinnenfläche noch fühlen kann. Wenn sie 7 Finger legt, fühlt<br />
sie genau, dass sie noch mit 3 Fingern in der Hand drücken kann, also 7 + 3 = 10. Das hilft ihr<br />
sehr, wenn die zu addierende Zahl noch größer ist. 7 + 6 = rechnet sie dann so, dass sie wieder<br />
zuerst die Teilmenge 3 spürt und zum vollen Zehner ergänzt, dann erinnert sie sich daran, dass
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die 6 aus den Teilmengen 3 + 3 zusammengesetzt ist und sie addiert die Teilmenge 3 in einem<br />
dritten Schritt zum vollen Zehner : 7 + 3 ( = 10) + 3 = 13. Die Umkehrrechnung Minus-Aufgaben)<br />
sowie spätere Berechnungen mit höheren Zehnerzahlen werden für Jana kaum Probleme<br />
bringen.<br />
Ganz anders wird es Lion gehen<br />
Es kann sein, Lion hat große Mühe, sich eine bestimmte Menge vorzustellen. Deshalb muss er<br />
immer erst zählen. Es könnte aber auch sein, dass er dieses Problem der inneren Vorstellung<br />
nur mit abstrakten Symbolen wie den Zahlen ( vielleicht nur mit den Zahlen, vielleicht auch mit<br />
den Buchstaben) hat, nicht aber mit Gegenständen oder Bildern, weniger auch bei Mengen.<br />
Dann fällt es Lion schwer, sich die Gestalt der Zahl, des Schriftzeichens vorzustellen, er kann es<br />
nicht visualisieren. Das ist eine Aufgabe der Augen und der Verarbeitung dieser Informationen<br />
im Gehirn (visuelle Wahrnehmungsverarbeitung). Schwierigkeiten in diesem Bereich werden<br />
erst deutlich, wenn Lion die Zahlen lesen muss, wenn er nach der Uhrzeit gefragt wird, oder<br />
wenn er die ersten schriftlichen Rechenoperationen durchführen soll.<br />
Glück hat Lion, dass er die Namen der Zahlen so schnell merken konnte. Somit machen seine<br />
Ohren ihren Job gut (auditive Wahrnehmung). Lion kann sich immer wieder an den Klang des<br />
Namen für die 5 erinnern. Wenn ihm der Name mal nicht gleich einfällt, überlegt er kurz, wie<br />
sich die Fünf im Mund anfühlt: am Anfang des Namens gehen die Zähne des Oberkiefers auf<br />
die Unterlippe und blasen kräftig Luft durch, dann muss er den Mund ganz spitz machen, kurz<br />
mit der Zunge den Oberkiefer berühren und am Ende wieder die Luft durch Zähne und<br />
Unterlippe pusten. Er hat im Spiegel genau beobachtet, was der Mund bei der fünf macht.<br />
Vielleicht liegen Lions Probleme im Bereich der Gedächtnisfunktionen. Möglicherweise hat er<br />
ein gutes Kurzzeitgedächtnis, kann aber Gedächtnisinhalte nicht über längere Zeit festhalten.<br />
So muss er deshalb immer wieder neu nachzählen. Das bereitet ihm besondere Probleme,<br />
wenn er zu einer vorgegebenen Zahl, zum Beispiel 5, noch 6 addieren soll. Gerade die<br />
Zwischensummen kann er sich nie merken. Immer muss er neu zählen..!<br />
Gedächtnisprobleme, aber auch Probleme mit der Integration der verschiedenen<br />
Wahrnehmungen wirken sich sehr hinderlich aus, wenn Lion alle Informationen, die auf den<br />
verschiedenen (Wahrnehmungs-)Kanälen ankommen, sortieren, gewichten und miteinander<br />
verknüpfen soll. Manchmal geht es in seinem Kopf ganz schön munter zu.<br />
Achtung Zentrale<br />
