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panische Jünglinge noch in der Schule sitzen, wenn - Sophie

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aller Schriften, wodurch <strong>der</strong> Unterricht so sehr verzögert wird, daß ja<strong>panische</strong><br />

<strong>Jüngl<strong>in</strong>ge</strong> <strong>noch</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>sitzen</strong>, <strong>wenn</strong> ihre Altersgenossen bei<br />

uns ihrem Doktorat entgegengehen. Nach <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Charaktere, die e<strong>in</strong><br />

Japaner lesen kann, wird se<strong>in</strong>e Bildung bemessen. Das nie<strong>der</strong>e Volk br<strong>in</strong>gt es<br />

auf etwa zwei=, e<strong>in</strong> Gelehrter auf vier=, e<strong>in</strong> Weiser auf sechstausend. Im<br />

ganzen soll es ungefähr zehntausend Schriftzeichen geben. Die Zeitung<br />

beschränkt sich auf zweitausend Lettern; die neue<br />

Setzmasch<strong>in</strong>e umfaßt sechzehnhun<strong>der</strong>t, e<strong>in</strong>e Zahl, auf welche das<br />

Unterrichtsm<strong>in</strong>isterium auch den<br />

Volksschulunterricht e<strong>in</strong>dämmen<br />

will. Diese Schriftzeichen s<strong>in</strong>d<br />

se<strong>in</strong>erzeit von Ch<strong>in</strong>a übernom= men<br />

worden, so daß Ch<strong>in</strong>esen und<br />

Japaner, die e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> beim Sprechen<br />

nicht verstehen, mit= e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

schriftlich verkehren.<br />

Um auch dem e<strong>in</strong>fachsten Kuli<br />

die Lektüre <strong>der</strong> Zeitung zu<br />

ermöglichen, druckt die Zeitung<br />

jede Zeile doppelt, für die Ge=<br />

bildeten mit den ch<strong>in</strong>esischen<br />

Schriftzeichen, für die Tiefer=<br />

stehenden darunter mit den sechs=<br />

unddreißig Silbenzeichen des ja=<br />

<strong>panische</strong>n Katakana, allerd<strong>in</strong>gs nur<br />

<strong>in</strong> stecknadelkopfgroßem For= mat.<br />

(Die Frauen pflegen ihre Briefe <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er <strong>noch</strong> leichteren Schrift, dem<br />

Hirakana, zu schrei= ben.) Durch<br />

Weglassung desKa= takana bei<br />

e<strong>in</strong>zelnen Artikeln ist<br />

Gelegenheit gegeben, e<strong>in</strong>en für<br />

Höherstehende ausgewählten Inhalt<br />

zu bieten. Die Zeitung, die sonst<br />

sehr freiheitlich auftritt, gibt sich zu<br />

solcher Zensur her, weil die<br />

Bevormundung dem ganzen Volk<br />

im Blute liegt.<br />

Endlich f<strong>in</strong>det die Journalistenbegrüßung, die sich <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Nachmittagsempfang verwandelt hat, den<strong>noch</strong> statt und zwar im Imperial=<br />

Hotel. In dem kle<strong>in</strong>en Salon s<strong>in</strong>d fünfzehn jüngere Herren versammelt<br />

und je<strong>der</strong> gibt mir se<strong>in</strong>e Visitkarte, auf <strong>der</strong> Name und Adresse auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Seite <strong>in</strong> englischer, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n <strong>in</strong> ja<strong>panische</strong>r Schrift gedruckt s<strong>in</strong>d. Die<br />

Sitte <strong>der</strong> stets gezückten Visitkarte hat ihre Ursache wohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gleichartig= keit<br />

so vieler Namen, die man näher bestimmt, <strong>in</strong>dem man irgende<strong>in</strong> Wort als<br />

Vornamen wählt. Ich weiß von e<strong>in</strong>em Japaner, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e ersten vier Töchter<br />

nach den Jahreszeiten und zwei weitere Sonne und Mond nannte.<br />

Von den Herren kenne ich die meisten bereits. S<strong>in</strong>d es doch die <strong>in</strong> den<br />

Hotels verkehrenden sogenannten »Fremdenreporter«, übrigens die unterste<br />

Sorte ja<strong>panische</strong>r<br />

geläufigsten engüsehen dem<br />

Kreuzverhör<br />

Österreich fallen<br />

wieviel Gehalt<br />

sehe Präsident<br />

ziehe. Und es<br />

europäischen nen<br />

des Ent= unter<br />

me<strong>in</strong>em<br />

Zeitungen das<br />

1vIassen<strong>in</strong>ter= ich<br />

hätte Japan<br />

besucht, um e<strong>in</strong><br />

Österreich anzu=<br />

mißlungen sei. Fast<br />

sich ungefähr auf<br />

Sachkenntnis. - - - Herren<br />

ihre Blitzlicht= komisch ich<br />

dieses fort f<strong>in</strong>de, es macht<br />

mir doch<br />

Journalisten, die nur die<br />

Phrasen radebrecht. In<br />

über die Zustände <strong>in</strong><br />

Fragen, wie etwa,<br />

»<strong>der</strong> österreiehi=<br />

Masaryk« be=<br />

entlockt me<strong>in</strong>en<br />

Freunden Trä><br />

zückens, als<br />

Bilde <strong>in</strong> den<br />

Ergebnis des<br />

views steht<br />

schon e<strong>in</strong>mal<br />

Bündnis mit<br />

bieten, was aber<br />

alle Berichte halten<br />

ähnlicher Höhe <strong>der</strong><br />

Natürlich br<strong>in</strong>gen die<br />

photographen mit. So<br />

währende Photographieren<br />

e<strong>in</strong>en ziemlich tiefen E<strong>in</strong>=<br />

druck, daß uns die fertigen Abzüge <strong>noch</strong> während unseres Beisammense<strong>in</strong>s<br />

übergeben werden. Alles was mit dem Zeitungsbetrieb zusammenhängt, hat sich<br />

von ja<strong>panische</strong>r Langsamkeit losgemacht und e<strong>in</strong>em amerikanischen Tempo<br />

angepaßt. Das Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> dieser übernommenen Fixigkeit mit <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>geborenen Gemächlichkeit zeigt sich gleich darauf, als e<strong>in</strong>e zufällig im<br />

Hotel weilende Journalist<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geladen werden soll, mit uns Tee zu tr<strong>in</strong>= ken.<br />

M<strong>in</strong>destens zehn M<strong>in</strong>uten lang dauert die Ansprache an das zierliche<br />

Mädchen im Kimono, um welches alle im Kreise halbgebeugt herumstehen.<br />

In <strong>der</strong> Hochstimmung für Österreich hat <strong>der</strong> Vertreter des »Hochi« die<br />

4 8 Alice Schalek, Japan. 4 49


Veranstaltung me<strong>in</strong>es geplanten Vortrages für Wiener Wohlfahrts=<br />

4 8 Alice Schalek, Japan. 4 49


zwecke übernommen. Das Informationsbureau telephoniert mir täglich, es sei<br />

dies o<strong>der</strong> jenes mit dem Reporter, se<strong>in</strong>em Protektionsk<strong>in</strong>d, zu be= sprechen;<br />

komme ich aber zur angegebenen Zeit h<strong>in</strong>, so ist <strong>der</strong> Journalist meist <strong>noch</strong><br />

nicht o<strong>der</strong> nicht mehr da. Stunden und Stunden, <strong>in</strong> denen Ka= wado mich bis<br />

zur Bewußtlosigi{eit ausfragt, verwarte ich nutzlos. Me<strong>in</strong>e Freunde warnen<br />

mich, ich würde schließlich nichts von all <strong>der</strong> Mühe haben, denn <strong>der</strong> Ertrag<br />

dürfte für Spesen aufgehen. Ich aber will sehen, welchen Verlauf die Sache<br />

nimmt. Auf me<strong>in</strong> gereiztes Drängen h<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gt <strong>der</strong> Reporter endlich nach<br />

Wochen den Vergnügungsdirektor se<strong>in</strong>es<br />

Blattes mit, <strong>der</strong> mir erklärt, daß <strong>in</strong> Japan jede Veranstaltung, bei <strong>der</strong> man<br />

E<strong>in</strong>trittsgeld erheben wolle, m<strong>in</strong>destens vier Stunden dauern müsse und daß e<strong>in</strong><br />

Vortrag ohne Musik, Tanz und Gesang ausgeschlossen sei. Den etwas<br />

weniger fahrigen und aalglatten Worten dieses wirklich zuständigen Mannes<br />

entnehme ich, daß <strong>der</strong> erste Herr sich nur wichtig ge= macht, aber gar ke<strong>in</strong><br />

Recht gehabt habe, mich aufzufor<strong>der</strong>n. Das japa= nische Auskunftsmittel:<br />

»h<strong>in</strong>halten, so lange es geht«, sollte die Ent= deckung, daß er es sich trotzdem<br />

angemaßt habe, sowohl <strong>der</strong> Redaktion wie mir gegenüber h<strong>in</strong>ausschieben.<br />

Verwun<strong>der</strong>licherweise nimmt ihm dies we<strong>der</strong> se<strong>in</strong> Kollege <strong>noch</strong> Kawado übel,<br />

nicht e<strong>in</strong>mal das Auswärtige Amt.<br />

Ich lasse mich nicht abhalten, die über Sibirien gekommenen, ehe= maligen<br />

österreichischen Kriegsgefangenen, die sich durch ihre klassischen<br />

Symphoniekonzerte im Imperial=Hotel <strong>in</strong> Tokio e<strong>in</strong>en Namen gemacht haben,<br />

so daß sie jetzt den allabendlichen Foxtrott an e<strong>in</strong> eigenes ameri= kanisches<br />

Tanzorchester abgeben durften, sowie e<strong>in</strong>en Grazer Amateur= pianisten zur<br />

unentgeltlichen Mitwirkung zu werben. Die For<strong>der</strong>ung aber, daß e<strong>in</strong>e<br />

blondlockige Dame s<strong>in</strong>gen und tanzen solle, kann ich nicht er= füllen, denn die<br />

österreichische Kolonie <strong>in</strong> Tokio ist augenblicklich frauen= los. Dieser Wunsch<br />

wird dadurch erklärlich, daß ke<strong>in</strong>e Abstufung <strong>in</strong> das tiefe Ebenholzschwarz<br />

<strong>der</strong> ja=<br />

<strong>panische</strong>n Haare, ke<strong>in</strong>e Welle <strong>in</strong><br />

ihre Glätte die ger<strong>in</strong>gste Ab=<br />

wechslung br<strong>in</strong>gt. Blonde Euro=<br />

päerk<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen deshalb nie=<br />

mals unbeschenkt aus e<strong>in</strong>em<br />

Laden fort.<br />

Um mit den zwei Redakteur<br />

ren zu e<strong>in</strong>em Ende zu kommen,<br />

gehe ich endlich direkt <strong>in</strong> die<br />

Redaktion des »Hochi«, wo ich<br />

<strong>in</strong> das typische Wartezimmer<br />

geführt werde, das <strong>in</strong> jedem Ge=<br />

schäftslokal, auch bei Banken o<strong>der</strong><br />

Weltfirmen, aus e<strong>in</strong>er ab=<br />

getrennten, durch e<strong>in</strong>en Gas= ofen<br />

unerträglich überheizten<br />

Fensternische besteht, <strong>der</strong>en<br />

schmutziger Tisch meist waek=<br />

lige Be<strong>in</strong>e hat. Die beiden<br />

Herren setzen sich zu mir und<br />

wir warten. Worauf eigentlich?<br />

Das Englisch <strong>der</strong> beiden ist<br />

armselig, aber Japaner ver= stehen oft so viel Englisch, als ihnen eben paßt,<br />

und s<strong>in</strong>d mitunter viel weniger begriffstützig, als sie es im Augenblick gerade<br />

sche<strong>in</strong>en wollen. Mit <strong>der</strong> Zeit stellt sich heraus, daß wir auf gar nichts<br />

warten. Sie s<strong>in</strong>d gekommen, mich <strong>in</strong> den Festsaal h<strong>in</strong>aufzuführen, aber sofort<br />

nach <strong>der</strong> Begrüßung aufzustehen, gilt hier als unanständige Hast. Wir<br />

besichtigen nun die E<strong>in</strong>richtungen zur Vorführung <strong>der</strong> Lichtbil<strong>der</strong> und<br />

verbr<strong>in</strong>gen dort mit dem Mechaniker e<strong>in</strong>en ganzen Vormittag. Aber e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten Bescheid kann ich nicht bekommen.<br />

Innigst wünschte ich zu wissen, ob die Leute me<strong>in</strong>en Vortrag wollen<br />

50 4* 5I


und bloß so unendlich schwerfällig s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> ob ich so lange <strong>in</strong>i ungewissen<br />

gehalten werden solle, bis ich von selbst zurücktrete.-Nach unseren<br />

Anschauungen wäre ja e<strong>in</strong> ehrliches: »Es geht nicht!« tausendmal höflicher<br />

als diese Beschlagnahme me<strong>in</strong>er Zeit und me<strong>in</strong>er Nerven, aber me<strong>in</strong>e<br />

Freunde behaupten, be: Abschluß jedes Geschäftes, jedes Vortrages sei<br />

dieser Schmerzensweg zu durchlaufen. Wolle <strong>der</strong> Japaner ablehnen, so<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>e ihn se<strong>in</strong>e Erziehung, geradewegs »ne<strong>in</strong>« zu sagen, ja, er nehme es<br />

den Weißen übel, daß sie ohne Herumgerede ihre Me<strong>in</strong>ung aussprechen, wolle<br />

er aber abschließen, so solle <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e erst mürbe gemacht werden.<br />

Endlich zw<strong>in</strong>ge ich den Herren die feste Zusage ab, sich bis zu e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Datum zu entscheiden. Wäre es doch fast vorzuziehen gewesen,<br />

das auf <strong>der</strong> Straßenbahn verfahrene Geld den Wiener K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu<br />

schicken. Am festgesetzten Tage b<strong>in</strong> ich pünktlich da, aber ich werde<br />

gebeten, am nächsten Tage wie<strong>der</strong>zukommen. Dann endlich heißt es nach<br />

längerem Achselzucken und lächelndem Bedauern: Ohne Tanz und<br />

»blondgeloekten Damengesang« gehe es nicht. Aber am meisten verblüfft<br />

mich die letzte Begründung <strong>der</strong> Ablehnung: »Wir hatten zur Vorbereitung<br />

nicht genug Zeit!«<br />

* *<br />

Die Hochachtung vor Japan ist <strong>in</strong> dem Augenblicke wie<strong>der</strong>hergestellt, da<br />

ich Herrn Matsuoka vom »Nichi Nichi« kennenlerne und unter se<strong>in</strong>er Führung<br />

das Zeitungsgebäude besichtigen darf.<br />

Ist die geistige E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Presse, die zur Gänze aus<br />

Amerika übernommen wurde, <strong>der</strong> unsrigen wesensfremd, so ist die<br />

technische <strong>der</strong> europäischen um viele Jahre voraus. Auch nicht annähernd<br />

können unsere Zeitungen den Vergleich mit den Schwesterzeitungen »Nichi<br />

Nichi« und »Osaka Ma<strong>in</strong>ichi« und mit dem »Asahi« aufnehmen, die jede <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Hauptstadt ihren Riesenpalast haben, trotzdem sie dort nur Filialen <strong>der</strong><br />

Hauptstellen <strong>in</strong> Osaka unterhalten.<br />

In jedem <strong>der</strong> durch mehrere Lifts und Paternosteraufzüge verbundenen<br />

Stockwerke des »Nichi Nichi«-Palastes, <strong>in</strong> dem schon am Tage nach dem<br />

Erdbeben <strong>der</strong> Betrieb wie<strong>der</strong> aufgenommen wurde, liegt e<strong>in</strong> Saal, <strong>der</strong> so groß<br />

ist, daß man von e<strong>in</strong>em Ende die Vorgänge am an<strong>der</strong>n nicht mehr deutlich<br />

beobachten kann. Im Erdgeschoß bildet er den Arbeitsraum für das<br />

Anzeigenwesen, die f<strong>in</strong>anzielle Verwaltung und den Blätterverkauf, im ersten<br />

Stock für die Redakteure, <strong>der</strong>en es je zwei für Kunst und Literatur, auswärtige<br />

Telegramme, Lokalnachrichten, Börse, Wirtschaft, Poli<br />

tik, soziale Fragen, Gesellschaftliches und Parlament gibt, für letzteres außerdem<br />

mehrere, die ihren Sitz im Reichsrat haben. Zwei halten ab. wechselnd Dienst<br />

bei e<strong>in</strong>er Riesenkarte von Tokio und haben bei je<strong>der</strong> Telephonnachricht über<br />

e<strong>in</strong> Feuer, e<strong>in</strong>en Mord, e<strong>in</strong>en Straßenskandal den Redakteur zu<br />

verständigen, <strong>der</strong> <strong>in</strong> dem betreffenden Bezirke amtiert. Nur <strong>der</strong> Chefredakteur<br />

arbeitet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abgeschlossenen Raum, die an<strong>der</strong>en haben ihre festen Plätze<br />

<strong>in</strong> dieser Mammuthalle, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es zugeht wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bahnhof. Aber Herrn<br />

Matsuoka ist dieser Betrieb so un= entbehrlich geworden, daß er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stille<br />

se<strong>in</strong>es Heimes nicht mehr arbeiten kann. Der Börsendienst<br />

hat e<strong>in</strong>e von <strong>der</strong> Zentrale un= abhängige direkte Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong><br />

Börse, während die übrigen Fernsprecher von e<strong>in</strong>er Hauszentrale bedient<br />

werden, die mir als Triumph des Höchstbetriebes ersche<strong>in</strong>t. Nach wie=<br />

<strong>der</strong>holten Bittgesuchen ist dem 'Niehi Nichi« endlich e<strong>in</strong> Pri= vatdraht nach<br />

Osaka bewilligt worden, an dessen<br />

beiden Enden Tag und Nacht je<br />

zwei Beamte Dauerdienst haben.<br />

Der e<strong>in</strong>e hört und wie<strong>der</strong>holt, <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e<br />

stenographiert. Der ganze<br />

»Osaka Ma<strong>in</strong>ichi« wird täglich<br />

nach Tokio herüberdiktiert,<br />

während nach Osaka, das mehr die<br />

wirtschaftlichen Inter= essen <strong>der</strong><br />

südlichen Prov<strong>in</strong>z berücksichtigen<br />

muß, nur e<strong>in</strong> Auszug aus den<br />

Tokioter Lokalnachrichten und <strong>der</strong><br />

Politik, die <strong>in</strong> dem Blatte <strong>der</strong><br />

Haupt= stadt breitere Behandlung<br />

f<strong>in</strong>den, h<strong>in</strong>übergegeben wird.<br />

Dieser Text wird auch an die<br />

Filialen <strong>in</strong> Kobe, Kyoto und Moji<br />

telephoniert und den dort hergestellten lokalen Teilen angefügt. Die beiden<br />

Hauptzentralen <strong>in</strong> Osaka und Tokio br<strong>in</strong>gen täglich sieben Ausgaben heraus und<br />

verwenden je sechs Lastautos zur Verfrachtung an die Bahn; zusammen<br />

erreichen sie e<strong>in</strong>e Auflage von e<strong>in</strong>er Million Blättern. Über zweitausend<br />

Angestellte, u von dreihun<strong>der</strong>t Redakteure, unterstehen e<strong>in</strong>em Präsidenten, <strong>der</strong><br />

nicht selbst Journalist, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> repräsentative Chef <strong>der</strong> Verwaltung ist.<br />

E<strong>in</strong> eigenes Telegraphenbureau, e<strong>in</strong>e eigene drahtlose Station, e<strong>in</strong><br />

imponierendes photographisches Atelier mit allen mo<strong>der</strong>nen Apparaten und e<strong>in</strong><br />

Heer von Fachleuten, e<strong>in</strong>e Registratur <strong>in</strong>= und ausländischer<br />

52 53


Photographien, e<strong>in</strong>e bedeutende Bibliothek, e<strong>in</strong>e Küche und e<strong>in</strong> Speise= Saal<br />

für die Angestellten - diese E<strong>in</strong>zelheiten des Betriebes können wir uns auch <strong>in</strong><br />

Europa <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Zeitung vorstellen. Aber e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>o,<br />

welches den ganzen Tag jedem Gast <strong>der</strong> Zeitung unentgeltlich geöffnet ist,<br />

mit den allerneuesten Kulturfilmen, welche die Zeitung selbst aufnehmen läßt<br />

und zu denen sie e<strong>in</strong>en Erklärer beistellt, kennt man als Reklamemittel <strong>der</strong><br />

Presse kaum irgendwo <strong>in</strong> Europa. In me<strong>in</strong>er Gegenwart legt <strong>der</strong> Sprecher die<br />

Aussichten für das all= geme<strong>in</strong>e Wahlrecht <strong>in</strong> dieser Session dar und zeigt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Film die Köpfe <strong>der</strong> Abgeordneten, die dafür, und <strong>der</strong>jenigen, die<br />

dagegen s<strong>in</strong>d; an <strong>der</strong> nachher abrollenden Aufnahme e<strong>in</strong>er englischen Fabrik<br />

macht er auf die Raschheit <strong>der</strong> Bewegungen weißer Arbeiter aufmerksam.<br />

Außerdem gibt es weite Ausstellungshallen mit Musik<strong>in</strong>strumenten,<br />

Büchern, Handarbeiten und Bil<strong>der</strong>n <strong>in</strong> übersichtlichen, geistig geordneten<br />

Gruppen, die ebenfalls unentgeltlich zugänglich s<strong>in</strong>d und den Künstlern<br />

unübertreffliche Gelegenheiten zu Verkäufen und Bestellungen br<strong>in</strong>gen. In den<br />

großen Sälen f<strong>in</strong>den politische Versammlungen, Tanzszenen,<br />

Musikaufführungen und Lichtbil<strong>der</strong>vorträge statt -- heute wird e<strong>in</strong>er über Ch<strong>in</strong>a<br />

gehalten, nachdem das Publikum durch e<strong>in</strong>e Ausstellung von ch<strong>in</strong>esischer<br />

Kunst, Möbeln, Porzellan, Volkstrachten, Tempel= e<strong>in</strong>richtungen, Spielzeug<br />

und Stickerei geführt worden ist. An ch<strong>in</strong>e= sischen Eßtischen <strong>sitzen</strong><br />

ch<strong>in</strong>esisch kostümierte Puppen vor allerlei ch<strong>in</strong>esischen Gerichten. E<strong>in</strong><br />

Raum dient belehrenden bildlichen Darstellungen mo<strong>der</strong>ner<br />

ja<strong>panische</strong>rAnstalten und Plakaten über dasVerkehrs= Wesen, zum Beispiel wird<br />

heute hier das großartige ja<strong>panische</strong> Schnellschiff,<br />

das <strong>in</strong> vierundzwanzig Stunden von Nagasaki nach Shanghai rennt, mit<br />

allen se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>richtungen gezeigt. Und all das ohne E<strong>in</strong>trittsgebühr.<br />

Den ganzen Betrieb erhalten die Anzeigen, die <strong>in</strong>folgedessen sehr teuer<br />

s<strong>in</strong>d. Die Zeitung selbst ist als Volkslektüre außerordentlich billig.<br />

Durch e<strong>in</strong>e Bar kommt man zu <strong>der</strong> letzten Treppe, die auf den<br />

Dachgarten h<strong>in</strong>aufführt, von wo sich e<strong>in</strong>e wun<strong>der</strong>bare Aussicht über<br />

die ganze Stadt bis zum Fujiyama öffnet. Hier oben tr<strong>in</strong>ken an warmen<br />

Sommerabenden die Redakteure vom Dienst ihren Erholungssake.<br />

Diesen Vergnügungsbetrieb, für den e<strong>in</strong> eigener Konzertdirektor<br />

bestellt ist, mit e<strong>in</strong>er Zeitung zu verquicken, übersteigt europäische<br />

Vorstellungskraft. Offenbar wird durch diese Propaganda e<strong>in</strong> erhöhter<br />

Absatz erzielt, jedenfalls aber dr<strong>in</strong>gt durch sie e<strong>in</strong> Strom von Kennt=<br />

nissen und Wissen <strong>in</strong> das unterste Volk. Natürlich hätte ich hier ohne<br />

weiteres über Österreich vortragen können. Die Schwierigkeit liegt <strong>in</strong><br />

dem E<strong>in</strong>trittsgeld, das zu entrichten man hier nicht gewohnt ist und dessen<br />

Überweisung nach Wien doch <strong>der</strong> Hauptzweck <strong>der</strong> Veranstaltung gewesen<br />

wäre.<br />

Auch die Zeitung selbst ist dem Publikum zur Besichtigung offen und<br />

Gruppen von Abgeordneten, Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n, Priestern und Sol= daten werden von<br />

eigens dazu angestellten Ortskundigen umhergeleitet und über das Wesen <strong>der</strong><br />

Zeitung unterrichtet. Der Besuch von Zeitungs= gebäuden gehört ebenso wie<br />

e<strong>in</strong>e Stunde des Zeitungslesens zum Lehr= plan <strong>der</strong> Volkserziehung, welche<br />

hierdurch <strong>der</strong> unsrigen um Jahre voraus= eilt. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> vormärzlicher Kultur<br />

wurzelnde Ethik schreibt bei uns e<strong>in</strong>e gewisse Zurückhaltung gegen die<br />

Zeitung vor und trennt sie streng von Kunst und Pädagogik, e<strong>in</strong> veralteter<br />

Standpunkt, auf den vielleicht e<strong>in</strong> Teil unserer Nie<strong>der</strong>lage zurückzuführen ist.<br />

Die Japaner aber lassen sich von <strong>der</strong> Überzeugung leiten, daß <strong>in</strong> unserer<br />

Zeit e<strong>in</strong> Volk ohne Zeitungsgeist um e<strong>in</strong> paar Punkte zurückbleiben müsse.<br />

Sie durchtränken also mit ihm ihre Jugend. Bezeichnend ist, daß <strong>der</strong> »Nichi<br />

Nichi« den großen Speisesaal des neuen Palace=Hotels mit e<strong>in</strong>em Riesend<strong>in</strong>er<br />

fürLehrer eröffnete, bei welchem Filme über das Zeitungswesen vorgeführt<br />

wurden.<br />

Dieser Großzügigkeit entsprechen die neuen gewaltigen Druckmaschi< nen,<br />

die unaufhörlich weißes Papier fressen und fertiggefaltete Zeitungen<br />

ausspeien. Fünfzehn ganz neue Setzmasch<strong>in</strong>en, äußerst komplizierte, ganz neu<br />

erfundene Schreibmasch<strong>in</strong>en mit fast viertausend verschiedenen Typen,<br />

unzählige Motorrä<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verpackungsabteilung, e<strong>in</strong>e eigene Zeitung für<br />

Bl<strong>in</strong>de - all dies würde überwältigend wirken, sähe es nicht überall <strong>in</strong> dem<br />

neuen Palast schmutzig und unordentlich aus, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche wie im Setzersaal,<br />

im Papierhof wie beim Photographen. Diesen E<strong>in</strong>druck von Umzug und<br />

Abgebranntse<strong>in</strong>, des Vorläufigen überhaupt, wird man <strong>in</strong> Japan nirgends los,<br />

we<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Universität <strong>noch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Schule</strong>; die<br />

übere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>getürmt auf allen Fußböden herumliegen= den Kisten, Körbe,<br />

Koffer und Truhen lassen das Gefühl, Überlegenem gegenüberzustehen, nicht<br />

aufkommen.<br />

Während <strong>der</strong> Präsident des »Hochi« Abgeordneter ist, dürfen sich die<br />

Mitarbeiter des »Nichi Nichi« nicht <strong>in</strong>s Parlament wählen lassen und<br />

nicht mit Auszeichnungen schmücken. Alle politischen Artikel erschei= nen<br />

namenlos und die Zeitung steht für sie e<strong>in</strong>. Gibt es dadurch oftmals<br />

erzwungene Färbungen <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung und <strong>in</strong>folgedessen genug Zwistig= keiten<br />

im eigenen Lager, nach außen zeigt sich die Zeitung von e<strong>in</strong>er um=<br />

durchdr<strong>in</strong>glichen Mauer e<strong>in</strong>geschlossen, e<strong>in</strong> Bild des Japanertums im<br />

54 55


kle<strong>in</strong>en. Jetzt zum erstenmal ist <strong>der</strong> Versuch gelungen, alle Zeitungen<br />

zusammen h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong>selben Mauer zu vere<strong>in</strong>igen, nämlich h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

nach dem allgeme<strong>in</strong>en Wahlrecht, wiewä die gesamte Presse, welche diesen<br />

Kampf führt, re<strong>in</strong> bürgerlich ist. E gibt nämlich <strong>noch</strong> ke<strong>in</strong>e Arbeiterpresse, mit<br />

Ausnahme e<strong>in</strong>es Magaz<strong>in</strong>s mit sehr ger<strong>in</strong>ger Verbreitung namens<br />

»Reconstruction«. Auch dieses macht sich eigent= lieh mit dem Sozialismus<br />

nur <strong>in</strong>teressant und spielt, vielmehr kokettiert mit dieser Flagge, die es zu se<strong>in</strong>er<br />

Reklame genau so braucht wie die an<strong>der</strong>en Zeitungen ihr K<strong>in</strong>o. Der wirkliche<br />

Sozialismus hat <strong>noch</strong> fast gar ke<strong>in</strong>en Boden <strong>in</strong> Japan, <strong>der</strong> etwas unklaren,<br />

tatarmen Sozialpolitik h<strong>in</strong>= gegen, e<strong>in</strong>er Art Salondemokratie, neigt mehr als<br />

die Hälfte aller Intelli> genzler zu. Die »Reconstruction« war es übrigens, die,<br />

gleichfalls zur Reklame, E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> hat kommen lassen, was dieser vorher nicht<br />

geahnt haben soll. Er dachte, von <strong>der</strong> Wissenschaft e<strong>in</strong>geladen zu se<strong>in</strong>.<br />

Die Regierung hat ke<strong>in</strong>e nennenswerte publizistische Stütze. Die großen<br />

Tageszeitungen nennen sich »unabhängig«, die kle<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d Parteiblätter. In<br />

Tokio spielen außer dem »Nichi Nichi« (Tag fürTag> und dem »Asahi«<br />

<strong>noch</strong> <strong>der</strong> »Jiji« (Die Zeit> und <strong>der</strong> »Kokum<strong>in</strong>« (Nation> e<strong>in</strong>e<br />

Rolle, ferner <strong>der</strong> »)7omiuri« (Leser kauf michl> und <strong>der</strong> »Hochi«<br />

(Nachrichten>. Der»Miako« (DieHauptstadt> iste<strong>in</strong> niedrigesMassenblatt.<br />

Daß die Wichtigkeit <strong>der</strong> Zeitung <strong>in</strong> Japan diejenige <strong>der</strong> Presse <strong>in</strong> Ame=<br />

rika, geschweige <strong>in</strong> Europa, übertrumpft, hängt mit <strong>der</strong> Ausschaltung des<br />

Privatlebens <strong>in</strong> Japan zusammen. Jedes Familienereignis und je<strong>der</strong> Skandal, aber<br />

auch jede Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung zwischen Gelehrten und Politikern wird von den<br />

beteiligten Kreisen selbst <strong>der</strong> Zeitung zugetragen. Sie benützt ganz bewußt<br />

gleichzeitig die Eitelkeit und das Bildungsstreben zur Aufbau= arbeit, was jetzt<br />

beim wirklichen Aufbau Tokios wohl <strong>in</strong>s Gigantische ausgestaltet worden se<strong>in</strong><br />

dürfte.<br />

Es unterliegt ke<strong>in</strong>em Zweifel, daß Japan se<strong>in</strong>e erstaunliche Entwicklung<br />

über den Kopf se<strong>in</strong>er starrs<strong>in</strong>nigen, ja rückschrittlichen Regierung h<strong>in</strong>über<br />

alle<strong>in</strong> diesem Zeitungsbetrieb verdankt. Oft genug habe ich mich gefragt, <strong>wenn</strong><br />

ich an Fabriken, Wolkenkratzern, Viadukten großartigster Bauart vorüberg<strong>in</strong>g:<br />

wie entstand dies alles <strong>in</strong> diesem langsamen, schwer= fälligen,<br />

traditionsbeherrschten Lande, aus diesem fremdenfe<strong>in</strong>dlichen, mißtrauischen<br />

und unverläßlichen Volke? Erst als ich die Zeitung kennen= gelernt hatte,<br />

wußte ich, daß sie mit ihrem E<strong>in</strong>greifen <strong>in</strong> das kle<strong>in</strong>ste Nest, <strong>in</strong> die ärmste<br />

Familie, <strong>in</strong> das Privatleben des e<strong>in</strong>zelnen -- was wir <strong>noch</strong> als taktlos ablehnen -<br />

und mit ihrer unablässigen Übermittlung aller Ge= schehnisse von außen und<br />

<strong>in</strong>nen das ausschließliche Verdienst daran hat.<br />

7. Ja<strong>panische</strong> Politik.<br />

Davon, daß ich nur <strong>in</strong>s Auswärtige Amt zu gehen brauche, um gleich<br />

überallh<strong>in</strong> Zutritt zu erlangen, mache ich zum erstenmal bei <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong><br />

diesjährigenWV<strong>in</strong>tertagung des Parlaments Gebrauch. Nicht nur, daß Herr<br />

Kasama die E<strong>in</strong>laßkarte für mich besorgt, er gibt mir auch se<strong>in</strong>en<br />

deutschsprechenden Kollegen Herrn Sato mit, <strong>der</strong> angeblich über die<br />

politische Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Volksvertretung Bescheid weiß. Davon habe ich<br />

freilich nicht viel, denn auch, <strong>wenn</strong> e<strong>in</strong> Japaner etwas weiß, kann er es nicht<br />

erklären.<br />

Japan war eben im Begriff, e<strong>in</strong> großartiges neues Parlament zu errichten, für<br />

dessen Bau es anfangs sieben, dann zehn Millionen Yen bereitstellte. Es sollte als<br />

größtes Volkshaus des Ostens ganz aus weißem Ste<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em hohen Turm<br />

gebaut werden und <strong>in</strong> vier Jahren fertig se<strong>in</strong> und auch das Erdbeben hat diesen<br />

Plan nicht zur Vertagung gebracht. Vorläufig fmden die Sitzungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

niedrigen Holzkasten statt, dessen E<strong>in</strong>gang Herr Sato natürlich nicht kennt,<br />

wiewohl er im gegenüberliegenden Auswärtigen Amt seit Jahren angestellt ist.<br />

Da er mich zuerst zum Oberhause<strong>in</strong>gang br<strong>in</strong>gt, müssen wir im tiefsten<br />

Schmutz um das riesige Gebäudeviereck herumwaten. Beim richtigen Tor<br />

raufen Dutzende von Abgeordneten vor <strong>der</strong> Gar<strong>der</strong>obe, e<strong>in</strong>em<br />

Bretterhäuschen, durch dessen w<strong>in</strong>ziges Gucke loch die nassen Regenschirme,<br />

feuchten Mäntel und schmutzigen Überschuhe zusammengewickelt<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gesteckt werden. Nachdem ich im blanken Kleide im Freien e<strong>in</strong>e<br />

Viertelstunde gefroren, stellt sich heraus, daß die E<strong>in</strong>laßkarte des M<strong>in</strong>isters und<br />

die Begleitung des Hofrates nicht genügen. Unterbeamte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Japan eigens<br />

dazu da, um Schwierigkeiten zu machen. Herr Sato läuft nun treppauf treppab<br />

und telephoniert, da= zwischen werde ich verhört und um me<strong>in</strong> Nationale<br />

gefragt, alles natürlich <strong>in</strong> höflichster Weise, endlich dürfen wir <strong>in</strong> die<br />

Fremdenloge e<strong>in</strong>treten, von <strong>der</strong> aus man den Saal übersieht, und<br />

unabweisbar drängt sich mir e<strong>in</strong> erster E<strong>in</strong>druck auf: lauter ältere Männer!<br />

Die meisten im Kimono, e<strong>in</strong>ige <strong>noch</strong> im ganz alten Stil mit Vollbärten, die<br />

deshalb Spottnamen tragen, wie zum Beispiel Sassaki, den man den<br />

»mongolischen König« nennt. Da uns Japaner immer jünger sche<strong>in</strong>en, als sie<br />

s<strong>in</strong>d, müssen diese hier recht bejahrt se<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong> Begleiter bemerkt hierzu: »Ja,<br />

e<strong>in</strong>e äußerst bedauerliche Ersche<strong>in</strong>ung!« Wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> hoher Beamter mit<br />

aufrührerischen Ideen! Das er<strong>in</strong>nert an unser österreichisches Beamtentum vor<br />

dem Kriege, das auch stets weidlich geschimpft hat - und tatenlos blieb.<br />

Der Kampfruf <strong>der</strong>Regierungsgegner lautet freilich: »Sprengen wir dieses<br />