Da melden die Augen: Achtung Zentrale, haben soeben eine Menge Schokolinsen gesichtet!<br />
Die Ohren hören den Lehrer fragen: Wie viele Schokolinsen sind das? Und was passiert, wenn<br />
du 3 wegnimmst? Schreibe eine Aufgabe?<br />
Gehirn: oh je, keine Ahnung!<br />
Zunge an Zentrale: Große Lust, alle zu futtern!<br />
Zentrale an Geschmackszellen: Ruhe da!<br />
Ohren an Zentrale: Wie hießen noch die Namen der ersten Zahlen?<br />
Zentrale an Ohren: Eins, zwei, drei vier, fünf...!<br />
Zentrale an Finger: Zeigefinger ausfahren und einzeln antippen, ohne sie dabei<br />
durcheinander zu schieben.<br />
Augen an Zentrale: Wo hatten wir grade angefangen zu zählen?<br />
Zentrale an Augen: Konzentriert euch, sonst macht der Lehrer Ärger! Merkt euch die Farbe<br />
des ersten!<br />
Nase an Zentrale: Riecht verdammt gut nach Schokolade!<br />
Zunge: Stimmt. Frage an Zentrale: Heißt "3 wegnehmen" essen?<br />
Gehirn an alle: Klappe! Wie viele Schokolinsen sind es denn jetzt?<br />
Beine an Zentrale: Dauert noch einen Moment. Eben ist eine Schokolinse abgetaucht, liegt<br />
unterm Tisch, suchen auf Knien das Gelände ab, Objekt gesichtet.<br />
Augen und Ohren an Zentrale: insgesamt sind es 8 Schokolinsen.<br />
Hand an Zentrale: Reserviere mir grade mal 3 an die <strong>Seite</strong>! Finger zählt jetzt den Rest!
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Augen an Zentrale: Schokolinsen liegen wie auf dem Würfel: in jeder Ecke eins und in der<br />
Mitte eins. Frage an Ohren: Wie klingt der Name für dieses Bild?<br />
Ohren an Zentrale: Fünf!<br />
Hand an Zentrale, Zentrale an Augen: Und wie sieht das Symbol fünf aus? Augen an Zentrale,<br />
Zentrale an Hand: Oben rechts anfangen, waagrecht nach links, dann senkrecht...<br />
Hand an Gehirn: Stopp! Zentrale, wo bitte ist links???<br />
Zentrale an Augen, Augen an Hand: Du bist Rechtshänder, schreibst mit rechts, also ist links<br />
auf der anderen <strong>Seite</strong>!<br />
Hand an Augen: Danke, weiter mit der Zahl.<br />
Augen an Hand: Jetzt senkrecht nach unten, dann im Bogen nach rechts unten.<br />
Hand an Zentrale: Geschafft!<br />
Zentrale an Augen: Hallo Augen, richtig so?<br />
Augen: OK!<br />
Zentrale an alle: Operation beendet. Anstrengend für alle?! Wann ist Pause?????<br />
Kaum zu glauben, wie viele Zwischenschritte solch eine kleine Aufgabe nötig macht, die aber<br />
bei den meisten Kindern, nach einigem Üben, wie automatisch ablaufen. Sie werden gar<br />
nicht mehr bewusst wahrgenommen. Wie viel komplizierter ist die Sache für die Kinder, bei<br />
denen ein (Wahrnehmungs-)Kanal "verstopft" ist, oder wo er nicht richtig mit den anderen<br />
Kanälen verkabelt ist oder wo er die Informationen "in einem anderen Format" weitersendet?!<br />
Mal ganz abgesehen <strong>von</strong> den vielfältigen Ursachen für Probleme der Konzentration und der<br />
gerichteten Aufmerksamkeit!<br />
Was ist diesen Kindern zu raten?<br />
Was könnte Lion helfen?<br />
Am Anfang steht die genaue Beobachtung, die Fehleranalyse, die Diagnostik.<br />
Wir erinnern uns: Lion hält gegen jegliches Lehrerbemühen an der Strategie fest, mit der<br />