Greisenasyl! « Bewirkt werden soll dies durch das allgeme<strong>in</strong>e, gleiche, bereits<br />

56 57


1*6<br />

den Zwanzigjährigen zu gewährende Wahlrecht, die Sehnsucht <strong>der</strong> Intelli.<br />

genz, die hier das freiheitliche Moment vertritt, da es Arbeiterpartei und<br />

Sozialismus <strong>noch</strong> kaum gibt. Wie anno 1848 bei uns f<strong>in</strong>det die <strong>in</strong> Wirklich= keit<br />

selbstherrliche Regierung nur-- bi dem geistigen Mittelstand e<strong>in</strong> wenig<br />

Wi<strong>der</strong>stand und auch den nur dem Namen nach; <strong>der</strong> wohlbekannte Bürger=<br />

liehe Liberalismus begnügt sich auch hier mit den Worten: »Gewiß, gewiß, wir<br />

werden es erreichen, nach und nach, aber jetzt ist das Volk wirklich <strong>noch</strong> nicht<br />

reif dazu!« Doch die Ereignisse reiten schneller. Gerade die rückständigen<br />

Grundbesitzer werden das bisher von ihnen abgelehnte all= geme<strong>in</strong>e<br />

Wahlrecht e<strong>in</strong>führen müssen, weil <strong>der</strong> Verdienst <strong>der</strong> Bauern, ihrer Wähler,<br />

so stark s<strong>in</strong>kt, daß sie bei Fortbestand <strong>der</strong> jetzigen E<strong>in</strong>= schränkung des<br />

Wahlrechtes durch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>kommensgrenze nicht mehr mitstimmen könnten.<br />

Unter den mehr als vierhun<strong>der</strong>t Volksvertretern, die auf vier Jahre gewählt<br />

werden, gibt es drei Parteien: die bisher sehr starke, agrarische<br />

Regierungspartei, Seiyukai, welche mit zweihun<strong>der</strong>tachtzig Mitglie<strong>der</strong>n die<br />

Mehrheit hat, die sie bekämpfende Kenseikei, die Partei <strong>der</strong> Städter, mit<br />

hun<strong>der</strong>t Mitglie<strong>der</strong>n und die dritte, unabhängige o<strong>der</strong> Reformpartei Kakush<strong>in</strong><br />

mit sechsundvierzig Anhängern. E<strong>in</strong>e völlig machtlose vierte Gruppe,<br />

Kokum<strong>in</strong>to o<strong>der</strong> Volkspartei mit dem Führer Innkai, und e<strong>in</strong> paar Wilde s<strong>in</strong>d<br />

nicht <strong>in</strong> Betracht kommende Alle<strong>in</strong>geher.<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident Baron Kato - er ist <strong>in</strong>zwischen gestorben - eröffnet die<br />

sechsundvierzigste Tagung des ja<strong>panische</strong>n Parlamentes. Er ist so schwer<br />

krank, daß ich nicht von ihm empfangen werden konnte; für diese Stunde ist<br />

er aus dem Bette aufgestanden, denn er ist e<strong>in</strong> »Kleber« und nicht zum<br />

Rücktritt zu bewegen. Er soll e<strong>in</strong>st e<strong>in</strong> braver, bedeuten<strong>der</strong> Admiral gewesen<br />

se<strong>in</strong>, <strong>der</strong> aus militärischem Gehorsam gegen den Kaiser dieses Amt annahm<br />

und trotz des Gesetzes, das Verquickung von Ämtern verbietet, nicht zu<br />

weichen erklärte, solange ihn <strong>der</strong> Kaiser nicht fortschicke. Seltsam sche<strong>in</strong>t mir,<br />

daß er sich vor Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Rede, die er ganz aus= druckslos vom Papier<br />

abliest, den Mund ausspült, was dann auch alle an<strong>der</strong>en Redner tun.<br />

Infolge se<strong>in</strong>es Leidens kl<strong>in</strong>gt s`<strong>in</strong> Ton matt, weshalb ihm von e<strong>in</strong>em Wilden<br />

zugerufen wird: »Reden Sie mit e<strong>in</strong>er Stimme, die e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isters würdig<br />

ist!« Dann spricht <strong>der</strong> M<strong>in</strong>ister des Äußern, Graf Uchida, über Japans<br />

Beziehungen zum Auslandes se<strong>in</strong>e Rede, <strong>der</strong>en englische Übersetzung Herr<br />

Sato mir mitgebracht hat, ist e<strong>in</strong>e Zusammen. Stellung <strong>der</strong> nichtssagendsten<br />

Geme<strong>in</strong>plätze. Der »wilde Mann« Japans, Herr Ozaki, versäumt auch nicht,<br />

sie gleich darauf zu geißeln. »Ja - ja - Brot ist Brot - diese Bedeutsamkeit<br />

haben wir soeben erfahren«, kräht<br />

er <strong>in</strong> den Saal, »wir hören Geschwätz und nichts geschieht.« Worauf<br />

me<strong>in</strong> Begleiter aus dem Auswärtigen Amt, <strong>der</strong> die Rede gearbeitet hat,<br />

bemerkt: »Er hat recht, sie ist k<strong>in</strong>disch. Graf Uchida ist zwar e<strong>in</strong> be=<br />

deuten<strong>der</strong> Mann, aber als M<strong>in</strong>ister darf er Wirkliches natürlich nicht<br />

sagen.« Herr Sato ist nämlich nur theoretisch e<strong>in</strong> Revolutionär.<br />

E<strong>in</strong> Stück aktueller auswärtiger Politik wird aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rede gestreift und<br />

zwar handelt es sich uni Shantung, die Achillesferse Japans. Die<br />

Gegenseite antwortet hierauf mit e<strong>in</strong>em hellen »Ne<strong>in</strong>«. Der diplomatische<br />

Ivlißerfolg<strong>der</strong>Nachkriegszeit und die fortwährende Demütigung des Landes<br />

durch Amerika haben den bl<strong>in</strong>den Glauben an die Alle<strong>in</strong>seligmachung durch<br />

Militär und Flotte untergraben. Man beg<strong>in</strong>nt nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zu= stellen, was<br />

diese Kriegsspielerei kostet und was durch sie erreicht wird, und kommt zu<br />

dem überraschenden Ende, daß man mit weniger Macht mehr erlangt hätte.<br />

Man weiß jetzt ganz genau, daß Japan e<strong>in</strong>en Klaps auf die Nase kriegt, <strong>wenn</strong><br />

es sich wie bei Ts<strong>in</strong>gtau zu weit vorwagt, und man will e<strong>in</strong>e zielsichere<br />

Führung, die nicht um e<strong>in</strong>en Schritt weniger macht, als Japan ungestraft tun darf,<br />

aber nicht um e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen zu viel. Der Prussianismus beg<strong>in</strong>nt unpopulär zu<br />

werden.<br />

Das Programm <strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit von dem <strong>der</strong> Mehrheit zu unterschei= den,<br />

ist nicht leicht. Ihr Führer Kato


sogar die traditionelle Verehrung für den Kaiser im Wanken; man erkennt<br />

es wohl dankbar an, daß <strong>der</strong> Kaiser nicht gestattet, die seit zwanzig<br />

Jahren unverän<strong>der</strong>t vier Millionen 'Yen betragende Zivilliste zu steigern, aber<br />

es wird leise und laut bekrittelt, daß e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Familie so viel Land besitze,<br />

Forste, Güter nd Schlösser, die oft jahrelang leer stehen, während <strong>in</strong> jedem<br />

Zimmer des ganzen Landes e<strong>in</strong> halbes Dutzend Menschen zusammengepfercht<br />

leben müssen.<br />

Dabei weiß das gewöhnliche Volk nicht e<strong>in</strong>mal, daß <strong>der</strong> göttlich ver<br />

ehrte Kaiser unheilbar umnachtet ist, e<strong>in</strong>e Inzuchtsfolge, die allerd<strong>in</strong>gs J<br />

bei dem direkten Nachkommen e<strong>in</strong>er 2527 Jahre alten Familie - er ist <strong>der</strong><br />

122. Kaiser aus <strong>der</strong>selben Dynastie --r nicht allzu verwun<strong>der</strong>lich ist. Se<strong>in</strong><br />

historisch beglaubigter Ahnherr, Jimmu Tenno, war <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> Japans, <strong>noch</strong><br />

um 500 Jahre früher soll die ihm von <strong>der</strong> Legende zugeschriebene Ahnfrau,<br />

Amaterasu, die Sonnenentstiegene, gelebt haben. Der Kaiser trägt jetzt se<strong>in</strong>en<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>namen Joshihito und bekommt den Namen, mit welchem er <strong>in</strong> die<br />

Geschichte e<strong>in</strong>geht, erst nach se<strong>in</strong>em Tode, nach Maßgabe <strong>der</strong> auf dem Thron<br />

verbrachten Jahre. Wahrsche<strong>in</strong>lich wird <strong>der</strong> jetzige Kaiser e<strong>in</strong>mal Taisho<br />

Tenno heißen, das heißt, <strong>der</strong> große Kaiser <strong>der</strong> Gerechtigkeit. Bekanntlich hat<br />

Japan ke<strong>in</strong>e fortlaufende, son<strong>der</strong>n nur e<strong>in</strong>e durch die Regierungszeiten <strong>der</strong><br />

Kaiser bestimmte Zeitrechnung. Diese unregelmäßigen Zeitabschnitte tragen die<br />

nachträglich festgesetzten Namen <strong>der</strong> Herrscher und es bleibt <strong>der</strong><br />

Geschichtskenntnis und dem Rechentalent des e<strong>in</strong>zelnen überlassen, ausf<strong>in</strong>dig<br />

zu machen, <strong>in</strong> welche »Ära« e<strong>in</strong> vergangenes Ereignis gehört. Wiewohl jede<br />

»Ära« <strong>der</strong> letzten dritthalbtausend Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> Volksschule gelehrt wird,<br />

ergeben sich schon bei <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fachen Angabe des Geburtsjahres e<strong>in</strong>es<br />

Großvaters die schwierigsten Rechenstudien. Außerordentlich verwickelt wird<br />

dieses ohneh<strong>in</strong> unübersichtliche Verfahren <strong>noch</strong> durch die Gepflogenheit <strong>der</strong><br />

Kaiser, den Namen ihrer Ära zu wechseln, <strong>wenn</strong> irgende<strong>in</strong> Landesunglück ihn<br />

befleckte. Erst <strong>der</strong> vorige Kaiser Meji, den die Geschichte »den Großen« nennt,<br />

machte diesen unendlichen Verwirrungen e<strong>in</strong> Ende und bestimmte, daß jede<br />

Ära nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Namen tragen dürfe. Der Name Meji, <strong>der</strong><br />

»Leuchtendes«, »Helles« und auch »Alles <strong>in</strong> Ordnunga ausdrückt -- Glück<br />

und Erfolge dauerten während <strong>der</strong> fünfundvierzig Jahre dieser Regierung<br />

ununterbrochen an --, wurde also nicht nur als se<strong>in</strong> eigener Name, son<strong>der</strong>n<br />

auch als <strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Ära festgelegt.<br />

Diese Umstände verlangsamen die Politik, schrauben das politische Denken<br />

nach vergangenen Zeiten zurück und stemmen sich Neuerungen immer wie<strong>der</strong><br />

entgegen.<br />

6o


Die zwei <strong>in</strong>teressantesten politischen Persönlichkeiten <strong>in</strong> Tokio s<strong>in</strong>d<br />

augenblicklich Viscount Goto, <strong>der</strong> Bürgermeister, und Ozaki, e<strong>in</strong> als<br />

»Wil<strong>der</strong>« <strong>in</strong>s Parlament gewählter Schriftsteller und Journalist. Daß ich die<br />

E<strong>in</strong>führung zu dem Regierungsgegner ebenfalls vom Auswärtigen Amt<br />

bekomme, ist für die unterirdischen Beziehungen zwischen den offiziell<br />

fe<strong>in</strong>dlichen Parteien bezeichnend. Herr Hirota lächelt se<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>es<br />

Diplomatenlächeln, da ich mich wun<strong>der</strong>e, daß er mit Ozaki befreundet sei.<br />

Das Lächeln soll aber nicht nur ausdrücken, daß jener nicht allzuweit von <strong>der</strong><br />

Clique entfernt lebe - ist Ozaki doch zweimal M<strong>in</strong>ister gewesen -, son<strong>der</strong>n es<br />

sagt mir auch so ungefähr: »Von e<strong>in</strong>em, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regierung gesessen ist,<br />

erfährt e<strong>in</strong> ausländischer ournalist doch nichts von Belang.«<br />

Herr Hirota irrt aber, denn Herr Ozaki nimmt sich ke<strong>in</strong> Blatt vor den<br />

Mund. Er ist e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> son<strong>der</strong>barsten Ergebnisse des heutigen Japan.<br />

Zweimal war er M<strong>in</strong>ister, e<strong>in</strong>mal Bürgermeister von Tokio, doch die jedem<br />

abgehenden Bürgermeister zukommenden hun<strong>der</strong>ttausend Yen deckten se<strong>in</strong>e<br />

Schulden nicht. Nun lebt er schlecht und recht von Artikeln, die er für die<br />

Zeitung schreibt, und von - - -- Regierungsunterstützungen. Wenigstens gibt<br />

es Leute, die behaupten, er werde dafür bezahlt, daß er sich viel wil<strong>der</strong><br />

gebärde, als es die jeweilige Streitfrage erfor<strong>der</strong>e, doch gehört dies sicher zu<br />

den gehässigen Übertreibungen <strong>der</strong> Residenten.<br />

E<strong>in</strong>e Stunde, sagt man mir, werde mich <strong>der</strong> Weg zu Ozakis Haus<br />

kosten, aber nach e<strong>in</strong>er Stunde des Fußmarsches und <strong>der</strong> Straßen= und<br />

Stadtbahnfahrt erfahre ich bei <strong>der</strong> bezeichneten Haltestelle, daß ich <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Viertelstunde mit <strong>der</strong> Riksha zu fahren habe, nach welcher Zeit mir <strong>der</strong><br />

Kurumaya bedeutet, daß ich nun von hier aus weiter zu Fuß gehen müsse,<br />

weil se<strong>in</strong> Gefährt über die im Bau bef<strong>in</strong>dliche Straße nicht h<strong>in</strong>wegkönne. Er liest<br />

mir aber die Angst vor dem bevorstehenden Umherirren aus den Augen und das<br />

bewegt ihn, mit mir zu gehen, wiewohl er im vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> bezahlt worden ist und<br />

ke<strong>in</strong> Tr<strong>in</strong>kgeld erwartet. Vorsorg=? lich nimmt er den Plaid, mit dem je<strong>der</strong><br />

Rikshakuli se<strong>in</strong>em Fahrgast die Füße e<strong>in</strong>wickelt, über den Arm, das<br />

Wägelchen läßt er alle<strong>in</strong> zurück. Wir klettern, kriechen, schlüpfen über und<br />

durch Bretterzäune, Holzverschalungen, Straße nste<strong>in</strong>=Pyramiden, waten <strong>in</strong><br />

Pfützen, spritzen Schmutzwasser um uns, so daß <strong>der</strong> arme Kerl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en blauen<br />

Strumpfschuhen patschnasse Füße bekommt; nach e<strong>in</strong>er halben Stunde<br />

erreiche ich völlig erschöpft und gebrochen Ozakis Haus - die Marterreise hat<br />

mich zwei Stunden und e<strong>in</strong>en Gummischuh gekostet.<br />

6i


Offenbar hatte Herr Ozaki mich gar nicht mehr erwartet und wollte eben<br />

fortgehen; nun muß ich mich gedulden, bis er se<strong>in</strong>en ausländischen<br />

Straßenanzug wie<strong>der</strong> mit dem häuslichen Kimono vertauscht hat, <strong>in</strong> dem sich<br />

vornehme Japaner so viel sicherer fühlen. Die Toilette e<strong>in</strong>es Mannes dauert<br />

hier nicht weniger lang al die e<strong>in</strong>er Frau und die Vorschriften für den<br />

Sitz <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Ta,1e und den Hüften s<strong>in</strong>d für das männliche<br />

Geschlecht genau so streng wie für das weibliche, weshalb man alle Japaner<br />

stets an ihrem Gürtel und den Falten ihres Gewandes herum= rücken und<br />

=nesteln sieht. Ich habe also Zeit, mich <strong>in</strong> dem europäischen Wohn= und<br />

Arbeitsraum umzusehen und, die Märchenbücher durehzu= blättern, die Frau<br />

Ozaki, e<strong>in</strong>e Halbblut=Japaner<strong>in</strong>, englisch geschrieben hat.<br />

Nun sitzt er vor mir, schmal, unjung, aber mit ausdrucksvoll <strong>in</strong>ter=<br />

essanten Zügen, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen Japaner, denen man die geistige Be=<br />

schäftigung e<strong>in</strong>es ganzen Lebens im Gesicht anmerkt, während sich Japaner<br />

sonst nur durch die Zucht ihrer vornehmen Familie aus <strong>der</strong> Masse des<br />

geistigen wie handarbeitenden Proletariats abheben und sich auch<br />

Universitätsprofessoren aus schlechter Familie äußerlich <strong>in</strong> nichts von<br />

Kellnern unterscheiden.<br />

Natürlich setzt das Gespräch mit e<strong>in</strong>er Klage Ozakis über den furcht=<br />

baren Zustand se<strong>in</strong>es Wohnbezirkes e<strong>in</strong>. Erregt erzählt er mir, daß <strong>der</strong><br />

Straßenbau schon seit e<strong>in</strong>em Jahre die ganze Gegend verrammle, so daß alle<br />

diesseits Wohnenden wie auf e<strong>in</strong>er Insel hausten und alle Geschäfts= <strong>in</strong>haber<br />

zugrunde gerichtet worden seien und wegziehen mußten. Diese Straße, me<strong>in</strong>t<br />

Ozaki, sei e<strong>in</strong> S<strong>in</strong>nbild für die Wirtschaft Japans.<br />

Ozaki hat früher <strong>in</strong> besserer Lage gewohnt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hause, das er<br />

billig bekommen hatte, weil es »verwunschen« war. Ihn hätten die Geister nicht<br />

gestört, denn sie galten ja nicht ihm, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>em Mör<strong>der</strong>, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>st hier<br />

gelebt, aber Frau Ozaki wollte dort nicht bleiben. Er be= richtet das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

so nüchternen Tone, daß es nicht klar ist, ob es ernst geme<strong>in</strong>t sei o<strong>der</strong> als<br />

Stichelrede auf die Gatt<strong>in</strong>, die später sehr erregt das Vorhandense<strong>in</strong> dieser<br />

Geister bezeugt.<br />

Der Abgeordnete geht sogleich zur hohen Politik über und sagt mir, es sei<br />

Japans e<strong>in</strong>zige Hauptsorge, woh<strong>in</strong> es sich ausbreiten solle. Das Land sei<br />

grauenhaft übervölkert - <strong>der</strong> Zuwachs steige <strong>noch</strong> immer, trotz <strong>der</strong><br />

entsetzlichen K<strong>in</strong><strong>der</strong>sterblichkeit -, außerdem sei nur e<strong>in</strong> Achtel davon<br />

anbaufähig und auch das zumeist nur durch künstliche Bewässerung. Wohl<br />

fühlen sich die Nachbarn Japans fortwährend bedroht, aber haupt= sächlich<br />

von ihrem eigenen schlechten Gewissen, weil sie trotz ihrer Kenntnis, daß<br />

den Japanern das Stammland zu enge geworden ist, <strong>der</strong>en<br />

E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung verbieten. Australien zum Beispiel sei nur von fünf Mil<br />

lionen Menschen bewohnt, es biete aber fünfzig Millionen Platz und sei<br />

zwanzigmal so groß als das Gebiet, auf dem sechzig Millionen Japaner<br />

leben. Auch die Holland gehörigen Sunda=Inseln seien <strong>noch</strong> nicht zur<br />

Hälfte aufgeschlossen und Japan schreibe es amerikanischen E<strong>in</strong>flüssen zu, daß<br />

man ihm nicht e<strong>in</strong>mal dieses Urwaldgebiet überlasse. In Japan<br />

wachse die Bitterkeit darüber von Jahr zu Jahr und nähre den IVIilitaris=<br />

mus, <strong>der</strong> sonst, bei e<strong>in</strong>er friedlichen Öffnung von E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsgebieten,<br />

nur mehr an <strong>der</strong> Tradition e<strong>in</strong>en Rückhalt fände. Die Gloriole aus dem<br />

Russisch=Ja<strong>panische</strong>n Kriege sei nämlich schon recht verblaßt und ver= nünftige<br />

Leute nähmen das korrupte Zarenrußland und das vom Mutterlande<br />

abgeschnittene Ts<strong>in</strong>gtau, bei dessen E<strong>in</strong>nahme es auch nicht die kle<strong>in</strong>ste<br />

Siegesfeier gegeben habe, längst nicht mehr als Maßstab, da nie= mand wisse,<br />

wie e<strong>in</strong> Kampf mit e<strong>in</strong>em hochwertigen Gegner ausgehen würde. Haben doch<br />

Armee und Flotte ihre sämtlichen europäischen Be= rater weggeschickt; daß<br />

seither <strong>in</strong> den Munitionswerkstätten und Werften manches nicht klappe, sei e<strong>in</strong><br />

öffentliches Geheimnis.<br />

Ozaki verhehlt es ganz und gar nicht, daß es hauptsächlich Mißtrauen <strong>in</strong><br />

die eigene Waffe sei, die sich im Friedenswillen ausdrücke, ganz ge= wiß nicht<br />

<strong>der</strong> ja<strong>panische</strong> Charakter; e<strong>in</strong>e große Rolle spiele dabei auch die Erwägung,<br />

daß Amerika während e<strong>in</strong>es Krieges ke<strong>in</strong>e Rohbaumwolle schicken und ke<strong>in</strong>e<br />

Rohseide kaufen würde, wodurch es <strong>in</strong> Japan außer zu e<strong>in</strong>em militärischen auch<br />

zu e<strong>in</strong>em wirtschaftlichen Zusammenbruch käme. »Wozu also die Rüstungen?«<br />

fragt Ozaki nach dieser überwältigend ehr= lichen Darlegung <strong>der</strong> Lage.<br />

Amerika sei jetzt, wo Europa ke<strong>in</strong>e Rolle mehr <strong>in</strong> Japan spiele und England<br />

nicht mehr als Bundesgenosse h<strong>in</strong>ter ihm stehe, als Fe<strong>in</strong>d undenkbar und heute<br />

<strong>noch</strong> blute <strong>der</strong> nationale Stolz, weil man sich bei Sachal<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unheilbare<br />

Wunde geholt habe. Nutzlos vergeudet seien auch die ungeheuren Summen<br />

gewesen, die Wladiwostok verschlang.<br />

Ozakis Worte beweisen mir, was ich an<strong>der</strong>en Japanern gegenüber<br />

mehr im Unterbewußtse<strong>in</strong> empfunden hatte, daß die Klugen dieses Lan= des<br />

den Siegerhochmut, <strong>der</strong> durch das Bündnis mit England <strong>noch</strong> ver= stärkt<br />

worden war und <strong>der</strong> sich vor zwölf Jahren <strong>noch</strong> recht abstoßend fühlbar<br />

gemacht hatte, ebenso wie das Emporkömml<strong>in</strong>gswesen abgestreift haben;<br />

Ozaki betont mit Stolz, daß er schon damals die Abrüstung ge= predigt<br />

habe, als die an<strong>der</strong>en sie mit Hohnlachen abtaten, und daß erst <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton<br />

se<strong>in</strong>e Auffassung voll zu Ehren gekommen sei. Jetzt freilich pfiffen es die<br />

Spatzen auf dem Dache, daß Japan ke<strong>in</strong>e Armee brauche, weil Rußland und<br />

Ch<strong>in</strong>a durch ihre Schwäche ohnmächtig seien und Amerika<br />

62 63


nur als Flottenfrage aufgefaßt werden dürfe. Außerdem g<strong>in</strong>gen die Steuern viel<br />

zu saumselig e<strong>in</strong>, als daß Japan überhaupt e<strong>in</strong>e Armee erhalten könne.<br />

So rückhaltlos enthüllt mir Ozaki alle Abgründe des Japanertums, daß<br />

Herr Hirota, hörte er es, doch etwas weniger lächeln würde. Ja, manches,<br />

was Ozaki sagt, ist so schwarz <strong>in</strong> schwar- gemalt, daß es mir nachträglich<br />

von recht antija<strong>panische</strong>n Residentei -ls übertrieben, vor allem als durch<br />

Verbesserungen überholt bezeichnet wird.<br />

Am heftigsten bekämpft Ozaki die ja<strong>panische</strong> Kriegerkaste, sie be= deute<br />

alles, das Volk nichts. Ihre Vorfahren, die Clans, hatten sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> Restauration auf die Seite des Kaisers gestellt und dieser müsse sie<br />

seither, <strong>in</strong> ihrer jetzigen Form als Militär und Bureaukratie, unumschränkt<br />

herrschen und ohne Rücksicht auf die Allgeme<strong>in</strong>heit alle Gesetze zu ihren<br />

Gunsten machen lassen.<br />

Die Wähler <strong>der</strong> Militärpartei s<strong>in</strong>d die kle<strong>in</strong>en Bauern, die siebzig Pro=<br />

zent aller Landwirte ausmachen und ohne Masch<strong>in</strong>en den vulkanischen<br />

Boden mit ihrer Hände Arbeit terrassieren und bewässern, e<strong>in</strong> beispielloser<br />

Kampf <strong>der</strong> ganzen Familie gegen e<strong>in</strong>e wi<strong>der</strong>willige Erde, <strong>der</strong> die Japaner zum<br />

ausdauerndsten Volk <strong>der</strong> Welt gemacht hat. Im Kriege waren diese<br />

Reisbauern mit dem Militarismus sehr e<strong>in</strong>verstanden, weil die Reispreise zu<br />

e<strong>in</strong>er nie erwarteten Höhe stiegen und die Politik <strong>in</strong> Japan mit den<br />

Reispreisen zusammenhängt. Es ist das drittgrößte Reisland <strong>der</strong> Welt und<br />

zwei Drittel se<strong>in</strong>es bebauten Teiles liefern viertausend Arten von Reis,<br />

angeblich den besten <strong>der</strong> Welt. In Reis floß den Daymios, den Fürsten<br />

<strong>der</strong> Feudalzeit, ihr E<strong>in</strong>kommen zu, <strong>in</strong> Reis zahlten die Bauern fast überall<br />

ihre Steuern. Jetzt, wo Amerika wie<strong>der</strong> Reis e<strong>in</strong>führt, wo sehr ergiebige<br />

Ernten die Preise drücken, bleibt von <strong>der</strong> guten Zeit nur die Teuerung. Wird<br />

aber dem zusammenbrechenden Bauer die Steuer er~ lassen, so verliert er<br />

das Wahlrecht.<br />

Die ja<strong>panische</strong> Familie war stets mit dem Militarismus verbunden, für<br />

Grund und Boden verkaufte sie Menschenfleisch. Dafür, daß sie dem Kaiser<br />

Soldaten beistellte, bekam sie Land -- und Land ist <strong>der</strong> <strong>in</strong> Japan am meisten<br />

geschätzte Besitz. Die Bodenpreise Japans s<strong>in</strong>d daher die höch= sten <strong>der</strong> Welt.<br />

Ozaki stellt mir e<strong>in</strong>e vergleichende Tabelle zusammen: <strong>in</strong> England kostet<br />

dasselbe Bodenmaß, das hier sieben bis achtzehn Shill<strong>in</strong>g wert ist, drei Pence,<br />

<strong>in</strong> Amerika die Hälfte davon. Für bebautes Reisland, das <strong>in</strong> Amerika<br />

weniger als e<strong>in</strong>en Shill<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> Afrika e<strong>in</strong> drittel Penny kostet, müssen <strong>in</strong><br />

Japan dreizehn bis vierzehn Shill<strong>in</strong>g bezahlt werden.<br />

Ozaki strebt die Sozialisierung des Bodens an, die Abschaffung <strong>der</strong><br />

Vorrechte <strong>der</strong> Offiziere, die Verr<strong>in</strong>gerung ihrer Anzahl und vor allem<br />

die Unterstellung des Generalstabes unter die Gesetze. Es soll nicht nur e<strong>in</strong><br />

General Kriegsm<strong>in</strong>ister werden dürfen, <strong>der</strong> Kaiser soll das Recht verlieren,<br />

das Kab<strong>in</strong>ett wegzuschicken, welches sich bisher nur dann habe halten können,<br />

<strong>wenn</strong> es sich wi<strong>der</strong> Recht und Pflicht vom Militär befehlen und stützen ließ.<br />

Überhaupt müsse <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluß des Militärs gebrochen und dem Parlament Kraft<br />

e<strong>in</strong>geflößt werden. Aber bisher sei sogar e<strong>in</strong> von <strong>der</strong> Volkspartei getragenes<br />

Kab<strong>in</strong>ett bureaukratisch zusammengesetzt gewesen. Diese Volksvertretung, die<br />

nur für den kle<strong>in</strong>sten Teil des Vol= kes spreche, sei nichts als e<strong>in</strong> Zierat, das<br />

Volk aber seit Jahrhun<strong>der</strong>ten e<strong>in</strong>e Gesellschaft von Sklaven, demütig, ohne<br />

Rechte. Streiks seien ge= setzlich verboten und Unruhestifter würden<br />

e<strong>in</strong>gesperrt, ja, die Führer bekämen an Tagen, an welchen den Zeitungen<br />

zuliebe Versammlungen geduldet würden, Hausarrest, mit e<strong>in</strong>em Polizisten<br />

vor <strong>der</strong> Türe. Von <strong>der</strong> Polizei würden Stänkerer gemietet, die solche<br />

Versammlungen sprengen. Er, Ozaki, sei seit vierzig Jahren bei öffentlichen<br />

Reden <strong>in</strong> Lebensgefahr. Bei den Wahlen gehe die Wache von Haus zu Haus<br />

und bee<strong>in</strong>flusse die erschreckten Leute, die hier furchtbare Angst vor <strong>der</strong><br />

übermächtigen Polizei haben; und während es früher <strong>noch</strong> Zeitungen gegeben<br />

habe, die sich für die Politik opferten, unterwürfen sich jetzt alle dem Interesse<br />

ihrer kapitalistischen Geldgeber. Se<strong>in</strong>e Mitarbeit sei für e<strong>in</strong>e Zeitung stets e<strong>in</strong><br />

Unglück gewesen, weil ihrem Herausgeber von <strong>der</strong> Regierung sofort<br />

Prügel zwischen die Be<strong>in</strong>e geworfen wurden.<br />

Von den schlimmsten zwei Übeln Japans sei aber <strong>der</strong> Militarismus das<br />

ger<strong>in</strong>gere gegenüber dem ver<strong>der</strong>blichen des Familiensystems. Die Aufstellung<br />

des Majoratserben als erklärten Familienoberhauptes und <strong>der</strong> Zusammenhalt<br />

je<strong>der</strong> Familie <strong>in</strong> sich selbst sei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Samurais <strong>der</strong> äußeren Fe<strong>in</strong>de<br />

halber nötig gewesen, wohlgemerkt auch damals nur für die Adeligen, die<br />

Großgrundbesitzer, nicht aber für das Volk; dieses habe aber alles, was von<br />

oben kam, nachgeahmt, auch die völlig uns<strong>in</strong>nige, ja geradezu lebenzerstörende<br />

Unsitte <strong>der</strong> Nebenfrauen. Weil <strong>der</strong> Clan, <strong>der</strong> Hof <strong>der</strong> reisigen Feudalherren,<br />

verläßlichen, kampffähigen Nachwuchs brauchte, habe <strong>der</strong> Daymio viele<br />

Weiber <strong>der</strong> Sippe geschwängert, heute aber müßte je<strong>der</strong> Volksführer es als<br />

se<strong>in</strong>e Pflicht ansehen, friedliche Städter von <strong>der</strong> Nachahmung dieses alten<br />

Herkommens abzuhalten. Statt aber ihren Mitbürgern e<strong>in</strong> Vorbild <strong>der</strong> Moral<br />

zu se<strong>in</strong>, führten <strong>noch</strong> jetzt die hohen Adeligen mehrere Haushalte <strong>in</strong> demselben<br />

Schlosse und<br />

die fe<strong>in</strong>dlichen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Diener<strong>in</strong>nen trügen Klatschereien und Hetze<br />

h<strong>in</strong> und her. Ozaki habe se<strong>in</strong> Töchterchen e<strong>in</strong>e Zeitlang <strong>in</strong> die sogenannte<br />

Peersschule geschickt, es aber wie<strong>der</strong> herausnehmen müssen, weil die <strong>in</strong><br />

64 Alice Säialek, Japan. 5 65


<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>stube vergifteten Mitschüler<strong>in</strong>nen lügnerisch, herumträgerisch und<br />

gehässig gewesen seien. Daß- die Söhne <strong>der</strong> aus den untersten Schichten<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung stammenden Kebsweiber die höchsten Stellen erlangen,<br />

br<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Verwaltung viel Schaden. Wollte Ozaki diese Kon=<br />

kub<strong>in</strong>enseuche öffentlich brandmarken, so - ~irde er fast alle se<strong>in</strong>e Freunde<br />

damit an den Pranger stellen.<br />

»Ja«, schließt Ozaki se<strong>in</strong>e zweistündige Rede, »nur wer das verwickelte<br />

System dieses Volkes kennt, übersieht alle se<strong>in</strong>e Schattenseiten. Früher war<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Teil des Volkes faul und schön und edel und lebte vom an<strong>der</strong>n<br />

Teil. Das nannte man Feudalismus. Auch im Zeitalter <strong>der</strong> Demokratie den<br />

Feudalismus beizubehalten, ist Wahns<strong>in</strong>n. Es ist Bild= haft und<br />

patriarchalisch, auf dem Boden zu hocken, aber man kann sich nicht schnell<br />

genug aufrichten, <strong>wenn</strong> das Telephon läutet; es ist dekorativ, lange Ärmel zu<br />

haben, aber spr<strong>in</strong>gt man von <strong>der</strong> Elektrischen ab, so bleibt man hängen ; es<br />

ist orig<strong>in</strong>ell und putzt die Landschaft auf, wohnt man <strong>in</strong> Papierhäuschen, aber<br />

mit mo<strong>der</strong>nen Kabeln durchzogen, fangen sie Feuer. Es bleibt Japan nichts<br />

übrig, als sich völlig zu häuten - büßt es auch e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>es Reizes e<strong>in</strong>.«<br />

Beim Abschied bittet mich Ozaki, all diese ja<strong>panische</strong>n Llbelstände <strong>in</strong><br />

ausländischen Zeitungen auf das rückhaltloseste zu besprechen. »Was wir<br />

vor allem brauchen, ist die Aufklärung des Publikums, und sie hat bei uns<br />

e<strong>in</strong>e doppelte Wirkung, <strong>wenn</strong> sie von draußen kommt.«<br />

Wie entstand eigentlich die Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt, daß die Japaner ver=<br />

schlossen und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> ihren eigenen Angelegenheiten unzugäng= lieh<br />

seien? Denn diese Auffassung Ozakis von <strong>der</strong> Rolle e<strong>in</strong>es fremden Journalisten<br />

<strong>in</strong> Japan begegnet mir auch bei vielen an<strong>der</strong>en Japanern, so daß ich oft darüber<br />

nachs<strong>in</strong>ne, <strong>in</strong> welchem Lande <strong>der</strong> Erde, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> jetzigen<br />

Hochflut des Nationalismus, solches <strong>noch</strong> möglich wäre.<br />

k<br />

Der Besuch bei Ozakis Gegner Viscount Goto, dem konservativen<br />

Führer <strong>der</strong> Militaristenpartei, zu welchem mich Herr Tsurumi, se<strong>in</strong><br />

Schwiegersohn, e<strong>in</strong>führt, fällt natürlich ganz an<strong>der</strong>s aus. Der junge Frei=<br />

heitsidealist, <strong>der</strong> mich im wun<strong>der</strong>baren Automobil se<strong>in</strong>es Schwiegervaters<br />

abholt, sche<strong>in</strong>t mir heute wie verwandelt. Er spricht ke<strong>in</strong> Wort mehr<br />

gegen den alten Herrn und <strong>der</strong> Kimono, den er <strong>der</strong> feierlichen Gelegen=<br />

heit zuliebe angelegt hat, richtet die Schranken, die er, gewissermaßen als das<br />

S<strong>in</strong>nbild <strong>der</strong> Kluft zwischen den Rassen, stets zwischen Auslän<strong>der</strong> und<br />

Japaner schiebt, auch zwischen uns auf. Und mit e<strong>in</strong>em Gefühl <strong>der</strong> Fremdheit<br />

kommen wir beim Hause Gotos an.<br />

Man muß vom Automobil zum Haustor auch hier durch e<strong>in</strong>e Pfütze<br />

waten, es wird e<strong>in</strong>em aber doch sofort zum Bewußtse<strong>in</strong> gebracht, daß man<br />

bei e<strong>in</strong>em großen Herrn zu Gaste ist. Drei lautlose Boys helfen mir, die Schuhe<br />

abzulegen, <strong>in</strong> fe<strong>in</strong>en weichen Pantoffeln gleitet man durch matte Papiergänge<br />

über spiegelndes Parkett aus poliertem Eichenholz, auf welchen ke<strong>in</strong><br />

Stäubchen liegt.<br />

Viscount Goto ist dadurch <strong>in</strong> den Mittelpunkt des Interesses se<strong>in</strong>er<br />

Landsleute gerückt, daß er den russischen Volkstribunen Joffe e<strong>in</strong>geladen hat,<br />

se<strong>in</strong>e kranken Glie<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> heißen Q eilen Japans zu heilen. Vier<br />

Fünftel aller Japaner können das nicht fassen. Es wäre allerd<strong>in</strong>gs auch zu viel<br />

von ihnen verlangt zu begreifen, warum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lande, <strong>in</strong> dem die<br />

ausländischen Touristen um des Verdachtes kommunistischer Umtriebe willen<br />

polizeilich überwacht und die Bolschewisten ausgewiesen werden, ihrem<br />

Führer vom Bürgermeister selbst Tür und Tor geöffnet werde. Die Plebs<br />

zertrümmerte also prompt Herrn Gotos Fenster, ver= nichtete se<strong>in</strong>e kostbaren<br />

alten Kunstwerke und bedrohte ihn am Leben.<br />

Seit dem E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>=Rummel war ke<strong>in</strong> solcher Volksauflauf mehr zu sehen<br />

gewesen wie bei Joffes Ankunft: Kopf an Kopf gedrängt wartete die Menge<br />

vor dem Bahnhofe. In wenigen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> politische<br />

Kundgebung von solcher Leidenschaftlichkeit denkbar. Fiebernde Gehirne<br />

empörten sich gegen die unfaßlicherweise von oben gebilligte E<strong>in</strong>schleppung<br />

des bolschewistischen Giftes, da man offenbar glaubte, die bloße Anwesenheit<br />

des russischen Aufwühlers werde an= steckend wirken.<br />

Aber auch solchen Japanern, die fe<strong>in</strong>eren Verästelungen <strong>der</strong> Politik<br />

zugänglich s<strong>in</strong>d, blieb es e<strong>in</strong> ungelöstes Rätsel, ob Goto nur die Ver=<br />

antwortung nach außen auf sich genommen o<strong>der</strong> tatsächlich ohne Wissen <strong>der</strong><br />

Regierung auf eigene Faust gehandelt habe; ihnen war nur <strong>der</strong> An= laß dieses<br />

bedeutsamen Schachzuges klar: Japan muß wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Freund haben.<br />

England rückte zur Seite, weil Japan verlangt hatte, daß Austra= lien ihm<br />

se<strong>in</strong>e Tore öffne, Ch<strong>in</strong>a und Amerika zeigen sich übelwollend, ersteres fast<br />

fe<strong>in</strong>dlich -- hassen doch die Ch<strong>in</strong>esen die Japaner mehr als die Franzosen die<br />

Deutschen, als die Antisemiten die Juden. Japan täuscht sich nicht mehr<br />

darüber, daß es vollkommen vere<strong>in</strong>samt ist. Daher die E<strong>in</strong>ladung an Joffe.<br />

Es unterliegt ke<strong>in</strong>em Zweifel, daß für Japan, dessen große Interessen jetzt<br />

zwischen Rußland und Amerika pendeln, Europa wohl <strong>noch</strong> zur<br />

Ausnützung se<strong>in</strong>er Universitäten, Museen, Techniken und Kunstschulen <strong>in</strong><br />

Betracht kommt, politisch aber seit dem Weltkriege erledigt ist. Die<br />

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Europas Weltführerschaft zerstörende Wirkung des Krieges offenbart sich<br />

<strong>in</strong> dieser E<strong>in</strong>ladung an Joffe, ,die ergangen ist, trotzdem das ganze Volk so<br />

sehr dagegen war, daß man den E<strong>in</strong>geladenen nicht bis zu se<strong>in</strong>em Gastgeber<br />

zu br<strong>in</strong>gen wagte; heimlich ließ man ihn durch e<strong>in</strong>en Seitenausgang <strong>in</strong> das dem<br />

Bahnhof angebaute ; `ationshotel verschw<strong>in</strong>den, wo er sich von je<strong>der</strong>mann<br />

absperren mußte.<br />

In dem halbeuropäischen Zimmer, <strong>in</strong> welchem Goto mich im Kimono<br />

empfängt, stechen e<strong>in</strong> paar Dutzendmöbel seltsam von den herrlichen alten<br />

Cloisonnes ab - alles sche<strong>in</strong>en die Aufrührer also doch nicht zerstört zu haben<br />

und die Sitte, immer nur e<strong>in</strong>ige Stücke auf e<strong>in</strong>mal zur Schau zu stellen, hat sich<br />

wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal bewährt.<br />

Goto sieht lange nicht so <strong>in</strong>teressant aus wie Ozaki, se<strong>in</strong> Gesicht hat<br />

e<strong>in</strong>en mehr schlauen Ausdruck. Er trägt natürlich Brillen -- nebst Goldplomben<br />

s<strong>in</strong>d sie das äußere Zeichen <strong>der</strong> Bildung <strong>in</strong> Japan - und e<strong>in</strong>en weißen,<br />

nicht gefärbten Spitzbart, was hier sehr selten ist, denn die Herren <strong>in</strong> Tokio<br />

rasieren sich das K<strong>in</strong>n, <strong>in</strong> vorgerückten Jahren färben sie sich das ergrauende<br />

Haar.<br />

Wiewohl Goto <strong>in</strong> Wien studiert hat und sehr gut Deutsch sprechen<br />

soll, ist Tsurumi als englischer Dolmetsch mitgekommen. Politische Interviews<br />

werden <strong>in</strong> Japan nur durch Interpreten gegeben, damit während <strong>der</strong><br />

Übertragung e<strong>in</strong>es Satzes Zeit bleibe, über den nächsten nachzudenken. Aber<br />

Tsurumis unpersönliche Wie<strong>der</strong>gabe des Gesagten br<strong>in</strong>gt mich außer Fassung.<br />

So sehr er unter vier Augen gegen den Schwiegervater gewettert und sich als<br />

zu me<strong>in</strong>esgleichen gehörig ausgegeben hatte, jetzt blitzt nicht das ger<strong>in</strong>gste<br />

E<strong>in</strong>verständnis mit mir durch, es sche<strong>in</strong>t, als habe se<strong>in</strong>e Seele ke<strong>in</strong> Eigenleben,<br />

son<strong>der</strong>n nichts als Demut mitgebracht. Es ist offenbar nicht so leicht, an<br />

Japans Feudalismus zu rütteln.<br />

Dieser Gedankengang prägt sich denn auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er ersten Frage aus:<br />

»Was ist besser für Japan: die alte Sitte ztt bewahren o<strong>der</strong> die neue<br />

anzunehmen?« Gotos Antwort gipfelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> mir bereits bekannten Über=<br />

zeugung: Japan habe die ch<strong>in</strong>esische Kultur zu e<strong>in</strong>er ja<strong>panische</strong>n verarbeitet,<br />

dasselbe werde ihm mit <strong>der</strong> europäischen gel<strong>in</strong>gen. Der gesunde, auf uralte<br />

Überlieferungen gestützte S<strong>in</strong>n dieses von se<strong>in</strong>er Geschichte getragenen<br />

Volkes werde zweifellos aus all dem von den Zeitungen und den ausfliegenden<br />

jungen Leuten here<strong>in</strong>gebrachten Neuen nur das Wichtige behalten und das<br />

Schädliche abstoßen.<br />

Dieser Gedanke ist hier augenblicklich <strong>der</strong> Stützpfeiler im Wechsel. Die<br />

Schönheit ja<strong>panische</strong>r Kleidung mit dem Praktischen <strong>der</strong> auslän= dischen zu<br />

verquicken, e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung des ja<strong>panische</strong>n Häuserstils<br />

mit <strong>der</strong> Bekömmlichkeit und E<strong>in</strong>richtung des ausländischen zu f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>mitten<br />

mo<strong>der</strong>ner Lebensweise uralte Etikette beizubehalten, ist das Ziel aller<br />

Bestrebungen; nicht e<strong>in</strong>mal Herrn Gotos fortschrittlicher Schwiegersohn<br />

würde se<strong>in</strong>e Zustimmung zur Abschaffung <strong>der</strong> Teezeremonie geben, von <strong>der</strong><br />

es heißt, auf ihr ruhe die ja<strong>panische</strong> Kultur.<br />

Nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Möglichkeit - fährt Goto fort - könne Japan wie<strong>der</strong> zu<br />

se<strong>in</strong>er ehemaligen Abschließung zurückführen und das wäre die Fortdauer des<br />

Hasses von außen. Und plötzlich schießt die Frage auf mich los: »Warum<br />

haßt Deutschland Japan?«<br />

Die <strong>in</strong> Deutschland geradezu wie e<strong>in</strong> Kult betriebene Verehrung alles<br />

Ja<strong>panische</strong>n, die Leafcadio Hearns Werke gleich e<strong>in</strong>er Offenbarung h<strong>in</strong>nahm,<br />

läßt mir diese Frage absurd ersche<strong>in</strong>en, aber Gotos spitzfmdiges Lächeln<br />

zeigt, daß er vom Gegenteil überzeugt ist. - »Und Kaiser Wile helms Bild:<br />

Die gelbe Gefahr?« fragt er weiter. »Niemals wird das ja. <strong>panische</strong> Volk<br />

vergessen, daß es Deutschlands Herrscher war, <strong>der</strong> dieses Wort geprägt<br />

68 69<br />

hat!«<br />

Da also fasse ich sie, die Kaiserworte, die dem deutschen Volke so<br />

viel Fe<strong>in</strong>dschaft ohne Gegenwert e<strong>in</strong>trugen, hier leben sie <strong>noch</strong>, ungemil<strong>der</strong>t,<br />

unverziehen. Und weiter spricht Goto: »Und was hatte Deutschs land sich <strong>in</strong><br />

unsern Frieden von Shimonoseki e<strong>in</strong>zumengen? Es war nicht se<strong>in</strong>e Sache.<br />

Unterstützte es damals Frankreich gegen uns, wiewohl es ke<strong>in</strong>e eigenen<br />

Interessen hatte, so muß das aus Haß gegen uns geschehen se<strong>in</strong>.« Wie<strong>der</strong><br />

lüftet sich mir e<strong>in</strong> Zipfel des Geheimnisses, warum sich soviel Fe<strong>in</strong>de gegen<br />

Deutschland zusammengefunden haben. Ohne irgendwelche greifbaren<br />

Vorteile dafür e<strong>in</strong>zutauschen, hatte man reizbare Stellen geschaffen, durch<br />

bloße Worte - - - Gar mancher Deutsche mag sich gefragt haben: »Warum<br />

nahm Japan Ts<strong>in</strong>gtau? Was taten wir ihm?« Und wußte nicht, daß die<br />

Kriegserklärung Japans an Deutschland die Worte des Friedensdiktats von<br />

Shimonoseki wie<strong>der</strong>holte, das den Japanern den Preis ihres Sieges über<br />

Ch<strong>in</strong>a nahm und das Deutschland mitunterschrieben hatte, nur weil se<strong>in</strong><br />

Kaiser dabei se<strong>in</strong> wollte, während doch nur Rußland wirkliches Interesse<br />

daran hatte und Frankreich den Verbündeten unterstützen mußte. Manche<br />

werden sich gefragt haben: »Warum hat man Deutsche <strong>in</strong> Japan<br />

gefangengehalten?« Und wußten nicht, daß je<strong>der</strong> deutsche Mann im Osten<br />

e<strong>in</strong>en Militärbrief bei sich tragen mußte, <strong>der</strong> ihm für den Kriegsfall se<strong>in</strong>en<br />

Posten <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau zuwies, was 1ii t e<strong>in</strong>er Verurteilung zu jahrelangem<br />

Gefangenenlager gleichbedeutend war. Daß Ts<strong>in</strong>gtau nicht zu e<strong>in</strong>er Festung<br />

und zu e<strong>in</strong>em Stützpunkt für Kriegsschiffe hätte gemacht werden dürfen, weil<br />

es, vom Heimatland ab


geschnitten, im Kriegsfall nicht zu halten war, hätte jedem Fachmann klar se<strong>in</strong><br />

müssen.<br />

Goto fährt fort: »Wir wissen ohl, daß uns <strong>der</strong> Haß auch aus Eng=<br />

land und Amerika kommt, und zwar sowohl von den Demokraten wie von<br />

den Imperialisten. Die politische Ursache liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Übervölkerung unseres<br />

Landes und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Angst uns -er Nachbarn vor dem Wett= Bewerb unserer<br />

Auswan<strong>der</strong>er; die menschliche <strong>in</strong> den Verschiedenheiten <strong>der</strong> Sprache, <strong>der</strong><br />

Lebensweise und <strong>der</strong> Wohnung, aus weichen beim Verkehr so viele<br />

Mißverständnisse erwachsen. Jetzt hastet unser ganzes Land danach, sich <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>n Art anzupassen, doch <strong>in</strong> fünfzig Jahren wird die Harmonie<br />

wie<strong>der</strong>hergestellt se<strong>in</strong> und es ist ke<strong>in</strong> Unglück, <strong>wenn</strong> bis dah<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ige schöne<br />

Sitten vorlorengehen sollten, wirkliche ja<strong>panische</strong> Kunst und Kultur haben<br />

Ewigkeitsdauer.«<br />

Es gibt hier ke<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Schwanken, ke<strong>in</strong> V ißtrauen <strong>in</strong> die eigene Kraft.<br />

Dar<strong>in</strong> liegt die Überlegenheit <strong>der</strong> Japaner über uns. Nach dem Erdbeben<br />

soll Goto mit e<strong>in</strong>em bereits fertigen Plan zum Neubau <strong>der</strong> Hauptstadt<br />

hervorgetreten se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>bekannt haben, daß er sich längst mit <strong>der</strong> Idee<br />

e<strong>in</strong>er Nie<strong>der</strong>reißung des alten Tokio getragen habe. Nur zu viel Geld habe<br />

es gekostet ------------------------------------Jetzt aber steigt für diesen starken<br />

Mann aus dem Nationalunglück die Vision e<strong>in</strong>er gewaltigen Weltstadt, denn<br />

auch <strong>der</strong> neue Hafen soll nicht mehr bei ~'okohama, son<strong>der</strong>n un= mittelbar bei<br />

<strong>der</strong> Hauptstadt errichtet werden.<br />

Goto erzählt mir nun, daß sich schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Bewegung zur<br />

Verwestlichung des Landes sehr weit durchgesetzt habe, unter dem Kaiser<br />

Meji, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Genie gewesen sei. Er glühte für Frieden, Brü<strong>der</strong>= lichkeit<br />

und Zivilisation und trug den an<strong>der</strong>en Nationen se<strong>in</strong>e Freund= schaft entgegen.<br />

Aber als damals bei jenem nie verschmerzten Frieden von Shimonoseki<br />

Frankreich, Rußland und Deutschland verlangt hatten, daß Japan von se<strong>in</strong>em<br />

Sieg über Ch<strong>in</strong>a ke<strong>in</strong>e Vorteile behalten dürfe, weil auch e<strong>in</strong>er besiegten<br />

Nation die Unverletzlichkeit gewahrt bleiben müsse -- bei diesen Worten<br />

unterbricht sich Goto selbst und wirft e<strong>in</strong>, daß man <strong>in</strong> Frankreich jetzt, wo<br />

man Sieger sei, offenbar an<strong>der</strong>s über diese D<strong>in</strong>ge denke -, habe <strong>der</strong><br />

friedliebende Kaiser wohl nachgegeben, sich aber wie<strong>der</strong> auf Japan<br />

zurückgezogen und die Ideen <strong>der</strong> Verwest= lichung fallen lassen. Er habe nie<br />

etwas Bitteres gesagt, auch dann nicht, als alle drei Län<strong>der</strong> und auch<br />

England Teile von Ch<strong>in</strong>a für sich herausschnitten. Bitteres gedacht habe<br />

aber das ganze Volk. Von Ruß= land und Deutschland habe es sich die<br />

Genugtuung bereits geholt und diesen beiden Län<strong>der</strong>n sei es nicht länger gram.<br />

For<strong>der</strong>e doch Bushido,<br />

<strong>der</strong> ja<strong>panische</strong> Kodex für Ritterlichkeit, daß man dem geschlagenen Fe<strong>in</strong>de wie<br />

e<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> die helfende Hand reiche.<br />

\X/ie friedlich dieser große Kaiser gewesen sei, gehe zur Genüge aus den von<br />

ihm geschriebenen fünfhun<strong>der</strong>t Gedichten hervor. Dieser se<strong>in</strong>er Zeit weit<br />

vorausgeeilte Denker begehrte die Mandsehurei nicht alle<strong>in</strong> für Japan, son<strong>der</strong>n<br />

wollte sie zur Stätte <strong>in</strong>ternationaler Zusammenarbeit machen, e<strong>in</strong>e<br />

weltumspannende Idee, welche <strong>in</strong> Wirklichkeit umzusetzen er, Goto, als<br />

Präsident <strong>der</strong> SüdmandschurisehenBahn <strong>in</strong> <strong>der</strong>Mandschurei versucht habe, aber<br />

Rußland habe es an<strong>der</strong>s gewollt und so sei es zum Kriege gekommen.<br />

Da ich Goto frage, wie diese Internationalität Mejis sich mit <strong>der</strong> Be=<br />

drückung <strong>der</strong> Koreaner vere<strong>in</strong>e, zeigt auch er den erstaunlichen Freimut <strong>der</strong><br />

Japaner, die nie versuchen, Unentschuldbares zu decken, und me<strong>in</strong>t, daß diese<br />

den jetzigen Fascisten vorweggenommene Politik niemals se<strong>in</strong>e Zustimmung<br />

gefunden und daß er stets gefürchtet habe, sie werde Japan übelwollen<br />

e<strong>in</strong>tragen. Doch auch beim besten Willen sei die Idee des<br />

Selbstbestimmungsrechtes für Korea <strong>noch</strong> nicht anwendbar. »Sollten Sie Ihre<br />

Absicht, durch Korea <strong>in</strong> die Mandschurei zu reisen, ausführen, so werden Sie<br />

selbst bestätigen müssen, um wieviel besser es Korea be= kommen ist, daß<br />

man es nicht vorzeitig sich selbst überlassen hat.« Goto sagt <strong>noch</strong> ausdrücklich,<br />

je<strong>der</strong> wisse, daß er die schweren Fehler, die dort geschehen seien, stets<br />

öffentlich gerügt und es für aussichtslos erklärt habe, e<strong>in</strong>e Bevölkerung, <strong>der</strong><br />

man <strong>in</strong> kurzsichtiger Weise jede geistige Befriedigung vorenthalte, zur<br />

Würdigung <strong>der</strong> sachlichen Vorteile e<strong>in</strong>er Fremdherrschaft zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Diese unerwartete Offenheit des großen Mannes verlockt mich, die<br />

brennende Frage des Tages anzuschneiden: Joffe. Goto wird sofort<br />

zurückhaltend und erklärt, er habe Joffe e<strong>in</strong>geladen, weil er krank sei und Ch<strong>in</strong>a<br />

dem schwer leidenden Manne Aufenthaltsschwierigkeiten bereitete. Ich werfe<br />

e<strong>in</strong>, daß Goto doch nicht allen kranken Leuten e<strong>in</strong> Asyl bieten<br />

könne. Also warum gerade Joffe? »Warum gerade nicht Joffe?« fragt er zurück.<br />

Da beichte ich lächelnd, daß mir schon gestern auf e<strong>in</strong>em euro=<br />

päischen Tee vorhergesagt worden sei, daß Goto auch mir gegenüber die<br />

Fiktion dieser Erholungsreise aufrechterhalten werde. Darauf me<strong>in</strong>t er,<br />

dies sei bezeichnend für die traurige Vergiftung <strong>der</strong> Zeit durch die Politik,<br />

niemand wolle mehr an re<strong>in</strong>e Menschlichkeit glauben. Darunter, daß<br />

jedes Geschehnis mit politischen Augen betrachtet werde, leide die ganze<br />

Welt. Dem ja<strong>panische</strong>n Botschafter <strong>in</strong> Polen sei von Rußland erlaubt<br />

worden, durch Sibirien heimzufahren, und e<strong>in</strong>e Gegene<strong>in</strong>ladung an e<strong>in</strong>en<br />

Russen sei um nichts mehr, als wozu sich jedes Bürgerhaus verpflichtet fühle.<br />

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Die Welt freilich behauptet, diese E<strong>in</strong>ladung sei e<strong>in</strong> Meisterstück <strong>der</strong><br />

Politik, denn Goto sandte sie persönlich als Präsident <strong>der</strong> gelehrten russisch=<br />

ja<strong>panische</strong>n Gesellschaft, also durchaus als Privatmann, und Joffe kam ja<br />

wirklich krank genug <strong>in</strong> Japan an, wäre dort be<strong>in</strong>ahe gestorben, so daß die<br />

Regierung tun kann, als wüßte sie von nichts. Die Möglichkeit, daß Goto,<br />

dessen Macht sehr groß ist, die I 7ierung wirklich nicht gefragt hat, ist<br />

freilich auch nicht von <strong>der</strong> Hand zu weisen. Führen die so schlau<br />

angeknüpften Fäden zu e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung, so kann sich die Regie= rung<br />

je<strong>der</strong>zeit zu ihr bekennen, verläuft die Sache ergebnislos, so kann ihr politisches<br />

Ziel unentwegt geleugnet werden. Goto ist jedenfalls durch die Überfälle auf<br />

se<strong>in</strong> Heim für den Besuch Joffes bestraft worden, trotzdem er sofort e<strong>in</strong>en<br />

sichtbaren Erfolg hatte: die lang erwünschte Fischerei <strong>in</strong> Sachal<strong>in</strong> ist wie<strong>der</strong><br />

freigegeben worden. »Ich fürchte ke<strong>in</strong>erlei Gefahr durch Joffe,« sagt Goto,<br />

»denn ich habe Vertrauen <strong>in</strong> die ja<strong>panische</strong> Nation und <strong>in</strong> die ja<strong>panische</strong><br />

Polizei!« Und als ich dazu wie<strong>der</strong> lächeln muß, schließt er ernst: »Ja, ich<br />

<strong>in</strong>teressiere mich für Rußland und für Joffe persönlich. Niemand <strong>in</strong> Japan wird<br />

mich daran h<strong>in</strong><strong>der</strong>n.«<br />

Schließlich bedauert Goto, daß man <strong>in</strong> Japan so wenig über den<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau Österreichs wisse. Vor siebenundvierzig Jahren sei er <strong>in</strong> Wien<br />

zu Billroths Füßen gesessen und <strong>der</strong> erste mediz<strong>in</strong>ische Lehrer <strong>in</strong> Japan, Dr.<br />

Rohrlitz, von dem er Deutsch gelernt habe, sei e<strong>in</strong> Wiener gewesen. Das<br />

erste Kriegsschiff, das er je gesehen, sei aus Österreich gekommen. Damals<br />

habe Japan <strong>noch</strong> ke<strong>in</strong>es gehabt, jetzt besitze Öster= reich ke<strong>in</strong>es mehr - und<br />

zwischen dieser Wendung liege se<strong>in</strong> Leben.<br />

Bei dem Abschied, den er genau so würdevoll gestaltet, wie wir uns<br />

orientalische Art vorzustellen pflegen, muß ich lebhaft daran denken, wie mir<br />

bei dem gestrigen Tee <strong>der</strong> mißvergnügten Europäer anempfohlen worden war,<br />

Goto über e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> dunklen Schiebungen, die hier jedem Staatsmann<br />

nachgesagt werden, so hoch se<strong>in</strong>e Würde auch sei, zu befragen, Die Weißen<br />

<strong>in</strong> Japan behaupten nämlich, je<strong>der</strong> ja<strong>panische</strong> Beamte lasse schließlich mit sich<br />

reden, nur die Höhe <strong>der</strong> Versuchung wechsle; läßt man aber das Auftreten<br />

dieser leitenden Männer auf sich wirken, so ersche<strong>in</strong>t es fast unbegreiflich,<br />

daß sich so schlimme Nachrede bis zu ihnen vorwagen könne.<br />

Jedenfalls übertrumpft <strong>der</strong> Schwiegervater, <strong>der</strong> als Ultrakonservativer mit<br />

den Bolschewisten Fäden anknüpft, <strong>noch</strong> den Schwiegersohn, <strong>der</strong> als<br />

Revolutionär die Tochter des Konservativen freite. Beides aber ist e<strong>in</strong><br />

Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, das <strong>in</strong> Japan zu den Alltäglichkeiten gehört.<br />

III. WAS IN TOKIO LOS IST.<br />

8. Unter Landsleuten.<br />

n freien Abenden pflege ich e<strong>in</strong>en Landsmann aufzusuchen, <strong>der</strong> »<strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>er Nähe« wohnt; habe ich Glück mit <strong>der</strong> Elektrischen, so brauche ich<br />

»nur« zwanzig M<strong>in</strong>uten bis zu se<strong>in</strong>em Haus. Jedesmal muß ich die Haltestellen<br />

zählen, denn auch nach e<strong>in</strong>em halben<br />

Dutzend Fahrten kann ich mir die Ecke<br />

<strong>der</strong> langen Straße, bei <strong>der</strong> ich auf dem<br />

Wege dah<strong>in</strong> um= steigen muß, nicht<br />

merken. Wie jetzt die meisten<br />

Europäer, wohnt er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

ja<strong>panische</strong>n Hause. Früher konnte e<strong>in</strong><br />

weißer Angestellter mir e<strong>in</strong>em<br />

Monatsgehalt von hun<strong>der</strong>t= zwanzig<br />

Yen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausländischen Hause<br />

Koch und Diener halten, Gäste<br />

empfangen und dabei <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>e hüb=<br />

sche Summe zurücklegen, während jetzt<br />

das sparsamste Leben mit e<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>fachen Magd im ja<strong>panische</strong>n Hause<br />

das Dreifache erfor<strong>der</strong>t. Diese Höhe<br />

<strong>der</strong> Lebenskosten nötigt die meisten<br />

Firmen, sowohl <strong>in</strong>= wie ausländische,<br />

mit so wenig europäischen Hilfskräften<br />

wie möglich auszukommen.<br />

Me<strong>in</strong>es Freundes Häuschen ist<br />

entzückend und jedesmal, <strong>wenn</strong> ich die<br />

so romantisch gelegene<br />

Spielzeugschachtel betrete, beneide ich<br />

ihn darum. Me<strong>in</strong> Landsmann lächelt dazu. Es ist mir <strong>noch</strong> nicht klar,<br />

warum; aber ich sollte Japan nicht verlassen, ohne durch eigene Erfah=<br />

rungen auf den Grund dieses geheimnisvollen Lächelns zu kommen. Das<br />

Häuschen me<strong>in</strong>es Freundes steht auf e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Anhöhe und <strong>der</strong> Auf=<br />

gang ist zumeist im Straßenschmutz sozusagen ertrunken. Hat man aber oben<br />

se<strong>in</strong>e Schuhe ausgezogen und öffnet man e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Shoji, <strong>der</strong> papie=<br />

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enen Schiebetüren, so genießt maii e<strong>in</strong>e unvergleichliche Aussicht über den<br />

verschneiten Shiba-Park. Das reizende kle<strong>in</strong>e Heim hat Glastüren zwischen <strong>in</strong><br />

Holzrahmen gefaßten Papierwänden; auf den Etageren stehen wun<strong>der</strong>volle alte<br />

ja<strong>panische</strong> Kunstwerke, aber die Echtheit des Bildes wird durch europäische<br />

Tische, Stühle, Gaskam<strong>in</strong>e und Bücherregale gestört.<br />

Da wir e<strong>in</strong>es Abends gemütlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fßzimmerchen <strong>sitzen</strong> und da ich<br />

hervorhebe, wie gut es die Junggesellen hier hätten, sie könnten <strong>in</strong> diesen<br />

versteckten Häuschen so oft sie nur wollten, ihre Freund<strong>in</strong>nen emp= fangen,<br />

sagt me<strong>in</strong> Landsmann mit bitterem Lächeln: »Ganz im Gegenteil! Weniger als<br />

irgendwo an<strong>der</strong>s. Daß Sie heute da s<strong>in</strong>d, weiß morgen die ganze Stadt, s<strong>in</strong>d<br />

doch die Dienst= mägde von <strong>der</strong> Polizei zur Spio= nage gedungen und erzählt es<br />

doch<br />

außerdem jede ihrer<br />

Nachbar<strong>in</strong>.«<br />

Über den Euro=<br />

päern hier draußen<br />

liegt e<strong>in</strong>e tragische<br />

E<strong>in</strong>samkeit, ke<strong>in</strong>er<br />

wird am an<strong>der</strong>n<br />

warm und die Ge<br />

selligkeit erschöpft<br />

sich meist <strong>in</strong> großen<br />

Abfütterungen, bei<br />

welchen sich je<strong>der</strong><br />

Gast hölzern bis zur<br />

Unkenntlichkeit<br />

zeigt. Gemütlich gibt<br />

man sich nur dann,<br />

<strong>wenn</strong> sich e<strong>in</strong>ige Landsleute zum Abendessen e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den, wie beispielsweise<br />

heute, wo mir e<strong>in</strong> Niku Nabe vorgesetzt werden soll, e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wenigen<br />

ja<strong>panische</strong>n Gerichte, die von den Europäern über= nommen worden s<strong>in</strong>d. Es<br />

war schon lange me<strong>in</strong> Wunsch gewesen, e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Österreicher, den<br />

bekannten Sportsmann Aloys von Grienberger, dem es bisher als e<strong>in</strong>zigem<br />

Skiläufer gelungen ist, auf »Bretteln < die viertausend Meter hohe Spitze des<br />

Fujiyama zu erreichen, kennenzulernen; heute abend ist er hier e<strong>in</strong>geladen,<br />

aber nicht um se<strong>in</strong>er Weltberühmtheit im Ski= fahren willen. »Wissen Sie,« sagt<br />

<strong>der</strong> Hausherr, <strong>in</strong>dem er ihn mir vor= stellt, »das ist <strong>der</strong>, <strong>der</strong> das Niku Nabe<br />

so wun<strong>der</strong>bar kocht.« Und ich darf nun zusehen, wie er das macht.<br />

Die alte ja<strong>panische</strong> Magd, die schon seit Jahren im Hause waltet, hat alles<br />

hergerichtet, und zwar, wie mir sche<strong>in</strong>t, viel zu reichlich; aber es<br />

muß etwas übrigbleiben, sonst ist sie auf den Tod betrübt, daß es zu<br />

wenig gewesen sei, for<strong>der</strong>t doch die ja<strong>panische</strong> Sitte, daß man stets etwas <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Schüssel zurücklasse.<br />

Solch e<strong>in</strong>e ja<strong>panische</strong> Diener<strong>in</strong> verwöhnt ihre Dienstgeber so sehr, daß sie<br />

unselbständig wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden und sich <strong>in</strong> Europa gar nicht mehr<br />

zurechtf<strong>in</strong>den. Sie läßt sich so abrichten, daß mit ihrer Hilfe e<strong>in</strong> unggeselle<br />

J<br />

genau so Haus führen kann wie e<strong>in</strong> Verheirateter. Des Morgens sagt er<br />

<strong>der</strong> Magd: soundso viele Gäste kommen des Abends, dies und jenes soll<br />

gegessen und getrunken werden. Nur um die wenigen M<strong>in</strong>uten, die er selbst zum<br />

Umkleiden benötigt, kehrt er vor <strong>der</strong> Ankunft <strong>der</strong> E<strong>in</strong>geladenen beim. Auch<br />

dieses Umkleiden ist je nach dem Schlagwort: »Frack« o<strong>der</strong> »Smok<strong>in</strong>g«<br />

o<strong>der</strong> etwa »Tennis« bis auf die letzte E<strong>in</strong>zelheit vorbereitet und alles, was<br />

zur jeweiligen Dreß gehört, heraus= gelegt. Zum Frackhemd die Knöpfe, zu<br />

an<strong>der</strong>en Anzügen die passenden Krawatten, die Schuhe s<strong>in</strong>d geweißt o<strong>der</strong><br />

geschwärzt, kurz, außer dem wirklichen Ankleiden braucht <strong>der</strong> Herr ke<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>zigen Handgriff selbst zu tun. Das Wegräumen besorgt ebenfalls die Magd,<br />

<strong>der</strong>en Zuverlässig= keit alles anvertraut werden kann. Jedes Stückchen wird<br />

treulich wie<strong>der</strong> an se<strong>in</strong>en Platz zurückgetan, gestohlen wird nie etwas, we<strong>der</strong><br />

persön= liehe Gegenstände, <strong>noch</strong> Silber, Porzellan o<strong>der</strong> Tischwäsche. Zieht<br />

e<strong>in</strong>e weiße junge Frau <strong>in</strong> das Haus e<strong>in</strong>, so br<strong>in</strong>gt sie, außer ihrer Persönlichkeit,<br />

eigentlich nichts mit, was ihre Anwesenheit nötig machte. Deshalb s<strong>in</strong>d<br />

Japaner<strong>in</strong>nen auch außerhalb Japans im ganzen Osten als Wirt.<br />

schafter<strong>in</strong>nen gesucht.<br />

In dem w<strong>in</strong>zigen Eßzimmerchen steht auf dem Hibachi e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Pfanne,<br />

die dick mit Fett ausgeschmiert und mit fe<strong>in</strong>gehobelten Zwiebel= schnitten<br />

ausgelegt wird. Dazu kommt Shoju, die berühmte ja<strong>panische</strong> Sauce, und<br />

Mir<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> süßer Sake, e<strong>in</strong>e Abart des geliebten National= geträtikes, etwas<br />

R<strong>in</strong>dsuppe und Zucker, außerdem Nara=Tsuke, MelonenE<strong>in</strong>gemachtes, und<br />

dieses Höllengebräu nun <strong>in</strong> <strong>der</strong> richtigen 'Mischung aufprasseln zu lassen,<br />

erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>en Meisterkoch. Wenn es Blasen wirft, werden ganz dünn<br />

geschnittene, rohe Fleischscheibchen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getan und mit den Hashi, den<br />

ja<strong>panische</strong>n Eßstäbchen, umgewendet; je<strong>der</strong> greift dann mit se<strong>in</strong>em Paar<br />

Hashi eiligst <strong>in</strong> die Pfanne und füllt sich se<strong>in</strong>e ja<strong>panische</strong> Eßschale daraus.<br />

Solange <strong>noch</strong> etwas von <strong>der</strong> kochenden Sauce übrig ist, mag sich <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

se<strong>in</strong> Fleisch kürzer, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e länger braten lassen, ist sie aber ausgetunkt, so<br />

muß <strong>der</strong> Koch sie neu zubereiten. Da alle aus <strong>der</strong>selben Schüssel essen, fällt<br />

am meisten auf denjenigen, <strong>der</strong> am fl<strong>in</strong>ksten ist. Die seltsame Speise<br />

schmeckt so vorzüglich, gleich<br />

74 75


zeitig beißend und pikant, l<strong>in</strong>d und süß, daß <strong>der</strong> mir überreichlich erschienene<br />

Vorrat überraschend schnell dah<strong>in</strong>schw<strong>in</strong>det, zumal man viel mehr<br />

davon vertragen kann, als man als Neul<strong>in</strong>g vorher für möglich ge> halten hätte.<br />

Der Reis dazu wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em riesigen Holzbottich <strong>in</strong> dem Augenblick<br />

here<strong>in</strong>gebracht, da das erste Fleischstückchen schmort, nicht früher, nicht<br />

später. Ke<strong>in</strong> Japaner würde 'emals abgestandenen Reis essen, ja überhaupt<br />

verstehen, wie man von demselben Reisgericht zweimal nehmen kann.<br />

Hat man erst die <strong>in</strong> Europa übertriebene Scheu überwunden, dann f<strong>in</strong>det<br />

man nichts gemütlicher, als mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Tafelrunde aus e<strong>in</strong>er Schüssel zu<br />

essen. Und so bemächtigt sich unserer kle<strong>in</strong>en Gesellschaft bald die<br />

Fröhlichkeit, die solchem Mahle stets entwächst. Nachdem von dem Berg von<br />

Fleisch gerade nur die Höflichkeitsstückchen übrigge= blieben s<strong>in</strong>d, marschiert<br />

Whisky=Soda auf, die Zigaretten glimmen und je<strong>der</strong> lehnt sich wohlgefüttert<br />

und behaglich zurück. Was Wun<strong>der</strong>, <strong>wenn</strong> ich die Glücklichen preise, die<br />

hier im exotischen Lande <strong>der</strong> grauen Lebense<strong>in</strong>förmigkeit Europas<br />

entrückt s<strong>in</strong>d. Aber das Lächeln, das ich zur Antwort erhalte, ist <strong>noch</strong><br />

bitterer als das vorh<strong>in</strong>. Und nun geht das Erzählen los.<br />

E<strong>in</strong>e harte <strong>Schule</strong> ist es, durch die alle h<strong>in</strong>durch müssen, die als<br />