zunächst für fast alle Schüler die ersten arithmetischen Aufgaben zu bewältigen suchen: er<br />
zählt. Er weiß, dass er im Zahlenraum 1 - 20 damit noch zurechtkommt und dass er mit etwas<br />
Routine auch nicht viel langsamer als die anderen ist. Das ändert sich aber schnell, wenn die<br />
Zahlen größer werden. Nehmen wir an, Lion hat eine Schwäche im Bereich visuellen<br />
Operierens. Wie kann er lernen, sich die Finger oder anderes Material vorzustellen, es zu<br />
strukturieren, vom konkreten Material in die Vorstellung umzusetzen und die Lösung<br />
abzulesen?<br />
Für Lion ist es ganz wichtig, dass der Übergang vom Konkreten zur Anschauung in kleinsten<br />
Schritten geübt wird. Bei ihm muss die Fähigkeit, Objekte, Mengen in der Vorstellung zu<br />
reproduzieren und mit ihnen zu operieren, erst ausgebildet werden. Folgende Hinweise für die<br />
Förderung sind zu beachten:<br />
• Kein Umgang mit Zahlen, bevor Lion die Zahlen nicht verstanden hat!<br />
• Vielerlei Übungsschritte zur Erfassung <strong>von</strong> Gesamt- und Teilmengen. Dabei kann Lion die<br />
Finger benutzen.<br />
• Generalisierung auf andere Materialien; Lion versteht, a) es ist immer so, b) ich kann es mit<br />
anderen Materialien überprüfen und c) es ist auch mit Symbolen, Zahlen so.<br />
• Verbale Begleitung der am Material ausgeführten Operationen (Vollständig, konkrete<br />
Mengenoperation)<br />
• Beschreibung der Operationen, die in der versteckten Hand oder unter einem Tuch<br />
vollzogen, aber kurz gezeigt werden (teilweise vorgestellte Mengenoperation)<br />
• Selbsttätiges Vollziehen der verdeckten Handlungen unter dem Tuch und Verbalisierung<br />
(vollständig vorgestellte Mengenoperation)<br />
• Darstellung der Operation (+ oder -) in einem Bild<br />
• Für die Erfassung des Zahlenraums ist die Fünferzäsur <strong>von</strong> wichtiger Bedeutung. So kann<br />
die Fünf bei der Zerlegung die Funktion eines Stützpunktes übernehmen, Lion kann sie<br />
leicht erkennen.<br />
• Zahlenraum bis 10 auf keinen Fall zu frühzeitig verlassen; er muss gefestigt, automatisiert<br />
werden.<br />
• Nicht jedes Material ist hilfreich. Bestimmte Materialien können uneffektive, zählende<br />
Lösungsstrategien geradezu verfestigen. So unterstützen die Steckwürfel, der Zahlenstrahl
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oder einzelne Rechenplättchen geradezu die Vorstellungen, dass man beim Addieren in<br />
Einerschritten weiter zählen muss.<br />
• Differenzieren heißt nicht ein "Mehr" an Materialien, sondern die bewusste Auswahl unter<br />
Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen dieses Kindes.<br />
• Je mehr Sinne in den Lernprozess eingebunden sind, um so mehr kommen die starken und<br />
die schwachen Sinne zum Zuge und üben das Zusammenspiel, die Integration der<br />
Wahrnehmungsfunktionen.<br />
Spiele und Übungsmaterialien, die Lion empfiehlt, weil sie besonderen Spaß machen ( und<br />
weil sie sich für den verstehenden Umgang mit den Zahlen 1 bis 10 besonders eignen):<br />
Für's Gedächtnis allgemein<br />
• Koffer packen (Besonders für Wartezeiten z. B. im Auto empfehlenswert! Jeder denkt sich<br />