»junge Leute« hier herausgeschickt werden. Wessen Charakter nicht stark<br />

genug ist, um sie zu bestehen, <strong>der</strong> geht zugrunde, »strandet«, wie <strong>der</strong><br />

Term<strong>in</strong>us technicus lautet. Etwa fünfundzwanzigjährig o<strong>der</strong> <strong>noch</strong> jünger<br />

kommt <strong>der</strong> junge Mann her, alle<strong>in</strong>, voll Heimweh. Lange Briefe schreibt er<br />

anfangs nach Hause, dann erschöpft sich <strong>der</strong> Stoff, dann lockert sich die<br />

Verb<strong>in</strong>dung. Er hat die feste Absicht zu sparen, ist viel leicht daheim<br />

verlobt, er sitzt also - e<strong>in</strong> »standhafter Z<strong>in</strong>nsoldat« - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en freien Stunden <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er meist sehr ungemütlichen Behausung, liest, schläft - - - Aber im Osten<br />

ist abends <strong>der</strong> Schlaf e<strong>in</strong> seltener Gast, die Bücher handeln von D<strong>in</strong>gen,<br />

die hier so fern liegen, die Stunden dehnen sich - - - In diesem<br />

psychologisch kritischen Zustand folgt er dem Bureaugenossen <strong>in</strong> den Klub.<br />

Dort tr<strong>in</strong>kt er den ersten Whisky, dem bald weitere folgen. Se<strong>in</strong> Blut wallt<br />

auf, die Abende s<strong>in</strong>d schwer von fremden Düften und exotischer<br />

Stimmung. Nun lernt er e<strong>in</strong>e Frau kennen - Amerikaner<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d hier, die<br />

eigens um se<strong>in</strong>esgleichen her= überkommen, die kalt, überlegen, unbarmherzig<br />

vorgehen. An<strong>der</strong>e, weniger bewußt, aber nicht weniger gefährlich, s<strong>in</strong>d<br />

Halbblut und die Geisha tut das übrige. Sie alle wohnen <strong>in</strong> schönen Häusern,<br />

geben Tanz-abende mit Tr<strong>in</strong>kgelagen. Er braucht nichts zu bezahlen, nur<br />

Schecks<br />

zu unterschreiben, wie überall, <strong>in</strong> allen Läden, <strong>in</strong> allen Hotels, bei allen<br />

Chauffeuren - - -<br />

Denn natürlich, auch e<strong>in</strong> Auto muß er haben. Seit dem Kriege s<strong>in</strong>d<br />

hier die Straßen voll von Automobilen, vom mo<strong>der</strong>nsten Typ bis zur<br />

gefährlichsten Karre. E<strong>in</strong> gutbezahlter Angestellter e<strong>in</strong>er großen Firma<br />

bezieht etwa sechshun<strong>der</strong>t Yen im Monat, davon kostet ihn das Auto, das<br />

er haben muß, <strong>wenn</strong> er etwas gelten will, e<strong>in</strong> Viertel. Der Anfänger verdient<br />

etwas mehr als die Hälfte davon, aber auch er fährt mit dem Auto<br />

spazieren, lädt Damen zu Ausflügen e<strong>in</strong>. Tr<strong>in</strong>kt er irgendwo e<strong>in</strong> Glas<br />

Whisky, so läßt er das Auto draußen warten, großzügig, wie man hier<br />

draußen geworden ist, und weil man doch nachher nur dem Wagenlenker<br />

etwas <strong>in</strong>s Buch zu schreiben braucht - - bis dann am Ersten die Rechnungen<br />

kommen und man für e<strong>in</strong>en Tag aus dem H<strong>in</strong>dämmern aufwacht und sich<br />

klarmacht, daß man eigentlich wie<strong>der</strong> dreißig furcht= bare Tage zwecklos hier<br />

gewesen ist. Bereits am zweiten schlägt aber die Trostlosigkeit wie<strong>der</strong> über<br />

e<strong>in</strong>em zusammen und man greift nach den paar D<strong>in</strong>gen, die das Leben<br />

erträglich machen, Auto, Whisky, Weiber, mögen sie auch das ganze Gehalt<br />

verschl<strong>in</strong>gen.<br />

Langsam gerät <strong>der</strong> junge Mann <strong>in</strong> Schulden. Tennisklub, Sportvere<strong>in</strong>,<br />

Ru<strong>der</strong>gesellschaft, Jagdgenossen strecken ihre Arme nach ihm aus. Was soll<br />

er Sonnabend nachmittags, Sonntags tun? Alles kostet Geld. Je<strong>der</strong> Schritt,<br />

jede Bewegung bedeutet e<strong>in</strong>en Yen. Jede Bekanntschaft, jede Freude zieht<br />

das Netz enger. Endlich machen die Schulden e<strong>in</strong> paar tausend Yen aus<br />

und die höfliche Bereitwilligkeit des Borgens hört all= mählich auf. Nun geht<br />

er zu se<strong>in</strong>em Chef. Der zahlt natürlich, aber es ist jetzt mit <strong>der</strong> Urlaubsreise<br />

nach Hause vorbei, er muß e<strong>in</strong>ige Jahre lang die Schulden abarbeiten.<br />

Vielleicht ist er mittlerweile krank geworden, angesteckt o<strong>der</strong> vom Fieber<br />

befallen. Das Mädel zu Hause nimmt e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>n und er mietet sich e<strong>in</strong>e<br />

Japaner<strong>in</strong> als Haushälter<strong>in</strong>, bloß um nicht alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Schließlich heiratet<br />

er sie, Halbblutk<strong>in</strong><strong>der</strong> kommen zur Welt, die er nicht lieben kann. Mit<br />

vierzig Jahren ist er e<strong>in</strong> mü<strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e Sehnsucht mehr kennt.<br />

Das Schlimmste daran ist, daß dies je<strong>der</strong> ganz alle<strong>in</strong> durchzukämpfen hat.<br />

Diejenigen, die sich durchgerungen haben, werden hart und verschlossen.<br />

Je<strong>der</strong> lebt nur für sich. Hier hilft ke<strong>in</strong>er dem an<strong>der</strong>n, je<strong>der</strong><br />

hütet sich, se<strong>in</strong> Herz wegzugeben, an Rassegleiche o<strong>der</strong> gar an Japaner.<br />

Vielleicht war es vor dem Kriege e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Ursachen <strong>der</strong> Erfolge <strong>der</strong><br />

Deutschen, daß <strong>der</strong> eisern geschulte deutsche »junge Mann« viel wi<strong>der</strong>=<br />

standsfähiger als mancher an<strong>der</strong>e gegen den Zwang des Ortes, den Genius<br />

76 77


loci, anzukämpfen verstand. Nur selten g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>er zugrunde. Was ihn <strong>in</strong> Japan<br />

vor allem hielt und ihm auch jetzt das Rückgrat stählt, ist die Lust am Wan<strong>der</strong>n,<br />

das allsonntägliche Besteigen <strong>der</strong> Berge. Deutsche und Österreicher s<strong>in</strong>d es<br />

vor allem, die <strong>in</strong> Japan touristische Pionierdienste leisten, die auch dem<br />

W<strong>in</strong>tersport hier draußen Vorkämpfer waren.<br />

Als Aloys von Grienberger nach Tokio - ni, war <strong>der</strong> Skisport dort<br />

schon bekannt, und zwar hatte ebenfalls e<strong>in</strong> Wiener, <strong>der</strong> damalige Major von<br />

Lerch, welcher <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Armee zugeteilt gewesen war, e<strong>in</strong>e<br />

militärische Skischule gegründet, die aber nach se<strong>in</strong>em Abschied wie<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>gegangen war. Ins Zivil war ke<strong>in</strong>e Kenntnis des Skifahrens, ja nicht e<strong>in</strong>mal<br />

die Kunde davon gedrungen, doch seit 1914 gibt es bei Goshiki= Onsen<br />

(das heißt: »Heiße Fünffarben=gelle«> so etwas wie e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>ter=<br />

sportplatz, wo Österreicher, Deutsche, Englän<strong>der</strong> und Schweden den AlL<br />

p<strong>in</strong>en Skiklub begründet und wo die Japaner von Lerch e<strong>in</strong> Denkmal errichtet<br />

haben. Viel geschah freilich nicht, denn im Osten erschlaffen die Nerven des<br />

Weißen und nach mehreren feuchtheißen Sommern läßt se<strong>in</strong>e Energie und<br />

Unternehmungslust merklich nach.<br />

Bei Ausbruch des Krieges fiel dieser Skiklub ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und wurde<br />

bislang nicht wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Leben gerufen, weil se<strong>in</strong>e Stützen ja doch die Hunnen<br />

und Halbhunnen - mit welchem Namen man die Österreicher beehrte - waren<br />

und mit ihnen niemand im Osten etwas zu tun haben wollte. Immerh<strong>in</strong> war<br />

<strong>der</strong> Klub e<strong>in</strong> Gegenstand des Interesses für die Japaner geworden, die nun<br />

seit drei Jahren selbst an dem Sport teilnehmen. Seitdem die Studenten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schule</strong> auf Bänken <strong>sitzen</strong> gelernt haben und auch zu Hause nicht mehr auf<br />

<strong>der</strong> Erde hocken, seitdem sie Fleisch essen und <strong>in</strong> den amerikanischen<br />

Missionsschulen Bewegungsspiele - Tennis, Fußball und vor allem Baseball --<br />

treiben, s<strong>in</strong>d viele von ihnen so groß und kräftig wie unsere jungen Leute. Da<br />

sich nun herausgestellt hat, daß die jungen ja<strong>panische</strong>n Skiläufer <strong>der</strong><br />

Lungenschw<strong>in</strong>dsucht, die <strong>in</strong> Japan ihre Opfer <strong>in</strong> Hekatomben dah<strong>in</strong>rafft, mehr<br />

Wi<strong>der</strong>stand entgegensetzen, wurde die neue Art <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terbergsteigerei von<br />

den Hochschulen sehr begünstigt und die Regierung veranlaßte die Lehrer,<br />

e<strong>in</strong>en ja<strong>panische</strong>n Alpenvere<strong>in</strong> zu gründen. Unterkunftshütten wurden gebaut,<br />

die allerd<strong>in</strong>gs anfangs nur Sommerbenutzung fanden. Allmählich wuchs das<br />

Interesse am W<strong>in</strong>tersport so sehr, daß e<strong>in</strong> Japaner zum Studium <strong>in</strong> die<br />

Schweiz gesendet wurde, welcher dann nach se<strong>in</strong>er Rückkehr bei Seki= Onsen<br />

<strong>in</strong> Echigo, wo <strong>der</strong> meiste Schnee fällt und sehr gutes Abfahr= terra<strong>in</strong>,<br />

vorwiegend Kraterlandschaft, vorhanden ist, die erste ja<strong>panische</strong> Skischule<br />

gründete. Herr Maki, <strong>der</strong> dort als Lehrer wirkte, führte an<br />

Stelle <strong>der</strong> von Lerch, e<strong>in</strong>em Schüler Mathias Zdarskys, gepredigten<br />

Lilienfel<strong>der</strong> B<strong>in</strong>dung und Technik die aus <strong>der</strong> Schweiz mitgebrachte Huitfeldb<strong>in</strong>dung<br />

e<strong>in</strong> und ließ se<strong>in</strong>e Schüler nach dem norwegischen System<br />

Telemark= und Christianiaschwünge ohne Stock üben. Jetzt leitet e<strong>in</strong><br />

ausgezeichneter Lehrer, namens Kobayashi, <strong>der</strong> schon aus ja<strong>panische</strong>r<br />

<strong>Schule</strong> hervorgegangen ist, diese Übungsplätze.<br />

Auch die »Brettel« werden bereits <strong>in</strong> Japan selbst hergestellt. Die<br />

ersten Bilgerib<strong>in</strong>dungen wurden <strong>noch</strong> <strong>in</strong> Wien gekauft, aber die weiteren<br />

tadellos <strong>in</strong> Japan nachgemacht, zur großen Enttäuschung <strong>der</strong> österreichi=<br />

schen Fabrikanten, die - <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung auf Nachbestellungen -- be= geistert<br />

die Muster geliefert hatten. So erfuhren also auch sie, welch e<strong>in</strong> gründlicher<br />

Irrtum es ist, sich über ja<strong>panische</strong> Probee<strong>in</strong>käufe zu freuen.<br />

Aber bei allem guten Willen <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Skifahrer hatte es doch<br />

bisher ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger unter ihnen so weit gebracht, Herrn von Grienberger als<br />

Genosse für die Besteigung des Fujiyama zu dienen. War diese Tour doch<br />

auch für den eisern gestählten österreichischen Sportsmann die Krönung<br />

jahrelanger Pioniertätigkeit auf diesem Gebiete, wurde sie doch auch von ihm<br />

an das Ende all se<strong>in</strong>er Entdeckerfahrten durch das japa= nische Hochgebirge<br />

gestellt. Viele Erstersteigungen dreitausend Met,:hoher ja<strong>panische</strong>r Berge<br />

hatte er vorher alle<strong>in</strong> durchgeführt. Doch die Schwierigkeiten, die <strong>der</strong> Fujiyama<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em \XV<strong>in</strong>tereismantel den Schneeschuhen bietet, übersteigen so ziemlich<br />

alles, was <strong>in</strong> Europa auf diesem Gebiete bekannt ist. Ganz oben beträgt die<br />

Steilheit etwa 45 Grad und e<strong>in</strong> Absturz brächte den sofortigen Tod.<br />

Manch e<strong>in</strong> Skifahrer hatte vor Grienberger den Versuch unternommen, bis<br />

zur Spitze des berühmten heiligen Berges vorzudr<strong>in</strong>gen, aber bis über die fünfte<br />

o<strong>der</strong> äußerstenfalls sechste Station war <strong>noch</strong> niemand gekommen. Der heilige<br />

Berg ist für die Pilger, die ihn im Sommer zu Tausenden be= steigen, ähnlich<br />

wie e<strong>in</strong> Kalvarienberg <strong>in</strong> Stationen geteilt, auf welchen es Teehäuser und<br />

e<strong>in</strong>fache Unterkunftsstätten gibt. Diese s<strong>in</strong>d aber im W<strong>in</strong>ter leer. Der ganze<br />

Proviant mußte mitgeschleppt, <strong>in</strong> den Stationen vor <strong>der</strong> Hütte das Eis<br />

weggestemmt und <strong>der</strong> Schnee dr<strong>in</strong>nen abgekehrt werden. Die Nacht über<br />

hatte Grienberger beim Herd zu wachen -tränenden Auges, da es für den<br />

Rauch ke<strong>in</strong>en Abzug gab denn <strong>der</strong> Schlaf e<strong>in</strong>er Stunde hätte für ihn <strong>der</strong><br />

Todesschlaf werden können. Die Last des photographischen Apparates wurde<br />

vergeblich getragen, weil <strong>der</strong> von unten o<strong>der</strong> von oben aufgenommene<br />

Steilhang <strong>in</strong>folge se<strong>in</strong>er ungeheuren Jähe auf den je<strong>der</strong> Perspektive<br />

ermangelnden Bil<strong>der</strong>n wie e<strong>in</strong>e Ebene wirkt.<br />

78 79


Die Erlaubnis zum ersten Aufstieg im Frühl<strong>in</strong>g gibt den Wallfahrern e<strong>in</strong><br />

dem Berg zugeteilter Priester, <strong>der</strong> den österreichischen Skifahrer vor <strong>der</strong><br />

W<strong>in</strong>tertour warnte, weil sich <strong>der</strong> Berg sonst rächen werde. Es war daher<br />

e<strong>in</strong>e für e<strong>in</strong>en Japaner mutige Tat, geistig und körperlich neuartig, als <strong>der</strong><br />

Skilehrer Kobayashi sich entschloß, Ingenieur Grienberger auf den Fujiyama<br />

zu begleiten. Er sicherte ih: zu, durch dick und dünn mit ihm zu gehen. So<br />

waren also die beiden den stolzen Kegel »angegangen«, Kobayashi immer<br />

ganz brav h<strong>in</strong>ter Grienberger dre<strong>in</strong>, trotz schneidiger Kämme und<br />

schw<strong>in</strong>deln<strong>der</strong> Eisgründe. Auf <strong>der</strong> vierten Station blieben sie über Nacht.<br />

Als aber <strong>der</strong> Japaner am an<strong>der</strong>n Morgen das blanke Eis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühsonne<br />

glitzern sah, sagte er energisch: »Ne<strong>in</strong>!« und fuhr bergab.<br />

Das Schlimme an <strong>der</strong> Fuji=Besteigung ist, daß <strong>der</strong> Aufstieg außer=<br />

ordentlich ermüdet und abspannt; man kann ke<strong>in</strong>en Augenblick »leichter gehen<br />

und dabei ausrasten, ohne Pause muß man »kanten«, das heißt, e<strong>in</strong>en<br />

künstlichen Stand schaffen. Noch dazu »steht« vom Gipfel herab e<strong>in</strong> scharfer<br />

Gegenw<strong>in</strong>d, oben ist ewiger Orkan, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er uns unbekannten Stärke, <strong>der</strong><br />

förmlich wie durch e<strong>in</strong>en Saugschlauch die Nebelfetzen <strong>der</strong> ganzen Gegend<br />

zur Spitze h<strong>in</strong>reißt. Nur <strong>in</strong> den seltensten Fällen ist dieser berühmte Berg ganz<br />

klar.<br />

Nach jahrelangem Studium <strong>der</strong> Wetterverhältnisse hat Aloys von<br />

Grienberger se<strong>in</strong>en Versuch unmittelbar nach e<strong>in</strong>em Taifun unternommen, weil<br />

ganz schweren Stürmen e<strong>in</strong>ige w<strong>in</strong>dstille Tage folgen. Bei Nebel und<br />

schlechtem Wetter das oberste Dritteil des Fujiyama zu erklimmen, ist<br />

unmöglich, weil dann auf <strong>der</strong> glatten Unterlage <strong>der</strong> Schnee nicht haftet und die<br />

ganze Spitze aus blankem, lauterem Eise besteht. Dem kühnen E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />

diese Region wurden auch an dem »w<strong>in</strong>dstillen« Tage <strong>der</strong> Besteigung die<br />

Lavakörner mit so furchtbarer Gewalt <strong>in</strong>s Gesicht ge= schlagen, daß er<br />

Wunden davongetragen hätte, wären nicht Gesicht und Hände durch Maske<br />

und Handschuhe geschützt gewesen. Aber die M<strong>in</strong>ute auf <strong>der</strong> Spitze oben<br />

entschädigte für alle Leiden.<br />

Zweimal hat sie Grienberger auf Skiern erreicht. Diese beiden Be=<br />

steigungen erfor<strong>der</strong>ten die Aufbietung <strong>der</strong> ganzen Kraft e<strong>in</strong>es geübten,<br />

gestählten Körpers. Sie wurden nie wie<strong>der</strong>holt.<br />

Atemlos hatten wir dem kühnen Sportsmann gelauscht. Aber da wir gegen<br />

Mitternacht aufbrechen, sagt <strong>der</strong> Hausherr zu ihm: »Vielen Dank, lieber<br />

Grienberger, das Niku Nabe hast Du wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal ausgezeichnet gekocht«.<br />

8o<br />

9. Die Kleidung.<br />

Daß <strong>der</strong> Japaner trotz <strong>der</strong> Schwierigkeiten, die e<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>nes Leben<br />

<strong>in</strong> unzeitgemäßer Tracht mit sich br<strong>in</strong>gt, an se<strong>in</strong>em überlieferten Kostüm<br />

festhält, ist <strong>noch</strong> mehr als <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Beharrlichkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er künstlerischen<br />

Sehnsucht nach Schönheit begründet. Da die schmalen, abfallenden Schul<br />

tern und die schlanken Figuren <strong>in</strong> <strong>der</strong> ausländischen Kleidung nicht zur<br />

Geltung kommen, <strong>der</strong> Mann <strong>in</strong> ihr proletarisch und würdelos, die Frau<br />

komisch und unproportioniert aussieht, unterwirft sich dieses Volk e<strong>in</strong>er<br />

unaufhörlichen Qual, weil ihm Schönheit über Zweckmäßigkeit geht.<br />

Diese Qual wird durch die strengen Vorschriften, die wie alles <strong>in</strong> Japan<br />

auch die Kleidung regeln, <strong>noch</strong> verschärft. Je<strong>der</strong> Wechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jahreszeit<br />

und im Lebensalter bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en solchen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kleidung, auch bei be,<br />

son<strong>der</strong>en Gelegenheiten muß sie vom Kopf bis zu den Füßen, von <strong>in</strong>nen<br />

bis außen gewechselt werden, so daß e<strong>in</strong>e elegante Japaner<strong>in</strong> ihren Gatten<br />

mehr kostet als e<strong>in</strong>e Pariser Mondäne ihren Liebhaber.<br />

Unsere Unbedenklichkeit, fertige Kimonos anzulegen, ganz gleich, ob wir<br />

ledig o<strong>der</strong> verheiratet, alt o<strong>der</strong> jung s<strong>in</strong>d, ersche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> barbarisch.<br />

Bei dem Anblick e<strong>in</strong>er alten Dame, die zum Morgenrock e<strong>in</strong>en gestickten<br />

Kimono mit langen Ärmeln wählt, kann sie das Lachen nicht verbeißen; diese<br />

»echten«, wirklich aus Japan stammenden, über und über gestickten Kimonos<br />

werden eigens für das Ausland angefertigt, nach den aus Amerika und Europa<br />

kommenden Bestellungen, und <strong>der</strong> durch diese Versandstücke entstandene<br />

Phantasietyp erhält sich allerorten, trotzdem je<strong>der</strong> ausländische Besucher <strong>in</strong><br />

Japan erkennen muß, daß die Japaner<strong>in</strong> selbst nie e<strong>in</strong>en handgestickten Kimono<br />

trägt. Die Vorstellungen außerhalb Japans werden <strong>noch</strong> immer durch<br />

dieTheaterfigürchen <strong>der</strong> eng= lischen Schauspieler<strong>in</strong>nen beherrscht, die<br />

se<strong>in</strong>erzeit die Operette »Die Geisha« kreierten. Als aber <strong>in</strong> Tokio e<strong>in</strong>e<br />

italienische Sängergesellschaft, die erste Operntruppe übrigens, die je <strong>in</strong> Japan<br />

gastiert hat, <strong>in</strong> <strong>der</strong>artigen Kostümen »Madame Butterfly« spielen wollte,<br />

scheiterte dies an dem Gelächter <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Zuschauer<strong>in</strong>nen. In Wien hat<br />

sich freilich niemand gewun<strong>der</strong>t, als die Träger<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptrolle von Hermann<br />

Bahrs »Die gelbe Nachtigall« als Japaner<strong>in</strong> verkleidet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ch<strong>in</strong>esischen<br />

gestickten Mantel, <strong>in</strong> dicken Flauschpantoffeln und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mit Goldnadeln<br />

gespickten, hochaufgetürmten Frisur erschien. Haben doch unzählige<br />

Europäer<strong>in</strong>nen auf Kostümfesten Geishas durch Blumentuffs an den Ohren und<br />

durch e<strong>in</strong>en son<strong>der</strong>bar trippelnden Gang darzustellen versucht und hält man<br />

doch etwas exotisch Gesticktes mit langen Ärmeln überall für<br />

Alice Sthalek, Japan. r, 8i


82<br />

e<strong>in</strong>en ja<strong>panische</strong>n Kimono. Dieser Kimono ist das bekannteste Kleidungs=<br />

stück <strong>der</strong> Welt geworden, ohne daß e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Millionen Frauen, die ver=<br />

me<strong>in</strong>en, es von <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> übernommen zu haben, die ger<strong>in</strong>gste Ahnung<br />

von demAussehen des seit Jahrhun<strong>der</strong>ten <strong>in</strong> Japan heimischenVorbildes hat.<br />

Von e<strong>in</strong>em ja<strong>panische</strong>n Kimonoschnitt kann man verallgeme<strong>in</strong>ernd<br />

überhaupt nicht sprechen, je nach dem Alter s<strong>in</strong>d die Ärmel entwes<br />

<strong>der</strong> rund, abgeschrägt<br />

o<strong>der</strong> eckig und sie<br />

werden immer kürzer,<br />

je älter die Träger<strong>in</strong><br />

wird. Die e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>=<br />

des reichen bis auf<br />

die Erde, die e<strong>in</strong>es<br />

Backfisches messen<br />

e<strong>in</strong>en halben Meter,<br />

die e<strong>in</strong>er reifen Jung=<br />

frau etwa vierzig,<br />

die e<strong>in</strong>er jungen Frau<br />

dreißig und die e<strong>in</strong>er<br />

alten etwa zwanzig<br />

Zentimeter. Ebenso<br />

wird die Farbe des<br />

Kleides durch das<br />

Alter <strong>der</strong> Träger<strong>in</strong><br />

bestimmt, aus <strong>der</strong><br />

schreienden Grelle, <strong>in</strong><br />

welcher das K<strong>in</strong>d an=<br />

gezogen wird, wächst<br />

das Mädchen durch<br />

die gedeckte Buntheit,<br />

die man <strong>der</strong> Halb=<br />

wüchsigea zubilligt, <strong>in</strong><br />

matte Farben h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>,<br />

welche bei <strong>der</strong><br />

Unverheirateten <strong>noch</strong><br />

durch lebhafte<br />

Muster aufgehellt werden, während die junge Gatt<strong>in</strong> nur <strong>in</strong> Braun, Blau o<strong>der</strong><br />

Drap, schlichtgestreift o<strong>der</strong> kariert, die bejahrteMutter aber nurganz dunkel<br />

und <strong>in</strong> den ruhigsten Mustern auftritt. Vom zwanzigsten Lebensjahre an=<br />

gefangen darf die Japaner<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e lichten Farben mehr tragen und sich aus<br />

den bunten Stoffen, den leuchtenden Rosengirlanden, den Papageien=<br />

mustern,Farbenkreisen und Fächerorgien, die ausschließlich für die Babies<br />

bestimmt s<strong>in</strong>d, nur das unterste Unterkleid machen, so daß nur hier und da <strong>in</strong><br />

dem Schlitz, den die obersten, dunklen Ärmel h<strong>in</strong>ten aufweisen und dessen<br />

Länge ebenfalls vom Alter abhängt, die Rän<strong>der</strong> <strong>der</strong> unteren, bunten aufblitzen,<br />

wor<strong>in</strong> die e<strong>in</strong>zige Farbigkeit liegt, die außer dem Gürtel und<br />

dem Halse<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> erwachsenen Japaner<strong>in</strong> gegönnt ist. Die Ärmel <strong>der</strong> fünf<br />

zusammengehörigen und übere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> angezogenen Kimonos müssen genau<br />

<strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> passen.<br />

Auf den Dreikäsehochs sehen die schreiend farbigen Kimonos unge< me<strong>in</strong><br />

herzig aus, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>wenn</strong> reiche Mütter ihren Gästen die Kle<strong>in</strong>en<br />

6*<br />

83


frisch gesäubert vorführen; die Rosenklei<strong>der</strong>püppchen aus dem Volke jedoch,<br />

die den ganzen Tag im Straßenschmutz spielen, machen <strong>in</strong> ihren engen, bis an<br />

den Schuhrand reichenden hellen Klei<strong>der</strong>n, <strong>der</strong>en Ärmel die Straße streifen<br />

und überall den Staub mitfegen, den E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> entsetz= lichsten<br />

Unre<strong>in</strong>lichkeit.<br />

Wie die ja<strong>panische</strong> Wohnung, die Lebensweise, die Kochart und die<br />

Familiensitte ist auch die ja<strong>panische</strong> Kleidung unpraktisch, ungesund und<br />

unangenehm. Von <strong>der</strong> Sekunde <strong>der</strong> Geburt bis zumTode leiden sämtliche<br />

Japaner unter ihren Lebensgewohnheiten, weil ihre Vorfahren, die sich wie e<strong>in</strong><br />

Sklavenvolk <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unzerbrechliche Hierarchie e<strong>in</strong>pressen ließen, kritiklos die<br />

Lebensformen <strong>der</strong> Herrschenden nachgeahmt hatten; diese aber führten das<br />

Leben von Halbgöttern, brauchten nichts zu tun, niemals e<strong>in</strong>en Schritt, e<strong>in</strong>e<br />

Anstrengung zu machen und durften den Wunsch, schön zu se<strong>in</strong>, als ihre<br />

e<strong>in</strong>zige Pflicht betrachten. Sie ersannen die Tracht, die auf den alten<br />

Gemälden zu sehen ist, die Urbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kostüme, die heute <strong>noch</strong> auf <strong>der</strong><br />

Bühne getragen werden; dadurch, daß sie e<strong>in</strong>en Meter länger waren als die<br />

Träger, auch an den Seiten, und daß man ihre Ärmel mit Gold und Silber<br />

belastete, wurde Unbeweglichkeit zur Notwendigkeit und zur Vornehmheit,<br />

weil das Volk sich daran gewöhnte, diese beiden Begriffe mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu<br />

verquicken. Wer heftige Bewegungen macht, gilt <strong>noch</strong> heute für unfe<strong>in</strong> und<br />

unerzogen, woraus unzählige Mißverständnisse zwischen Auslän<strong>der</strong>n und<br />

Japanern entstehen. Wiewohl die Lebensweise sich än<strong>der</strong>te, behielt das Volk<br />

die auf Unbeweglichkeit zugeschnittene Tracht bei und <strong>in</strong> den hemmenden<br />

Ärmeln und <strong>in</strong> dem engen, langen Gewand <strong>der</strong> Rittersfrau von e<strong>in</strong>st muß die<br />

Nesan, die Kellner<strong>in</strong>, die Gäste bedienen, die Köch<strong>in</strong>, die Familienmutter, die<br />

Feldarbeiter<strong>in</strong> beim Waschfasse hantieren, den Boden aufwischen o<strong>der</strong> im<br />

Sommer auf dem Acker den Reis schneiden; die Ärmel werden im Notfalle mit<br />

e<strong>in</strong>em B<strong>in</strong>dfaden auf dem Rücken befestigt, was dumm aussieht, weil man an<br />

den trotz <strong>der</strong> Stofforgien nackt bleibenden Armen den ganzen W<strong>in</strong>ter h<strong>in</strong>durch<br />

friert. Daß es auch häßlich ist, symbolisiert das heutige Japan am treffendsten,<br />

weil es den Versuch, den Erfor<strong>der</strong>nissen des zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>ts zu<br />

trotzen und aus ästhetischen Gründen weiterh<strong>in</strong> Mittelalter zu spielen, ad<br />

absurdum führt.<br />

Es muß immerh<strong>in</strong> vermerkt werden, daß seit zwei Jahren wenigstens die<br />

aus dem Auslande gekommene Mode des Wollschals, den die Frauen sich<br />

jetzt selbst <strong>in</strong> bunten Farben stricken, überall Verbreitung f<strong>in</strong>det, ebenso die <strong>der</strong><br />

Wollhandschuhe, die allerd<strong>in</strong>gs nur bis zum Handgelenk reichen und zu den<br />

nackten Armen unschön aussehen. Bis d h<strong>in</strong> hatten alle<br />

v<br />

Frauen, die <strong>der</strong> hohen Frisur halber <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Jahreszeit <strong>noch</strong> barhaupt<br />

gehen, mit den bloßen Armen und Be<strong>in</strong>en unter dem Haori, dem knie= langen<br />

W<strong>in</strong>terüberkimono, seit Jahrhun<strong>der</strong>ten gräßlich gefroren.<br />

Das Kostspieligste an <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> ist <strong>der</strong> Obi, <strong>der</strong> Gürtel, den es <strong>in</strong><br />

allen Preislagen, <strong>in</strong> Gold und Silber gewebt, im<br />

Werte bis zu hun<strong>der</strong>t Pfund gibt. An den<br />

teuersten Gürtelstoffen wird ungefähr e<strong>in</strong> Jahr<br />

gearbeitet. Diese dichten Gewebe s<strong>in</strong>d zwar<br />

unverwüstlich und <strong>der</strong> Schnitt des Gürtels<br />

unterliegt <strong>der</strong> Mode nicht, aber die Muster<br />

wechseln beim Obi ebenso stark wie bei den<br />

Klei<strong>der</strong>stoffen, so daß die Mutter <strong>der</strong> Tochter<br />

ihren abgelegten Obi nicht geben kann;<br />

beispielsweise s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem W<strong>in</strong>ter<br />

schwarze Obi <strong>der</strong> <strong>der</strong>nier cri. Der Obi e<strong>in</strong>er<br />

Mittelstandsfrau kostet durchschnittlich vier<br />

Pfund; man kann sich also vorstellen, wie<br />

schwer sie es hat, vorschriftsmäßig aufzutreten,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e, da ja <strong>noch</strong> <strong>der</strong> zweite, darunter<br />

liegende Gürtel, Shida genannt, und die<br />

langen, zur Befestigung dienenden Rollen,<br />

wiewohl sie unsichtbar bleiben, aus Seide se<strong>in</strong><br />

müssen. Wer e<strong>in</strong>mal dabei war, wie diese<br />

Gürtel angelegt werden, sieht <strong>in</strong> ihnen nur mehr<br />

Folter<strong>in</strong>strumente. Dreimal wickelt sie die<br />

Japaner<strong>in</strong> um ihr gertenschlankes Figürchen, die<br />

ganz schweren Brokate, <strong>der</strong>en Breite sich mit<br />

<strong>der</strong> Kostspieligkeit steigert, doppelt zusammen.<br />

gefaltet. Aus dem dann <strong>noch</strong> übrigbleibenden<br />

Rest des dreie<strong>in</strong>halb Meter langen Gürtels wird<br />

die Schleife gebunden, und zwar <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z<br />

an<strong>der</strong>s. Die Backfische tragen sie etwas<br />

schräg. Unter die Prunkgürtel muß e<strong>in</strong> steifer<br />

Pappendeckel gelegt werden, damit sie auch beim Sitzen faltenlos bleiben und<br />

nicht e<strong>in</strong>knicken, weshalb sich Frauen, die zu e<strong>in</strong>em Feste gehen, nicht alle<strong>in</strong><br />

anziehen können. Geishas also niemals. E<strong>in</strong>e Europäer<strong>in</strong>, um <strong>der</strong>en Leib man<br />

dieselbe Masse von Stoff wickeln wollte, sähe wie e<strong>in</strong> Faß aus, auf <strong>der</strong><br />

Japaner<strong>in</strong> wirkt sie bildhaft, doch die unendliche Qual, die sie ihr bereitet -- an<br />

die Schwere, Steifheit, Höhe undWärme des Obi und an den Druck <strong>der</strong><br />

84 85


Schleife am Rücken gewöhnen sich die Frauen nie<br />

v<br />

84 85


86 87<br />

-- steht <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis dazu. Seit Generationen wird <strong>der</strong> weibliche<br />

Körper durch den Obi <strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en Bewegungen gehemmt, auf ihn ist die<br />

Kle<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> zurückzuführen, was sich an den mo<strong>der</strong>nen<br />

Schulmädchen zeigt: seit ihnen das Tragen e<strong>in</strong>es Obi während des Unter=<br />

richtes verboten ist, werden sie viel größer als ihre Mütter. Dieser Gürtel<br />

wird auch <strong>in</strong> den langen W<strong>in</strong>termonaten beibehalten, wiewohl <strong>der</strong> Haori vorn<br />

nur e<strong>in</strong> ganz schmales Stückchen von ihm frei läßt und sich h<strong>in</strong>ten<br />

über dem riesigen' Knoten so sehr bauscht, daß <strong>in</strong> dieser Jahreszeit sämt=<br />

liche Japaner<strong>in</strong>nen bucklig aussehen. Und- den<strong>noch</strong> wird diese Qual von<br />

Millionen Frauen vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, bei <strong>der</strong> härtesten<br />

Arbeit und beim Tragen e<strong>in</strong>es schweren K<strong>in</strong>des auf dem Rücken, im<br />

heißesten Sommer und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong>Zeit <strong>der</strong> Schwangerschaft wi<strong>der</strong>standslos und<br />

lautlos erduldet.<br />

Der im W<strong>in</strong>ter unter dem Haori getragene Kimono ist gefüttert, natür= lich<br />

mit Seide. Das Futter muß um drei Millimeter länger se<strong>in</strong> als <strong>der</strong><br />

Oberstoff und als außen sichtbare E<strong>in</strong>säumung über den untern Rand<br />

geschlagen werden, stößt sie sich durch, so wird - weil sie nicht mit e<strong>in</strong>er<br />

Naht angestückelt werden darf - das ganze Kleid unbrauchbar. Das geschieht<br />

natürlich ununterbrochen, weil <strong>der</strong> Rand dieser langen Gewän<strong>der</strong> <strong>in</strong> den nie<br />

gere<strong>in</strong>igten Straßen sehr leidet; darf doch die Japaner<strong>in</strong> ihr Gewand nicht<br />

aufheben. Ehe sie gegen das Herkommen ihr Kleid rafft, schleift sie lieber den<br />

Unrat von den Trittbrettern <strong>der</strong> Elektrischen <strong>in</strong> jäm= merlichster Weise beim<br />

Aus= und E<strong>in</strong>steigen mit. Dabei ist die Japaner<strong>in</strong> von Natur aus gar nicht<br />

schamhaft und läßt es ruhig geschehen, daß <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d das vorn offene Kleid<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>reißt und die nackten Be<strong>in</strong>e bis zur Wade entblößt; sie badet auch<br />

ohne Scheu im Freien vor ihrer Türe und nimmt <strong>in</strong> den heißen Quellen<br />

ke<strong>in</strong>en Anstoß daran, daß dort beide Geschlechter ihre Heilung völlig<br />

unbekleidet suchen. Dieser Harmlosigkeit gegenüber sche<strong>in</strong>t die an an<strong>der</strong>er<br />

Stelle vorgeschriebene Ziererei höchst son<strong>der</strong>bar. Die Urahn<strong>in</strong> hat aber ihren<br />

Schönheitss<strong>in</strong>n gerade <strong>in</strong> die Länge des Kleides gelegt und danach muß sich<br />

<strong>noch</strong> heute das mo<strong>der</strong>ne Schreib= fräule<strong>in</strong> richten. Bei schlechtem Wetter kann<br />

das Kleid nur durch Daheim= bleiben gerettet werden, es gibt we<strong>der</strong> Röcke<br />

<strong>noch</strong> Regenmäntel aus stärkerem Stoff, weil unter allen Umständen<br />

sämtliche Teile <strong>der</strong> Kleidung aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gestimmt se<strong>in</strong> müssen. Auch beim<br />

Treppensteigen wird das Kleid nicht gerafft, son<strong>der</strong>n nur mit dem Fuße<br />

weggestoßen, was <strong>in</strong> den Gang <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> die runde Bewegung br<strong>in</strong>gt,<br />

die irrtümlich durch Trippeln karikiert wird. Dieses ist ihm aber völlig<br />

fremd, er bekommt nur dadurch, daß <strong>der</strong> Holzschuh bei jedem Schritte wie<strong>der</strong><br />

aufgefangen werden muß, etwas nach vorne Fallendes.<br />

Beim Zuschneiden des Kimonos liegt die größte Schwierigkeit dar<strong>in</strong>, daß<br />

<strong>der</strong> vor<strong>der</strong>e Rand ganz gerade falle und <strong>der</strong> übergeschlagene Teil beim<br />

Schreiten nicht ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>klaffe. Außerdem muß die Naht über dem<br />

Oberschenkel den richtigen Schwung und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz beim Hals die<br />

gewünschte Schiefe erhalten. Die vor<strong>der</strong>e Öffnung des Ärmels, <strong>der</strong> unter<br />

dem Handgelenk zugenäht ist, muß sich nach <strong>der</strong> Hand richten, damit diese<br />

nicht zu dick o<strong>der</strong> zu kurz aussehe. Die Seitenöffnung des Ärmels wird durch<br />

den Rang <strong>der</strong> Träger bestimmt.<br />

Ke<strong>in</strong>e <strong>noch</strong> so arme Japaner<strong>in</strong> würde es über sich br<strong>in</strong>gen, an dem hier den<br />

Frühl<strong>in</strong>gsbeg<strong>in</strong>n bedeutenden Tage <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>en Kimono mit <strong>der</strong> für die<br />

84 85


86 87<br />

W<strong>in</strong>terfasson erfor<strong>der</strong>lichen Futterübernaht o<strong>der</strong> beim übertritt aus e<strong>in</strong>er<br />

Lebensphase <strong>in</strong> die an<strong>der</strong>e die alte Gar<strong>der</strong>obe weiter zu tragen. Diese kann<br />

aber auch nicht weitergegeben o<strong>der</strong> verkauft werden, weil sie <strong>der</strong> Figur genau<br />

angepaßt se<strong>in</strong> muß. Nicht e<strong>in</strong>mal das kostbare Brautkleid kann e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>n<br />

Verwendung zugeführt werden, weil <strong>der</strong> Braut<br />

84 85


88 89<br />

an ihrem Hochzeitstage <strong>noch</strong> e<strong>in</strong><br />

mal die K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärmellänge zugebilligt<br />

wird. Auch <strong>in</strong> Bürgerhäusern zieht<br />

sich die Braut an diesem wichtigen<br />

Tage mehrere Male um, e<strong>in</strong>mal weiß<br />

für den Altar, e<strong>in</strong> zweites Mal rot<br />

für den Abschied vom Vater und e<strong>in</strong><br />

drittes Mal blau für das Hoch=<br />

zeitsessen, <strong>in</strong> Adelsfamilien fünf bis<br />

sechsmal. Da auch <strong>der</strong> Schnitt dieser<br />

Hochzeitsklei<strong>der</strong> völlig ver. schieden<br />

von demjenigen ist, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>er verheirateten Frau gebührt, so kann ke<strong>in</strong>e<br />

Japaner<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Stück ihrer<br />

Mädchengar<strong>der</strong>obe <strong>in</strong> die Ehe mitbr<strong>in</strong>gen. Nicht e<strong>in</strong>mal <strong>der</strong> geistigen<br />

Arbeiter<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>nster Ges<strong>in</strong>nung ist es möglich, sich über diese qual.<br />

vollen Vorschriften h<strong>in</strong>wegzusetzen, weil <strong>in</strong> Japan, und nicht nur von den<br />

Frauen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geradezu lebensvernichtenden Weise geklatscht wird. Die<br />

Männer gucken unverfroren auf jede<br />

Abweichung von <strong>der</strong> Sitte h<strong>in</strong>, machen <strong>der</strong> Frau,<br />

die von ihr los will, das Leben unerträglich<br />

und setzen sie sogar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitung herab. Sieht<br />

man e<strong>in</strong>e Frau aus dem Volke mit langen Är.<br />

meln, im engen, hemmenden Rock und ab=<br />

schnürenden Obi, etwa <strong>noch</strong> mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d auf<br />

dem Rücken und auf hohen Stelzschuhen, die sie<br />

nur mit e<strong>in</strong>er Zehe halten kann, wie sie e<strong>in</strong>em<br />

Straßenbahnwagen nachläuft, so dreht sich e<strong>in</strong>em<br />

vor Mitleid das Herz im Leibe um.<br />

Ununterbrochene Arbeit und weit mehr Geld,<br />

als unsere mondänste Frau für Lack. schuhe<br />

verbraucht, kostet <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> die Fuß=<br />

bekleidung. Die bis zu den Knöcheln reichen<br />

den Strumpfschuhe, Tabi genannt, müssen bei den<br />

Frauen aus den Bürgerkreisen weiß se<strong>in</strong>, was im<br />

W<strong>in</strong>terschmutz von Tokio e<strong>in</strong> täglich m<strong>in</strong>destens<br />

zweimaliges Wechseln erfor<strong>der</strong>t, so daß die für<br />

e<strong>in</strong>e Familie sorgende Hausfrau Dutzende dieser<br />

84<br />

Tabi zu waschen hat. Ist <strong>der</strong> Stoff, <strong>der</strong> nicht gestopft werden kann,<br />

durch=<br />

gewetzt o<strong>der</strong> auch nur schadhaft, so muß <strong>der</strong> Tabi weggeworfen werden. Da<br />

die altmodische Japaner<strong>in</strong> nach dem Muster <strong>der</strong> Daimiyofrau auf dem<br />

Fußboden sitzt und den Kimono rund um ihre Be<strong>in</strong>e legt, friert sie wohl nicht<br />

so sehr wie die auf Stühlen <strong>sitzen</strong>de mo<strong>der</strong>ne Japaner<strong>in</strong>, aber sie muß doch<br />

auch ihre weißbeschuhten Füßchen durch Warenhäuser und Geschäfte<br />

schleifen und den Geta, den Holzschuh, vor je<strong>der</strong> Türe zurück. lassen, was<br />

natürlich die Ahnfrau nicht zu tun brauchte.<br />

Die schlimmste Lebenserschwerung aber verursacht die Frisur, Nagahala<br />

genannt, <strong>der</strong>en schmetterl<strong>in</strong>gartiger Kunstbau nur von e<strong>in</strong>em Fach. meister<br />

<strong>in</strong> zwei= bis dreistündiger Arbeit aus völlig durchfettetem Haar hergestellt<br />

werden kann. Das Haar muß so fest am H<strong>in</strong>terkopfe abge, bunden werden,<br />

daß fast alle Frauen an dieser Stelle e<strong>in</strong>e tonsurähnliche Glatze davontragen,<br />

ferner Kopfschmerzen und Genickleiden durch die unnatürliche Kopfhaltung.<br />

Da diese Frisur zu mühevoll ist, um öfter als e<strong>in</strong>= bis zweimal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche<br />

erneuert zu werden, können sich die unglückseligen Opfer nationaler Tradition<br />

nachts nicht nie<strong>der</strong>legen, ohne unter das Genick e<strong>in</strong>en Holzblock zu<br />

schieben, den sie auch zu e<strong>in</strong>er Nachtfahrt <strong>in</strong> die Eisenbahn mitnehmen<br />

müssen. Der so selten gekämmte, unbedeckte Kopf ist <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> vielen<br />

Zerzausung durch den W<strong>in</strong>d und durch die Straßenbahndrückereien fast immer<br />

zerrauft. Man sieht die Japaner<strong>in</strong>nen fortwährend damit beschäftigt, ihren<br />

Begleiter<strong>in</strong>nen die seitlich und h<strong>in</strong>ten herabhängenden Haarsträhnchen<br />

h<strong>in</strong>aufzustecken und von ihren Kimonokragen die Schuppen wegzublasen, Zu<br />

ihrem Ruf <strong>der</strong> Nettigkeit ist die Japaner<strong>in</strong> offenbar hauptsächlich durch die<br />

adretten Figürchen auf den Lackschachteln gekommen.<br />

Auch die nationale Frisur hat sich den verschiedenen Lebensphasen<br />

anzupassen; die ledigen Mädchen s<strong>in</strong>d an e<strong>in</strong>er Teilung des Aufbaues, durch<br />

die e<strong>in</strong> Band gezogen ist, kenntlich und die K<strong>in</strong><strong>der</strong> tragen e<strong>in</strong>e<br />

kuchenförmige Krone, Maru Mage genannt. Die mo<strong>der</strong>ne Frau <strong>in</strong> den großen<br />

Städten vertauscht jetzt die Nagahala mit e<strong>in</strong>em großen Schopf, h<strong>in</strong>ter<br />

welchem e<strong>in</strong> Nest gesteckt wird, was Unterlagen aus falschem Haar und<br />

E<strong>in</strong>lagen <strong>in</strong> den Zopf erfor<strong>der</strong>t. Der Handel mit falschem Haar ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

schwungvollsten <strong>in</strong> Japan, ebenso <strong>der</strong> mit Schönheitsmitteln, denn jede Frau<br />

färbt sich die glanzlosen Haare schimmernd schwarz. Schm<strong>in</strong>ke und Pu<strong>der</strong><br />

gehören hier zur Toilette.<br />

Unbegreiflich ersche<strong>in</strong>tmir, wie eigentlich die Vorstellung von Schläfen.<br />

85


88 89<br />

schmuck und Fächergestecken zu uns gekommen ist, denn das Haar ist<br />

sowohl bei den altja<strong>panische</strong>n wie bei den mo<strong>der</strong>nen Frisuren glatt über die<br />

Ohren gekämmt. Den Kopfputz unserer Operettengeishas gibt es <strong>in</strong><br />

84 85


go 9i<br />

Japan überhaupt nicht, nicht e<strong>in</strong>mal die kle<strong>in</strong>en Geisha=Schüler<strong>in</strong>nen, Maiko<br />

genannt, stecken irgendwelchen Schmuck h<strong>in</strong>ter das Ohr; über ihrer Frisur<br />

vibriert an e<strong>in</strong>em zitternden Draht e<strong>in</strong>e Blume o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> schillern<strong>der</strong> Zierat.<br />

Sowohl ihnen wie auch <strong>der</strong> richtigen Geisha ist e<strong>in</strong>e bestimmte Haartracht<br />

vorgeschrieben.<br />

Auch für die Männer bildet die<br />

Kleidung e<strong>in</strong>e Sorge, auch ihre<br />

kostspieligen, weil stets aus Seide<br />

verfertigten Gewän<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d bei<br />

schlechtem Wetter <strong>in</strong> großer Ge=<br />

fahr, zumal auch ihre Mäntel, <strong>wenn</strong>=<br />

gleich länger und strapazfähiger als<br />

<strong>der</strong> Haori <strong>der</strong> Frauen, den untern<br />

Teil desGewandes unbedeckt lassen<br />

auch ihnen nimmt das Ankleiden viel<br />

mehr Zeit, als europäische Be=<br />

rufsmenschen ihm jemals widmen<br />

könnten.<br />

AlleMänner und Frauen höherer<br />

Geistigkeit erklären daher: »Wir<br />

müssen zur europäischen Tracht<br />

übergehen, sie ist praktischer und<br />

billiger.« Natürlich ist nur die erste<br />

Behauptung richtig, die zweite<br />

wächst aus <strong>der</strong> typisch falschen<br />

E<strong>in</strong>stellung auf alles Ausländische<br />

84 85


go 9i<br />

heraus. So streng <strong>der</strong> Japaner beim Kimono auf Nettigkeit, Harmonie,<br />

Edell<strong>in</strong>igkeit und Altersanpassung sieht: bei ausländischer Kleidung ist je<strong>der</strong><br />

Fetzen recht, ob er nun zur Jahreszeit, Gelegenheit und Altersstufe paßt o<strong>der</strong><br />

nicht, ganz aus <strong>der</strong> Mode o<strong>der</strong> <strong>noch</strong> so salopp ist. Während e<strong>in</strong> gestopfter<br />

weißer Tabi als unmöglich gilt, zieht auch die vornehmste Dame zu e<strong>in</strong>em<br />

weißen Sommerkleide --- als welches sie beispielsweise auch e<strong>in</strong> Oberhemd<br />

verwendet - seelenruhig durchgewetzte, vertretene schwarze Le<strong>der</strong>schuhe an.<br />

Unbedenklich setzt sie dazu irgende<strong>in</strong> Hut= ungetüm schief auf den<br />

H<strong>in</strong>terkopf, so daß das Wort »schlampig«, wäre es nicht bereits geprägt, für<br />

ausländisch angezogene Japaner eigens er= funden werden müßte.<br />

Auch bei an<strong>der</strong>en Gelegenheiten macht sich <strong>der</strong>selbe Grundsatz geltend.<br />

Aufs sorgsamste wird sich die Hausfrau bemühen, aus den Fußboden= matten<br />

jeden verschütteten Tropfen zu entfernen, während sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

europäisch e<strong>in</strong>gerichteten Eßzimmer zu dem schmutzigsten Tisch= tuch setzt.<br />

Manche Japaner retten sich geradezu <strong>in</strong> e<strong>in</strong> europäisehesHaus, müßte doch<br />

die Führung e<strong>in</strong>es ja<strong>panische</strong>n ihrem Lebensstandard angepaßt se<strong>in</strong>, während<br />

man für e<strong>in</strong> europäisches Rangunterschiede nicht kennt. Bei ausländischen<br />

D<strong>in</strong>gen, die <strong>der</strong> Japaner sozusagen ohne Augen betrachtet, löscht er das<br />

Licht se<strong>in</strong>er eigenen Seele aus.<br />

E<strong>in</strong> strenger nationaler Kampfruf brandmarkt die ausländische Klei= dung<br />

<strong>der</strong> Frau als Hochverrat, nur <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten und Mädchen= schulen ist<br />

sie erlaubt. Aber auch bei den Hängekleidchen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> sitzt alles schief, an<br />

falscher Stelle angebracht o<strong>der</strong> geknöpft; die Schuhehen passen nicht zu den<br />

meist herabhängenden Strümpfle<strong>in</strong>, die Höschen und Röckle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d<br />

unordentlich und faltig und, da jedes ja<strong>panische</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>= näschen r<strong>in</strong>nt und fast<br />

alle Gesichtchen verschmiert s<strong>in</strong>d, bietet solch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten e<strong>in</strong>en<br />

greulichen Anblick. Bei den älteren Schulmädchen ersetzt e<strong>in</strong> kurzer roter<br />

Faltenrock über dem auch von den Buben getragenen, schwarz=weiß<br />

getupften Klassenkimono den Obi, aber beim Turnen und beim Tennis<br />

stören die langen Ärmel, sogar, <strong>wenn</strong> sie auf den Rücken gebunden s<strong>in</strong>d,<br />

und so werden jetzt vielfach über diese plumpen, unmo<strong>der</strong>nen roten Röcke<br />

Wolljumper gezogen, die aber niemals, ebensowenig wie die viel gebrauchten<br />

Matrosenkleidchen, für die Figur gemacht s<strong>in</strong>d. Die Strümpfe werden<br />

nachlässig aus dicker Wolle ge. strickt und, auch <strong>wenn</strong> sie aus fe<strong>in</strong>em<br />

Material gewirkt s<strong>in</strong>d, grob gestopft. Unbarmherzig lassen sie die sonst gnädig<br />

vom Kimono verhüllte, häßliche Form <strong>der</strong> Be<strong>in</strong>e hervortreten. Sieht also die<br />

mo<strong>der</strong>ne weibliche Jugend schon wenig anziehend aus, so ist bei den<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen erwachsener<br />

84 85


Frauen <strong>in</strong> ausländischer Tracht jede Schil<strong>der</strong>ung ohnmächtig, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei<br />

den <strong>in</strong>tellektuellen Frauen mittleren Alters, an <strong>der</strong>en Äußeres man sich nur<br />

langsam gewöhnen kann, so hoch sie ethisch stehen und so verehrungswürdig<br />

man sie bei näherer Bekanntschaft f<strong>in</strong>det.<br />

Bei den Männern ist e<strong>in</strong> Frack e<strong>in</strong> Frack, sei er zwanzig Jahre alt,<br />

unmo<strong>der</strong>n und fettglänzend; weitherzig wird dabei über die Kle<strong>in</strong>igkeit<br />

h<strong>in</strong>weggesehen, ob er etwa schlottert o<strong>der</strong> zu eng sei. Aus den aus=<br />

gefransten Zugstiefeln hängen h<strong>in</strong>ten zumeist die Schlupfen heraus, die Socken<br />

bauschen sich <strong>in</strong> Falten unter dem h<strong>in</strong>aufgerutschten Hosenrand, unter dem<br />

auch die schmutzigen Trikotunterbe<strong>in</strong>klei<strong>der</strong> sichtbar werden. Zwischen den<br />

Knöpfen <strong>der</strong> Weste ist das Jägerhemd und beim Hand= gelenk dessen<br />

manschettenloser Ärmel zu sehen, und zwar nicht etwa nur bei gewöhnlichen<br />

Männern, son<strong>der</strong>n auch bei den vornehmsten Herren, die stundenlang zu ihrer<br />

Kimonotoilette brauchen. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige achtlose ausländische Kleidung ist<br />

natürlich weniger kostspielig als die raff<strong>in</strong>ierte ja<strong>panische</strong> und <strong>in</strong><br />

ahnungslosester E<strong>in</strong>falt sagte mir e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e ja<strong>panische</strong> Dame: »Ihre<br />

Lebensweise ist so viel billiger als die unsrige, man braucht nur e<strong>in</strong> Kleid.«<br />

Je<strong>der</strong> Japaner, Mann o<strong>der</strong> Frau, schüttelt <strong>in</strong> dem Augenblick, da abends das<br />

Heim betreten wird, die ausländische Kleidung ab und vertauscht sie mit <strong>der</strong><br />

nationalen. Abgesehen von den erdrückenden Kosten dieses Doppellebens,<br />

zerreißt dieses Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auch alle Seelen.<br />

io. E<strong>in</strong>ladungen.<br />

Herr Amano, <strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Eisenbahnverwaltung, <strong>der</strong><br />

<strong>noch</strong> Hofrat war, als ich ihn bei me<strong>in</strong>em ersten Besuch <strong>in</strong> Japan kennen<br />

lernte, lädt mich zu e<strong>in</strong>em Abendessen e<strong>in</strong>. Wiewohl ich auf se<strong>in</strong>e Frage, ob<br />

ich ja<strong>panische</strong> o<strong>der</strong> ausländische Art vorziehe, erstere wähle, werde ich<br />

den<strong>noch</strong> <strong>in</strong> das dem Hauptbahnhof angebaute und weit ruhiger und<br />

unauffälliger als das Imperial aussehende Stationshotel gebeten, mit <strong>der</strong><br />

Begründung, daß es <strong>in</strong> den ungeheizten ja<strong>panische</strong>n Häusern jetzt für Europäer<br />

zu kalt sei. Uni fünf Uhr - die hier für D<strong>in</strong>ers übliche Stunde - fahren wir <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em untadeligen Auto zuerst <strong>in</strong> das elegante Heim des Direktors, wo<br />

mich se<strong>in</strong>e Frau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em europäischen Salon empfängt. In den reichen<br />

ja<strong>panische</strong>n Häusern ist e<strong>in</strong>Trakt o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Raum ausländisch<br />

e<strong>in</strong>gerichtet und von dem ja<strong>panische</strong>n Teil getrennt; pflegen auch ärmere<br />

Familien mit Auslän<strong>der</strong>n Verkehr, so stellt man, weil die Fremden das<br />

Hocken auf <strong>der</strong> Erde nicht lange aushalten, die unvermeid= liehe billige rote<br />

Samtgarnitur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ecke des ja<strong>panische</strong>n Empfangs= zimmers. Die Zimmer im<br />

fremden Stil s<strong>in</strong>d aber von e<strong>in</strong>er solchen Un= bewohntheit und<br />

Tapeziererungemütliehkeit, daß <strong>in</strong> ihnen e<strong>in</strong> wärmerer Verkehr von vornhere<strong>in</strong><br />

ausgeschlossen ist. Außerdem s<strong>in</strong>d die Japaner dadurch,daß <strong>der</strong><br />

84<br />

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ja<strong>panische</strong>Trakt eiskalt ist, während man <strong>in</strong> den fremden<br />

84<br />

92 93


94 95<br />

Zimmern heizt, stets Erkältungen ausgesetzt. Ihr ganzes Dase<strong>in</strong> wird durch<br />

dieses Doppelleben erschwert und auch verteuert.<br />

Nach <strong>der</strong> Begrüßung <strong>der</strong> übrigen Gäste, e<strong>in</strong>es pensionierten Obersten, <strong>der</strong><br />

mich, als er <strong>noch</strong> Militärattache war, <strong>in</strong> Wien besucht hatte, se<strong>in</strong>er Frau und<br />

<strong>noch</strong> e<strong>in</strong>es Ehepaares, bleiben wir nicht lange auf den kost= baren<br />

grellgelben Louis=Seize=Möbeln <strong>sitzen</strong>, son<strong>der</strong>n fahren <strong>in</strong> drei Autos <strong>in</strong> das<br />

Stationshotel, dessen Wahl damit begründet wird, daß im Imperial< Hotel das<br />

Essen ungenießbar sei. Mir freilich s<strong>in</strong>d die Mahlzeiten dort immer als <strong>der</strong><br />

Gipfel des Luxus erschienen, aber e<strong>in</strong>em schnell zu Reich= tum gekommenen<br />

Japaner können es nicht e<strong>in</strong>mal unsere Kriegsgew<strong>in</strong>ner gleichtun.<br />

Das Mahl im Stationshotel überbietet allerd<strong>in</strong>gs alles, was ich <strong>in</strong><br />

Japan auf diesem Gebiete nicht nur selbst erlebt, son<strong>der</strong>n auch erzählen gehört<br />

habe. In e<strong>in</strong>em riesigen Salon, <strong>in</strong> dem mit köstlichen Bil<strong>der</strong>n be= malte, alte<br />

ja<strong>panische</strong> Wandschirme den gedeckten Tisch verbergen, werden uns<br />

Cocktails gereicht, dann zieht man jene zurück und die Tafel mit ihrer<br />

wun<strong>der</strong>baren Anordnung wird sichtbar. E<strong>in</strong> M<strong>in</strong>iaturgarten aus kle<strong>in</strong>en<br />

Ste<strong>in</strong>en mündet l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Tempelanlage aus Tragant, rechts <strong>in</strong> den<br />

Fujiyama aus Papiermache, e<strong>in</strong> reizend duftig hergestellter Auf= bau, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e<br />

künstlerischen Wirkungen <strong>in</strong> bloßen Andeutungen erzielt.<br />

Das Mahl beg<strong>in</strong>nt mit schwarzem Kaviar, e<strong>in</strong>er großen Seltenheit <strong>in</strong> Japan,<br />

während roter <strong>in</strong> den Menüs ziemlich häufig ersche<strong>in</strong>t. Je<strong>der</strong> Gast bekommt<br />

e<strong>in</strong>e ganze Zitronenschale voll davon. Dann folgen Langusten, die mit<br />

Gansleberpastete und Trüffeln verschwen<strong>der</strong>isch angerichtet s<strong>in</strong>d, Fasane mit<br />

frischem Spargel, trotzdem wir den Monat Januar schreiben. Dieses<br />

kostspielige Gemüse stammt ebenso wie <strong>der</strong> junge Salat und die Pfirsiche<br />

»aus eigenen Gewächshäusern«, wie mir <strong>der</strong> Gastgeber auf rne<strong>in</strong>e<br />

erstaunten Ausrufe erklärt. Dem s<strong>panische</strong>n Blumenkohl, <strong>der</strong> mit s.ltsamen<br />

Pasteten garniert ist, folgen frische Erdbeeren - ebenfalls aus dem eigenen<br />

Glashause - und dazu zierliche Körbchen aus Grillage, die mit Schlagsahne<br />

gefüllt s<strong>in</strong>d. Zu den Torten, Schokoladebonbons, Bäckereien aller Art,<br />

Datteln, We<strong>in</strong>trauben wie aus dem Lande Kanaan wird je e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er We<strong>in</strong><br />

geschenkt, zuletzt Champagner. Wem immer von den Europäern <strong>in</strong> Tokio<br />

ich von dieser Speisenfolge erzähle, je<strong>der</strong> antwortet: »Ja, ja, das verstehen<br />

sie, die Japaner.«<br />

Und dann blendet man mich mit Schil<strong>der</strong>ungen davon, wie sich Herrn<br />

Amanos Lebensrahmen verbreitert habe. E<strong>in</strong>gekleidet werden sie <strong>in</strong> die<br />

Klage über die Teuerung, <strong>der</strong>zufolge die heutige Toilette Frau Amanos<br />

84<br />

von Kopf bis Fuß zehntausend Yen koste, tausend davon alle<strong>in</strong><br />

85


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<strong>der</strong> Obi, von dem man aber nur e<strong>in</strong> w<strong>in</strong>ziges Stückchen sieht. Ober<br />

diesem Wun<strong>der</strong>werk <strong>der</strong> Goldwebekunst hält e<strong>in</strong>e köstliche Brillantagraffe, <strong>der</strong><br />

Obi Dome, den Haori zusammen; vornehme Japaner<strong>in</strong>nen tragen nur an<br />

dieser Stelle Schmuck. Die fünfzehn Kimonos <strong>der</strong> drei Damen s<strong>in</strong>d sämtlich<br />

aus Seide, die zwei obersten überdies mit Seide gefüttert; im Halsausschnitt<br />

sitzt <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>bare, wie e<strong>in</strong>e Art englische Jackenfasson von <strong>in</strong>nen<br />

herausgeschlagene Crepe=de=Ch<strong>in</strong>e=Kragen, welcher den obern Rand des<br />

Kimonos hebt und auch bei den älteren Damen licht und farben= freudig se<strong>in</strong><br />

darf; <strong>in</strong> ihre Auswahl legt die Japaner<strong>in</strong> ihren ganzen Ge= schmack. Es gibt<br />

solche mit Pfauen, Landschaften, Blütentrauben, Blumenranken, kurz mit<br />

den entzückendsten Zeichnungen. Diese kosten ganz unwahrsche<strong>in</strong>liche<br />

Summen, aber nicht e<strong>in</strong>mal die e<strong>in</strong>fachsten s<strong>in</strong>d unter zwei bis dreien zu<br />

haben. Alle drei Damen tragen die Nagahala, die Schmetterl<strong>in</strong>gsfrisur, denn<br />

man hält hier starrs<strong>in</strong>nig an den altenFormen fest.<br />

Aller Glanz <strong>der</strong> Kleidung vermag nicht darüber h<strong>in</strong>wegzutäuschen, daß<br />

sowohl Frau Amano wie die Frau des Obersten <strong>in</strong> den zwölf Jahren seit<br />

unserem ersten Zusammentreffen sehr gealtert s<strong>in</strong>d. Sicherlich zählen beide<br />

nicht viel über vierzig Jahre, aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> reichsten Familie richtet<br />

das Aufziehen und das lange Säugen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> die Mutter zugrunde.<br />

Schöne alte Japaner<strong>in</strong>nen gibt es überhaupt nicht.<br />

Mit <strong>der</strong> Mitteilung, daß jede <strong>der</strong> Damen dreißig bis fünfzig Kimonos<br />

besitze, ist die Damentoilettenfrage erledigt und die Herren berichten nun über<br />

die Kosten ihrer Kleidung. Als gesellschaftlich viel geladener Japaner bedarf<br />

<strong>der</strong> hochmögende Verwaltungschef e<strong>in</strong>er vierfachen voll= ständigen<br />

Ausstattung: aller Arten seidener Montsuki, <strong>der</strong> Kimonos mit dem<br />

Familienwappen, dann <strong>der</strong> ausländischen Ausrüstung, bestehend aus Frack,<br />

Smok<strong>in</strong>g, Gehrock und Bureauanzug, ferner <strong>der</strong> Beamten= uniformen, die<br />

gleichfalls für alle Gelegenheiten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für die Gala, verschieden s<strong>in</strong>d,<br />

und schließlich <strong>der</strong> Hofkleidung für kaiserliche Begräbnisse und an<strong>der</strong>e<br />

Hoffeierlichkeiten. Zu den Ausgaben kommt <strong>noch</strong>, daß für Amanos Sohn,<br />

<strong>der</strong>, seit er <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> an e<strong>in</strong> Pult ge= wöhnt wurde, nicht mehr recht auf<br />

dem Fußboden <strong>sitzen</strong> kann, e<strong>in</strong> eigenes ausländisches Zimmer e<strong>in</strong>gerichtet<br />

werden mußte. Durch solche Ruhm= redigkeit offenbart sich die Zerrissenheit<br />

dieser <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Übergangszeit gestellten Menschen.<br />

Herr Amano br<strong>in</strong>gt es auf das gewandteste fertig, mit rückschritt= licher<br />

Ges<strong>in</strong>nung neuzeitliches Gehaben zu verquicken. Während <strong>der</strong> Feudalzeit<br />

hätte ke<strong>in</strong> hoher Beamter jemals den Staatsdienst als Sprungbrett zu privater<br />

Laufbahn verwertet, Herr Amano aber hat eben bei <strong>der</strong><br />

84 85


Eisenbahn se<strong>in</strong>en Abschied verlangt, um Direktor e<strong>in</strong>es großen Unternehmens<br />

zu werden, was mir mit seltsamem Lächeln schon von an<strong>der</strong>en<br />

J<br />

apanern erzählt worden ist. Es soll nämlich auch hier bereits vorkommen, daß<br />

die<br />

von Aktiengesellschaften teuer ausgemieteten Chefs <strong>der</strong> IvI<strong>in</strong>isterien für<br />

ihre neue Stellung ihre früheren Beziehungen ausnützen.<br />

Diese <strong>in</strong>nere Abkehr von <strong>der</strong> Tradition h<strong>in</strong><strong>der</strong>t Amano ke<strong>in</strong>eswegs, gegen<br />

die neuen Frauenbestrebungen aufzutreten und, wie er mir ganz offenherzig<br />

gesteht, gegen sie se<strong>in</strong>en ganzen E<strong>in</strong>fluß geltend zu machen. Das<br />

Merkwürdigste dabei ist, daß ihm bei se<strong>in</strong>er Verteidigung des bisherigen<br />

Verhältnisses zwischen Mann und Frau die Damen beipflichten - die vornehme<br />

Japaner<strong>in</strong> will nämlich gar nicht erlöst werden. Beim Abschied läßt er se<strong>in</strong>e<br />

Frau zuerst durch die Türe gehen; dann dreht er sich zu mir um und lacht:<br />

»So verlangen Sie es doch? Nicht?« Und die Damen verraten durch ihr<br />

Kichern, daß <strong>der</strong> Herr und Gemahl sonst als erster durch die Türe zu<br />

schreiten pflege.<br />

Fast alle Private<strong>in</strong>ladungen lauten für e<strong>in</strong> Restaurant, denn die ja<strong>panische</strong>n<br />

Haushaltungen s<strong>in</strong>d auf Gastfreundschaft ganz und gar nicht<br />

e<strong>in</strong>gestellt. Das Restaurant rechnet damit, geschlossene Gesellschaften zu<br />

bewirten und, da es durch die Verstellbarkeit <strong>der</strong> Wände se<strong>in</strong>e Räume<br />

dem Bedarf anpaßt, bietet es Chambres separees <strong>in</strong> je<strong>der</strong> gewünschten<br />

Größe. Dadurch ergibt sich rasch e<strong>in</strong>e gewisse Gemütlichkeit.<br />

Die teuerste Bewirtung ist die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ch<strong>in</strong>esischen Restaurant, <strong>der</strong>en es<br />

<strong>in</strong> Tokio sehr viele und <strong>in</strong> allen Graden <strong>der</strong> Kostspieligkeit gibt. Die Japaner<br />

rühmen sich zwar, die ch<strong>in</strong>esische Kultur <strong>in</strong> allen Belangen restlos japanisiert zu<br />

haben, aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kochkunst können sie dem ch<strong>in</strong>esischen Urbild ke<strong>in</strong>e<br />

gleichwertige Japanisierung entgegensetzen. Geht doch auf Erden nichts<br />

Kul<strong>in</strong>arisches über fe<strong>in</strong>e ch<strong>in</strong>esische Küche, nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e<br />

französisch=belgische Höchstleistung; so wie das ch<strong>in</strong>esische Alphabet Laute<br />

enthält, die unserer Sprache fremd s<strong>in</strong>d, kennt die Zunge <strong>der</strong> Ch<strong>in</strong>esen<br />

Harmonien, die nicht e<strong>in</strong>mal <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>, geschweige unser plumper<br />

Gaumen empf<strong>in</strong>den kann.<br />

Will also <strong>der</strong> Japaner se<strong>in</strong>en Gast beson<strong>der</strong>s ehren, so lädt er ihn <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> ch<strong>in</strong>esisches Restaurant e<strong>in</strong>. Und als ich e<strong>in</strong>es Tages von e<strong>in</strong>em mir<br />

befreundeten ja<strong>panische</strong>n Redakteur, dessen knappes E<strong>in</strong>kommen ich kenne,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> solches gebeten werde, löst sich me<strong>in</strong>e Verwun<strong>der</strong>ung darüber erst <strong>in</strong><br />

dem Augenblicke, als ich erfahre, daß Herr Hirota, <strong>der</strong> Chef des<br />

Pressebureaus im Auswärtigen Amt, ebenfalls anwesend se<strong>in</strong><br />

g6<br />

1<br />

werde. Diesmal bewahrheitet sich wohl, was die <strong>in</strong> Tokio lebenden<br />

Europäer fälschlich von allen an ausländische Journalisten ergehenden<br />

E<strong>in</strong>ladungen behaupten: daß <strong>der</strong> Staat die Kosten <strong>der</strong> Bewirtung trägt.<br />

Außer mir ist <strong>noch</strong> e<strong>in</strong> amerikanischer Journalist von <strong>der</strong> Associated Press<br />

Gast <strong>der</strong> Regierung und außerdem e<strong>in</strong>e Anzahl ja<strong>panische</strong>r Jour= nalisten, so<br />

daß wir im ganzen acht Personen s<strong>in</strong>d, die um e<strong>in</strong>en niedrigen, schwarzen<br />

Lacktisch herum auf bunten, flachen Seidenkissen, die auf den Fußmatten<br />

liegen, mit e<strong>in</strong>gezogenen Be<strong>in</strong>en hocken. Die Wände des Raumes s<strong>in</strong>d lang<br />

und schmal und schließen sich eng um die Tafel.<br />

Herr Hirota, <strong>der</strong> Diplomat <strong>der</strong> alten <strong>Schule</strong>, trägt wie immer e<strong>in</strong>en<br />

Kimono aus fe<strong>in</strong>ster Seide - alle an<strong>der</strong>en Herren s<strong>in</strong>d an diesem Abend <strong>in</strong><br />

ausländischer Kleidung - und br<strong>in</strong>gt wie überallh<strong>in</strong> auch hierher e<strong>in</strong>e Seele voll<br />