einen Gegenstand aus und fügt ihn hinzu, die lange Liste muss jedes Mal <strong>von</strong> Anfang an<br />
aufgezählt werden)<br />
• Einkaufen ohne Einkaufszettel, als Spiel oder wirklich<br />
• Schatzsuche (Der Schatz, ein bemalter Stein etwa, wird versteckt und Lion wird erklärt, wo<br />
er zu finden ist: Öffne die rechte Tür vom Schrank im Schlafzimmer, ziehe die dritte<br />
Schublade <strong>von</strong> oben auf....)<br />
Zur visuellen Erinnerung<br />
• Memory jeglicher Art; Lion malt oder beklebt auch gerne selber Karten<br />
• Detektiv-Spiel (Sag' Lion, trug die Verkäuferin vorhin eine Brille? Welche Farbe hatte heute<br />
die Hose der Lehrerin? und nun bist du dran...)<br />
• Bauzeichnung für ein Lego-Haus anfertigen oder die Einrichtung <strong>von</strong> Lions Zimmer<br />
aufmalen<br />
Zum verstehenden Umgang mit Zahlen<br />
• Hüpfkästchen (Das ist zwar eigentlich Kinderkram, aber Lion rechnet besonders gerne mit<br />
dem ganzen Körper; beim Hüpfen sagt er immer die Zahl laut vor sich hin, auch beim<br />
Rückwärtsgang!)<br />
• Büchsen werfen ( mit kleinen Mengen beginnen, "zuerst waren es 5, jetzt....)<br />
• Schüttelbox ( 5 Kugeln sind in der Box, vorne sehe ich 3, wie viele sind hinten?<br />
• Ratespiel ( 5 Kugeln hatten wir, ich verteile sie hinterm Rücken in beiden Händen, in der<br />
linken Hand habe ich jetzt 3, in der anderen...?)<br />
• Der Eierkastenbus ( 10 Plätze für playmobil-Personen, an der ersten Station - Deckel auf -<br />
steigen 5 Personen ein - Deckel zu. An der nächsten Station steigen 3 dazu, wieviele sind<br />
jetzt..)<br />
• Fahrradschlauch-Fühlen (Schlauch mit 10 dicken Kugeln füllen, etwas Bewegungsfreiheit<br />
lassen, abbinden und los geht's: links fühle ich drei Kugeln, dann sind rechts.....?)<br />
• Zauberkiste ( Karton mit abnehmbarem Deckel, im Deckel Loch <strong>von</strong> 10cm; damit hat Lion<br />
besonders gut die Aufgaben mit dem Platzhalter kapiert: � + 3 = 7 )<br />
• Rechenwaage ( die Teilmengen 3 und 4 auf der rechten Waagschale sind genau so<br />
schwer wie die Gesamtmenge 7 auf der linken Waagschale.<br />
• Zahlenhaus ( Im Dach steht die Gesamtmenge, z.B. 10; in den Etagen unter dem Dach<br />
stehen die Nachbarn: 3 und 7 oder 4 und 6....).<br />
Lion meint, er ist auf dem richtigen Weg und er wünscht allen Kindern gute Erfolge mit seinen<br />
Vorschlägen. Natürlich würde er sich riesig freuen, wenn sich jemand ( <strong>von</strong> den ErzieherInnen<br />
oder PädagogInnen zum Beispiel ) meldet, der auch gute Vorschläge <strong>von</strong> anderen Kindern<br />
hat?!<br />
aus: Heike Duill: „Von Fingern- und anderen Erbsenzählern“ - Verstehender Zugang in die<br />
Mathematik Aufbau eines Zahlen- und Mengenbegriffs.<br />
http://web.archive.org/web/20040718075555/http://www.erziehungshilferoedelheim.de/texte/<strong>von</strong>_finger.doc<br />
vom 16. 02. 2008 17. 14 Uhr (bitte den Link <strong>von</strong> Hand<br />
komplett markieren und eingeben. Die *.pdf Datei trennt den Link in zwei Links: archive.org<br />
und erziehungshilfe-roedelheim.de und dann klappt es nicht!)