Mißtrauen mit. Offenbar hält er Mißtrauen für das Wesen se<strong>in</strong>es Berufes. Uns<br />

beiden Zeitungsschreibern gegenüber ist es natürlich riesengroß.<br />

Jedes ch<strong>in</strong>esische Restaurant bietet stets dieselben Speisen; da sie <strong>in</strong><br />

uralter, traditioneller Zubereitung zur Meisterschaft gebracht worden s<strong>in</strong>d,<br />

kommt es <strong>in</strong> diesen Wirtschaften nicht vor, daß e<strong>in</strong>mal etwas nicht ganz<br />

vollendet gerät. Es ist klar, daß das Publikum wechseln muß, <strong>wenn</strong> die<br />

Speisekarte dieselbe bleibt. Es kommt also wohl niemand täglich hierher,<br />

den<strong>noch</strong> gibt es e<strong>in</strong>e Art von Stammpublikum und die ch<strong>in</strong>esische Wirt<strong>in</strong>, die<br />

uns selbst bedient, sche<strong>in</strong>t den Staatssekretär gut zu kennen. Offenbar lädt er<br />

alle se<strong>in</strong>e ausländischen Gäste hierher e<strong>in</strong>.<br />

Ungefähr zehn Schüsseln werden aufgetragen und unmittelbar, ohne<br />

Tischtuch, auf den glänzenden Lack <strong>der</strong> Tafel gestellt. Kaum habe ich von<br />

den Speisen gekostet, so gerät me<strong>in</strong>e Zunge <strong>in</strong> Entzücken. Lei<strong>der</strong> läßt sich<br />

Wohlgeschmack ebensowenig beschreiben wie Wohlgeruch. Es s<strong>in</strong>d hun<strong>der</strong>t<br />

Jahre alte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erde vergraben gewesene Eier und kle<strong>in</strong>e Stückchen<br />

seltsamer Fischkuchen mit mir <strong>noch</strong> unbekannten Tönen prickeln<strong>der</strong><br />

Fe<strong>in</strong>heiten. Nach dem Nachlassen des ersten Taumels sehe ich aber zu<br />

me<strong>in</strong>em pe<strong>in</strong>lichen Erstaunen, daß die an<strong>der</strong>en mir lächelnd zusehen, ohne<br />

selbst zuzugreifen. »Warum essen Sie denn nicht?« er= kundige ich mich<br />

betreten bei dem Diplomaten. »Ich warte auf Besseres.« »Besseres? Kommt<br />

denn <strong>noch</strong> etwas?« Da lachen sie alle, trotz japa= nischer Höflichkeit. Das<br />

seien doch nur die Hors d'eeuvres gewesen, die Ouvertüre <strong>der</strong><br />

Speisensymphonie. Und nun wird ohne Pause e<strong>in</strong>e schier unerschöpfliche<br />

Reihe von Gerichten aufgetischt; sie beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>er großen ch<strong>in</strong>esischen<br />

Suppenschüssel, die das Köstlichste enthält, was je me<strong>in</strong>e Kehle durchfloß:<br />

»Vogelnesterbrühe«. Die darauf folgenden Hühner s<strong>in</strong>d so fett, daß sie wie<br />

Speck aussehen, dann kommen <strong>in</strong> pikanter<br />

Alice Schalek, Japan. 7 97


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Sauce, die gerade die richtige Mitte zwischen sauer und scharf e<strong>in</strong>hält, leicht<br />

auf <strong>der</strong> Zunge zergehende Haifischflossen. E<strong>in</strong> Orientale fände es barbarisch,<br />

dieselbe Sauce zu verschiedenen Fleischsorten zu verwenden, se<strong>in</strong> verfe<strong>in</strong>erter<br />

Geschmack verlangt, daß <strong>der</strong> Ton jedes Rohmaterials herausgearbeitet und<br />

sozusagen durch die Zutaten untermalt werde. Den Hummer zum Beispiel habe<br />

ich <strong>noch</strong> nie <strong>in</strong> so meer=gemahnen<strong>der</strong> und herb=zarter Zubereitung gegessen,<br />

den Karpfen <strong>noch</strong> nie <strong>in</strong> solch süßsauer= beißen<strong>der</strong> Umhüllung.<br />

Bambussprossen, ganz weich und l<strong>in</strong>d, Schell= fisch, brennend papriziert, e<strong>in</strong>e<br />

knusprige Ente, die als Berg Fujiyama herausgeputzt ist, Reis mit<br />

Bäckereien, je<strong>der</strong> Gang mit fünf bis sechs Nebenschüsseln, immer e<strong>in</strong>e<br />

duften<strong>der</strong> und reizvoller als die an<strong>der</strong>e und von nie geahnter Erf<strong>in</strong>dung.<br />

Von sieben bis zehn essen wir ununterbrochen. Ich nehme nur von je<strong>der</strong><br />

zweiten o<strong>der</strong> dritten Schüssel, koste schließlich nur, denn nach den Früchten<br />

und Torten kommen wie<strong>der</strong> Fische und Geflügel und Gelees und Pikanterien -<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esische Magen vermag alle Tonleitern auf und ab zu klettern und<br />

setzt sich über die bei uns übliche Reihenfolge von Sauer über Gesalzen zu<br />

Süß kühn h<strong>in</strong>weg. Das Menü besteht dann <strong>noch</strong> aus gebackenen Garnelen<br />

mit Kartoffelmus, e<strong>in</strong>gemachten Pilzen, Hühnerfilets, gestopften Wachteln,<br />

Apfeltorte, dann kommt plötzlich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Taubeneiersuppe und e<strong>in</strong><br />

gebackener Mandr<strong>in</strong>fisch, Cremeschnitten schieben sich zwischen e<strong>in</strong> Gericht<br />

aus Mandel= und Melonen> kernen und e<strong>in</strong>e dritte Suppe aus Sch<strong>in</strong>ken und<br />

geschmorten Tauben. Und natürlich wird all das Gute reichlich mit Sake<br />

begossen.<br />

E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Magenverstimmung nehme ich bewußt <strong>in</strong> Kauf, aber nach zehn<br />

Uhr b<strong>in</strong> ich völlig besiegt. Wer imstande ist, e<strong>in</strong> ch<strong>in</strong>esisches Essen<br />

durchzustehen, ohne völlig zusammenzubrechen, ist wohl für jede Strapaze des<br />

Lebens geeicht.<br />

ii. Theater.<br />

Durch e<strong>in</strong>en Österreicher, <strong>der</strong> hier Professor für deutsche Literatur ist,<br />

lerne ich se<strong>in</strong>en ja<strong>panische</strong>n Kollegen, Herrn Professor Gitaro Ch<strong>in</strong>o, den<br />

Lehrer für deutsche Literatur an <strong>der</strong> Tokioter Universität, kennen, <strong>der</strong><br />

»Judith« und »Gyges und se<strong>in</strong> R<strong>in</strong>g« <strong>in</strong>s Ja<strong>panische</strong> übersetzt hat. Se<strong>in</strong>e<br />

Schüler haben »Maria Magdalena« aufgeführt, »Die Frau im Fen= ster« und<br />

»Der Tor und <strong>der</strong> Tod« von Hofmannsthal, »Anatol« und »Liebelei« von<br />

Artur Schnitzler; diese von literarischen Studenten vere<strong>in</strong>igungen<br />

veranstalteten Aufführungen gehen zwischen den Monats= programmen im<br />

Kaiserlichen Theater o<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>er Hotelbühne <strong>in</strong> Szene.<br />

Von den Japanern, <strong>der</strong>en Literatur ebenfalls dem Bürgertum e<strong>in</strong>e ihm<br />

fernliegende Weltanschauung aufzw<strong>in</strong>gen will, wird Schnitzler am besten<br />

verstanden, während von Hauptmann nur »Elga« und »E<strong>in</strong>same Menschen«<br />

Anklang fanden. Den größten Erfolg hatten Su<strong>der</strong>manns »F_hre« und<br />

»Heimat«.<br />

Herr Ch<strong>in</strong>o ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es mageres Männchen mit so ausdruckslosem<br />

Gesicht, daß ich es mit dem, was <strong>der</strong> Mund von literarischen Taten erzählt,<br />

gar nicht <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen vermag. Se<strong>in</strong> Interesse für unsere<br />

Dichtkunst geht so weit, daß er an Schnitzlers sechzigstem Geburtstage <strong>in</strong><br />

Yokohama durch se<strong>in</strong>e Frau e<strong>in</strong>en Vortrag über dessen Werke halten ließ, die<br />

er als Schulthemata zu behandeln und <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Literaturstunde mit<br />

den Schülern durchzunehmen pflegt. Auch Dichtungen von Ra<strong>in</strong>er Maria<br />

Rilke, Wedek<strong>in</strong>d, Werfel, Schmidtbonn, Georg Kaiser, Str<strong>in</strong>dberg (aus dem<br />

Deutschen übersetzt> bilden Gegenstand von Schulaufgaben.<br />

In <strong>der</strong> geheimen Hoffnung, mit Hilfe dieses Schnitzlerübersetzers zu<br />

tieferem Verständnis ja<strong>panische</strong>r Dramen vorzudr<strong>in</strong>gen, bitte ich Herrn<br />

Gitaro Ch<strong>in</strong>o, mich <strong>in</strong>s Theater zu begleiten. Der Abend br<strong>in</strong>gt mir aber<br />

e<strong>in</strong>e Enttäuschung, weil <strong>der</strong> gelehrte Professor, dessen Briefe <strong>in</strong><br />

tadellosem Deutsch geschrieben s<strong>in</strong>d und dessen Kurrentschrift wie ge=<br />

stochen aussieht, die Sprache, die er unterrichtet und die se<strong>in</strong>en Lebens<strong>in</strong>halt<br />

bildet, nicht auch sprechen kann.<br />

Anstatt gekaufter Karten, wie ich ihn gebeten hatte, br<strong>in</strong>gt er zwei vom<br />

Oberregisseur geschenkte mit, Freikarten für die fremde Schrift. steller<strong>in</strong>,<br />

denn sonst werden ke<strong>in</strong>e ausgegeben; aber es s<strong>in</strong>d recht schlechte Sitze, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

letzten Reihe des Balkons. Wir s<strong>in</strong>d etwas spät daran, weil unsere Schuhe<br />

<strong>in</strong>folge des strömenden Regens mit e<strong>in</strong>er Schmutzschicht bedeckt s<strong>in</strong>d und wir<br />

sie zuerst beim Schuhputzer abwaschen lassen müssen. Das Kaiserliche<br />

Theater ist so weit mo<strong>der</strong>n, daß man dar<strong>in</strong> die Schuhe anbehalten darf.<br />

Während wir uns durch den vollbesetzten Zu= schauerraum drängen, denke<br />

ich daran, was wohl bei e<strong>in</strong>er Feuersbrunst geschähe - aber ne<strong>in</strong>, dieser<br />

Gedanke alle<strong>in</strong> machte e<strong>in</strong> Vergnügen un= möglich. Die Sitze und<br />

Zwischengänge s<strong>in</strong>d für die Gertenschlankheit <strong>der</strong> Japaner gebaut -<br />

europäischen Maßen trägt nur die erste, teuerste Reihe Rechnung, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Voraussetzung, daß von Europäern doch nur Durchreisende kommen und daß<br />

diese e<strong>in</strong> Pfund für e<strong>in</strong>en Platz bezahlen können.<br />

Ich sitze also ziemlich e<strong>in</strong>gezwängt da, b<strong>in</strong> ebenso wie me<strong>in</strong>e Nach= barn


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mit me<strong>in</strong>er Gar<strong>der</strong>obe beladen, auch mit dem nassen Regenschirm, und die<br />

hohen Frisuren <strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong>nen vor mir nehmen mir die Hälfte des Ausblicks<br />

weg -- niemand kann h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em solchen Schmetterl<strong>in</strong>gs=


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Haaraufbau viel sehen, aber die Achtung vor <strong>der</strong> Sitte knebelt alle Auf•<br />

lehnung. Es trägt außerdem nicht gerade zum Kunstgenusse bei, <strong>wenn</strong> alle<br />

Augenblicke die Schmucknadel aus dieser Frisur dazu benutzt wird, den meist<br />

tagelang nicht frisch gekämmten Kopf zu kratzen, etwa so, wie es unsere<br />

Hausmeister<strong>in</strong>nen mit <strong>der</strong> Stricknadel tun. Auch ist <strong>der</strong> Moschus= geruch <strong>der</strong><br />

stark geschm<strong>in</strong>kten und gepu<strong>der</strong>ten Damen betäubend.<br />

Das Haus ist bis auf das letzte Plätzchen gefüllt. Zu fast jedem Zuschauer<br />

gehört e<strong>in</strong>e Zuschauer<strong>in</strong>, aber nur selten ist es die Gatt<strong>in</strong>, sone <strong>der</strong>n<br />

zumeist die Geliebte o<strong>der</strong> die für den Abend gemietete Geisha. Man sieht<br />

auch ganze Familien mit Töchtern und sogar ab und zu zwei Damen ohne<br />

männliche Begleitung. E<strong>in</strong>e Dame alle<strong>in</strong> ersche<strong>in</strong>t fast nie.<br />

Das Kaiserliche Theater hat bereits ziemlich viel von <strong>der</strong> echten alten<br />

ja<strong>panische</strong>n Schaubühne abbröckeln lassen, doch vollzieht sich <strong>der</strong> Übergang<br />

zur Mo<strong>der</strong>ne äußerst vorsichtig. Immer <strong>noch</strong> beg<strong>in</strong>nt die Vorstellung um vier<br />

Uhr und datiert bis nach Mitternacht, immer <strong>noch</strong> wer= den täglich vier Stücke<br />

gespielt, aber das Programm, das an jedem Ersten des Monats wechselt,<br />

br<strong>in</strong>gt nur mehr vier Wochen h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> durchaus männliche Darsteller,<br />

jeden zweiten Monat wirken weibliche mit. Es kommt niemals vor, daß e<strong>in</strong><br />

Programm abgesetzt wird, Kritik und Tadel, die wie bei uns e<strong>in</strong>en<br />

Mißerfolg bewirken könnten, gibt es hier <strong>noch</strong> nicht, son<strong>der</strong>n das Publikum<br />

nimmt e<strong>in</strong>fach das Gebotene h<strong>in</strong>. Da so viel und soVerschiedenartiges<br />

gespielt wird, kommt je<strong>der</strong> auf se<strong>in</strong>e Rechnung.<br />

Die vier Stücke des heutigen Abends umfassen e<strong>in</strong>en klassischen Akt,<br />

dann e<strong>in</strong> neues Stück <strong>in</strong> alter Schreibart und als üblichen Schluß e<strong>in</strong>e<br />

Tanzszene; <strong>der</strong> dritte Programmpunkt, dessen Anziehungskraft mich <strong>in</strong>s<br />

Theater gelockt hat, ist e<strong>in</strong> ganz mo<strong>der</strong>nes Stück e<strong>in</strong>er jungen Frau, e<strong>in</strong>er<br />

Schüler<strong>in</strong> Professor Ch<strong>in</strong>os, die uns im Zwischenakt besucht und uns mit je<br />

e<strong>in</strong>er Serie Ansichtskarten von den Szenen ihres Stückes beschenkt. Trotz des<br />

je<strong>der</strong> Japaner<strong>in</strong> vorgeschriebenen holdseligen Lächelns sche<strong>in</strong>t sie mir sehr<br />

aufgeregt - ist es doch für sie etwas ganz Gewaltiges, hier aufgeführt zu<br />

werden. Wohl steht schon zum zweitenmal e<strong>in</strong> Stück von ihr auf dem<br />

Programm, aber sie ist die bisher e<strong>in</strong>zige mo<strong>der</strong>ne Schrift, steller<strong>in</strong>, <strong>der</strong> solch<br />

e<strong>in</strong>e Ehre zuteil geworden ist. Der Abend bedeutet für sie ungefähr das<br />

gleiche wie für e<strong>in</strong>e Wiener Autor<strong>in</strong> die Erstaufführung e<strong>in</strong>es Frauenstückes<br />

am Burgtheater.<br />

E<strong>in</strong> weiter und beschwerlicher Weg ist bis zu ihrem Werke zurückzulegen.<br />

Zuerst geht es durch e<strong>in</strong> Stück klassischer Literatur, wobei das<br />

bemerkenswerteste Moment die überwältigende literarische Bildung des<br />

Publikums ist. Je<strong>der</strong> Japaner und jede Japaner<strong>in</strong>, auch aus den untersten<br />

Schichten, kann jedes Wort <strong>der</strong> klassischen Dramen auswendig und nie wird<br />

e<strong>in</strong>er müde, sie immer wie<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Bühne zu sehen. Jede Schat= tierung im<br />

Vortrag <strong>der</strong> so wohlbekannten Verse -- das »gute« Spiel <strong>der</strong> Darsteller liegt<br />

hauptsächlich <strong>in</strong> dem Klangwechsel <strong>der</strong> Stimme - ist e<strong>in</strong> aufregendes Ereignis<br />

für dieses theaterbegeisterte Volk.<br />

Unser Stück spielt <strong>in</strong> Kyoto zur »Kamakura=Ära«. Der Held gibt sich<br />

dem Bösewicht gegenüber als Idiot aus. In endlosem H<strong>in</strong>= und Wi<strong>der</strong>reden<br />

<strong>der</strong> Dienstboten erfahren wir die Vorgeschichte; die Männer sprechen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em kunstvollen S<strong>in</strong>gsang, die Frauen - sie werden von Männern dargestellt,<br />

denn wir s<strong>in</strong>d im frauenlosen Monat - mit hoher, unnatürlicher Fistelstimme.<br />

Der berühmtesteTriller <strong>der</strong> besten Koloratur= sänger<strong>in</strong> kann sich an<br />

Atemkunst nicht mit dem endlosen Verweilen <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n unbiegsamen<br />

Kunststimme auf e<strong>in</strong>em Ton vergleichen, mit diesem gleichmäßig rollenden<br />

Sprechen, das nur durch e<strong>in</strong> plötzliches Ansteigen über e<strong>in</strong> auf unser Ohr<br />

unangenehm wirkendes Ton<strong>in</strong>tervall h<strong>in</strong>weg o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en jähen Absturz <strong>in</strong><br />

gutturale Tiefen unterbrochen wird. Das begleitende Orchester, das auch als<br />

Chor fungiert und Auff tritt und Abgang <strong>der</strong> Schauspieler durch grelle<br />

Schläge von Holz auf Holz und durch e<strong>in</strong>en son<strong>der</strong>baren Gesang hervorhebt,<br />

sitzt nicht mehr wie auf <strong>der</strong> alten Bühne vor, son<strong>der</strong>n unsichtbar <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Kulisse.<br />

Während die bewegungslosen Körper <strong>der</strong> <strong>in</strong> echte uralte Kostüme<br />

gekleideten Schauspieler <strong>in</strong> endlosem Geplärre e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gegenüberhocken,<br />

ersche<strong>in</strong>t es mir unmöglich, an dem Idioten etwas Idiotisches o<strong>der</strong> an dem<br />

Bösewicht etwas Bösartiges zu entdecken, liegen doch die japa= nischen<br />

Ausdrucksmöglichkeiten nur im Ton, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aussprache; dabei ist das<br />

Bühnen=Japanisch auf hohem Kothurn von <strong>der</strong> Umgangssprache total<br />

verschieden. Aber rund um mich herum ist die Anteilnahme unbeschreiblich,<br />

murmeln alle Zuschauer jedes Wort mit. Wer etwa aus dem<br />

weltstädtischen Getriebe Tokios den Glauben geschöpft hat, daß das alte<br />

Japan bald e<strong>in</strong>em neuen weichen werde, wird hier gründlich e<strong>in</strong>es Besseren<br />

belehrt.<br />

Me<strong>in</strong> Begleiter, <strong>der</strong> gelehrte Professor, ist selbst viel zu viel das K<strong>in</strong>d, das<br />

<strong>in</strong>s Theater geführt wird, um nicht völlig zu vergessen, daß er als literarischer<br />

Wegweiser gekommen ist. Geistig arbeitende Japaner, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

Staatsbeamte, s<strong>in</strong>d so schlecht bezahlt, daß sie sich das Vergnügen e<strong>in</strong>es


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Theaterbesuches nicht allzuoft leisten können. Herr Ch<strong>in</strong>o genießt also se<strong>in</strong>e<br />

Freikarte so restlos, daß ich es nicht übers Herz br<strong>in</strong>ge, ihn wie<strong>der</strong>holt durch<br />

Fragen zu stören, die ich überdies aufschreiben muß, damit er sie versteht.<br />

Außerdem kann er nur Tatsächliches erklären,


denn e<strong>in</strong> Japaner ist so sehr Gegenstand des Hergebrachten, daß er dazu gar<br />

ke<strong>in</strong>e Stellung nimmt. Meist gibt Herr Ch<strong>in</strong>o die typisch ja<strong>panische</strong>n<br />

Antworten, die nur auffassen kann, wer längere Zeit mit Japanern verkehrt<br />

hat. So antwortet er e<strong>in</strong>mal auf me<strong>in</strong>e Frage, warum das Publi= kum lache,<br />

<strong>wenn</strong> tieftraurige D<strong>in</strong>ge verhandelt werden: »Ja, lei<strong>der</strong>!« Er will damit sagen,<br />

er bedaure dieses unpassende Gelächter. Daß die mit Lachstürmen<br />

aufgenommenen clownartigen Gesten, womit die Komiker mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

tragischen Szene die Handlung stören und zerreißen, ganz und gar nicht <strong>in</strong> das<br />

Stück gehören und nichts als Augenblickse<strong>in</strong>gebungen unverantwortlicher<br />

Kulissenreißer s<strong>in</strong>d, erfahre ich erst von e<strong>in</strong>em mit <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Literatur<br />

vertrauten Europäer.<br />

Der Inhalt des Stückes erzählt von e<strong>in</strong>em Kaiser, <strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en ihm<br />

treuen Daimiyo die ganze Familie e<strong>in</strong>es Nebenkaisers ausrotten läßt. Der<br />

Konflikt spielt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Seele dieses Daimiyos ab, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Freund des<br />

Mannes ist, den er töten soll. Da die klassische Literatur dem Unter= tan<br />

vorschreibt, dem Kaiser bl<strong>in</strong>d zu gehorchen, tötet er den Freund und verrät<br />

sogar se<strong>in</strong>em Herrn, daß dessen Söhnchen mit dem Leben davon= kam, aber da<br />

er den Befehl erhält, auch den Knaben zu ermorden, br<strong>in</strong>gt er aus<br />

Freundschaft se<strong>in</strong>en eigenen Sohn uni. Seit Abrahams Bereit= willigkeit<br />

zum Opfer se<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des -- und das war doch Gottes Befehl! - verlangte<br />

me<strong>in</strong>es Wissens ke<strong>in</strong>es Volkes Sage solches von e<strong>in</strong>em Vater.<br />

Die ja<strong>panische</strong> Literatur verherrlicht <strong>in</strong>dessen ausschließlich Eigen=<br />

schaften dieser Art: Treue gegen den Herrn, Ergebenheit, Selbst=<br />

aufopferung und die Aufsichnahme frem<strong>der</strong> Schuld. Sie werden e<strong>in</strong>em Volke,<br />

dessen Anlagen und Charakter sie ganz und gar nicht entsprechen, durch die<br />

Kunst e<strong>in</strong>gebläut, durch die Erziehung abgerungen. Wehe den<br />

Herrschenden, <strong>wenn</strong> diese Überlieferung e<strong>in</strong>mal durchbrochen se<strong>in</strong> wird!<br />

Heute berauscht sich <strong>der</strong> Japaner <strong>noch</strong> an <strong>der</strong> kunstvoll vorgetragenen<br />

H<strong>in</strong>gabe und <strong>in</strong> Verse gedrechselten Ehrfurcht se<strong>in</strong>er Hofdichter, welche das<br />

Ausland jahrzehntelang über die wahre Natur des Japaners ge= täuscht haben.<br />

Ke<strong>in</strong>e von den Sklaventugenden, die Japans Poesie von den Unter= tanen<br />

for<strong>der</strong>t, ist ihnen angeboren. Die Literatur verlangt e<strong>in</strong>en Knechts<strong>in</strong>n, <strong>der</strong> an<br />

se<strong>in</strong>em Herrn nicht mäkelt, son<strong>der</strong>n bl<strong>in</strong>d für ihn e<strong>in</strong>steht o<strong>der</strong> stirbt. Dieser<br />

Herr wird nicht näher gekennzeichnet, er tritt <strong>in</strong> den ver= schiedenen Stücken<br />

nicht als jeweils herausgearbeitete Persönlichkeit auf, Herr se<strong>in</strong> ist se<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>zige Eigenschaft, ebenso wie es die <strong>der</strong> Knappen o<strong>der</strong> Diener ist,<br />

Knappe o<strong>der</strong> Diener zu se<strong>in</strong>, auf welcher Voraussetzung das Feudalsystem<br />

beruhte. Im Gegensatz zu unseren Klassikern, die<br />

Empörung und Befreiung aus Ketten besangen, gab sich die japa~ nische<br />

Literatur dazu her, e<strong>in</strong>en Gloriensche<strong>in</strong> um das Dienertum zu weben. Für<br />

diese Milchspeise aus Tugend und Treue hielt sie das Publi= kum durch<br />

Greuelszenen schadlos, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Gräßlichkeit sie sich ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelheit entgehen<br />

ließ. »Gespielt« <strong>in</strong> unserm S<strong>in</strong>ne wird nur Mord, Selbstmord, Kopfabschlagen<br />

o<strong>der</strong> Leibaufschlitzen, während sich Ge= mütsbewegungen r Ärger, Rührung<br />

o<strong>der</strong> Schrecken - im Mienenspiel nicht erkennen lassen.<br />

Wie übertrieben alles Groteske gebracht wird, zeigt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Szene, <strong>in</strong><br />

welcher <strong>der</strong> angebliche Idiot vorgibt, dem Bösewicht e<strong>in</strong> Geheimnis<br />

zuzuflüstern, <strong>in</strong> Wirklichkeit aber e<strong>in</strong>e Fliege <strong>in</strong> dessen Ohr setzt. Die Pe<strong>in</strong><br />

äußert sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er förmlichen Tanzszene, während welcher <strong>der</strong> Idiot zu<br />

lachen hat. Dieses Lachen ist e<strong>in</strong> Solokonzert, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong> mit höchster<br />

Fistelstimme geheultes Wiehern ausartet und die volle Raserei des Chors und<br />

<strong>der</strong> Holzschläger entfesselt. Hier bricht e<strong>in</strong> Beifallssturm los, dem nichts an<br />

Theatererfolg bei uns gleichgesetzt werden kann, nach solch e<strong>in</strong>er Szene wird<br />

die Meisterschaft des Darstellers gefeiert. Dem Publikum, das sie im voraus<br />

kennt und stundenlang auf sie wartet, bedeutet sie den Höhepunkt des Abends.<br />

Schön o<strong>der</strong> menschlich ergreifend kann e<strong>in</strong> Europäer diese Dramen nicht<br />

f<strong>in</strong>den, immerh<strong>in</strong> weckt diese äußerste Personifizierung von Eigen= schaften<br />

Vergleiche mit griechischen Klassikern, mit Ödipus und Elektra. Freilich,<br />

Äschylos kannte die Tanze<strong>in</strong>lagen nicht, die hier das klassische Drama<br />

durchsetzen, ja, für welche es nur den Rahmen abgibt, weshalb je<strong>der</strong><br />

Schauspieler die langsamen, abgehackten Tanzschritte beherrschen muß.<br />

Trotz aller E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> die Tradition erreicht <strong>der</strong> <strong>noch</strong> lebende Autor<br />

des zweiten Stückes nicht mehr die Naivität des alten Tugendepos, was er<br />

br<strong>in</strong>gt, ist Sittenpredigt und Liebedienerei. Genau genommen hat er mit<br />

diesem Stück dem berühmten Schauspieler Onoye, dem Liebl<strong>in</strong>g von ganz<br />

Tokio, <strong>der</strong> im Vorjahre durch e<strong>in</strong>e von Professor Sakaki nach Ste<strong>in</strong>achscher<br />

Methode vorgenommenen Operation se<strong>in</strong>e Jugend= frische wie<strong>der</strong>gewonnen<br />

hat, e<strong>in</strong>e Para<strong>der</strong>olle auf den Leib geschrieben.<br />

E<strong>in</strong> vom Gegenkaiser abgesetzter Kaiser landet mit se<strong>in</strong>em Leibarzt<br />

<strong>in</strong>sgeheim bei dem Schlosse e<strong>in</strong>es ihm treugebliebenen Daimiyos, welcher<br />

<strong>in</strong>mitten se<strong>in</strong>er Ritter um den verbannten Kaiser trauernd von <strong>der</strong> Dreh= bühne<br />

auf die Szene gebracht wird. Der alte Leibarzt wird als Spion<br />

here<strong>in</strong>geschleift und e<strong>in</strong>em Verhör unterzogen. Se<strong>in</strong>e Antwort ist zweifel= los<br />

die längste Soloszene, <strong>der</strong> ich je beigewohnt habe. Da ich die Worte nicht<br />

102 103


verstehe, ersche<strong>in</strong>t mir ihre Dauer unerträglich. Doch beachten sie<br />

102 103


auch die an<strong>der</strong>en, Sprachkundigen, nicht viel mehr, das ganze Publikum<br />

wartet nur auf den Moment, <strong>in</strong> welchem <strong>der</strong> Daimiyo erfahren wird, daß<br />

unmittelbar unter se<strong>in</strong>em Fenster <strong>der</strong> verehrte Herrscher se<strong>in</strong>er Hilfe harrt. Die<br />

ganze Rolle, ja, das ganze Stück, beruht alle<strong>in</strong> darauf, diese Mitteilung<br />

h<strong>in</strong>auszuziehen. Bei Japanern wird Spannung durch den un dramatischsten<br />

Vorgang erzeugt und es dauert nach <strong>der</strong> Uhr e<strong>in</strong>e gute halbe Stunde, ehe<br />

das Gejammer und das Geflenne des Theaterstars zur Enthüllung reif ist, die<br />

dann - während <strong>der</strong> Daimiyo und se<strong>in</strong>e Ge= treuen zu den Schwertern greifen -<br />

auf offener Szene angejubelt wird.<br />

Wir haben auch hier den ewig alten Inhalt: Treue des Arztes, Treue des<br />

Daimiyos -- aber <strong>der</strong> Epigone hat diese Treue am Schreibtisch erdacht.<br />

Me<strong>in</strong> großer Wunsch geht nun dah<strong>in</strong> zu erfahren, ob all das ohne<br />

Beziehung zur Handlung endlos dah<strong>in</strong>rollende Gerede poetisch, rührend,<br />

geistvoll o<strong>der</strong> sonst irgendwie literarisch bedeutend sei, aber Japaner ver.<br />

mögen ihr Urteil nicht auszudrücken und Europäer, die klassische Verse<br />

wirklich verstehen, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Seltenheit. Diese wenigen behaupten, das<br />

entsetzlich langwierige Reden bezwecke nur die Mürbemachung des Zu.<br />

hörers, ohne die <strong>der</strong> Japaner auch im täglichen Leben nicht auskommt.<br />

Europäische Firmen besolden eigens ja<strong>panische</strong> Angestellte, welchen im<br />

Geschäftsverkehr die Eröffnungsreden obliegen, trotzdem muß <strong>der</strong> weiße<br />

Kaufmann, <strong>wenn</strong> er dann selbst <strong>in</strong> die Unterhandlungen e<strong>in</strong>tritt, <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>iges<br />

Herumpalavern über sich ergehen lassen.<br />

Dasselbe Reden ohne Ende f<strong>in</strong>den wir auf <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Bühne auch bei<br />

den Liebesszenen, die sich äußerlich <strong>in</strong> nichts von den Dienstboten, Idioten=<br />

o<strong>der</strong> Ritterszenen unterscheiden. Die Liebesleute <strong>sitzen</strong> e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gegenüber,<br />

genau so weit vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> getrennt wie es auch im wirklichen Leben<br />

ja<strong>panische</strong> <strong>Jüngl<strong>in</strong>ge</strong> und Mädchen s<strong>in</strong>d, aus welcher sich niemals verr<strong>in</strong>gernden<br />

Entfernung sie reden, reden, reden - - -<br />

Liebe ist freilich, so wie bei uns, e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Hauptmotive aller Dramen.<br />

Tsurumi, den ich e<strong>in</strong>mal frage, wie denn das komme, da es doch im<br />

wirklichen Leben <strong>der</strong> Japaner so wenig Liebe gebe, antwortet mir traurig und<br />

voll Entsagung: »Gerade, weil wir im Leben auf sie verzichten müssen,<br />

wollen wir sie wenigstens auf <strong>der</strong> Bühne haben. Wir sehen des. halb <strong>in</strong> dem<br />

Zusammenstoß zwischen Sitte und Wunsch den Inbegriff <strong>der</strong> Tragödie.«<br />

Was die Wahl des Konflikts betrifft, ist Frau Kayoko Omuras Stück<br />

mo<strong>der</strong>n; es behandelt e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> brennendsten Japans: die Geisha. Aber zu den<br />

Vorkämpfer<strong>in</strong>nen, die gegen sie Sturm laufen, gehört die Autor<strong>in</strong> nicht. Statt<br />

e<strong>in</strong>es Aufschreis <strong>der</strong> durch<br />

die Geisha gequälten<br />

Frauenwelt<br />

br<strong>in</strong>gt sie e<strong>in</strong>e<br />

Verherrlichung e<strong>in</strong>er edlen<br />

Geisha mit Madame<br />

Butterfly Rührseligkeiten,<br />

die geeignet wären, die<br />

ohnedies so irrige<br />

Vorstellung des Auslandes<br />

von <strong>der</strong> Geisha <strong>noch</strong> mehr<br />

zu verfälschen. Aber nichts<br />

ist ver<br />

fehlten, als aus <strong>der</strong> japa=<br />

nisehen Literatur, die von<br />

dem Motto beherrscht wird:<br />

»So sollte es se<strong>in</strong>!« ,<br />

Rückschlüsse auf die<br />

Wirklichkeit zu ziehen.<br />

Die Held<strong>in</strong> Shiraito, e<strong>in</strong>e<br />

wun<strong>der</strong>schöne Gei= sha,<br />

wird von de<strong>in</strong> Samu= rai<br />

Mondo geliebt, trotz= dem<br />

er e<strong>in</strong> tugendhaftes Weib<br />

und zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong> hat. Die<br />

Drehbühne zeigt uns <strong>in</strong><br />

raschem Wechsel ihre beiden<br />

Zimmer <strong>in</strong> dem<br />

Geishahause, wobei das<br />

Proszenium, das e<strong>in</strong>e Stufe<br />

tiefer liegt, als »Straße" gilt.<br />

Beim Fortgehen ver= läßt sie<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> kuriosen Weise <strong>der</strong><br />

Japaner rück= l<strong>in</strong>gs das Heim, weil die Geta draußen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rich= tung <strong>der</strong><br />

Ankunft zurück= geblieben s<strong>in</strong>d.<br />

Das Neue daran ist die lebenswahre Wie<strong>der</strong>gabe e<strong>in</strong>es bürgerlich<br />

e<strong>in</strong>gerich=<br />

104 105


teten Frauengemaches<br />

und die Verwendung von häuslichen Gegenständen<br />

auf <strong>der</strong> sonst nur Schloßhöfe o<strong>der</strong> Rittersäle darstellenden Bühne. Zwar muß <strong>in</strong><br />

Japan auch e<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>nes Stück <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e vergangene »Ära« gestellt se<strong>in</strong>, aber da<br />

sich die Wohnungsausstattung seit sechshun<strong>der</strong>t Jahren nicht geän<strong>der</strong>t hat,<br />

glaubt man sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Heim von heute. Mir stört es die Illusion, daß dieses<br />

zierliche Puppenzimmer mit se<strong>in</strong>en auf <strong>der</strong> Erde<br />

104 105


stehenden niedlichen Ankleidespiegeln von e<strong>in</strong>em riesengroßen Manne, dem<br />

Theaterstar Onoye, bewohnt wird. Lei<strong>der</strong> konnte ich nicht herausf<strong>in</strong>den,<br />

warum die Frauenrollen immer von ungewöhnlich großen, die Helden um<br />

Haupteslänge überragenden Männern gegeben werden. Da aber die Frauen<br />

angeblich deshalb von Männern dargestellt werden, weil die schweren<br />

historischen Kimonos über Männerhüften besser fallen, und da sich <strong>der</strong> Japaner<br />

über alle Unwahrsche<strong>in</strong>lichkeiten h<strong>in</strong>wegsetzt, um se<strong>in</strong> Schönheitsbedürfnis zu<br />

befriedigen, ist es nicht unmöglich, daß die Länge dieser Kimonos, die auch<br />

bei dem größten Manne <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>e seitliche Schleppe bilden, die Ursache<br />

<strong>der</strong> Auswahl von Riesen ist. Mir freilich bleibt es unverständlich, wie die<br />

ja<strong>panische</strong> Phantasie es fertigbr<strong>in</strong>gt, <strong>in</strong> diesem häßlichen, magern Manne, <strong>der</strong><br />

se<strong>in</strong>e Rauhtöne mit <strong>der</strong> Fistelstimme nicht immer zu decken vermag, e<strong>in</strong><br />

verführerisches Weib zu erblicken.<br />

Shiraito ist traurig, weil Mondo seit langem ausgeblieben ist. Die<br />

Magd verrät ihr, daß Mondo krank und - was er bisher nie zugeben wollte -<br />

arm sei. Edel, wie Bühnengeishas nun e<strong>in</strong>mal s<strong>in</strong>d, schickt Shiraito ihm<br />

e<strong>in</strong>ige Goldstücke zu.<br />

Nun br<strong>in</strong>gt <strong>der</strong> Wirt, <strong>der</strong> Shiraito »gekauft« hat


ja<strong>panische</strong> Psyche jemals verstehen zu wollen, sowohl die des Publikums, wie<br />

die des Regisseurs.<br />

io6 107


Endlich zeigt - - Mondos Auffahren, daß die Magd <strong>in</strong> ihrer Erzäh. lung<br />

bis zum Tode J. r,=iitos gelangt ist. Grell lacht er auf, - ist sie doch bei ihm!<br />

Er eilt <strong>in</strong>s Neb -,-immer - es ist leer. Und er fällt <strong>in</strong> Ohnmacht.<br />

Echtestes Japan eröffr1ec den nächsten Akt. Frau Mondo wird von ihrem<br />

Bru<strong>der</strong> aufgefor<strong>der</strong>t, den treulosen Gatten zu verlassen, aber auch die mo<strong>der</strong>ne<br />

Autor<strong>in</strong> kann nicht über die klassische Tradition h<strong>in</strong>weg, die <strong>der</strong> betrogenen<br />

Frau vorschreibt, unbed<strong>in</strong>gt an <strong>der</strong> Seite des Ehebrechers auszuharren. Erst<br />

als <strong>der</strong> Mann sie wegschickt, gehorcht sie wortlos.<br />

Er selbst bereitet sich zum Selbstmord vor, da lockt ihn e<strong>in</strong>e tanzende,<br />

blaue Flamme die ja<strong>panische</strong> Ausdrucksform für Geisterersche<strong>in</strong>ungen - zum<br />

Friedhofe, wo sich nun die <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Stück fehlende Schreckens• szene<br />

abspielt und wandelnde Skelette den wahns<strong>in</strong>nig Gewordenen <strong>in</strong> den Tod<br />

hetzen. Zwei Vorübergehende reden <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>e gute Weile lang bei se<strong>in</strong>em<br />

Leichnam. Während dieser Greuelszene wird ununterbrochen gelacht, was zur<br />

Ehre des Publikums vermerkt werden muß.<br />

Trotzdem es Mitternacht ist, <strong>der</strong> dramatische Genuß also bereits acht<br />

Stunden gedauert hat, und trotzdem ich vor Erschöpfung fast bewußtlos b<strong>in</strong>,<br />

bleibe ich <strong>noch</strong> bis zum letzten Stück. Sollen doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tanzszene die drei<br />

berühmtesten Tänzer Japans auftreten, und so warte ich, bis sie über den<br />

Hanamichi, den Blumenweg, e<strong>in</strong>ziehen. Dieser Bühnenzugang durch das<br />

Parkett ist hier nur zehn Meter lang, weil er <strong>in</strong> das mo<strong>der</strong>n gebaute<br />

Theater erst nachträglich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gesetzt wurde, als ihn das Publi= kum allzu<br />

schmerzlich vermißte. Den<strong>noch</strong> dauert <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zug <strong>der</strong> drei Tänzer über<br />

e<strong>in</strong>e halbe Stunde, je<strong>der</strong> Schritt e<strong>in</strong>e Ewigkeit. Wird doch hier mit dem Begriff<br />

des Tanzes vor allem Langsamkeit verbunden und diese Langsamkeit des<br />

Schreitens, die e<strong>in</strong>e geschätzte Kunst ist, behalten die Tänzer auch auf <strong>der</strong><br />

Bühne bei. Trotzdem von den Kostümen, die sie auf offener Szene<br />

wechseln, immer e<strong>in</strong>es kostbarer und reicher ist als das an<strong>der</strong>e, kann ich e<strong>in</strong>fach<br />

nicht mehr zusehen. Fast taumle ich nach Hause<br />

Der nächste Monat br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> Programm mit weiblichen Darstellern.<br />

Vor dem Wechsel des Spielplanes bleibt das Kaiserliche Theater <strong>der</strong> Gene=<br />

ralprobe halber e<strong>in</strong>en Tag geschlossen und dieser darf ich beiwohnen,weil<br />

ich die berühmte Schauspieler<strong>in</strong> Ritsu Mori kennen lernen soll. Tsurumi<br />

führt ^'ich e<strong>in</strong>, da er aber wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Amt muß, telephoniert er an se<strong>in</strong>e<br />

Frau, sie möge kommen, um mir an se<strong>in</strong>er Statt Erklärerdienste zu leisten.<br />

Ritsu Mori ist e<strong>in</strong> sehr kle<strong>in</strong>es, nervöses, ehe, unhübsches, aber für<br />

e<strong>in</strong>e ja<strong>panische</strong> Frau ungewöhnlich klug aussehendes Persönchen, dessen<br />

mangelnde Reize völlig durch e<strong>in</strong> seliges Leuchten <strong>der</strong> Augen ersetzt<br />

werden. Der Unterschied zwischen <strong>der</strong> europäischen und <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n<br />

Vorkämpfer<strong>in</strong> äußert sich dar<strong>in</strong>, daß diese nicht verbittert und am Ende ihrer<br />

Tage, son<strong>der</strong>n <strong>noch</strong> jung und strahlend vor Siegerglück am Ziele<br />

108 109


anlangt, weil die Zeitströmung ihr günstig ist. Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt bekannt<br />

gewordene Sada yakko war e<strong>in</strong>e Geisha und trat <strong>in</strong> Japan niemals als<br />

Schauspieler<strong>in</strong> auf, Ritsu Mori war die erste. Als sie gegen die herr'<br />

sehende Sitte, also natürlich auch gegen den Willen ihrer den obersten Kreisen<br />

Japans angehörenden Eltern, als Schauspieler<strong>in</strong> auftrat, also etwas<br />

108 109


IIO III<br />

Unerhörtes, <strong>noch</strong> nie Dagewesenes beg<strong>in</strong>g, wurde sie nicht nur von <strong>der</strong><br />

Familie, son<strong>der</strong>n auch von <strong>der</strong> Gesellschaft ausgestoßen. Das Publikum lehnte<br />

sie anfangs ab, weniger aus Mißfallen als aus Pr<strong>in</strong>zip. Neuerungen f<strong>in</strong>den aber<br />

nur mehr so morsche Wi<strong>der</strong>stände, daß Ritsu Mori sich er= staunlich schnell<br />

durchsetzen konnte, worauf alle diejenigen, die sie so schnöde hatten abfallen<br />

lassen, ihr sofort eiligst nachrannten - e<strong>in</strong> Erleb= nis, welches ke<strong>in</strong>eswegs<br />

typisch japanisch genannt werden darf. Nur ist <strong>in</strong> Japan <strong>der</strong> Wunsch, bei je<strong>der</strong><br />

Sensation dabei zu se<strong>in</strong>, <strong>noch</strong> e<strong>in</strong> wenig stärker als an<strong>der</strong>swo.<br />

Mit beflügeltem Schritt, als trage sie das Bewußtse<strong>in</strong>, zum Hause zu<br />

gehören, zeigt sie mir das Theatergebäude. In <strong>der</strong> Damengar<strong>der</strong>obe hocken alle<br />

dreißig Damen, Ritsu Moris Chor, die jetzt am Kaiserlichen Theater engagiert<br />

s<strong>in</strong>d, vor den ja<strong>panische</strong>n Spiegelfrisiertischehen, die ohne Untersatz auf <strong>der</strong><br />

Erde stehen, und schm<strong>in</strong>ken sich aus unzähligen Tiegelchen. E<strong>in</strong>ige darunter<br />

s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>reißend hübsch und das ganze Bild gehört <strong>in</strong> das Japan <strong>der</strong><br />

europäischen Phantasie.<br />

Zu me<strong>in</strong>er Bewun<strong>der</strong>ung gesellt sich sofort tiefstes Mitleid, als Ritsu Mori<br />

mich e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Perücken <strong>in</strong> die Hand nehmen läßt, denn <strong>der</strong> Holzbau, <strong>in</strong> den<br />

jedes Haar e<strong>in</strong>zeln e<strong>in</strong>gezogen ist, erweist sich als e<strong>in</strong>e Zentnerlast. Auch <strong>der</strong><br />

kostbare Brokat des Kostüms, das doppelt so lang ist als die Träger<strong>in</strong>,<br />

wiegt mehrere Kilo. Dreimal schl<strong>in</strong>gt Ritsu Mori den ebenfalls furchtbar<br />

gewichtigen Gürtel um den schmalen Leib und bleibt trotzdem schlank. Mit<br />

Kostüm, Perücke und Gürtel belastet, müssen die Schau. spieler zwischen<br />

den Eisenwänden <strong>der</strong> »Hölle«, <strong>der</strong> erstickend heißen Folterkammer unter <strong>der</strong><br />

Bühne, auf ihr Stichwort warten, bis sie über den Hanamichi e<strong>in</strong>ziehen<br />

können.<br />

Für drei Uhr war die Probe angesagt, uni fünf Uhr beg<strong>in</strong>nt sie. Im ersten<br />

Stück hat Ritsu Mori nichts zu tun, obwohl auch dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e wirk= liche Frau<br />

mitspielt. Seit ihrem Erfolg tauchen jetzt bereits viele an<strong>der</strong>e<br />

Schauspieler<strong>in</strong>nen auf.<br />

Dieses erste, von e<strong>in</strong>em hypermo<strong>der</strong>nen Schriftsteller geschriebene Stück<br />

zeigt, wie stark <strong>in</strong> Japan, <strong>wenn</strong> e<strong>in</strong>mal mit <strong>der</strong> Tradition gebrochen wird, das<br />

Pendel nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite ausschw<strong>in</strong>gt. Überwältigend ist <strong>der</strong> Abstand <strong>der</strong><br />

steifen und prüden Liebesszenen des klassischen Stückes von <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

dieses neuen.<br />

E<strong>in</strong>e ja<strong>panische</strong> Potiphar liebt e<strong>in</strong>en jungen Buddha=Mönch, <strong>der</strong> aber nicht<br />

gleich Josef ablehnend, son<strong>der</strong>n zur Gegenliebe nur zu schüchtern ist. Ihr Zorn<br />

darüber nimmt <strong>in</strong>dessen den gleichen Verlauf wie <strong>der</strong> ihres biblischen<br />

Vorbildes, auch sie dichtet ihm e<strong>in</strong>e Annäherung an und ruft<br />

die Wache zu ihrem Schutze, so daß er gleich Josef <strong>in</strong>s Gefängnis gesetzt<br />

wird. Hierbei überschreit sich die Schauspieler<strong>in</strong> <strong>der</strong>artig und gebärdet sich so<br />

wild, daß man an Stelle <strong>der</strong> neuen Hysterie den alten, überlang= samen Stil<br />

zurückwünscht.<br />

In dem Gedankengange des zweiten Aktes, <strong>der</strong> Zurückweisung <strong>der</strong> an=<br />

gebotenen Flucht durch den Mönch, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wünschen schuldig<br />

fühlt, erblicken die ja<strong>panische</strong>n Literaten den höchsten Ausdruck mo<strong>der</strong>ner<br />

Poesie, den Übergang von <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>der</strong> Wünsche im S<strong>in</strong>ne des<br />

Feudalismus zur Freiheit des Sich=Auslebens im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> europäischen<br />

Nachkriegszeit. Augenblicklich ist die mo<strong>der</strong>ne Literatur <strong>in</strong> Japan bei den<br />

Gewissensqualen wegen heimlicher, verbotener Wünsche angelangt.<br />

Der E<strong>in</strong>gekerkerte leidet Hunger; Potiphar kommt mit honigbe= strichenen<br />

Armen, die sie ihn ablecken läßt, was er so selbstvergessen und s<strong>in</strong>nlich tut,<br />

daß man das Gefühl hat, bei solchen Vertraulichkeiten nicht anwesend se<strong>in</strong> zu<br />

wollen.<br />

Man ist bei <strong>der</strong> Generalprobe und niemand weiß, wie das Publikum diesen<br />

schroffen Schritt von fast klösterlicher Sprödigkeit zu so hemmungsloser Erotik<br />

aufnehmen wird. In diesem Akt hat nämlich die Frau ke<strong>in</strong>en Grund, enttäuscht<br />

zu se<strong>in</strong>, denn <strong>der</strong> Geliebte entzündet an ihrem Fleisch se<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>ne. Aber<br />

ehe sie die Se<strong>in</strong>e wird, stellt sie e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung: er solle ihr e<strong>in</strong> Halsband<br />

br<strong>in</strong>gen, ganz aus den kle<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gern leben<strong>der</strong> Menschen zusammengesetzt.<br />

Darauf entreißt er dem Kerkermeister das Schwert und schneidet ihm als<br />

erstem den F<strong>in</strong>ger ab, welcher Wahns<strong>in</strong>n sich im dritten Akt zu vollem<br />

Blutrausche auswächst. Zwischen den verstümmelten Leichen von neun<br />

Menschen, denen allen er den kle<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>ger abgeschnitten hat und die nun<br />

e<strong>in</strong>en Gespenstertanz um ihn auff führen, wird er von e<strong>in</strong>em<br />

Derwisch=Erlöser zum Tode geführt. Zu solchen Auswüchsen des<br />

Geschmacks kommt es immer, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Malerei, Musik o<strong>der</strong><br />

Architektur, sobald die Japaner die Jahrhun<strong>der</strong>te alte L<strong>in</strong>ie ihrer Tradition<br />

verlassen.<br />

Die endlosen Pausen zwischen den Akten werden dazu benützt, jede<br />

Stellung zu photographieren; jede Zeitung, jede Monatsschrift und je<strong>der</strong><br />

Ansichtskartenverlag hat se<strong>in</strong>e Blitzlichtphotographen hierher beor<strong>der</strong>t.<br />

Da Frau Tsurumi nicht gekommen ist, solange uns ihr Gatte <strong>noch</strong> hätte<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bekannt machen können, halte ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pause nach ihr Um=<br />

schau. Unter all den Zuschauern, welche teils Mitwirkende und An=


IIO III<br />

gestellte, teils <strong>der</strong>en Angehörige s<strong>in</strong>d, sehe ich e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige unverkennbare<br />

Dame. E<strong>in</strong>e weibliche Ersche<strong>in</strong>ung, die zur Gesellschaft gehört, kennt man<br />

auf hun<strong>der</strong>t Schritte aus den übrigen heraus, so daß es mir immer


unbegreiflicher wird, wie man im Ausland glauben könne, es gäbe <strong>in</strong> Japan<br />

ke<strong>in</strong>e »Damen«.<br />

Es ist e<strong>in</strong> vollkommen typisch ja<strong>panische</strong>r Vorgang, daß Frau Tsurumi, die<br />

me<strong>in</strong>ethalben <strong>in</strong>s Theater gekommen ist, mich nicht anspricht, wie. wohl ich<br />

als e<strong>in</strong>zige Europäer<strong>in</strong> im Zuschauerraume sitze, e<strong>in</strong> Irrtum also vollkommen<br />

ausgeschlossen ist. Ich b<strong>in</strong> natürlich viel mehr auf das Erraten angewiesen. Da<br />

ich mich me<strong>in</strong>er Sache aber ziemlich sicher fühle, trete ich auf sie zu und werde<br />

gleich herzlichst begrüßt.<br />

Diese junge Frau, e<strong>in</strong>e Tochter von Viscount Goto, stammt aus aller=<br />

erstem Hause. Wiewohl ihr Gatte aus weit niedrigerer Familie kommt, wurde<br />

er für sie ausgewählt, weil er sich im politischen und literarischen Leben als<br />

hoffnungsvolles Talent bemerkbar machte. Kaum hatte die junge Mutter<br />

ihrem ersten K<strong>in</strong>de das Leben geschenkt, so nahmen es die Großeltern zu sich<br />

und schickten das Paar nach Europa. Die Studien= reise des jungen<br />

Ehemannes war auf vier Jahre berechnet, aber als die junge Frau herausfand,<br />

daß ihre eigene Entfaltung dabei zu kurz käme, verließ sie ihn und Europa und<br />

reiste alle<strong>in</strong> nach Amerika, um dort gründ. lich Englisch zu lernen. Ich könnte<br />

mir nicht leicht e<strong>in</strong>e Frau aus irgend, e<strong>in</strong>er europäischen Großstadt vorstellen,<br />

die ihr K<strong>in</strong>d bei den Schwieger• eltern und ihren Gatten <strong>in</strong> England ließe, um<br />

auf eigene Faust <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>n Weltteil ihre Studien zu vollenden.<br />

Wiewohl Frau Tsurumis neues Frauentum ihr <strong>noch</strong> nicht gestattet, e<strong>in</strong>e<br />

ihr nicht vorgestellte Europäer<strong>in</strong> anzusprechen, so ist doch ihr Auftreten<br />

bemerkenswert frei und sicher. Freilich muß man die Fe<strong>in</strong>heiten des Abstandes<br />

ihres Benehmens von dem an<strong>der</strong>er Frauen eigens beachten, denn die junge<br />

Frau ist genau so still und bescheiden, wie man es allen ja<strong>panische</strong>n Frauen<br />

e<strong>in</strong>drillt, auch sie spricht nur, <strong>wenn</strong> sie gefragt wird, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

verhältnismäßig fließenden Englisch. Nur ihre Brille deutet auch<br />

Außenstehenden an, daß die Träger<strong>in</strong> zu den Gebildeten gehört. Son<strong>der</strong>bar<br />

berührt es mich, daß sie unter an<strong>der</strong>m erzählt, sie sei mit ihrem Manne nach<br />

Prag gereist - »um e<strong>in</strong> neues Land zu sehen«.<br />

Zu dem Drama äußert sie sich nicht. Man erfährt selten, ob sich Ja. paner<br />

e<strong>in</strong> Urteil gebildet haben, im besten Falle ist es e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Zu. stimmung<br />

o<strong>der</strong> Ablehnung; <strong>in</strong> Besprechung von E<strong>in</strong>zelheiten gehen sie niemals e<strong>in</strong>.<br />

Nach dem ersten Stück muß ich <strong>in</strong>s Hotel zurück, woh<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong>e junge<br />

ja<strong>panische</strong> Witwe, e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong>, zum Abendessen geladen habe. Der<br />

Regisseur erteilt mir die Erlaubnis, mit ihr wie<strong>der</strong> zurückzukehren, denn Ritsu<br />

Mori will ich doch spielen sehen. Gegen neun Uhr abends<br />

112<br />

s<strong>in</strong>d wir beide wie<strong>der</strong> da, die arme Lehrer<strong>in</strong> glückselig über den vom<br />

Himmel gefallenen Theaterbesuch, ich todmüde, fast nicht mehr auf=<br />

nahmsfähig. Mit ke<strong>in</strong>em Volk <strong>der</strong> Welt ist <strong>der</strong> Verkehr so erschöpfend wie mit<br />

Japanern, weshalb die <strong>in</strong> Japan lebenden Auslän<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er bald müde werden.<br />

Je länger e<strong>in</strong> Weißer <strong>in</strong> Japan lebt, desto weniger - so paradox das kl<strong>in</strong>gt --<br />

kommt er außeramtlich o<strong>der</strong> außergeschäftlich mit den E<strong>in</strong>wohnern<br />

zusammen.<br />

Ich warte also <strong>noch</strong>, bis das Stück, <strong>in</strong> dem Ritsu Mori spielt, beg<strong>in</strong>nt.<br />

Lebhaft bedaure ich, daß sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er klassischen Rolle auftritt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie von<br />

ihrer Eigenart nichts verraten darf, sie selbst setzt aber ihren größten Stolz<br />

dare<strong>in</strong>, sie zu spielen, weil die Kritik den Frauen die Beherrschung des<br />

klassischen Stils abspricht. Mir ersche<strong>in</strong>t es freilich als seltsamer Gedanke,<br />

daß e<strong>in</strong>e Frau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Frauenrolle e<strong>in</strong>e Nachahmung <strong>der</strong> bis= herigen<br />

Darstellung durch Männer br<strong>in</strong>gt und sich bemüht, mit <strong>der</strong>selben Fistelstimme<br />

wie diese zu sprechen.<br />

In dieser uralten Ballade handelt es sich um e<strong>in</strong>en Ehebruch, <strong>der</strong> <strong>in</strong> dem<br />

entzückenden Garten e<strong>in</strong>es Buddhatempels begangen wurde. E<strong>in</strong> blühen<strong>der</strong><br />

Kirschbaum spielt hier e<strong>in</strong>e weit größere Rolle als Ritsu Mori. An se<strong>in</strong>en<br />

Zweigen hängen Zettel - es s<strong>in</strong>d Gedichte an die Blüten, die man sehr oft <strong>in</strong><br />

wirklichen Gärten sieht - und ihre Verlesung dauert e<strong>in</strong>e Endlosigkeit. Die<br />

Held<strong>in</strong> tut, als wolle sie hier beten, was Frauen ver= boten ist, <strong>in</strong> Wirklichkeit<br />

hat sie h<strong>in</strong>ter dem Tempel e<strong>in</strong> Stelldiche<strong>in</strong> mit dem Ehebrecher, beide werden<br />

erwischt und verhaftet. Dem Manne ge. l<strong>in</strong>gt es, unerkannt zu fliehen, weil -<br />

das ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong>n Litem ratur immer wie<strong>der</strong>kehrendes Motiv -- e<strong>in</strong><br />

Freund se<strong>in</strong>e Schuld auf sich nimmt. Die Frau hat die ihre am eigenen<br />

Leibe zu büßen.<br />

Gegen Mitternacht ist me<strong>in</strong>e Kraft zu Ende; da ich fortgehen will, bittet<br />

mich die ja<strong>panische</strong> Lehrer<strong>in</strong>, dableiben zu dürfen. Sie hat nicht alle Tage<br />

Gelegenheit, <strong>in</strong>s Kaiserliche Theater zu gehen. E<strong>in</strong> bißchen ver. legen ist sie,<br />

weil sie me<strong>in</strong>e Frage nach dem Schluß des Stückes nicht be• antworten kann,<br />

etwa so, wie <strong>wenn</strong> e<strong>in</strong> Deutscher nicht gleich den Ver• lauf von Clavigo<br />

wüßte. Aber <strong>in</strong> dem überschwenglichen Dankbrief, den sie mir am an<strong>der</strong>n<br />

Morgen schreibt, teilt sie mir mit, das Stück habe mit e<strong>in</strong>em Blutbad geendet<br />

und Ritsu Mori habe sich »wun<strong>der</strong>voll« getötet.<br />

12. Die »No«=Spiele <strong>in</strong> Tokio.<br />

Alle klarblickenden Japaner wissen, daß das Volk se<strong>in</strong>e beste Kraft aus <strong>der</strong><br />

Tradition zieht. Diese dem von außen e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>genden Neuen entgegenzusetzen,<br />

ohne den Strom <strong>der</strong> westlichen Zivilisation allzustark e<strong>in</strong>=<br />

Alice Sdhalek, Japan. 8<br />

I


11 4 8• II5<br />

zudämmen, ist augenblicklich Japans schwierigstes Problem. Literarische<br />

Vere<strong>in</strong>e wollen durch die Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> ältesten klassischen Literatur,<br />

des »No«, den aus Europa und Amerika kommenden mo<strong>der</strong>nen<br />

Anschauungen e<strong>in</strong> Gegengewicht schaffen. Diese alte Oper mit Ballette<strong>in</strong>lagen<br />

-- No-dance nennen sie die <strong>in</strong> englischer Sprache ersche<strong>in</strong>en. den<br />

Zeitungen - wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er verschollenen Sprache, die nur ganz wenige Japaner<br />

verstehen, »gesungen« und seit kurzem gehört es bei den ja<strong>panische</strong>n<br />

Bildungsbeflissenen zum guten Ton, e<strong>in</strong>ige dieser Stücke auswendig zu können.<br />

Zu den wirklich echten und guten No=Vorstellungen haben nur<br />

Vere<strong>in</strong>smitglie<strong>der</strong> Zutritt, die oberste Gesellschaft Tokios ist hier ganz<br />

unter sich; aber e<strong>in</strong>em mir bekannten amerikanischen Gelehrten, dessen Fach<br />

alte orientalische Sprachen s<strong>in</strong>d und <strong>der</strong> durch das Auswärtige Amt ebenfalls<br />

dem Informationsbureau zugeteilt wurde, wird <strong>der</strong> Wunsch, die No=Spiele zu<br />

sehen, erfüllt und so bietet sich mir die Gelegenheit, sie mit ihm zu besuchen -<br />

e<strong>in</strong> Ereignis, um welches mich alle Europäer beneiden. Als wir uns vorher<br />

im Informationsbureau e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den, uni dort e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das No zu<br />

erhalten, stellt sich heraus, daß <strong>der</strong> Professor besser darüber Bescheid weiß<br />

als <strong>der</strong> ja<strong>panische</strong> Erklärer: gleich zu Beg<strong>in</strong>n bekämpft er die Behauptung, daß<br />

das No zweitausend Jahre alt sei, es stamme aus dem dreizehnten Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Se<strong>in</strong> freilich <strong>noch</strong> immer ansehnliches Alter dürfe nicht an dem von Äschylos<br />

und Euripides gemessen werden. Daß ausländische Fachleute gründlicher als<br />

Japaner über japa. nische Kunst und Literatar unterrichtet s<strong>in</strong>d, ist durchaus<br />

nichts Seltenes.<br />

Mit <strong>der</strong> griechischen Klassik kann sich das No=Spiel auch <strong>in</strong>haltlich nicht<br />

vergleichen. Trotz völkischer Verherrlichung und geheimnisvoller<br />

Aufmachung - dem e<strong>in</strong>fachen Bürger war die Teilnahme daran verboten -bleibt<br />

es nicht lange verborgen, daß es äußerst primitiv ist, wiewohl es für die<br />

höchsten Geister und die vornehmsten Familien im Reiche bestimmt war. Jetzt<br />

vermag nur mehr <strong>der</strong> Gebildetste, und auch dieser nur nach e<strong>in</strong>gehenden<br />

Studien, etwas davon zu verstehen, aber die große neue Be. wegung für das<br />

No zieht weite Kreise <strong>der</strong> Bevölkerung an, denen freilich die Hauptsache<br />

daran die Sensation ist. Augenblicklich ist nämlich <strong>in</strong> Tokio das Älteste das<br />

Neueste.<br />

Die No=Spiele waren <strong>in</strong> den siebziger Jahren, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Periode des Um.<br />

schwunges nach <strong>der</strong> Zertrümmerung des Feudalismus, völlig fallen gelassen<br />

worden, aber im Jahre 1881 brachte Pr<strong>in</strong>z Iwakura von e<strong>in</strong>er Reise durch<br />

Europa die Überzeugung mit, daß es für Japan besser sei, statt fremde Art<br />

kitschig nachzuahmen, den eigenen Kunstbesitz zu pflegen;<br />

er gründete im Shiba-Park, dort, wo jetzt <strong>der</strong> Maple Club, das fe<strong>in</strong>ste<br />

ja<strong>panische</strong> Restaurant, steht, das neue Hauptquartier No-Gakudo. Was <strong>in</strong><br />

Japan vom Hof o<strong>der</strong> von höheren Kreisen ausgeht, kann auf Erfolg<br />

rechnen und so drang das Interesse für das No auch <strong>in</strong> tiefere Schichten. Der<br />

jetzige Präsident, Pr<strong>in</strong>z Tokugawa, errichtete <strong>in</strong> dem Gebiet des Tempels<br />

<strong>in</strong> Kudan, e<strong>in</strong>em Vorort von Tokio, e<strong>in</strong> neues Theater, wo er jetzt alle fünf<br />

No-<strong>Schule</strong>n pflegt, während die an<strong>der</strong>en No=Gesellschaften sich nur auf e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>zige beschränken. Das No ist ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> antiken<br />

Dramen, es gibt vielmehr fünf <strong>Schule</strong>n ihrer Darstellung, <strong>der</strong>en Grün<strong>der</strong><br />

man mit Ausnahme desjenigen des Kongo, <strong>der</strong> vierten <strong>Schule</strong>, mit Namen<br />

kennt. E<strong>in</strong> Neutöner, <strong>der</strong> es wagte, e<strong>in</strong>e sechste Abart zu erf<strong>in</strong>den, konnte<br />

sich ungeachtet <strong>der</strong> großen Zahl se<strong>in</strong>er Anhänger niemals als gleichberechtigt<br />

durchsetzen.<br />

Von den zweihun<strong>der</strong>tfünfzig No-Spielen s<strong>in</strong>d ungefähr zweihun<strong>der</strong>t, von<br />

denen viele fünf bis sieben Stunden dauern, zu neuem Leben erweckt worden<br />

und es gibt außer den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>e, die als Dilettanten mitwirken,<br />

vierhun<strong>der</strong>tfünfzig Berufs-No-Spieler. Seit zwanzig Jahren läßt man auch<br />

Frauen das No darstellen, allerd<strong>in</strong>gs nur <strong>in</strong> Privatvorstellungen, so daß man<br />

nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen die sechsjährige Enkel<strong>in</strong> des gegenwärtigen Sekretärs <strong>der</strong><br />

No=Vere<strong>in</strong>igung, e<strong>in</strong> Aufsehen erregendes Wun<strong>der</strong>k<strong>in</strong>d, zu sehen bekommen<br />

kann.<br />

Diese E<strong>in</strong>zelheiten über das No erfahre ich natürlich nicht im Informationsbureau,<br />

da Kawado die »Informationen«, die er den Fremden<br />

weitergibt, mit typisch ja<strong>panische</strong>r Oberflächlichkeit selbst erst unmittelbar<br />

vorher e<strong>in</strong>holt. Während <strong>der</strong> Autofahrt betont er <strong>noch</strong>mals die hohe Ehre, die<br />

<strong>in</strong> unserer Zulassung zu dem unzugänglichsten Klub liege. Dessen<br />

zweihun<strong>der</strong>tfünfzig Mitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d durchwegs bekannte Persönlichkeiten,<br />

welche die Kosten <strong>der</strong> zweimal im Monat stattf<strong>in</strong>denden Vorstellungen decken.<br />

Bei <strong>der</strong> Aufnahme <strong>in</strong> den Klub bezahlt je<strong>der</strong>, je nach se<strong>in</strong>en<br />

Vermögensverhältnissen, fünfunddreißig bis hun<strong>der</strong>t Pfund und für se<strong>in</strong>en<br />

festen Platz jedesmal e<strong>in</strong> Pfund, so daß e<strong>in</strong> Kartenverkauf überhaupt nicht<br />

vorgesehen ist. Diese geschlossene und gesiebte Gesellschaft Tokios wünscht<br />

unter sich zu bleiben, man kennt e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und wechselt Besuche <strong>in</strong> den Logen<br />

wie bei den berühmten Pariser Premieren=Abenden <strong>der</strong> Comedie francaise.


11 4 8• II5<br />

Europäer kommen fast nie hierher, ganz ausnahmsweise hat uns Marquis<br />

Hachizuka, dessen Frau krank ist, für heute se<strong>in</strong>e Loge zur Verfügung gestellt<br />

und uns sagen lassen, daß er die fremden Gäste nachher persönlich begrüßen<br />

werde. Starr vor Staunen und zerfließend vor Geehrtheit überbr<strong>in</strong>gt uns<br />

Kawado diese Nachricht. Die


Adelstitel fliegen nur so um uns herum. Die je<strong>der</strong>mann bekannte Loge des<br />

Marquis ist <strong>noch</strong> niemals abgegeben worden und bleibt, <strong>wenn</strong> er sie nicht selbst<br />

benützt, sonst immer leer. Es ist jedoch ke<strong>in</strong>eswegs als typisch japanisch<br />

anzusehen, daß Adelige gegen Fremde weniger unnahbar s<strong>in</strong>d als gegen die<br />

eigenen Landsleute.<br />

So leise wie möglich - das erste Stück ist bereits im Gange - be. treten<br />

wir die »Loge«. Durch ganz niedrige Gelän<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d auf dem treppen= förmig<br />

ansteigenden Fußboden viereckige Abteile entstanden, so daß <strong>der</strong> Saal wie e<strong>in</strong><br />

Schachbrett aussieht, <strong>in</strong> dessen »Fel<strong>der</strong>n« festlich gekleidete Japaner auf <strong>der</strong><br />

Erde hocken. Die Vornehmheit <strong>der</strong> Gesellschaft geht schon daraus hervor, daß<br />

nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger ausländischer Anzug zu sehen ist; fe<strong>in</strong>e Japaner ersche<strong>in</strong>en bei<br />

feierlichen Gelegenheiten ausschließlich im Montsuki. Köstliche, goldgewebte<br />

Obi schimmern aus schweren dunklen Brokaten, alle Damen s<strong>in</strong>d frisch frisiert,<br />

nirgends stört die sonst übliche Ungekämmtheit. An <strong>der</strong> sicheren Haltung<br />

erkennt sich die »Gesellschaft« und <strong>der</strong> über ihr liegende Hauch von<br />

Vornehmheit gibt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Toten= stille kund. Niemand lutscht hörbar<br />

Süßigkeiten wie im gewöhnlichen Theater o<strong>der</strong> wirft Orangenschalen um sich.<br />

Neben mir sitzt e<strong>in</strong>e be= rühmte Schönheit, im ja<strong>panische</strong>n S<strong>in</strong>ne natürlich, mit<br />

langer Nase und geschwungenen Augenbrauen.<br />

Was für New York e<strong>in</strong> Caruso=Abend bedeutete, ist für Tokio e<strong>in</strong><br />

Hosho=Nachmittag. Der Stammvater <strong>der</strong> Familie Hosho, die sich seit<br />

fünfhun<strong>der</strong>t Jahren durch Adoption <strong>der</strong> jeweils berühmtesten No=Spieler<br />

erhält, begründete die Hosho=<strong>Schule</strong>, von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>ige Japaner freilich etwas<br />

wegwerfend zu sagen pflegen: »Sie ist ziemlich neu, erst fünfhun<strong>der</strong>t Jahre alt.«<br />

Als Schauspieler <strong>noch</strong> berühmter als <strong>der</strong> augenblickliche Träger des Namens<br />

Hosho ist Masakichi Noguehi. Ihn kennen zu lernen, gilt als die größte Ehre,<br />

die Tokio bieten kann, und wir sollen ihrer teil= haftig werden.<br />

Es zeugt für die Innerlichkeit des Publikums, daß se<strong>in</strong>e volkstüm= lichsten<br />

Liebl<strong>in</strong>ge No-Darsteller s<strong>in</strong>d und nicht Operettenstars wie bei uns, wird<br />

doch die Operette <strong>in</strong> Japan überhaupt nicht geduldet. Die No= Spieler stehen<br />

selbst auf hoher Stufe und ziehen <strong>in</strong> h<strong>in</strong>gebungsvollster Weise, freiwillig und<br />

unentgeltlich, Jünger heran. In Japan hat sich die Person <strong>der</strong> Kunst zu<br />

unterordnen und so wird zum Beispiel e<strong>in</strong> Abtrün= niger, <strong>der</strong> es gewagt hat,<br />

e<strong>in</strong>e neue No-<strong>Schule</strong> zu gründen, geächtet, nichtsdestoweniger aber se<strong>in</strong> Sohn<br />

als Meister des No=Spieles geschätzt und mit zärtlichstem Mitleid umgeben.<br />

Das erste Stück, die berühmte Ballade »Nagauto« o<strong>der</strong> »Die Schmet<br />

terl<strong>in</strong>gsfee«, ist das bekannteste unter allen No-Spielen. E<strong>in</strong>e Märchen-<br />

pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> fliegt vom Himmel herunter und badet am Strand von Shizu= oka. Dort<br />

ist es, ach, so wun<strong>der</strong>-, wun<strong>der</strong>schön! Trunken vom Meer, vom Fujiyama,<br />

von den Kirschblüten, dem l<strong>in</strong>den Seew<strong>in</strong>d und <strong>der</strong> duften. den Frühl<strong>in</strong>gsluft<br />

vergißt sie das Hagoromo, ihr Flügelkleid. - - Nichts rührt den Japaner mehr als<br />

e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>=, wun<strong>der</strong>schöner Frühl<strong>in</strong>gstag am Meeresstrand beim Fujiyama.<br />

Die Trunkenheit e<strong>in</strong>er Fee durch die am meisten geliebte Landschaft <strong>in</strong> Japan<br />

mußte das Stück im Lande berühmt machen, es lebt im Volke und wird von<br />

allen Geishas gesungen - ich hörte solche <strong>in</strong> Korea, die es tausend Zuhörern<br />

vortrugen. - - E<strong>in</strong> armer Fischer f<strong>in</strong>det das prächtige Kleid und br<strong>in</strong>gt es se<strong>in</strong>er<br />

Frau nach Hause. Dort sieht es die Fee, die es suchen gegangen ist, und<br />

begehrt es zurück. Zuerst stößt sie auf Mißtrauen, aber da sie erzählt, daß<br />

sie ihr Kleid vergaß, weil sich <strong>der</strong> Fuji so wun<strong>der</strong>=, wun<strong>der</strong>schön im klaren Bach<br />

ge. spiegelt habe, stellt es ihr <strong>der</strong> arme Mann sofort zurück. Es gibt kaum<br />

e<strong>in</strong>en typischer ja<strong>panische</strong>n Gedankengang: wer die Landschaft so sehr liebt,<br />

kann nicht lügen. Inzwischen hat die Fee erkannt, daß ihr Kle<strong>in</strong>od dem armen<br />

Fischerhaus das Mittel zum Aufschwunge bietet, und nun will sie das Kleid<br />

nicht mehr nehmen - - das ja<strong>panische</strong> Hauptthema Opfermut auf beiden<br />

Seiten. Doch da sie ohne das Kleid nicht <strong>in</strong> den Himmel zurückfliegen<br />

könnte, läßt sie statt dessen Reichtum für den ehrlichen Fischer zurück.<br />

Seitdem sagt man von Shizuoka, daß <strong>in</strong> jedem Frühl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Engel<br />

h<strong>in</strong>komme.<br />

So tief uns diese Geschichte, die uns vorher erzählt worden ist, ge= rührt<br />

hat, so erstaunt s<strong>in</strong>d wir, von <strong>der</strong> erwarteten h<strong>in</strong>reißenden Szenerie nichts<br />

vorzuf<strong>in</strong>den. Durch die matten Glasfenster <strong>der</strong> hölzernen Saalwände fällt<br />

gedämpftes Licht. Die Bühne, e<strong>in</strong> zweiseitig offener, quadra. tischer,<br />

tempelartiger Bau von etwa fünf Metern im Geviert, liegt <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>zigen<br />

rechten W<strong>in</strong>kel des Saales, <strong>der</strong> die Form e<strong>in</strong>es offenen Fächers<br />

hat, also zwei rechtw<strong>in</strong>klig aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>stehende gerade Wände und e<strong>in</strong>en<br />

Viertelkreis als Abschluß. Die geraden Wände bilden den H<strong>in</strong>tergrund<br />

<strong>der</strong> Bühne, die mit ihrer freistehenden Ecke <strong>in</strong>s Publikum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ragt.<br />

Dieses sitzt aber nicht im Viertelkreis angeordnet, wie es dem Raum ent<br />

spräche, son<strong>der</strong>n die e<strong>in</strong>e Hälfte rechtw<strong>in</strong>klig zu <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n; da die Schau=<br />

spieler sich aber nur nach <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Front wenden, sehen nur die ihr<br />

Gegenüber<strong>sitzen</strong>den das Spiel von vorne, die an<strong>der</strong>en von <strong>der</strong> Seite. Vor=<br />

hänge gibt es nicht, so wie bei unseren Freilichtbühnen, nur e<strong>in</strong> ganz<br />

schmaler Pfeiler trägt den Baldach<strong>in</strong> des Bühnenpodiums und teilt es <strong>in</strong><br />

zwei Hälften. Der Hanamichi führt quer durch den Zuschauerraum und<br />

II6 II7


ii8 119<br />

ist beim E<strong>in</strong>gang durch e<strong>in</strong>e Portiere abgeschlossen. Den H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong><br />

Bühne bildet e<strong>in</strong> gemaltes Paneel mit dem üblichen Fichtenbaum, dessen<br />

stilisierte Äste vom Baldach<strong>in</strong> abgeschnitten werden. An <strong>der</strong> rechten Wand,<br />

auf bunten Kissen, hocken drei Musikanten; zwei davon halten e<strong>in</strong>e<br />

Doppeltrommel auf <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Schulter und ihre Art, sie zu schlagen, ersche<strong>in</strong>t<br />

beim ersten Anblick wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>nig, aber die abgezirkelten Bewegungen s<strong>in</strong>d alle<br />

genau e<strong>in</strong>studiert. Bei dem Versuch, sie nachzu= machen, verletzt sich <strong>der</strong><br />

Europäer bloß den Handballen und erzielt nicht den ger<strong>in</strong>gsten Ton. Der<br />

dritte Musikant bläst die Shakuhachi, e<strong>in</strong>e grelle Holzflöte. Diesem<br />

»Orchester« fällt beim No die Hauptrolle zu, so daß die Musiker, die auch<br />

gleichzeitig s<strong>in</strong>gen, die schwerste Schulung durch= zumachen haben. Die<br />

Musik wird von jedem Mann und je<strong>der</strong> Frau im Zuschauerraum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Buche mitgelesen; die Noten s<strong>in</strong>d den unsrigen nicht ähnlich, son<strong>der</strong>n<br />

Zeichen, welche Kopftöne, Gegurgel, Zittern auf e<strong>in</strong>em Ton o<strong>der</strong> den<br />

plötzlichen, für ja<strong>panische</strong> Musik charakteristischen Fall <strong>in</strong> bodenlose Baßtiefen<br />

vorschreiben. Darunter steht die Übersetzung des altja<strong>panische</strong>n Textes <strong>in</strong> die<br />

mo<strong>der</strong>ne ja<strong>panische</strong> Sprache.<br />

Der Schauspieler, <strong>der</strong> die Fee spielt, kommt mit e<strong>in</strong>em Riesenschmet=<br />

terl<strong>in</strong>g auf dem Kopfe über den Hanamichi auf die gänzlich leere und<br />

kahle Bühne, wobei die Musik anschwillt. Se<strong>in</strong>en breiten, klassisch ge=<br />

schnittenen No-Kimono hat das kulturhistorische Museum zu den Spielen<br />

hergeliehen, er ist unglaublich prächtig und ebenso kostbar wie die Maske, e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Welt berühmten altja<strong>panische</strong>n Schauspielerlarven, welche<br />

die weiblichen Rollen zu vers<strong>in</strong>nbildlichen hatten. Die Maske <strong>der</strong> Fee ist aber<br />

so grauenerregend, daß unsere mitgebrachte Vorstellung von e<strong>in</strong>er süßen<br />

Himmelsersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> nichts zerfließt.<br />

Das Here<strong>in</strong>schreiten geht so langsam vor sich, daß wir Europäer<br />

me<strong>in</strong>en, es sei e<strong>in</strong>fach nicht auszuhalten; diese Langsamkeit ist das Ergebnis<br />

jahrelanger, mühseliger Übung und gegen sie ist die im gewöhn= lichen<br />

ja<strong>panische</strong>n Theater übliche <strong>noch</strong> brausende Eile. Endlich, end= lieh ist »sie«<br />

auf <strong>der</strong> Bühne angelangt. Und nun erzählt uns <strong>der</strong> Schau= spieler mit den<br />

spärlichsten Bewegungen, die ich je bei e<strong>in</strong>em Mimen gesehen habe, die<br />

Geschichte von dem <strong>in</strong> <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>=, wun<strong>der</strong>schönen Landschaft verlorenen<br />

Flügelkleid. Erzählt sie mit ganz leisen Fächer= bewegungen, ohne Spiel, ohne<br />

Ausstattung, alle<strong>in</strong> auf <strong>der</strong> Bühne stehend und mit den europäische Ohren<br />

verletzenden grellen Mißklängen des ja<strong>panische</strong>n Sprechgesanges, wobei die<br />

gegurgelten Laute wie bei mutier renden <strong>Jüngl<strong>in</strong>ge</strong>n nach oben umschlagen.<br />

Man muß das miterlebt haben, um e<strong>in</strong>e Ahnung von <strong>der</strong> ungeheuerlichen<br />

Größe <strong>der</strong> Phantasie des japa=<br />

nischen Volkes zu bekommen, das ke<strong>in</strong>er äußerlichen Behelfe bedarf, ja, durch<br />

solche nur gestört werden würde.<br />

Nachdem die Fee ebenso langsam, wie sie gekommen war, ab=<br />

gegangen ist, ersche<strong>in</strong>en zwei an <strong>der</strong> Handlung gänzlich Unbeteiligte, die<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> die Szene im Fischerhause erzählen. Unsere Ungeduld über das<br />

Ausbleiben je<strong>der</strong> Darstellung wächst natürlich während <strong>der</strong> dritthalb Stunden,<br />

die das Stück dauert, <strong>in</strong>s Riesengroße; ist bei uns <strong>in</strong> Europa das Wesen<br />

des Dramas Handlung, so ist es Mangel an Handlung <strong>in</strong> Japan. Und die<br />

No=Dichtung unterbietet hier<strong>in</strong> <strong>noch</strong> die für die Theater ge= schriebenen<br />

Stücke.<br />

Trotz des völkerpsychologischen Interesses Langweile ich mich zu Tode.<br />

Zeitweilig schlafe ich tief und fest e<strong>in</strong>; schrecke ich auf und beschämt<br />

mich e<strong>in</strong> vorwurfsvoller Blick Kawados, so tröstet es mich wie<strong>der</strong>, daß<br />

auch <strong>der</strong> gelehrte Professor und se<strong>in</strong>e Gatt<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschlafen s<strong>in</strong>d. Freilich<br />

werden wir alle drei durch die Schmerzen im Kreuz, die sich <strong>in</strong>folge <strong>der</strong><br />

Hockstellung e<strong>in</strong>stellen, und durch die Kälte, welche <strong>in</strong> die unbeschuhten Füße<br />

steigt, immer wie<strong>der</strong> aufgeweckt.<br />

Applaus nach Schluß des Stückes gibt es nicht. Vor fünfhun<strong>der</strong>t ahren<br />

J<br />

hatten die Feudalherren es nicht für nötig befunden, den ihnen hörigen<br />

Schauspielern ob <strong>der</strong> befohlenen Leistungen Beifall zu klatschen, und die<br />

heutigen Japaner haben von <strong>der</strong> Tradition jede, auch die ger<strong>in</strong>gste E<strong>in</strong>zelheit<br />

übernommen. Das erlesene Publikum ist aber ke<strong>in</strong>eswegs zu vornehm, weidlich<br />

über die Clownscherze zweier No=Tänzer, <strong>der</strong> Ky= ogen, die als<br />

Zwischennummer e<strong>in</strong>geschoben werden, zu lachen. Auch <strong>der</strong> Japaner aus<br />

edelstem Geblüt ist im Innersten e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das vor Mario= netten jauchzt und<br />

über Rippenstöße jubelt, vorausgesetzt, daß sie genau nach fünfhun<strong>der</strong>tjährigen<br />

Vorschriften verabreicht werden. Diese Späße s<strong>in</strong>d nämlich ebenfalls das<br />

Ergebnis schwieriger Übungen.<br />

In dem nächsten Stück »Hach<strong>in</strong>oki«, »Der Blumentopf«, aus <strong>der</strong><br />

Ashikaga=Periode, kommt immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Requisit vor, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> berühmten, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en Topf gepflanzten M<strong>in</strong>iaturfichten, die <strong>in</strong> Japan so sorgfältig wie K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

aufgezogen und von gelehrten Gärtnern gepflegt werden. Aber= mals ist<br />

Opfermut das Hauptmotiv des Stückes. Hojo Tokiyori, <strong>der</strong> japa= nische<br />

Harun al Raschid, sucht im Volke nach e<strong>in</strong>em treuen Knecht und bittet<br />

während e<strong>in</strong>es Gewitters die alle<strong>in</strong> zurückgebliebene Frau e<strong>in</strong>es Samurai um<br />

e<strong>in</strong>en Unterschlupf, doch weist sie ihn ab, weil sie nur e<strong>in</strong>en Raum ihr eigen<br />

nennt und alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Mann nicht empfangen darf. Kaum hat dies <strong>der</strong> nachts


ii8 119<br />

heimkehrende Gatte erfahren, so läuft er <strong>in</strong> das tosende Wetter h<strong>in</strong>aus, uni den<br />

unbekannten Obdachlosen zu suchen. Zwei


120 121<br />

Trommelschläge leiten das Stück e<strong>in</strong> und dann heben sich hohe Flöten<br />

töne grell von dem tiefen Gebrumm des Vortrages ab. Die Frau und <strong>der</strong><br />

Shogun, <strong>der</strong> Fürst, stehen auf <strong>der</strong> Bühne, aber wüßte ich nicht, was vorgeht,<br />

nichts, nichts könnte ich <strong>der</strong> Miene entnehmen. Erst als <strong>der</strong> Samurai <strong>in</strong><br />

Nacht und Wetter den Shogun suchen geht, <strong>der</strong> drei Schritte weit weg, an<br />

den Prospekt <strong>der</strong> w<strong>in</strong>zigen Bühne geschmiegt, daliegt - se<strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>legen<br />

dauerte volle sechzig Sekunden und erst zu Hause, da ich mit <strong>der</strong> Uhr <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hand versuche, mich so langsam nie<strong>der</strong>zulassen, erkenne ich, wie schwer das<br />

ist -, kommt Leben <strong>in</strong> die Darstellung. Beide Meister spielen mit und zwar<br />

gibt Hosho den Shogun und Masakichi Noguchi den treuen Lehensmann und<br />

dieser ruft den an<strong>der</strong>n mit e<strong>in</strong>em so ohrenzerreißenden Geheul, daß man an<br />

hungrige Wölfe <strong>in</strong> sibirischer Schneenacht denkt. Dieses Geheul ist <strong>der</strong><br />

Höhepunkt von Noguchis Kunst und, da es <strong>in</strong> den Noten genau nachzulesen<br />

ist, muß es e<strong>in</strong> künstlerisches genannt werden - uns freilich kommt das so<br />

vor, wie <strong>wenn</strong> e<strong>in</strong> Kettenhund e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>brecher aus Noten anbellte.<br />

Der Samurai ist arm und da er den Unbekannten frosterstarrt mit<br />

heimbr<strong>in</strong>gt, opfert er ihm das e<strong>in</strong>zige, was er besitzt: se<strong>in</strong>e geliebten drei<br />

getopften Bäumchen, mit denen er Feuer macht. Zuerst verbrennt er das<br />

Kirschbäumchen, weil das künstlich gezüchtete ke<strong>in</strong>e Früchte trägt, dann die<br />

Pflaume, weil sie nicht immergrün ist, und erst zuletzt die Fichte, das Symbol<br />

des langen Lebens. Wie sehr die ja<strong>panische</strong> Literatur geeignet ist, im Ausland<br />

falsche Vorstellungen über den ja<strong>panische</strong>n Charakter zu erwecken, zeigt sich<br />

hierbei wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal, denn <strong>in</strong> Wirklichkeit ist <strong>der</strong> Begriff des Schenkens aus<br />

Güte dem Japaner fremd; er schenkt nur dann, <strong>wenn</strong> er <strong>der</strong> Gegengabe ganz<br />

sicher ist.<br />

Trotzdem von drei Bäumchen die Rede ist, wird nur e<strong>in</strong>es gebracht.<br />

Was me<strong>in</strong>e Augen freilich nicht zu würdigen verstehen, ist das Spiel des<br />

Fächers dabei. Der Fächer stellt alles dar: e<strong>in</strong>en Berg, <strong>wenn</strong> die Erzählung<br />

e<strong>in</strong>e Besteigung schil<strong>der</strong>t, e<strong>in</strong> Pferd, e<strong>in</strong> Schwert o<strong>der</strong> auch, wie eben jetzt,<br />

die Axt, mit <strong>der</strong> das Bäumchen gefällt wird. In Wirklichkeit bricht <strong>der</strong><br />

Schauspieler nur e<strong>in</strong> w<strong>in</strong>ziges Zweigle<strong>in</strong> ab, Symbol genug für den Japaner.<br />

Mit dem Fächer wird Feuer gemacht und <strong>der</strong> Fächer ver> s<strong>in</strong>nbildlicht die<br />

wärmenden Flammen. Erst als e<strong>in</strong> Diener Baum und Zweig wie<strong>der</strong><br />

weggetragen hat, begreife ich, daß auch sie eigentlich überflüssig gewesen<br />

waren. Kommt doch <strong>der</strong> Japaner als Maler auf die Welt und se<strong>in</strong>e Phantasie<br />

entwirft bei <strong>der</strong> leisesten Andeutung Bild um Bild. In dem, was nicht wirklich<br />

gcsagt, nicht wirklich getan wird, liegt für ihn<br />

die Poesie.<br />

Bemerkenswert ist <strong>der</strong> Unterschied zwischen ch<strong>in</strong>esischem und ja<strong>panische</strong>m<br />

Gebärdenspiel. Während auf <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bühne je<strong>der</strong> Vorgang<br />

vollkommen naturgetreu dargestellt wird, beispielsweise e<strong>in</strong>e Pferdebesteigung<br />

so, als besteige <strong>der</strong> Schauspieler wirklich e<strong>in</strong> Pferd, als greife er <strong>in</strong> die Zügel,<br />

als sprenge er davon, macht <strong>der</strong> Meister hier, <strong>wenn</strong> er auf se<strong>in</strong>en alten Gaul<br />

klettert, ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Bewegung, die wirklich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Fall gemacht<br />

wird. Das nähme <strong>der</strong> Phantasie zu viel vorweg.<br />

Weil jede <strong>der</strong> uns fast unsichtbaren Gesten etwas bedeutet und mit Symbolik<br />

geradezu beladen ist, verlangt diese Darstellung die ungeteilte Aufmerksamkeit<br />

und H<strong>in</strong>gabe des Zuschauers. Infolgedessen arbeitet die ja<strong>panische</strong><br />

Auffassung langsam und erst <strong>der</strong> Besuch e<strong>in</strong>es so echt nationalen<br />

Vergnügens, wie die No=Spiele es s<strong>in</strong>d, läßt uns e<strong>in</strong>e Ahnung von dem<br />

Zwiespalt bekommen, <strong>in</strong> den <strong>der</strong> Verkehr mit uns Weißen e<strong>in</strong> Volk br<strong>in</strong>gen<br />

muß, dessen höchstes Kunstideal das Erratenlassen ist. Vielleicht erwächst die<br />

Ger<strong>in</strong>gschätzung, welche dieses Volk für die fremden Völker hegt, aus <strong>der</strong><br />

Entdeckung, daß h<strong>in</strong>ter ihren vielen Ausdrucksformen,die ihm anfangs e<strong>in</strong> Buch<br />

mit sieben Siegeln s<strong>in</strong>d, gar ke<strong>in</strong>e tiefere Bedeutung liegt.<br />

Fünf Stunden lang haben diese beiden Stücke gedauert. Es war mir fest<br />

versprochen worden, daß ich um sieben Uhr e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>n Verab. redung<br />

würde nachkommen können, und auch <strong>der</strong> kanadische Professor hat für diese<br />

Zeit e<strong>in</strong>e zweite E<strong>in</strong>ladung angenommen, wir werden aber von dem <strong>in</strong><br />

glühendster Beflissenheit dah<strong>in</strong>schmelzenden Kawado zum Büfett geführt, wo<br />

uns <strong>der</strong> Marquis und die Meister Hosho und Noguchi an e<strong>in</strong>em für uns<br />

gedeckten Tisch erwarten. Wie lange solch e<strong>in</strong>e Vor. stellung dauert, weiß<br />

ich genau. Mir bleibt also nichts an<strong>der</strong>es übrig, als unterwegs zu entwischen,<br />

wobei ich freilich auf die Heimkehr mit dem Auto verzichten und mich durch<br />

die Menge über die Treppe h<strong>in</strong>abdrängen muß, was auf Strümpfen nicht<br />

übermäßig vergnüglich ist. Draußen ist es stockf<strong>in</strong>ster, es gießt <strong>in</strong> Strömen,<br />

die Straße ist wie e<strong>in</strong> Bach und das e<strong>in</strong>zige wartende Auto ist e<strong>in</strong> privates<br />

Luxusgefährt.<br />

Der <strong>in</strong> dem Auto <strong>sitzen</strong>de ja<strong>panische</strong> Herr lädt mich mit e<strong>in</strong>er höflichen<br />

Handbewegung zum E<strong>in</strong>steigen e<strong>in</strong> und gibt mir, da ich neben ihm <strong>in</strong> dem<br />

wun<strong>der</strong>baren Coupe sitze, höflich se<strong>in</strong>e Visitkarte. Er kennt me<strong>in</strong>en Namen -<br />

ja<strong>panische</strong> Zeitungen arbeiten gründlich. Punkt sieben setzt er mich am Orte<br />

me<strong>in</strong>er Verabredung ab und ich b<strong>in</strong> natürlich h<strong>in</strong>gerissen von me<strong>in</strong>em Erlebnis<br />

- das übrigens <strong>der</strong> ganzen Stadt am nächsten Tage brühwarm vorgesetzt<br />

wird; ist doch <strong>der</strong> hilfreiche Japaner selbst <strong>noch</strong> zur Zeitung gefahren, ehe er<br />

wie<strong>der</strong> zu dem No=Schauspiel zurückkehrte, wo gelehrt wird, die Tat auch


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ohne Lohn zu tun.


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13. Im Vergnügungsbezirk.<br />

E<strong>in</strong>es Abends begleitet mich me<strong>in</strong> Landsmann <strong>in</strong> das Vergnügung'viertel<br />

Asakusa (sprich Asaksa>. Wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal hat mir das Konsulat das Auto<br />

geliehen. Wir lassen es am E<strong>in</strong>gange stehen und mischen uns unter die Menge<br />

<strong>der</strong> Besucher. Natürlich s<strong>in</strong>d wir das Ziel aller neu= gierigen Blicke, weil die<br />

Residenten niemals hierher kommen und es Tou= risten jetzt im W<strong>in</strong>ter nicht gibt.<br />

Ungeniert wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> bilden die Spazier= gänger <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Bude, die ich besuche,<br />

um mich e<strong>in</strong>en Halbkreis und es ist geradezu rührend, mit welcher Befriedigung<br />

sie me<strong>in</strong> Entzücken zur<br />

Kenntnis nehmen. Der Anblick, <strong>der</strong> sich mir bietet, ist aber auch weit über<br />

Tausendunde<strong>in</strong>e Nacht h<strong>in</strong>aus phantastisch, bunt und künstlerisch bewegt.<br />

Spielzeug= und Bonbonsbuden s<strong>in</strong>d mit vollendeter Meisterschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Raumkunst mit Fähnchen bezeichnen<strong>der</strong>weise auch mit <strong>der</strong> Kriegsflagge --,<br />

Papierblumen, Lampions und Buchstabentafeln aus= geschmückt; <strong>in</strong> allen<br />

Farben, Gold auf Rot, Weiß auf Grün o<strong>der</strong> Schwarz auf Purpur, s<strong>in</strong>d die<br />

Wortzeichen, die ganz Japan aufputzen, gedruckt und gemalt -- sollten sie<br />

jemals verschw<strong>in</strong>den, so würde das Land nüchtern und armselig aussehen.<br />

Ke<strong>in</strong> Volk <strong>der</strong> Welt macht den Japanern e<strong>in</strong>e solche Gasse voll bunter<br />

Effekte nach, ebensowenig wie die Beleuchtung, die im Osten überhaupt e<strong>in</strong>e<br />

große Rolle spielt; seitdem <strong>in</strong> den Lampions<br />

elektrische Birnen stecken, können sich die Japaner an Lichtwirkungen gar<br />

nicht genug tun. Diese Reihen von Ampeln und Papierkunstwerken, diese bunten<br />

Buden im Lampenglanz, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> den farbigen Kimonos malerisch<br />

auffrisierter Musmes bricht hier zeigt sich das Japan, von dem je<strong>der</strong> träumt, <strong>der</strong><br />

nach dem Osten fährt.<br />

Tempel stehen mitten im Vergnügungspark und halbnackte, Glöckchen<br />

schw<strong>in</strong>gende männliche und weibliche Bußläufer im weißen Hemd<br />

rennen barbe<strong>in</strong>ig, den Nacken<br />

entblößt, mit brennen<strong>der</strong> Laterne durch die Menge von e<strong>in</strong>em zum an<strong>der</strong>n;<br />

schweißtriefend spr<strong>in</strong>gen sie bei jedem <strong>in</strong> e<strong>in</strong> kaltes Bad, worauf sie sich vom<br />

diensttuenden Priester gegen e<strong>in</strong>e Kupfermünzenspende e<strong>in</strong>en Stempel auf das<br />

Hemd drucken lassen. Den ebenfalls kurzweg e<strong>in</strong>gehandelten Bußzettel<br />

stecken sie <strong>in</strong> ihr Stirnband, sagen e<strong>in</strong> paar rasche Gebete her, wobei sie <strong>in</strong> die<br />

Hände klatschen, um die Gottheit auf ihr frommes Tun aufmerksam zu<br />

machen, und laufen dann weiter, die ganze Nacht h<strong>in</strong>durch. Und die ganze<br />

Nacht h<strong>in</strong>durch ist hier <strong>der</strong> Betrieb im Gang; trotz <strong>der</strong> Kälte <strong>sitzen</strong> die<br />

Verkäufer, die sich ab und zu die Hände an e<strong>in</strong>em Hibachi wärmen, <strong>in</strong> ihren


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offenen Buden, trotz <strong>der</strong> Kälte kaufen Menschen auch <strong>noch</strong> nach Mitternacht<br />

überflüssigen Schnickschnack e<strong>in</strong>. Diese Seltsamkeiten aber reimen sich zu dem<br />

seltsamen Ort, man wun<strong>der</strong>t sich über gar nichts mehr.


H<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Budenstraße liegt das K<strong>in</strong>oviertel um e<strong>in</strong>en Teich herum, <strong>in</strong><br />

dem sich all die Tausende von Lichtern, mit denen die K<strong>in</strong>otheater<br />

verziert s<strong>in</strong>d, spiegeln. Gaß aus gaß e<strong>in</strong> hängt e<strong>in</strong>e Tafel neben <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n mit<br />

den grellsten, übermannshohen Reklamebil<strong>der</strong>n, mit den wüstesten Szenen <strong>der</strong><br />

Dramen <strong>in</strong> schaurig übertriebenen Darstellungen, meist Mord= bil<strong>der</strong>n und<br />

Schreckensaugenblicken. Mit doppelten und dreifachen Licht= kränzen s<strong>in</strong>d sie<br />

e<strong>in</strong>gerahmt, aber auch jede L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Architektur ist wie nachgemalt von<br />

Glühbirnen <strong>in</strong> Lampions und die leuchtende Zeichnung<br />

läuft senkrecht, wagrecht, <strong>in</strong> Kreisen, Bogen und Zickzackwellen.<br />

Trotz aller Gesetze, die <strong>der</strong> Feuersgefahr entgegenwirken sollen, staut<br />

sich <strong>in</strong> lebensgefährlichem Gedränge die Menge im Parkett. Hier unten<br />

dürfen nämlich die Schuhe anbehalten werden. Wir wählen das kle<strong>in</strong>ere übel,<br />

ziehen die Schuhe aus und nehmen auf dem Balkon, wo es teurer, also leerer<br />

ist, Platz; da hier <strong>der</strong> Fußboden mit Matten belegt ist, können die Japaner <strong>in</strong><br />

den Strumpfschuhen, den Tabi, kommen.<br />

In fast jedem ja<strong>panische</strong>n K<strong>in</strong>o wechseln zwei Abteilungen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Die<br />

e<strong>in</strong>e br<strong>in</strong>gt ausländische, meist amerikanische Films, Räuber=, Detektiv=,<br />

Akrobaten= o<strong>der</strong> Kriegsstücke, voll gräßlicher Tricks und Schrecken, voll<br />

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Blutbä<strong>der</strong>n, Diebereien und Idiotenszenen, so daß man sich nicht wun<strong>der</strong>n<br />

dürfte, sähen die Japaner Amerika als das Land <strong>der</strong> Gauner und Banditen an.<br />

Die <strong>in</strong>ländische Abteilung ist ebenfalls von diesem Hang nach Ver=<br />

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brechen angekränkelt, überdies aber langweilig. Der Erfolg bei<strong>der</strong> Teile hängt<br />

von dem Erklärer ab, <strong>der</strong> hei den ausländischen Films mit natür= licher<br />

Stimme und ohne Musikbegleitung nur die Geschehnisse erläutert, bei den<br />

ja<strong>panische</strong>n h<strong>in</strong>gegen mit e<strong>in</strong>em richtigen Chor auftritt und die Gespräche <strong>der</strong><br />

im Bild spielenden Schauspieler im antiken Dramaton her= sagt. Bei e<strong>in</strong>em<br />

europäischen Abend kommt es auf se<strong>in</strong>en Witz an, bei e<strong>in</strong>em ja<strong>panische</strong>n auf<br />

se<strong>in</strong>en Vortrag, jedenfalls aber wählt das Publikum e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>o auf se<strong>in</strong>en Namen<br />

h<strong>in</strong>.<br />

Sieht man die Weible<strong>in</strong>, die ihre Sprößl<strong>in</strong>ge auf dem Rücken mit=<br />

schleppen, so begreift man nicht, daß ihnen das Vergnügen dafür e<strong>in</strong>en<br />

Gegenwert bietet, denn die ja<strong>panische</strong> Bühnenlangsamkeit wirkt im K<strong>in</strong>o <strong>noch</strong><br />

e<strong>in</strong>schläfern<strong>der</strong> als im Theater. Begibt sich <strong>der</strong> Held e<strong>in</strong>es Stückes von e<strong>in</strong>em<br />

Schauplatz zum an<strong>der</strong>n, so läuft das Bild auf dem ganzen Wege mit und zeigt<br />

ihn aufstehend, die Treppe h<strong>in</strong>ab= und dann wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>auf= steigend, sich<br />

setzend, kurz Schritt für Schritt, so daß viele Hun<strong>der</strong>te von Metern abrollen,<br />

ohne daß irgend etwas geschieht. Die Grundlagen, auf denen bei uns die Reize<br />

des K<strong>in</strong>os beruhen, die Schnelligkeit des Szenen= wechsels, die Bewegung, das<br />

Ereignis, werden hier umgestürzt und nur e<strong>in</strong> w<strong>in</strong>ziger Bruchteil des Films<br />

bleibt nach <strong>der</strong> Ausführlichkeit jedes Kommens und Gehens, <strong>in</strong> welcher sich das<br />

ja<strong>panische</strong> K<strong>in</strong>o auslebt, für die großen Szenen <strong>der</strong> Handlung übrig. In diesen<br />

darf man dann auf die grausamsten<br />

Mordbil<strong>der</strong>mitallenScheußlichkeitene<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>Ausmalung rechnen. Der<br />

Film kann das Abschlagen und Dah<strong>in</strong>rollen von Köpfen, das die unerbittliche<br />

alte ja<strong>panische</strong> Oper verlangt, <strong>noch</strong> greller darstellen als das Theater. Und <strong>noch</strong><br />

leichter gel<strong>in</strong>gen dem Film die typischen Heldenkämpfe, <strong>in</strong> welchen <strong>der</strong><br />

angegriffene Ritter es mit fünfzig Mord= gesellen gleichzeitig aufnimmt und sie<br />

alle besiegt und erschlägt.<br />

Der Film, den wir heute sehen, arbeitet den üblichen Wechsel zwischen<br />

E<strong>in</strong>förmigkeit und Gräßlichkeit <strong>in</strong> krassen Gegenüberstellungen heraus. Der<br />

undramatische Teil quält uns mit je<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelheit des Auftritts und des<br />

Abgangs e<strong>in</strong>es Schwiegervaters, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Schwiegersohn haßt. Weil die<br />

Tochter sich auf die Seite des Gatten schlägt, schreckt er sie mit e<strong>in</strong>er Larve,<br />

so daß sie entsetzt die Flucht vor ihm ergreift. Und nun geht die grausamste<br />

Verfolgung los, die ich je auf e<strong>in</strong>em Film gesehen habe. Die Tochter überkugelt<br />

sich <strong>in</strong> ihrem Sturz über e<strong>in</strong> steiles, ste<strong>in</strong>iges Bachbett, <strong>der</strong> Vater h<strong>in</strong>ter ihr,<br />

stets die Teufelsfratze vor dem Gesicht, wobei die Kimonos <strong>in</strong> Fetzen gehen,<br />

die Köpfe bluten, die Be<strong>in</strong>e offene Wunden zeigen und e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>ger abreißt --<br />

kurz das Fürchterlichste an Folterqual des Publikums, was sadistische<br />

Phantasie zu ers<strong>in</strong>nen vermag.<br />

Für e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>trittskarte kann man ungefähr fünf bis sechs Stunden lang im<br />

K<strong>in</strong>o bleiben, wir beschließen aber, das Billett nicht abzu<strong>sitzen</strong>.<br />

Wir wan<strong>der</strong>n und wan<strong>der</strong>n nun durch das vergnügungsfrohe Genießer.= volk,<br />

ohne die Stelle zu f<strong>in</strong>den, wo wir das Auto zurückgelassen haben, uni endlich<br />

von e<strong>in</strong>em Polizeimann zu erfahren, daß wir uns am entgegen= gesetzten<br />

Ende von Asakusa bef<strong>in</strong>den und e<strong>in</strong>e gute halbe Stunde durch den<br />

Straßenschmutz zum E<strong>in</strong>gang zurückzulegen haben. Er bietet uns aber aus<br />

eigenem Antrieb an, se<strong>in</strong>em dort stehenden Berufsgenossen zu telephonieren,<br />

er möge unser Auto hersenden. Gesagt, getan. Me<strong>in</strong> Staunen über dieses<br />

ungewöhnliche Geschehnis wird <strong>noch</strong> dadurch gesteigert, daß <strong>der</strong> Polizist<br />

me<strong>in</strong>em Begleiter unterdessen mit e<strong>in</strong>er Zigarette aufwartet. Die ja<strong>panische</strong><br />

Polizei arbeitet tadellos: <strong>in</strong> weniger als fünf M<strong>in</strong>uten ist unser Auto da.<br />

Vergnügt steigen wir e<strong>in</strong>, doch me<strong>in</strong> Freund me<strong>in</strong>t, die Sache habe auch e<strong>in</strong>e<br />

Kehrseite. Denn am nächsten Morgen werde wohl <strong>in</strong> sämtlichen Zeitungen<br />

stehen, daß <strong>der</strong> österreichische Konsul - <strong>der</strong> Polizei s<strong>in</strong>d ja nur Auto und<br />

Chauffeur bekannt - mit e<strong>in</strong>er Dame, die nicht se<strong>in</strong>e Frau war, <strong>in</strong> dem<br />

gesellschaftlich verpönten Vergnügungsviertel Asakusa gesehen worden sei.<br />

14. Bei den R<strong>in</strong>gkämpfern.<br />

Die ja<strong>panische</strong>n R<strong>in</strong>gkämpfe <strong>in</strong> Tokio fmden nur zweimal im Jahre statt, an<br />

je zehn Tagen im W<strong>in</strong>ter und im Hochsommer, da aber Touristen meist im<br />

Frühl<strong>in</strong>g und im Herbst nach Japan kommen, ist es begreiflich, daß man im<br />

Auslande nur sehr wenig von ihnen weiß und sie sogar mit dem Jiujitsu<br />

zusammenwirft, mit dem sie gar nichts zu tun haben. Jiujitsu, wörtlich<br />

übersetzt, die Kunst <strong>der</strong> Schwachen, ist <strong>der</strong> Name für bestimmte Handgriffe,<br />

die je<strong>der</strong> Japaner lernt, um e<strong>in</strong>en Gegner abzuwehren, <strong>in</strong>s= beson<strong>der</strong>e je<strong>der</strong><br />

Gendarm und Polizist, und mit denen man den stärksten Mann kampfunfähig<br />

machen kann. Jiujitsu ist ke<strong>in</strong> sportliches Spiel, son= <strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

Selbstverteidigung, allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e echt ja<strong>panische</strong>, die den Fe<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong><br />

Nicht=Wi<strong>der</strong>stehen zu erschöpfen sucht, so daß, ebenso wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

ja<strong>panische</strong>n Kunst, das Negative, das Nicht-Tun e<strong>in</strong>er Handlung, die Idee<br />

des Ganzen ist.<br />

Die Sumo (sprich: Smo>, die ja<strong>panische</strong>n R<strong>in</strong>ger, h<strong>in</strong>gegen, e<strong>in</strong>e eigene<br />

Gilde, die sich seit zweihun<strong>der</strong>tfünfzig Jahren durch Adoption ergänzt, führen<br />

dem Publikum Schaukämpfe vor, die das Nationalvergnügen Japans bilden.<br />

An dem Abend vor dem Tage, an dem ich die Sumo zum erstenmal<br />

sehen soll, macht man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er europäischen Gesellschaft die Kampfweise

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